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Frau Dr. Margit Müller vom genannten Archiv der Evangelischen Kirche der .... auf Gerd Oestreich, welcher Polizeiverordnungen, militärischen Drill und.
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Evangelische Landeskirchen

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Harz-Forschungen Forschungen und Quellen zur Geschichte des Harzgebietes

Herausgegeben vom

Harzverein für Geschichte und Altertumskunde e.V. durch Christof Römer in Verbindung mit Bernd Feicke, Hans-Jürgen Grönke, Christian Juranek und Dieter Pötschke

Band XV.

Wernigerode und Berlin 2003 2

Christof Römer (Hg.)

Evangelische Landeskirchen der Harzterritorien in der frühen Neuzeit

Lukas Verlag 3

Abbildung auf dem Umschlag: Justus Otto, lutherischer Pfarrer an St. Martini zu Halberstadt (1541–74), Grabstein in St. Martini, Ausschnitt

© by Lukas Verlag und Harzverein für Geschichte und Altertumskunde e.V. Erstausgabe, 1. Auflage 2003 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin http://www.lukasverlag.com Umschlag und Satz: Ben Bauer, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 3–931836–78–9

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Inhalt

Vorwort

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CHRISTOF RÖMER: Die Territorienwelt des Harzraumes und die Entstehung der Evangelischen Landeskirchen – Eine Einführung

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WERNER FREITAG: Das Konzept der Konfessionalisierung und seine Anwendungsfelder – Das Fürstentum Anhalt im 16. Jahrhundert

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GÜNTHER WARTENBERG: Das Evangelische Kirchenregiment der Grafen von Mansfeld

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MONIKA LÜCKE / JÖRG BRÜCKNER: Das Kirchenregiment der Grafen zu Stolberg und die Anfänge der Konsistorien in den stolbergischen Harzgrafschaften im 16. Jahrhundert

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INGE MAGER: Die Pfarrerausbildung für evangelische Landeskirchen an der welfischen Universität Helmstedt

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CHRISTOF RÖMER: Ringen um die Begründung einer Evangelischen Landeskirche in einem Fürstbistum: Halberstadt 1517–1591

77

ARNO WAND: Reichsstift und Reichsstadt Nordhausen im konfessionellen Zeitalter

107

THOMAS T. MÜLLER: Die Evangelische Landeskirchlichkeit im vormals kurmainzischen Eichsfeld 1802–1806

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Die Autoren

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Einladung zur Tagung und Programm

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Forschungen und Quellen zur Geschichte des Harzgebietes

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Vorwort

Zum Themenkreis »Evangelische Landeskirchen der Harzterritorien in der frühen Neuzeit« hatte der Arbeitskreis Kirchengeschichte des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde zusammen mit dem Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zu Magdeburg am 15. September 2001 in das Tagungsheim der Evangelischen Landeskirche zu Kloster Drübeck bei Ilsenburg eingeladen. Die politische Kleinräumigkeit und die Territorienvielfalt des historischen Harzraumes sollten die Chance bieten, unterschiedliche Verlaufsmodelle der Reformation und unterschiedliche Gestaltungen von Landeskirchlichkeit vorzustellen und zu diskutieren. Die Vorträge der Drübecker Tagung und zwei ergänzende, aber von Anfang an geplante Beiträge liegen nunmehr gedruckt vor, nicht in der Harz-Zeitschrift, wie zunächst vorgesehen, sondern als monographische Publikation in der Reihe »Harz-Forschungen« des Harzvereins. Das mag auch erwünscht sein, weil die Drübecker Vorträge nun in diesem Forschungsband für sich stehen und praktikabel benutzbar sind. Da die einzelnen Autoren je für sich ihre Methodik begründen und ihre Ergebnisse jeweils selbst systematisieren, ist auf eine Synthese verzichtet worden. Für einen späteren Zeitpunkt ist daran gedacht, in ähnlicher Weise das landesherrliche Kirchenregiment des 15. Jahrhunderts für den Bereich der Harz-Territorien auf einer Tagung des Harzvereins zu erörtern. Frau Dr. Margit Müller vom genannten Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen ist hier der besondere Dank für die Ausrichtung der Tagung auszusprechen, ebenso der Leitung des evangelischen Tagungszentrums zu Drübeck und Frau Prof. Helga Neumann-Wernigerode für die mit einer Führung verbundene Einführung in die Geschichte und gegenwärtige Gestalt des vormaligen Benediktinerinnenklosters und früheren evangelischen Damenstiftes. Der Evangelischen Kirche der Provinz Sachsen und dem Regionalverband Harz gilt der besondere Dank für die materielle Unterstützung der Tagung.

