nocebo-effekt - Klecks Verlag

denken Sie: »Es kommt auf jedes Wort an – jetzt über-. 1Um die Lesbarkeit zu .... sich wider, dass wir scheinbar vielmehr über den Placebo-Effekt wissen als über den .... und Tabletten zu wählen, sollten Tropfen vorgezogen werden, obwohl ...
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Dr. Thomas Heller

NOCEBO-EFFEKT Es kommt auf jedes Wort an Patientenfreundliches Gespräch unter besonderer Berücksichtigung von Nocebo-Effekten Fachbuch/Sachbuch

© Lawrence Richards http://www.indievisuals.de

»It is your mind that creates this world« (Buddha)

Inhalt Einleitung ...................................................................... 9 1. Begriff ..................................................................... 11 2. … etwas zum Wirkprinzip ....................................... 19 2.1 Klinische Aspekte ........................................... 26 3. Studien / Beobachtungen / Versuche ...................... 28 3.1 Lokalanästhesie vor Spinalanästhesie ............. 29 3.2 Schokoladen-Versuch .................................... 31 3.3 Laktosegehalt von Tabletten .......................... 34 3.4 Hoffnungslosigkeit kann töten ....................... 35 3.5 Schmerzreduktion .......................................... 37 3.6 Suizidversuch ................................................. 39 3.7 Finasterid bei Prostata-Hypertrophie .............. 40 3.8 Elektromagnetische Felder ............................. 41 3.9 Gender – Studies ............................................ 43 3.10 Nocebo-Effekt – im Alltag ............................ 45 4. Nocebo-Redewendungen ....................................... 48 4.1 Auslösen von Verunsicherung ........................ 49 4.2 »Fachjargon« ................................................. 52 4.3 Doppeldeutige Worte .................................... 55 4.4 Negative Suggestionen .................................. 57 4.5 (Negative) Fokussierung der Aufmerksamkeit 60

4.6 Unwirksamkeit von Verneinungen und Verkleinerungen ........................................... 62 5. Nocebo im Praxisalltag ........................................... 64 5.1 Begrüßung .................................................... 65 5.2 Blutentnahme / Injektion ............................... 67 5.3 Weiterführende Diagnostik ............................ 68 5.4 Neuverordnung ............................................. 69 5.5 »Ethisches Dilemma« ..................................... 71 5.5.1 Patientenrechtegesetz ................................ 74 6. Gehirn / Kommunikation ........................................ 78 7. Achtsamkeit ............................................................ 82 7.1 Welche Menschen sind besonders gefährdet, Opfer des Nocebo-Effektes zu werden? .............. 83 7.2 Wie sich vor dem Nocebo-Effekt schützen? ... 84 7.3 Sind Sie Nocebo-gefährdet? .......................... 85 8. Ärztliche Haltungen ................................................ 87 9. Nachklang .............................................................. 92

EINLEITUNG In meiner Tätigkeit als ärztlicher Psychotherapeut arbeite ich in aller Regel nur mit Worten, daher ist es für mich selbstverständlich, auf Worte und Gesagtes zu achten. Meine Patienten bringen mir allerdings regelmäßig Gesagtes und Zitate meiner ärztlichen Kollegen mit, die mich erschaudern lassen. Mit Worten kann man so viel Gutes tun – leider aber auch das Gegenteil. Hinter vielen dieser Äußerungen kann ich natürlich oft das gut Gemeinte erkennen, aber wie überall im Leben gilt auch hier: gut gedacht bedeutet nicht automatisch gut gemacht. Keine Angst, liebe Kollegen1, das wird hier keine Besserwisser-Kollegenschelte, ganz im Gegenteil. Ich möchte Sie ermutigen, mit einfachen sprachlichen, kommunikativen Mitteln noch besser zu heilen, als Sie es bisher schon tun; und wenn ich mir überlege, dass in meiner Praxis nur die schlechten Äußerungen ankommen, liegt der Gedanke nahe, dass auch viel Gutes gesprochen wird. Worte belasten nicht das Budget, d. h. Sie und Ihre Patienten haben gleichermaßen etwas davon. Vielleicht denken Sie: »Es kommt auf jedes Wort an – jetzt über1 Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, wird die männliche Form mancher Begriffe verwendet, wohl wissend, dass es – hier im Beispiel – natürlich auch Kolleginnen gibt. Niemand möge sich durch die Verwendung der männlichen Form verletzt oder zurückgesetzt fühlen, ich weiß ja, es kommt auf jedes Wort an . Auch werden an der einen oder anderen Stelle Symbole verwendet, die wir vom SMS-Schreiben oder WhatsAppen kennen, aber wenn es der Verdeutlichung dient – warum nicht ☺?

