jm_Heft_01-2016 Book.indb - Juris

01.01.2016 - länderübergreifende Lösung ins Spiel gebracht. Die Bereit- stellung von Diensten für die Justiz aus ...... einer Kündigung (absolut) passiv verhaltenden Arbeitneh- mer privilegieren wollte. Denn dieser ..... zunächst keine Rolle mehr spielen, da der Arbeitnehmer während der Freistellung (Suspendierung) ...
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

M1 Die Monatszeitschrift

JANUAR

2016

Beilage zum Anwaltsblatt

Topthema:

In dieser Ausgabe:

Datenspeicherung in modernen Fahrzeugen – wem „gehören“ die im Fahrzeug gespeicherten Daten?

Datenhaltung und Datenadministration der Justiz und richterliche Unabhängigkeit VPräsLG Holger Radke

Wiss. Mit. Stephanie Vogelgesang

Überwachung im Arbeitsverhältnis: Von Befragungen bis zur GPS-Ortung – wie viel Kontrolle ist erlaubt? RA u. FA für Arbeitsrecht Dr. Detlef Grimm

Die

auch unter www.juris.de

Aufhebungsverträge und Sperrzeit Stv. Dir. ArbG Cornelius Kroeschell

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Inklusive Anwaltsblatt mit Online-Archiv

Expertengremium: Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

INHALT

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JANUAR

2016

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Topthema:

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Datenspeicherung in modernen Fahrzeugen – wem „gehören“ die im Fahrzeug gespeicherten Daten? Wiss. Mit. Stephanie Vogelgesang S. 2 Datenhaltung und Datenadministration der Justiz und richterliche Unabhängigkeit VPräsLG Holger Radke

S. 8

„SOFORT Überweisung“ als einziges entgeltfreies Zahlungsmittel unzumutbar LG Frankfurt a.M., Urt. v. 24.06.2015 - 2-06 O 458/14 RA Dr. Christian Conreder und RA Ulrike Schild, LL.M. (Aberdeen) S. 13

Arbeitsrecht

Festigung der neuen SchwarzarbeitsRechtsprechung BGH, Urt. v. 11.06.2015 - VII ZR 216/14 Wiss. Mit. Anna Hahn, LL.M. (Johannesburg)

S. 16

Überwachung im Arbeitsverhältnis: Von Befragungen bis zur GPS-Ortung - wie viel Kontrolle ist erlaubt? RA u. FA für Arbeitsrecht Dr. Detlef Grimm

S. 17

Fehlsteuerung im Urlaubsrecht BAG, Urt. v. 06.05.2014 - 9 AZR 678/12 - BAGE 148,115 Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau S. 27 Sozialrecht

Aufhebungsverträge und Sperrzeit Stv. Dir. ArbG Cornelius Kroeschell

Verwaltungsrecht

Umweltverträglichkeitsprüfung bei nachträglicher Kumulation - Schweinemastanlagen BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 - 4 C 4/14 RiBVerwG Helmut Petz S. 36

S. 30

I

Die Monatszeitschrift

INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Steuerrecht

NACHRICHTEN

BÜCHERSCHAU

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Umsatzsteuer bei Verkäufen über eBay BFH, Urt. v. 12.08.2015 - XI R 43/13 RiBFH Dr. Gerhard Michel

S. 39

Krankenhausstrukturgesetz passiert den Bundesrat

S. 42

Harmonisierung deutscher Erbschaftsteuervorschriften mit EU-Recht

S. 42

Bundespräsident muss Presse keine Auskunft zu Gesetzgebungsverfahren geben

S. 42

Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, Kommentar Prof. Dr. Axel Jäger

S. 43

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EDITORIAL

JANUAR

2016

Schöne neue Welt 4.0 Auch wenn damals wie heute vielfach gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird, wenn also „die Realität das Recht überrollt“, so sollte das nicht Anlass sein, das Recht der Realität anzupassen, sondern es sollte ein Anlass sein, dafür Sorge zu tragen, dass das Recht anerkannt wird. Das heißt nicht, dass es nicht sinnvoll sein kann, das Arbeitszeitrecht zu flexibilisieren und es so an moderne Entwicklungen anzupassen. Was neue technische Entwicklungen betrifft, so muss der Gesetzgeber sich selbstverständlich mit diesen auseinandersetzen. Aber es ist der Gesetzgeber, der die „schöne neue Welt 4.0“ gestalten und es ist die „Realität“, die seine Vorgaben beachten muss.

Prof. Dr. Stephan Weth Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes

Editorials zu lesen ist – manchmal jedenfalls – spannend. Ich bin unlängst über folgende Zeilen in einem Editorial gestolpert: „Schon heute führt die Nutzung von Smartphones und die damit verbundene ständige Erreichbarkeit dazu, dass die betriebliche Praxis geltendes Arbeitszeitund Urlaubsrecht teilweise nicht mehr anwendet. Dies zeigt, dass manche technischen Entwicklungen mächtiger sind als das Arbeitsrecht. Die Industrie 4.0 braucht deshalb ein Arbeitsrecht 4.0. Denn es ist besser, wenn sich das Arbeitsrecht mit Augenmaß der technischen Entwicklung anpasst, als von der Realität überrollt zu werden.“ (Dzida, NZA – Editorial, Heft 17/2015). Ist das das richtige Plädoyer? Muss sich wirklich das Recht der technischen Entwicklung anpassen oder ist es nicht vielmehr so, dass die technischen Entwicklungen und deren Nutzung sich im Rahmen der rechtlichen Vorgaben halten müssen? Natürlich muss sich der Gesetzgeber mit technischen Entwicklungen auseinandersetzen und er wird dies auch tun. Dass in Unternehmen aufgrund der Nutzung von Smartphones und der damit verbundenen ständigen Erreichbarkeit der Arbeitnehmer gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wird, ist richtig. Der großflächige Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz ist aber nichts Neues, wie etwa ein Blick in die Krankenhauslandschaft zeigt. Die dort durchaus nicht unüblichen exzessiven Arbeitszeiten waren schon im Jahr 2000 Anlass für den EuGH, sich in seiner SIMAP-Entscheidung mit dem Arbeitszeitrecht zu befassen und den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit einzuordnen.

Dass es einen durch technische Entwicklungen ausgelösten immensen Bedarf an gesetzgeberischem Gestaltungswillen gibt, zeigen gleich mehrere Aufsätze in diesem Heft. Das Auto war – wie unsere Autorin Stephanie Vogelgesang schreibt – früher ein Hort privater Freiheit und galt als einer der letzten überwachungsfreien Lebensbereiche. Heute ist das Auto ein Instrument massenhafter Datensammlung geworden. Damit stellt sich die Frage, wem die im Fahrzeug gespeicherten Daten, um die sich ein wirtschaftlich motivierter Verteilungskampf entwickelt hat, gehören. Vogelgesang bejaht ein eigentumsähnliches Recht an Daten. Wenn nach Auffassung der Autorin ein gesetzgeberisches Eingreifen auch nicht unbedingt erforderlich ist, so zeigen ihre Ausführungen doch, dass eine umfassende gesetzgeberische Lösung höchst sinnvoll wäre und viele Streitfragen obsolet machen könnte. Detlef Grimm befasst sich mit der Überwachung im Arbeitsverhältnis und fragt, wie viel Kontrolle erlaubt ist. Er kommt zum Ergebnis, dass eine ausdifferenzierte gesetzliche Regelung mehr Bewertungssicherheit vermitteln und den Beschäftigtendatenschutz von seinem derzeitigen Case-Law-Charakter befreien würde. Er weist aber auch darauf hin, dass die Technik so rasant fortschreite, dass der Gesetzgeber regelmäßig „hinterherhecheln“ werde. Ob dies allerdings richtig ist oder ob die „Kunst des Gesetzgebers“ nicht so weit gehen kann, Gesetze zu schaffen, die sich auch bei künftigen technischen Entwicklungen bewähren, scheint eine durchaus lohnenswerte Frage. Neben den angesprochenen Aufsätzen findet sich vieles mehr in der Januarausgabe der jM. Viel Spaß bei der Lektüre. Ihr Stephan Weth