Dr. Christof Römer Vorsitzender des Harz-Vereins

Vorwort

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Die Territorienwelt des Harzraumes und die Gestaltung der evangelischen Landeskirchen Eine Einleitung

Christof Römer

Die kirchliche Landschaft des mittelalterlichen Harzraumes ist kurz beschreibbar: den östlichen Teil dieses Raumes erfaßte die Diözese Halberstadt, den westlichen teilten sich die Diözesen Hildesheim und Mainz. Die territorialstaatliche Landschaft hingegen gestaltete sich im 14. und 15. Jahrhundert für den Harzbereich überwiegend sehr kleinräumig: die sogenannten Harzgrafschaften, so Wernigerode, Stolberg, Blankenburg/Regenstein, Honstein, Mansfeld und weitere kleine Herrschaften von Edelfreien, etwa Querfurt, die Liegenschaften der Damenstifte Gandersheim, Quedlinburg und Nordhausen und der drei Kanonikerstifte zu Goslar, die Klosterherrschaft Walkenried mit Schauen und die Reichstädte Goslar, Nordhausen und Mühlhausen. Wohl aber bildeten das kirchliche Hildesheim, Halberstadt und Mainz (Eichsfeld) flächenmäßig nicht unbeachtliche Hochstifte aus; auch das Erzstift Magdeburg reichte nahe an den Harz heran. Und schließlich expandierten zwei große Dynastien, die Welfen und die Wettiner schon seit dem 13. Jahrhundert in den Harzraum hinein. Die Askanier hielten trotz ihrer weiträumigen Expansion im 12. und 13. Jahrhundert stets ein Stück des Harzes fest, das dann beim Fürstentum Anhalt verblieb. Angesichts einer solchen kleinräumigen Territorienwelt des Harzraumes müßten im Reformationsjahrhundert hier eigentlich beträchtliche Spannungen aufgebrochen sein, wenn Diözesanhoheit und Landeshoheit in Konfrontation gerieten. Dennoch ist von dieser Art Spannung nur selten etwas zu vernehmen, nicht einmal in den Fürstbistümern. Das liegt offenbar an der schon im 15. Jahrhundert in erheblichem Maße praktizierten territorialen Kirchenhoheit. Die international orientierte und garantierte kirchliche Ordnung und der sich immer stärker entwickelnde moderne Staat – im Deutschen Reich in Gestalt der Territorialstaaten – stießen also schon in der vorreformatorischen Zeit aufeinander, etwa bei den Klosterreformationen. Wenn sich die Landesherren also in kirchliche Angelegenheiten wie Disziplin und Organisation eingriffen, so enthielten sie sich doch, jedenfalls der Intention nach, damals noch der Einmischung in dogmatische Fragen. Dabei haben sie sich wohl eher als »weltlicher Arm« bei Notständen geriert und (noch) nicht etwa als eine Art Notbischof. Als nun die lutherische Reformation in die skizzierte Territorienwelt vordrang, zeigte sich die starke Position der Territorialherren, eingeschlossen die Einleitung

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geistlichen Fürsten. Diese scheuten jetzt nicht mehr vor der Einflußnahme bzw. Schiedsrichterrolle in Sachen der Lehre zurück, ja sie machten entweder die Verbreitung der neuen Lehre oder die Verteidigung der Altgläubigkeit zu ihrer fürstlichen bzw. obrigkeitlichen Aufgabe. Die alte kirchliche Struktur spielte selbst in den geistlichen Territorien eine recht geringe Rolle, sie erlosch fast »geräuschlos« – nur von den Kirchenjuristen der sich herausbildenden Konfessionen aufmerksam beobachtet. Hingegen rangen die politischen und geistlichen Kräfte miteinander oder gegeneinander oder je für sich in den einzelnen Territorien um die Begründung und Ausgestaltung der evangelischen Landeskirchen. Ziel der Betrachtung sollte aber nicht der vordergründige konfessionelle Kampf, sondern die Gestaltung der evangelischen Landeskirchlichkeit und – in begrenztem Umfang – des Restkatholizismus sein. Die folgenden Beiträge geben somit Einblicke in die Vorgänge, in die Voraussetzungen und die Ergebnisse der reformatorischen Entwicklung. Die Ansätze der Autoren sind sehr unterschiedlich, was die erwünschte Vielfalt der Betrachtung ermöglicht und damit letztlich auch die Realität der entstandenen Strukturen widerspiegelt.

