The Lost Fife Oder - Klecks Verlag

Der Tag der Reise nahte mit riesigen Schritten. Er musste packen. Der Gepäck-Reisecontainer für Privatflüge war zwar genormt, aber dennoch praktisch. Er fand auch einen. Weg für Franks Schutzanzug. ›Wieso nehme ich den ei- gentlich mit?‹, fragte er sich. Dann verwarf er kopfschüt- telnd den Gedanken wieder.
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Theo Dorandt

The Lost Fife Oder:

Zurück in die Zukunft Erzählung

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Inhalt Die Vorbereitung ......................................................... 6 Die Anreise ................................................................ 20 Der erste Tag ............................................................. 47 Der zweite Tag............Fehler! Textmarke nicht definiert. Der dritte Tag .............Fehler! Textmarke nicht definiert. Der vierte Tag .............Fehler! Textmarke nicht definiert. Der fünfte Tag ............Fehler! Textmarke nicht definiert. Die Rückreise ..............Fehler! Textmarke nicht definiert. Das große NachdenkenFehler! Textmarke nicht definiert. Die Erde im Blickfeld....Fehler! Textmarke nicht definiert.

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Die Figuren: Theo German (T.G.), Mitarbeiter Lüftung- + Klimatechnik, Siedlung Zentraleuropa, Hobby: Archäologie Robert Heynes (Bob), Mitarbeiter Verwaltung, Siedlung: Angloamerika, Hobby: Vorschriften + Gesetze und Reisen auf die Erde Ludmilla Sabatos (Milli), Mitarbeiterin Natur + Technik Siedlung: Eurasien, Hobby: Botanik und Zoologie Hassan bin Malek (Hassan), Mitarbeiter Technik und Entwicklung, Siedlung: Arabien, Mathematikgenie, Hobby: knifflige Probleme lösen Josepha Gomez (Joe), Mitarbeiterin Sozialer Dienst, Siedlung: Südeuropa, Hobby: Sprachen Marie (---), Kollegin von T.G. Frank (---), Kollege von Milli, Freund von T.G., Hobby: Strahlentechnik, Messtechnik, Wetterkunde und Augen überall Boris Habitov (Boris), Reisegruppenleiter Ernesto Steffano (S.T.), Erster Reisebegleiter mit Erfahrung auf der Erde Laura Häagen (Laura), Zweite Reisebegleiterin --//-Lou Xi Cheng (Luxi), Erster Ausbildungsleiter Monga Golan (Mogo) Zweiter --//-Jeanette Lacroix (Kroxi), Stellvertretende Leiterin der Landestation ZE Jim Pembrox (Jim21), Pilot

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Unbenannt (Jim23), Pilot Angelique (---), Kraftfahrerin Liu Pang (Peng), Grabungsleiter Pjotr Saizew (Häschen), Archäologe und Radiologe Tatjana Gobalew (Täubchen), Archäologin und Geologin Tian Zhao (Tizi), Archäologe und Physiker Mulan Wang (Muli), Archäologin und Chemikerin Milay Mehra (M.M.), Erster Mechaniker Balu Rao (Baro), zweiter Mechaniker Janosch Jankowski (JaJa), Mitarbeiter in einer Schutztruppe, Siedlung: Zentraleuropa, Hobby: Transport- und Logistikwesen Tadeusz Kubiak (TaKu), Zweiter Wachmann, Hobby: Modellbau aller Art

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Wie alles begann

DIE VORBEREITUNG ›Die verlorenen Fünf‹, schrieb er Gedanken verloren auf seinen Bildschirm. Sein tägliches Tagebuch, Notizbuch, Merkzettel und Schmierpapier. Papier – das war einmal. Soll ja von Papyrus abstammen – sagt zumindest der Lexikonpool der ›Neuen Galaxie‹. Dem weitverbreiteten Nachrichtendienst, Lexikothek und Wissensmonopol seiner Weltraumsiedlung. Wer’s glaubt … Damals soll es ja auch Journale – also Zeitungen – aus Papier gegeben haben. Irgendjemand hat behauptet, dass man so was bei einer Suchgrabung entdeckt habe. Und das ausgerechnet auf dem Ursprungs Planeten, der Erde. Theo German schaltete sein Tagebuch ab. Schluss für diesen Moment. Er musste sich vorbereiten auf seinen Trip. Innerlich sträubte er sich, wusste aber, dass das nichts helfen würde. Die Reise war für ihn gebucht. Mehr oder weniger unfreiwillig freiwillig. Klingt verwirrend? Und wie! Der Wissenswettbewerb lief auf fünf Sektionen des Raumdistriktes. Teilnehmen durften Lernende der Wissensstufe Sieben. Also genau seiner Stufe. Es gab pro Siedlung zehn Kandidaten. Die mit den besten Ergebnissen. In dem Ausleseverfahren für seine Sektion hat er nun den ersten 6

Platz belegt. Eigentlich sollte er sich freuen und sich beglückwünschen. Doch dann erfuhr er den ersten Preis. Um diesen wurde stets ein riesiges Geheimnis gemacht. Theo malte sich schon die tollsten Dinge aus – doch dann erfuhr er, dass es eine Reise zur Erde sein würde. Eine Reise für fünf Preisträger. Jeder von einer anderen Sektion der Weltraumsiedlung. Und er dabei. Er, der in seinen Personalunterlagen verschwiegen hatte, dass er Reiseangst hatte. Zumindest Reiseangst im inneren planetarischen Raum. Und um zur Erde zu gelangen, musste man in diese tubenförmigen Ungetüme steigen. Eigentlich waren diese Geräte nur zum Transport von Waren und Material gebaut worden. Um aber Kosten zu sparen, hat man dann einige Zellen für den Personentransport umgerüstet. Neues reisefähiges Material für den Personentransport mit akzeptablem Komfort solle erst in der nächsten Dekade angeschafft werden. Das war ja noch lange hin. Und vor den alten Karren hatte er eine fast panische Angst. Warum nur hatte er sich für diesen Wettbewerb gemeldet? Die tägliche Bildschirmkonferenz hatte gerade begonnen. Er schaltete sich wieder einmal zu spät ein. Nicht viel – aber es wurde bemerkt. »Schön, dass auch du dabei bist, German.« Es klang zwar freundlich, aber im Unterton schwang eine vernichtende Kritik mit. Noch vor kurzer Zeit hat man ihn mit dem vertrauten ›Tie-dschie‹ begrüßt. Heute war er schlicht der German. Sein Lehrgangsleiter räusperte sich vernehmlich: »Ich wiederhole mich – ungern –, aber besser ist es. Ihr, die ihr den Wettbewerb gewonnen habt, erlebt etwas ganz Groß7

artiges. Wir lassen uns auf die Erde verschiffen. Das ist nicht so einfach – wie ihr wisst –, aber das kriegen wir schon gebacken. Wir werden erst zum Haupt-Raumbahnhof der fünf Sektionen reisen. Das geht recht unproblematisch, weil die Verbindungen wieder regelmäßig laufen. Der Umbau des Raumbahnhofes ist abgeschlossen. Wir kommen in den Genuss der völlig neuen Abfertigungshallen.« Kurze Pause. »Dann allerdings wird es kritisch. Noch ist uns der alte Raumfrachter zugeteilt. Noch … aber …«, kleine Kunstpause, »… vielleicht gibt es ja bis dahin schon den AT22000 – den neuesten Transporter für planetarische Reisegruppen. Das wär ja was. Wir wären die Ersten, die mit dem Ding mitreisen dürfen. Ein Premierenflug – sozusagen.« Atemlose Stille, dann verhaltene Äußerungen, die wie Jubel klangen. »Aber … Das erfahren wir erst kurz vor der Reise. Doch jetzt zum Programm.« Das Programm für den Ausflug zur Erde hatte T.G. schon mal kurz überflogen. Es kam gestern mit den eingehenden elektronischen Nachrichten auf den Privatschirm. Das, was er von dem Lehrgangsleiter erfuhr, war also nichts Neues. Bis auf ... ja, bis auf ein Stichwort der besonderen Art: Ausgrabungen. Hä? Ausgrabungen? Das war neu. Er wirkte wie elektrisiert, stellte den Ton lauter und kroch fast in den Bildschirm hinein vor Aufregung. Tatsächlich. Sie sollten alle an einer Ausgrabung teilnehmen dürfen. Was für ein Traum für ihn. Die Erfüllung dieses Traumes sollte er also bald erleben. »So, das war alles. Noch Fragen? Keine? Na dann – bis zum Abflug. Denkt bitte daran: Die Anreise zum HauptRaumflughafen müsst ihr alleine bestreiten. Dort treffen wir 8

uns auf Deck 23B. Ab dort sind wir eine geschlossene Gruppe und reisen zusammen. Alleingänge sind untersagt. Also, bis dann!« T.G. schaltete die Verbindung zur Videokonferenz ab und atmete kräftig durch. ›Hat sich ja doch gelohnt‹, dachte er. Ausgrabungen. Sein spezielles Wunschgebiet. Sein Hobby. Das passte doch. Prima. Er freute sich riesig. Doch jetzt musste er seiner Arbeit nachgehen. Er war für die technische Überwachung einer der vielen Filteranlagen für Luft- und Raumklima zuständig. Es galt, in regelmäßigen Abständen die Dichte der Filter zu überprüfen und gegebenenfalls auszutauschen. Ja, in der Nachbarsiedlung ging die Überwachung schon automatisch. Hier aber – in seiner Siedlung – würde es noch etliche Zeitabschnitte dauern. Der letzte Meteoritenhagel hatte ganze Arbeit geleistet. Fast hätte die Siedlung evakuiert werden müssen. Fast. Ein Einsatzkommando, das gerade mit Reservematerial unterwegs war, konnte sofort nach den Einschlägen anfangen, die Schäden zu beheben. Glück – pures Glück. In einer anderen Siedlung vor Jahren war eine Evakuierung unausweichlich. Es dauerte elendig lange, bis eine Zufuhr von atembarer Luft gewährleistet war. ›So ungerecht ist es in der Welt verteilt‹, dachte er. Ja, die Filtertechnik – das war seine derzeitige Arbeit. Seine Tätigkeit, mit der er seinen Lebensunterhalt verdiente. Sein ›Broterwerb‹ sozusagen. Aber – das war nur die eine Seite seines Lebens. Seine eigentliche Leidenschaft war die Archäologie und Altertumsforschung. Das Forschen nach vergangenen Dingen, Ereignissen, Personen, Staaten, Kulturen, Techniken – eben alles, was die Zeit betraf, die vor 9

