kostenlose Leseprobe - Klecks Verlag

»Woher willst du das wissen, Semni?« »Seine Spur führt hier talauf.« ... der Anführer sie nutzlos anschrie, dass sie aufhören sollten. Erbost rannte er in die.
3MB Größe 12 Downloads 483 Ansichten
Ernstfried Protzmann

WENI Band 2

Wesir der Könige Roman

Inhalt Sinai – Türkisterrassen – Sandbewohner Kapitel 1 Zedernholz aus dem Libanon Kapitel 2 Erniedrigung der Fremdländer – Vollendung und Siegesfest Kapitel 3

9

89

143

Geheimrat des Königs – von allen geheimen Befehlen über die Türen der Fremdländer Kapitel 4 163 Kobramann, Zauberer mit bösem Blick Kapitel 5

206

Wenn der Hauch des Lebens verweht Kapitel 6

229

Vergessene Spuren Kapitel 7

260

Herr des Regierungsjubiläums Kapitel 8

283

Meren-Re Kapitel 9

310

Vorsteher des ganzen Oberägypten und Oberhaupt der Länder von Oberägypten Kapitel 10 393 Pepi, Meri-Re – Der mit ruhigem Herz, Der auf seiner Totenbahre liegt Kapitel 11

398

Arbeit nach seinem Herz Kapitel 12

418

Lebenshauch eines, der über Zeit und Endlichkeit nachdenkt Kapitel 13

482

SINAI TÜRKISTERRASSEN SANDBEWOHNER KAPITEL 1

D

ie rauen und zerklüfteten, senkrecht aufragenden, dicht übereinander liegenden Felswände der Talschlucht lagen in der satten, hitzegeschwängerten Mittagsglut. Kein Laut durchbrach die Ruhe. Rotgelb, bisweilen auch tuffgrau sahen die Steinwände auf das mit feinem weißen Sand gefüllte Tal hinab, dessen makellose Reinheit hier und da durch abgestürzte Steintrümmer unterbrochen und gestört wurde. Wo die Felsen etwas vorsprangen oder über ragten, entstanden kleine schwarze Schatten, die wie Fremdkörper das Gleichgewicht der Ruhe und des Lichtes störten. Die Luft schwang zitternd, kochend von einer Talseite zur anderen, die einzige Beweglichkeit in der starren Erhabenheit der rot behaupteten Gebirgsmasse. Land der Türkisgöttin Netjert-mefkatju, Land der großen Göttin Hat-Hor1, Land der Lieblingsgöttin des ›Guten Gottes‹, Land der lieblichen schmeichelnden Göttin, der Göttin der Lust und Freude und der schönen Steine. Fürwahr, ein gewaltigeres Land ist nirgends im Reich des ›Guten Gottes‹ zu finden. Im finsteren Schlagschatten einer der Felsvorsprünge entstand plötzlich Bewegung. Eine Gestalt wickelte sich aus einem verstaubten Tuch und richtete sich auf. Es war ein Mann in unschätzbarem Alter. Sein bräunlich runzeliger, wettergegerbter, lederner Körper streckte sich und zeigte an den dünnen Gliedern harte Muskelstränge. Er war bis auf einen ledernen Lendenriemen als Gürtel, an dem ein Feuersteinmesser an langer, aufgerollter, dünner Lederschnur hing, unbekleidet. Aus einer Wandnische nahm er einen Bogen und einen Lederköcher und hängte sich diese auf 1

Göttin Hathor, u.a. Liebe, Fruchtbarkeit, Sexualität, Musik.

9

den Rücken, derweilen seine Augen aufmerksam die Stille des Tales abtasteten. Sorgsam rollte er sein Tuch zusammen und band es mit zwei Lederriemen an seinen Gürtel. Trotz der erstickenden Hitze verließ er den Schatten und querte zur gegenüberliegenden Felswand des Tales. Dabei suchten seine Augen den Boden nach Spuren ab, doch er fand scheinbar nichts. »Der Wind hat sie heute Nacht verweht«, murmelte er mehrfach. »Es können nicht viele gewesen sein. Zerbal wird sich freuen.« Der Mann schlenderte wieder zu seinem schattigen Platz zurück, hockte sich beobachtend auf die Fersen und wartete. Als die Schatten länger wurden und die Talwand auf seiner Seite zur Gänze überschütteten, erhob er sich und folgte dem Tal aufwärts. Dabei vermied er sorgsam jedes Geräusch oder jede hastige, auffällige Bewegung. »Sie sind dumm, sehr dumm. Sie machen es Moki leicht. Zerbal wird an seinem Sohn Freude haben.« Der Mann sprach leise mit sich selbst, wie es oft Menschen tun, die viel allein sind. Nun erreichte er eine Talgabel. Hier löste sich der Talfluss in drei unterschiedlich breite Täler auf. Moki sah sich vorsichtig um und entdeckte an der gegenüberliegenden Felswand zu den linken Teilansichten, kaum zwei Steinwurf weit, ein kleines steinernes Bauwerk aus roh behauenen Quadern und aufgeschichteten Geröllsteinen. Vor dem schwarzen Eingangsloch des an den Fels gebauten Baus, im Schatten der Felsen, hockte ein Mann und schien allem Anschein nach zu schlafen. Er war mit einem ledernen Lendenschurz und einer grauen Filzkappe mit schmutzigen Nackentuch bekleidet; hinter ihm, an der Wand, lehnten ein Lederschild und ein steinspitzenbewehrter Speer. Moki lächelte geringschätzig. »Er ist mit Blindheit geschlagen. Seine Götter müssen sich von ihm abgewandt haben – oder nicht sehr viel taugen.« Moki glitt dicht an den Boden geschmiegt an der diesseitigen Felswand entlang in das bewachte Tal. Hinter einer Wegbiegung, in der sich das Tal bis auf wenige Schritte zu einer engen, schattigen Schlucht verengte, richtete er sich auf und folgte nun dem immer enger werdenden Pfad, dessen Boden vom feinen Sand am Eingang bald in groben Schotter überging. Der Pfad war mühsam und stieg alsbald steil an. Je höher Moki kam, umso heller und weicher wurden die Schatten; hinter einer scharfen Rechtskrümmung hörte er ganz auf. Vor Moki lag eine Geröllrinne, in der festgeschichtete, kopfgroße Steine die Fortsetzung des Pfades bezeichneten. Moki spähte in die Höhe. Seinen falkenscharfen Augen entging nicht die Wächtergestalt, die dort oben, am Rinnenrand im Schatten eines Überhangs auf den Speer gestützt stand. »Er kann alles übersehen«, murmelte Moki enttäuscht. »Er könnte

10

ganz allein den Pfad verteidigen, und für einen sicheren Pfeilschuss ist er zu weit. Er wird auch nicht allein sein.« Wie zur Bestätigung erschien in diesem Moment ein zweiter Wächter. Sie sprachen miteinander. Wenn Moki die Sprache dieser Krieger verständlich gewesen wäre, er hätte jedes Wort verstehen können. Moki hatte genug gesehen und eilte den Weg zurück. Ungesehen gelangte er an den immer noch schlafenden Wächter im Taleingang vorbei. Fast hatte er die Stelle erreicht, an der er bis mittags geschlafen hatte, als er unten im Tal Männer mit Eseln auftauchen sah, die ihm müde und erschöpft entgegen kamen. »O ihr finsteren Mächte! Wollt ihr Moki verderben?«, fluchte er erschrocken. Seine Blicke hetzten an der Felswand entlang und entdeckten eine Felsspalte in doppelter Mannshöhe, die ihm, bei etwas Glück, als Versteck dienen konnte. Er hastete zu der Stelle und kletterte über die scharfen Kanten nach oben. Der Fels riss blutige Schrammen in die lederne Haut, doch Moki war ein harter Mann, dem so etwas nicht viel bedeutete. Mühevoll presste er sich in die erspähte Spalte, die kaum armtief war; zur Tarnung zerrte er sich sein graubraunes Wolltuch über die ganze Gestalt. Kaum hatte er sich hergerichtet, da waren die Karawanenmänner schon heran. Sie hatten sich in große grobe Tücher gehüllt, die nur die Augen und Hände sehen ließen. Obwohl sie sehr ermüdet sein mussten, liefen ihre Augen ständig unruhig und suchend über das Tal, suchten den Boden ab und tasteten sich an den nun im Abendlicht rötlich glühenden Felswände entlang. Dennoch sahen sie die Spur Mokis erst, als sie über hundert Steinwürfe an dessen Versteck vorbei waren und dieser dieses längst verlassen und weiter dem Tal abwärts folgte. »Sieh einmal her, würdiger Chnum-ba!«, rief der Mann an der Spitze. Der Angesprochene, ein kleiner lederharter Mann mit völlig vertrockneten Gesichtszügen, die mit den Felsen an Runzeligkeit jederzeit wetteifern konnten, starrte auf die dürftigen Trittsiegel. »Kann nur einer von den Sandflöhen sein. › Wir haben ihn nicht gesehen, obwohl die Spur noch keinen halben Tag alt ist.« »So ist auch meine Ansicht, würdiger Chnum-ba. Es ist nicht gut, dass wir ihn nicht gesehen haben. Sachmet2 schlug uns mit Blindheit.« »Nicht die Göttin ist es gewesen, Semni, nicht die Göttin. Wir beide haben versagt. Du als Späher, ich als Führer. Drei Tage, fast ohne Wasser und Schlaf, ist zu viel gewesen.« »O Herr, deine Worte sind bitter, doch gräme dich nicht, wir sind dem Ziel nah.« 2

Göttin Sachmet, u.a. Macht, Gesundheit, Zerstörung.

11

»Wenn wir es noch erreichen, Semni. Wo einer dieser Kerle auftaucht, sind die anderen nicht fern. Es ist auch verdächtig, dass er uns ausgewichen ist, denn er kann nicht viel Wasser gehabt haben, da er ja kein Lasttier mit sich führte.« »Die Götter mögen sie vernichten. Hat-Hor wird uns schützen.« »Ich vertraue der Göttin, Semni, aber vorerst müssen wir uns auf unsere Ohren, Augen und Waffen verlassen. Sie sind unser Schutz, denn die Götter helfen nur dem Starken.« Semni verneigte sich vor seinem Herrn und lief der Spur talaufwärts nach. Dabei stieß er unvermutet auf die erste Spur Mokis. »Herr, o Herr! Es ist nur einer gewesen.« »Woher willst du das wissen, Semni?« »Seine Spur führt hier talauf.« »So ist es ein Späher oder Jäger gewesen«, brummte Chnum-ba besorgt. Er wandte sich zu dem müden Zug von Männern und Tieren und rief: »Vorwärts Leute! Hier gibt es Sandbewohner! Wir haben ihre Spuren gefunden. Muss ich euch erst sagen, was es bedeutet?« Nein, er brauchte es nicht. Die müden Gestalten richteten sich auf und die Treibstöcke fielen mit plötzlicher Wucht, begleitet vom Geschrei der Männer, auf die Rücken der Tiere, die sogleich in ärgerliche Protest- und Schmerzrufe ausbrachen. Die Karawane zog schneller dahin. Am Taleingang mit dem Wachhaus wurden sie von dem Wächter empfangen.

»Habt ihr eine gute Reise gehabt, o Herr?« »Ja, schon, Wächter des Taleingangs. Doch sag! Hast du hier heute einen Sandbewohner gesehen?« »Nein, Herr, hier sind schon seit Jahren keine freien Sandbewohner mehr gewesen. Oben im Steinbruch haben wir gefangene Leute dieses Landes, doch diese kommen natürlich nie bis hier herunter.« »So wisse, Wächter, wir haben im Haupttal die frische Spur eines Mannes gefunden, der erst heute hier gewesen sein muss.« »Du musst dich getäuscht haben, o Herr, hier war niemand.« Chnum-ba winkte ab und rief schon im Weitergehen: »Es war jemand im Tal. Sicher hast du Strolch geschlafen. Nun, du kannst dir ja den Hals abschneiden lassen. Es ist dein Hals.« Die Karawanenmänner zogen weiter und ließen einen ängstlichen Wächter zurück. Aus dem dunklen Eingang traten weitere fünf Krieger heraus und sahen der

12

Karawane nach. »Du hast geschlafen!«, schimpfte der Anführer der Wächtergruppe. »Ich habe nicht geschlafen. Niemand hat mich dabei angetroffen. Hätte es hier einen hor-scha, einen Sandbewohner3, gegeben, er hätte sicher die Gelegenheit genutzt, um uns zu töten. Doch was regt ihr euch auf? Ihr habt doch den ganzen Tag geschlafen.« »Sage das nicht!«, brüllte ein riesiger, narbenbedeckter, muskelbepackter Krieger, der sich gerade aus dem Türloch quetschte. »Auf dich kann man sich nicht verlassen, du Laus!« Der Tageswächter ließ sich durch den Riesen jedoch in keiner Weise einschüchtern und brüllte zurück: »Du stinkender Fettkloß solltest schweigen. Seit Tagen sieht man dich nur dann, wenn der Dattelkorb herumgereicht wird.« »Ruhe! Haltet Frieden!«, schrillte der Anführer, denn er kannte seine Leute und wusste, wie leicht sie zu Auseinandersetzungen neigten. Er sollte sich auch dieses Mal nicht getäuscht haben, denn ehe er es sich versah, wälzten sich die beiden Krieger im Sand. »Ich drehe dir das Genick um!«, röhrte der Riese, aber er fand sehr schnell heraus, wie gut sein Gegner kämpfen konnte. Was ihm an Größe und Kraft abging, obwohl auch er nicht klein war, glich er durch Schnelligkeit und List aus. Die anderen Wächter standen um die Kämpfenden herum und feuerten sie mit Zurufen an, während der Anführer sie nutzlos anschrie, dass sie aufhören sollten. Erbost rannte er in die Hütte und holte die zehnriemige Geißel, mit der er wütend wahllos auf die Kämpfer einschlug. Doch das hatte für ihn ein höchst unerfreuliches Ergebnis; die beiden Streiter ließen nun voneinander ab, fielen aber über den Anführer her und verprügelten diesen mit seiner eigenen Geißel, bis ihm das Blut von allen Körpergegenden floss und er das Bewusstsein verlor, dann trugen sie ihn in die Hütte. Mit der üblichen Plötzlichkeit wurde es Nacht. Die Wächter hatten durch das Los die Reihenfolge der Wachen bestimmt und hockten vor dem Haus. »Er wird uns melden«, erörterte einer den Vorfall. »Soll er doch«, schnaubte einer mutwillig. »Doch wird er den Tag nicht überleben.« »Wenn man uns aber bestraft?« »Kann man doch gar nicht.« »Ini ist ein gestrenger Herr. Er wird es nicht zulassen, dass wir einen ›Aufseher 3

Beduinen, semitische Wandergruppen.

