Lukas Verlag

Regionalgeschichte, Bielefeld 2015, 224 S. (Dieter Pötschke). Natur. 229 .... 15 Luther: Werke, S. 72 (Nr. 28); Burger: Tradition und Neubeginn, S. 29.
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HARZ-ZEITSCHRIFT 2016

HARZ-ZEITSCHRIFT FÜR DEN HARZ-VEREIN FÜR GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE herausgegeben von Jörg Brückner

68. Jahrgang 2016 149. Jahrgang der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde Berlin und Wernigerode 2016

Lukas Verlag

Herausgeber: Dr. Jörg Brückner, Rosa-Luxemburg-Straße 23, 38855 Wernigerode, [email protected], Tel. 03943 / 94 58 08 Redaktion: Dr. Jörg Brückner Mitarbeit: Dr. Bernd Feicke (†), Hans-Jürgen Grönke, Dr. Christian Juranek, Dr. Friedhart Knolle und Dr. Dieter Pötschke Für die einzelnen Beiträge sind die Verfasser verantwortlich. Die Zeitschrift ist die Fortführung der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde, die bis zum 74./75. Jahrgang 1941/42 erschienen ist. Bezug: Mitglieder des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde e.V. erhalten die Zeitschrift für den Jahresbeitrag sowie Sonderveröffentlichungen zum Vorzugspreis. Nichtmitglieder zahlen den jeweiligen Ladenpreis. Der reguläre Verkauf erfolgt über den engagierten Buchhandel. Direkt­bestellungen sind auch möglich über den Lukas Verlag (Kollwitzstraße 57, 10405 Berlin, Tel. 030 / 44 04 92 20, Fax 030 / 442 81 77 bzw. online unter www.lukasverlag.com). Konto-Nr. des Harz-Vereins bei der Harzsparkasse Wernigerode: IBAN: DE87 8105 2000 0901 0147 37 BIC: NOLADE21HRZ

© by Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde e.V. sowie Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin www.lukasverlag.com Umschlagabbildung: Inkunabel-Sammelband aus dem Kloster Himmelpforten, Vorderdeckel des Einbandes (Foto: Joachim Stüben) Umschlag: Lukas Verlag Satz: Jörg Hopfgarten Druck: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0073–0882 ISBN 978–3–86732–252–2

INHALT

Aufsätze Zur Harzgeschichte Die Vorlagen für Luthers Editionen der Theologia Deutsch und ein unbekannter Sammelband aus der Bibliothek des Klosters Himmelpforten bei Wernigerode 11 Joachim Stüben Die Herren von Ührde (Osterode am Harz) Genealogie, Besitz, soziale Stellung und herrschaftliches Umfeld Hans-Joachim Winzer

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Königsherrschaftliche Raumerfassung am Nordharz unter den letzten Saliern Krongut, Reichsdienst und Burgenbau im 11. Jahrhundert 62 Jan Habermann Martin Luthers Familie im 16. Jahrhundert Eine Unternehmerfamilie im Bergbau und in der Erzverhüttung sowie im Metallhandel im Mansfelder Land und in Goslar Otmar Hesse Das Weingartenloch bei Osterhagen Die Geschichte einer Harzer Schatzhöhle Fritz Reinboth

97

123

Die Anfänge des Rabensteiner Stollens bei Ilfeld Uwe Schickedanz

140

Goslar – Darrés Reichsbauernstadt Margarete Lemmel

160

Zwangsarbeit für Bosch in Goslar Angela Martin

180

Ein neuer Blick auf einen bekannten Ort Die Geschichte der Mahn- und Gedenkstätte Veckenstedter Weg in Wernigerode aus überregionalen Quellen gelesen Mark Homann

Inhalt

184

Literaturschau Zeitschriftenübersicht Harzraum für das Jahr 2015

199

Rezensionen

206

Regional

206

Ursula Völlner, Saskia Luther und Dieter Stellmacher (Hg.): Der Raum Ostfalen. Geschichte, Sprache und Literatur des Landes zwischen Weser und Elbe an der Mittelgebirgsschwelle (= Literatur, Sprache, Region, hg. von Roland Berbig; Klaus Hermsdorf; Jürgen Hein und Dieter Stellmacher; Bd. 9), Frankfurt am Main 2015  (Christian Juranek) Archäologie

