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holen würde, ja, dann wären wir verloren, jedoch ...« »Bitte ... Eigentlich war dieser Job wie für ihn ... glaubte mich schon verloren, als ich – nicht weit entfernt.
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Für mein Bruderherz und für alle diejenigen, welche das Feuer im Herzen tragen.

Alina Habermann

ARIA Das dunkle Schicksal der Zwillinge Fantasy-Roman

Inhalt Prolog ........................................................................... 9 Kapitel 1 ..................................................................... 15 Kapitel 2 ..................................................................... 32 Kapitel 3 ..................................................................... 43 Kapitel 4 ..................................................................... 53 Kapitel 5 ..................................................................... 61 Kapitel 6 ..................................................................... 66 Kapitel 7 ..................................................................... 84 Kapitel 8 ................................................................... 108 Kapitel 9 ................................................................... 113 Kapitel 10 ................................................................. 144 Kapitel 11 ................................................................. 161 Kapitel 12 ................................................................. 184 Kapitel 13 ................................................................. 217 Kapitel 14 ................................................................. 255 Kapitel 15 ................................................................. 272 Kapitel 16 ................................................................. 296 Kapitel 17 ................................................................. 325 Kapitel 18 ................................................................. 335 Kapitel 19 ................................................................. 364 Kapitel 20 ................................................................. 379 Kapitel 21 ................................................................. 408 Kapitel 22 ................................................................. 421 Kapitel 23 ................................................................. 430 Kapitel 24 ................................................................. 439 Kapitel 25 ................................................................. 450 Kapitel 26 ................................................................. 462

Kapitel 27 ................................................................. 469 Kapitel 28 ................................................................. 478 Kapitel 29 ................................................................. 488 Kapitel 30 ................................................................. 494 Kapitel 31 ................................................................. 504 Kapitel 32 ................................................................. 513 Kapitel 33 ................................................................. 524 Kapitel 34 ................................................................. 537 Epilog........................................................................ 555 Nachwort .................................................................. 567

PROLOG Der Beginn eines Abenteuers Es war tief in der Nacht. Eine Gestalt huschte leise durch die Schatten am Wegesrand. Sie schlich die Hauswände entlang und verschwand dann blitzschnell durch eine Tür. Draußen regte sich nichts. Nur der Wind fuhr durch die Bäume und die Blätter raschelten. Gut. Niemand hatte ihn gesehen. Cos nahm die Kapuze ab und versuchte, sich an die völlige Dunkelheit in dem Raum zu gewöhnen. Er kniff die Augen zusammen, konnte jedoch nichts erkennen. Es war stockdunkel. Selbst die alten, klapprigen Fensterläden des verlassenen Hauses waren hinuntergelassen worden, so dass nicht einmal die Sterne die Hütte beleuchten konnten. »König Saku?«, fragte Cos leise. »Pst!«, zischte eine Stimme nicht weit entfernt von ihm. »König Saku? Was ...?« »Ich sagte, sei ruhig!«, knurrte die Stimme im Befehlston, und Cos verstummte. »Komm her!« Neugierig, warum sie sich mitten in der Nacht in diesem verlassenen Haus treffen mussten, folgte Cos der Stimme und ging in die Richtung, aus der sie kam. »Hier rein!«, hörte er Saku sagen und wurde grob in ein anderes Zimmer geschoben. Plötzlich wurde das 9

Licht angeknipst und Cos konnte einen kahlen, fensterlosen Raum erkennen. Cos sah Saku im Zimmer auf und ab gehen. »Ist dir jemand gefolgt?«, fragte der König scharf. Cos schüttelte den Kopf und sah sich um. »Eine Frage, Eure Hoheit. Wieso treffen wir uns hier und nicht wie gewöhnlich im Königssaal?« »Zu viele Ohren. Und wenn du mich noch einmal Eure Hoheit nennst, reiß ich dir den Kopf ab!« »Natürlich«, murmelte Cos. Für einen kurzen Moment erinnerte er sich an die Zeiten, als Sakura und er zusammen auf Abenteuerreisen gegangen waren und ihr Geld mit Stehlen verdient hatten, denn sie waren bettelarm gewesen. Dann waren sie auf Rewean getroffen, er hatte sie mitgenommen und ihnen ein Zuhause gegeben. Saku wurde Reweans Schüler, und Cos hatte sich all die Jahre mit ansehen müssen, wie sein bester Freund immer mächtiger und mächtiger wurde. »Nun, Cos«, sagte Saku jetzt. »Wir haben etwas sehr Wichtiges zu besprechen.« Saku ging zu einem alten, ramponierten Schreibtisch und fischte nach einigem Suchen eine Zeichnung aus einer Schublade heraus. Als er sie Cos gab, fiel dieser vor Schreck fast vom Stuhl, auf den er sich gesetzt hatte. Auf der Zeichnung waren zwei Kinder zu sehen, sich an den Händen haltend, ein Junge und ein Mädchen. Cos schnappte nach Luft. »D... das sind doch ...«, japste er und starrte Saku entsetzt an. »Ja, Cos. Das sind sie.« 10

»A... aber ...«, stotterte Cos. »Saku, was willst du damit sagen? Sie sind tot!« »Das nahmen wir an!«, sagte Saku und hörte endlich auf, hin und herzulaufen. Stattdessen schaute er Cos direkt in die Augen. »Aber was ist, wenn sie gar nicht tot sind, sondern immer noch leben?« Cos zuckte zurück. »Was meinst du, Saku?« Saku begann wieder, auf und ab zu laufen, redete sich in Rage und vergaß dabei ganz, leise zu sprechen. »Wir konnten sie nicht finden, Cos! Wir hätten sie auch niemals finden können, hätten wir nicht verdammt viel Glück gehabt! Natürlich hat sie niemand gesehen!« Auf einmal wurde Saku` s Ton ganz weich. »Sie waren die ganze Zeit woanders. Und zwar ... in einer anderen Welt!« Triumphierend sah er Cos an. »Was für ein unverschämtes Glück, dass wir damals die Erde mit unserem Raumschiff entdeckt haben, den blauen Planeten, erinnerst du dich, Cos?« Cos zögerte, auf Sakus Frage zu antworten. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich kann mich erinnern. Aber ... warum das alles, Saku? Warum erzählst du mir das?« Ohne auf Cos´ Frage zu antworten, fuhr Saku fort. »Die beiden Kinder ... sie haben keinerlei Erinnerungen an die Vergangenheit. Die Welt, von der wir sprachen, sie ist in einer anderen Galaxie, wie du weißt, und ohne den Schutz des Bandes, das wir damals immer getragen haben, verliert man seine Erinnerungen, und zwar alle. Man passt sich dem Planeten an, auf dem man wohnt. So gesehen, hängen sie für immer in dieser Welt fest, bis 11

jemand sie wieder holt. Und da kommst du ins Spiel, Cos. Du sollst sie für mich holen.« »Was?«, flüsterte Cos entsetzt. »Aber du weißt doch, dass das gefährlich ist. Du weißt doch, wie gefährlich sie sind!« »Ja, aber dieses Risiko gehe ich ein«, entgegnete Sakura. »Überleg doch mal, Cos! Wenn wir sie holen, sind es auch unsere Waffen. Obwohl sie in einer anderen Welt leben, besitzen sie ihren überdimensionalen Verstand noch, sie sind zwölf Jahre alt und benehmen sich wie Fünfzehnjährige. Das heißt, dass sie noch nicht ganz verloren sind. Wenn du sie überzeugen kannst, holen wir sie uns, zurück in diese Welt. Und ER wird dann eindeutig im Nachteil sein, das verspreche ich dir!« »Aber ...«, sagte Cos leise, »was passiert, wenn ER wirklich kommt? ER würde sie doch mitnehmen, soviel ist klar.« »Nur über meine Leiche!«, fauchte Saku ihn an. »Sie sind doch nur Kinder!«, sagte Cos verzweifelt, und Saku schnappte entrüstet nach Luft. »Du vergisst, WESSEN Kinder das sind, Cos! Wenn ER sie sich zurückholen würde, ja, dann wären wir verloren, jedoch ...« »Bitte, Saku! Es ist ein zu großes Risiko, und es ist viel zu gefährlich! Ich bin mir sicher, dass sie das Geheimnis eines Tages aufdecken werden. Und dann ... würden sie uns umbringen.« Saku antwortete nicht. Seine Stirn hatte sich in Falten gezogen und er schien über Cos´ Worte nachzudenken.