seiner Zeit lag. Dafür lebte er. Neugier – das war seine Triebfeder. Wissen, was war. Wissen, woher alles gekommen ist und warum dies alles passiert ist. Aus diesem Grunde hatte er sich an dem Wissenswettbewerb beteiligt. Und – gewonnen. Was wollte er mehr? Seine elektronische Zugangskarte zum Lift zeigte schon zum zweiten Mal rot an. ›Hä? Was soll das denn?‹ Die Schlange der Wartenden wuchs beständig an. Ein Kollege, der hinter ihm stand, wurde ungeduldig. »Zeig mal her«, zischte er ziemlich unfreundlich. T.G. war so sehr verdutzt, dass er ihm ohne nachzudenken seine Zugangskarte hinhielt. »Klar – du bist ja hier falsch. Du musst den nächsten Lift nehmen.« Das war es also. Er stand an der falschen Anlage. Wo war er nur mit seinen Gedanken – besser: was machen seine Gedanken bloß mit ihm? »Oh … ‚tschulljung … bin schon weg.« ›Konzentrier dich bloß!‹ Er rief sich selbst zur Ordnung. Endlich. Er war angekommen. Sein Arbeitsbereich. Seine Anlage. Sein Kontrollschirm. Sein Messgerät. Der Rest des Tages war Routine. Keine besonderen Vorkommnisse. Alle Messwerte im grünen Bereich. Kein Handlungsbedarf. T.G. ertappe sich dabei, dass sich sein Blick wie gedankenverloren an dem Bildschirm der Außenanlage festhielt. ›Da draußen ... da werde ich bald … und dann auf die Erde …‹ Er seufzte. ›Ist ja bald soweit.‹ »Hallo T.G.!« Seine Ablösung kam. Marie, eine sehr junge Kollegin der Wissensstufe Neun. Ihr Zeichen für die Neun war ganz frisch am dunkelblauen Overall angebracht und leuchtete orangerot. Zwei Wissensstufen hatte sie ihm voraus. Ehrgeiz gepaart mit umwerfender Natürlichkeit. Das 10

gefiel ihm an ihr. Ein paar kurze Hinweise zur Übergabe. Das war’s. Er hatte jetzt ein paar Stunden freie Zeit. Die großen Speiseräume aus früheren Zeiten wurden abgeschafft. Dafür ging jetzt jeder für sich auf sein Quartier und ›genoss‹ die Speisen dort. Sie kamen frisch aus dem Lebensmitteltransportsystem, einer Art Rohrpost, nur eben viel umfangreicher und vielseitiger. Mittels eines MenüTableaus konnte man die angezeigten Speisen und Getränke anfordern. Er hatte keinen besonderen Wunsch und wählte das Tagesgericht Nummer Dreizehn. Es dauerte nur eine kurze Zeitspanne und die bestellten Dinge wurden hinter einer Schleusenscheibe sichtbar. »Das Menü-Team wünscht guten Appetit«, meldete sich eine elektronische Stimme. Der Inhalt des eingeschweißten Blocks war warm und schmeckte überraschend angenehm. Was die Mahlzeit genau enthielt, blieb wohl stets ein Geheimnis der Küche. Aber es wurden alle notwendigen Nähr- und Vitalstoffe sowie Vitamine garantiert. Wenn er die Auswahlliste einmal von oben bis unten durchhatte, fing er wieder von vorne an. Heute war eben die Nummer Dreizehn an der Reihe. Aber das Angenehmste: Er konnte alle Reste und die Transportbehälter auf dem gleichen Wege wieder zurückbefördern lassen. Kein Abfall, kein Abwasch, kein Ärger, kein nichts. Kein gar nichts. Für ihn ideal und bequem. Danach wollte er sich eine Ruhepause gönnen. Doch das Video-Fon meldete sich. »Ein Teilnehmer aus der NaturAbteilung wünscht Sie zu sprechen.« Er nahm die Nachricht an. »Hallo T.G.«, meldete sich ein befreundeter Kollege aus der Abteilung Naturforschung. T.G. hatte wenige Freunde. 11

Meistens waren es nur sogenannte Freunde, die ihn und sein Wissen zum eigenen Weiterkommen ausnutzen wollten. Doch Frank und ihn verbanden noch Erinnerungen aus einer gemeinsamen Ausbildungszeit beim Militär. Das schweißte zusammen. Nun war Frank in die Abteilung Naturforschung gekommen und hatte dort die Gewächshäuser unter seiner Aufsicht. »Habe gerade Schichtwechsel. Kommst du mit in den Solarpark? Mal was für den Teint tun.« Letzteres klang wie eine Aufforderung. Da steckte wohlmöglich noch mehr dahinter. T.G. wurde neugierig. »Gebongt. Komme.« Konversation kurz und knapp. Das gefiel beiden. Schon war der Bildschirm wieder milchgrau und leer. Das Schwebetaxi war schnell gerufen und schnell am Ziel. Die Tour dauerte nur eine sehr kurze Zeiteinheit. Mit dem Rollsteig-System in der Raumanlage hätte es fünfmal so lange gedauert. »Hallo.« Das klappte ja prima. Frank kam auch mit dem Schwebetaxi. Musste wohl doch wichtig sein, ihr Treffen. »Wir nehmen zwei Liegen nebeneinander für fünfzehn Solareinheiten und einen Satz Kopfhörer mit Privatfrequenz.« Frank schien es eilig zu haben. Ein Automat mit Zufallsgenerator gab den Code für die Frequenz heraus. Eine Kabine wurde gerade frei. Sie traten ein. Die Overalls waren schnell abgelegt. Die Sonnenbestrahlung tat richtig gut auf der Haut. Frank deutete auf die Kopfhörer und überprüfte die Bereitschaft. »Läuft«, bestätigte er kurz und setzte die Dinger auf. T.G. tat ihm gleich. »Habe von deinem Glück gehört. Du bist mit von der Partie zur Erde. Toll. Herzlichen Glückwunsch.« Das musste 12

er einfach vorwegschicken. Doch dann kam er zur Sache: »Das mit der Erde ist nicht so einfach. Die letzte Tour lief nicht so glücklich ab. Leute, die ohne Schutzanzug rumliefen, haben sich einer zu hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. Zwei davon sind gerade verstorben. Die Sonnenwinde waren wohl wieder mal zu heftig. Und Schutzanzüge sind dort Mangelware. Ich kann dir aber meinen alten mitgeben. Ist besser so – aber entscheiden musst du selbst.« T.G. war erschrocken. »Und was ist wenn …« »Denk lieber nicht drüber nach. Hier auf unserer Station in unserer Siedlung hast du die jährliche Dosis schon intus. Dort bekommst du die gleiche Dröhnung noch einmal. Das aber nur bezogen auf deinen Aufenthalt dort. Das sagt keiner und will keiner wahrhaben. Aber unsere Messungen in den letzten Zeiteinheiten haben das eindeutig bestätigt. Es wird nur immer wieder vertuscht. Keiner traut sich, die Wahrheit bekannt zu geben.« Frank war neben seiner Tätigkeit an den Gewächshäusern auch für die Strahlungsmessungen der Umgebung zuständig. Es lief ein Forschungsprogramm, das den Zusammenhang von Strahlung und Wachstum der Pflanzen klären sollte. Und Messungen sind ja vielfältig einsetzbar, deutbar und vielseitig anwendbar. T.G. erklärte, dass seine Gruppe an einer Ausgrabung teilnehmen sollte. »Die Grabungsstelle wird sicherlich eine Schutzvorrichtung haben. Und die Zubringer sind bestimmt auch geschützt. Oder hast du da andere Informationen aus deinem Buschfunk?« Frank schüttelte den Kopf. »Nee. Willste nun, oder willste nicht? Letztes Angebot.« »Ich will«, kam es kurz und bündig zurück. 13

Die Zeit war um. Sie mussten die Kabine verlassen. Theo hat noch lange über dieses Gespräch nachgedacht. Er wollte den Anzug nehmen. Da sein Gepäckstück für die Tour von Gewicht und Volumen begrenzt war, musste er sich etwas einfallen lassen. ›Wird schon gehen‹, dachte er. Der Ausflug auf die Erde würde auch das Ende seines Ausbildungsabschnittes für seine Stufe – die Stufe Sieben – sein. Wie schon so oft werden auch die Kontakte zu den anderen Kursteilnehmern abbrechen. Nicht sofort, aber doch langsam, aber sicher. Die nächste Ausbildungsphase wird erst in einem größeren Zeitabschnitt stattfinden können. Auf der Erde wäre es ein Jahr. Hier im Siedungsbereich der fünf Sektionen wäre die Einheit nicht ganz so lang. Etwa vergleichbar mit acht Monaten nach alter Rechnung. Für ihn wäre es dann die Wissensstufe Acht. Die brauchte er dringend, um weiterzukommen. Und das wollte er. Filteranlagen – gut und schön. Aber das entsprach in keiner Weise seinem Spezialgebiet und seinem Hobby. Stufe Acht würde ihm eine Möglichkeit eröffnen, sich versetzen zu lassen. Vielleicht ja in die Abteilung zu Frank. Die Gruppe Altertumsforschung – sein eigentliches Ziel – erforderte immerhin schon Wissensstufe Zehn. Das war noch ein weiter Weg. Bevor er schlafen ging, wollte er noch ein bisschen auf dem Bildschirm spielen und im Netz surfen. Nur so aus reiner Ablenkung und um seinen Kopf frei zu bekommen. Als er den Schirm aktivierte, fand er neue Post. Sie betraf die Reise. ›Denkt bitte daran, euch mit den Hinweisen im neuen Terminal des Raumbahnhofes vertraut zu machen. Es sind 14