209

Wolfgang Timpel und Ines Spazier unter Mitarbeit von Bernd W. Bahn, Sonja Barthel †, Heinz Deubler †, Peter Donat, Ingo Heindel, Heinrich Rempelt †, Berthold Schmidt †, Frank Schöbfeld, Gerd Stoi und Hans-Joachim Stoll: Corpus archäologischer Quellen des 7.–12. Jahrhunderts in Thüringen, hg. von Sven Ostritz, Beier & Beran, Langenweißbach 2014, 407 S., 106 Tafeln  (HansJürgen Grönke) Markus Blaich; Michael Geschwinde (Hg.): Werla  1. Die Königspfalz. Ihre Geschichte und die Ausgrabungen 1875–1964 (=  Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Band 126), Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2015, XII / 273 S., 40 farbige Abb., 107 schwarzweiße Abb.   (Immo Eberl) Forschungsberichte des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle, Band 5/2014, Projekt »Lutherarchäologie«, Glas, Steinzeug und Bleilettern aus Wittenberg, hg. von Harald Meller, mit Beiträgen von Nicole Eichhorn, Nadine Bolesch, Sophia Linda Stieme, Daniel Berger, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle an der Saale 2014, 364 S.  (Hans-Jürgen Grönke) Montanwesen

214

Klaus Stedingk, Wilfried Ließmann und Rainer Bode: Harz – Bergbaugeschichte • Mineralienschätze • Fundorte. Bode-Verlag, Edition Krüger-Stiftung, Lauenstein 2015, 804 S., über 2000 Farbfotos, Karten und Risse, Lit., Format 24 × 28 cm  (Friedhart Knolle) Mittelalter und Reformation

215

Stephan Freund; Rainer Kuhn (Hg.): Mittelalterliche Königspfalzen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Geschichte – Forschungsstand – Topographie (= Palatium. Studien zur Pfalzenforschung in Sachsen-Anhalt, Bd. 1), Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2014, 224 S., 55 farbige Abb., 27 schwarzweiße Abb., viele Tabellen und Aufstellungen  (Immo Eberl) Armin Kohnle, Siegfried Bräuer (Hg.): Von Grafen und Predigern. Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes (= Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd. 17), Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014, 377 S., zahlreiche Abb. und Lit.-Anm., Quelleneditionen, Reg.  (Bernd Feicke †) Neuere Geschichte und Zeitgeschichte

218

Andreas Lesser: Die albertinischen Leibärzte vor 1700 und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Ärzten und Apothekern (= Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Bd. 34), Michael Imhof Verlag, Petersberg 2015, 348 S.  (Hans-Jürgen Grönke)

Inhalt

Kirchengeschichte

219

Peter Kasper: Das Reichsstift Quedlinburg (936–1810). Konzept – Zeitbezug – Systemwechsel, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2014, 461 S.  (Immo Eberl) Teresa Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen. Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2015, X / 632 S., 7 Farbabb.  (Immo Eberl) Kunstgeschichte und Bauforschung

224

Wolfgang Braun; Bernd Sternal: Burgen und Schlösser der Harzregion, Bände 1 bis 5, Books on Demand, 2011 bis 2015, 175 bis 192 S., zahlreiche Abb. und Grundrisse  (Detlef Schünemann) Ludger Fischer: Bodo Ebhardt – Versuche baukünstlerischer Denkmalpflege. Restaurierungen, Rekonstruktionen und Neubauten von Burgen, Schlössern und Herrenhäusern von 1899 bis 1935 (=  Veröffentlichung der Deutschen Burgenvereinigung  e. V., herausgegeben vom Europäischen Burgeninstitut – Einrichtung der Deutschen Burgenvereinigung, Reihe A: Forschungen, Bd. 13), Deutsche Burgenvereinigung e. V., Braubach am Rhein 2010  (Christian Juranek) Renaissance in Holz. Das Brusttuch in Goslar, hg. im Auftrag des Geschichtsvereins Goslar von Günter Piegsa (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar. Goslarer Fundus, Bd. 52), Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2015, 224 S.  (Dieter Pötschke) Natur

229

Eduard Fritze; Gunter Görner: Naturhistorische Chronik vom Gebiet zwischen Südharz, Eichsfeld, Unstrut, Hainich und Werra, Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2015, 450 S. mit 135 Abb., Festeinband, Format 15 × 21,5 cm  (Paul Lauerwald) Michael K. Brust: Die Barbarossahöhle im Kyffhäuser, hg. von Gemeinde Kyffhäuserland und Barbarossahöhle, Arte Fakt Verlagsanstalt, Kyffhäuserland 2015, 39 S., zahlr. Farbfotos und Grafiken, Höhlenplan, Lit.  (Friedhart Knolle und Jens Leonhardt) Schriftenreihe aus dem Nationalpark Harz, hg. von Nationalparkverwaltung Harz, Eigenverlag, Wernigerode 2007ff.  (Friedhart Knolle) Sport