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Datenspeicherung in modernen Fahrzeugen – wem „gehören“ die im Fahrzeug gespeicherten Daten? Wiss. Mit. Stephanie Vogelgesang A. Problemstellung Die vorliegende Problematik gehört zu den aktuellen Fragestellungen insbesondere des Verkehrsrechts und war auch Thema des 52. Deutschen Verkehrsgerichtstages (VGT) in Goslar 2014. Die angesprochenen Fragen reichen jedoch weit über den engeren Bereich des Verkehrsrechts hinaus. In der Sache geht es um rechtliche, aber auch gesellschaftliche Grundfragen in einer zunehmend digitalisierten Welt. Früher war das Auto ein Hort privater Freiheit. Das Auto galt als einer der letzten überwachungsfreien Lebensbereiche und als klassisches Rückzugsgebiet für eine eigenständige Privatsphäre.1 Strukturelle Änderungen kamen insoweit insbesondere durch vermehrte Assistenzfunktionen, wie z.B. ABS (Antiblockiersystem) oder ESP (elektronisches Stabilitätsprogramm). Diese Änderungen entsprachen dem Ansatz: Unfälle vermeiden, Umwelt entlasten und Verkehr leistungsfähiger machen2 und damit einer an sich allgemein akzeptierten Zielsetzung. Dadurch wurde das Auto aber auch zu einem Instrument massenhafter Datensammlung und damit auch potentieller Datenkontrolle. In modernen Fahrzeugen befinden sich bereits heute über 80 Steuergeräte und eine Vielzahl von Sensoren.3 Diese Zahlen werden beim Trend zum vollautonomen Fahrzeug noch steigen. Das moderne vernetzte Auto ist immer weniger Auto und immer mehr Computer. B. Zum Verteilungskampf um die Daten der Autofahrer Durch diese technische Entwicklung ist im Umkreis des modernen vernetzten Autos ein neuer Markt entstanden. Dieser ist durch Elemente des klassischen Produkts „Auto“ und zunehmend durch Elemente des Internets charakterisiert.4 Dadurch ist auch der Kreis der Beteiligten, der sog. Player, die ein legitimes Interesse an einem Zugriff auf Fahrzeugdaten haben können, enorm angewachsen. 5

Neben den klassischen Interessierten , wie

• Eigentümer, Halter und Fahrer, • Sachverständige, • staatliche Stellen (z.B. Strafverfolgungsbehörden, Gerichte), kommen ständig auch neue Produktanbieter hinzu, wie z.B. Kfz-Versicherungen, die Fahrdaten auswerten und auf dieser Grundlage anhand des individuellen Fahrverhaltens auch individuell zugeschnittene Beiträge festsetzen (Pay as you drive). So hat die SparkassenDirektversicherung seit 20136 einen telematikbasierten Versicherungstarif S-Drive, bei dem defensive Fahrer einen Rabatt erhalten sollen. Offenbar plant der Versicherungskonzern HUK-Coburg, ab 2016 ebenfalls einen Telematiktarif in der Kfz-Versicherung einzuführen.7 Registriert werden überhöhte Geschwindigkeit, hastiges Bremsen und Beschleunigen sowie Nachtund Stadtfahrten.8 Dafür muss der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug mit einer Telematikbox ausstatten.9 Insbesondere drängen auch vormals branchenfremde Teilnehmer wie Apple oder Google in das Feld der Fahrzeugdaten10 und arbeiten an einer nahtlosen Integration in das Fahrzeug.11 Google gilt allgemein als Vorreiter der Auswertung von Nutzerdaten zur personenbezogenen Werbung.12 Dadurch entstehen neuartige Gefährdungslagen, gerade auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten.13

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• Vertragshändler und Hersteller, • Werkstätten und Pannenhilfsdienste,

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Weichert, 52. VGT 2014, 286; Roßnagel, DuD 2015, 353. Bönninger, 52. VGT 2014, 229. Hornung/Goeble, CR 2015, 265. Hornung/Goeble, CR 2015, 272. Dazu näher Roßnagel, 52. VGT 2014, 258 ff. bzw. Roßnagel, DuD 2015, 353, 355. Mielchen, 52. VGT 2014, 242; Kinast/Kühnl, NJW 2014, 3057. Rötzer, abrufbar unter: www.heise.de/tp/artikel/44/44999/1.html (zuletzt abgerufen am 10.11.2015). Kinast/Kühnl, NJW 2014, 3057 m.w.N.; dazu auch Schwichtenberg, DuD 2015, 378, 379. Mielchen, 52. VGT 2014, 242 Fn. 4. Hawranek/Schulz, Spiegel Sonderheft Wissen Nr. 4, 2014, 14. Hornung/Goeble, CR 2015, 265, 266. Härting, CR 2014, 528, 529. Weitere neue Gefährdungslagen beim modernen Fahrzeug wie Totalüberwachung, Erhebung von Bewegungsprofilen oder Hackerangriffe von außen können in diesem Rahmen nicht näher erörtert werden.

JM 1 Denn das Ziel ist, über den Zugriff auf Fahrzeugdaten individuelle Nutzerprofile zu vervollständigen und zu perfektionieren.14 Dies führt wiederum zu Techniken und Lösungsstrategien, die allgemein unter Stichworten wie „Profiling“ und insbesondere „Big Data“, hier verstanden als Sammeln und Auswerten von großen Datenmengen, bekannt sind.15 „Big Data“ lebt vom Ansatz „je mehr Daten, umso besser“.16 Damit läuft „Big Data“ den Grundstrukturen des Datenschutzes entgegen. Denn dieser ist, wie auch in § 3a BDSG normiert, ausdrücklich auf Gesichtspunkte wie Datenvermeidung und Datensparsamkeit ausgerichtet. In der Sache hat sich ein massiver, insbesondere auch wirtschaftlich motivierter Verteilungskampf um die Daten der Autofahrer entwickelt. Dieser muss durch klare rechtliche Lösungen auf nachvollziehbarer Grundlage geordnet werden. C. Wem gehören die Fahrzeugdaten? I. Zum Stand der rechtswissenschaftlichen Diskussion Die rechtswissenschaftliche Diskussion zu dieser Frage steht erst am Anfang.17 Selbst der rechtliche Ausgangspunkt für diese Fragestellung ist noch ungeklärt.18 So erwähnt Hoeren19 in diesem Zusammenhang Ebenen wie Sacheigentum, Urheberrecht, Schutz des Datenbankherstellers, Datenschutz oder schuldrechtliche Beziehungen. Ergänzt werden kann diese Aufzählung unter anderem um die grundrechtliche Zuordnung der Daten, die im vernetzten Auto erzeugt werden.20 Dies führt z.B. zu Grundrechtspositionen wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung21 oder dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme22. Bei Einbeziehung der europäischen Ebene würde sich das denkbare rechtliche Bezugssystem noch erweitern. Brenner23 fasst dies mit der einprägsamen Formulierung zusammen: Bei dem Problem „Big Data auf der Autobahn“ handelt es sich um eine riesige juristische Grauzone, bei der noch vieles im Dunkeln liegt.

Typischerweise wird die Frage „Wem gehört etwas?“ auf der juristischen Ebene zunächst verstanden als Frage „Wer ist Eigentümer?“. Damit wird auf die Ebene des zivilrechtlichen Sacheigentums verwiesen.

Ausgangspunkt der Eigentumsprüfung ist § 903 BGB. Danach kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren oder andere von jeder Einwirkung ausschließen. Mit dem Sachbegriff wird damit an § 90 BGB angeknüpft. Danach sind Sachen im Sinne des Gesetzes nur körperliche Gegenstände, wobei sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen von § 90 BGB erfasst werden.25 Wichtig für den Sachbegriff ist, dass die Gegenstände im Raum abgrenzbar sind, etwa durch die eigene körperliche Begrenzung, durch Aufbewahrung in einem Behältnis oder durch sonstige künstliche Mittel.26 Die Frage, ob es auf dieser zivilrechtlichen Ausgangslage ein Eigentum an Daten gibt, wird im juristischen Schrifttum ganz überwiegend in eindeutiger Weise beantwortet: Mangels Körperlichkeit – also wegen Fehlens der Sacheigenschaft – besteht kein zivilrechtliches Eigentum an Daten.27 Die Kraftfahrzeugdaten gehören als immaterielle Informationen niemandem.28 Es gibt nach der Grundkonzeption des BGB kein rechtliches Eigentum an Daten.29 2. Zur Notwendigkeit einer weiteren Diskussion Mit der Verneinung eines Dateneigentums nach dem BGB kann die Sachdiskussion jedoch nicht als beendet angesehen werden. Zwar hat der historische Gesetzgeber die Einbeziehung von Daten in den Kontext des BGB sicherlich nicht eingeplant.30

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1. Zur rechtlichen Ausgangslage 28

Daten werden hier als maschinenlesbare, kodierte Informationen angesehen.24 Nach dem Konzept des BGB sind

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die systematischen Zusammenhänge bei der Frage „Gibt es Eigentum an Daten?“ relativ genau vorgezeichnet.

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II. Zur Frage eines Dateneigentums

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Hornung/Goeble, CR 2015, 265, 266. Näher zu den Techniken von „Big Data“ und „Profiling“ Härting, CR 2014, 528. Härting, CR 2015, 528, 534. Brenner, DAR 2014, 619, 623. Vgl. die Referate von Bönninger; 52. VGT 2014, 229 ff.; Mielchen, 52. VGT 2014; 241 ff., Rossnagel, 52. VGT 2014, 257 ff. Hoeren, MMR 2013, 486, 489. Hornung, DuD 2015, 359, 361; Roßnagel, DuD 2015, 353. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a.; BVerfGE 65, 1; dazu Hornung, DuD 2015, 359, 361. BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07; BVerfGE 120, 274; dazu Hornung, DuD 2015, 359, 362. Brenner, DAR 2014, 619, 623. Vgl. Zech, CR 2015, 137, 138. Ellenberger in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, Überblick vor § 90 Rn. 3. Ellenberger in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 90 Rn. 1. Vgl. die Nachweise bei J. Schmidt in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 3; Ellenberger in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 90 Rn. 2. Roßnagel, 52. VGT 2014, 282. Dorner, CR 2014, 617, 620. Hoeren, MMR 2013, 486, 488.