13

über zehn Krieger‹ zusammengeschlagen haben.« »Was will er denn machen?« »Oben, im Lager, sind gerade fünfzig Krieger aber vielmal so viele Arbeiter und Gefangene. Jeden Krieger, den sie bestrafen, fallen für den Schutz aus. Wer möchte hier aber ohne Schutz sein. Es kann Jahre dauern, bis neue Krieger aus dem tâ-mer, dem ›Geliebten Land‹4 am hapi5 kommen.« »Niemand kommt freiwillig. Wer will hier schon sein Leben in diesem trostlosen Land verbringen? Sagt man nicht, dass die Göttin nur jedes Jahr einmal zu Besuch im Lande weilt?« »Ha! Nicht einmal Frauen haben sie hier. Ich weiß gar nicht mehr, wie eine aussieht!« »Ich möchte wieder einmal im Wasser baden«, lachte einer schrill. So träumten, ängstigten und verfluchten sie; so schwärmten sie von einer Welt, die für sie so fern war, wie die Sterne über ihnen. ∗∗∗ Der Vorfall war bei den Wächter am Taleingang vergessen. Man hatte sich sogar mit dem Anführer wieder vertragen. Seit dem Vorfall waren zehn Tage vergangen und von der angekündigten, möglichen Gefahr hatte sich nichts gezeigt. Fünf Wasserkarawanen waren unbehelligt angekommen oder wieder davongezogen. Es war in der elften Nacht, da zog die Karawane des Chnum-ba und eine weitere, die des würdigen ›Vorsteher der Arbeiten des Königs‹ Seneb, zusammen mit zweihundert Eseln und mit sechzig Mann Begleitung, im Tal hinab. Sie wollten die Nacht zum Marsch nutzen und am Tag ruhen, um Kräfte zu sparen. Chnum-ba schritt mit Seneb und fünf Spähern der Karawane einige hundert Schritt voraus. »Mir gehen die Spuren nicht aus dem Sinn. Gehen wir noch einmal zu den Wächtern am Taleingang. Sie sind wohl nicht sehr zuverlässig, aber vielleicht haben sie doch einige Neuigkeiten für uns«, schlug Chnum-ba Seneb vor. »Wie du willst, Chnum-ba. Deine Erfahrungen sind groß und man sagt dir nach, dass du noch immer deine Karawanen heil aus dem Land der ›Türkisgöttin‹ herausgebracht hast.« »Deine Worte sind wie köstlicher Balsam, würdiger Seneb. Doch glaube mir, es ist 4 5

14

Ägypten. Nil (als Fluß), auch Überschwemmung.

nicht allein mein Verdienst, wenn mich bisher kein Unglück ereilte. Die Göttin selber ist es, die ihre Gnade über mich leuchten ließ. Bringe ich ihr doch nach jeder Reise herrliche Opfer im Haus am Hat-Hor sebechet, am ›Tor der Hat-Hor‹.« »Gewiss hilft dir die Herrin, doch die Götter geben nur dem ihre Gunst, der sich dieser würdig erweist. Würdig erweisen heißt hier aber, ständig auf der Lauer sein und sich nicht von den Sandbewohnern überraschen und überlisten lassen.« »Deine Worte, o würdiger ›Vorsteher der Arbeiten des Königs‹, sind voller Weisheit. Darum schlug ich dir vor, noch einmal zu den ênch-en mese6 am Taleingang zu gehen. Vielleicht haben sie etwas gesehen, es aber in ihrer Verschlafenheit nicht gemeldet. Du weißt, wie gleichgültig diese Diener sind.« Bleich schnitt das Licht der nächtlichen Barke, des Mondes durch das hier nur knapp hundert Schritt breite Tal. Die pechigen Nachtschatten fielen schwer auf das Weiß des beschienenen Sandbodens des Tales. Langsam weitete sich das Tal zum Ausgang, an dessen Austritt die Hütte der Wächter sein musste. »Sie haben kein Feuer gemacht und werden wohl wieder schlafen«, knurrte Chnum-ba ärgerlich. »Es sind schlechte Diener.« »Man sollte sie zur Strafe auspeitschen und an die Sonne hängen«, schnaubte Seneb. »Sie sind nicht nur unvorsichtig, sondern geradezu dumm. Selbst die weniger gefährlichen Tiere der Wüste haben es hier leicht, eine gute Mahlzeit zu holen.« »Auf dem Herweg fanden wir die Spur eines Unbekannten. Ich sprach darauf die Wächter an, doch sie hatten nichts gesehen.« »So hast du es oben im Lager gemeldet?« »Oh ja.« »Und man hat sie nicht bestraft?« »Wie sollte man sie bestrafen?« »Sie hätten alle geschworen, dass ich mich mit meinem Fährtensucher Semni getäuscht haben müsse. Und auch so! Hier draußen, fern des ta-meri, des ›Geliebten Landes‹, kann man sie nicht einmal bestrafen. Jeder Bestrafte läuft dann irgendwann davon. Der ›Gute Gott‹ aber kann nicht so viele Krieger herschicken, wie nötig wären, um die Lücken zu schließen«, erwiderte Chnum-ba, der sich mit den Verhältnissen im ›Türkisland‹, im ›Land der Göttin Hat-Hor‹, auskannte. Sie traten in den Schatten der Felsen und konnten so gegen den dahinter liegen6

Einfache Soldaten.

15

den mondhellen Talgrund deutlich die Umrisse der Hütte am Fuße der Steilwand erkennen. »Da stehen Männer vor der Hütte«, lachte Seneb. »Sie haben nur kein Feuer gemacht. Vermutlich haben sie unser Kommen gehört.« »Das glaube ich kaum. Sie werden kein Brennmaterial haben. Von unserer Karawane kann ich nichts hören. Selbst unsere Schritte sind fast unhörbar.« »Vielleicht sind sie doch wachsamer als wir dachten«, hoffte Seneb. Sie hatten bis auf wenige Schritte die Hütte erreicht, vor der immer noch die Männer standen und ihnen schweigend und aufmerksam entgegen blickten. Seneb ging den Spähern, die jetzt dicht beieinander gingen, voraus und rief: »Jenetch-hor ke7, die Göttin möge euch schützen, ihr Wächter des Tales!« Die Männer antworteten nicht. Seneb wollte sie gerade grob anfahren, aber seine Worte blieben ihm im Munde stecken und verzerrten sich zu Lauten der Bestürzung und des Schreckens. Die Gestalten bewegten sich blitzschnell. Speere flogen und Keulen sausten durch die Luft, fuhren auf die Köpfe der überraschten Männer nieder. Seneb fiel ächzend mit einem Speer in der Brust vornüber in den Sand. Chnum-ba brüllte überrascht um Hilfe und sprang in das schützende Dunkel der Felswand zurück. Die Späher, soweit sie nicht schon getroffen am Boden lagen, wehrten sich oder rannten ebenfalls erschreckt davon. Aus dem Dunkel der Felswände tauchten weitere Gestalten auf und warfen sich auf die Fliehenden. Einzelne Schreie und Rufe gelten noch schaurig, mit vielfachem Echo durch die Bergschlucht, dann war Stille. Chnum-ba lag gut hundert Schritt von der Hütte in einer winzigen Felsspalte und hielt sich leise stöhnend das Bein. Irgendetwas hatte ihn am Oberschenkel getroffen. Sein zitternder Finger befühlte die schmerzende Stelle. Es war klebrig, nass. »Blut«, murmelte er und hielt erschrocken inne. Fünf nackte Gestalten, die Federkränze auf den langbehaarten Köpfen, wuchsen unvermittelt gegen den hellen Talgrund vor ihm auf. Penetranter Ölgeruch kitzelte seine Nase, widerte ihn an. Sie trugen lange Speere und Keulen. Geisterhaft, wie sie gekommen waren, glitten sie wieder in die Nacht. Aus dem Tal klang nun leises singendes Klirren des Sandbodens, das entstand, wenn die Hufe der Esel Sand und Steinchen aufwirbelten und beiseite schleuderten. ›Die Karawane‹, zuckte es Chnum-ba durchs Hirn. ›Hat man meine und die Schreie der anderen nicht gehört?‹ Chnum-ba vergaß seine Schmerzen und starrte ins Tal. Wahrhaftig, da kamen sie, als sei nichts geschehen, ahnungslos, und er lag hier in 7

»Sei gegrüßt«; Grußformel.

16

der Spalte. »Ich muss sie warnen«, flüsterte er, hämmerte sein Verstand. »Ich muss sie warnen, sonst sind sie verloren.« Doch Angst schnürte seine Kehle zu, als er die leichten Bewegungen nur wenige Schritte neben sich gewahrte. Dort hockten sie, die Feinde, die verhassten nemju-sché8, die Sandbewohner, diese dreckigen Tiere, die es wagten, die Karawane des ›Guten Gottes‹, seine Karawane anzugreifen. Entsetzt drückte er sich wieder tiefer in den Schatten der Spalte. Schmerz schoss ihm durch den Körper und nur mühsam unterdrückte er das Stöhnen, das sich auf seine Lippen stahl. Da zog seine Karawane, die des ›Guten Gottes‹, dessen ewiger Diener er war. Der Tod hing bereits über ihr. Entsetzliches Geheul schnitt in seine Ohren. Das Tal wimmelte von tobenden, kämpfenden, schattenhaften Gestalten; hallte wider, vom Geschrei der Getroffenen, Sterbenden. Dazwischen eilten die erschreckten Lasttiere hin und her; die schrillen Angstschreie der Esel brachen sich hundertfach an den Bergwänden und steigerten Entsetzen und Not. Chnum-ba lag ganz still und sah der Vernichtung seiner Karawane fast unbeteiligt, wie in einem bösen Traum zu. »Endlich«, murmelten er: »Es sind viele hundert Krieger – viele hundert Krieger. O ihr armen Diener, meine armen Diener, ihr habt keine Aussicht, ihr müsst den Weg zum anderen jetru beschreiten. Lebt wohl und erwartet mich im ›Land des Westens‹. Euer Herr hätte euch warnen können, aber er hatte Angst.« In der Tat, sie hatten keine Chance. Der Weg in die Talschlucht, zum Lager hinauf, war von einer Abteilung der Angreifer verlegt. Die Feinde hatten sich entlang der Felswände verteilt und waren mit großer Übermacht über die Karawanenmänner hergefallen. So dauerte der Kampf auch nur kurze Zeit, da lagen die Karawanenbegleiter erschlagen und ausgeraubt im Sand und die Angreifer bemühten sich, die auseinandergelaufenen Tiere wieder einzufangen. Das scheinbare Chaos löste sich unter den harten Befehlsworten eines Mannes, der in der Mitte des Tales stand und seine Anweisungen gab. Kein Siegesschrei folgte dem Überfall; alles lief nun still ab, ordnete sich, sammelte sich in der Talmitte. Die Karawane zog, nun mit anderer Bemannung, eilig davon, während die Masse der feindlichen Krieger sich nach dem Entfernen der Karawane lautlos ins Tal hinaufbewegte, dem Lager, dem Steinbruch zu. Chnum-ba verband sich mit seinem Schurz die Verletzung. Es war eine tiefe 8

Weitere Bezeichnung für Sandbewohner/Beduinen oder Menschen, die in unfruchtbarem Lande leben.

17

Fleischwunde, wie sie unter normalen Verhältnissen ausheilbar war. Aber er war sich sofort darüber im Klaren, dass er damit zur Küste hinunter musste, was das bedeuten würde, war ihm als alten Wüstenwanderer und Karawanenmann nur zu gut bekannt. Es war ein weiter Weg, zu dem er mit der Verletzung viele Tage brauchen würde, Tage mit Schmerzen, ohne Wasser und Brot. Chnum-ba zweifelt nicht daran, dass die Feinde auch das Lager vernichten würden, denn warum sollten sie sich sonst die Mühe machen, nach dem hier geglückten Überfall noch im Tal hinaufzuziehen. »Sie werden die Wächter dort oben genauso überraschen wie die hier an der Hütte«, sprach er seine Gedanken aus. Als alles ruhig war, machte er sich auf den Weg, um den Bereich des Überfalls zu verlassen. Chnum-ba war nicht der Mann, der sich vor den Geistern der Toten fürchtete. Aber er kannte die Sandbewohner nur zu gut. Bei ihrem Rückweg würden sie noch einmal nachsehen kommen, ob ihnen nichts entgangen sei und das konnte sein Ende sein. Dort, die dunklen Schatten waren die toten Späher und der Mann dort, der deutlich zu erkennen war, war Seneb, der ›Vorsteher der Arbeiten des Königs‹ gewesen. Plötzlich hörte Chnum-ba ein Geräusch hinter sich. Mit vorgestrecktem Dolch drehte er sich um und gewahrte eine schattenhafte, schwankende Gestalt. »Komm nur, du! Ich wehre mich und nehme dich mit ins ›Land des Westens‹.« »Bist du es, o Herr? Bist du es wirklich?«, kam es kläglich. »Was!«, rief Chnum-ba freudig überrascht. »Bist du es, Semni?« »Ich bin es, o Herr.« »So hat die Herrin des Landes auch dich erhalten!« »So ist es, o Herr, aber sie hat mich dennoch bestraft. Du schwankst?« »Es ist eine Wunde in meiner Schulter, o Herr.« »So sind wir beide verletzt.« »So müssen wir beide umkommen und niemand wird unseren Leib für das ›Land des Westens‹ bereiten.« »Noch sind wir nicht tot. Die Herrin des Landes wird uns helfen, ihr Tor, das ›Tor der Hat-Hor‹ zu erreichen.« Gemeinsam humpelten sie, sich gegenseitig stützend, Herr und Diener, das Tal hinab, das sie vor zehn Tagen heraufgekommen waren. »Wir haben die Spur nicht gründlich genug beachtet, Semni, wir hätten sie verfolgen sollen«, warf sich Chnum-ba immer wieder vor. Chnum-ba und sein Diener Semni wurden nach zwei Tagen von einer Wasserkara-

18

wane halb tot aufgefunden und nach dem ›Tor der Hat-Hor‹ gebracht. Die Befürchtung, dass das ganze Lager vernichtet wurde, wurde durch eine andere Karawane bestätigt. Außer Chnum-ba und seinem Dienern Semni hatte niemand den Überfall überlebt. Heuwetje, Boten, eilten durch das Land und trugen die Nachricht von der Tat von Ort zu Ort. Einen halben Mondlauf später legte eine schnellgeruderte Segelbarke, ein HoruSchiff, am Anleger, am inheb-hedj9 an. Ein Mann mit dem Zeichen des Königsboten auf der Brust sprang von Bord und eilte zur Kanzlei des ›Aufsehers des Palastes‹. ∗∗∗ Weni saß in seiner Kanzlei und ließ sich von den Schreibern die Aufstellungen und Listen über den Verbrauch des königlichen Haushalts vortragen. Durch die engen Lichtschlitze unter der Decke fiel gerade so viel sanftes Licht, dass die Wand- und Deckenbemalungen mit ihren frischen Farben schön zur Geltung kamen. Die Verdunstungsbehälter waren mit frischem Wasser gefüllt und verliehen dem Raum angenehme Kühle und hielten den Hofstaub fern. Vor dem Eingangsvorhang entstand plötzlich lautes Gezanke. Achti, sein Leibwächter, hatte offenbar einen Besucher bekommen, der unbedingt zu ihm vorgelassen werden wollte und dies mit lauter Stimme durchzusetzen versuchte. »Siehst du nicht das Zeichen des ›Königsboten‹ auf meiner Brust?«, hörte Weni die Stimme des Fremden. Achti lachte jedoch laut und schrie zurück: »Deine Augen sind wohl vom Licht geblendet. Wie hättest du sonst übersehen können, dass alle hier Wartenden dies oder ein höheres Zeichen tragen?« »Dennoch ist meine Nachricht die wichtigste.« »So! Ist sie das? So frage doch einmal die ehrenwerten Herren hier im Hof, wer keine wichtige Nachricht für meinen Herrn hat!« »Wer bist du, dass du mit einem ›Boten des Königs‹ zu rechten wagst?« »So wisse: Ich bin Achti, der Wächter meines Herrn, des ›Aufsehers des Palastes‹, des ›Einzigen Freundes des Erhabenen‹, des ›Propheten des Chenti Amentiu10 von abodju11‹, des ...« »Hör auf, du Niemand! Versteck dich nicht hinter dem Namen deines Herrn! Geh, und melde mich an, denn meine Nachricht ist von großer Wichtigkeit und dein Herr 9 10

11

Weiße Mauern, Burg von Memphis, Mephis-Stadt. Totengott, Wegbereiter in das Totenreich. Abydos.

19

wird es dir übel vermerken, wenn er hört, wie du mich behindertest.« »Pah! Was kann deine Nachricht schon für einen Wert haben? Sind deinem Herrn Rinder entlaufen, dann kannst du das meinem Herrn auch dann sagen, wenn du an der Reihe bist.« »Höre, du Großmaul von einem Türsteher; die Sandbewohner haben dem ›Guten Gott‹ großes Unrecht angetan. Dies ist meine Botschaft und hier, in der Rolle, steht es geschrieben vom ›Vorsteher der Türkisminen des Königs‹. Willst du mir immer noch den Weg verweigern?« Achti schien unschlüssig zu sein. Weni nahm ihm die Entscheidung ab und rief: »Achti! Lass den Boten herein, damit er mir seine Botschaft übergibt.« »So hörst du«, freute sich der Fremde draußen und Achti knurrte beleidigt: »So geh denn zu meinem Herrn.« Achti trat in den Raum und rief: »O Herr, der Bote des ›Vorsteher der Türkisminen des Königs‹, von den chetju-mefkat, den ›Türkisterrassen‹, wünscht vor dein Angesicht gelassen zu werden.« »So lass ihn herein!« Der Fremde trat ein und beugte sich bei Wenis Anblick zu Boden. »Komm näher«, forderte dieser ihn auf. Er kam heran und reichte ihm seine Botschaft. Das Siegel wurde geprüft und erbrochen, dann nahm Weni das Schreiben selber und las es durch. Es stammte von dem iri-pait12 Sem-chet, der im bejau13, in ›Tor der Hat-Hor‹ als ›Vorsteher der Türkisminen des Königs‹ lebte – und hatte, neben der langen Begrüßungsformel, folgenden Inhalt: ›Du musst eilen, o Erhabener, denn dein treuen Diener Sem-chet am ›Tor der Hat-Hor‹, im ›Land der Türkisgöttin‹, dem bejau, ist zu schwach, um deine Macht zum ewigen Glanz zu verhelfen. Siehe, alle Tage weine ich mir die Augen aus. Ich bin untröstlich. Sandbewohner überfielen eine deiner herrlichsten Minen, taten dir Schaden und töteten alles, was sich dort befand. Ich, dein treuer Diener Sem-chet, ergriff viele Sandbewohner und züchtigte sie, aber sie sind wie Heuschrecken und ihre Zahl ist unzählig. Sicher werden sie noch über andere Minen herfallen und am Ende deinen Glanz für immer verdunkeln.‹ So ging der Brief weiter. Sem-chet tat sich über alle Maßen selber leid und hatte wohl um sein eigenes Leben mehr Angst, als um den Verlust des ›Guten Gottes‹. Von dem wirklichen Hergang stand in dem Brief nicht sehr viel und so musste Weni den Boten ausfragen, der, allerdings auch nur von anderen Boten gehört, ihm die Tat einiger12 13

20

Adel (Zugehöriger). Sinai; auch ›Bergwerksland‹.

maßen genau berichtete. Weni eilte mit dem Brief zu Chui, dem sab tâ-aty, der sich seinen Bericht anhörte und den dürftig geschriebenen Brief las. »Es ist nichts, um das man sich kränken sollte«, meinte er lächelnd. »Doch verdienen diese Tiere eine Strafe, denn sie haben durch ihre Tat den Erhabenen beleidigt. Wir werden sie züchtigen. Ein Heer wird ausziehen und sie werden unsere Macht zu sehen und zu fühlen bekommen. – Der Schreck wird ihre Glieder schütteln und ihre Herzen ins Wanken bringen. Nichts an diesem Nil geschieht ohne den Willen des Erhabenen. Wer wollte daran zweifeln.« ∗∗∗ Boten eilten auf schnellen Barken Fluss auf und ab. Seine Erhabenheit hatte an alle hati-ó14, an aller ›Häuser der Götter‹, an alle ›Vorsteher der Städte‹ und an alle Häuptlinge in den Ländern die Botschaft gesandt: »Alle Standarten, alle Stämme, alle Diener meiner Erhabenheit an und in den ›Häusern der Götter‹ treffen sich bei Beginn der achet15 zur Streitmacht meiner Erhabenheit, am zwanzigsten Tag im Monat payni16 bei der ›Nördlichen Insel‹17, nördlich pi-Hapi18. Niemand, der zur Zehnerschaft gehört und in den Listen der Kanzleien verzeichnet ist, fehlte. Die ›Vorratshäuser des Königs‹ versorgen die, die der Sorge bedürfen. Alle Länder, Domänen und ›Häuser der Götter‹ melden ihre Vorräte und Abrechnungen ihrer Ausgaben an die ›Sechs großen Häuser‹. Die zu meinem Dienst eilen, erhalten täglich ein Maß Öl für ihre Leiber, ein Brot, fünf Zwiebeln oder Gurken und einen Krug Wasser, die ein Amt haben, das Doppelte, die Befehlshaber und Standartenträger das Dreifache, soweit sie nicht verpflichtet sind, sich und die ihren mit allem zu versorgen, wessen sie bedürften. Dies ist mein machtvoller Wille; wer wollte daran zweifeln!« Noch während die Boten eilten, begannen die Vorbereitungen für den Marsch des Heeres. Über tausend Esel schleppten große Krüge mit Wasser und Spelt in immer tageweit voneinander entfernt liegende, schon jetzt streng bewachte Lager bis zum ›Tor des Im-hoterp‹19. Bis das Heer marschieren konnte, sollten weitere bis zum ›Bein 14

15 16 17 18 19

Landesfürsten. Nilflut, Überflutung. 16. Juni. In der Nähe des heutigen Kairo. Buto, Stadt im Delta. In der Nähe des heutigen Port Ibrahim.

