Bern - Porträt einer Stadt

25 Berns Stimme ///. Alexander Tschäppät politisiert im Bundeshaus . . . . . . . . . . . . . 127. 26 Im Knobelkeller ///. Gabriel Palacios erfand die Adventure Rooms .
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Sandra Rutschi Andreas Blatter

Bern

Porträt einer Stadt

Sandra Rutschi Andreas Blatter

Bern

Porträt einer Stadt

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© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat/Redaktion: Ricarda Dück Satz: Julia Franze Umschlaggestaltung/Bildbearbeitung: Alexander Somogyi Kartendesign: Mirjam Hecht; © The World of Maps (www.123vectormaps.com) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany ISBN 978-3-8392-4845-4

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Im Kuriositätenkabinett /// Büne Huber überwindet Krisen im Naturhistorischen Museum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Der luftigste Job der Stadt /// Marie-Therese Lauper ist Turmwartin im Münster .. . . . . . . . . . . 17 Des Physikers Wunderjahr /// Albert Einstein schaffte an der Kramgasse den Durchbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Seit fünf Generationen in der Familie /// Nicole Loeb leitet das Warenhaus Loeb .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Auf dem Land /// Martin Begert ist Landwirt an der Bottigenstrasse .. . . . . . . . . . . . 29 Zwischen Bundesstadt und Genfersee /// Lilo Pulver residiert im Burgerspittel im Viererfeld . . . . . . . . . . . 35 Der Bewahrer der Altstadt /// Jean-Daniel Gross ist Denkmalpfleger im Erlacherhof .. . . . . . . 41 Der sichere Hafen /// Paul Klees Werke lagern im Zentrum Paul Klee . . . . . . . . . . . . . . . 47 Der glücklichste Mensch der Welt /// Sabine Marti bäckt Kuchen im Bagel-Café Tingel Kringel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Zwiebeln so weit das Auge reicht /// Annemarie Stettler verkauft auf dem Kornhausplatz . . . . . . . . . 57 Kisten voller Dankesbriefe /// Thierry Carrel operiert Herzen am Inselspital . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Der süße Zaubertrank /// Mathias Wirth braut Sirup am Waffenweg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Eine Premiere zum Geburtstag /// Heidi Maria Glössner tritt im Stadttheater auf .. . . . . . . . . . . . . . . 71

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Der Cartoonist mit der rosa Brille /// Max Spring zeichnet an der Lentulusstrasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 An vorderster Front /// Mario Stegmann arbeitet in der Notschlafstelle Sleeper .. . . . . . 81 Die Aare ist ihr Jungbrunnen /// Annemarie Wälti schwimmt auch im Winter beim Marzili .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 »Gott hat manchmal schon Humor« /// Schwester Lydia Schranz lebt in der Schänzlistrasse .. . . . . . . . . . 89 Im Tor steht immer ein Spinner /// René Kiener spielte Eishockey auf der Kunsteisbahn Ka-We-De .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Magische Momente auf dem Berner Hausberg /// Philippe Cornu organisiert das Festival auf dem Gurten . . . . . . 99 Unter Männern /// Kathrin Altwegg erforscht an der Universität den Weltraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Der Rebell /// Jimy Hofer fährt oft ins Restaurant des Pyrenées . . . . . . . . . . . 111 Wo die Stargeigerin zum Feuervogel wird /// Patricia Kopatchinskaja kleidet sich in der Länggassstrasse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Schach auf dem Eis /// Mirjam Ott coacht die Weltmeister in der Curlinghalle . . . . . 121 Der heimliche König der Berner /// Finn regiert im Bärenpark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Berns Stimme /// Alexander Tschäppät politisiert im Bundeshaus . . . . . . . . . . . . . . 127 Im Knobelkeller /// Gabriel Palacios erfand die Adventure Rooms .. . . . . . . . . . . . . 131

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Familie Helfers Faszination für Stroh /// Liselotte Helfer und Monique Millard knüpfen am Olivenweg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experimentieren erwünscht! /// Carol Rosa gründet das Kunst- und Kulturhaus visavis . . . . . Der Liedermacher lebt weiter /// Mani Matter ist am gleichnamigen Stutz verewigt .. . . . . . . . . Die gute Seele des Wankdorf-Stadions /// Heinz Minder ist im Stade de Suisse verwurzelt .. . . . . . . . . . . . Hoch und runter /// Markus Stämpfli war Kondukteur im Mattelift . . . . . . . . . . . . . Die Traumtänzerin /// Katharina Zimmermann schreibt an der Münstergasse .. . . . Fluch und Segen /// Lo & Leduc philosophieren im Wartesaal des Hauptbahnhofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Zuhause für geflügelte Stadtbewohner /// Carina Tobler betreut Tauben im Wyssloch .. . . . . . . . . . . . . . . . . Ein bisschen Farbe /// Andrea Heinrich frisiert in der Lorrainestrasse . . . . . . . . . . . . . .



Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Bildverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Quellenverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

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I m K urio sitäten kabin ett Büne Huber überwindet Krisen im Naturhistorischen Museum

Knochengerüste können inspirierend sein. »Diese Wasserschildkröte  – ist sie nicht großartig?«, schwärmt Büne Huber. »Oder hier, der Haifischkiefer mit den drei Zahnreihen.« Der Frontmann der Mundartrockband Patent Ochsner spaziert im Naturhistorischen Museum Bern von Vitrine zu Vitrine und bleibt schließlich vor einem skurrilen Karussell stehen. Die Skelette eines Elefanten, eines Braunbären und eines Pferdes tanzen gemeinsam im Kreis. Der Sänger lacht ob solcher Kuriosität und eilt weiter zu einem Rotschnabeltoko hinter Glas. Dieser Vogel ist Hubers liebstes Wesen im Museum, obschon das Ausstellungsstück allein der Demonstration dient, wie sehr schlecht konserviertes Material unter dem sogenannten Museumskäfer leidet. Völlig zerzaust sieht das Tier aus: Lediglich wenige Federn stehen ihm wie gespreizte Finger von der Brust ab, die Flügel sind bis auf die Knochen abgenagt. Und liegt da nicht ein gewisser Vorwurf in dem Blick, mit dem es die Besucher zu mustern scheint? Ungefähr so mitgenommen wie dieser Vogel fühlte sich Büne Huber in den Jahren 2010 und 2011. Damals litt er an einer kreativen Blockade. Die Krise ging so tief wie nie zuvor: Anstatt nur beim Verfassen einzelner Lieder zu stocken, stellte der Musiker alles infrage, was er zu Papier brachte. »Was ich pflücken konnte, interessierte mich nicht. Ich hatte alles schon 100 Mal gesagt  – und zwar besser«, erklärt er rückblickend seine damalige Situation. Total orientierungslos sei er gewesen, doch mit fast 50 seinen Job zu wechseln, der einen dermaßen prägt, sei nicht ohne Weiteres möglich gewesen. Die Musik bestimmt Büne Hubers Leben, also musste er damals einen Weg aus dem Dilemma finden. Da er im Kirchenfeld-Quartier in unmittelbarer Nähe des Naturhistorischen Museums wohnte, verbrachte er jeden Tag Stunden in den Ausstellungsräumen bei den kuriosen Gestalten, um Energie zu tanken. »Inmitten der Skelette und gerade im Vergleich zu ihnen fühlte ich mich wieder lebendig. Die Szenerie im Museum ist derart morbid, dass es sogar lustig wurde.« 11

Der Mundartsänger mit dem zerzausten Vogel, seinem liebsten Ausstellungstück im Museum

Die tierischen Gerippe inspirierten den Sänger zu Fotocollagen und setzten dadurch seine Kreativitätsmaschinerie erneut in Gang. Als sich der Knoten löste, kam ihm dies wie ein plötzliches Ereignis vor – obschon es eigentlich ein langer Prozess war. Eine ähnlich aufwühlende Zeit erlebte Büne Huber 1990, als er alles auf die musikalische Karte setzte: Mit Mitte 20 gründete der gelernte Metallbauschlosser und Sozialpädagoge, mit dem bürgerlichen Namen Hanspeter Huber, die Mundartrockband Patent Ochsner. Die Gruppe spielt heute in anderer Zusammensetzung als damals, Büne Huber ist jedoch nach wie vor der Frontmann und komponiert die meisten Lieder. Songs wie Scharlachrot, Bälpmoos oder W. Nuss vo Bümpliz stammen aus seiner Feder und sind mittlerweile schweizweit wahre Hymnen geworden. Der Erfolg von »Ochsners«, wie der Sänger die Band liebevoll nennt, kam für ihn überraschend. »Wir nahmen eine Scheibe auf und meinten, wenn wir davon 1.000 Exemplare verkaufen, wäre das super. Doch dann wurden daraus 100.000.« Von einem Tag auf den anderen sah sein Leben ganz anders aus. »Es war, wie wenn man als Geschäftsführer direkt in einen Bereich einsteigen würde, von dem man keine Ahnung hat«, blickt Huber zurück. »Al12

