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tralische Adelaide ausstrahlte. Der Veranstaltungsort der Tagung, die. Bo tanika im Rhododendron-Park in Bremen, war nicht nur Genius Loci für die Tagungs-.
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Orangeriekultur in Bremen, Hamburg und Norddeutschland

Orangeriekultur in Bremen, Hamburg und Norddeutschland Transport und Klimatisierung der Pflanzen

Orangeriekultur Schriftenreihe des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V.

Lukas Verlag

Band 15

Beiträge der 38. Jahrestagung des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V., 14. bis 16. Septem­ber 2017, Bremen In Kooperation mit

Landesamt für Denkmalpflege Bremen

herausgegeben vom Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e. V. Vorsitzender: Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus Adresse: Friedrichstraße 6 B, 99867 Gotha Email: [email protected] | Internet: www.orangeriekultur.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

Karin und Uwe Hollweg Stiftung, Bremen

DGGL-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern

Kuno Krieger GmbH, Herdecke

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2018 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Konzeption: Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus, Burglengenfeld/Regensburg Redaktion und Lektorat: Katja Pawlak M. A., Schwerin und Dr. Simone Balsam, Dresden Layout: Katja Pawlak M. A. und Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus Satz und Umschlag: Lukas Verlag Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH Printed in Germany ISSN 1617-884X ISBN 978-3-86732-315-4

Inhalt

Helmut-Eberhard Paulus Vorwort des Herausgebers 7 Georg Skalecki Vorwort des Mitherausgebers 10 Armin Tebben Vorwort des Mitherausgebers 11 Pflanzenporträt 12 Orangerien in Bremen und in Norddeutschland Margita M. Meyer Nicht nur zur Weihnachtszeit – Orangerien in Nordwest-Deutschland 15 Rolf Kirsch Orangerien und Glashäuser in Bremen 46 Helmut-Eberhard Paulus Orangerien im Oldenburger Land und in Ostfriesland 61 Ein Bericht zur Exkursion des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V. am 16. September 2016 Trixi Stalling Die Orangerie oder das »Conservatorium« im Schlossgarten Oldenburg 74 Marcus Weiß Orangerie- und Kübelpflanzenkultur im Botanischen Garten des Schlossparks Münster

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Handel von Orangerie- und Gewächshauspflanzen in Norddeutschland Katja Pawlak Orangeriepflanzen für den Mecklenburg-Schweriner Hof 92 Transportwege und Erwerb im 18. und 19. Jahrhundert Heino Grunert Die Flottbeker Baumschulen von James Booth und Söhne 107 Heizsysteme in Orangerien und Gewächshäusern Claus J. Thurm Funktionsweise von Heizsystemen in Orangerien 120 Rainer Herzog Carl August Sckell (1793–1840) und die ersten Warmwasserheizungen in deutschen Pflanzenhäusern 140 Dagmar und Vlastimil Fetter Heizungsanlagen und Öfen in tschechischen Orangerien 173 Neue Berichte Ralph Schmalz Orangerie Schloss Schwerin – Ein kurzer Überblick 180 Thoralf Weiß Der aktuelle Stand zur Sicherung der historischen Glashausanlage im Botanischen Garten Greifswald 186 Anhang Programm der 38. Jahrestagung 192 Bildnachweis 194 Autorenverzeichnis 197

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Vorwort des Herausgebers

Der Titel »Orangeriekultur« unserer Schrif­ ten­reihe steht seit dem Jahr 2009 für das programmatische Ziel, mit den Themen und Beiträgen nicht nur Orangeriebauten und Zitrusgewächse in ihrer Extravaganz und Symbolkraft herauszustellen, sondern den umfassenden kulturellen Kosmos rund um die »goldenen Früchte« zu erfassen und zu würdigen, von der Kultivierung der Pflanzen bis zur daraus folgenden Bauaufgabe, von der allegorischen Dimension in Kunst und Literatur bis zur Wiederentdeckung in der Gegenwart. Entstand diese Schriftenreihe 1992 zunächst in Gestalt gedruckter Tagungsberichte, so fand sie zur Jahrtausendwende zur redaktionellen und gestalterischen Form eines Jahrbuchs und schließlich zur thematischen Ausrichtung der Bände auf jeweils eine Orangerielandschaft in der Mitte Europas. Wie seit Jahren gewünscht, legen wir mit diesem 15. Band der Reihe einen besonderen Schwerpunkt auf den Norden Deutschlands. Widmete sich bereits Band 5 mit der Orangerie- und Gewächshauskultur der Eutiner Residenz einem Thema im Norden Deutschlands, ebenso das opulente, vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2009 mit­herausgegebene Werk »Orangerien und historische Glashäuser in Mecklenburg-Vorpommern«, so versteht sich dieser Band auch als Ergänzung, insbesondere für den Nordwesten mit dem Schwerpunkt auf Bremen als Tagungsort. Die Bearbeitung der Orangeriekultur in den großen Hansestädten blieb ein lange ersehntes Desiderat, einfach weil der hohen Bedeutung der Städte für den Handel mit