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»Denk doch mal an früher!«, sagte Cos nun. »Denk daran, was passiert ist! Sie waren beide nur sieben Jahre alt, und sie haben Rewean getötet!« »Rewean!« Traurig schaute Saku ihn an. »Ich weiß, aber dennoch ...« »Würde es nicht wehtun, sie zu sehen? Die Kinder, die ihm das angetan haben?«, fragte Cos sanft, und Saku senkte den Kopf. »Die ganze Zeit ...«, sagte er leise. »Die ganze Zeit dachten wir, sie wären bei dem Kampf mit Rewean ebenfalls ums Leben gekommen. Und nun leben sie in einer anderen Welt und wissen nichts von ihrem Schicksal! Und ich ...« Er stockte kurz. »Ich kann mich nicht immer um mich selbst kümmern. Ich kann nicht immer nur an mich denken. Unser Reich braucht die beiden, Cos. Oder wenigstens einen von ihnen. Sonst ...« Seine Stimme wurde immer leiser, als er flüsterte: »Sonst sind wir verloren.« Cos senkte ebenfalls den Kopf, und für eine ganze Weile war es totenstill im Raum. Schließlich sagte Cos sanft: »Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wenn sie die Wahrheit erfahren. Stell dir vor, man nimmt dir die Chance weg, ein Leben mit deiner Familie zu führen. Und vielleicht würden sie uns im Austausch dafür, dass wir sie hergeholt haben, nicht töten, wer weiß?« »Was ist bloß in dich gefahren? ER ist grausam!«, fauchte Saku wütend, packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn unsanft. »Das ist doch kein Vater!« »Du vergisst«, sagte Cos ruhig und befreite sich aus seinem Griff, »dass sie SEINE Kinder sind und aus wel13

chem Grund ER sie wahrscheinlich weggeschickt hat. Um sie zu schützen, oder?« Saku sank fassungslos auf einem Stuhl zusammen. »Aber ... das kann einfach nicht sein. Das geht nicht! Das geht einfach nicht!«, rief er und raufte sich die Haare. Dann stand er auf, entschlossen, seinen Plan durchzuführen. »Das ändert nichts an unserer Lage, Cos! Wir müssen sie uns schnappen und auf unsere Seite bringen, bevor ER das tut.«

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KAPITEL 1 Acht Wochen später ... Ich starrte an die weiße Decke, von der schon der Putz abbröckelte – meines und Arens Zimmers. Ich lag auf dem Rücken in meinem Bett, dachte nach und zwirbelte eine meiner braunen Haarsträhnen um den Finger. Eigentlich sollte ich wohl schlafen, doch ich war nicht müde und hatte das merkwürdige Gefühl, dass heute Nacht noch etwas Besonderes passieren würde. Aus dem Augenwinkel konnte ich meinen Zwillingsbruder Aren erkennen, der sich gerade im Tiefschlaf befand und sich mit dem Rücken zu mir auf die andere Seite drehte. Ich war froh, dass Aren und ich uns ein Zimmer teilten, und ich glaube, ihm ging es genauso, denn so waren wir beide wenigstens nicht allein. Wir lebten in einer Wohnung über der Kneipe unseres alkoholabhängigen Onkels Rawa am Rande einer kleinen, ziemlich veralteten Stadt. Unser Onkel lebte von dem Geld, das er in der Bar verdiente und gab die Hälfte davon für widerlichen Alkohol, besonders für Bier, aus. Und wir? Wir mussten sehen, wie wir zurechtkamen. Manchmal steckten uns ein paar nette, nicht ganz vom Bier vollgenebelte Leute ein Trinkgeld zu, wenn wir tagsüber an der Bar die saufenden Menschen bedienten. Ab und zu fand eine Rauferei statt, und Onkel Rawa machte immer mit. Eigentlich war dieser Job wie für ihn

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geschaffen: saufen und dabei auch noch Geld verdienen. Unsere Eltern waren vor knapp einem Jahr gestorben und wir blieben allein zurück. Doch das hatte uns noch nie viel gekümmert, denn unser Vater hatte uns oftmals geschlagen, unsere Mutter uns nach Möglichkeit unser selbstverdientes Geld aus der Tasche gezogen, sie benutzte uns nur als »kleine Haushelfer«, wie sie immer sagte. Damals hatte ich mich fast täglich gefragt, warum ich überhaupt geboren worden war und ob Arens und mein Leben immer so bleiben würde. Dass wir immer nur benutzt werden würden. Hier, bei unserem Onkel, ging es uns ein bisschen besser, aber auch nicht gerade gut. Und da mein Zwillingsbruder und ich erst zwölf Jahre alt waren und auch noch ziemlich klein und schwächlich aussahen, kam es schon einmal vor, dass jemand versuchte, uns zu entführen. Ob wir viel Geld einbringen würden, war allerdings fragwürdig. Außerdem wussten Aren und ich uns zu wehren. Man sah es uns vielleicht nicht an, aber wir waren sehr schnell und schienen auch auf eine seltsame Art und Weise stark zu sein. Zu mindestens stärker als die Typen in der Kneipe, und das wollte schon etwas heißen, denn die waren oft muskelbepackt und sahen auch sonst sehr düster aus. Als mich jemand – vor einem halben Jahr war das, glaube ich – plötzlich mitten im Gehen schnappte und mitzerren wollte, schlug ich ihm den Kopf auf einem Tisch auf, so dass er mit einer Gehirnerschütterung weggebracht wurde. 16

Ein Freund von mir, der schon achtzehn war und eine Zeit lang meinet- und Arens wegen täglich in die Bar kam, hatte mir auf die Schulter geklopft und gesagt: »Gut gemacht, Aria!« Und eines Tages hatte er dann gesagt, dass er gehen müsse und leider nie wieder zurückkommen könne. Ventus hieß er, und er war der einzige wirkliche Freund, den Aren und ich jemals gehabt hatten. Aber – wie gesagt – das ist schon lange her, und seit der Sache mit der Gehirnerschütterung ist nichts Aufregendes mehr bei uns passiert. Ich schaute zu meinem Bruder hinüber und sprang dann aus dem Bett, weil ich Durst hatte. Leise schlich ich zur Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Im untersten Stockwerk lärmten die Gäste und irgendeine Frau sang furchtbar schief. Als ich gerade zurück in mein Zimmer gehen wollte, hörte ich plötzlich, nicht weit entfernt von mir, eine Tür schlagen. Entsetzt schaute ich mich in dem kahlen Flur um, als die Treppenstufen knarzten und jemand näher zu kommen schien. Ich wusste aus reinem Instinkt, dass das mein Onkel war, der sich da fluchend näherte, und suchte verzweifelt nach einem Versteck. Denn wenn er mich jetzt um diese Uhrzeit außerhalb meines Zimmers erwischen würde, dann würde er mich an den Ohren ziehen und hämisch sagen, wenn ich schon einmal wach wäre, dann könnte ich auch kurz mal unten vorbeischauen. Mit anderen Worten – wenn er mich erwischen würde, dürfte ich »netterweise« die Nacht durcharbeiten, und darauf hatte ich gar keine Lust. Aber wer hat das 17

schon. Eigentlich sollte ich froh sein, dass er uns nachts, solange wir uns nicht blicken ließen, schlafen ließ. Ich glaubte mich schon verloren, als ich – nicht weit entfernt von mir – eine Tür sah. Verwirrt schaute ich genauer hin. War diese Tür schon immer da gewesen? Die Schritte waren jetzt schon ganz nah. Erschrocken und ohne zu denken, schlüpfte ich in den dahinter liegenden Raum und zog leise die Türe hinter mir zu. Dann blieb ich lauschend und mit klopfendem Herzen stehen. Nichts war mehr zu hören. Unsinn, der ist da irgendwo und wartet nur darauf, dass ich aus meinem Versteck komme, denn er weiß, dass ich da bin. Ich bleibe lieber noch ein bisschen hier, dachte ich und lauschte konzentriert. »Ich würde von dieser Tür weggehen, wenn du nicht die ganze Nacht bei diesen Vollidioten da unten sein willst«, schnarrte eine Stimme dicht neben meinem Ohr. Ich zuckte zusammen und stieß einen kleinen Schrei aus, hielt mir aber sofort wieder erschrocken die Hand vor den Mund. Langsam drehte ich mich um und erblickte die seltsamste Erscheinung, die mir jemals untergekommen ist – und ich meine, ich hab schon wirklich alles gesehen. Leute, die sich wie Gruftis kleideten (ich hab nichts gegen sie, okay), Mädchen, deren Gesichter jeden Tag unter einer Schicht fetter Schminke versteckt wurden und Frauen, die sich so knapp wie möglich kleideten, nur, um den Männern zu gefallen. Jungs in meinem Alter, die sich die Haare komplett abrasierten und es auch noch cool fanden. Menschen, über und über mit Tattoos bedeckt, so dass kein bisschen Haut hindurch 18