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treibt der Psychodoktor aber«, ich hoffe jedoch, dass Sie nach Lektüre meiner Ausführungen daraus ein »Vielleicht hat er ja doch recht, ich probiere es mal« machen können. Am Ende des Buches möchte ich Ihnen noch ein paar allgemeine Haltungen zum Arztberuf – oder besser Arzt sein – näher bringen, denn der Beruf des Arztes und Heilers ist und bleibt meiner Meinung nach trotz aller Technik und trotz allen pharmakologischen Fortschritten eine Herzenssache. Ich greife dabei auf das Buch »Die verlorene Kunst des Heilens«2 zurück, eine Lektüre, die jeder Arzt oder Medizinstudent einmal gelesen haben sollte – wenigstens im Urlaub ☺.

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Lown B. Die verlorene Kunst des Heilens. 2. Aufl. Stuttgart; Schattauer 2004

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1. BEGRIFF Das Deutsche Ärzteblatt greift in seiner Ausgabe 06/2012 den Begriff Nocebo auf und widmet ihm eine Titelgeschichte. Das Schattenspiel auf dem Titelbild deutet bereits an: Nocebo – der grausame Bruder von Placebo.

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Es wird schnell klar, dass es zu Nocebo-Effekten natürlich keine durchgeplanten Studien geben kann – wie zum Placebo-Effekt –, weil man Probanden oder Patienten aus ethischen Gründen nicht wissentlich negativen Effekten aussetzen kann und darf; weil, und das ist ein Hauptargument gegen Versuche zu Nocebo-Effekten, Ärzte ihren Patienten nicht schaden dürfen, aber gerade das geschieht ja, wenn Ärzte oder medizinisches Personal unwissentlich oder unwissend Nocebo-Botschaften transportieren. Hierzu zunächst ein kleiner Exkurs zum Eid des Hippokrates: Ich schwöre bei Apollon dem Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnen, indem ich sie zu Zeugen rufe, dass ich nach meinem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Vereinbarung erfüllen werde: Den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleichzuachten meinen Eltern und ihm an dem Lebensunterhalt Gemeinschaft zu geben und ihn Anteil nehmen zu lassen an dem Lebensnotwendigen, wenn er dessen bedarf, und das Geschlecht, das von ihm stammt, meinen männlichen Geschwistern gleichzustellen und sie diese Kunst zu lehren, wenn es ihr Wunsch ist, sie zu erlernen ohne Entgelt und Vereinbarung und an Rat und Vortrag und jeder sonstigen Belehrung teilnehmen zu lassen meine und meines Lehrers Söhne sowie diejenigen Schüler, die durch Vereinbarung gebunden 12

und vereidigt sind nach ärztlichem Brauch, jedoch keinen anderen.

Die Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meinem Vermögen und Urteil, mich davon fernhalten, Verordnungen zu treffen zu verderblichem Schaden und Unrecht. Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben: Heilig und fromm werde ich mein Leben bewahren und meine Kunst. Ich werde niemals Kranke schneiden, die an Blasenstein leiden, sondern dies den Männern überlassen, die dies Gewerbe versehen. In welches Haus immer ich eintrete, eintreten werde ich zum Nutzen des Kranken, frei von jedem willkürlichen Unrecht und jeder Schädigung und den Werken der Lust an den Leibern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven. Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung, im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf. Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht breche, so möge mir im Leben und in der Kunst Erfolg beschieden sein, dazu Ruhm unter allen Menschen

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für alle Zeit; wenn ich ihn übertrete und meineidig werde, dessen Gegenteil. Oder etwas moderner die Genfer Deklaration: (Genfer Gelöbnis)

Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Erhaltung u. Wiederherstellung der

Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen, weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztlichen Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werde meinen Lehrern und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich feierlich auf meine Ehre.

