Ulm - Porträt einer Stadt

Dr. Max Stemshorn sanierte die ehemalige Dreikönigskirche . ... von Spielwaren Gänßlen . ... Max Eyth und sein Denkmal auf der Adlerbastei .......... 157.
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Dagmar Hub Elvira Lauscher

Ulm

Porträt einer Stadt

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Porträt einer Stadt

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© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat/Redaktion: Ricarda Dück Satz: Julia Franze Umschlaggestaltung/Bildbearbeitung: Alexander Somogyi Mirjam Hecht; © The World of Maps (www.123vectormaps.com) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany ISBN 978-3-8392-4847-8

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Mit einer Fledermaus durch Ulm /// Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus .. . . . . . 11 Handwerkliche Tradition stirbt /// Martin Zaiser bäckt in der letzten Zuckerbäckerei .. . . . . . . . . . . 17 100 Jahre Leben in Ulm /// Maria Burgi liebte das Schwimmen im SSV-Bad .. . . . . . . . . . . . . 23 Der Architekt mit Gefühl für alte Häuser /// Dr. Max Stemshorn sanierte die ehemalige Dreikönigskirche .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Die Einzigartigkeit des Menschen /// Heike Sauer holt sich Inspiration im Café Edeltraudt .. . . . . . . 33 Ich habe viel erlebt mit den Jahren /// Der Trompetenbaum und sein Leben am Oberen Ausee .. . . . . 39 Die Tochter des letzten Königs /// Ira Dentler bewahrt in der Gerbergasse das Erbe ihres Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Hier tschilpt es allerorten /// Der Ulmer Spatz wurde im Café Tröglen geboren .. . . . . . . . . . . 49 Ein Haus voller Vergangenheit /// Pächter Timo Ried leitet die Engel-Apotheke .. . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Hätte ich hier zu Hause sein können? /// Hildegard Knef wurde in der Turmgasse geboren . . . . . . . . . . . . . 53 Ich habe oft 200 Prozent gegeben /// Martin Schuth und eine Rollstuhl-Rugby-Mannschaft fürs RKU .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Eine Stimme mit Gewicht /// Selda Karadumans Wort gilt in der DITIB-Moschee .. . . . . . . . 63 Höchster Kirchturm steht im Mittelpunkt /// Michael Hilbert ist 21. Baumeister am Ulmer Münster .. . . . . . 69 Ich bin gern in der Küche /// Ralf Hagmayer bäckt die Pfannkuchen im Allgäuer Hof .. . . . 75

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Staufische Stadtmauer ist ein Geschenk /// Maxi Pedrozo frisiert im Effedue vor historischer Kulisse .. . . . 79 Ein Studio neben den Kühen /// Günter Merkle macht Filme am Willy-Brandt-Platz .. . . . . . . . . 83 Weil Musik innerlich leuchten lässt /// Albrecht Schmid gibt Konzerte im Wiblinger Kloster .. . . . . . . . . 89 Kein Geld zu haben macht frei /// Schwester Sigrids neue Heimat im Wengenkloster . . . . . . . . . . . . . 93 Ein Besucher, der fürs Leben bleibt /// Roberto Scafati leitet das Ballett am Theater Ulm .. . . . . . . . . . . . 99 Ich hätte gern mehr Jazz in Ulm /// Joo Kraus spielte schon oft in der Pauluskirche . . . . . . . . . . . . . . 105 Eine Ärztin aus dem Mittelalter erzählt /// Agathe Streicher lebte in der heutigen Neuen Straße .. . . . . . . 111 Vom Armenhaus ins Guinness-Buch /// Günter Altstetters Schiefes Haus ist beliebtes Fotomotiv .. . . 115 Leben mit der Erinnerung der Patienten /// Dr. Horst Hohmuth praktiziert im Geschwister-Scholl-Haus .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Ich habe eine starke Bindung zum Fluss /// Jürgen Dangel fährt mit seiner Ulmer Schachtel auf der Donau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Menschen sollen auch Querdenken lernen /// Renate Breuninger ist gerne in der Villa Eberhardt . . . . . . . . . 131 Die Stunde des Schwurs /// Ivo Gönner beendet das Stadtjahr auf dem Schwörhausbalkon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Die Faszination für den Beruf bleibt /// Bernhard Gerstner baut Geigen in der Bessererstraße .. . . . . 141 Das Leben mit den Steinen /// Volker Bekers Lego-Nabada im Fenster von Spielwaren Gänßlen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Ein Wechsel ist immer eine Chance /// Marcus Sorg denkt gerne an den SSV Ulm zurück . . . . . . . . . . Die Liebe zur Industriearchitektur /// Ulrike Hudelmaier lebt im ehemaligen Magirus-Werk . . . . . Von einem zu früh Verstorbenen /// Max Eyth und sein Denkmal auf der Adlerbastei . . . . . . . . . . . Wo Blinde Blüten spüren /// Hartmut Dorow initiierte den Duft- und Tastgarten .. . . . . . . Ich war der Herr der Stadt /// Lutz Krafft residierte und feierte im Ehinger Hof .. . . . . . . . . . Arbeiten und Leben mit Ulmer Schränken /// Elise Ihle wohnte in der ehemaligen Sebastianskapelle .. . . . . Nun bin ich fast wieder komplett /// Der Löwenmensch ist das wertvollste Stück des Ulmer Museums .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Bildverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Quellenverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