scheinen konnte, und noch tausend andere Verrückte. Aber der Mann, der nun vor mir stand, übertraf alle diese Leute, und im Gegensatz zu ihm kamen sie mir relativ normal vor. Ich blinzelte und fragte mich, ob mir mein Verstand gerade einen Streich spielte, und zwar einen echt verrückten Streich, oder ob ich Halluzinationen oder so etwas Ähnliches hatte. Verwirrt schaute ich auf meine Hände. Nein, Halluzinationen waren es nicht, sonst würden doch Maden oder anderes Getier aus meinen Händen kriechen, oder? Oder? Ich starrte wieder auf die Person vor mir und nahm mir vor, aus diesem komischen Traum aufzuwachen. Ich wachte zwar nicht auf, aber ich zögerte keinen Moment, zu denken, dass das alles hier überhaupt nicht echt war. Der Mann hatte lila Haare, die wild in alle Richtungen abstanden. Seine Augen waren ebenso lila und mit seinem komischen Blick irritierte er mich total. Seine Kleidung war erst recht außerirdisch: zerfetzte Hosen in einer Farbe, die ich nicht einmal kannte, eine merkwürdige Mischung aus T-Shirt und Pulli, wo hin und wieder Leder aufblitzte. Seine Haut war seltsam makellos. Obwohl viele Erwachsene meistens schon von Falten übersät waren, hatte er keine einzige. Sag mal, spinn ich?, dachte ich und rieb mir die Augen. Ich wusste nicht wirklich, was ich davon halten sollte. »Müde, kleine Aria?«, fragte der Mann jetzt vergnügt und setzte sich auf einen Stuhl, der irgendwie fehl am Platz wirkte, so, als ob er einfach wahllos in den Raum gestellt worden wäre. 19

»Nein!«, fauchte ich. »Wer sind Sie und was machen Sie hier? Sie wissen schon, dass ich Sie jeden Moment in einen Kerker bringen lassen kann, denn diese Wohnung ist privat! Und da haben nicht einfach irgendwelche merkwürdigen Leute hineinzuspazieren, die mein ach so tolles Leben durcheinanderbringen könnten.« Der Mann lachte leise. »So, glaubst du? Und bei allem Respekt, Aria, würdest du dich dann nicht auch selbst verraten? Du solltest doch schließlich auch in deinem Zimmer sein und nicht irgendwo hier draußen herumirren.« Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe mehr Rechte als Sie, hier zu sein«, gab ich wütend zurück. »Also verschwinden Sie!« »Du bist ja ganz schön mutig für dein Alter«, grinste der Mann. »Mich einfach so herauszufordern ...« »Wer sind Sie?«, fragte ich noch einmal. Der Typ ging mir echt auf die Nerven. Was zum Henker wollte er überhaupt von mir? Der Mann schaute mich seelenruhig an und kramte ein Weilchen in seiner Tasche herum. Verwirrt sah ich zu und fragte mich, was dieser Idiot da eigentlich machte. Er zog etwas aus seiner Tasche, das aussah wie ein Schokoriegel. Langsam – ich glaubte schon, eine Uhr ticken zu hören – machte er das silberne Papier ab und ich erkannte, dass es tatsächlich ein Schokoriegel war. Nur – so einen hatte ich noch nie gesehen. Obwohl ... ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht sehr viele Schokoriegel gesehen und erst recht nicht probiert, wie das schmeckte. 20

Der Mann biss genüsslich in die Schokolade, und als er meinen sehnsüchtigen Blick bemerkte, kramte er nochmals in seiner Tasche und holte einen zweiten heraus, den er mir zuwarf. Ich kam mir vor wie in dem Märchen von Schneewittchen, nur hier mit Schokolade und nicht mit einem Apfel, und plötzlich war ich mir sicher, dass diese Schokolade vergiftet war. Misstrauisch beäugte ich sie und ließ meinen Blick dann wieder zu dem Mann schweifen, der genüsslich vor sich hin kaute. Er ließ sich wirklich Zeit mit seiner Antwort, also stellte ich dieselbe Frage noch einmal. »Wer zum Teufel sind Sie???« Und ich würde nicht lockerlassen, bis der Mann mir endlich geantwortet hatte. »Mein Name ...«, sagte er nun ganz ruhig, als hätten wir alle Zeit der Welt, dabei stand er auf, ging zum Fenster und warf das Schokoriegelpapier hinaus, »mein Name ist Cos Lawara.« Ich zuckte zusammen und ließ den Schokoriegel fallen. Mir wurde schwindelig und plötzlich konnte ich nichts mehr sehen. Wie auf Kommando fiel ich von dem Stuhl, auf den ich mich nach einer Weile gesetzt hatte, und auf einmal hörte ich eine Stimme. Sie klang weit entfernt und so, als hätte sie es eilig, denn die Frau, deren Stimme nun meine Gedanken erfüllte, sprach hastig und so schnell, dass ich es kaum verstand. »Aria, mein liebes Kind, finde dein Schicksal und hör auf dein Herz!« Die Stimme verstummte und ich sah wieder klarer. Ich konnte den fremden Mann, diesen Cos Lawara, erkennen, der sich besorgt über mich beugte. »Alles in Ordnung?«, fragte er und hielt mir die Hand hin. Als ich mir 21

von ihm aufhelfen ließ, dröhnte mein Kopf und mir wurde wieder schwindelig. »Hey, pass auf!«, sagte Cos und hielt mich vorsichtig fest, denn ich drohte wieder umzufallen. Das war der Moment, in dem ich beschloss, ihm zu vertrauen. Ich wusste nicht warum und auch nicht, wie das so plötzlich kam, aber als ich noch einmal in mich hineinhörte, stellte ich fest, dass bei mir alle Zweifel und das ganze Misstrauen gegenüber Cos Lawara verschwunden waren. Ich blinzelte. Hatte er mich verhext oder so? Schließlich hatte ich auch nur auf dem Boden gelegen, weil er seinen Namen gesagt hatte, und das war echt schräg. »Was war das eben?«, fragte ich ihn also, und er antwortete verwirrt: »Was?« »Na ...«, ich setzte mich jetzt doch auf und war froh, dass der Schwindel verflogen war. »diese Stimme. Es war eine Frau, glaube ich. Und sie hat gesagt, dass ich mein Schicksal finden soll oder so. Haben Sie das gehört?« Cos starrte mich an. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich habe keine Stimme gehört.« Oh Mann, ich bin ein Freak. Ich falle um, wenn jemand seinen Namen sagt und höre Geisterstimmen. »Aria«, sagte Cos jetzt. »Ich glaube, ich sollte dir da etwas erklären. Ich sollte dir den Grund sagen, warum ich hier bin.« Ich hob eine Augenbraue. »Bitte«, sagte ich gelangweilt und aß nun doch den Schokoriegel. Der Geschmack nach Nougat und Himbeere breitete sich in meinem Mund aus und ich beschloss, die Hälfte dieser Köstlichkeit später meinem Bruder zu geben, da wir sonst auch immer alles teilten. »Wenn Sie hier sind, um 22

meinen Onkel auszurauben, damit er gar nichts mehr hat, ich bin dafür. Ach ja, und richten Sie ihm aus, dass wir ihn hassen.« »Nein, Aria, das hatte ich eigentlich nicht vor, auch wenn es ein amüsanter Gedanke ist. Aber ... nein. Ich bin wegen euch hier, wegen dir und deinem Zwillingsbruder.« Erstaunt sah ich auf. »Wollen Sie uns kaufen? Mein Onkel will uns für viel Geld verkaufen, aber ich weiß ja nicht, ob Sie überhaupt wissen, was Geld ist.« Ruhig sah Cos mich an. »Du hast Recht. Ich habe keine Ahnung, wovon du gerade sprichst.« »Wollen Sie mich verarschen? Ich glaube Ihnen kein Wort!« Wütend sprang ich auf und stopfte den Rest des Schokoriegels in meine Tasche. »Bitte, Aria! Hör mir zu!« Blitzschnell war Cos auf den Beinen und hielt mich am Arm fest. Bittend sah er mich an. »Ich kann es dir erklären, ich schwöre es.« »Lassen Sie mich los!« Ich riss mich aus seinem Griff und rannte zur Tür, doch er war schneller. Ein Knacken ertönte. Abgeschlossen. »Du musst mir zuhören, Aria.« Bleich wich ich bis an die Wand hinter mir zurück, um möglichst viel Abstand zu dem Mann zu gewinnen, dem ich vor einer Minute noch vertraut hatte. »Was wollen Sie?« Jetzt war auch er wütend. »Ich will nur, dass du mir zuhörst!«, schrie er mich an. Ich zitterte. »Gut«, sagte ich säuerlich. »Ich höre! Aber nur damit Sie´s wissen: ich glaube Ihnen kein Wort mehr, das Sie sagen!«