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Die Monatszeitschrift

Dass aber ein Fortschritt in Wissenschaft und Technik zu neuen zivilrechtlichen Fragestellungen führen kann, ist inhaltlich nichts Ungewöhnliches. Methodisch ist zudem das Zivilrecht im Gegensatz zum Strafrecht31 nicht an den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG gebunden und daher grundsätzlich offen für Weiterentwicklungen und Analogien.32

Produkt um eine eigentumsfähige Sache handelt.38 Damit hilft der Weg über § 99 BGB i.V.m. § 953 BGB nur weiter, wenn man im Ergebnis die Eigentumsfähigkeit von Daten bejahen will. Dann erscheint es im Ergebnis aber methodisch überzeugender, unabhängig vom Weg über § 99 BGB die rechtliche Grundfrage zu erörtern, ob ein Eigentumsrecht an Daten anzuerkennen ist.

III. Zur Frage alternativer Ansätze

3. Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz?

Eine derartige Weiterentwicklung des ursprünglichen Eigentumsbegriffs bzgl. Daten sollte aber nur dann ins Auge gefasst werden, wenn alternative Ansätze mit methodisch einfacheren Mitteln fehlen. Denn jede nicht unerhebliche Abweichung vom ursprünglichen Grundkonzept birgt die Gefahr in sich, dass an anderen Stellen des Systems Widersprüche oder Brüche entstehen, die zunächst nicht erkannt werden.

Auch die Regelungen des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bieten im Ergebnis keinen hinreichenden Schutz für Fahrzeugdaten. Die hier interessierenden Messdaten im Auto werden ohne die vom UrhG in § 2 Abs. 2 vorausgesetzte persönliche geistige Schöpfung erzeugt39 und erfahren keinen spezifischen urheberrechtlichen Schutz. Sie sind auch keine Computerprogramme, die zu den ausdrücklich geschützten Werken gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG i.V.m. § 69a UrhG gehören.

Einige dieser alternativen Ansätze sollen im Folgenden kurz erörtert werden. 1. Eigentum am Datenträger

4. Besitzschutzvorschriften oder § 823 Abs. 1 BGB als Anknüpfungspunkt?

Zwar werden Daten nicht als Sachen und damit als eigentumsfähig angesehen. Etwas anderes gilt aber nach h.M., wenn diese in einem Datenträger verkörpert sind.33 Die deshalb naheliegende Verknüpfung der Frage des Dateneigentums mit Fragen des Eigentums am Speichergerät ist jedoch nicht weiterführend. Der angestrebte Schutz der persönlichen Daten versagt bereits dann, wenn der Betroffene nicht Eigentümer des Speichermediums ist.34 Die Berechtigung am Datenträger und an den Daten fällt oftmals auseinander. So stehen Eigentümer von Datenspeichern, wie etwa Servern im Internet, zu den Daten selbst in keinem schutzwürdigen Verhältnis.35 Aus vergleichbaren Überlegungen heraus ist auch die Anknüpfung an die Eigentümerstellung am Fahrzeug nur auf den ersten Blick hilfreich.36 Würde man z.B. ein Auto mieten, wären die persönlichen Daten des Fahrers nach dem angesprochenen Konzept wegen des fehlenden Eigentums am Auto selbst nicht geschützt.

Ein hinreichender rechtlicher Schutz für Daten ergibt sich auch nicht aus den Besitzschutzvorschriften (§§ 862, 858 BGB) bzw. aus § 823 Abs. 1 BGB. Zwar kann nach Auffassung von Roßnagel in dem unberechtigten Auslesen von Kfz-Daten eine verbotene Eigenmacht gegenüber dem Fahrzeughalter liegen.40 Zudem wird der Datenbestand einer Person teilweise auch als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen.41 Aus diesen Anspruchsgrundlagen lassen sich möglicherweise Abwehrrechte oder Schadensersatzansprüche bzgl. der Verletzung von Daten ableiten.

2. „Daten als Sach- oder Rechtsfrüchte“ i.S.d. § 99 BGB

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Auch die gedanklichen Ansätze „Daten als Sachfrüchte i.S.d. § 99 Abs. 1 BGB“ bzw. „Daten als Rechtsfrüchte i.S.d. § 99 Abs. 2 BGB“37 können die Frage, ob es ein zivilrechtliches Eigentum an Daten gibt, nicht überzeugend lösen. Beide Ansätze kommen zwar zu dem Ergebnis, dass über § 99 BGB als Ausgangspunkt die Daten gem. §§ 953, 988, 818 BGB herauszugeben sind.

Diese sind aber keine gleichwertigen Alternativen im Verhältnis zum Eigentum. Das Eigentum ist das umfassendste Recht für tatsächliche und rechtliche Herrschaftshandlungen, das die Rechtsordnung an einer Sache zulässt.42

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Die Anwendung des § 953 BGB führt also zu Eigentum, setzt damit aber auch voraus, dass es sich bei dem neuen

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Burghart in: Leibholz/Rinck, GG, 68. Lfg. 2015, Art. 103 Rn. 1272. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Zivilrecht Wiedemann, NJW 2014, 2407. Vgl. die Nachweise bei Ellenberger in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 90 Rn. 2. Sprau in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 823 Rn. 9. Hoeren, MMR 2013, 486, 487. Hornung/Goeble, CR 2015, 265, 269. Vgl. zum Folgenden Zech, CR 2015, 137, 142 bzw. Dorner, CR 2014, 617, 619. So auch Zech, CR 2015, 137, 142. Zech, CR 2015, 137, 138. Roßnagel, 52. VGT 2014, 261. Vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 823 Rn. 19. Bassenge in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, Überblick vor § 903 Rn. 1.

JM 1 Das Eigentumsrecht wirkt dabei in zwei Richtungen.43 Zum einen vermittelt es die Befugnis, Einwirkungen Fremder auf die Sache auszuschließen (sog. negative Wirkung). Zum anderen vermittelt es aber auch die positive Befugnis, ein bestimmtes Gut zu nutzen, Zugang zu ihm zu haben, insbesondere es auch entgeltlich zu übertragen, damit wirtschaftlich zu nutzen und zu kapitalisieren.44 Gerade in dieser Übertragungsmöglichkeit gegen Entgelt geht das Eigentum deutlich über bloße Abwehrmöglichkeiten hinaus, die auch durch Gesichtspunkte wie Schutz des Persönlichkeitsrechts45 zu gewährleisten wären. Daher erscheint auch der an sich naheliegende Gedanke, ein digitales Persönlichkeitsrecht zu entwickeln46, jedenfalls allein nicht zielführend. Denn dieses würde die hier betonte wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit nur unzulänglich abdecken. Daten werden verstärkt als Rohstoff47 der Zukunft, als neues Öl des Internets48 bezeichnet. Dann drängt sich die Forderung auf, auch die Betroffenen als „Datenquelle“ mit an den Schürfrechten und enormen Gewinnmöglichkeiten zu beteiligen.49 Experten erwarten im Bereich des vernetzten Autos einen weltweiten Umsatzzuwachs von 31 Milliarden € (2015) auf 113 Milliarden € im Jahr 2020. Momentan erhalten die Betroffenen allerdings für ihre Daten entweder gar keine oder eine viel zu geringe Gegenleistung.50 Mit der Anerkennung eines eigentumsähnlichen Rechts an Daten könnten die Betroffenen an der Wertschöpfung wenigstens teilweise partizipieren. 5. Schutz nach dem BDSG? Aus den zuvor skizzierten Überlegungen ergibt sich auch, warum die Anknüpfung an das BDSG allein nicht ausreicht. Das BDSG begründet als Schutzgesetz zwar ggf. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB.51 Es begründet jedoch kein Eigentum an Daten und ist daher keine gleichwertige Alternative. IV. § 303a StGB als methodischer Anknüpfungspunkt Deshalb spricht viel dafür, weiterhin das Konzept eines Eigentumsrechts an Daten zu überprüfen. Als weiterführend wird hier der Gedanke angesehen, über die methodische Anknüpfung an § 303a StGB Argumente für die Entwicklung eines zivilrechtlichen Dateneigentums zu erhalten. Insbesondere von Hoeren52 wird der Gedanke vertreten, über einen Bezug zu § 303a StGB im Zivilrecht das Modell eines Dateneigentums zu etablieren. Diese Einbeziehung strafrechtlicher Bezüge für die zivilrechtliche Diskussion ist schon deshalb interessant, weil im Strafrecht der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG beachtet werden muss. Daher ist der Gesetzgeber im Strafrecht gezwungen, sich relativ konkret zu dem beabsichtigten Schutzumfang von Rechtspositionen zu äußern. Die hier interessierenden

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Daten werden insbesondere in § 202a StGB – dieser betrifft das Ausspähen von Daten – und in § 303a StGB angesprochen. Hier steht zunächst § 303a StGB – so auch der Ansatz von Hoeren – im Vordergrund. Gem. § 303a StGB wird bestraft, wer rechtswidrig Daten (§ 202a Abs. 2 StGB) löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert. Mit Blick auf § 303a StGB sprechen vor allem folgende Gesichtspunkte für die zivilrechtliche Anerkennung eines Dateneigentums: 1. Das durch § 303a StGB geschützte Rechtsgut ist die Verwendbarkeit der Daten durch den Berechtigten.53 2. Geschützt ist damit durch § 303a StGB die Verfügungsgewalt des Berechtigten über die im Datenspeicher enthaltenen Informationen.54 3. Eine nähere Beziehung zum hier interessierenden Sacheigentum an Daten ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung des § 303a StGB. Dieser ist in den Eigentumsdelikten direkt nach der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) geregelt.55 4. Methodisch sachgerecht erscheint es auch, § 248c StGB im Kontext des § 303a StGB zu erwähnen.56 Gem. § 248c StGB wird die Entziehung elektrischer Energie bestraft. § 248c StGB ist im Abschnitt „Diebstahl und Unterschlagung“ geregelt und damit bei Delikten, die – wie § 242 StGB oder § 246 StGB – ein Eigentum an einer Sache voraussetzen. Aus beiden Normen (§ 303a StGB und § 248c StGB) lässt sich zwar nicht entnehmen, dass Daten oder Energie normales Sacheigentum im Sinne des BGB sind. Es gilt das Gegenteil. Würden Daten oder Energie unter den normalen Eigentumsbegriff fallen, wären gesonderte Vorschriften wie § 303a StGB oder § 248c StGB nicht notwendig.