21

des Hor-neb-mâ-at20‹ angelegt werden. In diesen Tagen glich das per-ó21 einem Bienenstock: Die sonst weit im Land verstreuten ›Großen des Reiches‹ kamen, um dem ›Guten Gott‹ ergeben zu Füßen zu sinken und ihre Dienste anzubieten. Sie kamen aber auch, um sich gegenseitig zu beneiden, schlecht zu machen und zu zanken. Da sie alle wussten, wie nahe Wenis Mund am Ohr des Erhabenen lag, drängten sie sich in seiner Kanzlei, um ihn mit schönen Worten zu beeinflussen. Sie boten ihm köstliche Geschenke und er wäre wohl noch vor der achet der reichste Mann in kemet22 gewesen, hätte er sie angenommen. Doch der ›Gold-Horu‹ vertraute seinem Diener Weni; nie hätte dieser sich durch Geschenke beeinflussen lassen. Er nahm sie nicht an, so verlockend sie auch waren. Darüber verwunderten sie sich alle und bald hörte er sie miteinander flüstern: »Er ist so ehrlich, dass man sich vor ihm fürchten muss. Was ist das für ein Mann, der nicht einmal seinen Vorteil erkennt? Ist er dumm? Ist er weise?« Weni ließ sie reden und gab jedem, was ihm nach Verdienst, Rang und Ordnung zustand. Nun waren viele freilich der Meinung, sie seien zu bescheiden bedacht, aber da er alle ›Gaben des Königs‹ sehr klein hielt und das ›Schatzhaus des Königs‹ nach seinen Anweisungen arbeiten musste, war der Unterschied sehr gering und man gab sich am Ende, wenn auch murrend, zufrieden. Dies erfreute seine Erhabenheit sehr und er rief ihn am Tag des Beginns der achet zu sich und sprach: »Diese Sandbewohner sind ein Ärgernis, das es zu vernichten gilt. Es kränkt meine Majestät und verdunkelt meinen Glanz. Nun habe ich dich rufen lassen, lieber Weni, hier, ins êcheneuti, in die Audienzhalle meiner Erhabenheit, um dich vor den Ohren der hier Versammelten an den Ort zu schicken, wo sich mein Heer versammelt.« Der König machte eine Pause und ließ seinen Blick über die anwesenden Herren im ›großen Audienzsaal‹ gleiten. Er streifte sie alle, die iri pait von göttlichem Blut, die des geringeren, jedoch ebenfalls hohen Herkommens, die ›Großen Oberhäupter‹, die wéb23 und die hohen Beamten aller Ränge und Herkommen mit einem mitleidigen, geringschätzigen Blick, ehe er fortfuhr: »Ich will dir dies, mein Heer, durch den ›Obersten Heeresschreiber‹24, dem secheu wer ne mesche aufzählen lassen. Doch zuvor will ich dir die Keule des Oberbefehlshabers, des imj-ra mesche, überreichen, um dich vor 20 21 22 23 24

22

Horus Herr der Gerechtigkeit (Beiname des Königs). Wörtl. Großes Haus, Königspalast, daraus ist das Wort Pharao entstanden. Ägypten. Reinen, Priester. Oberster Beamter für das Heer, etwa Kriegsminister, wörtl.: Oberschreiber der Armee.

allen für deine Vortrefflichkeit auszuzeichnen und dich über sie zu setzen, denn du bist mutig und jedem gerecht, nähmest keine Geschenke, schlichtetest unnützen Streit und tatest auch sonst mir alles zum Wohlgefallen wie kein anderer.« Seinen Worten folgte aus der Versammlung erregtes Geflüster, das erst auf das pochende Zeichen des ›Oberhaushofmeister des Königs‹ und tjâ-aty25 Râ-hotep einem betretenen Schweigen wich. Auf einer hölzernen Platte reichte Chui dem Nesut, dem König, die kugelköpfige, rote Granitkeule, in die der Name des Königs mit allen Titeln eingeschnitten und mit Golddraht ausgelegt hervorleuchtete. Der Keulenkopf war an einem zwei Ellen langen, schlichten, schwarzen Holzstiel befestigt. Der ›Gute Gott‹ ergriff die Keule und rief: »Tritt vor, ›Einziger Freund‹ Weni! Empfang aus meiner Hand den Oberbefehl als Befehlshaber, als chenetuje und des imj-ra-mesche. Als Zeichen überreiche ich dir diese machtgeladene Keule26. Nutze sie für mich, denn meine Macht ist in ihr wie mein Name.« Wenis Herz bebte, seine Glieder zitterten, als er das Zeichen der Macht empfing. Aus der Keule floss ihm Kraft zu, wie er sie nie vorher gekannt hatte. In ihr war der ›Gute Gott‹ mit seiner Macht, in ihr war das Wesen, ein Ka27 des Gottes. Amenemope, der ›Oberste Heeresschreiber‹, rutschte auf den Knien eine Elle weit aus der Reihe der Würdenträger, berührte in ergebener Verbeugung mit der Stirn den Boden, entrollte die Liste und begann, auf ein Zeichen des Gold-Horu, mit seiner Enthüllung28: »Auf Befehl des Erhabenen ist das Heer wie folgt aufgeboten: Aus jedem Land der Binse und der Biene tausend Mann Speerträger, dreihundert Esel, aus den Häusern der hati-ó je sechshundert Mann mit Bogen, Kampfmesser oder Keule, dazu je hundert Esel, von den medchneye29 im Norden und den Leuten von ›Beiden Seiten des Hauses‹ in der Gesamtheit je tausendzweihundert Mann mit Speeren, dazu je sechshundert Esel aus meinen Domänen, die setju, jewnedju, irtje, medja, jam, wawat30 aus dem Süden mit je dreihundert Bogenschützen oder Speerträgern und je Stamm hundertfünfzig Esel; tausend Mann mit Speer, Bogen oder Keule, dazu fünf-

25 26

27 28 29 30

Wesir, Minister. Ein vom König verliehener, von diesem sonst selbst genutzter Gegenstand, hatte mythisch die magischen Eigenschaften des Königs (Zauber). Seele eines jeden Menschen als Doppelgänger, Art zweites Ich. Vortrag, Vorlesung. Stamm, Volksgruppe im Deltagebiet. Stämme, Volksgruppen im Süden Ägyptens/Nubien.

23

hundert Esel mit Treiber von den tjemehu31. Alle Leute und Tiere dieses Heeres sind versammelt und wohnen im Haus des Erhabenen auf der ›Nördlichen Insel‹ und auf den Weiden der Domänen um pi-Hapi.« Weni rauschten die Ohren und dröhnte der Kopf. Welch ein Heer! Welch ein Heer, das ihm von seiner Erhabenheit in die Hand gegeben wurde. Nach der Audienz, er saß noch benommen in seiner Kanzlei und suchte sich mit seinem neuen Amt abzufinden, drängten sich die iri pait, hati-ó, ›Siegelträger des Königs‹ beider Länder, die wéb der ›Häuser der Götter‹, ›Einzige Freunde‹ und ›Bekanntes‹ des Palastes und des Königs, die Häuptlinge der Dörfer und Stämme, Oberhäupter der Städte, Aufseher, Propheten beider Länder und die Aufseher und Vorsteher der Dolmetscher um ihn, um ihm ihrer Freundschaft zu versichern. Er bat sie jedoch, ihn zu verlassen und ihn am Ort der Versammlung in drei Tagen zu erwarten, damit er sich bei seiner Ankunft dort von der Zahl und der Güte der Truppe überzeugen könne. Dies verärgerte einige der hohen Herrn sehr und sie sprachen untereinander: »Wer ist er, dass er uns fortschickt wie einen Bettler? Wer ist sein Vater, wer war der Vater seines Vaters und wer ist seine Mutter?« Sie sprachen von seinem Vater Ichernefer, doch sie fanden für ihn keine Mutter, über die sie sich hätten erregen können und so blieb er ihnen ein Rätsel. Nachdem sich der Vorhang hinter dem letzten seche, Würdenträger, und schepsu, Edlen32, geschlossen hatte, ließ er eilig Kelu rufen, denn er hatte ja noch nie allein ein Heer geführt. Kelu kam und vernahm mit Erstaunen sein neues Amt und rief entzückt: »O Herr, wer hätte je gedacht, zu was uns die Güte, nein, dich die Güte seiner Erhabenheit ausersehen hat. Sicher hast du schon einen Plan, auf den der ›Gute Gott‹ baut.« »Eben nicht!«, rief er gequält. »So musst du schnellstens einen schaffen, o Herr, bevor dir andere Herren doch noch zuvorkommen.« »Einen schaffen«, erboste ihn in seiner Angst seine Rede. »Du weißt, dass ich noch nie ein Heer geführt habe. Wie soll ich in der Fremde ein Heer führen, wenn ich keine Ahnung habe, wie man das macht. Ich war noch nie im ›Türkisland‹. Und was redest du von anderen Herrn, die mir mit einem Plan zuvorkommen könnten? Sie sind alle nicht so tief in das Herz des Erhabenen eingepflanzt wie ich, sein ›Einzi31 32

24

Libyer, alle die westlich des Deltas lebten. Auch: Adliger oder Königsedler.

ger Freund‹ Weni.« »Quäle dich nicht, o würdiger Weni, meine Rede war sinnlos und albern. Doch bist du nicht der ›Prophet des Chenti Amentiu von abodju‹? Es kann dir nicht an Einfällen mangeln, o Herr, denn du hast mich, deinen Freund und Diener Kelu, der dir bei deinem neuen schweren Amt sicheres Geleit geben kann.« Weni schöpfte neue Hoffnung. Wenn Kelu so sprach, hatte er schon einen Vorschlag bereit, darum sagte er entschlossen: »Ja, du bist ein vortrefflicher Hausmeister, Schreiber und ... hm, auch mein Diener und Freund. Bereite mir einen Vorschlag vor, sicher werde ich ihm dann zustimmen können.« Er sah seinen Herrn spöttisch an und sagte scheinbar demütig: »Wie du befiehlst, o würdiger Weni. Ich bin dir stets zu Diensten. Siehe, o Herr, ich lege dir meine unwürdigen Gedanken zu Füßen. Stelle dich auf sie und sie werden dich tragen wie der Esel den Sack; wer wollte daran zweifeln!« Eilig rannte er hinaus, noch ehe Wenis Stock seinen Rücken treffen konnte, und schon bald hörte Weni, wie er in der Schreibhalle laut Befehle erteilte und diesen, weil es ihm nicht schnell genug ging, mit dem Stock auf dem Rücken der Schreiber nachhalf. So mangelte es bald nicht mehr an dem nötigen Eifer und seine Erhabenheit konnte mit seinen Dienern zufrieden sein, denn sein Werk nahm guten Fortgang. Kelu kam schon am nächsten Tag mit geheimnisvollem Grinsen und sprach: »Rate einmal, o Herr, was dein Diener hier unter dem Arm hat?« »Eine Schreibrolle, du übermütiger Diener und Witzbold.« »Das auch, o Herr, doch es ist nicht eine wie jede andere.« Weni sah misstrauisch auf das gesiegelte Behältnis. Allerdings war das Siegel, obwohl es von einem tjâ-aty gesiegelt worden war, erbrochen, was ihm einige Pein verursachte, denn ein Siegel des tjâ-aty durfte auch nur von einem solchen gebrochen werden. »Was soll daran anders sein, außer, dass du ein Siegel gebrochen hast, was von einem tjâ-aty stammt und das kann uns, wenn es bekannt wird, bösen Kummer bereiten«, schimpft er ungeduldig. Kelu machte jedoch ein unschuldiges Gesicht und sprach bekümmert: »So ist es, o Herr. Doch darfst du dir darum keine Sorgen machen, denn das Siegel war schon zerbrochen, bevor diese Rolle in meine Hände kam, dafür habe ich sichere Zeugen.« »So willst du mir wohl sagen, was das für eine Rolle ist, die dir scheinbar so wichtig erscheint, dass du allerlei anstellst, um in ihren Besitz zu gelangen. Bin ich dein Herr oder dein Diener, dass du mir zumutest, Rätsel zu raten und Dinge gut zu heißen, die offenbar nicht ganz sauber sind?«, ereiferte Weni sich.

25

»Nun, o Herr, dein Ärger wird schnell vergehen, wenn ich dir sage, dass dies das bajau, das chetju-mefkat, das ›Türkisland‹ ist, was ich hier unter meinem Arm habe.« »Bist du toll? Willst du wohl deinen Herrn mehr achten, übermütiger Kerl!«, fuhr er auf. »O würdiger Herr, ich treibe keinen Scherz mit dir. Ich spreche die Wahrheit.« »Das musst du mir erklären, Kelu, ich verstehe deine wirren Reden immer weniger und weiß nicht, was ich von meinem Diener und Freund halten soll. Wärest du nicht der, der du bist, jeder andere Diener stünde jetzt am Pfahl und bekäme die Peitsche.« Kelu machte ein betretenes Gesicht und er merkte wohl, dass es seinem Herrn ernst war. »Verzeih, o Herr, verzeihe deinem Diener Kelu.« Doch die Strafrede war ihm nicht sonderlich unter die weiß-rote Haut gegangen, denn er hockte sich vertraulich und ohne Erlaubnis zu ihm, rollte die Rolle auf den Knien aus und lachte: »Was siehst du nun, o Herr?« Weni wollte der Ärger erst die Sprache verschlagen, doch was er sah, war mehr dazu angetan, dies aus Erstaunen zu tun. Er starrte auf ein bunt bemaltes, mit allerlei Bildern und Schriftzeichen versehenes Blatt. »Das ist ja eine sedjedet33, eine Landbeschreibung des Türkislandes«, rief Weni überrascht und ergänzte: »Ist es dies wirklich, das ›Türkisland‹?« »So ist es, o würdiger Weni, und du siehst, dass dein Diener Kelu keinen Scherz mit dir trieb.« »Lass sehen«, winke Weni ab und forderte: »Was hast du schon herausgefunden?« »Alles, o Herr. Es ist eine gute Landbeschreibung. Der Mann, der sie entworfen hat, muss das Land sehr genau gekannt haben und er war sicher ein sehr guter Schreiber des Gottes. Sieh, o Herr, hier ist das ›Tor des Imhotep‹ und dort das ›Bein des Hor-neb-mâ-at‹, hier das ›Tor der Hat-Hor‹ und dort, das Zeichen des Türkis, ist der Ort, an dem das beraubte Türkisgräberlager liegt. Überall aber, wo das Zeichen der Sandbewohner ist, wohnt ein Stamm dieser Tiere. Hier, die roten Striche, o Herr, sind die Trockenflusstäler. Dieser Strich führt zum Berg der ›Finger der Hat-Hor‹34. Wenn die wehenu35 und die mehiru richtig berichtet haben, ist dort am Ende des Tales eine Ebene, auf der es Brunnen mit gutem Wasser gibt. Diese Brunnen müssen 33 34 35