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Büne Huber überwindet Krisen im Naturhistorischen Museum

les war wahnsinnig interessant, doch ich war konstant überfordert, hinkte allem hinterher und fragte mich ständig, was ich von all dem halten soll.« Das mute zwar im Nachhinein amüsant an, in den ersten zwei Jahren sei es jedoch vor allem mühsam gewesen. Als das erste Album mit den Hits Scharlachrot und Bälpmoos die Schweizer Charts eroberte, lebte der Musiker in einer Wohngemeinschaft in Münsingen. »Jedes Blockflötengesicht da draußen hatte das Gefühl, es müsse mich anrufen und mit mir über einen Song reden. Ich selber teilte dieses Bedürfnis aber nicht unbedingt, und meine Mitbewohner erst recht nicht.« Er stellte ein Gesuch, seine Nummer aus dem Telefonbuch zu löschen  – und erhielt im ersten Jahr nicht einmal eine Antwort. Also führte die WG Telefoncodes ein. »Wichtige Leute ließen es zweimal klingeln, hängten auf und wählten neu.« Büne Huber lächelt, schüttelt den Kopf und spaziert weiter durch die Ausstellungsräume des Naturhistorischen Museums, die ihm vor wenigen Jahren in der Krisenzeit wichtigen Halt boten. Er bewundert die Fische, die im Aquarium schwimmen, ebenso wie ihre Artgenossen, die säuberlich präpariert in den benachbarten Vitrinen untergebracht sind. An einer Wand hängen Bilder des Bernburger Großwildjägers Bernhard von Wattenwyl, der dem Museum die Trophäen seiner Afrikaexpedition der Jahre 1923 und 24 geschenkt und damit dessen internationalen Ruf begründet hatte. In einer Ecke bleibt der Mundartsänger stehen und betrachtet einen ausgestopften Gorilla, der aus einem Wald auszubrechen scheint. Dieses Tier hat ihn schon im Kindesalter fasziniert. Für ihn und seine Freunde galt es als Mutprobe, sich mit dem Rücken zugewandt vor diese Vitrine zu setzen und möglichst lange auszuharren. »Was deutlich zeigt, wie zarte Wesen wir waren«, kommentiert der Musiker heute. Büne Huber ist im Tscharnergut in Bern-Bethlehem aufgewachsen. Als er noch ein Bub war, pulsierte dort das Leben. Das »Tscharni« war ein ausgesprochen kinderreiches Quartier, nebst Schweizern wohnten in der Großsiedlung viele Italiener und Spanier. Mit seinen Freunden eroberte Büne Huber nicht nur das Naturhistorische Mu13

seum, sondern auch den nahen Wald und das Alte Schloss Bümpliz, das damals leer stand. Mit etwa 14 Jahren spielte er eines Tages verbotenerweise mit seiner Clique in den Schlossgemäuern, als er plötzlich Geräusche hörte. Die Jugendlichen schlichen erschrocken davon und wurden dabei von Bekannten gesehen. »Abends um acht brannte das Schloss, und wir schwitzten einige Tage Blut. Wie hätten wir unsere Unschuld beweisen sollen?« Doch alles blieb ruhig, und schließlich stellten sich die Brandstifter. In den Jahren vor seiner großen Sinnkrise kehrte der Mundartsänger oft in die Großsiedlung mit den markanten Hochhäusern und Scheibenhäusern zurück. Er empfand sie als nicht mehr so lebendig wie früher. Vielleicht, weil viele Kinder inBüne Huber erzählt von seiner zwischen lieber mit einer Playstation als in kreativen Blockade Schlössern und Museen spielen, vielleicht auch, weil dort mittlerweile anstatt 5.000 nur noch 2.500 Menschen leben. Die vielen Dreizimmerwohnungen sind heute für Familien zu klein. Das Tscharnergut hat sich im Laufe der Jahre ebenso verändert wie Büne Huber. Seine kreative Blockade, die er im Naturhistorischen Museum lösen konnte, war nicht zuletzt Ausdruck von diesem Wandel. »Wenn man als junger Mann eine Band gründet und alles läuft wie am Schnürchen, ist das wunderbar. Aber mit den Jahren haben sich viele Sachen überholt, sie interessieren mich gar nicht mehr.« Heute mache es ihm nicht besonders Spaß, »glückliche Liedchen fürs Dreiminutenradio« zu schreiben. »Ich musste Formen finden, um mit dieser Situation umzugehen.« Sich allerdings mit jedem Song neu zu erfinden, erachtet er inzwischen als ein Ding der Unmöglichkeit. »Ich besitze eine Werkzeugkiste mit einem Geschmack, 14