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Cos seufzte, schloss die Augen und lehnte seinen Kopf an die Tür. »So war das alles nicht geplant«, murmelte er. »Ach ja?«, blaffte ich ihn an. »Denken Sie, bei mir?!« »Aria, egal was du sagst, du musst mir einfach das glauben, was ich dir jetzt sagen werde.« Ich lachte kurz auf. »Aber natürlich! Sicher! Ich glaube Ihnen alles, was Sie sagen!« Cos schaute mich ernst an. »Es ist wichtig, Aria. Und es könnte dein Leben grundsätzlich ändern.« Ich schnaubte frustriert. »Ja, ja. Reden Sie ruhig weiter, ich höre zu.« Da stand er plötzlich vor mir und sah mich wütend an. »Warum sollte ich mir überhaupt die Mühe machen, eh?« Ich bekam große Augen. »Ja genau, warum machen Sie sich überhaupt die Mühe?« »Weil es die Wahrheit ist!«, brüllte er, und ich zuckte zurück. Aber es stimmte, warum sollte er mich belügen? »Entschuldige«, sagte er leise und trat einen Schritt zurück. »Nein, ich muss mich entschuldigen«, entgegnete ich ernst. »Sie haben Recht. Und ich werde zuhören.« Cos seufzte abermals auf, dieses Mal vor Erleichterung. »Nun gut.« Er wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab und betrachtete mich eine Weile von Kopf bis Fuß. Geduldig stand ich da und wartete darauf, dass er endlich anfing zu sprechen, denn jetzt hatte er mich neugierig gemacht. »Nun gut«, sagte er noch einmal. »Dein Bruder und du, ihr habt eure Eltern vor knapp einem Jahr verloren, oder?« »Ja.« Ich nickte. »Aber woher wissen Sie das?«

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»Nein, keine Zwischenfragen, bitte«, unterbrach Cos mich. »Der Punkt ist, dass waren nicht deine richtigen Eltern.« »Wie bitte?!«, kreischte ich. Mir wurde schlecht, und trotzdem wusste ich, dass er die Wahrheit sagte. Dennoch war ich wild entschlossen, das als Lüge anzusehen. Es war verrückt. »Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, dass wir all die Jahre bei irgendwelchen Leuten verbracht und gedacht haben, dass dies unsere Eltern sind und sie es in Wirklichkeit gar nicht waren?« »Pst! Hör zu!« Cos wedelte mit seiner Hand, um mich wieder zum Schweigen zu bringen. »Doch, genau das will ich dir sagen, Aria. Es tut mir Leid.« Ich starrte ihn fassungslos an. Ich hatte es gewusst, ich hatte es von Anfang an gewusst. Und doch wollte ich es nicht wahrhaben. »Deine wirklichen Eltern ...«, sagte Cos nun leise, »leben ganz woanders. Sie leben ...«, er schaute mich an und ich sah, dass er sich überwinden musste, die nächsten Worte auszusprechen. Er rang mit seiner Fassung und sagte dann: »Ach verdammt. Aria, deine Eltern leben in einer anderen Welt!« »Das geht zu weit!«, schrie ich, und erst jetzt fiel mir auf, dass mein Onkel uns schon längst hätte hören müssen. Moment ... war das überhaupt mein Onkel? Wenn man Cos Glauben schenkte, waren wir nicht im Entferntesten verwandt. Und zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, wer diese Leute waren, die uns großgezogen hatten, und ob sie wohl wirklich dachten, dass wir 25

ihre Kinder wären. Schließlich hatten sie uns oft angebrüllt und gesagt, dass wir ein schrecklicher Unfall gewesen wären. Ein ganz schrecklicher Unfall. Und unser Onkel ... Sicher, wir waren anders, schon immer. In der Schule, die wir, seitdem wir bei unserem Onkel lebten, nie mehr zu Gesicht bekommen hatten, waren wir Außenseiter gewesen. Fremde. Kinder, denen man nicht über den Weg trauen konnte. Damals haben wir gedacht, das könne nur daran liegen, dass wir eben anders waren. Dass wir nicht von hier stammten. Doch mit der Zeit erkannten wir beide, dass wir nur Phantasien nachgejagt hatten, und wir akzeptierten die Realität. Und nun tauchte dieser Mann auf, dieser komische, merkwürdige Mann, der genauso merkwürdig war wie wir. Und er sagte, dass wir anders seien. Er sagte genau das, was wir uns immer gedacht und woran wir uns immer geklammert hatten, was uns am Leben erhalten hatte. Wir sind anders. Ich lachte nervös und drehte mich schwungvoll zur Tür hin. »Das ist doch ein Witz, oder? Ich glaube Ihnen kein Wort! Sie sind doch krank!« Ich wollte hier weg, raus aus diesem Zimmer, weg von dem Mann, der drohte, mein Leben für immer auf den Kopf zu stellen. »G-gehen Sie! Gehen Sie, bevor ... bevor ...« »Aria«, sagte Cos und hielt mich am Arm fest. »Bitte«, flüsterte er. »Lass mich es dir beweisen.« Cos schob mich aus dem Haus und dirigierte mich zur nächstgelegenen Schmiede im Dorf. Obwohl deutlich 26

war, dass der Laden dicht hatte, trat er ein. Der Schmied – er war ein richtiges Muskelpaket, was wohl an der vielen, harten Arbeit lag – grummelte irgendetwas von »geschlossen« und zeigte seine Muskeln (Muskeln, die Cos eindeutig nicht hatte). Doch Cos schlug ihn einfach mit seiner Faust nieder. Und er sah dabei auch noch so aus, als würde es ihm nicht einmal Mühe machen. Ich starrte auf den eindeutig K.O. gegangenen Schmied und stieß ihn zur Sicherheit mit meinem Fuß an, um mich zu vergewissern, ob er auch wirklich unfähig war, sich zu bewegen. Er grunzte laut auf, und vor Schreck machte ich einen Satz rückwärts. Cos stieg nun lässig über ihn hinweg und ignorierte den »Ich-bringdich-um-Blick« des Schmiedes, der sich tatsächlich nicht mehr vom Fleck rühren konnte. Und das nur durch einen Schlag. Während ich immer noch den Schmied anstarrte, bereit, abzuhauen und zu rennen, falls er sich wie durch ein Wunder wieder vom Boden erheben würde, kramte Cos in einem Regal herum. »Ah, perfekt«, sagte er leise zu sich selbst. Das war der Moment, in dem ich mich fragte, warum ich überhaupt auf ihn gehört und eingewilligt hatte, mit ihm zu kommen, falls er es mir beweisen könnte. Und plötzlich hatte ich Angst vor diesem Versprechen. »Aria?« Ich sah zu Cos, und im nächsten Augenblick schwirrte schon etwas durch die Luft. Ich erschrak zwar, doch fing ich reflexartig das Schwert auf, das er mir zugeworfen hatte. Moment ... ein Schwert? Nein, ein Holzschwert. Ich betrachtete es misstrauisch. Irgendwie 27

... fühlte es sich gut an, es in den Händen zu halten. Es fühlte sich normal an. Trotzdem fragte ich bissig: »Und was soll ich jetzt damit? Beweist mir das jetzt, dass Sie nicht lügen?« Cos lächelte mich schief an. »Deine Schwertkunst«, sagte er so, als wäre es das Normalste der Welt. Und wer weiß, vielleicht war es das ja auch. Für einen Augenblick war ich vollkommen perplex. »Was?«, stammelte ich verwirrt. »Aber ich ... ich habe so ein Ding noch nie in der Hand gehalten, geschweige denn benutzt. Ich kann das nicht!« Ich ließ das Holzschwert fallen und kämpfte verzweifelt mit den Tränen. Was sollte das? Was wollte dieser fremde Mann von mir? »Doch, das kannst du«, sagte Cos ruhig und bestimmt. »Vertraue mir, Aria. Du hast es im Blut.« Er sah mir tief in die Augen und ich erschauderte. Da erinnerte ich mich plötzlich wieder an die Frauenstimme von vorhin. Finde dein Schicksal, Aria. Und folge deinem Herzen. Ich gab mir einen Ruck und hob das Holzschwert wieder auf. Was soll´s, dachte ich. Mein Leben hatte sowieso noch nie einen Sinn, und ich hatte mich immer gefragt, warum ich überhaupt zur Welt gekommen bin, Tag für Tag und Jahr für Jahr. Vielleicht ist das hier meine einzige Chance, ihm genau diesen Sinn zu geben. Vielleicht ist das mein Schicksal. Meine Augen leuchteten auf und ich packte den Schwertgriff noch fester. Ich kann das. Ich habe das schon einmal gemacht. Vor langer, langer Zeit ... Ich 28