233

Manuela Dietz; Michael Thomas; Josef Ufkotte (Hg.): Sportgeschichte mitten in Deutschland. Sammeln – Erforschen – Zeigen, Arete Verlag, Hildesheim 2015, 310 S., zahlr. Abb.  (Jörg Brückner)

Gratulationen und Nachrufe »Ad multos annos« Dem Ehrenvorsitzenden Dr. Christof Römer zum 80. Geburtstag Jörg Brückner

235

Bibliographie von Dr. Christof Römer für die Jahre 2007–2016 Monographie, Aufsätze und Beiträge in chronologischer Folge Christof Römer

235

Inhalt

Nachruf auf Dr. Bernd Feicke (1950–2016) Dieter Pötschke und Hans-Jürgen Grönke

238

Nachruf auf Hans-Günther Griep (1923–2016) Christian Juranek

241

Nachruf auf Dr.-Ing. Hans Bauer (1936–2015) Dieter Pötschke

243

Berichte Tagung des Arbeitskreises Archäologie des Harzes in Hachelbich 2015 Hans-Jürgen Grönke

245

Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Rechtsgeschichte 2015 Dieter Pötschke

247

Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Zeitgeschichte 2015 Friedhart Knolle

250

Protokoll der Jahresmitgliederversammlung 2016 Hans-Jürgen Grönke

251

Inhalt

Autoren Dr. Jörg Brückner, Rosa-Luxemburg-Straße 23, 38855 Wernigerode Prof. Dr. Immo Eberl M.A., Breslauer Straße 11, 73479 Ellwangen (Jagst) Dr. Bernd Feicke (†) Hans-Jürgen Grönke, Andersen-Nexö-Straße 2, 99734 Nordhausen Dr. Jan Habermann, An der Abzucht 11a, 38640 Goslar Dr. Otmar Hesse, Bulkenstraße 4, 38640 Goslar Mark Homann, Bergmannweg 37, 38226 Salzgitter Dr. Christian Juranek, Am Schloss 1, 38855 Wernigerode Dr. Friedhart Knolle, Grummetwiese 16, 38640 Goslar Paul Lauerwald, Töpferstraße 16, 99734 Nordhausen Margarete Lemmel, Im Riethwinkel 1b, 31171 Nordstemmen Jens Leonhardt, Dammweg 8, 99084 Erfurt Angela Martin, Skalitzer Straße 54, 10997 Berlin Günter Piegsa, Am Heiligen Grabe 8a, 38640 Goslar Dr. Dieter Pötschke, An der Wublitz 25B, 14542 Leest Fritz Reinboth, Theodor-Francke-Weg 52, 38116 Braunschweig Dr. Christof Römer, Am Wasserturm 5, 38102 Braunschweig Uwe Schickedanz, Köppenweg 11, 38228 Salzgitter Dr. Detlef Schünemann, Landrat-Seifert-Straße 3, 27283 Verden (Aller) Dr. Joachim Stüben, Hauptstraße 48, 25492 Heist Dr. Hans-Joachim Winzer, Tegelbusch 18, 26180 Rastede

Autoren

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AUFSÄTZE ZUR HARZGESCHICHTE

Die Vorlagen für Luthers Editionen der Theologia Deutsch und ein unbekannter Sammelband aus der Bibliothek des Klosters Himmelpforten bei Wernigerode Joachim Stüben