26

Beschreibung; hier Landkarte. Heute: Ras el Gemeina. Dolmetscher, Späher.

wir in die Hand bekommen, um von dort aus die Stämme der Sandbewohner angreifen zu können.« »So hast du das in meinem Plan vorgesehen?« Kelu sah ihn grinsend an und bestätigte: »So ist es, o Herr. Dein Plan sieht vor, bis an das ›Tor des Imhotep‹ zu marschieren. Bis dahin sind schon die Wasser- und Verpflegungslager vorbereitet. Von dort schwenken wir nach Mittag ab und ziehen entlang des Meeres bis zum ›Bein des Hor-neb-mâ-at‹. Von dort ist es nur ein guter Tagesmarsch bis zur Ebene.« »Hast du den Plan aufgeschrieben?« »So wie es dein Wunsch und Wille war, o Herr.« »So lass ihn mir bringen, damit ich ihn dem ›Guten Gott‹ zu Füßen legen kann.« Der Plan gefiel Weni, musste ihm gefallen, denn er hatte ja keinen anderen, und er fand auch die Zustimmung des ›Guten Gottes‹ und der beiden tjâ-aty, die, genau wie er, natürlich noch nie in den Fremdländern gewesen waren. Sie priesen ihn und sprachen: »Es ist richtig, dass du gegen die Sandbewohner das Heer anführst. Wer von den anderen Herrn hätte sich die Mühe gemacht, einen Plan aufzuschreiben, in dem jeder Tagesmarsch genau verzeichnet steht, in dem alles vorausberechnet ist, was das ›Schatzhaus des Königs‹ liefern muss.« ∗∗∗ Der übergroße, ganz verhangene Tragstuhl hing zwischen vier Eseln, deren ungleicher Schritt Weni bald in die eine, bald in die andere Ecke rollen ließ. Obwohl dicke Kissen ein hartes Anstoßen verhinderten, war er dennoch schon halb krank von dem Geschaukel. Unter dem luftigen, zeltähnlichen Aufbau des Tragstuhls war es dennoch angenehmer, als zu Fuß durch den heißen Sand zu laufen. Er hatte sich diesen Tragstuhl, auf Kelus Rat hin, anfertigen lassen, denn so hatte er alle seine Habseligkeiten, das Schreibzeug und die Beschreibung des ›Türkislandes‹ immer bei sich. So ein Marsch durch die Wüste ist beschwerlich und kostete natürlich auch Opfer. Die ›Schreiber des Heeres‹ verzeichneten alles, was geschah. Damit aber niemand betrogen wurde, führte Weni ganz für sich eine Liste, in der er alles, was geschah, eintrug. So ließ er sich jeden Tag die Verpflegung, die Kranken und die Toten melden. Er wusste über alles Bescheid und oft erschreckte er die chenetuje und tjesu, die

27

Befehlshaber, die imj-ra-qenu36 und imj-ra échatju, die ›Vorsteher der einzelnen Verbände‹ damit, dass er besser als sie selbst den Zustand ihrer Leute kannte. Sie waren schon sieben Tagen auf dem Marsch. Vor zwanzig Tagen hatte der ›Gute Gott‹ ihn am Anleger des per-ó bewegt verabschiedet und dem Heer Glück, Sieg und den Segen der Götter zugesprochen: »Dies Heer ziehe hin und bringe Sieg und Frieden. Ich schicke ihm den imj-rá meche wer, den Oberkommandierenden, der im Schatten und Glück der Götter wandelt wie kein anderer. Ré37 ist sein Schutz, Chenti Amentiu sein Herr, Horu38 begleitet seinen Weg und ruft die Götter der Wüste zu seiner Hilfe, Seth39 und Ha40 ebnen ihm den Weg, Sachmet aber führt seine Waffen, die Ptah41, ihr Gemahl, ihm fertigte. Er wird dieses Heer siegreich führen! Wer wollte daran zweifeln.« Am Ort der Versammlung, bei der ›Nördlichen Insel‹, nahe ›per-Hapi em-on‹42, hatte Weni das Heer zum ersten Mal gesehen, in zwei Teile geteilt und ein jedes unter den persönlichen Schutz eines Gottes gestellt; so die erste Abteilung unter den des ›Herrn der Wüste‹ Seth, die zweite aber unter die des Ré. Um den Schutz wirksam zu machen, zog die Abteilung des Ré nach dem nahen junu43, die des Seth aber nach này-tà-hut, dem ›Ort des Kampfes‹, wo die Obervorlesepriester und ›Hohen Priester‹ sie erwarteten und den Schutz mit den Göttern banden, durch große Opfer beschworen, die an jedem Ort drei Tage währten. Danach sammelte er die beiden Abteilungen am ›Steinernen Garten‹ und begann den Marsch über die vorbereiteten Lager zum ›Tor des Im-hotep‹. Seine Sänfte wurde von hundert ›Gefolgsleuten des Königs‹, zwanzig eigenen Dienern, dreißig ›Heerschreibern‹ mit ihren Dienern, den nötigen Geräten und über hundert Eseln und ihren Führern begleitet. Die Abteilung des Seth marschierte vor ihm, die des Ré einen viertel Tag hinter ihm. Er hatte es so befohlen, um nicht den Staub des ganzen Heeres zu schlucken und um Beobachter über ihre Stärke zu täuschen. Obwohl der hati-ó des chui jabti, des ›Östliche Harpunenlandes‹44, der ehr36 37 38 39 40 41 42 43 44

28

Wörtl.: Vorsteher der Tapfern (Soldaten). Ur-, Schöpfer- und Sonnengott, u.A. des Himmels. Der Erde, der Unterwelt. Ur- und Königsgottheit, u.a. Sonnengott. Gott der Wüste, u.a. Chaos, Sturm, Horusfeind. Gott der Wüste, ähnlich wie Asch und Seth. Ur- und Schöpfergott, Gott von Memphis, u.a. Gott der Handwerker. Nilinsel Rôda bei Kairo. Heliopolis, auch On genannt (Bibel) nördl. von Kairo heute: Arab el Hisn. 8. UÄ.-Gau; wurde erst seit 5. Dyn. erwähnt.

würdige neb45 Ihi-wer, ihm versicherte, bei ihm gäbe es nur wenige Sandbewohner und Fremde als Hausdiener, traute er auf Anraten Kelus dem Frieden nicht. »Hier wohnen schon mehr aamu46 und ›die auf dem Sande leben‹ zwischen den guten rometj47, o Herr, wie dieser hati-ó dir erzählt oder selber weiß. Sieh dir in den Dörfern nur die Leute an. Oft siehst du Männer und Frauen mit bunten Schafwollumhängen und Kleidern. Wo trägt man in kemet sonst solche unreine Kleidung?« Kelu ließ sich noch lange über seine Feststellungen aus und er musste ihm zustimmen, obwohl er hinsichtlich der Schafwollkleidung ihm hätte antworten können: »In meinem Heimatort trug man auch diese unreine Kleidung.« Aber dies war eben sein Geheimnis, das auch seinem guten Kelu nichts anging. Eben gerade entstand wieder lautes Geschrei. Er zog den Vorhang zur Seite, um besser den Grund zu erkennen. Die Ursache des Geschreis war ein Hirte ohne jegliche Kleidung, sah man von dem Ledergürtel ab, den er sich um die dürre, krustige Hüfte geschlungen hatte. »He! Was ist mit dem Mann!« rief er, den Vorhang aufschiebend. Die Wachen, die den Mann gebracht hatten, beugten sich tief vor ihm in den Staub, zwischen die Esel, die seinen Tragstuhl trugen und nun unruhig tänzelten. Sie erklärten, alle durcheinander redend: »O Herr, wir haben ihn bei seinen drei Ziegen angetroffen. Er sagt, er sei Hirte im ›Haus des Harpunenschwingers‹48.« »Und? Was ist so merkwürdig daran?«, wollte er wissen und dachte beim Anblick des Mannes an seine eigenen Jahre als Hirtenjunge. So oder so ähnlich mussten sie im Dorf damals auch auf die Leute gewirkt haben, die aus den Städten kamen. »O Herr«, mischte sich Kelu ein. »Sie glauben, dass kein Gott einen Hirten mit nur drei Ziegen aussendet.« »So halten sie ihn für einen requ, einen Verräter, der hier spioniert?« »Ja, ja, o würdiger Weni!«, schrien die Wächter wieder alle gleichzeitig und nur Kelus Stock brachte ihr ehrfurchtsloses Geschrei zum Schweigen. Weni besann sich und fragte dann den Mann, der mit dem Gesicht im Staub vor ihm hockte: »Bist du einer von denen, ›die auf dem Sande leben‹?« »Nein, nein, o würdiger Herr, dessen Namen ich nicht kenne. Mein Vater und die Väter meines Vaters wohnten schon hier und dienten meinem Gott.« 45 46 47 48

Herr. Asiaten. Menschen, Ägypter. Horus als Harpunenjäger, hier: ein Angehöriger eines Horus-Tempels.

29

»Wo, Hirte, steht das Haus deines Gottes?« »Einige Steinwürfe von hier, o würdiger Herr.« »Bist du nicht bei Sinnen, Mann. Ich sehe kein Haus und meine Krieger wohl auch nicht, sonst wüsste ich es schon.« »Nur einige weit, o würdiger Herr!« »Wie viele, Hirte? Zeige es mir mit den Fingern; oder kannst du das nicht?« Er konnte – und er sah ihn dabei mit einem Blick an, der ihn sehr an die Schafe der Sonnenweide erinnerte. Beifall heischend klatschte er mehr als zehnmal die Hände vor sich in den wirbelnden Staub, dass dieser bald bis zu ihm aufstieg und seine Nase reizte. »Und wo?«, fragte er ihn niesend. Er sah ihn mit seinen traurigen Augen an und fuhr mit der Hand durch die Luft, um schließlich gegen Mittag zu weisen. Gerade da kam ein mehir49 gelaufen und meldete, dass sie zu weit im Norden seien und die Grenzburg weiter gen Mittag liege. Das war erstaunlich, denn der Weg führte breit und deutlich zwischen den Wüstenbergen hindurch. Das Abbiegen in ein Seitental konnte nur mutwillig oder aus grenzenloser Gleichgültigkeit, Dummheit geschehen. Sie mussten ein gutes Stück des Weges zurück, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. An der Grenzburg, und damit am Meer, lagere bereits die Abteilung des Seth. Weni ärgerte sich, schimpfte und rief den Führer seines Begleittrupps, einen séche von göttlichen Geblüt mit Namen Nefer-ir-ka-Rê. »Lieber Nefer-ir-ka-Rê, wie ist es möglich, dass wir uns verliefen, obwohl das Heer des Seth vor uns marschiert und eine breite Spur hinterlassen haben dürfte, auf der wir nur hätten weiter marschieren müssen?« »O Weni, es ist nicht so schlimm. Sicher hat uns die Scheibe des Ré so sehr ermüdet, dass wir den Weg verfehlten.« »Es hätte den Führern doch auffallen müssen, dass sie nicht mehr auf dem gleichen Weg waren, wie das Heer vor uns. Es ist nicht gut, wenn die Führer ermüden, denn es ist ihr Amt, das Heer sicher zu leiten. Du wirst verstehen, lieber Nefer-ir-kaRê, dass ich, wenn so etwas noch einmal vorkommt, einen anderen mit diesem Amt beauftrage, der nicht so leicht ermüdet.« »Ist es meine Schuld, o Weni, wenn die Führer vor dem Heer ermüden und die Spur verfehlen?« 49

30

Späher, Erkunder.

»Es ist deine Schuld, Nefer-ir-ka-Rê. Der Führer einer Truppe hat sich ständig davon zu überzeugen, dass seine Krieger keine Fehler machen. Aber sicher hast du geschlafen und dich nicht um deine Pflichten gekümmert.« Der Prinz ging verärgert davon. Weni hatte sich mal wieder einen neuen Widersacher und Feind geschaffen – da war er ganz sicher. Er konnte es nicht ändern. Mochte er sich beleidigt fühlen. Seine Erhabenheit hatte alles Vertrauen in ihn gesetzt und ihm die Verantwortung für dieses Heer übertragen. Da konnte er sich unmöglich um die Gefühle eines verantwortungslosen iri-pait hoher Geburt kümmern. Mochte er in Zukunft seine Aufgaben besser versehen, dann setzte er sich nicht der Gefahr aus, einen Tadel von ihm zu hören. Es wurde Abend, ehe sie das Lager vor dem Westtor der Grenzburg50 erreichten. Der ›Vorsteher der Sperren der Wüsten und der königlichen Burg‹51 empfing ihn vor dem Tor. Er beugte sich vor ihm in den Staub, obwohl er der Sohn des hati-ó des ›Östlichen Harpunenlandes‹ war und rief: »Gepriesen beim Namen aller Götter sei dein erhabener Anblick, o würdiger ›Befehlshaber aller Streitkräfte des Königs‹. Dieses Haus ist ein festes Haus und erwartet die Gnade deines Besuches. Siehe, ich habe alle Diener des Hauses vor dir ausgebreitet, damit du siehst, wie sicher dieses Haus geschützt wird.« In der Tat! Neben dem Tor hatte der ›Vorsteher der Sperren der Wüsten und der königlichen Burg‹ alle seine Krieger und Diener aufgestellt. Aber was boten sie für einen Anblick! Weni konnte sich nicht vorstellen, dass diese traurigen Gestalten nur einen ernsthaften Angriff auf die verwitterten, bröckelnden Lehmziegelgemäuer aushalten würden. Es waren hohlwangige, dürre, lederrunzlige Männer mit unzähligen eiternden Geschwüren an allen Körperteilen. Zumeist bis auf einen Lendenstrick nackt, trugen sie uralte Speere mit abgeschabten, abgebrochenen Steinspitzen, Schilde, die den Namen nicht mehr verdienten, denn die Lederbespannungen waren entweder ganz oder teilweise für andere Zwecke entfernt worden. Einige Kerle hatten abgeschnittene Nasen und Ohren und wiesen sich somit als bestrafte Verbrecher schlimmsten Grades aus, die hier aus unbekanntem Grunde als Diener eingesetzt waren; insgesamt hundert fürchterlich stinkende Nichtse, Niemande. Abseits von ihnen standen drei etwas reinere, beschurzte dicke Männer, die an ihrem Handwerkszeug, welches sie über die Schultern gehängt hatten, als Schreiber und Führer 50

51

Derartige Grenzbefestigungen sind in Texten erwähnt bzw. an verschiedenen Orten nachgewiesen. Festungskommandant.

31

zu erkennen waren. »Ist das deine jeweqet, deine Garnison?«, fragte Weni ärgerlich den imj-rá-jeweqet, den ›Vorsteher der Garnison der Sperren der Wüsten und der königlichen Burg‹.« »Sie ist es, o würdiger ›Befehlshaber aller Streitkräfte des Königs‹. Du kannst ihnen dein Leben in den Schoß legen, o Herr. Sie sind gut und furchtbar mutig. Sie sind wie die Löwen! Ihre Tapferkeit setzt alle Feinde in Schrecken; sie sind schneller als die Gazellen und gefräßiger und listiger als die msah52 im See!« »Ach schweig still!«, schrie Weni empört. »Sie sind das Traurigste, was ich im ganzen Lande kemet je gesehen habe. Sie sind eine Beleidigung für den Erhabenen.« Er wandte sich an Kelu und befahl: »Geh, Kelu, und schau dir diese Burg von innen an, ob sie einem bewohnbaren Haus oder einer Kloake gleicht!« »Herr! Du beleidigst mich, den Sohn des hati-ó des ›Östlichen Harpunenlandes‹. Es ist nicht recht von dir!«, beklagte sich der Kommandant. »Schweig!«, brüllte Weni. »Was kann dein Vater für einen so unfähigen Sohn? Lass ihm seine Ehre und sieh lieber zu, dass diese Dreckklumpen gebadet und vernünftig hergerichtet werden. Wenn ich von diesem Zug ins Fremdland zurückkehre, sind sie so herausgefüttert, dass sie keine Schande mehr für den ›Guten Gott‹ sind.« Beifälliges Gemurmel und unterdrücktes Lachen und Spotten hinter ihm bestätigten, dass auch die anderen Herren seines Heeres seiner Meinung waren. Der Kommandant verneigte sich bis in den Sand und zog wehleidig, seine Unschuld am Zustand der Leute beteuernd, rückwärts bis zum Tor davon. Kelu kam schon bald mit allen Zeichen des Abscheus aus dem Tor und rief schon von Weitem: »O Herr! Welch ein Schweinestall! Jeder hat seine Notdurft dort verrichtet, wo er gerade gestanden haben mag.« Weni reichte es und er entschied, dass sie vor dem Tor ihr Lager für die Nacht aufschlugen. Dem Kommandanten aber befahl er, dass er bis zur Geburt des neuen Tages sein Haus zu reinigen habe, andernfalls er ihn zur Rechenschaft ziehen würde. ∗∗∗ Dieser Festungskommandant der Grenzfestung blieb kein Einzelfall. Überall, wo sie nun hinkamen, sah es so oder ähnlich aus. Die letzte Inspektion eines tjâ-aty lag über ein Menschenalter zurück und wurde durch den nun schon im ›Land des Wes52