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Also: wollen täten wir ja schon ☺ … Zurück zum Thema. Bei Untersuchungen/Beobachtungen/Studien zum Nocebo-Effekt handelt es sich oft um Beobachtungen, die bei Placebo-Untersuchungen quasi als Nebenprodukt gemacht wurden oder um (zufällige) Beobachtungen, die sich nur durch NoceboEffekte erklären lassen. Das geht auch aus der Darstellung im Deutschen Ärzteblatt hervor, in welcher das Vorhandensein von 2235 Studien zum Placebo-Effekt gegenüber nur 151 Studien zum Nocebo-Effekt dargestellt wird. Das soll und darf aber natürlich die tatsächliche Existenz der Nocebo-Effekte nicht in Abrede stellen.

Deutsches Ärzteblatt Int 2012; 109(26): 459-65; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0459

Auch in Wikipedia spiegelt sich wider, dass wir scheinbar vielmehr über den Placebo-Effekt wissen als über den

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Nocebo-Effekt. Sehen wir einmal nach, was die Wikipedianer zum Nocebo-Effekt zusammengetragen haben: Nocebo-Effekt – nach Wikipedia3: Der Nocebo-Effekt (von lat. nocere = schaden, nocebo = ich werde schaden) ist – analog zum Placebo-Effekt (lat. placebo = ich werde gefallen) – eine scheinbare negative Wirkung eines Arzneimittels. Er bezeichnet eine Reaktion auf ein medizinisches Präparat ohne spezielle Wirkung bzw. auf die gerüchteweise die Gesundheit oder das Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigende Wirkung einer umweltverändernden Maßnahme. Im Gegensatz zur positiven Wirkung beim Placebo-Effekt erfolgt beim Nocebo-Effekt eine negative Reaktion. Zum Placebo-Effekt hingegen sind die Ausführungen deutlich umfangreicher: Placebo-Effekt – nach Wikipedia4: Ein Placebo (lat.: ich werde gefallen) ist im engeren Sinn ein Scheinarzneimittel, welches keinen Arzneistoff enthält und somit auch keine durch einen solchen Stoff verursachte pharmakologische Wirkung haben kann. Im erweiterten Sinn werden auch andere Scheininterventionen als Placebo bezeichnet, beispielsweise Scheinoperationen. 3

http://de.wikipedia.org/wiki/Nocebo-Effekt

4

http://de.wikipedia.org/wiki/Placebo-Effekt

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Placebo-Effekte sind positive Veränderungen des subjektiven Befindens und von objektiv messbaren körperlichen Funktionen, die der symbolischen Bedeutung einer Behandlung zugeschrieben werden. Sie können bei jeder Art von Behandlung auftreten, also nicht nur bei Scheinbehandlungen. Placebos werden in Placebo-kontrollierten klinischen Studien eingesetzt, um die therapeutische Wirksamkeit verschiedener jeweils als Verum bezeichneter Verfahren möglichst genau erfassen zu können, idealerweise in Doppelblindstudien. Die Anwendung von Placebos zur Behandlung von Krankheiten außerhalb solcher Studien ist ethisch umstritten, wenn sie nicht auf einer informierten Einwilligung beruht und nicht im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Patient und Arzt erfolgt. Die Aufklärung eines Patienten über den Einsatz von Placebos scheint mir allerdings fast etwas aberwitzig: Sie erhalten jetzt eine Behandlung ohne ein pharmakologisches oder medizinisches Substrat, aber wir gehen einmal davon aus, dass es ihnen hilft. Hallo – wie soll das denn gehen? In (Doppelblind-) Studien geht das natürlich. Zum Glück hat der Patient aber auch das Recht, nicht aufgeklärt zu werden (siehe 5.5.1 Patientenrechtegesetz); nur so kann die Droge Arzt zum Einsatz kommen. Die (umfangreicheren) Ausführungen zum PlaceboEffekt lassen sich natürlich auch auf den Nocebo-Effekt 17

übertragen, da die Wirkmechanismen die gleichen sind, eben nur mit einem negativen Vorzeichen.