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Zum Folgenden Bassenge in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 903 Rn. 4 ff. Zech, CR 2015, 140; Bassenge in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 903 Rn. 5. Dazu Sprau in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 823 Rn. 83 ff. Luch/Schulz, MMR 2013, 88, 93 – vgl. zum notwendigen Schutz der digitalen Identität Härting, CR 2014, 528, 534. Zech, CR 2015, 137, 138. Dorner, CR 2014, 617, 618. Dazu Dorner, CR 2014, 617, 618. Vgl. dazu Hornung/Goeble, CR 2015, 265, 267. Vgl. Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 1 Rn. 3. Hoeren, MMR 2013, 486 f.; zu diesem Ansatz auch Dorner, CR 2014, 617, 618. Hoeren, MMR 2013, 486; Hilgendorf, JuS 1996, 890. Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 303a Rn. 2. Hoeren, MMR 2013, 486. Hoeren, MMR 2013, 486, 489.

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Die Monatszeitschrift

Daher wird hier auch der Begriff des eigentumsähnlichen Rechts mit Bezug auf Daten bevorzugt. Aus der Schaffung neuer Strafnormen wie § 303a StGB oder § 248c StGB lässt sich aber für die vorliegende Problematik ein weiterführender Grundgedanke ableiten: Angesichts der technischen Entwicklung (z.B. Daten oder Energie) wird die Anbindung an das klassische Schutzkonzept des Sacheigentums – Beschränkung auf Sachen i.S.d. § 90 BGB – vom Gesetzgeber offenbar allein nicht mehr als ausreichend angesehen. Dabei haben Wertentscheidungen des Gesetzgebers im Bereich des Strafrechts allgemein eine herausragende systematische Bedeutung. Denn das scharfe Schwert des Strafrechts soll nur dort eingesetzt werden, wo die Schutzbedürftigkeit eines Rechtsguts außer Frage steht. Dies kommt im Stichwort des fragmentarischen Charakters des Strafrechts zum Ausdruck.57 Danach soll sich strafrechtliche Sanktionierung bewusst auf Sachverhalte beschränken, die sozialethisch in besonderem Maße als strafbedürftig und strafwürdig angesehen werden.58 Diese Überlegungen begründen und stützen die hier vertretene Ansicht: In Anlehnung an § 303a StGB ist ein eigentumsähnliches Recht an Daten zu bejahen. V. Zur inhaltlichen Bedeutung des BDSG Da bei der ursprünglichen Konzeption des BGB an Daten nicht gedacht wurde, fehlen dort insoweit konfliktlösende Regelungen.59 Andererseits sind für die besonders sensiblen und daher besonders gefährdeten personenbezogenen Daten sehr detailliert Konfliktregelungen im BDSG normiert. Darum werden hier die Regelungen des BDSG inhaltlich zur Ausprägung und Konkretisierung des zuvor entwickelten eigentumsähnlichen Rechts an Daten herangezogen. In methodisch vergleichbarer Weise wird z.B. auch das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht bei personenbezogenen Daten durch das Konzept des BDSG ergänzt.60 In der Sache werden damit Gesichtspunkte des wirtschaftlich geprägten Eigentums mit datenschutzrechtlichen Überlegungen gekoppelt.

I. Zur Konkretisierung der problemrelevanten Daten Über den hier angesprochenen Bezug zum BDSG kann konkretisiert werden, welche Art von Daten beim vorliegenden Thema wichtig werden können. Flüchtige Daten, also Daten, die laufend durch aktuelle Werte überschrieben und spätestens bei Ausschalten des Fahrzeugs gelöscht werden61, somit spurlos verschwinden62 und auch nicht zuvor anderweitig an Dritte übermittelt oder von diesen ausgelesen wurden, sind mangels datenschutzrechtlicher Relevanz grundsätzlich unproblematisch. Das Gegenteil gilt für auf Dauer gespeicherte Daten, also Daten, die z.B. für Reparaturen und Servicezwecke zur Verfügung stehen sollen oder zur Beweissicherung bei Unfällen. Bereits heute arbeiten die meisten Airbag-Steuerungsgeräte wie ein Unfalldatenspeicher. Im Fall der Airbag-Auslösung werden Daten regelmäßig fest gespeichert.63 Weitere Präzisierungen ergeben sich aus den Grundsätzen des BDSG selbst. Aus § 3 Abs. 1 BDSG und § 1 BDSG folgt, dass das Schutzsystem des BDSG ausdrücklich nur natürliche Personen betrifft.64 Daher erscheint es sinnvoll, sich bei der Frage der Fahrzeugdaten zunächst nur auf natürliche Personen zu konzentrieren. Unberücksichtigt bleiben65 im vorliegenden Kontext damit juristische Personen des Privatrechts, die faktisch und rechtlich durchaus als Eigentümer von Fahrzeugen in Betracht kommen. Ihnen bleibt ggf. ein Schutz über Art. 19 Abs. 3 GG. Unproblematisch sind unter datenschutzrechtlichen Erwägungen die anonymen Daten des § 3 Abs. 6 BDSG und die pseudonymen Daten des § 3 Abs. 6a BDSG.66 Neue Akzente werden hierbei aber durch das bereits angesprochene Konzept von „Big Data“ gesetzt. Die vielfältigen Angebote des Internets erleichtern bereits jetzt die Herstellung eines Personenbezugs mit nur wenigen Daten. Durch die Auswertung von Big Data werden die Möglichkeiten der Zuordnung nochmals stark erweitert. Damit wird der datenschutzrechtlich unproblematische Bereich der anonymen oder pseudonymen Daten jedenfalls deutlich verkleinert.67

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D. Zur argumentativen Verwertbarkeit des hier gewählten Ansatzes

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Die Tauglichkeit des hier vertretenen Konzepts muss sich letztlich in der Einzelanalyse der Sachverhalte beweisen, die im Bereich der Kfz-Daten denkbar sind. Angesichts der Vielzahl möglicher Sachverhalte und Beziehungsgeflechte kann dies im vorliegenden Rahmen nicht umgesetzt werden. Daher soll nur an einigen Punkten dargestellt werden, warum der eigene Ansatz als tragfähig und weiterführend bewertet wird.

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Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, vor § 13 Rn. 3. Kulhanek, ZIS 2014, 674. So ist z.B. § 906 BGB als konfliktlösende Norm zur Regelung nachbarschaftlicher Konflikte anzusehen. Sprau in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 823 Rn. 85. Krauß/Waidner, DuD 2015, 383, 385. Buchner, DuD 2015, 372, 374. Bönninger, 52. VGT 2014, 236. Vgl. Gola/Schomerus, Kommentar BDSG, 12. Aufl. 2015, § 3 Rn. 11 mit dem Hinweis, dass Datenschutzgesetze anderer Länder wie z.B. Österreich auch juristische Personen erfassen. So auch Roßnagel, 52. VGT 2014, 259. Dazu und zum Folgenden Roßnagel, 52. VGT 2014, 266. Buchner, DuD 2015, 372, 374.