zögerte keinen Augenblick mehr. Für mich und für Aren. Dann griff ich an. Ohne zu wissen, was genau ich tat, stürmte ich auf Cos zu und zog mein Schwert quer über seinen Brustkorb. Ich konnte spüren, wie ich mit der Bewegung mitging und eins mit dem Schwert wurde. Ich griff Cos von vorne an, um gleich darauf wieder hinter ihm zu erscheinen und ihn systematisch aufzuschlitzen. Es war wie der Instinkt eines Raubtieres, ich konnte gar nicht anders. Es war, als ob ich die Löwin und Cos das davonlaufende Opfer war. Cos blockte zwar fast alle meine Attacken, doch mich störte das kein bisschen. Eine unkontrollierbare Macht schoss durch mich hindurch, und ich hatte tatsächlich keine Gewalt mehr über das, was ich gerade tat. Adrenalin schoss durch meine Adern und ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu kämpfen, ihm Wunden zuzufügen. Schließlich rief Cos: »Es reicht!«, und packte mich mit einem festen Griff an beiden Armen. Anfangs wehrte ich mich noch. Ich war noch nicht fertig, ich wollte ihn töten! Moment ... was hatte ich da gerade gedacht? Ich ließ meine Arme sinken und hörte auf, mich zu wehren. Behutsam nahm er mir das Schwert ab und schaute es mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht an. Ich atmete schwer, und plötzlich sah ich das Blut, das von meiner Klinge tropfte. Cos war verletzt, das sah man gleich. Und ich? Ich hatte nicht den kleinsten Kratzer. Er hat mich verschont!, schoss es mir durch den Kopf, und ich erinnerte mich daran, dass er lediglich meine 29

Angriffe geblockt, aber nie zurückgeschlagen oder selbst angegriffen hatte. Ich bebte immer noch am ganzen Körper und versuchte, die wilde Energie, die mich durchströmte, zu bändigen. »Nun«, sagte Cos erschöpft, »das war sehr gut. Für ein Holzschwert und einen Anfänger.« Als ich seine Worte hörte, zuckte ich zusammen. Ein Holzschwert. Ich hatte ihn so stark verletzt ... mit einem Holzschwert? Cos stöhnte und rieb sich die Schulter, aus der immer noch das Blut floss. »Anscheinend ... bist du ... so eine Art ... Multitalent, würde ich sagen. Mich würde echt interessieren, wer deine Eltern sind.« Eine Spur von Neugier blitzte in seinen Augen auf, verschwand jedoch sofort wieder aufgrund der Schmerzen, die er wohl wirklich hatte. »Zu schade ... dass du es selbst nicht weißt.« »Ja ...«, murmelte ich. »Zu schade.« Cos verzog das Gesicht. Dann brach er zusammen. Erschrocken lief ich zu ihm und kniete mich neben ihn. »Alles okay?«, fragte ich, jetzt doch ein wenig besorgt, was die Wunden wohl bei ihm angerichtet hatten. Er grinste schief. »Ich bin nur K.O. Du hast mich besiegt, Aria.« Ich starrte ihn an. »Jetzt echt?« Ich starrte auf meine Hände, die von Cos´ Blut besudelt waren, und auf einmal wurde mir schlecht. Richtig schlecht. Was hatte ich nur getan? Warum hatte ich es getan? Ich hatte ihn nicht verletzten, ihm nicht wehtun wollen. Doch ich wusste, dass ich keine Kontrolle mehr über mich selbst und über meinen Körper gehabt hatte. Ich bin ein Monster. »Es ... 30

es tut mir so Leid«, sagte ich, zutiefst erschüttert. »Das ... ich habe das nicht gewollt.« »Nein ... allen Anfängern geht das so. Du wirst lernen, dich zu beherrschen. In deiner Welt.« Zweifelnd schaute ich ihn an. »Da sind Sie sich sicher? Ich werde ... ich werde nicht mehr so brutal sein? Ich werde es lernen?« »Naja ...«, sagte Cos keuchend. »Glaubst du mir jetzt?« Und ich nickte zitternd.

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KAPITEL 2 Knapp eine halbe Stunde später ... Blitzschnell rannte ich zurück ins Haus und in mein Zimmer, ohne mich darum zu kümmern, ob ich Lärm machte oder nicht. Als ich an dem Bett meines Bruders angekommen war, rüttelte ich ihn unsanft an den Schultern. »Aren!«, flüsterte ich und schaute hektisch zur Tür. »Aren, verdammt noch mal! Wach endlich auf!« Im Augenblick hasste ich ihn für seinen tiefen Schlaf. Also zog ich ihm seine alte, verratzte Bettdecke weg und kitzelte ihn dann an den Füßen. »Ah!« Mit einem Ruck war Aren wach und saß nun kerzengerade in seinem Bett. Aus seinen schwarzen Augen bedachte er mich mit seinem typischen »Warumzum-Teufel-hast-du-mich-aufgeweckt-Blick«. »Aria?! Was ist los, warum zur Hölle weckst du mich auf?« Er wollte sich – aus reiner Rebellion gegen mich – wieder hinlegen, doch ich hielt ihn fest. »Ich muss dir was erzählen, Aren!« Wenig später wusste er schon alles, von dem geheimnisvollen Fremden, der sich als ein gewisser Cos Lawara entpuppt hatte, bis hin zu der Tatsache, dass dies wohl anscheinend nicht unsere Heimat war. Nicht unsere Welt. Aren hörte ruhig zu, so, wie er es immer tat, wenn ich ihm etwas erzählte, knurrte aber, als ich geendet hatte:

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»Und du glaubst diesen Scheiß? Ich dachte, über so etwas wären wir hinweg. Andere Welten und so.« Ich schloss die Augen und sagte dann fest: »Ja. Ich glaube ihm. Und er hatte einen Beweis.« »Was für ein Beweis soll das schon sein?«, fragte Aren herausfordernd. »Da, wo wir herkommen ...«, begann ich, doch er unterbrach mich schon wieder. »Da, wo wir anscheinend herkommen, Aria.« »Ja, ja. Also da, wo wir anscheinend herkommen«, fuhr ich nun fort, »können wir kämpfen. Er hat es mir gezeigt.« »Das glaubst du diesem komischen Typen? Hör mal, Aria, für mich klingt das alles etwas seltsam.« »War das nicht schon immer so?« Bittend sah ich ihm in die Augen. »War bei uns nicht immer alles seltsam? Und ich habe es ausprobiert. Ich kann kämpfen. Und ich bin mir sicher, du kannst es auch. Erinnerst du dich noch an damals, als ich diesem stinkenden Kerl die Hölle heiß gemacht habe, indem ich ihm den Kopf auf die Tischplatte geschlagen und ihn damit direkt ins Krankenheim befördert habe? Wetten ... das hat er nicht überlebt. Und weißt du noch, als mich diese Schulkids, die ein paar Jahre älter waren als ich, als sie mich geärgert hatten? Und dann bist du gekommen und hast sie zu Brei verarbeitet! Das ... das kann doch kein Zufall mehr gewesen sein, oder? Oder haben wir schon einmal jemanden gesehen, der genau das kann, was wir können? Haben wir das?« »Nein ...«, murmelte Aren. »Genau«, sagte ich leise. »Bis Cos kam. Bitte, Aren, du musst mir glauben!« 33

Jetzt wusste ich plötzlich, wie schwer das vorhin erst für Cos hatte sein müssen. Er hatte uns ja nicht einmal gekannt, während ich und Aren, während wir eben Zwillinge waren. Wir konnten uns alles sagen. Er hingegen hatte uns noch nie zuvor gesehen, und er hatte es schwer gehabt, dass wusste ich nun. »Gut«, sagte Aren da. »Wenn du ihm glaubst, dann glaube ich ihm auch.« »Oh, Aren!« Stürmisch umarmte ich meinen Bruder. Er schüttelte nur den Kopf und befreite sich sanft aus meiner Umarmung. »Ja, ja, ist ja schon gut. Und wenn er ein Betrüger ist, was soll´s. Ich glaube, in dem schlimmsten Dreckloch ist es besser als hier!« Mit diesen Worten sprang er auf und ging zur Tür. So liebte ich meinen Bruder, er handelte immer sofort und war zu allem bereit. Ich grinste ihn an und hüpfte von seinem Bett, auf dem wir gesessen und geredet hatten. Umziehen mussten wir uns beide nicht mehr, da wir sowieso nur unsere Armenkleidung hatten, die immer gleich aussah. »Also gut«, meinte Aren und seine Augen blitzten auf. »Wollen wir?« »Klar!«, antwortete ich genauso aufgeregt. Mein Zwilling grinste mich vielsagend an und verschwand dann auf dem dunklen Flur. Ich wollte ihm gerade folgen, da sah ich eine Kette, die ich schon hatte, solange ich mich erinnern konnte. Es war irgendwie ein Symbol, Aren und ich wussten beide nicht, was es bedeuten sollte. Aren hatte nämlich exakt die gleiche Kette wie ich.