den Orangeriepflanzen das Problem gegenüberstand, dass sich diese Bedeutung nur selten an architektonischen Zeugnissen nachweisen lässt. Insofern darf sich die Hansestadt Bremen ausgesprochen glücklich schätzen, ihren Denkmalbestand mit zwei hervorragenden Beispielen der Orangeriekultur ausgestattet zu sehen. Sie sind zugleich hanseatische Muster großbürgerlicher Orangerien von überregionaler Bedeutung. Eine völlig andere Orangerielandschaft tritt uns dagegen mit Ostfriesland und seiner einstigen, aber bis heute spürbaren Adelsstruktur gegenüber, wo man auf sehr frühe Orangerien treffen kann, was der dortigen Bevölkerung allerdings kaum bewusst ist. Hier gilt es also noch einen Schatz zu heben, der sich hinter einem Berg durchaus lohnender Forschung versteckt. Ganz anders steht es um das ehe­ malige Großherzogtum Oldenburg, dessen Oran­gerie­kultur im 19.  Jahrhundert unter neuem Vorzeichen wiederbelebt wurde, insbesondere auf Initiative des gartenbegeisterten Großherzogs Peter Friedrich Ludwig. Einst auf fürstlicher Grundlage zur Blüte gebracht, litt der von ihm geschaffene Gartenkosmos allerdings unter dem Ende der Monarchie, weil es offenbar nicht gelang, die Kontinuität zum öffentlichen Eigentum der Republik auf Dauer sicherzustellen, wie es Beispiele etwa in Preußen oder Bayern zeigen. Aufgrund des Veranstaltungsortes der Jahrestagung 2017 in der Botanika Bremen war es naheliegend, sich auch mit der Klimatisierung der Pflanzen zu befassen, die aus fernen Ländern herrühren und der besonderen praxisbezogenen Pflege bedürfen. Diese tech-

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Vorwort des Herausgebers

nische Seite praktizierter Orangeriekultur wird bis heute auch innerhalb des Arbeitskreises kontrovers diskutiert, nicht zuletzt weil die jeweiligen Ausgangssituationen sehr verschieden sind und die Zielstellungen nur selten auf die Erfahrungen der Orangeriegärtner abgestimmt werden. Leider war es auch mit diesen Band nur möglich, einen Bruchteil der Problemstellung zu thematisieren. Umso mehr werden solche Themen wie Klimatisierung, Heizung, Lüftung und Verschattung weiterhin ein Gegenstand in dieser Schriftenreihe sein müssen. Zum angemessenen klimatischen Um­ gang mit den Pflanzen gehört auch die Abstimmung ihrer Pflege auf die jeweilige Her­ kunft. Der Wechsel der Standorte – oft über hunderte von Kilometern – war schon früh durch den Handel mit den Gewächsen bedingt, ebenso durch den regen gärtne­rischen Pflanzentausch. Wir müssen jedenfalls davon ausgehen, dass derartige Ortswechsel auch mit einem fachlichen Erfahrungsaustausch verbunden waren, der in den Geschichtsquellen in Form von Verzeichnissen und Berichten noch weitgehend der kompetenten Erschließung harrt. Wie für viele Regionen darf man sich auch für den Nordwesten Deutschlands wünschen, dass es zur denkmalkundlichen Inventarisation des gesamten überkomme­ nen und auch des einstigen, zwischenzeitlich nur noch archivalisch nachgewiesenen Bestandes an Orangerien kommen möge. Wie anspruchsvoll und doch zugleich lohnend ein derartiges Unternehmen ist, konnte der Arbeitskreis Orangerien in Deutschland hautnah erfahren, als er selbst diese schmerzhafte Lücke staatlicher Denkmalinventarisation zu schließen suchte. Seit Jahren ist man sich im Arbeitskreis Orangerien bewusst, dass dieses Bedürfnis kurzfristig nicht zu erfüllen ist. Seit 2009 wird daher in der Schriftenreihe »Orangeriekultur« versucht, Themenbände