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Einleitung

Das Konzept der Konfessionalisierung und seine Anwendungsfelder Das Fürstentum Anhalt im 16. Jahrhundert

Werner Freitag

Das Konzept Studien, die das Konzept der Konfessionalisierung heuristisch und kategorial für das Fürstentum Anhalt im 16. Jahrhundert nutzen1, stehen noch aus. Für den vorliegenden Band des Harzvereins möchte ich, der Bitte des Herausgebers nachkommend, zunächst das Konzept schildern, um dann an einigen Beispielen die Ertragskraft für die weitere Forschung aufzuzeigen. Zunächst zum Konzept: Die Chance, gesellschaftlichen Wandel an den Handlungsfeldern Kirche und Frömmigkeit für das 16. und 17. Jahrhundert festzumachen, hat sich in der geschichtswissenschaftlichen Forschung in unterschiedlichen Strategien, Konzepten und erkenntnisleitenden Interessen niedergeschlagen: Die ältere Forschung, vertreten durch Ernst-Walter Zeeden, setzte sich in den 1950er Jahren mit der konfessionellen Spaltung auseinander, deren Wurzeln Zeeden im Zeitalter der »Konfessionsbildung« sah. Die von ihm geforderte nicht kirchlich gebundene Geschichtsschreibung fragt nach der Entstehung und Etablierung der Konfession, allesamt »Hauptvorgänge der europäischen wie besonders der deutschen Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert«. Zeeden definiert Konfessionsbildung als »geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinander strebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform«. Er sieht hierin einen Prozeß, der nicht nur »das Kirchliche, sondern auch die Lebensbereiche des Politischen und Kulturellen, überhaupt alles Öffentliche und Private, in Mitleiden1 Einführend Franz SCHRADER: Anhalt, in: Anton Schindlung und Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten, Münster 21990, S. 68–87. – Kürzlich ist ein Überblick erschienen, der den Zusammenhang mit dem Konzept der Konfessionalisierung andeutet, aber eher die außenpolitischen Bedingungen des anhaltischen Weges betont: Georg SCHMIDT: Die Fürsten von Anhalt – reformierte Konfessionalisierung und überkonfessionelle Einheitsbestrebungen?, in: Reformation in Anhalt. Melanchthon – Fürst Georg III. Katalog zur Ausstellung der Anhaltischen Landesbücherei Dessau sowie Veröffentlichung der wissenschaftlichen Beiträge des Kolloquiums vom 5. September 1997 in Dessau, Dessau 1997, S. 66–76.

Werner Freitag

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schaft reißt«.2 Das Aufzeigen der strukturellen Ähnlichkeit bei der Verfestigung sowohl des katholischen als auch des lutherischen und calvinistischen Bekenntnisses ist auch mehr als dreißig Jahre nach dem Erscheinen der ersten programmatischen Artikel ebenso innovativ wie das Insistieren auf Wechselbeziehungen zwischen Gläubigen und Pfarrern. Zeeden versteht nämlich die Konfessionsbildung nicht als eine mechanisch von oben nach unten verlaufende Prägung des Kirchenvolks, sondern betrachtet die Gläubigen sowohl als Objekt als auch als »Partner«, die zwar »eine Reform nach Sitte und Bildung meist außerordentlich nötig hatte(n)«, doch habe ein »lebenskräftiges« Kirchen- und Brauchtum dafür gesorgt, daß die »geistlich zwingende Macht, wenn sie die Zügel straff in die Hand nahm«, erfolgreich bei der konfessionellen Formung der Untertanenschaft vorankam.3 Die neue Forschung, vertreten durch Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling, hat die Innovationskraft des Ansatzes aufgenommen.4 Reinhard hebt wie auch schon Zeeden auf die Gleichartigkeit der Mittel ab, mit der die »Geschlossenheit« der neuen »Großgruppe Konfession« erzielt worden sei. Jedoch ist für Reinhard der Prozeß der Konfessionsbildung untrennbar verbunden mit dem der inneren Staatsbildung; Schilling sieht im »Konfessionskonflikt« sogar die Voraussetzung dieses Prozesses. Katholische, lutherische und reformierte Konfessionsbildung seien in steter Wechselwirkung vonstatten gegangen und zeitlich parallel verlaufen. Konsequenterweise versehen die Autoren ihr Konzept mit der Wortschöpfung Konfessionalisierung, bei Zeeden beiläufig erwähnt5, um den