32

Krokodile.

tens‹ weilenden sab tjâ-aty53 Mereruka durchgeführt. So war es denn auch kein Wunder, dass die, ›die auf dem Sande leben‹, förmlich herausgefordert wurden, in das ›Haus des Königs‹, in das Land kemet, einzufallen und es zu plündern. Bei den tagelangen Märschen durch die Wüste und Steppe, vorbei an Seen und durch Trockentäler, über himmelhohe Berge, sahen sie jedoch von den Sandbewohnern nichts; jedenfalls nicht so viel, das diesen Zug gerechtfertigt hätte. Sie zogen sich offenbar vor ihrem Heer in die Unzugänglichkeit der Berge und Schluchten zurück, hinterließen hier und da eine kalte Feuerstelle, selten mal ein Lederzelt, in dem ein alter Mann oder eine alte Frau auf den Tod warteten, den ihnen die Diener dieses Heeres schnell und gleichgültig, so im Vorbeigehen gaben. Nach seinem Plan, hätten sie längst das ›Tor der Hat-Hor‹ und damit den Wohnsitz des ›Vorstehers des Türkislandes‹ erreicht haben müssen, aber von ihm oder seinem Wohnsitz war nichts zu finden. Hatten sie ihn verfehlt? Niemand im Heer war je hier in dieses Land gezogen und auch die mehir waren nicht sicher und wiesen immer nach Süden. »Dort, o würdiger Herr, dort im Süden muss es sein«, beteuerten sie. Es war wirklich so. Das ›Tor der ›Hat-Hor‹ war viel weiter im Süden, doch das sollte er erst auf seinem zweiten Zug gegen die Sandbewohner erfahren und gehörte nicht zu diesem Kriegszug. Endlich erreichten sie die Hochebene mit den größeren Brunnen, um die sich kleine Oasen mit üppigen Gras- und Buschbewuchs und dichte Palmenhaine drängten. Das Wasser der Brunnen wurde in blühende Gärten mit herrlichen Weinreben, Lauch und Gurken geleitet. Die Häuser der Sandbewohner waren aus festen Bruchsteinen oder aus Lehmziegeln gebaut und hatten durchweg fünf bis sechs Ellen hohe Mauern um Haus und Garten – fürwahr, ein Wunder. Bei ihrem Anblick beriet Weni sich mit den Führern der beiden Abteilungen, obwohl vom Feind nichts zu sehen war. Da kam einer der wehenu und meldete, dass die Oasen verlassen seien. Weni war die Sache nicht ganz geheuer, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die Sandbewohner ihre Siedlungen ihnen kampflos überlassen hatten. Doch auch am nächsten Tag sahen sie keinen Feind und er ließ das Heer geteilt in die verschiedenen Oasen einrücken54. Es zeigte sich, dass die Bewohner vor ihnen überstürzt geflohen waren und so manches zurückgelassen hatten, das seine Krieger gebrauchen und als Beute mitschleppen konnten. Die Abteilungen Ré und Seth zogen in Trupps zu hundert Kriegern geteilt durch die weitere Umgebung und machten auf vereinzelte Sandbe53 54

Großwesir, Ministerpräsident. Heute: Bir um Said.

33

wohner und ihre Habe Jagd. Doch ihre Beute war gering. Weni hatte sich in eine der größeren Oasen eingerichtet, so gut das eben in dieser armen Umgebung möglich war. Bei ihm lagerten fünf Abteilungen zu hundert Kriegern, alle ›Diener des Gottes‹, die Edlen und ein Teil der Häuptlinge und Dorfältesten sowie die ›Aufseher der Dolmetscher‹, die Propheten der verschiedensten ›Häuser der Götter‹. Natürlich hatte er auch seine Dienerschaft bei sich und mit ihnen die vielen ›Schreiber des Heeres‹. So vergingen einige Tage. Eines Abends lief ihm Kelu über den Weg. Er rief ihn herbei und zankte mit ihm: »Ich sehe dich nur sehr selten, Kelu. Liegt das vielleicht daran, dass man in einigen Häusern sehr guten Wein finden konnte?« »Herr! Wie kannst du nur deinen besten Diener und Freund so verdächtigen? Ist dies Heer nicht sehr groß und bedarf es nicht ständiger Sorge um seine Versorgung? Siehe, die Beute ist sehr klein und die mitgeführten Vorräte reichen nicht für alle Ewigkeit.« »Lass deine frechen Reden, Kelu! Glaubst du, mir gefällt dies untätige Herumsitzen. Aber wem habe ich denn diesen Plan zu verdanken? Dir, lieber Kelu! Wo sind die Sandbewohner? Wo sind die, die ich strafen sollte? Du weißt es nicht, die Befehlshaber wissen es auch nicht und die mehiru und wehenu, o ihr Götter helft, die wissen es leider auch nicht. Was sagst du nun, der du doch über alles so genau Bescheid weiß?« »O würdiger Herr! Ich habe mit meinem Plan die Feinde nicht vertrieben. Die Haufen der abgeschlagenen Hände55 vor dem Tor dieses Hauses sind klein, sehr, sehr klein. Doch vielleicht gibt es auch nicht viele Sandbewohner. Niemand hat ihre Zahl gesehen. Wenn also von wenigen, wenige getötet werden, sind es für die Sandbewohner doch viele und ihr Schaden groß. Siehe, sie fliehen vor dir, fallen auseinander, verwehen wie die Spreu im Wind. Spreu gibt keine neue Frucht! Dein Sieg ist doch auch so vollkommen, o würdiger Weni. Lass ihre Bäume abschlagen, ihre Gärten verwüsten, ihre Weiden verbrennen und ihre Brunnen vergiften, lass Feuer an ihre Häuser legen, dann sind sie so gut wie tot, wenn du auch nicht ihre letzten abgeschlagenen Hände zählen konntest, weil sie vom Wind der Wüste verweht, von den wilden Tieren verschleppt wurden. Hast du nicht als Zeichen deines Sieges diesen jungen Mann, den sie alle für den Sohn des Häuptlings halten, weil er so stolz und erhaben aussieht? Führe ihn vor das Antlitz des Erhabenen und er wird dir dan55

34

Den getöteten Feinden wurde in der Regel als Nachweis und Siegeszeichen eine Hand abgeschlagen.

ken, dass dieses Heer in Frieden und ohne Verluste heimkehrt, weil du es so herrlich geführt.« Seine Worte waren voller Spott, klangen aber, bei näherer Betrachtung, nicht schlecht, denn er fand keinen Gefallenen mehr am Herumsitzen in dieser langweiligen Oase. Am Abend trug er Kelus Gedanken den Befehlshabern vor und erlebte eine Überraschung. Sie stimmten ihm, das heißt, Kelus Meinung, jubelnd zu und priesen ihn als den größten und weisesten Heerführer aller Zeiten. So taten sie, wie Kelu ihm vorgeschlagen, schlugen alle Bäume ab, verbrannten alles Gras und die Häuser, verwüsteten die Gärten und füllten sie mit den Steinen und dem Schutt der Häuser, vergifteten die Brunnen mit den Leichen der Erschlagenen, es waren nur wenige, und zogen aus der Wildnis fort zu dem Land der guten rometj. Es war ein glücklicher Zufall, dass sie bei dem Marsch aus den Bergen einen Kundschafter der Sandbewohner, einen einfältigen Kerl, erwischten. Er sprach etwas ihre Sprache und von ihm erfuhren sie, dass ihre Maßnahmen tatsächlich den Erfolg hatten, dass die Sandbewohner mit ihren Herden weiter in die Wüste gegen Sonnenaufgang gezogen waren. »Sie hatten alle große Furcht und Angst, die ihre Knie zittern, ihre Hände unsicher werden ließ«, sagte der Gefangene aus. Nur ihren gefangenen Häuptlingssohn stellte er als einen Händler aus dem fernen aamu hin. Da kein wehenu seine Sprache verstand, war dies nicht nachzuprüfen und so galt er weiterhin als Häuptlingssohn. ∗∗∗ Die Kunde ihres Sieges eilte ihnen voraus. Alle Dörfer und Städte schmückten sich zu ihrem Empfang, alle ›Häuser der Götter‹ feierten und opferten den Göttern zum Dank, dass sie dem Heer Schutz und Beistand gegeben hatten. Die Götter verließen ihre heiligen Schreine, ihre ›Hohen Häuser‹, bestiegen ihre Barken und begrüßten sie an dem ›Weg des Horu‹, begleitet von der großen Zahl ihrer Diener, die sie mit Gesang zu ihrem Lob begleiteten. Überall im Land schlug man die Trommeln und Becken, blies auf Flöten und Trompeten, strich die Saiten der Harfen und schwang Tamburin und Sistrum; man bekränzte die Krieger und überschüttete sie mit Blumen; das Heer wandelte auf einem Teppich bunter, duftender Blüten. Überall gab es Festschmaus, herrliche Feiern; Wein und Bier floss in Strömen und kein hati-ó, dessen Land sie durchquerten, ließ es sich nehmen, das Heer zu bewirten und zu beschen-

35

ken. So hatten viele Krieger bald zwei und mehr Schurze an oder Kappen auf dem Kopf. Die Schilde waren neu bemalt und mit bunten Federn geschmückt. Es dauerte viele Tage, bis sie sich der ›Waage der beiden Länder56‹ näherten, in deren Mauern, im hat-Ka-Ptah57, sie der ›Gute Gott‹ zu empfangen gedachte, um mit ihnen das ›Große Dankopfer‹ vor der ›Neunheit‹ des Hauses zu feiern. Selbstverständlich waren auch alle anderen ›Häuser der Götter‹ mit reichen Opfern bedacht und Weni musste sich von Kelu, der unverschämt vor ihm kauerte, sagen lassen: »Siehst du, o würdiger Herr, so kommt das Heer heim in Frieden. Was du nicht an ›Sandbewohnern‹ erschlagen konntest, wird jetzt an Opfertieren getötet. Es werden sicher tausend Mal mehr owo geopfert, als Feinde vernichtet wurden. Ist das nicht ein großer Sieg?« »Schweig, du Schandmaul!«, schimpfte sein Herr erbost, nicht ohne Gewissensbisse, und jagte ihn mit seinem Stock aus dem Zimmer, dass er sein Wehgeschrei noch lange draußen im Hof des Hauses hörte, in dem sie sich an diesem Tag auf den Einzug in die ›Waage der beiden Länder‹ vorbereiteten. Trotz aller Feste und dem langsamen Marsch war das Heer verstaubt und verschmutzt. Darum ließ Weni es unweit der ›Waage der beiden Länder‹ reinigen, putzen und schmücken. Schilde, die noch nicht neu bemalt waren, wurden mit frischer Farbe bestrichen, die Schurze gewaschen oder durch solche aus dem ›Schatzhaus des Königs‹ ersetzt. Auf Anweisung des Erhabenen bekam jeder Krieger ein schulterlanges Kopftuch geschenkt, das um die grauen Filzkappen zu binden war. Jeder bekam einen Blütenkranz um den Hals gehängt; die Abteilung des Ré aus weißen Lilien, die der Seth aus blauen Lotusblüten. Am Tag des ›Großen Opfers und Empfangs‹ bestieg das Heer noch vor der vollendeten Geburt des Tages die unzähligen großen und kleinen Barken, die Weni zusammenholen ließ; die Befehlshaber und Standartenträger stiegen zu ihm auf das Horu-Schiff ›Freude des Chons58‹, dann setzte sich die Flotte zur ›Waage der beiden Länder‹, zum Empfang in Bewegung. Der hapi war mit Segeln bedeckt und das fröhliche Geschrei, das Lärmen der Trommeln schreckte die Tiere im Schilf des Uferdickichts auf. Dichte Wolken erschreckter Vögel flatterten mit ängstlichen Schreien über das Wasser. Die Rufe der Bootsleute hallten aufmunternd über die im Morgenlicht glitzernden Fluten und 56 57 58

36

Memphis. ›Haus der Seele des Ptah‹, Ptah-Tempel in Memphis. Mondgott, kosmische Gottheit, ›Durchwanderer‹.

übertönten noch das Geschrei der wéb, der ›Diener der Götter‹. Da war die Einfahrt zum ›Großen Kanal‹. Blumengewinde an den Mauern der Wachtürme kündeten Willkommen. Geschmückte Häuser, bekränzte Stangen, von denen bunte Bänder flatterten und schreiende, fröhliche Menschen empfingen dieses Heer. Endlich, vor ihnen der Anleger der ›Waage der beiden Länder‹. Auch die Mauern der Stadt waren mit Blumengewinden bekränzt und geschmückt und auf der Rampe am Anleger Menschen, Menschen, Menschen, das Volk der ›Waage der beiden Länder‹. Auf der Rampe, gegenüber des Haupttores, war ein Platz freigehalten, auf dem unter einem weitgespannten weißen Leinenhimmel, im Tragstuhl sitzend, Chui, der sab tjâ-aty, dies Heer empfing, um es vor das Angesicht des Erhabenen zu geleiten. Schon flogen die Taue. Zugleich setzte auf der Mauer über dem Tor eine bis dahin verborgene Musikbande mit fröhlichen, lärmenden Tönen ein, das Volk stampfte im Rhythmus den Boden, schlug die Hände über die Köpfe und schrie vor Freude. Ein Beckenton, tief dröhnend, voll schwingend, ließ alles verstummen. Chui empfing Weni herzlich und rief in das fühlbare Schweigen: »Willkommen dem tapferen Heer in der ›Waage der beiden Länder‹. Der Segen der Götter war mit euch, die Wesensmächtigkeit des Erhabenen, des ›Guten Gottes‹ schritt mit euch, vor euch, ebnete euch den beschwerlichen Weg. Gepriesen sei der, der das Land erhält, der ›Glückspender‹, der ›Gold Horu‹. Gepriesen sei der, ›dessen Namen verborgen ist‹, gepriesen seien die Götter in ihrer Gesamtheit, die dem Land kemet Leben geben, es erhalten und schützen! Gepriesen seien die Götter dieser Stadt!« Wieder setzte Musik, Geschrei und unermesslicher Jubel ein und verbreitete sich in der Stadt. Chui bat Weni zu sich in den Tragstuhl; die Befehlshaber bestiegen ihre Sänften und die Standartenträger traten zusammen. Hinter ihnen sammelte sich das Heer in gewohnter Marschordnung und auf Wenis Zeichen, mit dem geschlagenen Takt der Trommeln, dessen Klang durch Anschlagen der Schilde von den Kriegern erwidert und mit dem Ruf »O Nutjer nufer59!« begleitet wurde, setzten sie sich im gleichen Schritt in Bewegung. So zog dieses Heer ein in Frieden! Im hat-Ka-Ptah empfing der ›Gute Gott‹ Weni in der dämmernden Stille der ›Halle des Uferschilfs‹ ganz allein. Er saß auf dem Horu-Stuhl im Ornat seiner ganzen Wesensmächtigkeit, seiner Göttlichkeit. Er trug den Atef-Hut60. Die Bartmaske verdeckte 59

60

Großer Gott; ähnlich in unserer Zeit z.B. ›Gott mit uns‹ oder ›Gott ist groß‹ (Allah hu akbar). Auch Atef-Krone, Federkrone, ›Götterkrone‹.