auf einzelne Bundesländer oder europäische Regionen zuzuschneiden und mit jedem Band auch eine inventarisatorische Zwischenleistung für eine Kulturlandschaft zu erbringen. Mit kontinuierlicher Unterstützung der Landesdenkmalämter und aktiver Förderung öffentlich-rechtlicher Denkmaleigentümer ist dies in den letzten Jahren mit zunehmendem Erfolg auch gelungen. Mit dem Defizit in der Inventarisierung eng verbunden sind die häufigsten Probleme der denkmalpflegerischen Fürsorge für so ausgesprochen individuelle Gesamtkunstwerke, wie sie Orangerien darstellen. Leider werden Eingriffe in Orangerieanlagen nur selten ausreichend dokumentiert. Das betrifft nicht nur Phänomene im baulichen Bereich, sondern mangels der gebotenen Gartenpflegewerke in besonders extremer Form im gärtnerischen Bereich. Mit den schmerzhaften Verlusten taucht dann gerne das Thema der sogenannten »Rekonstruktion« auf. Eine klassische Rekonstruktion im strengen Sinn mag durchaus ihre individuelle Berechtigung haben, soweit es die Quellenlage hergibt. Doch umso problematischer ist sie zu sehen, wenn sie doch nur als ein Wiederaufbau verstanden wird, der dann häufig gar als Original ausgegeben wird, obwohl er nicht einmal die Anforderungen einer Kopie erfüllt. Zudem kann es bei der Orangerie als einem Kosmos aus Lebewesen und kunstvollen Inszenierungen sowieso nie um eine vollständige Rückholung des Verlorenen gehen, vielmehr nur um die besondere Form der Wiederbelebung überkommener Rudimente, die es nun im Sinne des alten Kontextes sinnhaft erlebbar aufzuwerten gilt. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist aber zunächst das Sammeln der Erkenntnisse über die Anlagen selbst, über ihre kultivierten Pflanzenbestände und den auf Dauer angelegten Umgang damit. Die Beiträge dieses Bandes sind alle aus der 38. Jahrestagung des Arbeitskreises

Vorwort des Herausgebers

in Bremen hervorgegangen. Entsprechend spiegeln sie die Schwerpunkte in Bremen, Ost­friesland, dem Oldenburger Land und in Westfalen. Ein weiteres Thema waren der Handel und Transport der Pflanzen sowie ihre Klimatisierung. Den Abschluss dieses Bandes bilden wieder aktuelle Berichte über jüngste Forschungsergebnisse. Unser Dank für die engagierte organi­ satorische Unterstützung der Tagung in Bre­ men ebenso für die Förderung dieses Bandes im Rahmen der Mitherausgeberschaft gilt Herrn Landeskonservator Prof.  Dr. Georg Skalecki und Herrn Dr. Rolf Kirsch vom Landesamt für Denkmalpflege Bremen. Für freundliche Zuarbeit danken wir auch dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und der Verwaltung des Schlossgartens Oldenburg. Für die Ermöglichung des Exkursionsangebotes gilt ein herzlicher Dank allen Eigentümern und Gesprächspartnern vor Ort. Für die freundliche finanzielle Förde­ rung mit Druckkostenzuschüssen, ohne die das Erscheinen dieser Publikation

nicht möglich gewesen wäre, sehen wir uns in gro­ßer Dankbarkeit gegenüber dem Landes­amt für Denkmalpflege Bremen, der freund­licherweise eingestiegenen Karin und Uwe Holl­weg Stiftung Bremen, dem Landtag Mecklenburg-Vorpommern und der Stiftung Denkmalpf lege Hamburg. Ebenso herzlich danken wir den weiteren Spon­soren, der Firma Krieger Gewächshäuser und dem DGGL-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, für ihre finan­ zielle Unterstützung. Zum Abschluss gilt der Dank auch allen Autoren für die Bereitstellung ihrer Beiträge, Frau Katja Pawlak für die redaktionelle Zusammenarbeit in der Herausgeberschaft und die Lektorierung des Bandes, Frau Dr. Simone Balsam für die weitere Lektorierung sowie dem Lukas Verlag für Herstellung und Vertrieb. Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus Vorsitzender des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V.