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2. … ETWAS ZUM WIRKPRINZIP Der Psychologe Prof. Dr. Stefan Schmidt5 führt zum Wirkprinzip der Nocebo-Effekte aus: »Hatte man bisher gedacht, dass ein Placebo eher psychisch vermittelt, das eigene subjektive Wohlbefinden verbessert und so die Symptombewertung positiv färbt, musste man nun feststellen, dass es sich hier um ein hochspezifisches physiologisches und neurobiologisches Geschehen handelt, das der Wirkweise von pharmakologischen Interventionen in nichts nachsteht«. Zum gleichen Ergebnis kommt Prof. Dr. Michael Witthöft6 in einer Studie, die sich mit dem Phänomen der elektromagnetischen Hypersensitivität befasst hat. Bei dieser Symptomatik reagieren die Betroffenen nach eigenen Angaben auf elektromagnetische Wellen wie Handy-Strahlung mit Beschwerden. Sie zeigen körperliche Reaktionen. »Es spricht allerdings vieles dafür, dass es sich bei der elektromagnetischen Hypersensitivität um einen sogenannten Nocebo-Effekt handelt. Allein die Erwartung einer Schädigung kann tatsächlich Schmerzen 5 http://www.neuraltherapie-blog.de/?p=3683 Der Psychologe Prof. Dr. Stefan Schmidt lehrt an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Komplementärmedizin für approbierte Ärzte. Gleichzeitig leitet er am Universitätsklinikum Freiburg die »Akademische Sektion Komplementärmedizinische Evaluationsforschung« am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene. 6 Prof. Dr. Michael Witthöft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz; 55099 Mainz; DOI: 10.1016/j.jpsychores.2012.12.002

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oder Beschwerden auslösen, wie wir es umgekehrt im Bereich schmerzlindernder Wirkungen auch von Placebo-Effekten kennen.« (Studie siehe 3.8). Die bildgebenden Verfahren, die es erlauben, dem Gehirn beim Arbeiten zu zusehen, belegen, dass Nocebowie Placebo-Effekte ein Korrelat auf neurophysiologischer Ebene haben, die weit über »reine Einbildung« hinausgehen. Bei den o.g. Effekten spielen Erwartungen, Haltungen, Wünsche, aber auch Befürchtungen und eigene Zweifel eine große Rolle. Nachfolgend einige Gründe, die zum vermehrten Auftreten von Nocebo-Effekten führen. Patientenseitig finden sich: • Mangelnde Motivation, gesund zu werden • Misstrauen gegenüber der Methode oder dem Behandler • Erwartung einer Verschlimmerung • Krankheitsgewinn, der eine Verbesserung verhindert • (Fehl-) Info durch (gute) Freunde • Ängstlichkeit • Ideologien zur Krankheitsentstehung oder Behandlung • Vorerfahrungen, eigene und beobachtete • Glaubwürdigkeit einer Behandlung (oft beeinflusst von Medien)

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Aber auch der Arzt oder die Behandlung selbst können Nocebo-Informationen transportieren: Auf Seiten des Arztes/der Behandlung findet man: • Schlechte Informationsvermittlung • Schlechter Ruf des Arztes/der Behandlung • Fehlende Empathie • Ideologien (»Wenn Sie drauf bestehen, machen wir es halt«) • Ängstigende Beipackzettel • Generell nebenwirkungsreiche Behandlung • Keine Zeit, kein Interesse Nocebo-Effekte können beim Patienten alles auslösen, was man sich vorstellen kann, also auch alles, was im Beipackzettel zu lesen ist. Beipackzettel stellen für Nocebo-gefährdete Patienten (siehe Kapitel Achtsamkeit) ein besonderes Problem dar, zumal viele Patienten nicht auf die statistische Wahrscheinlichkeit achten, mit der eine Nebenwirkung auftreten kann, oder diese Angaben nicht bewerten können. Auf Nebenwirkungen, die in Beipackzetteln aufgeführt sind, trifft jedoch wie auf alle anderen Statistiken zu: sie gelten nur bei großen Fallzahlen und müssen für das Individuum keine Bedeutung haben. Für einen Nocebo-anfälligen Patienten, der das liest, können Kopfschmerzen auftreten, unabhängig von einer Wahrscheinlichkeit 1/10 oder 1/100.000. [Hierbei spielt natürlich die Haltung des Patienten eine entscheidende Rolle: einer von zehn – ich gehöre sicher zu den neun anderen, das wäre ja total gut ☺; aber es