37

sein Kinn und die Wangen; seine Brust schützte das Zeichen des Lebens. Auf seinem Rücken, am Gurt des Schurzes befestigt und am Horu-Stuhl vorbeilaufend, sah der Schweif des ›Weißen Stiers‹, des Api, hervor. Weni warf sich vor ihm zu Boden und erwartete seine Gnade. »Du hast dein Amt erfüllt, mein ›Einziger Freund‹ Weni. Berichte mir von dem Kriegszug.« Er tat, wie ihm geheißen und der Erhabenen lobte: »Meine Erhabenheit wusste, dass kein Unwürdiger die Befehlskeule führte. Dies Heer kehrt heim in Frieden, denn es hat das Land der widerlichen Sandbewohner verheert. Dies Heer kehrt heim in Frieden, nachdem es die, ›die auf dem Sande leben‹ austilgte, ihre ummauerten Siedlungen vernichtete, ihre Feigenbäume und Weinreben abschlug, Feuer in ihre fürstlichen Häuser warf und ihr Heer zu Zehntausenden erschlug und als Gefangene fortführte. So lege, nachdem dein Auftrag erfüllt ist, dein Amt in meinen Schoß zurück.« Vorsichtig richtete Weni sich auf und legte dem ›Guten Gott‹ die Befehlskeule auf den straff gespannten Schurz, dann zog er sich auf den Knien rückwärts rutschend zurück und harrte mit der Stirn am Boden seinen Weisungen. »So wollen wir den Sieg vollenden!«, rief der ›Gute Gott‹, sprang auf und schwang die Keule. Sofort öffnete sich das Hallentor und ließ flutendes Licht herein. Draußen, im ›Großen Hof‹, stand alles, was Rang und Namen hatte entlang der Mauern. In der Mitte des großen Rechtecks, vor den aufmarschierten Standarten und Befehlshabern, knieten die hart gefesselten beiden Gefangenen, der Häuptlingssohn und der Kundschafter. Der König eilte ans Tor. Seine Stimme grollte wie Löwendonner über den stillen Platz: »Wo ist der Feind, der es wagte, mein Haus mit seinem widerlichen Gestank zu verpesten, der es wagte, in mein Haus einzudringen und meine Habe zu beschädigen und fortzuschleppen? Niemand ist in den ›Neun Bogen‹, der sich meinem erhabenen Willen widersetzen darf! Wer daran zweifelt, ist des Todes! Wer wollte daran zweifeln?« Er raste auf die Gefangenen zu, fasste sie beim Schopfe und ihr Schreckens- und Wehgeschrei gellte über den Platz, sprang im vielfältigen Echo von den Wänden des Tempels. Zweimal wirbelte die Keule, die Weni als Befehlshaber getragen; zweimal zertrümmerte sie mit dumpfem Klatschen die Schädel der Gefangenen. »Es ist der Sieg vollendet! Wer wollte daran zweifeln! Meine Erhabenheit hat den Sieg vollendet. Das Haus ist von den Unverschämten, den Widerlichen gereinigt!«, grollte die Stimme des Königs. Der ›Gold Horu‹ hob die blut- und hirnbesudelte Keule über seinen Kopf, wirbelte sie mit einem gellenden, wilden Schrei um das Handgelenk. Ungeheurer Jubel gellte gegen die Mauern, dann schritten sie zum ›Großen

38

Opfer‹, an dessen Ende die Befehlshaber im Inneren und Krieger im ersten Hof von den Göttern des Hauses, Ptah an ihrer Spitze, durch ein ›Heraustreten‹ geehrt wurden. Sechs Tage dauerten die Opfer und Feste und Wenis Herz war voller Freude, denn die Ehren häuften sich auf seinen Schultern und seine Stimme war nahe am Ohr seiner Erhabenheit. ∗∗∗ Doch es verging nur ein Jahr, da kam abermals der Hilferuf des ›Vorstehers des Tor der Hat-Hor‹. Er schickte in dem Jahr nur eine Karawane mit kostbaren Steinen und klagte: »O Erhabener! Siehe, ich bin dein treuer Diener und will dir die schönsten Steine senden, die in den Türkisterrassen zu finden sind. Du sandtest dieses Heer, aber es kam nicht bis zum ›Tor der Hat-Hor‹, obwohl es die Feinde deiner Majestät aufs Haupt schlug. Du sandtest über das pa-yem ne meu-qed61 diese fünfhundert Arbeiter und hundert Krieger. Sie haben die Arbeit in dem bejau wieder aufgenommen, aber sie sind, wie die in den anderen chat62 in großer Not, denn alles was sie schaffen, wird stets von den Sandbewohnern geraubt und ich kann es nicht hindern, denn ich habe zu wenige Krieger. Auch kann ich ihnen nur wenig Wasser und Essen bringen, denn die Karawanen werden oft überfallen und beraubt.« Seine Majestät war erzürnt. Er ließ Weni zu sich rufen und verkündete: »O Weni, ›Einziger Freund‹, du musst erneut in das ›Türkisland‹ ziehen, denn dieser ›Vorsteher am Tor der Hat-Hor‹ ist unzufrieden. Er leidet Not. Bereite einen Plan, denn wir wollen diese nemju-sche, diese Sandbewohner, vernichten.« Dieser besprach sich mit Chui und Ra-hotep. »Das Heer, lieber Weni, war zu groß und mit zu vielen hohen Herren belastet«, erklärte Ra-hotep und Chui pflichtete ihm bei. »Es war wohl so, lieber Weni. Es gibt viele Herren im per-ó, die mit dir ausgezogen waren und nun so tun, als seien sie die großen Befehlshaber gewesen. Sie müssen dir eine große Last gewesen sein.« Râ-hotep fuhr nachdenklich fort: »Eigentlich müssten die Herren im ›Schatzhaus‹ in die Wüste ziehen. Sind sie es doch, die klagen, wenn die Gaben aus dem ›Türkisland‹ ausbleiben. Auch gibt es genug Karawanenführer, die auf den verschiedensten Wegen ins ›Türkisland‹ ziehen. Warum zog im vergangenen Jahr mit dir keiner dieser 61 62

Rotes Meer; hier: Golf von Suez. Bergwerke, Minen.

39

Männer mit? Wo waren die mehiru, die den Weg genau kennen?« Chui fühlte sich schuldig. »Ich habe es versäumt, o Râ-hotep, mir die richtigen Männer aus junu vom imj-ra-tjenu63 kommen zu lassen. Das soll nicht wieder geschehen. Ich werde dir, lieber Weni, ausgesuchte mehiru an die Hand geben. Du magst dann entscheiden, welche Späher du für die richtigen hältst. Es führen, so mir berichtet wurde, drei Wege zum mefkat, zum ›Türkisland‹, die jedes Jahr von den Karawanen mehrfach genutzt werden. Der erste führt durch das chui-jaabeti64 bis zur inbu-heqa Unas, der ›Mauer des Unas‹, entlang des kem-wer65 zum ›Tor des Imhotep‹, und dann den Weg, den du schon kennst. Du musst nur noch weiter nach Süden, bis du zum ›Tor der Hat-Hor‹, zu diesem ›Vorsteher des Türkislandes‹ kommst. Den zweiten Weg kennst du. Er wird am häufigsten genutzt. Ihr seid ihm nur nicht weit genug gefolgt, um das ›Tor der Hat-Hor‹ zu erreichen.« Es lag Tadel in seiner Stimme, was Weni betrübte, denn er musste sich eingestehen, wirklich nicht weit genug gezogen zu sein. Aber waren es nicht die kleinen Ärgerlichkeiten, die er mit dem großen Heer zu bestehen hatte, an der zu viele überflüssige iri pait, hohe Herren, teilgenommen, um dem ›Guten Gott‹ zu gefallen? »Aus deinen Worten, o Chui, klingt leichter Tadel. Ich habe ihn verdient. Doch bedenke, es war mein erster Zug gegen diese Widerlichen und, wie du selber sagtet, viel zu viele Herren dabei, die ihr Ansehen im per-ó, diesem großen Haus, zum Leuchten bringen wollten.« Chui und Râ-hotep nickten ihre Zustimmung und Chui fuhr fort: »Du sagst es, lieber Weni. Ich wollte dich nicht beleidigen, denn was der Erhabene vollendete, als das Heer in Frieden heimkehrte, kann nicht getadelt werden. Du warst der Arm des ›Guten Gottes‹, wie du nun wieder sein Arm sein sollst. Doch höre. Es gibt noch einen dritten Weg, der wohl beschwerlich und, weil er über das Gebirge und dann über das pa-yem ne meu-qed führt, für ein größeres Heer nicht nützlich ist. Doch kann über diesem Weg die Versorgung des Heeres, das dir in die Hand gegeben werden soll, möglich gemacht werden. Dazu werde ich den hati-ó des nemti66 anweisen, Versorgungskarawanen von neni-Nesut67 aus zum dass pa-yem ne meu-qed

63 64 65 66 67

40

Vorsteher der Grenzbezirke. 8. U. Ä. Gau = Östliches Harpunenland. Gebiet um/und die Bitterseen/Timsah-See. 18. O. Ä Gau = Falkengau. Ehnas Ihnasiya al-Madina, griech: Herakleopolis.

zu senden. Dort gibt es einen kleinen Hafen, merijet ne Setesch68. Man kann von dort aus das Türkisland sehen, als läge es nahe.« »Ist es das nicht?« »Nein. Ich kenne den früheren imj-ra merijet, den ›Vorsteher des Hafens‹. Man hat von dort und von einem weiteren Hafen im Süden Schiffe ausgerüstet, die in die fernen Länder punt69 fahren. Das geschieht schon jetzt zur Versorgung der ›Türkisterrassen‹. Du siehst, lieber Weni, auch ich mache mir Mühe, dieses Heer zum Siege zu führen.« Râ-hotep lachte trocken und bissig: »Wohl, lieber Chui, wohl! Du musst unserem Freund aber auch sagen, dass oft Schiffe verloren gehen, denn es wehen oft plötzliche Winde von den Bergen.« »Die dortigen Schiffer sind gute Fischer. Sie fahren täglich auf das Wasser hinaus. Sind sie es nicht, die Arbeiter und Verpflegung ins ›Türkisland‹ bringen?« »So sollte es sein, aber der Weg über die Berge ist gefährlich. Schon in ihnen lauern Sandbewohner, die die Karawanen belästigen. Die meisten Schätze des sechet mefkat70 kommen auf dem Weg, den du, lieber Weni, auf deinem Kriegszug gezogen bist. Warum solltest du erst über die Berge und dann über das Wasser ziehen? Du müsstest viele Tage und Fahrten benötigen, um das Wasser zu überwinden.« Chui knurrte ärgerlich: »Ich habe nur die Wege aufgezählt! Du, o Weni, musst selber entscheiden, was du machen willst. Die Kraft und der Schutz des ›Guten Gottes‹ werden dich begleiten.« Weni dankte den beiden weisen Männern und entschied sich sodann für den Weg durch das kem-wer, denn die Aussicht, über ein so mächtiges Wasser zu müssen, erschien ihm zu gefährlich. Der König verlieh ihm erneut die wesensmächtige Befehlskeule und er zog nach sorgfältiger Vorbereitung mit einem kleinen Heer von tausend Kriegern, zweihundert Schreibern, Dienern, Eselführer und einer kleinen Gruppe von Wegekundigen, Spähern und Dolmetschern sowie einer kleinen Gruppe wéb der Götter des Türkislandes und der Länder, die sie durchzogen, wieder ins Land der Sandbewohner. Es war am späten Nachmittag des zweiten Tages, nachdem sie inbu heqa Unas verlassen hatten. Sie zogen entlang der silbern glänzenden Wasserfläche des vom breiten Schilfrand umschlossenen kem-wer, dass sie an einer Furt in der Nähe von 68 69 70

Hafen des Seth. Land am Horn von Afrika (Somalia, Jemen?). Türkisfeld (weitere Bezeichnung des Sinai).

41

inbu heqa Unas überquerten, sodass er nun an seiner Ostseite entlang ziehen konnte. Dies hatten ihm die mehir, die Späher, geraten, weil die Furten im Süden tiefer und von msah, Krokodilen, verseucht sein sollten. Wohl war ihm Sobek71, sein Gott, ein sicherer Trost und Schutz, doch seine Kinder, die Krokodile, waren eine Gefahr, die er nicht herausfordern wollte. Der See wurde hier in seiner Breite durch eine Insel eingeschränkt, die, wie ihm der führende mehir sagte, die ju ne kem wer, die ›Insel des großen Schwarzen‹ genannt wurde. Diese große Insel grüßte mit hohen Schilfwänden, die in ihrem Innern von Palmen überragt wurde, herüber. Weni hatte die Vorhänge seines Tragstuhls aufgeschoben und sah neidisch zu den schattenverheißenden Palmen hinüber, denn auf dieser Seite gab es nur wenige Sträucher, Büsche, Flecken mit hartem Gras. Hier wechselte Steppe und Wüste, der Boden war wellig und unübersichtlich. Als er noch hinüber schaute, gewahrte er drüben Menschen in Binsenbooten, die sich bei ihrem Anblick in die Schilfwände flüchteten, versteckten. Er rief nach dem mehir, aber dieser war weit voraus und so erschien Kelu, der neugierig nach seinem Verlangen fragte. »Was, o Herr, bedeutet dein Rufen?« Weni wies über die Wasserfläche zur Insel. »Dort drüben auf der Insel sind Menschen, obwohl mir der mehir und der hati-ó des chui-jaabti erklärten, hier gäbe es keine Bewohner, weil das Wasser ungenießbar sei.« »Das, o würdiger Herr, hat man auch mir erzählt. Als ich aber Jaz, den Eseltreiber befragte, der diesen Weg schon oft gezogen ist, hat er gelacht und gesagt, wir sollten froh sein, in einem Heer zu ziehen.« »Was wollte er damit sagen?« »O würdiger Herr, kannst du es nicht erraten?« »Bin ich zum Raten da!«, knurrte dieser gereizt. Kelu half ihm. »Dieser Kahlkopf, dieser Jaz, kennt die Leute dort. Ich denke, sie fallen über Karawanen her, denn wer sich so versteckt und nicht vor Dankbarkeit beim Anblick des Heeres des ›Guten Gottes‹ am Wege im Staub liegt, ist sicher ein Verbrecher oder ein Rebell.« Diese Vermutung wollte Weni nicht einleuchten. Aber es war interessant zu erfahren, dass weitere wegkundige Diener im Gefolge waren. »Wenn wir lagern, holst du mir diesen Jaz, damit ich ihn höre«, befahl er Kelu, denn er wollte von ihm wissen, was offenbar kein Beamter des Königs wusste, obwohl doch seit undenklicher Zeit 71

42

Krokodilgott, u.a. Königsmacht, Herr des Nils.

Karawanen, Transporte des Königs hier vorbeizogen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie den Platz, den die mehir für die Nacht vorgesehen hatten, wo bereits sein Zelt aufgebaut wurde. Er rief nach den mehiru und forschte: »Dort drüben ist die ju ne kem-wer. Niemand sagte mir, dass dort Menschen leben.« »O würdiger Herr, dort leben nur Tiere. Siehe, das Wasser ist schlecht, bitter, salzig, ungenießbar für gute rometj.« »Und dennoch sah ich mit eigenen Augen dort Boote und Menschen!« »O würdiger Herr, das kann nicht sein. Ich bin diesen Weg schon einmal gegangen. Darum, o würdiger Herr, bin ich dein mehir, obwohl ich eigentlich dem hati-ó des chentej-jaabti72 auf dem Weg in das Land der aamu diene. Nie sah ich hier Leute im See. Selbst diese Sandbewohner in dieser Wüste im Osten, diese nemju schè, wohnen weiter im Osten, dort, wo es Brunnen gibt, die gutes Wasser führen.« »Mehir, ich glaube dir. Dennoch wohnen dort Leute. Ich habe nach einem Eseltreiber geschickt, der diesen Weg schon oft gegangen sein will. Er wird uns Antwort geben, wer diese Leute dort drüben sind.« Der mehir stand verlegen und die anderen mehiru hielten sich fern, denn auch sie wussten nichts. Da meldete sich Kelu bereits. Er grinste hinterhältig. »O würdiger Herr, der Eseltreiber ist hier. Soll ich dir diesen in dein schönes Zelt bringen, obwohl sein Körper voller jehes, voller Scheiße, ist?« »Bring ihn dennoch!« Der Kerl, der da hereingeschoben wurde, war ein Ausbund an Reinlichkeit und ein abschreckendes Beispiel für alle Leute seines Berufsstandes. Er trug nur ein Schamtuch aus Schafwolle, von dem die getrockneten Kotreste abbröckelten. Sein ganzer Körper war eine einzige Krustenlandschaft, denn der Kerl hatte sich, gleich den Nilpferden und Schweinen, wohl im Schlamm gewälzt und diesen Dreck trocknen lassen. Er war bärtig wie ein aamu und nur sein Schädel glänzte glatt, frisch, wie geölt. Seine tief liegenden Augen standen so nahe zusammen, dass er Schwierigkeiten haben musste, um an seiner gewaltigen Hakennase vorbeisehen zu können. »Du bist also Jaz, der Eseltreiber«, sprach Weni diesen an, der sich vor ihm in tiefer Demut zu Boden geworfen hatte. »Ich bin Jaz, o würdiger Herr. Man sieht es doch.« »Allerdings! Man sagte mir, du seiest auf diesem Wege schon oft gegangen.« »So 72

14. U. Ä. Gau, Vorderer Ostgau.

43

ist es, o würdiger Herr.« »So kannst du mir sagen, wer dort auf der Insel wohnt.« »Es sind bewetje73, o würdiger Herr.« Das erregte aller Erstaunen, denn es waren nun alle Truppenführer dieses Heeres um Weni versammelt und niemand hatte hier von solchen Widerlichen je gehört. »Woher, Jaz, weißt du das?« »O würdiger Herr, es ist kein Geheimnis. Jeder Eseltreiber, jeder scheweije im per Hor ne chetju-mefkat74 weiß davon. Sie sind gefährlich. Sie überfallen kleine Karawanen und rauben Vieh von den Weiden. Ich weiß das von Freunden, die selber schon ausgeraubt wurden.« »Warum hat das noch niemand von euch gemeldet?«, schnaufte Weni mit bösem Blick auf die Späher verärgert. Er wandte sich wieder an den Eseltreiber. »O würdiger Herr, es ist im per Hor ne chetju-mefkat bekannt. Siehe, o würdiger Herr, ich bin ein Niemand. Die bewetje prügeln uns, wenn sie uns überfallen haben, aber sie jagen uns dann in die Wüste. Die aber, die da handeln und ausgeraubt werden, nehmen sie mit.« »Es ist gut. Du kannst gehen.« Er kroch rückwärts aus dem Zelt. »Ihr habt gehört, was er sagte. Ich habe die bewetje selber gesehen. Er sprach die Wahrheit. Stellt Wachen auf und nehmt alle Esel und Vorräte in die Mitte. So als stehe der Feind vor dem Lager.« Die Nachricht hatte ihn beunruhigt und er schwor dem ›Vorsteher des HoruHauses an der Straße ins Türkislandes‹, das im ›Tor der Hat-Hor‹ stand, schon jetzt wenig Freude. Warum hatte der ›Vorsteher des Tor der Hat-Hor‹ nie von diesen Widerlichen in den Seen berichtet? Die Krieger machten mit trockenem Schilf kleine Feuer, um sich zu wärmen und die bösen Geister zu vertreiben. Weni ging mit den einzelnen Truppführern zu den Abteilungen und überzeugte sich selber, dass sie alles getan hatten, was er von ihnen verlangte. So zufrieden, legte er sich zur Ruhe. Diese dauerte jedoch nicht lange, da gab es Geschrei. Kelu kam ins Zelt. »O würdiger Herr, sie haben hier einen Gefangenen, der sich an unsere Vorräte schlich.« »Bringt ihn vor mein Angesicht.« Sie schleppten einen jungen Mann herein, der aus einer Schulterwunde blutete. 73 74

44

Ausgestoßene, Rebellen. Horu-Haus an der Straße ins Türkisland.