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Vorwort des Mitherausgebers

Das Landesamt für Denkmalpflege Bremen hat sehr gerne die 38. Jahrestagung des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V. inhaltlich und organisatorisch unterstützt, war dies doch auch für uns Anlass, sich aktuell mit dem Thema der Orangerien und Gewächshäuser in Bremen zu beschäftigen. Eine klassische Orangeriekultur bestand in einer Bürgerstadt wie Bremen nur in eingeschränktem Maße. In anderen Regionen Deutschlands, wo es eine reiche fürstliche Gartenkultur besonders des Barock gab, verfügt man noch heute über prächtige Bauten zur Kultivierung exotischer Pflanzen. In einer bürgerlichen freien Stadtrepublik erwartet man solche typisch fürstlichen Erscheinungen weniger. Nur wenige Beispiele von Gewächshäusern in Bremen existieren und waren bisher bekannt. Jedoch sind der relativ große Bestand an großen öffentlichen Parkanlagen sowie die vielen privaten Gärten von Bremer Kaufleuten, ob um ihre Stadtvillen herum oder an ihren Landgütern am Rande der Stadt, bemerkenswert, wenn auch leider oftmals bereits verschwunden. Dies veranlasste das Landesamt für Denkmalpflege schon 2011, die Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger zu dem Thema Denkmalpflege in Parks und Gärten zu veranstalten. Die Ergebnisse dieser Tagung wurden in Band 9 der Schriftenreihe »Denkmalpflege in Bremen« im Jahr 2012 dokumentiert. Die wenigen erhaltenen und bekannten Gewächshäuser in Bremen sind ganz besondere Vertreter dieser Baugattung, so die um 1790 entstandene Orangerie des Land-

sitzes Iken in Bremen-Oberneuland mit einem funktionierenden historischen Beschattungssystem oder die Orangerie von Gut Landruhe aus dem frühen 19.  Jahrhundert. Bei den Recherchen hat sich nun herausgestellt, dass es daneben eine Reihe auffallender Gewächshäuser gab, von denen mit einer Ausnahme nichts mehr erhalten ist. Im Beitrag von Dr. Rolf Kirsch, der auch als zuständiger Referent für Gartendenkmalpflege in unserem Amt dankenswerterweise maßgeblich den Bremer Vortrags- und Exkursionsanteil der Tagung vorbereitet hat, werden diese neuen Erkenntnisse zusammengetragen. Besonders im Aufschwung der Gründerzeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben einige vermögende Bremer Kaufleute sich große Gewächshäuser als moderne Glas-Eisen-Konstruktionen errichten lassen. Diese »Kristallpaläste« sind nicht nur substanziell verschwunden, sondern waren auch weitgehend in Vergessenheit geraten. Anlässlich der Tagung konnte nun eine schöne Zusammenstellung erfolgen, die zeigt, dass es in Bremen eine großartige Kultur von Glashäusern gab, die sogar bis ins australische Adelaide ausstrahlte. Der Veranstaltungsort der Tagung, die Bo­tanika im Rhododendron-Park in Bremen, war nicht nur Genius Loci für die Tagungsteilnehmer, sondern konnte den Bogen bis zur aktuellen Park- und Gewächshauskultur als modernes Science-Center spannen. Prof. Dr. Georg Skalecki Landeskonservator Landesamt für Denkmalpflege Bremen

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Vorwort des Mitherausgebers

»Wenn der Park eine zusammengezogene idealisierte Landschaft ist, dann ist der Gar­ ten eine ausgedehnte Wohnung«, soll der berühmte Fürst Hermann von Pückler-Muskau einst gesagt haben. Dies mag umso mehr für Orangeriebauten gelten, die Natur und Baukunst auf einzigartige Art und Weise verbinden: dienen die Räume im Winter dem Schutz empfindlicher exotischer Pflanzen, werden sie im Sommer oft zum Erlebnisraum für Kunst, Kulinarik und Konzerte. Die Orangerie des auf einer Insel gelegenen Schweriner Schlosses ist ein besonderes Beispiel solch einer Wechselwirkung von Mensch und Natur. Erbaut wurde sie im 19. Jahrhundert nach den Entwürfen von Gottfried Semper, Hofbaurat Georg Adolph Demmler und später Friedrich August Stüler und Hermann Willebrand. Noch heute beeindruckt diese technische Meisterleistung nach den damals neuesten Verfahren durch die Harmonie, mit der sich das Schloss wie eine Erweiterung seiner Räume terrassenartig in die Garten- und Uferbereiche fortsetzt. Vom Fuße des siebzig Meter hohen Schlossturmes scheint die angeschlossene Orangerie mit den Bereichen des Burggartens zu verschmelzen. Nach umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen ist dieses Gesamtkunstwerk seit 2001 wieder zu erleben und bildete im Rahmen der BUGA 2009 einen der Anziehungspunkte in Schwerin. Der Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e. V. hat die Wiederherstellung der Schweriner Orangerie maßgeblich begleitet und so konnte, fußend auf den Ergebnissen der 24. Jahrestagung des Vereines, anlässlich der BUGA die umfangreiche Publika-