»Ich habe keine Stadt gesehen, in der sich die Menschen im allgemeinen so gern aufhalten wie in Ulm, Arme wie Reiche.« Felix Fabri, 1488/89

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Mit e ine r Fle d e rmau s du rch Ulm Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus

»Ich habe mir Ulm nicht ausgesucht«, sagt Kathrin Schulthess. »Als ich erstmals in meinem Leben auf den Münsterplatz kam, war der grau, geteert und zugeparkt. Nein, ich war nicht begeistert, als ich nach Ulm kam.« Lang ist das her: Ende der 80er-Jahre zog die junge Archäologin und Mutter von zwei Kindern mit ihrem Mann Peter an die Donau, weil Peter Schulthess einen Ruf an die Universität Ulm erhalten hatte. Heute, erklärt die aus Münster in Westfalen stammende Frau, macht es sie froh und glücklich, die Begeisterung von Touristen zu erleben, die sie durch die Altstadt führt. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Ulm eine so schöne Stadt ist«, hört sie häufig und kann solchen Aussagen von Herzen zustimmen. »Fasziniert bin ich immer noch von der Archäologie, aber glücklich bin ich mit dem, was ich tue«, resümiert sie. Kathrin Schulthess ist Gästeführerin in Ulm; vor allem zwischen Mai und Oktober und im Dezember zeigt sie zahlreichen Menschen Ulm, das sie als ihr Zuhause empfindet. Dabei braucht man ein schnelles Gespür für die Bedürfnisse der unterschiedlichen Reisegruppen – beispielsweise, ob historisches Wissen oder eher eine heitere Führung mit Anekdoten gefragt ist. Ihre persönlichen Lieblingsplätze liegen nördlich des Münsters in der Raben- und der Kohlgasse; sie mag aber auch das Fischerviertel, das die Touristen neben dem Münster am häufigsten sehen wollen. Vor der Touristen-Information des Stadthauses trifft Kathrin Schulthess regelmäßig Ulm-Besucher. Manchmal bleibt dort auch Zeit für ein Gespräch der Gästeführer untereinander. Zum Stadthaus, 1993 eröffnet, hat Kathrin Schulthess eine ganz besondere Beziehung. Das lange Ringen der Verwaltung und der Bürger um dieses Gebäude bekam sie gerade noch mit, als sie nach Ulm zog – vor allem aber erlebte sie dann die archäologischen Grabungen auf dem Münsterplatz an der Stelle des abgerissenen Barfüßerklosters aus dem 13. Jahrhundert und den anschließenden Bau des von Richard Meier entworfe11

Die staufischen Löwen im Stadthaus wurden in der Nähe ausgegraben

nen Stadthauses. »Das war der erste Bau der Postmoderne in Ulm«, erinnert sie sich. »Das erste architektonische Wagnis!« 100 Jahre hatten die Bürgerschaft, Architekten, Politiker und Stadtgestalter nach dem Abriss des Klostergebäudes um die Gestaltung des Münsterplatzes gerungen und gestritten. Die Folge der Uneinigkeit war der zugeteerte als Parkfläche genutzte Münsterplatz, der wahrlich kein schöner Anblick vor dem gotischen Sakralbau war. Als sich die Jury eines städtebaulichen Wettbewerbs am 15. November 1986 für den Entwurf des amerikanischen Architekten Richard Meier entschied, brach ein Sturm der Entrüstung los. Bundesweit sprachen Medien von der heikelsten Baustelle der Republik. Man hatte Angst, die Postmoderne könnte die Monumentalität des Münsters mit seinem höchsten Kirchturm der Christenheit entwerten. Heute ist der Meier-Bau aus Ulms Mitte nicht mehr wegzudenken. »Wenn man aus der Hirschstraße auf den Münsterplatz kommt, blickt man gleichzeitig auf das Weiß des Stadthauses und die filigrane 12