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Es war ein Stern mit fünf gleichen Zacken innerhalb eines Kreises, die Kette selbst war pechschwarz. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass diese Kette aus der anderen Welt stammte, und schwach erinnerte ich mich daran, dass unsere »Eltern« einmal versucht hatten, sie uns abzunehmen. Und dann nie wieder. Denn die Kette war glühend heiß geworden und hatte ihnen die Finger verbrannt. Ich jedoch konnte sie immer gefahrlos anfassen. Ich hatte sie abgelegt, da sie ein bisschen schmutzig war und ich sie eigentlich waschen wollte. Schnell rannte ich zu dem Schreibtisch und zog mir die Kette über. Jetzt baumelte sie wieder an meinem Hals, und es fühlte sich richtig an. Vielleicht finden wir ja so unsere Eltern, dachte ich noch. Dann ging ich wieder zur Tür, sah aber noch ein letztes Mal zurück. Irgendwie wusste ich, dass ich hierher nie wieder zurückkommen würde. Plötzlich fühlte ich mich so frei wie noch nie, und ich spürte, dass da ein gewaltiges Abenteuer auf uns zukam, auf meinen Bruder und auf mich ebenso. Lächelnd trat ich in den Flur und schloss leise die Türe hinter mir. »Pst, sei doch ruhig!« »Wah?? Ich habe mir den Ellenbogen angestoßen!« »Warte, ich mache Licht!« Ein Streichholz flackerte kurz in der Dunkelheit auf und beleuchtete für einen Moment unsere Gesichter. Doch es verlosch sofort wieder, und wir fluchten vor uns hin.

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»Mist! Aren, in der Besenkammer, da müssten doch noch Kerzen sein, oder?« »Ich weiß nicht ...« »Kannst du mal nachschauen gehen?« »Wieso ich? Geh doch du, du hast Feuer ...« Plötzlich hörten wir eine Tür schlagen und ich schloss verzweifelt die Augen. Musste unser blöder, bekiffter Onkel gerade in dieser Nacht so durchs Haus wanken? »Bestimmt hat er uns gehört«, flüsterte Aren jetzt entsetzt. Erschreckt starrte ich den dunklen Gang hinunter. Tatsächlich – ein Licht flammte in der Ferne auf und schien näherzukommen. Jedoch sah ich auch die leicht schwankenden Bewegungen, die einen davon überzeugen konnten, dass Onkel Rawa stockbesoffen war. Mir wurde schlecht vor Angst. Wenn unser Onkel uns jetzt finden würde ... Jedoch fiel mir auf, dass wir ihn ja einfach nur auf den Boden hauen müssten, und weg wäre unser Problem. Aber ... genau genommen hatte ich noch nicht so viel Vertrauen in meine »angeblichen Fähigkeiten«. Bevor ich ein Wort zu Aren sagen konnte, schob er mich schon in einen uralten, vergammelten Kleiderschrank, der wahrscheinlich schon Jahrzehnte in diesem Flur herumstand. Der Geruch war ekelhaft und ich musste würgen. Da quetschte sich Aren noch zu mir, jetzt war es in dem Schrank fast nicht mehr auszuhalten. Als er leise die Tür hinter uns zuzog, wünschte ich mir, an jedem anderen Ort, nur nicht hier zu sein. Wir versuchten beide, möglichst ruhig zu sein und irgendwie Luft zu bekommen, was beinahe erfolglos war. 36

Vorhin hatte Cos mir noch zwei Holzschwerter mitgegeben. »Eins für Aren und eins für dich«, hatte er gesagt und mir dabei zugezwinkert. Ich zweifelte, hatte sie aber wenigstens mitgenommen, und das wollte schon was heißen. Ich fragte mich jetzt trotzdem, ob ich es bereuen sollte oder nicht, denn das Schwert, das Cos für mich mitgegeben hatte, nervte echt in diesem engen, stickigen Schrank. Und Aren ging es bestimmt genauso. Jetzt lauschte ich wieder und hörte die Schritte (mit einigen Unterbrechungen, in denen unser Onkel wie eine faule Tomate an die Wand klatschte) auf dem knarzenden Holzboden und hielt mir den Mund zu, um nicht zu laut zu atmen. Ich schaute zu Aren hinüber, dessen dunkler Schatten sich immer mehr von der Wand abhob, je näher das Licht kam. Ich spürte seine Hand und umklammerte sie, als würde es um mein Leben gehen. Die andere Hand hatte ich zur Faust geballt. Das Licht kam immer näher! Da vernahm ich das hohle Husten meines Onkels, der ja eigentlich gar nicht mein Onkel war, und kurz vor unserem Versteck blieb er stehen. Mit seiner schon fast abgebrannten Kerze leuchtete er überall herum und ich konnte seine hässliche Fratze durch den Türspalt sehen. Beinahe glaubte ich auch, dass ich seine Alkoholfahne, deren Geruch ihn immer umströmte, riechen konnte. Aber wenn ich ihn sehen konnte, dann konnte er auch mich sehen, und das war gar nicht gut. Also zog ich mich etwas weiter in den Schatten zurück und atmete erleichtert auf, als Onkel Rawa endlich weitertorkelte. Vielleicht hatte er mich ja in seinem benebelten Zustand 37

nicht sehen können. Wir gaben ihm fünf Minuten. Als die Zeit um war, wagten wir uns langsam hinaus. Nichts war mehr zu hören. »Ha!«, flüsterte Aren triumphierend. »Er hat uns nicht entdeckt!« Auch ich triumphierte innerlich, obwohl das ja fast schon zu einfach gewesen war. Als wir gerade weglaufen wollten, geschah es. Von hinten legte sich eine Hand auf meine Schulter. Und ich sah, dass es bei Aren nicht anders war. Wir schauten uns an und er biss sich auf die Lippe. Mit einem Ruck wurden wir herumgerissen und starrten in das fettige und auch noch vergnügt aussehende Gesicht unseres – wie immer – betrunkenen Onkels. »So, so«, schnurrte er lallend. »Wen haben wir denn da?« Gleich könnten auch noch Noten über seinem Kopf erscheinen, als Zeichen für seinen fröhlichen – und absolut grässlichen – Singsang, mit dem er uns begrüßte. Aren und ich tauschten Blicke aus. Dann, ohne lange zu fackeln, rissen wir uns los und Aren stieß Onkel Rawa eine Faust ins Gesicht. Ich sah, dass er mit der Beherrschung kämpfen musste, als wir beide unsere Schwerter zogen. Ich wusste, wenn Aren jetzt könnte, würde er mich fragen: Und du glaubst, dass das geht? Und ich würde mit ja antworten, doch jetzt hatten wir keine Zeit für Wortspielchen. Torkelnd (ja, Arens Schlag hatte ihn nicht wieder zur Besinnung gebracht, da kann man mal sehen, wie voll der immer ist) versuchte er mich zu schlagen, aber wie gesagt, besoffene Menschen haben´s nicht leicht, und er 38

verfehlte sein Ziel weit und kam dabei auch noch aus dem Gleichgewicht. Ich nutzte diese Chance und rammte ihm mit voller Wucht mein Holzschwert in den Bauch. Onkel Rawa krümmte sich vor Schmerzen und fiel auf die Knie. Der Teppich, auf den er gefallen war, färbte sich rot, blutrot. »Das ...«, keuchte Onkel Rawa, »das zahl ich euch heim, ihr kleinen Biester!« »Wohl kaum«, meinte Aren trocken und stieß ihn mit seinem Fuß an. Onkel Rawa verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße zu sehen war – denn Aren hatte ihn direkt in seine Wunde getreten –, und er fiel endgültig um. Entsetzt starrten wir ihn eine Weile an, bis mein Blick schließlich auf Arens Schuh fiel und ich sagte: »Du hast Blut am Schuh.« »Ist ... ist er tot?«, fragte Aren und zeigte auf Rawa. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Bloß K.O. gegangen, glaube ich. Irgendjemand wird ihn schon hier rausholen ... irgendwann.« »Naja. Ist doch auch egal, oder?« Eigentlich wollte ich ihn entsetzt anschauen, doch ich hatte dieses Gefühl. So etwas hatte ich noch nie zuvor gefühlt, selbst nicht, als ich gegen Cos gekämpft hatte. Ich wollte mehr. Es machte Spaß. Aren und ich sahen uns an. Monster. Dann nahm er mich an der Hand und wir rannten davon. Wir wollten nur noch weg, weg von diesem schrecklichen Ort, an dem wir so fehl am Platze waren. Und Kerzen brauchten wir nun auch nicht mehr.