wieder neue Piktogramm-Brücken installiert.‹ ›Rührend, diese Fürsorge‹, dachte er. Dann bekam er einen Schreck. Klar – die neuen Hinweise sind ja alle in der neuen Symbolsprache verfasst. Verflixt. Da hatte er wohl großen Nachholbedarf. Wer denkt schon groß über die Sprache nach, mit der er aufgewachsen ist, die er kennt? In der er denkt, träumt und lebt? Stimmt. Die fünf RaumSektionen sind ja den alten fünf Kontinenten, die es auf der Erde mal gegeben haben muss, nachempfunden worden. Und jede Sektion ist dann in fünf Siedlungen aufgeteilt worden. Alles hatte etwas mit dieser mystischen (oder mysteriösen?) Fünf zu tun. Jede der fünf Sektionen hat eine Heimatsprache zugewiesen bekommen, die von den vielen Sprachen auf der Erde übriggeblieben sind. Oder was in der Zwischenzeit daraus geworden ist. Aus der alten Erdenwelt sind ›Zentraleuropäisch‹ und ›Südeuropäisch‹ überliefert. Außerdem die damalige Verkehrs- und Handelssprache ›Angloamerikans‹ sowie ›Eurasisch‹ und ›Asiarabians‹. Das ›Südeuropäisch‹ wurde auch ›Romanoamerikans‹ genannt, weil es anscheinend auf zwei Kontinenten gesprochen wurde. Alle anderen Sprachen sind wohl Opfer der Geschichte und der politischen Entwicklungen geworden. ›Afrikana‹ ist irgendwann einmal ganz verschwunden. Die anderen Staatengruppen hatten dieser Sprachenfamilie wohl keine Chance gelassen. Sei es, wie es sei. Man hat diese fünf Großsprachen übernommen. Theo und Frank befanden sich in der Sektion, in der Zentraleuropäisch gesprochen wurde. Im interplanetarischen Raumverkehr musste man sich 15

nun auf eine einzige neue Verkehrssprache einigen. Wie so oft war das schwer möglich. Die Richtungskämpfe gingen lange hin und her. Dekaden verstrichen. Eine Einigung kam nie zustande. Bis – ja, bis es auf einmal nicht schnell genug gehen konnte. Die Wahl fiel auf eine Schrift mit Symbolen. Eine Mischung aus Buchstaben, Zeichen und Bildern. Das sollte es nun sein. So etwas muss es wohl schon einmal auf der Erde gegeben haben. Hieroglyphen, Keilschrift, Runen, asiatische Zeichen, Piktogramme und Bilderschrift – es war wohl ein Mix aus alledem. Aber seit Neuestem war es Standard. Die ersten Vorschläge kannte T.G. schon. Sie gefielen ihm sogar. Aber jetzt – jetzt sollten neue Zeichen dazugekommen sein. ›Mal sehen‹, dachte er. Die notwendige Literatur zu den Ausschilderungen am Raumbahnhof mit der Auflistung aller Bildersymbole war als Datei gleich mit dabei. Theo speicherte sie auf seinem kleinen Kommunikator, um sie später, vielleicht morgen, durchzusehen. Die Zeit bis kurz vor der Abreise verstrich ohne nennenswerte Ereignisse. Er pendelte stets zwischen seinem Wohnkomplex und dem Technikzentrum. Doch eines war anders. Er erwischte sich selbst dabei, dass seine Gedanken viel zu häufig um den Ausflug zur Erde kreisten und um das, was er dort vorzufinden glaubte und hoffte. Wusste er alles? Was wusste er wirklich? Fehlten ihm Informationen? Gab es inzwischen neue Erkenntnisse? ›Lieber noch mal nachsehen‹, dachte er. Gedacht – getan. Okay: Erde – Planet – bewohnbar bis ... ja, das kannte er alles. Die Menschen des sogenannten ›Atomzeitalters‹ oder auch ›Postindustriellen Zeitalters‹ hatten ja ganze Arbeit 16

geleistet. Besser wäre gewesen, dieses Zeitalter ›Ausbeutungszeitalter‹ zu nennen. Egal. Der Klimawandel war nicht mehr aufzuhalten. Auch das wäre ja noch kein Evakuierungsgrund gewesen. Die plötzliche Bevölkerungsexplosion jedoch ließ die meisten staatlichen Ordnungen zusammenbrechen. Es kam zu einem Kollaps, von dem sich die Erdenbevölkerung kaum erholen konnte. Allein fünf Staaten blieben stabil. Hier war sie wieder – die ominöse Fünf. Sie beschlossen, den Weg nach vorn anzutreten und neue Siedlungen im Weltall zu gründen. Die Voraussetzungen waren ja gut. Die Minen zur Energie- und Rohstoffgewinnung auf drei Nachbarplaneten liefen gut und erfolgreich. Die Frage der Siedlungsmöglichkeiten war kein Thema mehr seit der Erfindung strahlensicherer Raum-Module. Diese konnten in fast unendlich flexibler Weise zusammengesetzt und genutzt werden. Dank den drei Tüftlern. Klasse Leistung. Als vor circa mehreren hundert Dekaden das Problem der Gravitation für Raum-Siedlungen gelöst war, kam es zu den ersten Siedlungen außerhalb der Erde. Diese waren nicht auf Planeten errichtet, sondern kreisten in verschiedenen Umlaufbahnen, also stationär zu ihren ›Hausplaneten‹. Diese damals reinen Produktionssiedlungen wurden dann zu den Urzellen der heutigen Sektionen. Die ganz große Evakuierung galt von nun an als der Neubeginn einer anderen Zeitrechnung. ›Nach dem Exodus‹, kurz ›n.d.E‹ oder auch ›a.E.‹ genannt. Das hat die damals gebräuchliche Kurzform ›n.Chr.‹ wohl abgelöst. Die Geschichtsschreibung war ja voll davon. Jedes Kind kannte die Entwicklung nach dem Exodus. Die Erde selbst hatte sich wohl so weit entvölkert, dass 17

nur noch geringfügige Ansammlungen von Wohnstätten existieren konnten. Die Rohstoffversorgung lief seit der Zeit der Evakuierung über die Förderstationen im erdnahen Raum. Das hat anfänglich zu erneuten Verteilungskämpfen geführt, hat sich dann aber eingependelt. Seit einigen Dekaden lief alles normal. Es wurden keine weiteren Verteilungsschwierigkeiten gemeldet. ›War das so?‹ Theo grübelte. Egal. Wird so gewesen sein. Die Versorgung mit Pflanzen und anderen biologischen Nahrungsquellen lief genau umgekehrt. Die Erde versorgte zunächst die Außenposten und die Sektionen mit Lebensmitteln. Das führte zu einer merkwürdigen Abhängigkeit und zu ständigem Ärger. Um diesem Ärger Einhalt zu gebieten, ist die ›Forschungsgruppe Lebensmittel‹ gegründet worden mit dem Ziel, die gleichen, ähnliche oder bessere Ernährungsmöglichkeiten herauszufinden wie auf der Erde. Die Forschungen zeigten schon gute Ergebnisse. Durch Frank war Theo ja stets gut informiert. Besonders spannend fand er die Entwicklung der Tomaten. Herrliche ballgroße Früchte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Ob er auf der Erde auch so etwas sehen konnte. Oder essen? In Gedanken war T.G. bei Frank und seinem Bio-Labor. Die Experimente in den letzten Dekaden mit den Setzlingen fast aller Obst- und Gemüsesorten waren sehr vielversprechend und zeigten in relativ kurzer Zeit sehr gute Ergebnisse. Pflanzenwachstum mit ausschließlich künstlichem Licht. Dem Tageslicht auf der Erde nachempfunden. Wachstum ohne Pestizide und andere wachstumsfördernde Stoffe. Mit zum Teil überragend besseren Qualitäten als die Lieferungen von den Erdstationen. Genialer Fortschritt. Steigerung 18

der Vitalstoffe, Steigerung der Lebensqualität. Was muss das für eine befriedigende Arbeit sein in solchen Labors. Vor einigen Dekaden wurde ein Kooperationsabkommen für Altertumsforschung unterzeichnet. Alle Siedlungsgebiete der Erde und alle Raum-Sektionen haben unterschrieben. Die Forschungsarbeiten wurden gemeinsam gestartet. Anfänglich mit viel ›Tamtam‹ und viel Öffentlichkeitsarbeit. Dann gab es eine Zeitspanne, in der man von diesen Arbeiten nicht viel gehört hatte. Einige vermuteten schon, dass das Projekt eingeschlafen war. Doch seit wenigen Zeitabschnitten ist wieder Bewegung in die Sache gekommen. Und er wollte unbedingt dabei sein. Unbedingt. Hatte er jetzt alle Informationen? Theo war zuversichtlich. ›Ich denke, dass ich alles habe‹, dachte er sich und schloss den Lexikonkanal. Sein Bildschirm war wieder milchgrau und leer. Eigentlich könnte, ja, müsste so eine Fläche auch als Farbtupfer zu gestalten sein. Er grübelte. Aber nicht lange. Würde ja doch nicht genehmigt werden. Aber beantragen könnte man so was doch mal …

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DIE ANREISE Der Tag der Reise nahte mit riesigen Schritten. Er musste packen. Der Gepäck-Reisecontainer für Privatflüge war zwar genormt, aber dennoch praktisch. Er fand auch einen Weg für Franks Schutzanzug. ›Wieso nehme ich den eigentlich mit?‹, fragte er sich. Dann verwarf er kopfschüttelnd den Gedanken wieder. Nun musste das Gepäckstück vom Reise Service abgeholt werden. Die Order war schnell erledigt. Ein Elektro-Trolley kam, nahm das Gepäck, scannte es ein und verschwand. Die Automaten waren mittlerweile zuverlässiger als das damalige Personal. Unpersönlicher, aber verlässlicher. Beanstandungen gab es seitdem kaum. Gepäck und Passagiere reisten grundsätzlich getrennt. Wenn er am Ziel angekommen sein wird, würde der Container schon für seine Bleibe angeliefert sein. Neben seinem privaten Kommunikator war nur ein kleines Handgepäck erlaubt. Er selbst orderte für den nächsten Morgen ein Schwebetaxi zum Siedlungsbahnhof. Das Taxi war überpünktlich und hatte eine freie Route erwischt. Er hatte also noch ein paar kurze Einheiten Zeit. Ach ja – da stand es: ›Richtung Haupt-Raumbahnhof‹. Die Halle vor den verschiedenen Terminals war sehr belebt und sein Rollsteig war voll mit Reisenden. ›Ist ja Schichtwechsel in den Forschungsbereichen. Und – klar – auch in den Werk20