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kann auch einem richtigen Pessimisten sicher gelingen, bei einer Wahrscheinlichkeit von eins zu zehntausend zu sagen: der eine bin bestimmt ich]. Ungeachtet dessen kann eine Vielzahl von Symptomen nocebo-bedingt auftreten. Wir unterscheiden hier: Subjektiv empfundene Symptome wie • Übelkeit • Kopfschmerzen • Erschöpfung • Benommenheit • Libidoveränderungen • Alpträume • Schlafstörungen und objektivierbare Symptome wie • Hautreaktionen • Veränderungen Blutdruck • Veränderungen Herzfrequenz • Schwitzen • Gewichtsveränderungen Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch die objektivierbaren Symptome unabhängig von einer pharmakologischen Substanz oder einer medizinischen Behandlung auftreten können; die Tatsache, dass sie auch vom Behandler wahrgenommen werden können, bedeutet nicht automatisch, dass es dafür einen (handfesten) Grund jenseits der Nocebo-Effekte geben muss. 22

Das Auftreten von Symptomen oder Veränderungen hängt entscheidend von der Wirkerwartung des Patienten ab. Dabei gibt es nicht nur Erwartungen, die durch den Beipackzettel, Freunde, eigene Erfahrungen oder den Arzt genährt werden, es gibt auch allgemeine Wirkerwartungen, die in einer Gesellschaft vorhanden sind, ohne dass sie erwähnt werden müssen. Erwartungen beispielsweise in Bezug auf Farbe, Größe und Art der Anwendung/des Medikamentes; solche allgemeinen Erwartungen können vom Behandler allerdings auch genutzt werden. Allgemeine Faktoren der Wirkerwartung: • Farbige Pillen suggerieren spezifische Wirkungsweisen • Blau: sedierend; helfen bei Erregungszuständen • Pink: stimulierend • Grün: gegen Angstzustände/Schmerzen • Gelb: gegen Depressionen • Rot: gegen Schmerzen & Entzündungen • Besonders kleine/große Pillen wirken besser als normal große?! • Operationen > Spritzen > Pflaster > Tropfen > Tabletten Die Kenntnis solcher allgemeinen Wirkerwartungen können vom Behandler für den Patienten genutzt werden. Da allein schon die Größe einer Tablette bereits Informa23

tionen für den Patienten transportiert, macht es beispielsweise Sinn, bei einer Verordnung auf eine höhere Dosierung zurückzugreifen (z.B. 20 mg) und dem Patienten nur eine halbe Tablette zu verordnen, wenn Sie 10 mg für angemessen und sinnvoll halten. Der Patient übernimmt daraus bereits Informationen, die helfen, das gewünschte Behandlungsziel zu erreichen: es muss sich um ein gutes Medikament handeln, denn es reicht ja eine halbe Tablette ... Gleichzeitig entsteht bei ihm das Gefühl: ich bin ja doch nicht so krank! Einstellungen, die sich beim Patienten positiv auf seine Genesung auswirken, ohne ein pharmakologisches Eingreifen. Aber auch für den Arzt bringt diese Vorgehensweise Vorteile: sie ist gut für das Budget und die Dosis kann problemlos auf eine ganze Tablette erhöht werden; Patienten nehmen in solch einem Fall dann lieber eine ganze Tablette (hier 20 mg), als zwei (hier also 2 x 10 mg). Hier würde umgekehrt bei der Einnahme von zwei Tabletten zum Tragen kommen: ich brauche zwei Tabletten, ich bin ja doch kränker, als ich gedacht habe – eine Einstellung, die sicher nicht zur Genesung beiträgt. Ähnliches trifft auf die Art der Darreichung zu. Aufgrund der allgemeinen Wirkerwartung versprechen sich Patienten von Tropfen eine bessere Wirkung als von Tabletten. Wenn also die Möglichkeit besteht, zwischen Tropfen und Tabletten zu wählen, sollten Tropfen vorgezogen werden, obwohl Tabletten für Behandler und Patienten bequemer wären: auch hier ist es natürlich einfacher, die 24