2 Ernst-Walter ZEEDEN: Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: ders. (Hg.): Gegenreformation, Darmstadt 1973, S. 85–134, hier S. 85, 88. 3 ZEEDEN (wie Anm. 2), S. 103f., 116. 4 Zentral: Wolfgang REINHARD: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), S. 257-277. – Mit anderer Chronologie und Schwerpunktsetzung: Heinz SCHILLING: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), S. 1-45. – Vgl. auch als Überblick mit weiteren Angaben: Heinrich Richard SCHMIDT: Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, München 1992, S. 86–122, und die Zwischenbilanz von Wolfgang Reinhard: Was ist katholische Konfessionalisierung?, in: ders. u. Heinz Schilling: Die katholische Konfessionalisierung, Münster 1995, S. 419-452, und Heinz SCHILLING: Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: ebd., S. 1–49. Vgl. hierzu meine Rezension in: Perform 2 (2001) http://www.sfn.uni-muenchen.de/rezensionen/ rezp20010513.htm. – Vgl. Andreas HOLZEM: Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999), S. 53–85, bes. S. 80ff. mit dem Plädoyer für einen »ergebnisoffenfrömmigkeitsgeschichtlichen Ansatz«. 5 ZEEDEN (wie Anm. 2), S. 133.

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Werner Freitag

prozessualen Charakter zu betonen und darüber hinaus die gesamtgesellschaftliche Bedeutung herauszustellen. Das Konzept der Konfessionalisierung erhebt den Anspruch, Aussagen nicht nur über die Etablierung der Anstaltskirchen und den Prozeß der inneren Staatsbildung zu liefern, sondern gerade auch über die konfessionelle Prägung des einzelnen Gläubigen und seiner Disziplinierung.6 Sehen wir uns die drei Ebenen des Konzepts genauer an: Der Zusammenhang von »Konfessionskonflikt und Staatsbildung« wird von Heinz Schilling am Beispiel Lippes gezeigt. Es habe die Notwendigkeit für den frühmodernen Territorialstaat bestanden, städtische Autonomien ebenso wie adlige Herrschaftsbefugnisse einzuschränken.7 Konfessionalisierung umschreibt mithin, so Schilling, eine »besonders intensive Staatsbildung« insbesondere der kleineren Territorien Deutschlands.8 Deshalb sei auch auf die Fürsten, welche die Reformation trugen, ein Augenmerk zu richten; neue Herrschaftsvorstellungen seien mit der Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments einhergegangen. Konfliktparteien waren auf der einen Seite Territorialherren und ihre Kirchenbehörden, auf der anderen Seite landsässiger Adel und städtische Obrigkeiten. Die Forschung weist dann auf eine zweite Ebene hin, nämlich auf die Bedeutung des Pfarrers für den Staatsbildungsprozeß. Er habe als »Transmissionsriemen« fungiert. Die Stoßrichtung der Forschung gibt Schilling vor: Er stellt den Pfarrer als »Mann der Zentrale« dar, der »sich dem Einfluß der lokalen Kräfte – Rat und adligen Patronen – entzog« und im Auftrag seiner Vorgesetzten danach trachtete, die »Nutznießung des Kirchenguts dem lokalen Milieu zu entziehen und sie der Kirche als einer Institution des Zentralstaates zuzuweisen«.9