zonen. So ’n Mist. Gerade die Hauptverkehrszeit erwischt.‹ Er ärgerte sich. Aber bunt war es, das Bild, das sich ihm bot. Verschiedenfarbige Overalls verrieten etwas über die Tätigkeiten der Personen. Die Forscher- und Laborgruppen in Hellgrau, Grün und Gelb. Die Technikergruppen in Blau, Rot, Orange. Die Verwaltung trug Weiß, Sicherheitskräfte trugen Schwarz. Die Lernenden, sonst in Mausgrau gekleidet, waren noch nicht dabei. Dazu war es noch zu früh. Die neue Halle selbst war überwältigend. ›Bombastisch‹, dachte er. Hell, übersichtlich, und klimatisch sehr gut geregelt. Das roch er sofort. Frische, saubere, gefilterte Luft. So stellte er sich den Duft von Frischluft auf der Erde nahe am Meer vor. ›Ja, so müsste es gewesen sein.‹ Schließlich verstand er ja etwas von Klimatechnik und der Zusammensetzung sauberer Atemluft. ›Toll geregelt.‹ Er war beeindruckt. Die Andockstation seiner Fähre zum HauptRaumbahnhof hatte er erreicht. Er verließ den Rollsteig und ging auf die Fähre zu. Eine Automatenstimme forderte ihn höflich, aber bestimmt auf, seine Zugangsberechtigung zu bestätigen. Ach ja – er hätte beinahe vergessen, seine IDKarte vorzuzeigen. Beim ersten Leseversuch blieb die Ampel des Automaten rot. Erschrocken nahm er die Karte, wischte ein paar Mal mit seinem Handrücken über die Oberfläche und probierte es erneut. Grün. ›Na endlich. Geht doch.‹ Er war erleichtert. Die Tür zur Fähre stand offen. Er trat ein. Klasse. So ein Transportmittel hatte er sich immer gewünscht. Alles nagelneu. Der Innenraum war oval geformt und mit einer angenehm wirkenden Beleuchtung gleichmäßig erhellt. Die Sitzschalen waren neu gestaltet. Sie waren etwas mehr geneigt 21

als früher. Fast ein Gefühl des Liegens stellte sich ein. Anschnallen war Pflicht. »Hallo! Ich denke, dass dies meine Sitzschale ist.« Eine energische Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Tatsächlich. Er hatte nicht auf seine Sitznummer geachtet. »Tschulljung! Bin schon weg.« Er stand auf, kramte seine Bordkarte heraus und las nach. 32 galt für ihn – 23 hatte er besetzt. »War nur ein Zahlendreher«, versuchte er sich zu entschuldigen. Endlich konnte er sich auf seinem Platz einrichten. Blöde, dass er nicht gleich aufgepasst hatte. Bis zum Ablegen hatte er noch etwas Zeit. Nicht viel, aber es reichte, um alles genau zu betrachten. Jede Bordseite war mit untereinander abgeschirmten Sitzschalen ausgerüstet. In der Mitte war ein offener Gang. Er schätzte, dass in diesem Abschnitt circa 50 Plätze vorhanden waren. Langsam füllte sich der Passagierraum. Dann ging es auch schon los. Eine angenehm klingende Lautsprecherstimme forderte die Gäste auf, das Anschnallen nicht zu vergessen und wies auf den Ablegevorgang hin. Die Fähre würde erst langsam in den Schleusenbereich einfahren und auf den Druckausgleich warten. Nach der Freigabe könnten sie dann sehen, wie sich die riesigen Schleusentore öffnen würden. Dann ginge es los. Reisedauer sollte ungefähr sechs Stations-Zeiteinheiten sein. Nach guten Wünschen für eine angenehme Reise meldete sich die Stimme ab. Die Anlage übertrug stattdessen wohlklingende leise und unaufdringliche Hintergrundmusik. Vor der Druckausgleichschleuse staute sich der Fährenverkehr. Ein verspäteter Transport mit Material musste noch durchgelassen werden. Völlig unplanmäßig. Aber Material22

transporte hatten nun mal Vorrang vor den Personenfähren. Warum auch immer. Aber es war so. T.G. konnte alles, was außen passierte, am leicht gewölbten Deckenbildschirm verfolgen. Die Außenhaut der Fähre war ja hermetisch abgeschlossen und druckdicht. Durch die leicht liegende Position der Sitzschale war das Betrachten der Projektionsfläche recht angenehm. Es fiel ihm auf, dass auch die Service-Einheiten zu seiner rechten Seite neu gestaltet waren. Getränke und kleine Imbisshappen konnte man mit dem neuen Tableau viel leichter ordern. Doch jetzt war er wunschlos glücklich und wollte einfach die Fahrt genießen. So sehr lange dauerte es ja nicht bis zum Haupt-Raumbahnhof. Sein Kommunikator meldete sich. Eine Textnachricht von Frank. ›Hallo T.G. Es gibt neue Informationen zu eurer Grabungsstelle. Schau doch mal nach unter dem Verweis, der als Anlage beigefügt ist. Scheint interessant zu sein. Gruß Frank.‹ Theo wurde neugierig. Frank war immer gut informiert. Wie macht der Typ das bloß? Woher hatte er all die Informationen? Die Verweisstelle war gar nicht so schnell zu finden. Er musste sich erst durch viele andere vorgeschaltete Hinweise durchwühlen. ›Der hat aber immer wieder so ein Spezialkram im Sinn, der Frank‹, dachte T.G. Seine Neugier wuchs. Da – das war der Hinweis. Teil eins des Berichtes bezog sich auf das Landegebiet auf der Erde in Zentraleuropa. ›Lese ich später‹, entschied Theo für sich. Teil zwei betraf die aktuellen klimatischen Bedingungen. ›Wichtigkeitsstufe Drei‹, beschloss Theo. Der dritte Abschnitt des Berichtes bezog sich auf die neuesten freigegebenen Grabungsgebiete. 23

›Schon interessanter‹, dachte er und begann, den Bericht zu studieren. Die archäologischen Gebiete sollten nördlich des Landeplatzes liegen. Aber – wie weit nördlich? Die Angabe fehlte offensichtlich. ›Eine Tagesreise? Oder mehr? Da können wir ja viel Zeit verlieren mit Rumkutschieren.‹ Zufrieden war er nicht mit dieser Mitteilung. Beim weiteren Grübeln fiel ihm auf, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, mit welchen Transportmitteln heutzutage auf der Erde zu rechnen ist. Vor der Evakuierung gab es ja noch Personenmobile, Flugmaschinen und Großraumtransporter. Alles noch motorengesteuert und mit flüssigem Treibstoff betrieben. Lange Zeit danach gab es so gut wie gar nichts, bis die gasgefüllten Luftschiffe wieder eingesetzt wurden. Für die Materialtransporte wurden immer leistungsfähigere Luftschiffe entwickelt, die bis heute noch im Einsatz sein sollten. Gab es eigentlich Passagierverkehr? So viel wäre da ja nicht zu bewegen bei der geringen Bevölkerung. Schließlich fand er eine Verweisseite mit den aktuellen Angaben. Danach sollte es auch für den Personenverkehr kleinere gut steuerbare Ballonfahrzeuge geben. Der Vorteil dieser Transportmöglichkeit war wohl die Tatsache, dass man keine hochtechnisierte Infrastruktur brauchte. Als er ein Foto dieser Verkehrsmittel entdeckte, musste er breit grinsen. Das kam ihm doch irgendwie bekannt vor. Ja, in den Familienakten seiner Vorfahren gab es ein ähnliches Foto seines Ur-UrUrgroßvaters. So ein Gerät hat man damals zur Freizeitgestaltung benutzt. Die Ähnlichkeiten waren verblüffend. Und dessen Sohn, sein Ur-Urgroßvater war damals einer der ersten Bewohner der Raumstation für Rohstoffgewinnung im Weltraum. ›Schon komisch. Da schließt sich jetzt der 24

Kreis. Ich auf den Spuren meiner Ahnen?‹ Diesem Gedanken hing er noch etwas hinterher. Die Stimme aus der Übertragungsanlage meldete sich und wies auf das Ereignis der Öffnung der großen Tore hin. Das hätte Theo glatt verpasst, so sehr war er vertieft in das Studium seiner Informationsseiten. Der Anblick war gigantisch. Das Zusammenspiel der einzelnen Torsegmente faszinierte ihn noch immer. Der Weltraum tat sich auf. Es war also so weit. Bis hierher wurde die Fähre von kleinen wendigen Lotseneinheiten bewegt. Ab hier, im freien Raum, wurden die Lotseneinheiten abgekoppelt und die Antriebseinheit aktiviert. Er spürte kaum etwas. Toll. Früher erschütterte ein unangenehmes Vibrieren die Sitze. Heute – fast nichts dergleichen. Es begann die Reise im näheren Bereich der Weltraumsiedlungen zum Haupt-Raumbahnhof. T.G. wachte auf und erschrak. ›Wie? Was? Wo sind wir?‹ Er streckte sich und rieb sich die Augen. Ein schneller Blick rundum zur Orientierung reichte, um festzustellen, dass er nur kurze Zeit geschlafen hatte. Gut. Er wollte ja noch die anderen Seiten durchlesen, die Frank ihm empfohlen hatte. Was hatte er noch nicht gelesen? Die Klimazonen – richtig. Im Landegebiet sollte es Frühling sein. ›Hauptsache, der Frost ist raus aus dem Boden. Stört ja sonst beim Buddeln‹, ging ihm durch den Kopf. Jahreszeiten. Ja – die kannten die Siedler der Raumsektionen lange Zeiten nicht. Bis man anfing, die Jahreszeiten mit den Lüftungs-Klimaanlagen nachzuempfinden. Die ersten Experimente waren eine Katastrophe. Dann aber spielte sich die Simulation ein. Das Wohlbefinden der Siedler bes25

serte sich merklich und die Produktivität stieg messbar. Heute denkt keiner mehr darüber nach. Aber echtes Klima – so Natur pur? Das hatte selbst er noch nicht erlebt. Theo beschloss, genug gelesen zu haben und schloss die Datei von Frank. Der Anflug auf den Haupt-Raumbahnhof mit Verwaltungszentrum der fünf Sektionen stand kurz bevor. Eine freundliche Stimme kündigte das Ereignis an und gab noch einige wichtige Verhaltensmaßnahmen durch. Auf dem Bildschirm erschienen eine nicht enden wollende Reihe gigantischer Tore. Sie ähnelten alten mechanischen Kameraverschlüssen und hatten eine ähnliche Funktionsweise. Durch diese Art der Technik konnte sich die Öffnung genau nach der Größe der Fähre richten. Praktisch. Es dauerte gar nicht lange, bis sich die Tore schlossen und bis der Druckausgleich hergestellt war. Wie würde die neue Anlage von innen aussehen? Die alten starren Röhrenkonstruktionen mit den wackeligen Laufbändern sollten durch neue flexibel steuerbare Brücken ersetzt worden sein. Neue Rollsteige sollten für einen reibungslosen Wechsel aus den Siedungsfähren hin zu den Plattformen der Erdfähren führen. Theo war gespannt. Ein kurzer Ruck, ein Warnton aus der Übertragungsanlage, dann gingen die grünen Signale über den Ausstiegen an. Erst jetzt konnte er die Gurte lösen und aufstehen. Auch eine bessere Lösung als bei den Transportern, die er von früher kannte. Er stieg aus. Tatsächlich. Kein Vergleich zu früher. Eine riesige lichtdurchflutete Halle empfing ihn. Die Rollsteige führten ihn schnell und fast geräuschlos auf seine Plattform. Auch hier 26