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II. Zu inhaltlichen Folgerungen

1. Die personenbezogenen Fahrdaten gehören dem Fahrer. 2. Die vom Fahrer selbst eingebrachten Nutzungsdaten der Telekommunikations- und Telemediendienste sind regelmäßig personenbezogen und gehören daher diesem grundsätzlich selbst.69 Dazu zählen unter anderem Daten wie Navigationsziele, Musiktitel, Adress- und Telefondaten. 3. Auch für die Diskussion der sog. Fahrzeugzustandsdaten bietet der hier vertretene Ansatz juristische Anknüpfungspunkte. Nach Bönninger70 gehören Fahrzeugzustandsdaten dem Fahrzeughalter und ggf. auch dem Fahrzeugführer. Unklar bleibt allerdings, wann genau diese Daten auch dem Fahrzeugführer gehören sollen. Aus dem hier vertretenen Ansatz folgt: Soweit es sich bei den Fahrzeugzustandsdaten um personenbezogene Daten des Fahrzeugführers i.S.d. § 3 Abs. 1 BDSG handelt, hat dieser grundsätzlich auch ein Zugriffsrecht auf diese Daten. Dieser Lösungsweg hilft auch bei der Diskussion, ob die Alternative „personenbezogene versus fahrzeugbezogene Daten“ beim Auto sachgerecht ist oder ob alle fahrzeugbezogenen Daten als personenbezogene Daten zu behandeln sind.71 Mit dem hier vertretenen Ansatz kann die zentrale rechtliche Fragestellung präzisiert werden: Handelt es sich bei Fahrzeugzustandsdaten um personenbezogene Daten i.S.d. § 3 Abs. 1 BDSG, ist die Gegenüberstellung „personenbezogen versus fahrzeugbezogen“ nicht weiterführend. Dazu muss anhand einer Einzelanalyse untersucht werden, welche Daten genau im Fahrzeug als Zustandsdaten und wie lange gespeichert werden.72 So werden einige Fehlerdaten zu Wartungszwecken mindestens bis zum nächsten Werkstattbesuch gespeichert. Dies gilt z.B. für die Fahrtdauer bei hohen Motordrehzahlen.73 Wenn diese einem bestimmten Fahrer zugeordnet werden können, sind es personenbezogene Daten. Diese gehören jedenfalls auch dem Fahrzeugführer. 4. Ansonsten bietet das bereits angesprochene Grundkonzept des Datenschutzrechts einen erfolgversprechenden Ansatz, um die rechtliche Diskussion um Fahrzeugdaten nachvollziehbar zu strukturieren. Ausweislich der zentra-

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len Norm des § 4 Abs. 1 BDSG ist die Verwendung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn • das BDSG selbst die Datenverarbeitung gestattet, • eine spezielle Rechtsvorschrift die Datenverarbeitung gestattet, • der Betroffene eingewilligt hat.74

Angesichts von Big Data ist nach Auffassung von Roßnagel68 sogar kaum noch Raum für anonyme oder pseudonyme Daten.

Durch den hier gewählten Ansatz – Koppelung eines eigentumsähnlichen Rechts an Daten mit den Regelungen des BDSG – können auch inhaltliche Aussagen mit Blick auf die besonders gefährdeten personenbezogenen Daten abgeleitet werden:

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Bezüglich der ersten Variante des § 4 Abs. 1 BDSG kann z.B. auf § 28 BDSG hingewiesen werden. § 28 BDSG regelt die Zulässigkeit der Datenerhebung und Datenspeicherung für eigene Geschäftszwecke75 und kann dabei gerade für Fragen der Kfz-Daten methodisch und inhaltlich fruchtbar gemacht werden. So ist die geschäftliche Datenerhebung gem. § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG zulässig, wenn es für die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses mit dem Betroffenen erforderlich ist. Andererseits setzt § 28 Abs. 3 BDSG der Auswertung von gespeicherten Kundendaten zwecks Ermittlung von Kundenprofilen enge Grenzen.76 Bezüglich der zweiten Variante des § 4 Abs. 1 BDSG kann auf das geplante verpflichtende Notrufsystem eCall77 verwiesen werden. Dieses wäre nach der Einführung ein Beispiel für eine Datenerhebung aufgrund einer anderen Rechtsvorschrift i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG. Insbesondere können rechtliche Argumente für die Diskussion um Kfz-Daten aus der dritten Variante des § 4 Abs. 1 BDSG entwickelt werden. Danach ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zulässig, wenn der Betroffene eingewilligt hat. Dies kommt auch in § 4a BDSG zum Ausdruck. Dieser enthält eine ausdrückliche Regelung für die Einwilligung als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts.78 Aus dem Erfordernis der Einwilligung lässt sich ein allgemeines Transparenzgebot ableiten.79 Dieses setzt voraus, dass Fahrzeughalter/Fahrzeugführer einfach und verständlich darüber informiert werden, wann, wo und über welchen Zeitraum welche Daten von ihnen

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Roßnagel, 52. VGT 2014, 266. Rieß/Greß, DuD 2015, 391, 396. Bönninger, 52. VGT 2014, 236. Zu dieser Diskussion Buchner, DuD 2015, 372, 373 einerseits bzw. Kinast/Kühnl, NJW 2014, 3057, 3058 andererseits. Zu dieser Problematik Krauß/Waidner, DuD 2015, 383. Krauß/Waidner, DuD 2015, 383, 385. Vgl. zu diesem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 4 Rn. 5. Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 28 Rn. 4 f. Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 28 Rn. 11. Dazu näher Hornung, DuD 2015, 359, 362. Vgl. – auch zum europäischen Hintergrund – Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 4a Rn. 1, 2. Rieß/Greß, DuD 2015, 391, 394.

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im Fahrzeug erhoben und gespeichert werden.80 An diesen Anforderungen müssen sich auch bestehende und künftige AGB messen lassen. E. Zusammenfassung Das moderne Auto ist zum rollenden Rechner81 und damit zu einem Ort und Instrument massenhafter Datensammlung geworden. Das Smart Car gilt als Schlüsseltechnologie für die Mobilität von morgen.82 Das hat zu einem wirtschaftlich motivierten Verteilungskampf insbesondere um die personenbezogenen Daten der Autofahrer geführt. Bei der zentralen Frage – „Wem gehören die im Fahrzeug gespeicherten Daten?“ – fehlt es bisher an klaren allgemein akzeptierten rechtlichen Ausgangskonzepten. Rechtliche und wirtschaftliche Verlierer dieser bisherigen Rechtsunsicherheit sind vor allem die Autofahrer. Hier wird in Anlehnung an § 303a StGB ein eigentumsähnliches Recht an Daten bejaht, das durch die Regelungen des BDSG konkretisiert wird. Letztlich werden damit zur rechtlichen Strukturierung des Problemfelds Gesichtspunkte des

wirtschaftlich geprägten Eigentums mit datenschutzrechtlichen Überlegungen gekoppelt. Diese vorsichtige Fortentwicklung des ursprünglichen Eigentumskonzepts des BGB wäre bei Übernahme durch die Rechtsprechung ein Akt zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung83 und würde insoweit eigene gesetzliche Grundlagen überflüssig machen. Hilfreich ist der hier vertretene Ansatz aber auch dann, wenn aufgrund der Vielfalt der Schwierigkeiten beim neuartigen Problemfeld der „Daten“ eine umfassende gesetzgeberische Lösung für erforderlich gehalten wird.84 Auch der Gesetzgeber benötigt klare dogmatische Anknüpfungsebenen, um ein in sich stimmiges Gesamtkonzept entwickeln zu können.

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Mielchen, 52. VGT 2014, 255. Spiegel vom 07.03.2015, 64. FAZ, Verlagsspezial, 12.03.2015, Vernetztes Fahren: Computer auf Rädern. Dazu Wiedemann, NJW 2014, 2407. Zur Frage eines Gesetzgebungsbedarfs Weichert, 52. VGT 2014, 310 f.

Datenhaltung und Datenadministration der Justiz und richterliche Unabhängigkeit1 VPräsLG Holger Radke A. Wo liegt das Problem? Ist die deutsche Justiz eine moderne oder gar bereits eine digitale Justiz bzw. auf dem Weg dorthin und wenn ja: Ist das wünschenswert oder eher besorgniserregend? Das sind Fragestellungen, die Wertungen enthalten und über die man unterschiedlicher Meinung sein und kontrovers diskutieren kann. Unbestreitbar dürfte aber sein, dass ein Ausfall der IT-Infrastruktur der Justiz bereits heute mit einem weitgehenden Ausfall der Arbeitsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften gleichzusetzen ist: Ohne Zugriff auf die Fachanwendungen, die Bürokommunikationsprogramme, die juristischen Online-Datenbanken oder das Internet geht im Bereich der Serviceeinheiten nichts und an den Entscheiderarbeitsplätzen fast nichts mehr. Der angestrebte Siegeszug der elektronischen Aktenführung wird diese Entwicklung „auf die Spitze treiben“.2 Die wichtigste Forderung, die von den Gerichten und Staatsanwaltschaften an die Adresse der Landesjustizverwaltungen gerichtet wird, lautet daher: Sorgt für eine IT-Infrastruktur, die Tag für Tag verlässlich, stabil, sicher und performant zur Verfügung steht. Pointiert formuliert: Sorgt für professionelle

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technische Rahmenbedingungen, damit wir professionelle juristische Arbeit leisten können. Die Forderung ist berechtigt, ihre praktische Umsetzung indes eine Herausforderung, die neue Fragen aufwirft: Wer stellt diese notwendige professionelle Infrastruktur zur Verfügung und erhält sie aufrecht? Eine Kernaufgabe der Justiz selbst ist das sicher nicht. Sie muss die notwendige Kompetenz entweder als eine Art „begleitende Zusatzqualifikation“ selbst aufbauen und dauerhaft vorhalten, oder sie muss sich professioneller Partner bedienen. Wählt man getreu dem Motto „Do what you can do best – outsource the rest“ den letztgenannten Weg, handelt man sich indes ein weiteres Problem ein: Die

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Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor aus Anlass einer Tagung der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung zum Thema „Datenschutz in der und für die Justiz“ am 23.10.2015 in Leipzig gehalten hat. Die Justiz Baden-Württemberg etwa plant für das erste Quartal 2016 die Freischaltung der führenden (!) elektronischen Akte bei mehreren Kammern des LG Mannheim sowie des ArbG Stuttgart.