Sie warfen ihn vor seine Füße. »Wer ist das?«, fragte er die Krieger, die am Zelteingang warteten. »O würdiger Herr, er wurde bei den Eseln ergriffen. Die Wächter haben ihn entdeckt. Nun liegt er dir zu Füßen. Sollen wir ihn töten?« »Nein. Wir wollen hören, wer er ist.« Wie man bei dem flackernden Licht der kleinen Öllampe sehen konnte, war es ein Mann von sehr heller Hautfarbe. Er trug schulterlange Haare, die zu vielen Zöpfen geflochten waren. »Wer bist du?«, forschte Weni – aber der Kerl gab Laute von sich, die er nicht verstand. Auch der nun herbeigeeilte mehir, der doch angeblich alle Sprachen in diesem Land verstand, verstand die Sprache dieses Tieres nicht. »So bindet ihn und haltet ihn gut gefangen«, befahl Weni, denn er wollte seine Nachtruhe nicht einem Niemand opfern. Doch das war ein Fehler, denn als der Morgen über das Land brach und die Tagesbarke des Ré ihren Weg begann, kam einer seiner Truppenführer und schrie: »Herr, o würdiger Herr, der Gefangene ist weg!« »Wie konnte das geschehen?« »O würdiger Herr, der Wächter wurde niedergeschlagen.« »Und niemand hat etwas gehört oder gesehen?« »Nein, o würdiger Herr. Er ist fort! Niemand hat gesehen, wer ihm geholfen hat.« Da kam auch schon einer der mehiru. »O würdiger Herr, es findet sich keine Spur, die ins Lager führt, außer der des Gefangenen. Aber die Spur führt auch allein wieder hinaus.« Das war ernst. Es musste also jemand im Lager sein, der dem Gefangenen geholfen, zur Flucht verholfen hatte. »Wie konntest du das feststellen, mehir? Die Krieger haben gestern Schilf verbrannt. Da kann es doch keine Spur von dem Gefangenen geben.« »O würdiger Herr, er kam nicht vom Wasser, wie du denkst. Er kam daher, wo wir hin wollen.« »Aus dem Süden?« »Ja, o würdiger Herr.« »So war es ein Späher der Sandbewohner!«, rief Weni bestürzt und gebot noch mehr Wachsamkeit. Ihr Kriegszug gegen die Sandbewohner war also von diesen nicht unbemerkt geblieben. Erstaunlich jedoch war, dass sie bereits hier, Tage von ihrem Wohngebiet entfernt, schon Späher aufgestellt hatten. Beunruhigender war jedoch die Tatsache, dass ein Verräter im Heer sein musste. Sie brachen auf. Zunächst ereignete sich nichts und gegen Abend langten sie ost-

45

wärts des ›Tores des Imhotep‹ an. Von ihrem erhöhten Gelände aus war die bechen75 im Westen, hinter einem Schilf- und Buschgürtel, gut zu erkennen. Bis dort mochte es zwei- bis dreitausend Schritte sein und Weni musste an seinen ersten Feldzug vor nun knapp zwei Jahren denken. Da war er dort vorbeigekommen und hatte die schlecht geführten Grenzbefestigungen kritisiert. Dort sollten auch jetzt Vorräte für dieses Heer bereitliegen. Weni sandte einen Botentrupp aus, der die Vorräte herbeischaffen sollte, während sie das Lager direkt am Meer aufschlugen. Die Nacht brach herein, doch von dem Trupp, den er ausgesandt hatte, war keiner zurückgekommen. Was fiel den Kriegern ein? Hatten sie vor den Geistern der Nacht Angst? Wollten sie den Tag abwarten? Doch sie kamen auch am frühen Morgen nicht und er schickte eine starke Truppe aus, um nachzusehen. Sie kamen schon bald zurück. »O würdiger Herr, es ist Schlimmes geschehen«, rief ihm ihr Anführer schon von fern zu. Er kam keuchend vom eiligen Lauf und berichtete: »Die bechen ›Tor des Imhotep‹ ist leer. Unsere Leute, die du schicktest, o würdiger Herr, liegen dort unten im Gebüsch. Sie sind tot und ihrer Waffen beraubt.« Das war eine böse Nachricht. Weni rief alle Befehlshaber und mehiru. Er erklärte ihnen, was geschehen war. »Wir wollen das nicht hinnehmen«, rief er ihnen bestürzt zu. »Sie werden unsere blutige Rache zu spüren bekommen. Sie haben den ›Guten Gott‹ beleidigt! Sie haben die Götter dieses Landes beleidigt! Es werden nicht viele Sandbewohner gewesen sein. Es gehen zwei Abteilungen zu hundert mit je einem mehir. Fangt oder tötet die, die das getan haben!« ∗∗∗ Sab-schut gehörte einem Stamm an, der vor Generationen aus dem Osten in das chui-jaabati und sopdu76 eingewandert war. Folglich nannte man sie aamu, obgleich sie sich selber ysiri77 nannten. Obwohl viele seiner Stammesbrüder in kemet ein gutes Leben führten, war ihm, Sab-schut, ein solches nicht vergönnt gewesen. Er und ein großer Teil seiner Familie, fast selbst schon ein kleiner Stamm, vergingen sich in zahllosen Fällen gegen den ›Guten Gott‹, indem sie unerlaubten Handel trieben und viele gute rometj um ihre Habe brachten. So kam es, wie es kommen musste. Sie wurden in Haft genommen und zur Arbeit in den Bergwerken verurteilt. Sa-schut, 75 76 77

46

Burg. 20. U. Ä. Gau; Land des Gottes Soped. Stamm, Volksgruppe aus dem Osten.

der bunte Vogel, war jedoch ein großer, kräftiger Mann, der nach dem Tode des Sippenältesten die Macht im Stamm an sich riss und es fertig brachte, mit seiner ganzen Sippe den Kriegern des hati-ó des chui-jaabati zu entkommen. Seitdem lebte diese Gruppe in Konkurrenz mit anderen entflohenen Verurteilten in den Sumpfrandgebieten am kem-wer. Sab schut saß an diesem Morgen am hohen Rande des Trockenflusses und sah auf den nur wenige hundert Schritt breiten Busch- und Schilfrand hinab, der die Sumpfrinne, die sich von den oberen Seen zum Meer erstreckte, einfasste. Von seinem Beobachtungspunkt auf der schmalen Felsnase konnte er weit nach Norden, Osten und Süden sehen. Gestern war das Heer des Königs dort drüben, im Osten auf der erhöhten Landkante am Rande der Wüste langsam vorbeigezogen. Das hatte ihn beunruhigt, denn vor zwei Tagen hatte er mit seinen Leuten diese Burg ›Tor des Imhotep‹ überfallen und sehr reiche Beute gemacht. Es hatte ihn überrascht, welche Vorratsmengen in der Burg, der bechen, lagen und da man keine Gefangenen gemacht hatte, war er auf Spekulationen angewiesen. Diese traurige Truppe, die in der bechen lag, hatte nicht einmal Wachen aufgestellt. Es war ein müheloser Sieg, denn die kleine Besatzung konnte im Schlaf überrascht und getötet werden. Merkwürdig war nur, dass der dort residierende imj-ra jetehu, der ›Vorsteher der Festung‹, und sein Schreiber nicht anwesend waren. Das hatte ihn nicht beunruhigt, bis er drüben den Heerwurm sah. Er hatte seine Männer zusammengerufen und war dem Heer auf dieser Seite des Sumpfes gefolgt. An der Furt bei dem ›Tor des Imhotep‹ sah er diese kleine Truppe des Heeres sich lösen, die offensichtlich zu der bechen wollte. Es war eine Kleinigkeit, die ahnungslosen, sorglosen Schreiber, Krieger und Diener, es waren ihrer zwanzig, aus dem Hinterhalt niederzumachen. Sab-schut grinste bei dem Gedanken, wie lächerlich einfach es gewesen war. Das waren, dachte er verächtlich, die gefürchteten Krieger dieses verhassten Königs. Allerdings hatte sein Schwager, dieser Beni-hesa, die Götter mochten ihn verfluchen, sein heimlicher Widersacher in seiner Sippe, gewarnt und ihm Vorwürfe gemacht. »Du bist leichtsinnig und dumm, Sabschut!«, hatte er geschrien und er hatte ihm dafür die Faust ins Genick geschlagen, was wiederum die Weiber auf den Plan rief, die Beni-hesa verteidigten. »Er sollte dich nicht beschimpfen!«, schrie seine Schwester wütend und fuhr fort: »Doch kannst du nicht sagen, dass er unrecht hat. Du hast uns diese Krieger des Königs auf den Hals gehetzt. Glaubst du, sie werden nun friedlich weiter ziehen?« Die anderen Männer und Frauen der Sippe hatten seiner Schwester beigepflichtet. Es hatte noch viel Geschrei gegeben und die Frauen hatten sich mit den Kindern und so vielen

47

Vorräten, wie sie in ihren schmalen Binsenbooten verstauen konnten, sogleich zu den Inseln in den Seen aufgemacht. Beni-hesa und zwei alte Männer waren mit ihnen gezogen. Sab-schut schüttelte beide Fäuste gegen Norden, wo die Sippe sich irgendwo verkrochen hatte. Unten, am Schilfgürtel, wo die Schilfhütten standen, hockten seine Männer. Es waren nicht viele, aber sie waren mutig und selbst in diesem Gebiet, in dem nur der Stärkere überleben konnte, waren sie respektierte, ja gefürchtete Leute. Sab-schut wartete. Es ging auf Mittag zu. Die Hitze wollte ihn von seinem heißen Sitz vertreiben und er knurrte: »Die werden nicht kommen. Wenn sie auf dem Rückweg sind, wird man rechtzeitig ausweichen müssen.« Er rutschte ein paar Ellen von seinem Sitz ins Trockental hinunter. Das löste eine kleine Staub- und Steinlawine aus. Seine Männer sahen es und riefen ihm derbe Späße zu. Sab-schut richtete sich fluchend wieder auf. Rein zufällig glitt dabei sein Blick entlang des Schilfgürtels, den er den ganzen Morgen beobachtet, an dem sich, bis auf ein paar Gazellen und Vögel, nichts bewegt hatte. Nun sah er für einen kleinen Augenblick in wohl fünfhundert Schritt Entfernung zwei Krieger dieses verhassten Königs, wie sie sich am Schilfrand unschlüssig wie zur Orientierung umsahen, um sofort wieder im Schilf zu verschwinden. »Späher! Mehiru des Königs!«, rief er seinen Leuten zu und ruderte aufgeregt mit seinen Armen und wies in die Richtung, in der er diese gesehen hatte. Die Männer vor den Hütten sprangen auf, ergriffen ihre Waffen, die neben Wurfspeeren aus Pfeil und Bogen und steinkopfbewährten Keulen bestanden. Sab-schut sprang in grotesken Sprüngen den Rest des Hanges hinab, wobei er sich einen Fußknöchel prellte. Wütend rannte er mit leichtem Humpeln zu seinen Männern. »In das Schilf! In die Boote!«, rief er gedämpft, indem er seine Waffen griff, die vor einer Hütte lagen. Er hatte als einziger aus der Beute der letzten Tage ein langes kupfernes Kampfmesser, ein Schwert. Stolz hatte er es gegen seine alte Keule vertauscht. Er sprang seinen Männern nach, die auf schmalen Pfaden im Schilf verschwunden waren. Diese hatten ihre einfachen Schilfboote bestiegen und trieben sie mit schlanken Rudern auf versteckten bootsbreiten Kanälen in den Sumpf hinaus. Das Sumpfgewässer hatte hier eine von Schilf und Pflanzenwerk bewachsene Breite von zweihundert Ellen, ehe es wieder in den dichten Schilfgürtel an der anderen Seite überging und dort abrupt an der Sandwüste anschloss. Sab-schut hatte ein eigenes kleines Boot und obwohl er seine Leute nicht mehr sehen konnte, wusste er doch genau, wo er sie zu suchen hatte. Er sah sich befrie-

48

digt um. Nein, die Späher waren noch nicht zu sehen. »Warum laufen wir vor ein paar Späher davon?«, knurrte er wütend. »Beni-hesa wird mich verhöhnen, auslachen.« Er hielt in seiner Ruderbewegung inne und überlegte, ob es nicht einfacher wäre, die Krieger des Königs, die er für Späher hielt, einfach aus dem Hinterhalt abzuschießen oder zu erschlagen. Aber er hatte seine Leute zu eilfertig in die Binsen geschickt. Nun war er alleine. »Ich hole meine Brüder. Allein ist es nicht ratsam, sich gegen die Späher zu wenden.« Er hob sein Ruder, um es wieder in das brühige, stinkende Wasser zu tauchen. Die Bewegung rettete ihm das Leben, denn haarscharf sauste ein Wurfspeer an ihm vorbei und zischte hinter ihm in das Schilf. Entsetzt trieb er sein Boot voran. Jeder Stoß mit dem Ruder trieb ihn aus der möglichen Sichtweite des Angreifers. Erschreckend war, dass er seine Feinde weder gehört hatte, noch jetzt etwas von ihnen sah oder hörte. Er beschleunigte sein Tempo und erreichte nach wenigen Augenblicken seine versammelten Männer, die in einem Schilfversteck auf ihn warteten. »Was ist geschehen, wollten sie wissen, doch Sab-schut rief leise: »Still, still! Sie sind in der Nähe.« Er wies aufgeregt in die Richtung, aus der er gekommen war, die jedoch durch die dichte Vegetation undurchsichtig, vage wurde. Seine Männer sahen ihn erstaunt an. Ihr Anführer machte einen verschreckten Eindruck, den sie von ihm nicht gewohnt waren. Still saß die ganze Schar und lauschte. Plötzlich Brandgeruch. Er kam von ihren Hütten. »Sie haben unsere Hütten angezündet«, flüsterte einer aufgeregt. Sab-schut machte ihm Zeichen zu schweigen. Das Sumpfgebiet war, wegen des frischen Grüns, wenig feuerempfindlich. Dennoch entstand, aus den trockenen Schilfrändern heraus, ein mächtig aufbrausendes Feuer. Angefacht durch den ständigen Wüstenwind, stob ein Funkenregen windgetrieben nach Süden und entzündete auf weiter Fläche immer mehr trockenes Gehölz und Schilf. Dichter Rauch nebelte weithin nach Süden den Sumpfstreifen und die kleinen Galeriewälder entlang des Sumpfes und der kleinen teichartigen Wasserflächen ein. Vögel und vielerlei Getier suchten kreischend, rufend dem feurigen Ereignis zu entkommen. Sab-schut und seine Männer fingen an zu husten und trieben ihre Boote bis an den Wüstenrand, wo sie sich auf den Sandhang flüchteten. Da erschienen hinter ihnen, aus der Wüste kommend, die Krieger des Königs. Sie nahmen diese erst wahr, als einige Pfeile zielsicher die am weitesten auf den Wüstenstreifen hochgestiegenen Männer Sab-schuts niederstreckten. Ihre Schreie trafen zu spät das Ohr Sab-schuts, der immer noch wütend in das prasselnde, nun schon wieder im Zusammensinken