eine kurze Sicherheitskontrolle. Die ID-Karte funktionierte diesmal einwandfrei. Wo musste er hin? Wo war der Treffpunkt? Deck 23B, Zone W, Bereich Sieben. ›Witzige Parallele‹, dachte er. W wie Wissensgruppe und die Sieben, das waren sie. ›Passt ja.‹ Seine Plattform war weniger belebt als die anderen, die er durch die transparenten Trennwände sehen konnte. Dort pulsierte das geordnete Durcheinander reibungslos und wie von Geisterhand gesteuert. ›Wird auch irgendeiner steuern‹, dachte T.G. Der Treffpunkt war schnell erreicht. Eine abgeteilte Sitzgruppe mit circa 30 Plätzen. Das musste der Bereich sein. Jeder Platz war ausgestattet mit einem elektronischen Anschluss für einen Kommunikator, einem Satz Kopfhörer und Anschlüsse für visuellen Empfang. ›Neueste Technik vom Feinsten‹, schoss es ihm durch den Kopf. ›Aber merkwürdig leer hier.‹ Eine Stimme riss ihn aus seinen Rundumbetrachtungen. »Hallo Theo. Gut, dich zu sehen. Wir sind in dem Nachbarbereich. Dieser hier ist vor kurzer Zeit elektrisch tot. Kurzschluss in irgendeiner Versorgungseinheit. Schade, aber nicht zu ändern. Komm mit nach nebenan. Da sind auch die anderen.« Bob stand vor ihm. T.G. kannte ihn aus dem Kurs. Allerdings bisher nur per Bildschirm. Jetzt stand er leibhaftig vor ihm. ›Der scheint ja kleiner zu sein als ich dachte‹, überlegte T.G. Bob war ein harter Mitstreiter im Wettbewerb. Aber ein prima Typ. Er war in der Verwaltung tätig. Schreibkram pur. Nichts für Theo. ›Aber – was soll’s. Auch diese Leute muss es geben.‹ Theo folgte Bob in den Nachbarbereich. 27

Der Bereich nebenan war in gleicher Weise aufgebaut wie der, den er bereits kannte. Nur hatte dieser zwanzig Plätze. »Reicht für uns«, hörte er Bob sagen. Da waren auch schon die anderen. Ein vielfältiges »Hallo« ging durch die Reihen. Insgesamt waren sie fünf Teilnehmer aus dem Wettbewerb, zwei Betreuer seitens der Bildungseinrichtung sowie zwei Kundschafter für den Aufenthalt auf der Erde mit Spezialkenntnissen. Eine Reisegruppenleiterin der höheren Verwaltungsebene des Verkehrsdezernates durfte natürlich nicht fehlen. Insgesamt waren sie also zehn. ›Zwei mal fünf‹, stellte Theo sogleich fest. ›Passt.‹ Bob kam aus der Sektion Angloamerika, Theo aus Zentraleuropa. Josepha vertrat die Gruppe Südeuropa, Hassan zählte zu den arabischen Mitgliedern und Ludmilla stellte sich als Vertreter der Eurasischen Gruppe vor. Ja – gesehen hatten sie sich schon mal – aber nur per Bildschirm. Die Verständigung sollte keine Schwierigkeiten bereiten, da jeder mit einem Übersetzungsprogramm ausgestattet war, das selbstständig und simultan arbeitete. Alle fachlichen Unterlagen waren ohnehin stets mehrsprachig verfasst. »Alle da?« Lou Xi Cheng – eher bekannt als Luxi –, ein Betreuer der Bildungseinrichtung und Begleiter durch den gesamten Wettbewerb, versuchte, Aufmerksamkeit zu erlangen. »Wir haben jetzt Zeit, uns zu verpflegen und frisch zu machen. Dann suchen wir unsere Fähre zur Erde. Noch steht nicht fest, ob wir mit einem älteren Transporter reisen oder ob wir das neue Schlachtschiff – das Wunderding – bekommen. Auf Deck 23C ist die Verpflegungsstation, Abreise soll von Deck 25 erfolgen. Das ist das erste GroßDeck, das ihr erreicht. Wir treffen uns in drei Zeiteinheiten. 28

Wir kümmern uns um die Reisepapiere und stoßen dazu. Bis dann.« Luxi wollte offensichtlich noch etwas sagen, doch als er merkte, dass alle aufsprangen, um sich auf den Weg zu machen, verkniff er sich seine Worte. Dass er dabei merkwürdig grinste, fiel T.G. auf. ›He, was war das denn?‹, fragte sich Theo. Er dachte aber nicht weiter darüber nach und vergaß das Ganze schnell. Die langen Schlangen an den Verpflegungsstationen störten Theo nicht. So hatte er Zeit genug sich umzusehen. ›Deutlich weniger Krach‹, dachte er. Oder empfand er es nur so? Dann sah er die versetzt angeordneten Zwischendecken mit den Schalldämmelementen. Alles im Wechsel mit den Technikeinbauten für Überwachung, Übertragung und Steuerung. ›Aha, daher weht der Wind. Gut geplant.‹ Als er die neuen Projektionsflächen für die aktuellen Anzeigen erblickte, blieb ihm fast die Spucke weg. »Echt neueste Technik!«, murmelte er vor sich hin. »He, mach zu – du Bummelant, elendiger...« Freundlich klang das nicht. Theo bemerkte erst jetzt, dass er an der Reihe war. Eigentlich wollte er ein einfaches Tagesmenü ordern, doch weil er sich bedrängt fühlte, wählte er auf die Schnelle ein Menü mit Namen ›Raumbahnhof Aktuell‹ und schloss zu den anderen seiner Gruppe auf. Ihm schwirrte der Kopf von all den vielen neuen Eindrücken. So war es nicht verwunderlich, dass ihm sein Menü nicht so besonders schmeckte. Es schmeckte weder nach Aktuell noch nach Raum. Eher schon nach Bahnhof. Wie auch immer Bahnhof schmecken könnte. Zum Frischmachen steuerte er eine der vielen Umklei29

destationen mit Hygieneabteil an. An einem Automaten orderte er neue Unterwäsche und trat ein. Die Desinfektionszelle roch angenehm frisch und der überaus saubere Eindruck der Einrichtung überraschte ihn. Vor der Hinreise zur Erde und nach der Rückkehr war der Besuch einer Desinfektionseinrichtung Pflicht. Dieser Pflicht kam er hier gerne nach. Deck 25 war schnell gefunden. Trotzdem mussten sie an der Schleuse mit den Detektoren länger warten als üblich. Einem Reisenden waren die Bedingungen zum Betreten des Decks offensichtlich nicht so in Erinnerung wie den anderen. So musste er sich erst mehrfach die Anweisungen anhören, bis er begriff, dass er außer seinen Bordpapieren, seinem Kommunikator und der ID-Karte nichts weiter an größerem Gepäck mitnehmen durfte. »Muss man mir das doch vorher sagen!« Wutschnaubend verließ er die Schleuse durch den Notausgang und verschwand auf dem nächsten Fahrsteig Richtung Ausgang. ›Musst du aber vorher wissen‹, schoss es Theo durch den Kopf. ›Jedes Kind weiß das.‹ Auch auf Deck 25 gab es wieder Sitzgruppen für wartende Reisende. Diesmal aber ohne besondere Technik. Dafür aber mit Ausblick auf eine Projektionsfläche für die Anzeigen. Luxi machte sich bemerkbar. »Alle mal bitte aufmerksam herhören.« Kleine Kunstpause. Alles lauschte. »Habe gerade erfahren, dass der neue Transporter noch nicht fertig ist. Die Abnahme für die Zulassung als Personentransporter ist verschoben worden.« Eine allgemeine Enttäuschung machte sich Luft. Nach einer kleinen Weile trat wieder Ruhe ein. 30

Jeder war gespannt, was Luxi nun weiter zu berichten hatte. »Keine Bange – der alte Transporter aus der letzten Serie ist überarbeitet worden. Leider nur von innen. Der Antrieb ist noch der alte. Deshalb wird die Tour länger dauern als geplant. Die gute Nachricht heißt: Der Aufenthalt auf der Erde wird nicht verkürzt. Lediglich die Reisezeiten verlängern sich. Aber nicht zu unseren Lasten. Eure Siedlungsverwaltungen sind informiert. Euer Urlaub ist also verlängert.« Wieder folgte eine heftige, aber kurze Diskussion. Warum hat man den alten Kahn noch kurz vor seiner Verschrottung aufgemöbelt? Das fragte sich fast jeder in der Runde. ›Nichts dauert länger als ein Provisorium‹, sinnierte Theo vor sich hin. Bob schien seine Gedanken zu ahnen. »Keine Bange – das überstehen wir schon.« Tröstlich sollten seine Worte wirken, doch T.G. kamen Bedenken. Er dachte an seine Reiseangst mit diesen alten Transportern. Hoffentlich bricht nicht ausgerechnet jetzt wieder so eine Panik … Theo schüttelte den Gedanken ab und wies ihn weit von sich. Nein – jetzt nicht! Und sowieso: Warum auch? Nein – er wird keine Panik bekommen. Ihr Raumtransporter wurde angekündigt. Langsam – viel zu langsam – näherte sich der zigarrenförmige Transporter dem Deck 25. ›So groß? Hätte ich nicht gedacht.‹ T.G. war überrascht. Die Fähren zum Rangieren wurden abgekoppelt, der Transporter konnte anlegen und wurde mit den flexiblen Brücken des Decks verbunden. Die Eingangstüren schwenkten auf. »Wir haben ein extra Abteil gebucht«, hörte Theo Luxi sagen. ›Eh – der auch schon da? Hab den gar nicht kommen sehen.‹ Theo war fasziniert von dem Anlegemanöver und hatte alles um sich herum vergessen. 31