JM 1 Justiz produziert und speichert fast ausschließlich Daten, deren Vertraulichkeit gewahrt werden muss und soweit Richterinnen und Richter ihre Gedanken und rechtlichen Erwägungen mit technischen Hilfsmitteln strukturieren und niederlegen, wollen sie dies in der Gewissheit tun, dass niemand anderes unbefugt und unbemerkt mitliest. Dieses Geheimhaltungsinteresse bedeutet nicht nur einen möglichst wirksamen Schutz gegen denkbare Zugriffe von außen, sondern erfordert auch erhebliches Vertrauen in den Technologiepartner, der ggf. für die Justiz die Rechner, Datenbanken und Leitungen betreut und damit jedenfalls technisch gesehen „Herr der Daten“ ist. An diesem Punkt, bei dieser Vertrauensfrage, findet sich eine der Schnittstellen zwischen der Schaffung und Aufrechterhaltung zeitgemäßer informationstechnischer Rahmenbedingungen und der verfassungsrechtlich verbürgten richterlichen Unabhängigkeit. Art. 97 Abs. 1 GG verbietet nach gefestigter Rechtsprechung jede vermeidbare, auch jede mittelbare, subtile und psychologische Einflussnahme der Exekutive auf die Rechtsstellung des Richters.3 Eine solche verbotene Einflussnahme kann auch dann vorliegen, wenn ein besonnener Richter durch ein Gefühl des unkontrollierbaren Beobachtetwerdens von der Verwendung der Arbeitsmittel abgehalten wird, die ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt werden.4 Die Frage lautet also: Unter welchen organisatorisch-technischen Rahmenbedingungen kann der vom Verfassungsgericht als Maßstab gewählte „besonnene Richter“ vertrauensvoll seine informationstechnischen Arbeitsmittel nutzen und ab wann darf er sich ernsthafte Sorgen über die Vertraulichkeit seiner Gedanken machen, ohne sich dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, er sei „paranoid“?5 B. Wie sieht die Realität aus? Das Problem ist ein Problem einer neuen Zeit. Jahrhundertelang haben Richter ihre Gedanken, ihre Aktenspiegel, Voten und Entscheidungsentwürfe mit Stiften, später vielleicht mit Schreibmaschinen oder unter Verwendung von Diktiergeräten zu Papier gebracht oder bringen lassen. Die dabei entstehenden Dokumente blieben aber in ihren Büros oder jedenfalls in den abschließbaren Geschäftsstellen und Registraturen innerhalb des Gerichts. Völlig sicher vor einer unbefugten Kenntnisnahme durch Dritte waren sie zwar auch dort nicht – man denke nur an den Hausmeister oder die Reinigungsfachkraft, die nach Dienstschluss in den Akten stöbert und Inhalte kopieren könnte.6 Der Einzelne hatte aber das Gefühl der Beherrschbarkeit dieses räumlichen Bereichs, ein Gefühl, das sich im Zeitalter von Datensätzen, die nicht mehr haptisch erfahren werden können, sondern flüchtig und im Wortsinne „unfassbar“ sind, nur sehr schwer einstellen will.

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Mit dem Einzug von Automationstechnik in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten sich erste Datenbestände. Auch insoweit machten sich aber wohl die wenigsten Richterinnen und Richter Sorgen in Bezug auf ihre Unabhängigkeit: Denn alles, was am Computer an Datensätzen und Textdateien entstand, blieb auch dort. Es wurde entweder lokal auf demselben Rechner gespeichert, auf dem es geschrieben worden und der dem Ersteller zugeordnet war, oder „schlimmstenfalls“ auf einem Server, der sich im gleichen Gerichtsgebäude befand. Insoweit hatte sich die Situation im Vergleich zur reinen Papierwelt, zumindest was die räumliche Komponente angeht, kaum verändert: Alle Erwägungen und Gedankengänge der Richterin oder des Richters, wenn auch verkörpert in elektronisch erstellten Dateien, blieben in ihrem oder seinem alleinigen Zugriffsbereich und jedenfalls in der Hoheit des Gerichts. Brauchte man vorher einen Schlüssel für das betreffende Zimmer oder den Aktenschrank, so konnte man jetzt durch ein persönliches Passwort die alleinige oder jedenfalls begrenzte Zugriffsmöglichkeit steuern. Ein Zugreifen Dritter war bei hinreichender krimineller Energie zwar weiterhin weder ausgeschlossen noch ausschließbar – das hatte aber – siehe oben – auch in der Zeit der Papierakten schon immer gegolten. Aber die Welt hat sich weiterbewegt. Wirtschaftliche Datenhaltung und effizientes Datenmanagement findet heute in modernen Rechenzentren statt. Programme und Daten werden dort „gehostet“ und über leistungsstarke Netze oder Virtualisierungstechniken auf den Arbeitsplatzrechnern zur Verfügung gestellt. Die Entwürfe und Gedankengänge, die am richterlichen Arbeitsplatz mit Hilfe des Computers niedergelegt werden, bleiben nicht mehr dort, sondern finden ihren Speicherplatz auf Servern, deren Standort die meisten Richterinnen und Richter gar nicht kennen. Die in Daten „verkörperten“ Gedanken haben ihren alleinigen Herrschaftsbereich verlassen, ein möglicher Zugriff Dritter könnte in großem Stil und planmäßig erfolgen, ohne dass dies vom Ersteller überhaupt bemerkt oder gar verhindert werden könnte. Damit ist eine technische Realität gegeben, die es nachvollziehbar erscheinen lässt, dass auch bei einem besonnenen und technisch aufgeschlossenen Richter ein ungutes Gefühl entstehen könnte. Je interessanter die eigenen Verfahren für Dritte sind, desto stärker mag diese Beklemmung sein.

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BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 22.06.2006 - 2 BvR 957/05 Rn. 7. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.01.2013 - 2 BvR 2576/11 Rn. 8. So wohl die Wortwahl eines früheren hessischen Staatssekretärs, zitiert nach Held, „Betrifft JUSTIZ“ Nr. 121, März 2015, S. 27. Berlit, „Betrifft JUSTIZ“, Nr. 121, März 2015, S. 21.

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Und sie wirft die Frage auf, ob es Ausweichstrategien oder Abhilfemöglichkeiten des Einzelnen dagegen gibt. • Möglich – wenn auch wenig ratsam und zeitgemäß – wäre es, Daten, deren verlässliche Geheimhaltung dem Anwender im konkreten Fall wichtig erscheint, lokal zu speichern. Zumindest beim aktuellen Stand der Ausstattung, bei der noch Geräte mit eigenen Speichermedien zum Einsatz kommen, kann die zentrale Datenhaltung damit jedenfalls für ausgewählte Inhalte umgangen werden. Genau vor dieser Vorgehensweise warnen die IT-Verantwortlichen aber regelmäßig ausdrücklich, weil die in dieser Form gespeicherten Daten gegen einen Verlust oder eine Beschädigung aus technischen Gründen nicht gesichert werden können. Zudem wird die Zusammenarbeit innerhalb einer Kammer oder eines Senates eingeschränkt und ist bei Entwürfen, die unter den Entscheidern kursieren müssen, zumindest mit zusätzlichen Aufwänden verbunden. Ein Schutz durch Anpassung der Arbeitsweise, namentlich durch eingeschränkte Systemnutzung, ist also (noch) möglich, setzt aber den Verzicht auf Erleichterungen voraus, die durch eine moderne Infrastruktur gerade geschaffen werden sollen und erfolgt damit unter Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit, eben weil der Richter von der jedenfalls optimalen und fachgerechten Verwendung seiner Arbeitsmittel abgehalten wird. • Eine andere Ausweichstrategie wäre der Verzicht auf eine zentrale Datenhaltung für den Bereich der Justiz insgesamt und das Festhalten an einer lokalen Datenhaltung und Softwarestruktur in den Gerichten. Der Preis der besseren Abschottung wäre aber hoch: Die Justiz müsste sich von der technischen Entwicklung, die global auf eine zentrale Bereitstellung und Pflege von Programmen und eine zentrale Datenhaltung ausgerichtet ist, abkoppeln. Sie müsste auf Vorteile und neue Optionen, die sich innerhalb dieser Strukturen ergeben, verzichten bzw. sich diese über spezielle Lösungen für ihre technologische „Insel“ selbst erschließen. Auch dieser Weg wäre also mit dem Verzicht auf optimale Ausstattung erkauft und zudem unwirtschaftlich: Im Rahmen von Ausschreibungen konnten akzeptable Angebote bereits in den zurückliegenden Jahren regelmäßig nur erzielt werden, wenn die Anbieter nicht zur zeit- und personalintensiven Betreuung zahlreicher lokaler Server (sei es durch einen Vor-Ort Service, sei es durch Fernwartung) verpflichtet wurden, sondern durch Eingriffe an zentraler Stelle auf einen Schlag viele Nutzer zufriedenstellen können. Das naheliegende Gegenargument, eine sichere und unabhängige Justiz dürfe nicht an fehlenden finanziellen Mitteln scheitern, greift hier zu kurz: Es darf nicht der richtige Weg zur Wahrung der richterlichen Unabhängig-