tion »Orangerien und historische Glashäuser in Mecklenburg-Vorpommern« in der Reihe »Baukunst und Denkmalpflege« des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern erscheinen. Ich freue mich, dass seither viele Besucherinnen und Besucher dieses Kleinod, das von der Verwaltung des Landtages MecklenburgVorpommern betreut wird, wie eine »ausgedehnte Wohnung« genießen. Im Sommer sind die Orangeriehöfe gefüllt mit prächtigen Kübelpflanzen, Wasserspiele erfrischen und von den Terrassen ergeben sich eindrucksvolle Sichtbeziehungen auf den Schweriner See und die umgebende Kulturlandschaft: ein sehr lebendiger Kernpunkt der Schweriner UNESCO-Welterbebewerbung »Residenzensemble Schwerin − Kulturlandschaft des romantischen Historismus«. Die Vermittlung und Erforschung der Orangeriekultur in Europa, wie sie der Arbeits­k reis Orangerien in Deutschland e. V. seit langer Zeit forciert, ist ein wichtiger Bei­ trag, um die kulturhistorische Bedeutung der Wechselwirkungen von Mensch und Natur bis heute aufzuzeigen und zu verstehen. Mögen die Erfahrungen und Erkenntnisse der Expertinnen und Experten, die sich im September 2017 in Bremen mit der norddeutschen Orangeriekultur auseinandersetz­ ten, für nachfolgende Generation von Nutzen und Hilfe sein. Armin Tebben Direktor des Landtages MecklenburgVorpommern

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Pflanzenporträt

Bigaradier bicolor, Citrus bigaradier fasciata, Melangolo fiammato »Foliis ovato-oblongis, sinuatis, luteo alboque variegatis, aliis deformibus, aliis integris, planis; fructu subrotundo, fasciis primum viridibus, deinde rubris notato; pulpa subacida.« (Mit oval-länglichen Blättern, gebogen, gelblich und weiß panaschiert, einige defomiert, andere ganz, flach; Früchte nahezu rund, mit zunächst grünen Streifen, dann rötlich gezeichnet; Fruchfleisch wenig sauer.) Aus: Risso, Antoine und Poiteau, Pierre Antoine: Histoire naturelle des orangers, Paris 1818, S. 78, Taf. 51. Citrus × aurantium ‘fasciata’ – Landsknechtshose Der deutsche Name dieser Pomeranzensorte rührt von den gestreiften Hosen der Landsknechte her. Die Früchte haben zunächst hellgelbe und grüne Streifen, die in gelb und orange abreifen. Die Blätter können sowohl völlig grün als auch panaschiert sein. Die Schale löst sich eher schlecht vom Fruchtfleisch ab. Dieses ist laut Risso von einem schmutzigen Gelb. Zunächst schmecke der Saft recht sauer, in der vollen Reife jedoch eher fad. Landsknechtshosen werden daher vor allem wegen ihrer Schönheit kultiviert. Risso betont die unterschiedliche Blattform und -färbung dieser Sorte sowie die auffällige Erscheinung der Pflanze und empfiehlt sie zur Auflockerung von gleichförmigen Zitrusbeständen. C. Gröschel

Pflanzenporträt

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Margita M. Meyer

Nicht nur zur Weihnachtszeit – Orangerien in Nordwest-Deutschland1

Anlässlich der Jahrestagung des Arbeitskreises Orangerien in Bremen 2017 sollte erstmals die Orangeriekultur in Nordwestdeutschland im Zusammenhang und im Überblick dargestellt werden; dabei gibt es immer noch Regionen, die unerforscht sind. Das naturräumlich und kulturell relativ heterogene Gebiet umfasst die Kulturlandschaft der Norddeutschen Geest, der Marsch und des ostholsteinischen Hügellandes. Politisch-historisch ist es ein Gebiet, dass von niederländischen, schwedischen und dänischen Einflüssen geprägt ist, und die Grafschaften Ostfriesland, Bremen-Verden, die Oldenburger, Lauenburger, Holsteiner und Schleswiger Fürstengebiete2 sowie die Hansestädte Lübeck, Hamburg und Bremen umfasst. Zur Mythologie Der Weltenherrscher Zeus, der mit den übrigen Göttern den Olymp bewohnte, feierte Hochzeit mit Hera, der Göttermutter. Das Fest wurde bei Okeanos, Gott der Urwasser, aus dem alle Flüsse, Quellen, Brunnen und Meere entspringen, gefeiert. Er lebte am westlichen Rand der Erde in einem Gebiet, wo die Fruchtbarkeit des Bodens selbst die Götter entzückte. Zum Hochzeitsfest erschienen alle Götter mit ihren Gaben. Gaia, die Göttin der Erde und der Pflanzen, ließ vor den Augen der Braut einen wunderschönen Baum mit goldenen Früchten emporwachsen, Symbol ewiger Jugend, Fruchtbarkeit und Unsterblichkeit. Hera bewunderte den Baum und die glänzenden Früchte und Blätter und ließ ihn, da er so überaus kostbar war, in den Garten der Götter – einen Paradiesgarten –