Klar – die Gruppe war komplett. Sie folgten der Leitungsgruppe in ihr Abteil. Die Reise konnte beginnen. Das Abteil war ein Zehner-Abteil und für ihre Gruppe reserviert. ›Preisträger W7‹ war auf einer Tafel zu lesen. Darunter waren alle Namen und die Reise-ID-Nummern aufgeführt. Die Sitze kannte er schon aus der anderen Fähre. Alle technischen Anschlüsse waren vorhanden. Nur die Projektionsfläche an der Decke schien nur für Hinweise eingerichtet zu sein. Es würde also keine Außenübertragung stattfinden. Schade. So mussten sie sich auf die Mitteilungen per Text und per Symbolgraphik verlassen. Eine Änderung an den Sitzschalen fiel ihm allerdings auf. Eine Einstellung hieß ›Startposition‹ und ließ sich weiter nach hinten neigen als sonst üblich. Es dauerte eine kleine Weile, bis alle sich auf ihren Plätzen eingerichtet hatten. Es musste ja alles genau passen und sitzen. Die Kommunikationseinheit mit den Kopfhörern funktionierte nach anfänglichem Knacken und Brummen einwandfrei. Jeder konnte einen Gesprächspartner durch Tastendruck anwählen. Die Nummer war deutlich an der Kopfeinheit zu erkennen. Eine andere Taste stellte eine Konferenzschaltung her. Gerade wurde diese Schaltung angekündigt. Der Vertreter des Reiseveranstalters stellte sich mit Namen Boris Habitov vor und begrüßte die Anwesenden. Die beiden Spezialisten für die Erderkundung – Ernesto Steffano (genannt ›Esstee‹) und Laura Häagen (einfach Laura genannt) – verwiesen darauf, dass sie ihre Beiträge erst nach dem Start und nach einer kleinen Erholungspause bringen wollten. Es gäbe ja noch viel mitzuteilen. Das war also die kurze Einführungsrunde. 32

Nur einer hatte sich bisher nicht zu Wort gemeldet. Das war Monga Golan, genannt Mogo, der zweite Vertreter der Ausbilder im Team. Alle kannten ihn als wortkargen Vertreter. Aber wenn er etwas sagte, dann saß das auch – präzise, klar und unmissverständlich. Schade, dass er für den nächsten Kurs – Wissensstufe 8 – nicht mehr zur Verfügung stand. Alle Ausbilder durften ja nur drei Wissensstufen hintereinander lehren. Dann mussten sie selber wieder zur Weiterbildung, um auf den neuesten Stand zu kommen. Die Lizenz zum Lehren war heiß begehrt. Keiner in der Gruppe bezweifelte, dass Mogo es schaffen würde. Der Start wurde angekündigt. Die Sitze nach hinten rutschen, einrasten, anschnallen – alles klar. Gespannte Erwartung. ›Jetzt bloß nicht Panik schieben.‹ Theo ging mit sich selbst hart ins Gericht und wies sich selbst zurecht. ›He, Theo, entspann dich!‹ Ludmillas Stimme war zu hören: »Gaaanz ruuuuhig – alles guuuut«, hörte er sie sagen. T.G. war so überrascht, dass er den ersten Schub des Transporters kaum wahrnahm. Woher wusste die denn … Egal. Augen zu und durch. In der kurzen Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Schub vernahm er wieder Ludmillas Stimme. »Na, siehste, ging doch. Und noch einmal …« Der zweite Schub kam. Theo war durch die Überraschung, ihre Stimme zu hören, so abgelenkt, dass er auch den zweiten Schub kaum merkte. »Aller guten Dinge sind drei.« Ihre Stimme klang aufmunternd, fast heiter. Dann kam der letzte Schub. Theo verzog leicht das Gesicht. Der Druck in der Sitzschale nahm merklich zu. »Das war’s. Alles klar bei dir?« Ludmilla klang fast fürsorglich. »Klar, alles im grünen Bereich ... kein Prob33

lem ... äh ... kein größeres. Aber … woher …« T.G. kam ins Stottern. »Frank«, kam als Antwort. Kurz und knapp. Mehr musste sie auch nicht sagen. Richtig. Frank und Ludmilla kannten sich von der gemeinsamen Ausbildung. Frank nannte sie nur ›Milli‹. Ob er das auch durfte? Ludmilla war Fachkraft im Bereich Botanik. ›Frank, Frank, du denkst doch an alles‹, dachte sich Theo gerade. Eigentlich wollte er wütend sein. Aber das hier, das hat ihn vom Schlimmsten bewahrt. Also nicht wütend. Dank an Frank. »Danke.« Theo antwortete genauso kurz und knapp zurück. Ludmilla brach die Sprechverbindung ab. Jetzt hatten alle Zeit genug durchzuatmen und sich zu erholen. Die Pause war vorbei. »So, Leute, alle mal aufmerksam herhören.« Ernesto (S.T.) meldete sich. »Nachdem alle sich verpustet haben, will ich euch noch einiges über diesen Transporter berichten und euch die Landung erklären. Ihr wisst ja, dass dies ein umgerüsteter Frachter ist. Allerdings einer der besseren Sorte. Nur – um auf die Erde zu kommen, müssen wir umsteigen. In kleinere Fähren, die uns nach unten bringen. Dieser Transporter bleibt in einer stationären Umlaufbahn und wartet auf uns mit dem Rückflug. Der neue Transporter hätte uns direkt nach unten bringen können. Doch – ist nicht – ist nicht. Ach ja, außer uns sind noch einige andere Teams unterwegs. Die befassen sich hauptsächlich mit dem Wertstofftransfer, den Lebensmitteltransporten und mit der Energieversorgung. Also, Biotechnik und Energietechnik sind hier stark vertreten. Wir dagegen sind die Exoten unter den Passagieren. Kontakte werden wir höchstens mit einigen Technikern haben, die uns 34

die Erdstation energietechnisch anschließen werden und zum Laufen bringen. Äh …«, S.T. überlegte kurz. »Die kleineren Fähren werden wir über Hermetik-Schleusen erreichen. Der Platz in den kleinen Gefährten wird verdammt eng. Aber keine Angst vor einem heißen Hintern. Die Fähren bremsen so gut ab, dass kaum Hitze entsteht beim Eintauchen in die Erdatmosphäre. Wir gleiten dann runter zum Landeplatz. Das wird in Zentraleuropa ein Platz sein, der erst in den letzten Dekaden wieder hergestellt werden konnte. Durch ein paar Unwetterkatastrophen in der letzten Zeit war der Platz stark in Mitleidenschaft gezogen. Nun ist aber alles wieder in Butter. In grauer Vorzeit war das mal ein zentraler europäischer Flughafen. Frank... Frank… fort ... oder so ... Nee, Frankfurt hieß das wohl mal. Von der ehemaligen Stadt ist kaum noch etwas zu erkennen. Die Landeplätze aber sind auf dem neuesten Stand. Von dort aus gibt es erst einmal einen Rundflug über das Gelände der näheren Umgebung. Damit wäre auch schon der erste Erdentag vorbei. Die Unterkünfte befinden sich auf dem Areal der Landeeinrichtung. Alles erst vor kurzer Zeit wieder hergestellt. Ach ja, zum Eingewöhnen an das Klima auf der Erde empfehle ich dringend die Klimakammern zu nutzen. Ihr werdet das brauchen. Theo German – unser T.G. – ist da Spezialist. Der kann euch sagen, wie es geht. So weit erst einmal von mir.« Laura schaltete sich ein. »Ihr wisst ja sicher, dass die Infrastruktur auf der Erde nur teilweise wieder instandgesetzt werden konnte. Deshalb werden wir die Schwebeballons nutzen für unsere Exkursionen. Unser Grabungsfeld liegt mehr im Nordosten. Dort war wohl mal eine bedeutende 35

Stadt – oder so – erzählt man sich – genau wissen wir das nicht mehr. Die letzten Aufnahmen unserer Weltraumkameras lassen den Schluss zu, dass es sich um das alte Bällin ... oder auch Bärlin … handeln könnte. Richtig, Berlin muss es heißen. Mit ›e‹. Danke, Boris, für den Hinweis. War wohl mal eine bedeutende städtische Größe. Ein alter ausgetrockneter Flusslauf ist schwach zu erkennen. Liegt wohl mittlerweile mehr unter Terrain, denke ich. In dieser Umgebung liegt unser Grabungsfeld. Das Team, das zurzeit dort arbeitet, hat einige Funde für uns aufbereitet zur Anschauung. Wie ihr wisst, wird die Genehmigung zur Erkundung jedes Erdenjahr erneuert. Die Verhandlungen laufen gerade. Bin aber ziemlich sicher, dass es weiter gehen wird. Leider müssen wir die Anflugzeit mit einrechnen. Um die Erkundungsstelle gibt es weit und breit keine Möglichkeit mehr, ein Flugfeld oder einen Landeplatz einzurichten. Ist nichts mehr vorhanden. Alles vergangen. Für die wenige Restbevölkerung in dieser Region ist dafür aber eine nagelneue Energiestation errichtet worden. Klar, dass auch wir davon profitieren. Frischwasser, Wärmeenergie und elektrische Energie stehen also zur Verfügung.« So weit die ersten Informationen. Klang ja alles spanend. Und er – Theo – sollte also die Aufgabe übernehmen, die Truppe mit den Klimakammern vertraut zu machen. ›Schön, dass man das auch mal erfährt‹, wollte er sich empören. Dann aber gefiel ihm der Gedanke. Auf einer Anzeigetafel erschien der Hinweis: ›Die Beschleunigungsphase ist abgeschlossen. Wir haben unsere Reisegeschwindigkeit erreicht.‹ ›He, hab ja gar nichts bemerkt von weiteren Beschleuni36

gungen. Haben die auch was mit den Triebwerken gemacht?‹ T.G. überlegt kurz und blickte in Richtung Ludmilla. Die saß relativ unbeeindruckt, ja, fast gelangweilt, in ihrer Sitzschale. ›Lieber nicht ansprechen‹, dachte Theo. Könnte sonst peinlich wirken. Milli, Milli … Luxi schaltete sich ein: »Habe mal versucht, an neueste Aufnahmen vom Landegebiet heranzukommen. Vom Zentralarchiv ist mir gerade mittgeteilt worden, dass es Luftbildaufnahmen gibt aus relativ großer Höhe. Wahrscheinlich Aufnahmen von Erkundungsflügen der Abteilung Wiederaufbau. Mal sehen, was da so kommt. Habe die selber noch nicht gesehen. Wenn die Bilder da sind, könnt ihr euch ja einschalten. Ich gebe sie dann auf die bildgebenden Kanäle, die ihr mit euren Brillen verfolgen könnt. Nehmt bitte Kanal drei.« Diese Ankündigung klang vielversprechend. Es dauerte einige Zeit, bis die Fotos zur Verfügung standen. Was sie sahen, war auf den ersten Blick enttäuschend. Waren die Aufnahmen überhaupt für sie geeignet? Die konnten doch nur Spezialisten entziffern. »Doch wohl nicht so für uns geeignet.« Man merkte Luxi an, dass er etwas anderes erwartet hatte. »Moment mal. Nicht gleich wegdrücken.« Mogo war in der Leitung. »Da geht noch was. Die Dinger müssen nur richtig aufbereitet werden.« Er wandte sich an Hassan: »Du als Mathegenie kannst da bestimmt noch mehr herausholen. Schick die Fotos doch mal durch den Rechner. Wir brauchen eine bessere Auflösung. So viel ich weiß, geht da noch was.« Hassan galt als absolutes Mathematikgenie. Wenn er auch sonst zwischenmenschlich gesehen einige Defizite aufwies, so hatte er in Mathe, Technik und logischem Den37