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keit sein, die Justiz für unverhältnismäßig hohe Kosten in veralteten technologischen Rahmenbedingungen zu verankern. Wenn man also akzeptiert, dass der Zusammenarbeit mit professionellen Rechenzentren und damit einhergehend einer zentralen Bereitstellung von Daten und Diensten auch für den Bereich der Justiz die Zukunft gehört, dann wird zur entscheidenden Frage, welchen Institutionen man den Betrieb dieser Rechenzentren anvertraut und wie man dabei sicherstellt, dass der „besonnene Richter“ der gewählten Struktur vertraut und in ihr arbeitet. Dank der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer für die Justiz konnten insoweit bereits mit unterschiedlichen Modellen Erfahrungen gesammelt werden: Eine Option ist der Betrieb durch Privatunternehmen. In Baden-Württemberg beispielsweise setzt die Justiz seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts auf das „externe Outsourcing“ seiner IT-Infrastruktur. Auf der Grundlage europaweiter Ausschreibungen wurden sowohl die Ausstattung der Arbeitsplätze der Richterinnen und Richter als auch der Betrieb der Bürokommunikation und der Justizfachanwendungen in die Hand von privaten Fachfirmen gelegt. Bis 2008 zeichnete die Firma EDS (heute eine Tochter des Hewlett Packard-Konzerns) dafür verantwortlich, seither trägt T-Systems, die Geschäftskundensparte der Deutschen Telekom, die Verantwortung. Die Justiz hat auf diese Weise eine zeitgemäße Ausstattung erhalten, die eigenen Personalressourcen geschont und im Rahmen von Ausschreibungen regelmäßig wirtschaftliche Ergebnisse erzielt.7 Das „externe Outsourcing“ hat in den gut 15 Jahren, seitdem es praktiziert wird, innerhalb der Richterschaft keine mir bekannten Vorbehalte mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit zutage gefördert und es sind in dieser Zeit auch keine Missbräuche bekannt geworden. Grundlage der Zusammenarbeit war und ist unter anderem ein „Datenschutz- und Sicherheitskonzept“, das in der Anfangsphase entwickelt und mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz abgestimmt worden ist und seither fortgeschrieben wird. Das eigenständige Betriebsrecht des Anbieters ist dabei mit Protokollierungspflichten, Zugriffsrechten und Kontrollmöglichkeiten für die Justiz unterlegt. Insgesamt halte ich diese Zusammenarbeit mit Fachunternehmen der freien Wirtschaft – technisch, wirtschaftlich und unter Akzeptanzgesichtspunkten – für eine Erfolgsgeschichte. Dennoch hat sie sich aber insgesamt in der

Der Landesrechnungshof hat jedenfalls im Rahmen von Denkschriften festgehalten, dass die Preise pro Arbeitsplatz jeweils günstiger waren als bei dem konkurrierenden Landesdienstleister unter der Oberhoheit des Innenministeriums.

JM 1 deutschen Justiz und allgemein in der öffentlichen Verwaltung nicht durchgesetzt.8 Neben einem prinzipiellen Unbehagen angesichts der Überlassung sensibler Daten an eine nicht-staatliche Stelle mag dabei eine Rolle spielen, dass angesichts der Schnelllebigkeit der technischen Entwicklung die öffentliche Hand auch schnell die Fähigkeit verlieren könnte, überhaupt Rechenzentren und Netze selbst zu betreiben oder den Betrieb durch Dritte zu überwachen. Dass sich innerhalb der Richterschaft keine Widerstände gezeigt haben, scheint mir dagegen nachvollziehbar: Einem privaten Betreiber unterstellt man außerhalb von Verfahren, in denen er zufällig selbst betroffen ist und die zahlenmäßig marginal sein dürften, kein Eigeninteresse an den justizspezifischen Inhalten.9 • Erfolgt der Betrieb dagegen durch Geschäftsbereiche der Exekutive, also im Verantwortungsbereich anderer Ministerien, ändert sich die Bewertung. Die Länderjustiz arbeitet heute häufig mit Rechenzentren zusammen, die organisatorisch bestimmten Geschäftsbereichen der Exekutive, vornehmlich dem Innen- oder Finanzressort, zugeordnet sind. Dieses Vorgehen ist innerhalb der Richterschaft durchaus auf Vorbehalte gestoßen, was eine durch alle Instanzen geführte Klage mehrerer Richterinnen und Richter des OLG Frankfurt a.M. belegt: Sie sahen ihre richterliche Unabhängigkeit dadurch als bedroht an, dass der Betrieb und die Administration des EDV-Netzes der hessischen Justiz der „Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD)“, einer Oberbehörde der Landesfinanzverwaltung, übertragen worden war. Administratoren der HZD verfügen durch diese organisatorische Grundentscheidung über die technische Möglichkeit, sämtliche von Angehörigen der hessischen Justiz gespeicherten Dokumente einzusehen, protokollierte Vorgänge der Datenverarbeitung zur Kenntnis zu nehmen und die Daten zu verarbeiten. Die klagenden Richterinnen und Richter sahen sich dadurch einer in ihren Augen unzulässigen Beobachtung und Kontrolle durch die Exekutive ausgesetzt. Sie hielten es für notwendig, die Administration des EDV-Netzes für den Rechtsprechungsbereich den Gerichten zu unterstellen und damit Personen zu betrauen, die allein den Gerichtspräsidien verantwortlich sind. • Nachdem das zuständige Dienstgericht in erster Instanz die Anträge zurückgewiesen hatte,10 konnten die Kläger in der zweiten Instanz vor dem Dienstgerichtshof11 zumindest einen Teilerfolg erzielen: Die Berufungsrichter werteten zwar den technischen Betrieb des Netzes als solchen durch eine Behörde aus dem Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums weder als Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit noch als Verstoß gegen das Gebot zur Wahrung der organisatorischen Selbständigkeit der Gerichte,12 mahnten aber an, das Justizminis-

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terium müsse sich über die Ausübung der Fachaufsicht hinaus ausreichende Einwirkungs- und Gestaltungsrechte sichern, um selbst die Schutz- und Kontrollstandards für Datenschutz und Datensicherheit zu bestimmen. Konkret sollten nach Auffassung des Dienstgerichtshofs abstrakt-generelle Verhaltensregeln zum Umgang mit richterlichen Dokumenten in schriftlicher Form aufgestellt und deren Einhaltung durch den Minister der Justiz in gleichberechtigtem Zusammenwirken mit Richtern bzw. ihren gewählten Gremien überwacht werden. Die hessische Landesregierung hat dieser Vorgabe durch die gesetzliche Einrichtung einer IT-Kontrollkommission, besetzt mit Vertretern der oberen Richtervertretungen, des Bezirksstaatsanwaltsrates und des Hauptpersonalrates, entsprochen.13 Die Kläger zeigten sich mit dem Urteil hingegen nicht zufrieden und riefen im Wege der Revision das Dienstgericht des Bundes beim BGH an. • Die obersten Bundesrichter haben die Revision als unbegründet zurückgewiesen.14 Dabei konnte der BGH die Frage offen lassen, ob es der vom Dienstgerichtshof gewählten Kompromissformel (Absicherung von Kontrollrechten der Justiz durch Schaffung eines Überwachungsgremiums) tatsächlich bedurft hatte, da die Landesregierung die entsprechende Vorgabe akzeptiert und ihrerseits nicht mit der Revision angegriffen hatte. Jedenfalls – so der BGH – gebe der Betrieb des Netzes durch die HZD Richtern „vernünftigerweise keine Veranlassung, damit zu rechnen, das EDV Netz werde … zu einer inhaltlichen Kontrolle richterlicher Dokumente“ genutzt. Die systemimmanenten Einsichts- und Zugriffsmöglichkeiten oberster technischer Administratoren seien nicht zur inhaltlichen Kontrolle richterlicher Dokumente bestimmt und es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bewusst zu diesem Zwecke genutzt würden. Die gegen die Entscheidung des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin hat

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Auch die Justiz in Baden-Württemberg hat entschieden, den Betrieb der Software zur elektronischen Akte dem „BITBW“ anzuvertrauen, das als Landesoberbehörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums geführt wird. Dieser Blickwinkel zeigt sich etwa darin, dass – als die Leistungen nach acht Jahren der Zusammenarbeit mit EDS neu ausgeschrieben wurden – sehr genau darauf geachtet wurde, dass Angebote anderer Unternehmen und die Bewertungen durch das Vergabeteam nicht auf Servern gespeichert wurden, deren Betrieb EDS anvertraut war. LG Frankfurt a.M., Urt. v. 11.07.2008 - 1 DG 5/2007. OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 20.04.2010 - DGH 4/08. Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92, 97 GG. www.justiz.de/BLK/laenderberichte/hessen.pdf (zuletzt abgerufen am 23.11.2015). BGH, Urt. v. 06.10.2011 - RiZ (R) 7/10.