bringen. Dort sollte Ladon, der vieläugige und tausendköpfige Drache, der niemals schläft, ihn bewachen. Als Hüterinnen des Gartens bestimmte Hera die Hesperiden, die vaterlosen Töchter der Nacht. Sie sind den Nymphen verwandte »hellsingende Wesen« und verwandt mit Hesperos – dem Abendstern.3 Und da die Sonne bekanntlich im Westen untergeht, wird dieser sagenhafte Garten der Hesperiden – dieser U-Topos – bis heute westlich von Nordafrika gesucht – auf den Kanarischen Inseln oder doch eher auf Madeira? Wir wissen es nicht. Welche Pflanzengattung war mit den goldenen Äpfeln gemeint? Quitten, Aprikosen, Granatäpfel? Auch das wissen wir nicht. Es ist auch anzunehmen, dass diese »Äpfel« in den unterschiedlichen Kulturkreisen botanisch verschiedene Früchte darstellten. Fakt ist, dass für unseren Kulturkreis der griechische Naturwissenschaftler Theophrast, ein Schüler des Aristoteles, als erster Zitruspflanzen beschrieb. Als er um 330 v. Chr. nach Persien kam, sah er sie dort und nannte sie daher persische Äpfel – die goldenen Äpfel – Citrus medica. Es handelte sich dabei offensichtlich um die Zedratzitronen, Citrus medica, die, wie wir heute wissen, als erste in Europa am Mittelmeer in Kultur gingen. (Abb.  1) In China, Indien und in Ostasien waren die Zitrusbäume schon seit Jahrtausenden in Kultur, so dass es bis heute schwierig ist, die Geschichte dieser Gattung exakt zu erzählen. Die Gattung Citrus gehört zur Familie der Rautengewächse (Rutaceae) und ist mit 60 verschiedenen Wildarten im indo-malaiischen Inselbereich und in China natürlich

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1 Zedratzitrone, Citrus medica und zwei halbe Früchte, Hans Simon Holtzbecker, 1660, aus: Das Moller-Florilegium, 2001, Patrimonia 210, Anhang Tafel 14

2  Titelkupfer des Werkes »De Hesperides« von Giovanni Battista Ferrari (1584–1655), Vorzeichnung von Pietro Berettini, gen. Da Cortona (1596–1669), Stecher: F. Greuter

weit verbreitet. Als Ursprungsgebiete gelten Indien, China und der Malaiische Archipel. Die Inkulturnahme von Agrumen, so der Sammelbegriff für alle kultivierten Zitrusarten und -sorten, begann bereits vor 4000 Jahren und aufgrund ihrer natürlichen Neigung zur mutativen Veränderung und zur Bastardierung, die durch Pfropfungen, Kreuzungen und unterschiedliche Pflege- und Schnittmaßnahmen noch befördert werden, gibt es eine unüberschaubare Anzahl von verschiedenen Zitruspflanzen heute. Allerdings sind auf dem Weltmarkt heute nur rund 10 Sorten vertreten (vergleichbar mit den Äpfeln). Wer holte nun die goldenen Äpfel aus dem Paradiesgarten, dem Garten der Götter, und brachte sie den Menschen, so dass sie

im irdischen, diesseitigen Garten wachsen konnten? Dazu gibt das Titelbild aus dem Werk »De Hesperides« Aufschluss: Herkules steht hier recht locker an einem Podest, sein rechter Arm noch auf der Keule lehnend, mit der er den Drachen erschlagen hat, die linke Hand ist locker angewinkelt und hält bereits die goldenen Äpfel in der Hand, während ihm die Hesperiden huldigen.4 (Abb. 2) Diese Tat, so erzählt uns auch die griechische Mythologie, wird Herkules (griechisch Herakles), dem Halbgott, Sohn des Zeus und der Alkmene, zugesprochen. Es war die elfte seiner in der Mythologie überlieferten zwölf Heldentaten. Eurystheus, der König von Mykene, forderte von Herkules, die goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden zu holen. Es gibt nun