ken die Nase vorne. Selbst Mogo musste Hassan gegenüber aufpassen. »Kein Problem.« Das waren die ersten Worte, die Theo von Hassan auf dieser Reise hörte. »Geht gleich los.« Hassan nahm sich der Sache an. Man sah, wie er sich gedanklich von seiner Umwelt abschottete, um diese Aufgabe zu lösen. Klar – die Fotos konnten mehr hergeben, als oberflächlich zu sehen war. Fotos dieser Art wurden früher zu Spionagezwecken eingesetzt. Der Code zur Freigabe der Detailinformationen musste irgendwo auf den Bildern vorhanden sein. Wenn er den entschlüsseln könnte … Und er konnte! »Wie wäre es denn hiermit?« Hassan wollte ganz lässig klingen, doch Theo merkte sofort den leicht stolzen Unterton in Hassans Stimme. »Klasse – danke!« Mogo prüfte die Fotos. »Das hier ist ein Überblick auf das heutige Gebiet Zentraleuropa. Wie ihr seht, gibt es kaum noch Siedlungsgebiete. Alles trockene Steppe. Die Wetterverhältnisse der letzten Jahre ließen keine weiteren Besiedlungen mehr zu. Ist auch gut so. Wie ihr wisst, ist Südeuropa nicht mehr bewohnbar. Alles Wüste. Die letzten Bewohner haben sich schon vor Generationen zurückgezogen. Selbst in den Bergregionen gibt es kaum noch Menschen. Hier also Zentraleuropa. Oben am Rand seht ihr die beginnenden Gletscher. Es gibt also zwei gegenläufige Entwicklungen. Zum einen versteppt die Landschaft in der Mitte und trocknet langsam aus, zum anderen wachsen die Gletscher von Norden wieder an. Das mit dem Wachsen der Gletscher sehen die Wetterfrösche positiv, weil dieses dem Ansteigen des Meeresspiegels entgegenwirkt. Der liegt ohnehin schon … zig Meter über der 38

Marke von vor etlichen Generationen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird die Versteppung in Wüstenbildung übergehen. Das sagen die Skeptiker. Andere Wissenschaftler sehen erste Anzeichen für einen Stillstand beziehungsweise für ein Absinken des CO2-Gehaltes der Atmosphäre. Das wäre ja ein Hoffnungsschimmer. Aber wir dürfen uns keinerlei Illusion hingeben. Die Erde wird für uns – wenn überhaupt – erst in zig Dekaden ... ach, was sage ich – in zig Generationen wieder bewohnbar sein. So wie damals. Dann könnte es heißen: Zurück in die Zukunft.« ›He, der kann ja richtig philosophisch sein‹, dachte sich Theo. ›Kenne ich ja gar nicht von Mogo.‹ »Schade, das mit Südeuropa.« Josepha seufzte laut und vernehmlich. »Meine ganze Sippe kommt ja aus dieser Gegend.« Josepha – kurz ›Joe‹ genannt – war eigentlich als Plappermaul bekannt. Sie hatte sich aber bisher sehr zurückgehalten. Die Konfrontation mit dem verwüsteten Gebiet in Südeuropa ließ sie jedoch wieder aktiv werden. Klar – ihre Wurzeln lagen ursprünglich in dieser Gegend. Aber sie selbst hatte keinerlei Beziehung mehr dazu und wohl auch keinerlei Vorstellungen, wie es denn damals ausgesehen haben könnte. Das Einzige, was übriggeblieben war, ist wohl die Sprache der Region Südeuropa beziehungsweise das, was sich im Laufe der Zeit daraus entwickelt hatte. Deshalb hat sie wohl auch Sprachen als Hobby ausgewählt. In puncto Sprachen machte ihr so schnell keiner etwas vor. Darin war sie fit. Laura kommentierte das nächste Foto: »Hier seht ihr unser Landegebiet. Die Anlagen auf dem Foto sind Weiterentwicklungen einer ganz alten Flugplatzanlage von Frank39

furt. Einem zu damaliger Zeit bedeutendem Knotenpunkt im Flugverkehr. Links davon Reste der Stadt und darunter Reste des verlandeten Flusslaufes. Ähnlich wie der in unserem Grabungsgebiet. Aber zurück zur Landeeinrichtung. Durch den Lebensmitteltransport musste die Anlage ständig weiter entwickelt werden. Mittlerweile haben wir den zwanzigsten Bauabschnitt. Die Transporter wurden immer größer. Bis die Neuentwicklung der kleinen Transporteinheiten dem Wahnsinn ein Ende bereitet haben. Südlich von dem Landegebiet seht ihr die Anlagen der Obst- und Gemüseplantagen. Das Glitzern kommt von dem Sonnenschutzplanen. Das Gebiet ist weniger von Sandstürmen betroffen. Warum das so ist, muss noch abschließend erforscht werden. Da gibt es die tollsten Theorien. Aber egal – das ist die Quelle all unserer Lebensmittel. Die Setzlinge werden hier vorgezüchtet und dann in die Raumtransporter verfrachtet. In unseren Labors wachsen die Pflanzen dann zu ihrer Reife heran und können verarbeitet werden. Wir haben außerhalb der Erdatmosphäre eine höhere Strahlungsaktivität, die wir für das Pflanzenwachstum nutzen. Was den Pflanzen gut tut, schadet uns selbst. Aber das ist eine andere Geschichte. Unsere Siedlungen sind ja gut strahlengeschützt.« Sie unterbrach sich und erschrak. Hatte sie zu viel gesagt? Ist jemand stutzig geworden? Egal. Weiter im Text! »Die größere Bauformation dort oben – das sind unsere Unterkünfte. Da werden wir wohnen. Unser Gepäck wird schon dort sein, denke ich. Was ihr noch erkennen könnt – außerhalb der Anlage und der Plantagen – keinerlei Siedlung weit und breit. Fast leer das Gebiet. Die Ausnahmen zeige ich euch später.« Laura schloss ihren Be40

richt mit einem Seufzer. Geschafft! Da die Aufnahmen Farbe und Konturen gut wiedergaben, hatte jeder einen ausreichenden Eindruck von dem Gebiet, in dem sie sich die nächste Zeit aufhalten würden. Boris, der Reiseleiter, gab noch einige Hinweise zu den Unterkünften und den Gegebenheiten auf dem Gelände. Damit war die Informationsrunde erst einmal beendet. Es blieb genügend Zeit, sich unterhalten zu lassen von den Programmen, die über die Bordtechnik zu empfangen waren. Oder aber: schlafen. Theo wollte sich entspannen und entschloss sich zu einer Mütze Schlaf. Der Schlaf war nicht sehr erholsam und viel zu kurz. Eigentlich hätte er noch viel mehr gebraucht. Doch er spürte eine gewisse Unruhe in sich, die er nicht erklären konnte. Ein kurzes Blinzeln in die Runde. Zunächst sollte niemand merken, dass er wach war. Ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf. Dann sah er in Richtung Anzeigetableau. Dort liefen die letzten Meldungen über den Ablauf des Fluges, nur unterbrochen von Wetterdaten. Eine Meldung über Sonnenwinde und Sonnenaktivitäten veranlasste ihn, seine Augen ganz zu öffnen. Zunächst lasen sich die Daten wie ganz normale Wettermeldungen. Bis auf die Warnung vor extremen Sonnenwindaktivitäten verbunden mit einer erhöhten Strahlungsintensität. Dies würde allerdings die RaumSiedlungen im Zuständigkeitsbereich dieser Meldung nicht betreffen, da alle Siedlungen über einen wesentlich höheren Schutzfaktor verfügten. Lediglich die Erde – dort besonders die nördliche Halbkugel mit Zentraleuropa – würde betroffen sein. Es könne dort zu Beeinträchtigungen im Energietransfer kommen. Der Energietransfer verlief über Satelli41

tenstationen und Energiesender direkt zur Erde. Die Wellen wurden dort von einzelnen Stationen aufgefangen und in nutzbare Wärme- beziehungsweise elektrische Energie umgewandelt. Für Zentraleuropa gab es drei Stationen. Eine im Bereich der Plantagen, also ungefähr im Süden, eine im Norden unweit der Gletschergrenze zur Frischwassergewinnung und eine Station im Osten zur Rohstofferschließung. Was genau dort im Osten erschlossen werden sollte, wusste Theo nicht so genau. Musste aber wichtig sein, sonst gäbe es dort keine Energieempfangsstation. ›He, das ist doch unser Landegebiet‹, schoss es Theo durch den Kopf. ›Wenn das mal gut geht.‹ Er sah sich noch einmal um. Keiner schien Interesse an den Meldungen zu haben. Keiner las auch nur eine einzige Zeile der Mitteilung. ›Nun gut – wird nicht so aufregend werden.‹ Theo versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken. Er schlief wieder ein. Diesmal fester und länger. »Hallo, bitte alle mal herhören.« Boris, der Reiseleiter, meldete sich zu Wort. »In Kürze schwenken wir in die Umlaufbahn der Erde ein. Dazu bitte anschnallen für einige Bremsmanöver. Könnte etwas ruckelig werden. Könnte – bitte – muss aber nicht. Leider bekommen wir keine Bilder vom Anflug auf die Erde. Schade, aber nicht zu ändern. Beim Umsteigen in die Landefähren bitte dicht aufschließen. Ihr wisst ja: Das kann eng werden. Wir müssen zwei gleich starke Gruppen bilden. Geht ja. Das werden dann zwei Fünfergruppen. Da die anderen Teams an Bord Vorrang haben, sind wir die letzten beiden Gruppen, die den Transporter verlassen. Nach dem Landen gehen wir zu42