Der junge Luther, die Theologia Deutsch, Johannes Tauler und das Kloster Himmelpforten Der Marburger Kirchenhistoriker Hans Schneider forscht in einem 2004 erschienenen Aufsatz nach Spuren der handschriftlichen Vorlagen, die Martin Luther (1483–1546) für seine 1516 und 1518 veröffentlichten Editionen der Theologia Deutsch, einer mystischen Schrift aus der Zeit um 1400, verwendet haben könnte. Schneider nimmt dabei Bezug auf einen Aufsatz Henrik Ottos aus dem Jahre 1999.1 In diesem Beitrag stellt Otto ein bestimmtes Exemplar der Ausgabe der Predigten des dominikanischen Mystikers Johannes Tauler († 1361) vor, die 1508 in Augsburg erschien.2 Es befindet sich heute in der British Library in London und enthält drei Eintragungen, die Aufschluss über seine Herkunft geben: Die erste, die durchgestrichen wurde, besagt: Ein aus Braunschweig stammender Ordensbruder namens Ludolph Cotte kaufte das Buch 1517 vermutlich in Wittenberg und schenkte es der Bibliothek »des Augustinereremiten-Konvents von Himmelpforten« (conventus porte celi fratrum Eremitarum divi Augustini) »in der Nähe der Stadt Wernigerode« (iuxta oppidum Wernigerode). Die Tauler-Ausgabe sollte laut dem zweiten Vermerk von 1522 oder 1523 als Ausgleich für zwei Pergamentbände (siehe unten) dienen (in recompensam pro alio scripto in pergameno accommodato), die das Kloster Himmelpforten an den Kölner Schwesterkonvent ausgeborgt und nicht zurückerhalten hatte. Diese wiederum, so die Erläuterung, war von dort an Martin Luther ausgeliehen worden: Himmelpforten kann das Manuskript aber nicht zurückbekommen, »weil Luther hernach zum Ketzer geworden und mit seinen Anhängern aus der Kirche ausgeschlossen worden ist« (noster vero liber – ymmo libri, quare duo erant – non potest rehaberi, quia luther postea hereticus factus est et ab ecclesia reiectus cum sibi adherentibus). Der Hinweis, dass Luther eine Edition beabsichtigte (ut imprimeretur), die tatsächlich zustande kam (sicut factum est), lässt die Annahme zu, dass es sich um die Theologia Deutsch handelte.3 Ob für diesen 1 Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage; Otto: Die Herkunft der Vorlage. 2 Tauler: Sermones; vgl. Otto, Vor- und frühreformatorische Tauler-Rezeption, S. 34–41. 3 Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 80–84; vgl. Otto: Vor- und frühreformatorische Tauler-Rezeption, S. 311.

Die Vorlagen für Luthers Editionen der Theologia Deutsch

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nicht sehr umfangreichen Text allerdings zwei Buchbinderbände erforderlich waren, ist unwahrscheinlich. Demnach dürfte der unbekannte Schreiber wohl eher zwei Sammelhandschriften oder einen Druck und eine solche gemeint haben, die im Kölner Ordenshaus verblieben waren. Die Verwendung des Verbs »accommodare« beweist, wie Schneider Otto richtig verbessert, dass hinter dem jüngeren Eintrag ein nicht ordnungsgemäß abgeschlossener Ausleihvorgang steckte.4 Man könnte es juristisch noch genauer formulieren: »accommodatum« bezeichnet meistens die so genannte Gebrauchsleihe, das heißt, das Leihgut soll in derselben Gestalt zum Eigentümer zurückkehren – anders als etwa Geld, das als Gut bei der Verbrauchsleihe (in Rechts- und anderen Quellen häufig »mutuum« genannt) keiner identischen Restitution unterliegt. Das Vorhandensein einer Handschrift der Theologia Deutsch in Himmelpforten hängt möglicherweise mit der nahegelegenen Kommende in Langeln zusammen, die, 1219 gegründet, damals dem Landeskomtur der Ballei Sachsen unterstellt war. Als Verfasser dieser Schrift wird nämlich ein Priesterbruder der Deutschordensherren in Frankfurt am Main vermutet. Die Langelner Deutschordensbrüder nahmen an den dortigen Kapitelversammlungen teil.5 Außerdem scheint es vorgekommen zu sein, dass Deutschordensherren zu den Augustiner-Eremiten wechselten. Das legt jedenfalls ein Brief Luthers an Michael Dressel, den Prior des Ordenshauses in Neustadt an der Orla, vom 23. Juni 1516 nahe.6 Somit könnten Langelner Brüder die Handschrift in der Reichsstadt erworben und an das Kloster Himmelpforten verschenkt, verkauft oder vertauscht haben. Auf jeden Fall zumindest für die zweite Ausgabe der Theologia Deutsch »ist […] Luthers Druckvorlage eine Himmelpfortener Handschrift.«7 Wann genau Luther in Wittenberg das Manuskript aus Köln entlieh bzw. zugestellt bekam, ist nicht mehr eindeutig zu klären, doch dürfte das 1517 oder 1518 geschehen sein. Das würde aber bedeuten, dass die Erstausgabe von 1516 eine andere Vorlage gehabt haben muss.8 Ein Besuch des damaligen Distriktsvikars Luther in Himmelpforten zu einem Treffen mit seinem Generalvikar und Beichtvater Johann von Staupitz († 1524) ist durch einen Brief belegt, den dieser an einem sechsten August an Johann Lang († 1547) in Erfurt schrieb. Schneider verlegt diese Quelle wie schon andere vor ihm in das Jahr 1516, während sie im Briefkorpus der Weimarer Ausgabe dem Jahr 1517 zugeordnet wird.9 Dasselbe tat der Wernigeröder Archivar und Bibliothekar Eduard Jacobs (1833–1919), der im Anschluss an zwei ältere Her4 Otto: Die Herkunft der Vorlage, S. 434f.; Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 83. 5 Voigt: Geschichte des deutschen Ritter-Ordens, S. 642; Jacobs: Ueberblick über die Geschichte, S. 444. 6 Luther: Werke, S. 46f. (Nr. 17). 7 Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 86. Somit ist die Liste bei Otto: Vor- und frühreformatorische Tauler-Rezeption, S. 56, entsprechend zu ergänzen. 8 Vgl. ›Der Franckforter‹ (›Theologia Deutsch‹), S. 29–34, 52–57. 9 Luther, Werke, S. 101f. (Nr. 43); vgl. Vollständige Reformations-Acta und Documenta, S. 817 (Nr. 16).