Nicht nur zur Weihnachtszeit – Orangerien in Nordwest-Deutschland

verschiedene Varianten, wie es Herkules gelang, die goldenen Äpfel zu holen. Auf jeden Fall gelang es ihm mit List, Mut und übermenschlicher Kraft und wohl auch aufgrund seiner göttlichen Herkunft, den Drachen zu besiegen, woraufhin ihm die Hesperiden die goldenen Äpfel aushändigten – ob freiwillig aus Bewunderung für den Sieger – oder aufgrund von Ängsten, die sie hegten, dass er nun auch sie bezwingen würde, wenn sie sich weigerten – auch dieses wird unterschiedlich erzählt. Uns interessiert die Geschichte, so wie sie der Jesuitenpater Giovanni Battista Fer­ rari (1584–1655) 1646 in seinem Zitrusbuch »Hesperides sive De malorum aureorum cultura et usu Libri quatuor« – Die Hesperiden oder von Anbau und Nutzen der goldenen Äpfel – erzählt. Dieses Buch ist die erste europäische Monographie über Zitruspflanzen und blieb fast 200 Jahre das Standardwerk – bis 1818 von dem Versailler Gärtner Pierre Antoine Poiteau (1766–1854) und dem Apothe­ ker, Zoologen und Botaniker Joseph Antoine Risso (1777–1845) aus Nizza das prachtvollste und umfangreichste Zitrus-Werk des 19. Jahrhunderts unter dem Titel »Histoire naturelles des orangers«5 er­schien. Ferrari erzählt nun, dass die drei Töchter des Hesperos, die aus dem Garten Eden vertrieben wurden, über das Meer kommend in Italien landen. Jeder Hesperide wird eine der damals bekannten Zitrusarten und eine andere italienische Landschaft zugeordnet. Jeweils ein Buch mit reichen Illustrationen überschreibt er mit den Namen dieser Hesperiden: Aegle, die älteste, überreicht dem Seegott des Gardasees »Benacus« die Zedraten – Malum citreum – im Hintergrund sieht man die beiden Flussgötter Mincio und Sarca. (Abb. 3) Arethusa überreicht die Zitrone – Malum limonium, syn. Citrus limon – der Stadt-

3  Aegle überreicht dem Seegott Benacus (Gardasee) die Zedratzitrone, Vorzeichnung von Nicolas Poussin (1593–1665), Stecher: C. Bloemaert, aus: Ferrari, 1646, S. 115

göttin von Genua, Hauptstadt Liguriens, und drei Wissenschaftler kümmern sich gleich um die Limonen: Links pflanzt der Philosoph Alcimus von Bordeaux eine Limone ins Erdreich; Daedalus (rechts), der große Erfinder, entwickelt die Kunst des Pfropfens und Cosmus, der Künstler, sorgt für den Schnitt und die Form der Pflanzen, die hier zu hohen Hecken geschnitten sind. (Abb. 4) Hesperthusa zuletzt überreicht die Bitter-Orangen – Malum aurantium, auch Pomeranzen genannt – in Kampanien, der Landschaft südlich von Rom mit Neapel als Hauptstadt. Dass diese Geschichte des Herkules und der Garten der Hesperiden das Leitthema der nachmittelalterlichen Gärten waren und dass bei den Humanistengärten, den Renais-

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Die drei wichtigsten Stränge, die zumin­ dest die Orangeriekultur in Nordwest­deutsch­ land beeinflussten, seien hier vor­ge­stellt. Wir beginnen chronologisch mit Italien, wobei sich die Strömungen in späterer Zeit auch durchaus überschneiden konnten.

4  Arethusa überreicht die Zitrone der Stadtgöttin von Genua, Hauptstadt Liguriens, Vorzeichnung von Guido Reni (1575–1642), Stecher: C. Bloemaert, aus: Ferrari, 1646, S. 361

sancegärten in Deutschland und auch bei den Hausväterbüchern dieser antike Mythos immer an zentraler Stelle stand, belegen alle schriftlichen und bildlichen Überlieferungen des 16. und folgenden 17. Jahrhunderts. So bezeugt es auch das Titelbild des »Herbarum Vivae Eicones« von Otto Brunfels, 1530 in Straßburg erschienen, wo unten links »Hypertusa, Erethusa und Aegle« die goldenen Äpfel pflücken, während Herkules rechts noch mit dem Drachen ringt.6 Herkulesstatuen, Drachenbrunnen, Oran­ genplätze und Orangenbäume fehlten in keinem anspruchsvollen Garten dieser Zeit. Und so wollen wir uns auf die Suche machen, auf welchen Wegen die Orangerien in Deutschland Einzug hielten.