49

begriffene Feuer gestarrt hatte. Über den welligen Sandkamm stürzten sich die Krieger des Königs auf die kleine Rebellengruppe. Sie war verloren, tot. Sab-schut wehrte sich als Letzter, doch ein Bogenschütze setzte mit gezieltem Schuss seinem Leben ein Ende. Der onedeju, der ›Anführer der fünfzig Krieger‹ nahm dem gefallenen Sabschut das kupferne Kampfmesser ab. »Es ist eine Waffe aus dem ›Tor des Imhotep‹!«, rief er triumphierend und schwang das Schwert allen sichtbar über seinem Kopf. Das Feuer fraß sich eilig weiter nach Süden. Er schickte mit den gefundenen Binsenbooten eine Gruppe zur anderen Seite des Sumpfes hinüber, wo diese auf die zweite Abteilung, die das Feuer gelegt hatte, stießen. Auf beiden Seiten wurden nun kleine Handtrommeln zur Verständigung geschlagen. Man hatte offensichtlich die Schuldigen, die das ›Tor des Imhotep‹ geplündert hatten, gefunden und bestraft. Beide Gruppen verständigten sich dahin, mit den Siegeszeichen, den abgeschlagenen Händen, zum Heer zurückzukehren. ∗∗∗ Es war bereits Nacht, als die Krieger in das Lager zurückkehrten. Die Gruppe, die am westlichen Sumpfrand vorgedrungen und den Brand gelegt hatte kam zuletzt. Ihr Triumph waren nicht die Hände des Sieges, sondern sie geleiteten den ›Vorsteher des Tors des Imhotep‹, zwei seiner Schreiber und fünf Krieger der Burg. Weni saß beim Schein eines winzigen Öllämpchens vor seinem Zelt, als diese eintrafen. Der Anführer der Streiftruppe wollte Weni seinen Erfolg, von dem dieser bereits hinlänglich unterrichtet war, melden, als sich dieser ›Vorsteher des Tors des Imhotep‹ vordrängte und seinem vermeintlichen höheren Rang Geltung verschaffen wollte. »O würdiger Weni! Siehe, ich stehe hier und das ›Tor des Imhotep‹ ist ohne Mannschaft, ohne Bewachung.« Sein vorlautes, ärgerliches Vordrängen erregten Wenis Unmut. »Wer bist du, dass du mich ohne Aufforderung anzusprechen wagst?«, herrschte er den Mann an. Hinter Weni stand plötzlich Kelu und flüsterte ihm zu: »Erkennst du ihn nicht, o würdiger Herr?« Der ›Vorsteher des Tor der Imhotep‹ verbeugte sich tief und rief reumütig: »Vergib mir, o würdiger imj-ra mesche wer78. Siehe, mich treibt die Aufregung. Bin ich jetzt 78

50

Oberkommandierender, Oberbefehlshaber.

nicht ein imj-ra jeweqet, ein ›Vorsteher der Garnison‹, die es nicht mehr gibt?« »Darüber werden wir sogleich reden! Doch nun offenbare mir endlich deinen Namen!« »O würdiger Herr! Ich bin Sa-wer, der ›Vorsteher des Tors des Imhotep‹.« »So kannst du mir verraten, großer ›Vorsteher der Garnison‹, wo deine Krieger sich befinden, wo die Vorräte sind, die ich hier erwartet habe!« »O Herr! Verzeih mir! Ich weiß nicht, wo meine Krieger sind. Meine bechen ist leer, wie die verlassenen Nester der Störche, wenn sie in die Ferne ziehen!« Der Mann war dumm und frech. Weni wandte sich an den ›Anführer der fünfzig Krieger, der diesen ›Vorsteher‹ irgendwo aufgegriffen haben musste: »Sage du mir, tapferer Mann, dessen Taten ich heute lobe, wo du diesen ›Vorsteher des Tors des Imhotep‹ getroffen hast!« Der nun übergangene Vorsteher warf ihm, soweit er es in der Dunkelheit, die nun durch einige Fackeln besser ausgeleuchtet war, konnte, einen vorwurfsvollen, beleidigten Blick zu. Der Truppenführer hingegen rief, indem er sich verneigte: »O würdiger Herr, dieser Herr kam auf dem Wege nach Westen. Wir sahen ihn und diese Männer und erwarteten sie. Darum wurde es dunkel, ehe wir zu diesem Lager eilen konnten. Ich hielt diese Männer, als wir sie zuerst sahen, für Sandbewohner.« »Ich danke dir. Du kannst mit deinen Kriegern zur Ruhe gehen.« Kelu flüsterte wieder hinter ihm: »O würdiger Herr, erkennst du diesen Vorsteher nicht?« Weni wandte sich leicht zu Kelu: »Woher kennen wir ihn denn?« »Es ist der gleiche ›Vorsteher‹, den wir schon einmal auf dem letzten Heerzug bei der ersten Grenzburg angetroffen haben.« Weni fiel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Das war der gleiche alberne Kerl. Wie mochte er in dieses neue Amt gekommen sein? Er wies auf den Vorsteher, der etwa fünf Schritt vor ihm stand. »Sa-wer! Ich erkenne dich« »O würdiger Herr, ich dich auch«, rief er freudig. Weni empfand diese Freude nicht und sagte streng: »Wo sind nun meine Vorräte; wo ist deine Garnison?« »Herr, o würdiger Herr! Ich weiß es nicht.« »Wo warst du, als dein Amt überfallen wurde?« Er zuckte zusammen und kroch ergeben zu Boden: »O würdiger Herr. Ist es nicht schrecklich, Jahr um Jahr in diesen Burgen zu sitzen? Ist es da verwunderlich, wenn man da einmal versucht, etwas anderes zu sehen?«

51

»Du hast mir immer noch nicht berichtet, wo du warst.« »O würdiger Herr, es gibt eine Karawanenstation in den Bergen. Dort wohnt auch eine wunderschöne meset79.« »Und so bist du dort gewesen, statt deines Amtes zu walten.« Er rutschte in sich zusammen und lag weinend vor ihm. »O würdiger Herr, ich bereue meine Unaufmerksamkeit«, schluchzte er. Weni wandte sich nun einen der Schreiber zu: »Sage du mir, wie lange ihr bei der meset wart!« »O würdiger Herr, es waren nur vier Tage. Wir sind mit der Karawane, die die Vorräte gebracht hatte, gezogen.« »Warum habt ihr euren Herrn nicht gewarnt?«, ärgerte Weni sich, obwohl er doch wusste, dass sie es nicht gewagt hätten, ihren Herrn zu ermahnen. Aber die Antwort war viel überraschender: »O würdiger Herr, der Führer der Karawane hatte bei der meset einige Krüge Wein für uns abgeladen. Es war, bis diese leer waren, die Zeit vergangen. Wir wollten wirklich nur einen kurzen Besuch an der Station machen.« »Ihr wart also techi, besoffen!« Weni sprang empört und wütend auf. Er rief die Wachen und ließ den Vorsteher und seine beiden Schreiber gefangen nehmen. Die Vorräte wären wichtig gewesen, aber das Heer war noch genug versorgt. Sie müssten nun allerdings eiliger voranziehen, um dieses ›Tor der Hat-Hor‹ und seinen klagenden Vorsteher, diesen Sem-chet zu erreichen. Dort waren auf anderem Wege, über das Wasser, angeblich genug Vorräte herbeigeschafft. ∗∗∗ »Jenedj-hor-ke! Jenedj-hor-ke!«, schallte es Weni jubelnd entgegen, als er mit der Truppe im ›Tor der Hat-Hor‹ einzog. Sem-chet kam ihm an der Spitze der Bewohner dieses Ortes entgegen. Er blieb im respektvollen Abstand vor seinem Tragstuhl stehen und beugte sich zum demütigen Gruß, wie es ihm zukam. »Odje-eti80«, erwiderte er seinen freundlichen Gruß. Das war also der ›Vorsteher des Tor der Hat-Hor‹. Der, dessen Hilferufe nun seine zweite kriegerische Unternehmung veranlasst hatte. Sem-chet war ein kleiner Mann. Was ihm in der Länge fehlte, ergänzte sein Bauch; der Mann war fett und rund. Aus seinem strahlenden Mondgesicht blickten ein paar lustig funkelnde Augen. Ein kleiner Oberlippenbart verdeckte die ungewöhnlich win79 80

52

Hure, Prostituierte. Sei heil (allgemeine Begrüßungsformel wie Guten Tag oder Hallo).

zige Nase, schien sie fast zu verdecken. So hatte er sich den Hüter des bejau, des Bergwerklandes, nicht vorgestellt. Er hatte einen dürren, abgemagerten, von Kämpfen verzehrten Menschen erwartet. »Hei-eti81, o würdiger Weni!«, rief er noch einmal ergeben. »Du bist also der ›Vorsteher des Tors der Hat-Hor‹«, stellte dieser überflüssiger Weise fest. »Ja, o würdiger Weni, der bin ich und mir fällt ein Stein vom Herzen. Siehe«, er wies in die Runde und hinter sich, um seine Rede zu unterstützen. »Siehe! Dies ist ein Land der Berge, der Hitze und der bedrohten rometj. Wir sind vor chasti, den Berglandbewohnern, die auch Sandbewohner sind, ständig in Furcht.« Weni stoppte seinen Redefluss mit einem Handzeichen. »O Sem-chet, dies ist nicht der Ort, um deine Klagen zu hören. Bereite meinem Heer einen schönen Empfang und versorge sie, denn sie sind einen langen Weg gewandert, um deinen Nöten Abhilfe zu schaffen. Auch mich drückt die Ungeduld nach einem erfrischenden Bad.« Er sah etwas verlegen auf die lange Kolonne hinter ihm. »O würdiger Herr! Diese da, dein siegreiches Heer, muss am Strand dort, wo die Bäume stehen, ein Lager aufschlagen. Siehe, die Häuser im ›Tor der Hat-Hor‹ sind klein und viel zu wenig.« Das war einsehbar, denn der Ort, der inmitten eines Pinienwaldes stand, erschien auch Weni für die Unterbringung des Heeres zu klein. »So sei es, Sem-chet! Doch es gibt mein Geleit. Dieses ist im Ort unterzubringen!« Auch das, sah Weni seinem Gesicht an, war ihm zu viel. Dennoch, er wagte es nicht, seiner Anordnung zu widersprechen. So zogen sie denn, nun mit weniger Jubel, im ›Tor der Hat-Hor‹ ein. Sem-chet stellte ihm schweren Herzens sein Haus zur Verfügung. Dies war, neben dem ›Haus der Hat-Hor‹, der netjeret mefkatju, der ›Türkisgöttin‹, das größte am Ort. Er zog für die Zeit Wenis Besuches am Ort zu seinem Bruder, der der heri-heb, der ›Vorlesepriester‹, im ›Haus der Hat-Hor‹ und zugleich der ›Vorsteher der Garnison, der imj-rajeweqet, war. Dieser Ketet-djet, wie er hieß, war eine ganz andere Erscheinung, als sein Bruder. War der eine klein und rund, so war der andere dürr und lang, just so, wie Weni sich den Vorsteher des ›Tor der Hat-Hor‹ vorgestellt hatte. Weni ließ sie vor seine Versammlung seiner Anführer kommen, um ihre Klagen und Nöte vorzutragen. Sem-chet verwies jedoch, nach einer endlosen Klage über die schlechten Erträge und dem mangelnden Versorgungsnachschub auf seinen Bruder: 81

›Sei gepriesen‹ (Begrüßungsformel).

53

»Metjen82, o würdiger Weni, würdige Herren! Er ist es, der den ständigen Kampf mit diesen Widerlichen kämpft. Er kann euch sagen, wo diese zu finden sind.« »Sprich du«, forderte Weni Ketet-djet auf. »O würdiger Herr, ich weiß, wo diese chasti leben. Allein, es ist schwer, sie in den Bergen zu fangen. Ich habe gute sechemu hor wat83, die diese Berge kennen. Sie werden euch führen, damit ihr die Widerlichen aufs Haupt schlagt.« »Du sprichst wie einer, der nicht mit in die Berge ziehen will«, tadelte Weni. Er sah Weni frech an: »Netjer, o würdiger Herr! Bin ich nicht für den Schutz dieses ›Hauses der Hat-Hor‹ verantwortlich? Bin ich nicht der heri-heb, der Vorlesepriester dieses Ortes? O würdiger Weni! Nie habe ich einen Fuß in die Berge gesetzt. Wie sollte ich euch da führen oder helfen können?« »Deine Worte erstaunen mich!«, rief dieser ärgerlich. »Bin ich mit einem Heer des ›Guten Gottes‹ so weit gezogen, um zu erleben, dass die Hüter der Macht des Erhabenen in Furcht in ihren Häusern sitzen? Waren die Hilferufe maßlos übertrieben? Offenbart mir die Stärke eurer Krieger!« »O würdiger Herr, es sind nur hundert. Sie wohnen in einem Haus am Meer. Aber sie sind nicht da.« »Wo sind sie?« »O würdiger Herr, fünfzig begleiten die Wasserkarawanen, die anderen sind auf Fischfang oder in den Gärten, denn es mangelt an Nahrung.« »Wie kann das sein? Sind nicht viele Ladungen an Nahrungsmitteln mit Schiffen gekommen, die dieses, mein Heer versorgen?« »So ist es, o würdiger Herr. Doch es ist nicht für unsere Krieger. Da ist ein secheumeche84 mitgekommen, der nicht einen Sack Korn für uns über hatte. So müssen wir es machen, wie wir es immer machen mussten.« »Wo ist dieser secheu-meche?«, verwunderte Weni sich, denn ein solcher hatte sich bei ihm noch nicht gemeldet. »O würdiger Herr, er ist fort. Niemand hat ihn gehen sehen, niemand weiß, wo er ist.« Die Sache wurde immer undurchsichtiger. »Ich werde alles genau prüfen, Ketetdjet«, verkündigte er. »Schaff mir umgehend die seschemu hor wat herbei. Ich werde sie befragen und dann meinen Plan verkünden!« 82 83 84

54

Schaut, seht (ihr) = Präsentation einer Lage. Fährtensucher, Pfadfinder, Späher (siehe auch mehir). Schreiber des Heeres, Versorgungsoffizier.

Impressum Ernstfried Protzmann WENI/Band 2 Wesir der Könige Roman 1. Auflage • September 2015 ISBN Buch: 978-3-95683-258-1 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-259-8 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-260-4 Korrektorat: Ulrike Rücker [email protected] Umschlaggestaltung: Ralf Böhm [email protected] • www.boehm-design.de © 2015 KLECKS-VERLAG Würzburger Straße 23 • D-63639 Flörsbachtal [email protected] • www.klecks-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen beim KLECKS-VERLAG. Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Der Verlag übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unstimmigkeiten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

488

Leseempfehlung ...

489

Ernstfried Protzmann WENI Band 1 Gott im goldenen Krokodil Roman Taschenbuch • 17 x 22 cm • 584 Seiten ISBN Buch: 978-3-95683-255-0 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-256-7 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-257-4 Ägypten um 2330 v. Chr. – 6. Dynastie ... Sen-boni, ein heimatloser Hirtenjunger, arm und allein, ein Niemand, muss mit Diebstählen und Betrügereien seinen Lebensunterhalt bestreiten. In der ihm fremden Stadt Syenne gerät er in Konflikt mit der Obrigkeit. Schon mit Prügelstrafe rechnend, gerät er durch einen glücklichen Zufall in die Hände des fürstlichen Haus- und Schreiblehrers Ichernefer, der seine Erziehung und Ausbildung übernimmt und ihn schließlich adoptiert. Seine Herkunft verbergend, trägt er fortan den Namen Weni ... Ein mystisches Erlebnis in einem Tempel in Abydos verhilft ihm zu priesterlichen und beamteten Würden und verschlägt ihn als Verwalter eines Gutes ins Flussdelda. Hier gerät er in die Thronstreitigkeiten um das Erbe des verstorbenen Königs Unas. Als Mitstreiter und ›Einziger Freund‹ des Thronfolgers Pepi kämpft er gegen Verrat, Intrigen und Korruption und gerät schließlich selbst in äußerste Gefahr ... Der Roman beruht auf historischen Begebenheiten und Personen, wie sie in groben Zügen in der Grabkammer Wenis überliefert sind. Ein Spiegelbild seiner Zeit, das aber in mancherlei Dingen uns, den modernen Menschen, recht vertraut vorkommt.

490

Leseempfehlung ...

491

Rita Maffini Triplum Drei Leben, ein Weg Roman Taschenbuch • 13 x 20 cm • 407 Seiten ISBN Buch: 978-3-95683-050-1 ISBN E-Book PDF: 978-3-95683-051-8 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-188-1 Ein Blickkontakt zwischen Margot Trusiem und Marius Fuerster reicht, um die Welt Margots gänzlich auf den Kopf zu stellen. Das Problem nur: Margot ist 75, der junge Künstler gerade einmal 19. Und doch: so viel Vertrautheit, ein merkwürdiges Gefühl der Verbundenheit ... und dann diese Träume. Margot sucht Rat bei einem Schamanen – und ihr wird das Geheimnis des Triplums offenbart ... Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wie viele Chancen bekommen wir? Um zu leben, zu lieben, wahrhaft gut zu sein?

492

Leseempfehlung ...

493

Kathrin Gysbers Codierter Lapsus Kriminalroman Taschenbuch • 13 cx 20 cm • 278 Seiten ISBN Buch: 978-3-942884-37-2 ISBN E-Book PDFD: 978-3-942884-38-9 ISBN E-Book epub: 978-3-95683-124-9 Stanley Tyslers Leben ist perfekt. Eine wunderschöne Frau, bezaubernde Töchter, schnelle Autos, eine gut laufende Firma, Millionen auf dem Konto und die Wahl zum Unternehmer des Jahres machen ihn zum glücklichsten Menschen der Welt. Doch plötzlich ändert sich alles: Als seine im Ausland lebende Schwester und ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommen und er ihre Söhne über Weihnachten in Obhut nimmt, gerät seine Welt aus den Fugen. Ein schwarzer Ferrari kracht in seine Lieblingsgarage. Düstere Männer nehmen ihm nicht nur die Familie, sondern auch seine Identität. Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt. Stan sieht sich gefangen zwischen Lügen und Verschleierungen, und findet sich verstrickt mitten in der Suche nach einem geheimnisvollen Schatz … Ein rasantes, ein spannendes Abenteuer, gespickt mit gewandtem Wortwitz. Ein Leseerlebnis, nicht nur für Krimifans.

494