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Joachim Stüben

ausgeber von Luther-Briefen diese Jahresangabe hinzufügte: »Ex Porta Coeli, sexta Augusti MoDoXVII«.10 Die letztere Datierung war Grundlage des Textes auf dem Gedenkstein, der am 31.10.1917 zum 400-jährigen Reformationsjubiläum auf dem ehemaligen Klostergelände errichtet wurde. Jedenfalls muss Luther, der sich seinerzeit, kurz bevor er als Kritiker des Ablasses in Erscheinung trat, mit Tauler beschäftigte, – vielleicht von Staupitz, vielleicht vor Ort – von der in Himmelpforten vorhandenen, aber nach Köln entliehenen Handschrift (mit) der Theologia Deutsch erfahren haben. Der spätere Reformator rückte das Werk nahe an Tauler heran, wie aus einem Brief an den Humanisten und späteren Reformator Sachsens, Georg Spalatin (1484–1545), vom 14. Dezember 1516 hervorgeht.11 Dem Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin zufolge »steht die Theologia deutsch als wichtige Etappe von Luthers Entwicklung für seine Anknüpfung an die spätmittelalterliche Mystik einerseits, für seine zunehmende Ausrichtung auf den publizistischen Markt andererseits.«12 Wie das Himmelpfortener Exemplar der Augsburger Tauler-Ausgabe von 1508 in die British Library kam, ist ungeklärt. Ein dritter Eintrag in dem Buch, der nicht mehr vollständig zu entziffern ist, deutet darauf hin, dass es sich – vermutlich nach der schrittweisen Auflösung des Klosters Himmelpforten im Anschluss an den Bauernkrieg von 1525 – zwischenzeitlich wieder in Köln in klösterlichem Besitz befand.13 Zum Distriktsvikar für die Ordenshäuser in Meißen und Thüringen war Luther auf dem Provinzialkapitel der sächsischen observanten (strengeren) Augustinereremiten, das vom 29. April bis zum 1. Mai 1515 in Gotha stattfand, mit einer Amtszeit von drei Jahren gewählt worden.14 Diese Aufgabe war, wie Luther Johann Lang am 26. Oktober 1516 leidvoll klagte, mit vielerlei Belastungen verbunden, darunter gewiss auch einer umfangreichen Reisetätigkeit.15 Jacobs bemerkt: »Luthers Besuch in Himmelpforten pflanzte sich am Harz in der Erinnerung der Leute fort.«16 Man könnte auch sagen: Er wurde legendenhaft ausgemalt. Das zeigt sich zum Beispiel in der Chronik des Klosters Walkenried, die aus der Feder des lutherischen Pfarrers und Schullehrers Heinrich Eckstorm (1557–1622) stammt. Dieser führt die Überlieferung an, dass Luther auf seinem Weg von Erfurt nach Himmelpforten im Zisterzienserkloster Walkenried eingekehrt sei und den Insassen ein düsteres Schicksal vorhergesagt habe.17 10 Urkundenbuch der Deutschordens-Commende Langeln, S. 192 (Nr. 128); vgl. Luther: Briefwechsel, S. 103f. (Nr. 43); Kunzelmann: Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten, S. 227, 475. 11 Luther, Werke, S. 79 (Nr. 29); vgl. ›Der Franckforter‹ (›Theologia Deutsch‹), S. 3f. 12 Volker Leppin: Theologia Deutsch. 13 Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 92f. 14 Posset: The Front-Runner of the Catholic Reformation, S. 201f.; Burger: Tradition und Neubeginn, S. 38. 15 Luther: Werke, S. 72 (Nr. 28); Burger: Tradition und Neubeginn, S. 29. 16 Urkundenbuch der Deutschordens-Commende Langeln, S. 192 (unter Nr. 128). 17 Eckstorm: Chronicon Walkenredense, S. 219.