6 Vgl. Dietmar WILLOWEIT: Katholische Reform und Disziplinierung als Element der Staats- und Gesellschaftsorganisation, in: Paolo Prodi (Hg.): Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 1993, S. 113–132. 7 Heinz SCHILLING: Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe, Gütersloh 1981. 8 Heinz SCHILLING: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), S. 1-45, hier S. 39. – Georg SCHMIDT: Die politische Bedeutung der kleineren Reichsstände im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991), S. 257–280. – Frank KONERSMANN: Kirchenregiment und Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Kleinstaat. Studien zu den herrschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Kirchenregiments der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken 1410–1793, Speyer 1996. 9 SCHILLING (wie Anm. 7), S. 194f., 218, 284. – Vgl. auch zum Anforderungsprofil der Pfarrer die Fallstudie von Werner FREITAG: Pfarrer, Kirche und ländliche Gemeinschaft. Das Dekanat Vechat 1400–1800, Bielefeld 1996. – Siegfried MÜLLER: Der Beitrag der evangelischen Pastorenschaft in der Grafschaft Oldenburg zur Konfessionalisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Oldenburger Jahrbuch 94 (1994), S. 115–126.

Das Konzept der Konfessionalisierung und seine Anwendungsfelder

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Das Konzept der Konfessionalisierung enthält zudem eine dritte Ebene: Wenn es bei Reinhard heißt, die Konfessionalisierung bilde die »erste Phase der Sozialdisziplinierung«10, sind mögliche Auseinandersetzungen zwischen Obrigkeiten und Gläubigen um das rechte Verhalten in Gottesdienst und Alltag angedeutet. Denn Reinhard beruft sich mit dem Begriff »Sozialdisziplinierung« auf Gerd Oestreich, welcher Polizeiverordnungen, militärischen Drill und bürokratische Disziplin als Mechanismen der »Formierung der Menschen« im Zeitalter des Absolutismus aufgezeigt hat.11 Langfristig habe die Obrigkeit damit bewirkt, daß aus ›äußerem‹ Zwang ›Selbstzwang‹ geworden sei. Die Rolle der Kirche wird von Oestreich nicht problematisiert. Reinhard argumentiert nun, daß die staatlichen Behörden aufgrund fehlender institutioneller Festigung zunächst »Sozialdisziplinierung« kaum haben durchsetzen können. In dieser Situation seien kirchliche Instanzen in Anspruch genommen worden. Soweit die Positionen der Forschung: Im zweiten Teil des Aufsatzes geht es nun darum, die Tragfähigkeit des Konzepts am Beispiel des Fürstentums Anhalt zu prüfen: Zunächst wird danach gefragt, ob reformatorischer Eifer und ein neues Herrschaftsverständnis bei den anhaltischen Fürsten miteinander in Verbindung standen. Im zweiten Teil geht es um die Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments als Teil frühmoderner Staatlichkeit und um die Konflikte zwischen Fürsten und Adel. Hier werde ich auch auf die Ereignisse der Zweiten Reformation in Anhalt eingehen. Im dritten Teil gehe ich, ganz dem Konzept Konfessionalisierung folgend, auf Aspekte der Disziplinierung am Beispiel der Pfarrerschaft ein. Im letzten Teil geht es um den Zugriff auf die Gläubigen und mögliche Reaktionen. Das neue Herrschaftsbewußtsein – Voraussetzung für landesherrliches Kirchenregiment und Staatsbildung Als bevorzugte Glieder der christlichen Gemeinschaft verließen sich die drei fürstlichen Brüder Georg, Joachim und Johannes sowie ihr Vetter Waldemar nicht mehr auf die archidiakonalen Kompetenzen, die einst die Fürsten Magnus und Adolf als Magdeburger Dompröpste zugunsten Anhalt-Dessaus einsetzten12, vielmehr verstanden sie sich als Herrscher in der Tradition des Alten 10 REINHARD (wie Anm. 4), S. 276. 11 Gerhard OESTREICH: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 79-97. 12 Die strategische Nutzung der Magdeburger Dompropstei von 1489 bis zum Übertritt Georgs III. zum Luthertum harrt einer genaueren Analyse. Diese könnte aufzeigen, daß kleinere Reichsfürsten trotz der fehlenden Möglichkeit, bedeutende Bischofssitze zu besetzen, kirchenrechtliche Befugnisse für den Ausbau von Landesherrschaft einsetzten.

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Werner Freitag