nächst in Halle Eins. Dort erwartet uns der Stationsmanager mit einer Begrüßung. Kleiner Imbiss, denke ich mir. Aber anders als ihr es kennt. Lasst euch überraschen. Euer Gepäck ist schon auf den Quartieren.« Erwartungsvoll schnallten sich alle an. Es ruckelte nicht nur, auch die künstliche Schwerkrafterzeugung hatte Aussetzer. Es kribbelte in der Magengegend ganz enorm. Komischerweise machte T.G. dieses Kribbeln nichts aus. Er empfand es sogar als recht belebend. Nach einer kurzen Zeitspanne hörten sie die Andockgeräusche der Landefähren. Jedes Mal, wenn eine Fähre ablegte, ging ein kräftiger Ruck durch den Transporter. Noch leuchtete über ihrem Ausgangsbereich ein rotes Signal. Hassan hatte mitgezählt. »Gleich kommen wir an die Reihe.« Und richtig. Das Lichtsignal sprang auf Grün, die Gurte wurden automatisch freigegeben. Die erste Fünfergruppe postierte sich vor der Ausgangstür. Ein kurzes Warnsignal, und die Schwingtür öffnete sich. Ein leichter Unterdruck sog die Gruppe förmlich in die Schleuse. Die Tür schloss sich wieder. Weg waren sie. Wieder rotes Signal. T.G. war in der zweiten Gruppe und machte sich bereit. Seine innere Anspannung wuchs. Er atmete ganz bewusst tief ein und tief aus. Das war seine Art, sich zu beruhigen. Aber jetzt! Tür auf und rein in die Schleuse. Er spürte nicht nur den leichten Sog, nein, auch ein kräftiger Temperaturabfall war zu spüren. Das war bestimmt nicht viel, aber er merkte es deutlich. Die Landefähre war gegenüber dem Raumtransporter eine Sardinenbüchse. So stellte er sich jedenfalls eine solche vor. Gesehen hatte er noch keine. Um an die Sitze zu kommen, musste man schon sehr sportlich veranlagt sein. Theo kletterte in 43

seinen Sitz hinein. Die Funktion des Anschnallsystems war schnell zu durchschauen. Er musste allerdings warten, bis sein Nachbar angeschnallt war. Anders konnte er seine Gurte nicht erreichen. Alles verdammt eng. Sein Nachbar war – Milli. Das merkte er erst jetzt. »Hallo Frau Nachbarin«, scherzte T.G. Sie nickte nur kurz mit dem Kopf und wies mit einem Finger auf die an der Decke angebrachten Sauerstoffmasken. »Besser, du nimmst die gleich.« Er hatte verstanden. »Willkommen an Bord«, meldete sich eine männliche Stimme. Diesmal keine weiblich klingende AutomatikAnsage? He? Tatsächlich. Durch eine kleine Luke sahen sie einen Piloten. ›Der steuert doch die Karre nicht in echt?‹, fragte sich Theo. Doch – das tat er. Theo griff automatisch nach oben zu der Maske. »Countdown in 8-7-6-5-4-3-2-1 und weg«! Diesmal gab es einen absolut riesigen Ruck, verbunden mit einem ohrenbetäubenden Zischen. »Das sind nur die Ablegedüsen. Alles nur komprimierte Luft. Nach unten gehts im Gleitflug.« Nach einer kurzen Atempause meldete sich der Pilot wieder. »Nur zur Information: Wenn ihr wissen wollt, wer euch hier kutschiert: Man nennt mich Jim. Jim21, genauer gesagt. Wir Piloten hier heißen alle Jim und haben eine Nummer. Ich habe die 21. Ihr werdet den Temperaturabfall bemerkt haben. Kein Wunder. Von plus 20° Celsius im Transporter bis minus 80° Celsius Außentemperatur ist schon mal eine Hausnummer. Das Material wird ganz schön beansprucht. Aber keine Bange, es wird auch hier drin gleich schön warm werden. Fast so warm wie unten. Da haben wir nämlich plus 30 Grad.« Der Pilot wusste genau, wie 44

seinen Passagieren zumute war und erzählte diese und weitere Belanglosigkeiten absichtlich. Einfach nur um abzulenken. »Und Schwupps – sind wir unten.« Die Fähre rollte aus. Der Ausstieg aus der kleinen Blechbüchse ging erstaunlich einfach. Eine der seitlichen Flächen klappte komplett auf. Das war die Fläche, die der Druckausgleichseinrichtung, durch die sie eingestiegen sind, gegenüber lag. Schleusen zum Druckausgleich waren ja hier auf der Erde nicht mehr notwendig. Die Sitze drehten sich automatisch in Ausstiegrichtung. ›He, so klein und so viel Komfort?‹ Theo war sprachlos. ›Ach ja, die Maske – die muss ich noch schnell verstauen.‹ Gedacht, getan. Er stieg mühelos aus. Geblendet von der Sonne schirmte er seine Augen mit der Hand etwas ab. ›Besser so!‹ Was dann passierte ließ ihn fassungslos stehenbleiben. Er nahm einen tiefen Atemzug. Seinen ersten in der originalen Erdatmosphäre. Theos Brustkorb spannte sich. Was war das? Er spürte, wie die Luft jede einzelne Zelle seiner Lungen erreichte. Es kribbelte wie kohlensäurehaltiges Mineralwasser und drohte seine Lungen fast zu sprengen. Er schwankte gefühlsmäßig zwischen Angst und Wohlgefühl, zwischen Panik und Aufjauchzen vor unbeschreiblichem Glück. Unbekanntes tat sich da auf. ›So müssen Drogen wirken‹, schoss es ihm durch den Kopf. ›Wahnsinnig‹ – ja, nur so konnte er das Gefühl beschreiben. Bob sah, wie Theo sich schüttelte. »Keine Bange, was du hier riechst und atmest ist nur frische Luft. Kennste wohl nicht?« Die letzte Bemerkung versah Bob mit einem Augenzwinkern. T.G. bestätigte: »Boah … das geht ja durch und durch.« Ihm 45

war egal, ob es nun die überhitzte Luft der Steppe war oder nicht. So etwas Würziges hatte er noch nie gerochen oder eingeatmet. Seine leicht überanstrengte Nase reagierte prompt: Er bekam einen heftigen Niesanfall. ›Willkommen auf der Erde‹, beglückwünschte sich T.G. selbst.

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DER ERSTE TAG Das Flugfeldgebäude lag vor ihnen. Es sah in etwa aus wie eine halbe silberfarbene Metallröhre auf kleinen Stelzen. Theo sah sie nur von vorne. Er konnte daher die Tiefe des Gebäudes nicht abschätzen. Die Breite schätzte er auf knapp 100 Meter. ›Und wie kommen wir dahin?‹, wollte er gerade fragen, als ein lang gestrecktes mehrrädriges Fahrzeug fast lautlos auf ihn und die Gruppe zurollte. »Alles einsteigen«, hörte er eine weibliche Stimme rufen. Am Steuer saß eine schwergewichtige kleine Person mit einem breiten Lachen im Gesicht. »Einsteigen. Guckt nicht so … hier unten auf der Erde wird noch vieles mit der Hand gemacht«, fügte sie hinzu und schlug mit ihrer kurzen, aber kräftigen Hand auf ihr Lenkrad. Theo fühlte sich weit in die Vergangenheit versetzt, denn solche Fahrzeuge kannte er nur aus Berichten im Fach Geschichte. Bei ihm lief so etwas stets unter: Es war einmal … Und nun fuhr er mit in solch einer Geschichte. Also: keine Automatik, keine Roll- oder Fahrsteige. »He, hier werden wir ja verwöhnt. Beim letzten Besuch mussten wir noch alles zu Fuß erledigen. Klasse Fortschritt, das alles hier.« Bob schien an der Situation Gefallen zu finden. Theo erinnerte sich daran, dass Bob ihm und anderen von seinen drei bisherigen Besuchen auf der Erde erzählt hatte. Damals hielt er die Berichte für blanke Aufschneide 47

Impressum Theo Dorandt The Lost Fife Oder: Zurück in die Zukunft Erzählung 1. Auflage • Oktober 2015 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-066-2 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-067-9 Korrektorat: Ulrike Rücker [email protected] Umschlaggestaltung: Ralf Böhm [email protected] • www.boehm-design.de © 2015 KLECKS-VERLAG Würzburger Straße 23 • D-63639 Flörsbachtal [email protected] • www.klecks-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen beim KLECKS-VERLAG. Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und erfolgen ohne jegliche Ver-

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pflichtung oder Garantie des Verlages. Der Verlag übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unstimmigkeiten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Roland Bunzenthal Helden, Huren, Heilige Das Tagebuch des Adam und 13 weitere historische Geschichten Roman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 208 Seiten ISBN Buch: 978-3-95683-276-5 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-277-2 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-278-9 Tagebücher vom Urvater Adam, vom griechischen Autor Homer, von Gretchens Freundin Marthe oder von Tristans Isolde – gibt es das? Und wie sieht es aus mit einem Interview mit einem Zeitzeugen Jesu? All dies sind Variationen von Legenden der klassischen Literatur und Geschichtsschreibung. Ziel ist es, alternative Handlungsmöglichkeiten ohne Blutvergießen aufzuzeigen – locker, verständlich, humorvoll und mit einem Augenzwinkern. Die Rahmenhandlung bringt den Super-Computer Denihs ins Spiel, der das geschichtspädagogische Versuchsprojekt mit virtueller Schlagfertigkeit aufbereitet.

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Kathrin Gysbers Codierter Lapsus Kriminalroman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 278 Seiten ISBN Buch: 978-3-942884-37-2 ISBN E-Book PDF: 978-3-942884-38-9 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-124-9 Stanley Tyslers Leben ist perfekt. Eine wunderschöne Frau, bezaubernde Töchter, schnelle Autos, eine gut laufende Firma, Millionen auf dem Konto und die Wahl zum Unternehmer des Jahres machen ihn zum glücklichsten Menschen der Welt. Doch plötzlich ändert sich alles: Als seine im Ausland lebende Schwester und ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommen und er ihre Söhne über Weihnachten in Obhut nimmt, gerät seine Welt aus den Fugen. Ein schwarzer Ferrari kracht in seine Lieblingsgarage. Düstere Männer nehmen ihm nicht nur die Familie, sondern auch seine Identität. Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt. Stan sieht sich gefangen zwischen Lügen und Verschleierungen, und findet sich verstrickt mitten in der Suche nach einem geheimnisvollen Schatz … Ein rasantes, ein spannendes Abenteuer, gespickt mit gewandtem Wortwitz. Ein Leseerlebnis, nicht nur für Krimifans.

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