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Ungeduldig lief Cos hin und her. Seine Wunden hatte er versorgen lassen und sich eine neue Rüstung zugelegt. Immer wieder sah er auf die Uhr. »Wo bleiben die zwei bloß?«, sagte er leise murmelnd zu sich selbst. »In zehn Minuten sollten wir starten, Cos.« Cos fuhr herum. Vor ihm stand Pylos, einer seiner persönlichen Assistenten. »Ach, Sie sind es, Pylos. Ich dachte, es wäre schon wieder dieser schrecklich nervende Sassa.« »Sir«, antwortete Pylos und verbeugte sich. »Es wäre besser, wenn Sie sich jetzt an Bord begeben würden. Die Maschine startet gleich.« »Sie wiederholen sich, Pylos!« Verärgert sah Cos ihn kurz an und spähte dann weiter, ob Aria und ihr Zwillingsbruder endlich kommen würden. Doch niemand war zu sehen. Ich hätte sie nicht alleine lassen dürfen ... Während Cos sich im Stillen Selbstvorwürfe machte, bewegte sich Pylos keinen Millimeter vom Fleck. »Bewegen Sie sich, Pylos«, fauchte Cos ihn an. »Na los! Gehen Sie schon rein!« »Ja, Sir!«, gab Pylos zur Antwort und verschwand. Cos sah sich um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Kein Wunder in dieser Einöde, dachte er. Kurz bevor er Aria getroffen hatte, war das Raumschiff, die Lasycuté, auf dieser Lichtung gelandet, umgeben von ein paar Kilometern Wald. Er hatte keine Zweifel, dass Aria seiner Wegbeschreibung folgen und sehr schnell rennen konnte. Demnach müssten sie eigentlich schon hier sein. Ob ihnen wohl etwas passiert ist?, fragte er sich, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Cos 40

gab ihnen noch drei Minuten. Als auch diese vorüber waren, fluchte er laut vor sich hin: »Verdammt! Jetzt reicht´s!« Er gab ein wütendes Schnauben von sich und drehte sich zur Rampe, über die man ins Raumschiff kam. Als er hinauflief, dachte er nur noch: Meine Mission ist gescheitert. Wie soll ich Sakura nur jemals wieder unter die Augen treten? In diesem Moment hörte er jemand seinen Namen rufen. »Cos! Bitte warten Sie!« Er drehte sich um und sah Aria und einen Jungen, der ihr Ebenbild hätte sein können, hätte er nicht kurze Haare gehabt, neben ihr. »Aria!« Ich sah die Erleichterung in Cos´ Gesicht, als er auf meinen Bruder und mich zukam. »Ich dachte schon, euch wäre etwas passiert«, sagte Cos höflich. »Das hier muss Aren sein, oder?« »Ja, das ist mein Bruder«, antwortete ich, aber innerlich fragte ich mich: Wer denn sonst? »Hallo, Cos«, meinte Aren betont fröhlich, und nur ich wusste, dass es ihm gerade genauso ging wie mir, als ich Cos zum ersten Mal gesehen hatte. Am liebsten würde ich jetzt rufen: Freakig, oder? Doch ich konnte mich gerade noch rechtzeitig zurückhalten. »Wir wurden von unserem Onkel aufgehalten, deshalb kommen wir so spät«, sagte ich und ließ Aren Cos weiter anstarren. »Ihr seid ja gerade noch einmal rechtzeitig gekommen. Ich freue mich, dich kennen zu lernen, Aren.« Cos gab Aren die Hand, und der erwiderte die Freundlichkeit, indem er sagte: »Die Freude ist ganz 41

meinerseits.« Nachdem die beiden sich herzlich die Hände geschüttelt hatten, raunte Cos mir noch fragend zu: »Weiß er es schon?« Ich nickte. »Nun, habt ihr eure Wahl getroffen?« Ich konnte ihm die Anspannung regelrecht ansehen und beschloss, ihn nicht länger warten zu lassen und ihm die Antwort zu geben. Ich schaute meinen Bruder an und er nickte. »Ja, wir werden mit Ihnen kommen«, sagte ich zu Cos gewandt. Erleichtert klopfte er mir auf die Schulter, so wie es Ventus vor einem halben Jahr auch bei mir gemacht hatte. »Das ist sehr erfreulich.« Cos trat zur Seite und bedeutete uns, auf die Rampe zu steigen. Aren und ich fassten uns an den Händen und gingen mutig in das Raumschiff hinein. Keiner von uns beiden blickte zurück.

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KAPITEL 3 Ich wusste selbst, dass die Lasycuté für ein Raumschiff sehr groß war, obwohl ich mich auf diesem Gebiet überhaupt nicht auskannte. Es hatte unzählige Nebengänge und Räume, und in jedem Stockwerk gab es eine riesige Haupthalle, wie Cos mir verriet. Wenn man es von außen betrachtete, so war es ungefähr so groß wie die Titanic, nur hatte es nicht die Form eines Schiffes, sondern die eines Ufos. Insgesamt hatte es fünf Stockwerke und war – natürlich – so rund wie ein Kreisel. Eigentlich hätte es entdeckt werden können, doch wer kam schon so spät in der Nacht noch in den Wald? Und wenn schon, diese Person würde entweder denken, sie sei verrückt oder ... sie sei verrückt. Vielleicht war das ja dann kein guter Ausgang fürs Leben, aber mich sollte es nicht stören, solange es solche Leute wie zum Beispiel mein angeblicher Onkel waren. Im Inneren des Raumschiffes liefen Leute geschäftig hin und her, denn Cos war natürlich nicht allein gekommen, das wäre ja verrückt. Ich fand, dass all die Leute um mich herum sehr merkwürdig aussahen, aber zuerst wusste ich nicht, warum. Und dann fiel es mir mit einem Schlag auf. Die Gesichter und die Haut der Menschen um mich herum waren fiel feiner, viel zarter, niemand, nicht einmal schon etwas ältere Menschen, hatte Falten im Gesicht oder sonst irgendwo. Und sie waren alle ziemlich bleich. Ihre Kleidung war ebenso merkwürdig wie die 43

von Cos und meistens mit reichlich Krimskrams verziert. Zum Beispiel sah ich eine Frau, die ein bauchfreies, eng anliegendes Top trug und eine Hotpants. Das war ja vielleicht noch ganz normal, jedoch trug sie ihre Jacke darüber so, dass man ihre Oberarme sehen konnte. Hinten war diese Jacke ganz normal geschnitten, wie jede andere auch. Verwirrt blinzelte ich, aber die Erscheinung war schon wieder verschwunden. Und die Stoffe ... gab es solche Farben überhaupt? Als ich mich weiter umschaute, entdeckte ich einen Jungen, bei dem ein Hosenbein lang, das andere kurz war. Und dann fiel mir plötzlich dieses Symbol auf. Irgendwie trug es jeder bei sich, auf der Kleidung, auf einer Haarspange, in Form einer Brosche oder anders. Jedoch war es nicht dasselbe Symbol wie Arens und meines. Vorsichtig stopfte ich die Kette unter meinen Pulli und sah aus dem Augenwinkel, dass Aren seine ebenfalls wegsteckte. Irgendetwas sagte mir, dass wir uns sofort zum Feind machen würden, wenn jemand es sehen würde, und zum Glück hatte Cos es vorhin nicht bemerkt. Oder hatte er es einfach nur ignoriert? Als ich die Leute um mich herum weiter betrachtete, fiel mir plötzlich noch ein Merkmal an ihnen auf. Es waren die Haare. Ja, die Haare. Oftmals hatten sie eine ausgefallene Farbe wie grelles Pink oder Grün, und ich sah die wildesten Frisuren, die für diese Leute ganz normal zu wirken schienen. Einem kleinen Mädchen standen ihre zuckerrosafarbenen Haare so ab, als ob sie gerade einen Stromschlag bekommen hätte. Ich folgte ihr mit den Augen. Sie war 44