Dosierung bei Bedarf individuell zu verändern; unabhängig davon wirken genau 17 Tropfen besser als eine Tablette – selbst wenn es pharmakologisch die gleiche Menge an Wirksubstanz ist. Zu Nocebo-Effekten werden verschiedene Wirkprinzipien angedacht. Man spricht von einem assoziativen Ansatz, hierbei werden lernbedingte Effekte aus eigenen oder beobachteten Erfahrungen zur Erklärung angenommen, die die Hormonfreisetzung oder Immunfunktionen beeinflussen. Beim mentalistischen Ansatz beobachtet man erwartungsbedingte Effekte, bei denen ein linearer Zusammenhang zwischen Höhe der patientenseitigen Erwartung und eintretenden Effekten besteht. Schließlich gibt es noch die klassisch konditionierten Effekte, an denen Hirnstamm, Corpora amygdaloidea, Hypothalamus oder insularer Kortex beteiligt sind. [Mein persönliches Aber an dieser Stelle: eigentlich ist es mir im ärztlichen Alltag egal, warum oder wie genau es funktioniert – ich nutze das Ergebnis. Genauso wie ich im Auto die Kupplung trete, damit kein Getriebesalat entsteht. Oder können Sie mir erklären, wie eine Kupplung funktioniert ☺?)

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2.1 Klinische Aspekte Ein Arztbesuch oder ein Krankenhausaufenthalt stellen für die meisten Menschen eine Extremsituation dar. Das liegt zum einen sicher daran, dass solche Besuche in aller Regel (und glücklicherweise) eher selten vorkommen und (daher) nicht geübt werden können, aber auch, weil sie oft mit einem Gefühl des Krankseins, des Ausgeliefertseins, im schlimmsten Fall mit Schmerzen oder sonstigen unangenehmen Befürchtungen und Erinnerungen behaftet sind. Allein schon der Begriff Krankenhaus transportiert negative Informationen, hier wären im Sinne der Ausführungen dieses Buches Begriffe wie Gesundungshaus, Genesungshaus, aber auch schon Spital oder Klinik sicher besser. [Die Hospiz- und Palliativbewegung war bei der Namensgebung geschickter, spricht man doch hier von Hospiz (aus dem Lateinischen: hospitium (Herberge)) und nicht von Sterbehaus. Der Begriff Palliativ kommt ebenfalls aus dem Lateinischen: pallium (Mantel) bzw. palliare (mit einem Mantel umhüllen, verbergen); Begrifflichkeiten, die Positives vermitteln]. Zurück zur Extremsituation: in solch einem Zustand gerät der Patient in einen tranceähnlichen Zustand, in dem er alles, was er hört und sieht, auf sich bezieht und dabei Details, die Angst machen, mit besonderer Aufmerksamkeit belegt. Menschen in so einem Zustand sind leicht beeinflussbar und intellektuell eingeschränkt. Denken Sie in diesem Zusammenhang nur an die ShowHypnosen, die ja mal eine Zeitlang sehr in Mode waren; auf die hypnotisierten, sich in Trance befindenden Men26

schen trifft es überdeutlich zu: sie beziehen die Anweisungen auf sich, sind leicht beeinflussbar und intellektuell eingeschränkt – und machen jeden Scheiß (zum Glück wenigstens freiwillig) mit. In solchen für den Patienten extremen Situationen ist es daher besonders wichtig, sorgfältig und bedacht mit Worten, Begrifflichkeiten oder dem Fachjargon umzugehen, weil die Informationen, die bei den Patienten ankommen, mit entscheidend sind für den Behandlungserfolg bzw. Krankheitsverlauf. Dabei kommt es, wie gesagt, darauf an, was beim Patienten ankommt und nicht darauf, was der Behandler gesagt hat bzw. sagen wollte. Zusammenfassend in der Übersicht: • Arztbesuch / Krankenhausaufenthalt • Extremsituation • Trancezustand: Patienten ... • … beziehen alles auf sich • … fokussieren Details, die Angst machen können • … sind leicht beeinflussbar • … sind intellektuell eingeschränkt

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3. STUDIEN / BEOBACHTUNGEN / VERSUCHE Es gibt keine bzw. wenig konkrete Untersuchungen zum Nocebo-Effekt selbst, da man Patienten/Probanden aus ethischen Gründen nicht schädigen darf, und eine Nocebo-Information macht ja nichts anderes – sonst

wäre sie ja placebo ☺. Es gibt allerdings Begleitbeobachtungen oder vergleichende Gegenüberstellungen, aus denen sich Nocebo-Effekte ableiten lassen. Nachfolgend einige Beispiele.