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Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus

Vertikale des Hauptturms. Die auf die Horizontale reduzierte Gestaltung des Stadthauses und das nach oben strebende Münster betonen sich gegenseitig und werten einander gegenseitig auf«, sagt Kathrin Schulthess. »Jede der beiden Architekturen unterstreicht die Einzigartigkeit der anderen.« Damals – während der Diskussionen und der archäologischen Grabungen der späten 80er- und frühen 90er-Jahre – habe sie überlegt, was sie als junge Mutter in Ulm tun könnte, erinnert sich die Münsteranerin. Eine Berufstätigkeit als Archäologin war zu jener Zeit mit der Erziehung der beiden Söhne nicht vereinbar. Der Gedanke, Touristen als Gästeführerin Ulm näherzubringen, gefiel ihr; diese Tätigkeit war mit den Kindern, die heute längst ausgeflogen sind, unter einen Hut zu bringen. »Ich habe mich eingearbeitet, mich viel mit der Stadtgeschichte beschäftigt«, erinnert sich Kathrin Schulthess. Dennoch sei es in der ersten Zeit immer wieder geschehen, dass sie auf detaillierte Fragen antworten musste: »Das muss ich selbst erst nachlesen« oder »Da muss ich recherchieren, das weiß ich nicht.« So etwas passiert ihr heute kaum noch – vor allem nicht im Münster, in dem sie besonders gern Führungen macht, aber auch in den Straßen der Kernstadt kennt sie sich mit der Historie der Häuser und ihrer früheren Bewohner bestens aus. Kinderführungen wurden zum Spezialgebiet von Kathrin Schulthess, und weil es kaum Literatur gibt, mit der man Schüler für Baugeschichte interessieren kann, erfand sie für die Jungen und Mädchen der Region die Figur der Fledermaus Lilli Langohr. Ihren Namen hat dieses Tier, über dessen Entdeckungsreisen in Ulm Kathrin Schulthess inzwischen drei Bücher geschrieben hat, nach dem Braunen Langohr. Diese Fledermausart gibt es tatsächlich im Ulmer Münster; die Tiere überwintern in Spalten unterm Dach. Die Plüschfigur, die die Gästeführerin eigens für ihre Kinderführungen anfertigen ließ, ist mittlerweile etwas »zerliebt«, denn wenn Kathrin Schulthess und Lilli Langohr in der Stadt und im Münster unterwegs sind, agieren sie stets gemeinsam. »Immer, wenn Lilli Langohr aus der Tasche kommt, sind 13

die Jungen und Mädchen total begeistert und wollen sie streicheln. Dann wird sie geküsst, und die Schüler wollen wissen, wie sie lebt und wie die realen Fledermäuse im Münster hausen.« Klar, dass Kathrin Schulthess auf diese Weise inzwischen über das Leben von echten Fledermäusen in der Natur viel gelernt hat und ihrer Lilli Langohr eine eigene Biografie und einen richtigen tierischen und menschlichen Freundeskreis schaffen musste, denn Lilli Langohr ist im Gegensatz zu ihrem Bruder Drago ein äußert neugieriges, stadt- und religionsgeschichtlich interessiertes Wesen, oft ein bisschen naseweis, aber kess und freundlich. In den drei Bänden des Buches eignet sich Lilli auf manchmal recht abenteuerliche Weise das Wissen an, das sie mit Kathrin Schulthess gemeinsam an KinModerne Architektur der weitergibt. »In vielen Grundschulklassen kommen nur die Hälfte der Kinder aus katholischen oder evangelischen Familien«, sagt Kathrin Schulthess. Für die muslimischen Schüler erzählt Lilli deshalb auch gern von der gemeinsamen Wurzel von Christentum und Islam. »Kinder sind bei Führungen ganz anders als Erwachsene«, erklärt Kathrin Schulthess. »Für sie gibt es keine Frage, die man nicht stellen kann.« »Fix und alle« sei sie deshalb manchmal, nachdem sie eine Gruppe Sieben- oder Achtjähriger eine gute Stunde lang konzentriert bei der Stange halten konnte. »Trotzdem sind solche Führungen für mich das Schönste an meinem Beruf.« Als sie einmal eine Gruppe von Grundschülern fragte, welche Funktion denn wohl der große Sprengring in der Turmhalle des Münsters haben könnte, fantasierte ein Mädchen, dass da bestimmt »die Bösen heruntergestoßen wurden«, die dann unten im Keller verschwunden seien. »Manchmal ist es gar nicht so leicht, auf solche Dinge zu antworten«, sagt 14