total süß! So ein niedliches Mädchen hatte ich noch nie gesehen. Cos, der meinen Blick wohl bemerkt haben musste, rief: »Hey, Liz! Komm doch bitte einmal her!« Das Mädchen warf einen Blick über die Schulter zurück, und als sie Cos sah, quietschte sie aufgeregt und rannte auf uns zu. »Papa!«, kreischte sie fröhlich und warf sich in seine Arme. »Du bist wieder da!« Lächelnd befreite Cos sich aus dem Klammergriff seiner Tochter und stellte sie uns mit glitzernden Augen vor. »Zwillinge, das hier ist Lizaria, meine kleine Tochter. Sie ist jetzt zehn Jahre alt. Ich habe auch noch einen Sohn namens Cay in eurem Alter.« Er wandte sich wieder an Liz und sagte: »Liz, darf ich dir Aria und Aren vorstellen?« Liz starrte meinen Bruder und mich mit großen Augen an. »Oh ... ihr seid das also? Seid ihr Zwillinge???« Wir nickten. »Das ist ja so was von cool!«, kreischte Liz so laut, dass ein paar Leute ihr Gespräch unterbrachen und sich nach ihr umdrehten. »Ich wünschte, Cay wäre mein Zwilling!« Mein Bruder und ich schauten uns an und lachten los. Ich beugte mich zu der kleinen, zierlichen Person hinunter und gab ihr die Hand. »Hallo, Liz! Wie gesagt, ich bin Aria und damit der zweite Teil deines Namens.« Liz´ Augen leuchteten auf. »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen!«, rief sie jetzt völlig begeistert. »Das ist ja so was von cool!« Ich kicherte und Aren lachte sich die Seele aus dem Leib. Selbst Cos konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Cool ist ihr Lieblingswort, seitdem Cay es einmal be45

nutzt hat«, sagte er lächelnd. »Ihr solltet euch lieber daran gewöhnen.« Ich sah Liz in ihre eigenartig lila-blau schimmernden Augen, und sie wickelte eine Strähne meines braunen Haares um ihren Finger. »Wieso hast du braune Haare?«, fragte sie verwundert. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich freundlich, doch insgeheim beneidete ich Liz um ihre schönen Haare und ihre Frisur. Sehen dort wo wir herkommen, alle so aus?, fragte ich mich. Und was ist dann mit mir? Und mit Aren? Ich schaute zu meinem Zwilling herüber, der nur kaum merklich mit den Schultern zuckte. »Ich dachte nur, du hättest eine andere Haarfarbe ...«, sagte Liz jetzt leise. Mir entging nicht dieser warnende Blick, den Cos seiner Tochter zuwarf, und ich fragte mich, was das wohl zu bedeuten hatte. Aber inzwischen vertraute ich ihm so sehr, dass ich mir nicht lange Gedanken darüber machte. Cos räusperte sich. »Ähem ... also, Zwillinge! In der Kommandozentrale wird mein Assistent euch alles erklären. Liz, du kannst ja mit ihnen gehen, falls dich die Sache mit den Haaren interessiert.« Mein Bruder und ich blickten uns an, und ich zuckte mit den Schultern. »Okay«, meinte Aren. »Gut«, sagte Cos, »also wo zum Teufel ist Pylos denn schon wieder?« Er sah sich um und sagte dann schließlich: »Bitte wartet doch kurz einmal hier«, und verschwand in der Menge. Aren unterhielt sich mit Liz und ich zupfte noch immer an einer Haarsträhne herum. Ich fragte mich, warum wir so normal aussahen.

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Ob es vielleicht doch Betrug war? Aber das konnte doch nicht sein. Ich meine, welcher normale Mensch könnte sich solche Frisuren machen oder solche Sachen tragen? Dass das hier eine ganz andere Spezies war, hatte ich schon erkannt. In diesem Moment schaukelte das Raumschiff ein wenig und ich erschrak. »Keine Sorge«, meinte Liz, »das passiert immer kurz vor dem Start. Halt dich einfach irgendwo fest.« Sie hielt sich bereits an einer Säule fest und blickte mich ruhig an. »Wir starten?«, fragte Aren. Ich konnte spüren, wie aufgeregt er war und ließ mich von ihm anstecken. Ein etwas komisches Gefühl war es schon, den Planeten zu verlassen, den ich immer als meine Heimat angesehen hatte. Eine Durchsage ertönte und ich konnte mein Herz wie verrückt pochen hören. »Achtung, Achtung! Ich bitte hiermit alle Passanten, sich an Bord zu begeben und sich an einer Säule oder an den Seilen, die nun heruntergelassen werden, festzuhalten. Wir starten in fünfzehn Sekunden! Fünfzehn, vierzehn ...« Ich konnte sehen, wie Aren nach dem Seil griff, das gerade neben ihm heruntergesaust war und sich daran festhielt. »Zwölf, elf ...« »Aria, komm her!« Aren winkte mich zu sich, und in diesem Augenblick fuhr die Rampe hoch und verschloss den einzigen Weg nach draußen. »Zehn, neun, ...« Ich sah, wie rolladenartige Dinger langsam an den Fenstern heruntersurrten und die Aussicht nach draußen verbargen. Ich stürzte zum Fenster und blickte noch ein 47

Impressum Alina Habermann Aria Das dunkle Schicksal der Zwillinge Fantasy-Roman 1. Auflage • September 2015 ISBN Buch: 978-3-944050-67-6 ISBN E-Book PDF: 978-3-944050-68-3 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-348-9 Korrektorat: Manuela Weitz • [email protected] Umschlaggestaltung: Ralf Böhm [email protected] • www.boehm-design.de © 2015 KLECKS-VERLAG Würzburger Straße 23 • D-63639 Flörsbachtal [email protected] • www.klecks-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen beim KLECKS-VERLAG. Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Der Verlag 570

übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unstimmigkeiten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Vanessa Merten Kampf um Rasakien Das Erwachen der Elemente Fantasy-Roman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 754 Seiten ISBN Buch: 978-3-942884-95-2 ISBN E-Book PDF: 978-3-942884-96-9 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-100-3 Moneax. Ganz Rasakien ist dank ihm dem Untergang geweiht und nur ein Wesen vermag es, den Weg zu weisen, ihn zu stoppen. Árlana – Herrin der Erde, Sália – die Herrin der Luft und Linuél – die Herrin des Wassers, sind dazu auserkoren, das Orakel zu finden und mit seiner Hilfe ganz Rasakien zu retten. Doch die Wesen, die sich ihnen in den Weg stellen, werden immer mächtiger und als sie auch noch Árlana zu einer der ihren machen, scheint alles verloren zu sein, bevor der Widerstand sich überhaupt richtig formen konnte …

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Oliver Stauss Das Vermächtnis des Odin Die Träne des Mondes Fantasy-Roman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 598 Seiten ISBN Buch: 978-3-95683-203-1 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-204-8 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-205-5 Astrian lebt als Soldat in Anor und fristet sein Dasein als einsamer Wolf zusammen mit seinem Freund und Kamerad Diego. Als er nach einem fehlgeschlagenen Auftrag ins Schloss zurückkehrt, erhält er die Gelegenheit mit seinem Idol Belmont zusammenzuarbeiten und das geheimnisvolle Heiligtum Odins zu untersuchen. Doch dieser Auftrag verläuft anders als erwartet. Nicht nur das ihr Luftschiff auf dem Weg von einem Lindwurm angegriffen wird, auch Belmont verhält sich merkwürdig. Wird Astrian die Wahrheit hinter der Fassade Anors entdecken?

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Kathrin Gysbers Codierter Lapsus Kriminalroman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 278 Seiten ISBN Buch: 978-3-942884-37-2 ISBN E-Book PDF: 978-3-942884-38-9 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-124-9 Stanley Tyslers Leben ist perfekt. Eine wunderschöne Frau, bezaubernde Töchter, schnelle Autos, eine gut laufende Firma, Millionen auf dem Konto und die Wahl zum Unternehmer des Jahres machen ihn zum glücklichsten Menschen der Welt. Doch plötzlich ändert sich alles: Als seine im Ausland lebende Schwester und ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommen und er ihre Söhne über Weihnachten in Obhut nimmt, gerät seine Welt aus den Fugen. Ein schwarzer Ferrari kracht in seine Lieblingsgarage. Düstere Männer nehmen ihm nicht nur die Familie, sondern auch seine Identität. Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt. Stan sieht sich gefangen zwischen Lügen und Verschleierungen, und findet sich verstrickt mitten in der Suche nach einem geheimnisvollen Schatz … Ein rasantes, ein spannendes Abenteuer, gespickt mit gewandtem Wortwitz. Ein Leseerlebnis, nicht nur für Krimifans.

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