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3.1 Lokalanästhesie vor Spinalanästhesie7 Patienten, die eine Spinal-Anästhesie erhalten sollten, wurden mit unterschiedlichen Ankündigungen auf diese Prozedur vorbereitet: • Nocebo-Ankündigung: Sie werden jetzt einen Stich und ein Brennen am Rücken spüren, als hätte Sie eine Biene gestochen, das ist der schlimmste Teil der ganzen Prozedur. • Placebo-Ankündigung: Wir werden Ihnen jetzt eine Lokalanästhesie geben, die den Bereich taub macht, wo wir die Epidural-Spinal-Anästhesie durchführen, damit es für Sie angenehm ist. Die Nocebo-Ankündigung versucht natürlich auch, den Patienten auf das vorzubereiten, was geschehen soll. Vergleiche mit bekannten Erlebnissen (Bienenstich) sollen Angst nehmen und Vertrauen schaffen, aber die negativen Erfahrungen mit Bienenstichen können hier nicht durch ein »Ah, das kenne ich« ausgeglichen werden. In dieser Ankündigung wird eindeutig auf das negativ zu Erwartende fokussiert. Anders bei der Placebo-Ankündigung, die zwar sehr mit Fachbegriffen beladen ist, aber durchweg auf das 7 Varelmann D, Pancaro C, Capiello EC, Camann WR: Nocebo-induced hyperalgesia during local anesthetic injection. Anesth Analg 2010

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Positive fokussiert (taub machen [also erfahrungsgemäß schmerzfrei], angenehm sein). – Fachbegriffe können auch den Eindruck von Kompetenz und Wissen vermitteln, und jeder Patient wünscht sich einen kompetenten Arzt. Die Patienten sollten nach der Spinal-Anästhesie auf einer 11-stufigen Skala ihre Schmerzen angeben (0 keine Schmerzen, 10 starke Schmerzen); es ergab sich ein signifikanter Unterschied der wahrgenommenen Schmerzintensität im Median 5 versus 3 (»Nocebo« versus »Placebo«).

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3.2 Schokoladen-Versuch8 Im Schokoladen-Versuch (der hier sinngemäß wiedergegeben wird) sollten zwei Gruppen von jeweils 54 freiwilligen Testpersonen ohne Kopfschmerzanamnese eine Schokolade testen und ihre Beobachtungen über 24 Stunden dokumentieren. Die eine Gruppe erhielt eine handelsübliche Schokolade, die zu Testzwecken in neutraler Alufolie verpackt und mit einer roten Markierung versehen war, mit dem Hinweis, dass das neue Schokoladenrezept eventuell Kopfschmerzen auslösen könnte. Die andere Gruppe erhielt die gleiche Schokolade, ohne Markierung und ohne Hinweis auf Kopfschmerzen. Die Auswertung ergab, dass in der Gruppe mit der »Kopfschmerz-Schokolade« 34 Prozent der Probanden über Kopfschmerzen klagten, in der neutralen Gruppe dagegen nur ein Proband. Prof. Göbel fasst das Ergebnis zusammen: »Das Gehirn zeigt uns die Welt so, wie das Gehirn die Welt formt; wenn jetzt das Gehirn in diese Formung Erwartungen einbaut, die zukünftig entstehen könnten, Vorstellungen, Nocebo-Effekte, dann wird sich auch das Ergebnis dieses Bildes tatsächlich ändern, und wir haben plötzlich Symptome. Das Gehirn lässt uns Dinge erleben, die wir ohne diese Instruktion so gar nicht erlebt hätten«.