Italien – Von den Plätzen und Galerien der Renaissancegärten bis zu den berühmten Limonaie – Vorbild für die abschlagbaren Pomeranzenhäuser nördlich der Alpen Schauen wir zuerst zu den römischen Gärten, deren Grundrisse und Perspektiven uns in dem bekannten Stichwerk des Zeichners und Druckers Giovanni Battista Falda (1643–78) überliefert sind: »Li giardini di Roma«7: Dieses Werk erschien erst 1675, gibt aber trotzdem einen recht guten Überblick über die römischen Gärten von Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts – so wie sie die Fürsten und Söhne aus den führenden adeligen und fürstlichen Geschlechtern Europas auf ihren »Grand Tours« gesehen haben mögen. Nehmen wir als Beispiel die Villa Borghese: zu ihren beiden Seiten zwei geschlossene Gärten geschmückt mit Blumen und Zitruspflanzen, »Giardini secreti di Agrumi e di fiori«, vor dem Palast ein von Balustraden gesäumter Platz, auf denen neben Skulpturen die Pomeranzen aufgestellt wurden. Auf allen Perspektivzeichnungen der Terrassenanlagen, die ja auf den sieben Hügeln des antiken Roms angelegt wurden, stehen in den römischen Gärten auf den Balustraden in Kübel gepflanzte Limonen- und Orangen­ bäume. (Abb. 5) Nun sind die Ratschläge in Bezug auf die Zitruskultur in Italien für die nordeuropäischen Landschaften nur von sekundärem Rang, denn bekanntlich scheint die Sonne in Italien viel länger und öfter im Jahr, und wie wir an den römischen Gärten sahen, bedurfte es in diesen Breitengraden keiner Unterstellplätze für den Winter. Die

Nicht nur zur Weihnachtszeit – Orangerien in Nordwest-Deutschland

5  Villa Borghese in Rom, aus: Giovanni Battista Falda, 1683, Tafel 15

Römer interessierte die Anlage kunstvoller Brunnen und Wasserbassins sowie schattiger Laubengänge und kühlender Grotten mehr – angesichts der heißen Dürre im Sommer – als die Zurschaustellung von blühenden Pflanzen, die frostempfindlich waren. Erst in den Medici-Gärten in Florenz – in den Boboligärten und in dem berühmten Orangengarten der Medici-Villa in Castello – treffen wir auf die ersten festen Orangeriebauten, die bis heute erhalten sind. Bildlich belegt sind sie in den Veduten, die um 1600 im Auftrag Ferdinando  I. de Medici (1549–1609), ab 1587 Großherzog der Tos­ kana, von Giusto Utens († 1609), einem italienischen Maler flämischer Herkunft (Justus von Utens), angefertigt wurden.8 Dass die Italiener bereits im Ausgang des 15.  Jahrhunderts Orangen- und Limonen­ bäume in ihren Gärten gepflegt und gezüchtet haben – als Symbole paradiesischen Lebens auf dem Land – der »res rustica«, davon darf ausgegangen werden, wenn uns auch authentische Bilddarstellungen der Gärten aus

dieser Zeit fehlen. Lediglich die Dichtkunst und die Malerei dieser Zeit erwähnen sie. Die Medici-Familie, die seit dem 14.  Jahrhundert bedeutende Männer der Kunst und Wissenschaft hervorbrachte, und die führende Adelsfamilie in Italien wurde, wählte sich die Orangen als Emblem aus. Sie standen für Schönheit, Fruchtbarkeit und Reichtum, und wie wir am Beispiel des Gartens in Castello sehen, in dessen Mitte sich auch ein Herkulesbrunnen befand, wurde hier schon der Zusammenhang mit der antiken Mythologie bewusst hergestellt. Der deutsche Begriff »Orangerie« hat drei Bedeutungsebenen und führte in der Literatur daher immer wieder zu einigen Verwechslungen und Fehlinterpretationen, denn wenn in historischen Traktaten und Stichen von »Orangerie« die Rede ist, kann damit dreierlei gemeint sein: 1. Ein Platz, ein Quartier im Garten, wo Orangenbäume aufgestellt sind. Sie kön­ nen in transportable Kübel oder in den Boden gepflanzt sein. Dann stellen sie

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