Die Vorlagen für Luthers Editionen der Theologia Deutsch

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Das Kloster Himmelpforten und seine (fast) verlorene Bibliothek Kehren wir noch einmal zu dem aus Himmelpforten stammenden Tauler-Druck zurück, der jetzt der British Library gehört. Der erste (später wohl in Köln ausgestrichene) Besitzeintrag von 1517 beginnt so: Liber conventus porte celi […].18 Diese Formulierung ist, wie sich nachher zeigen wird, ein entscheidendes Identifikationsmerkmal. Schneider stellt am Ende seiner Studie fest: »Leider wissen wir über das Schicksal der Himmelpfortener Augustiner sehr wenig und nichts über den Verbleib ihrer Bibliothek.«19 Was Schneider 2004 noch nicht bekannt sein konnte: Es gibt außer dem Tauler-Druck von 1508 noch einen weiteren Band, der sich dem Kloster Himmelpforten zuweisen lässt. Zunächst ein paar Angaben zur Geschichte: Das Augustinereremiten-Kloster Himmelpforten entstand 1256 oder bald danach als Nachfolgeeinrichtung einer wilhelmitischen Ansiedlung aus der Zeit um 1230. Patronin war Maria. Die »in der schattigen Waldeinsamkeit«20 (aber eben doch in Stadtnähe) gelegene Konventskirche war ein beliebtes Wallfahrtsziel. Himmelpforten lag in der thüringisch-sächsischen Ordensprovinz, die Nord- und Mitteldeutschland bis zur Maingrenze umfasste. Zu ihr gehörte der Erfurter Konvent, in den Luther 1505 eingetreten war – ein Jahr, nachdem die observanten Augustinereremiten sich eigene Konstitutionen gegeben hatten. Dieser Bettelorden war 1244 in Rom gegründet und 1256 durch Papst Alexander IV. († 1261) mit anderen geistlichen Gemeinschaften (u. a. den Wilhemiten) vereinigt worden. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich, dass die schon bestehende Niederlassung der Wilhemiten bei Wernigerode in ein Augustinereremitenkloster umgewandelt wurde.21 In Himmelpforten fanden General- und Provinzialkapitel des Ordens statt. Himmelpforten war Mutterkloster der 1290 gegründeten Niederlassung in Helmstedt. 1315 unterstützen die Mönche der porta caeli die neugegründete Ordensniederlassung in Einbeck mit 15 Mark.22 Himmelpforten gehörte seit ca. 1430 dem reformierten Zweig der Augustinereremiten und damit der 1419 gegründeten sächsisch-thüringischen Reformkongregation an. Bedeutende Himmelpfortener Augustiner waren Heinrich Zolter († 1460 oder später) und Andreas Proles (1429–1503).23 Himmelpforten unterhielt Termineien (Häuser oder zumindest Räumlichkeiten außerhalb des eigenen Klosters, aber innerhalb eines Bezirkes, in dem Almosen gesammelt werden durften) in Wernigerode, Elbingerode, Osterwieck und Goslar.24

18 Abgebildet bei Otto: Vor- und frühreformatorische Tauler-Rezeption, S. 441; vgl. Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 81. 19 Schneider: Zur Herkunft einer Vorlage, S. 92. 20 Jacobs: Ueberblick über die Geschichte, S. 471. 21 Burger: Tradition und Neubeginn, S. 35; Heim: Augustiner-Eremiten, S. 67. 22 Müller: Einbeck, S. 379; Dolle: Hannover, S. 576; Pischke: Helmstedt, S. 643. 23 Jacobs: Ueberblick über die Geschichte, S. 477f.; Burger: Tradition und Neubeginn, S. 15. 24 Sommer/Jacobs: Beschreibende Darstellung, S. 45.

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Joachim Stüben