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Neurologe Prof. Dr. Göbel, Schmerzklinik Kiel

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Mit seiner Zusammenfassung ist er sehr nahe an einer Erkenntnis von Buddha: It is your mind that creates this world Damit zeigt er uns, dass es in der Tat auf jedes Wort ankommt, weil das Gehirn aus jedem Wort – und aus allem, was es sieht – etwas macht. Und das auch noch 32

unabhängig davon, ob wir es wollen oder nicht, und ohne dass wir es bemerken. Aber, und das ist ja sehr tröstlich, das funktioniert auch mit positiven Botschaften bzw. wenn wir die negativen Botschaften einfach weglassen.

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3.3 Laktosegehalt von Tabletten9 Der Laktosegehalt von Tabletten schwankt zwischen 0,03 und 0,5 Gramm. Geringe Mengen an Laktose bis 10 Gramm werden von fast allen Betroffenen mit einer Laktoseintoleranz vertragen. Klagen über gastrointestinale Beschwerden von Menschen mit Laktoseintoleranz bei Einnahme von laktosehaltigen Medikamenten können daher – bei Information des Arztes oder nach Recherche der Patienten – durch Nocebo-Effekte bedingt sein. An dieser Stelle hat der Arzt allerdings Aufklärungspflicht, ohne die es im Fall der Laktoseintoleranz zwar sicher vielen Patienten besser ginge, aber gegen Dr. Google und Beipackzettel ist Dr. Hausarzt ja eh machtlos .

9 Vernia P,Di Camillo M, Foglietta T: Diagnosis of lactose intolerance and the „nocebo“ effect: the role of negative expectations. Dig Liver Dis 2010; 42: 616-9

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Impressum Dr. Thomas Heller NOCEBO-EFFEKT Es kommt auf jedes Wort an Fachbuch/Sachbuch 1. Auflage • September 2015 ISBN Buch: 978-3-95683-200-0 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-201-7 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-202-4 Korrektorat: Manuela Weitz [email protected] Umschlaggestaltung: Ralf Böhm [email protected] • www.boehm-design.de © 2015 KLECKS-VERLAG Würzburger Straße 23 • D-63639 Flörsbachtal [email protected] • www.klecks-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen beim KLECKSVERLAG. Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zu Schadenersatz.

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Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Der Verlag übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unstimmigkeiten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Dr. Ralf Kunkel Mut zum Besuch beim inneren Kind Fachbuch/Ratgeber Taschenbuch • 13 x 20 cm • 75 Seiten ISBN Buch: 978-3-95683-064-8 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-065-5 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-122-5 Dr. med. Ralf Kunkel, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, kreiert in seinem Werk die Figur eines Beraterbärens namens ›Mutmacher‹, der dem Leser aus seinem Beratungsalltag erzählt. Anhand von vier frei erfundenen Klientenfällen werden in sehr konkreter, ansprechender und direkt mit dem Leser kommunizierender Art verschiedenste Möglichkeiten aufgezeigt, wie man auf kreative, imaginative oder spielerische Weise mit seinen inneren Anteilen (bzw. Seiten oder ego states) – ob nun den traurigen, wütenden, ängstlichen oder kindlichen – auf fürsorgliche und heilsame Weise in Kontakt treten kann. Ein kreatives, spannendes und empathisch geschriebenes Buch, das zu Selbstfürsorge und -verantwortung bestärkt. Stellen Sie sich Ihrem inneren Kind – seien Sie mutig!

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Dr. Karin Bach Burn-out Das Leben nach der Diagnose Sachbuch/Ratgeber Taschenbuch • 13 x 20 cm • 162 Seiten ISBN Buch: 978-3-942884-85-3 ISBN E-Book PDF: 978-3-942884-86-0 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-099-0 »Humor ist, wenn man trotzdem lacht.« Unter diesem Motto nähern wir uns der Thematik des Burn-out, beleuchten den Hintergrund der Erkrankung, erleben die Sichtweise unserer Angehörigen und erfahren hier, was uns denn so krank gemacht hat. Wer es ablehnt, sich mit seiner Selbstmissachtung auseinanderzusetzen, der lege schleunigst dieses Buch ins Regal zurück und setze seine frustrane Suche nach dem wahren Schuldigen fort. Dieses Buch wendet sich an alle, ob Arzt oder nicht, die mit dem Burn-out-Syndrom konfrontiert wurden, sei es als Betroffener oder als Angehöriger.

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