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schließlich das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.15 Auch die Verfassungsrichter betonen im Rahmen der Begründung, dass die den Systemadministratoren eingeräumten Zugriffsrechte streng limitiert seien und sich auf Maßnahmen beschränkten, die zum Funktionieren des EDV-Netzes betriebsnotwendig sind. Da es weder Anhaltspunkte für konkretes Fehlverhalten gebe noch ersichtlich sei, dass die der Justiz eingeräumten Kontrollrechte unzureichend sein könnten, bestehe für die Beschwerdeführerin keine Veranlassung, auf die Verwendung ihres Dienstcomputers zu verzichten. • Mit dieser Entscheidung steht, jedenfalls bezogen auf die aktuelle Situation, fest, dass Hosting und Administration von Justizdaten durch Rechenzentren der öffentlichen Verwaltung zulässig sind, zumindest, wenn die Justiz sich durch organisatorische Maßnahmen in effektiver Weise Kontroll- und Mitsprachemöglichkeiten sichert. Da die Landesregierungen – nicht zuletzt angehalten durch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen der Rechnungshöfe – ein erhebliches Interesse daran haben, die IT-Infrastruktur aller Geschäftsbereiche zu bündeln und ressortspezifische Lösungen zu unterbinden, sind abweichende Lösungen nur schwer durchsetzbar. • Der „Königsweg“ unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Unabhängigkeit ist der Betrieb durch die Justiz selbst. Eine solche Lösung, die explizit auf fortbestehende Sorgen aus dem Kreis der Richterinnen und Richter Rücksicht nimmt, findet sich in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde mit Wirkung vom 01.01.2014 an ein „Zentraler IT-Dienstleister (ITD)“ der Justiz beim OLG Köln eingerichtet. Der ITD übernimmt – durch Mitarbeiter der Justiz – Betriebsverantwortung für die Informationstechnik der Ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Fachgerichtsbarkeiten, der Staatsanwaltschaften sowie der Aus- und Fortbildungseinrichtungen. Begründet wird der Eigenbetrieb explizit mit der Erfüllung verfassungsrechtlicher Anforderungen an Datenhoheit und Datensicherheit und es wird den Gerichten und Staatsanwaltschaften ausdrücklich „die vollständige Herrschaft über die Zugriffsberechtigung und Verwendung seiner/ihrer Daten“ zugesichert.16 C. Versuch einer Bewertung „In jedem Fall muss schon der böse Schein von Voreingenommenheit vermieden werden“ – dieser Satz ist aus der Rechtsprechung zum Befangenheitsrecht weithin bekannt. Die Botschaft lautet: Auch wenn ein Richter tatsächlich über ein Maß an innerer Unabhängigkeit und Distanz verfügt, das ihn befähigt, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden, so kann er doch allein aufgrund des äußeren Anscheins einer Beeinflussung von einer Pro-

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zessführung ausgenommen sein.17 Überträgt man diesen Gedanken auf die Frage der Datenadministration, so stünde ein hohes Maß an Sensibilität dem Rechtsstaat wohl gut zu Gesicht. Denn auch wenn man den Betrieb der Justiz IT durch Rechenzentren der allgemeinen Verwaltung als zulässig ansieht: Weniger angreifbare und unverfänglichere Lösungen, als regelmäßigen Verfahrensbeteiligten (man denke insbesondere an die Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit) die technische Datenhoheit zu übertragen, wären sicher zu finden – wenn man es denn gewollt hätte. An diesem Punkt kommt zum Tragen, dass innerhalb der allgemeinen Verwaltung das Verständnis für eine Justiz, die als eigenständige, eben als dritte Gewalt im Staate auf eine besondere Berücksichtigung ihrer Interessen und Aufgaben dringt, häufig eher gering ausgeprägt ist. Das Justizministerium und mit ihm sein „nachgeordneter Bereich“, insbesondere die Gerichte und Staatsanwaltschaften, werden letztlich jedenfalls in administrativen Fragen kaum anders behandelt als beispielsweise Schulen oder Forstämter. Ein Beispiel: Vor wenigen Jahren wurde das Grundgesetz um den Artikel 91c ergänzt, der unter anderem die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Planung, Errichtung und beim Betrieb informationstechnischer Systeme erlaubt und die Grundlage für die Schaffung des „IT-Planungsrates“ als oberstem Koordinationsgremium für die entsprechenden Fragestellungen bildet. Im Vorfeld der Schaffung dieser Regelung haben Vertreter der Justiz in zahlreichen Gesprächen sowohl auf Arbeits- als auch auf politischer Ebene darauf gedrungen, der Justiz Sitz und Stimme in diesem Gremium einzuräumen, um den spezifischen Interessen der Rechtspflege Gehör verschaffen zu können. Geblieben ist von diesen Bemühungen am Ende eine Erklärung des IT-Planungsrates zu § 10 seiner Geschäftsordnung. Demnach wird der Planungsrat „die aus den verfassungs- und einfachrechtlichen garantierten Positionen der unabhängigen Rechtspflegeorgane resultierenden Besonderheiten“ beachten. Nicht mehr also als die Feststellung einer Selbstverständlichkeit – von eigenständigem „Sitz und Stimme“ oder wenigstens einem Anhörungs- oder Teilnahmerecht kein Wort. Diese Erfahrung setzt sich weitgehend fort, wenn die Justiz versucht, für die konkrete informationstechnische Unterstützung ihrer Aufgaben – eben insbesondere für die Spei-

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BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.01.2013 - 2 BvR 2576/11. www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/zahlen_fakten/zentraler_dienstleister/dokumente_download/Erklaerung-zu-denverfassungsrechtlichen-Anforderungen-an-Datenhoheit-undDatensicherheit-vom-27_06_2013.pdf (zuletzt abgerufen am 23.11.2015). BVerfG, Beschl. v. 18.06.2003 - 2 BvR 383/03.

JM 1 cherung und Bereitstellung ihrer sensiblen Daten – separate Lösungen durchzusetzen. Ein Grundverständnis, wonach die Justiz bereits auf Basis ihrer besonderen verfassungsrechtlichen Stellung auch bei ganz praktischen administrativen Fragen eine besondere Behandlung fordern darf, ja bisweilen muss, ist oft nicht vorhanden. Dazu kommt, dass die Exekutive regelmäßig auf die Unterstützung der Rechnungshöfe setzen kann: Ausgestattet mit einer auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Sichtweise werden eigenständige IT-Einheiten einzelner Ministerien – und eben auch der Justiz – überaus kritisch gesehen und im Rahmen von Denkschriften regelmäßig deren Abschaffung, namentlich die Zusammenlegung mit den Einheiten anderer Ressorts, gefordert.

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kontrollieren. Denn Missbrauch würde das Blatt – auch und gerade unter Berücksichtigung der Entscheidung der Verfassungsrichter – wenden.

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JurPC Web-Dok. 202/2009, Abs. 1-126. Ein solcher Fall war von den hessischen Kritikern vorgetragen worden: Demnach wurde ein „Masterpasswort“ von Mitarbeitern der HZD an externe Dienstleister weitergegeben, ohne die Justiz davon auch nur zu informieren, vgl. Held, „Betrifft Justiz“ Nr. 121, März 2015, S. 30 ff.

„SOFORT Überweisung“ als einziges entgeltfreies Zahlungsmittel unzumutbar Das Wirtschaftlichkeitsargument wäre allerdings möglicher Weise durch die Schaffung eines „IT-Dienstleistungszen- LG Frankfurt a.M., Urt. v. 24.06.2015 - 2-06 O trums Justiz“ zu entkräften gewesen. Eine Arbeitsgruppe 458/14 der „Bund-Länder Kommission für Informationstechnik in der Justiz“ hatte bereits 2009 ein Positionspapier zu den „Rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes standardisierter Informationstechnik der Bundes- und Landesverwaltungen in der Justiz“ veröffentlicht18 und dabei eine länderübergreifende Lösung ins Spiel gebracht. Die Bereitstellung von Diensten für die Justiz aus 16 Bundesländern bzw. – bei Beteiligung des Bundes – sogar für 17 Justizressorts hätte die „kritische Masse“ für einen wirtschaftlichen und professionellen Betrieb sicher erreicht und zugleich der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Justiz Rechnung getragen. Dennoch sind auch diese Überlegungen letztlich über das Stadium eines „Vorschlags der Arbeitsebene“ nicht hinausgekommen. Trösten kann man sich als betroffener besonnener Richter bzw. als besonnene Richterin damit, dass Anhaltspunkte für einen Missbrauch der technischen Möglichkeiten bislang tatsächlich nicht bekannt geworden sind und man insoweit der Verwaltung wohl einen Vertrauensvorschuss gewähren darf. Ein lediglich laxer Umgang mit Administrationsrechten, etwa in Form der unberechtigten Weitergabe von Passwörtern unter den technisch Verantwortlichen19, genügt für die Versagung des Vertrauens nicht – zumindest haben weder der BGH noch das BVerfG darin einen Verstoß gesehen, der einen „besonnenen Richter“ von der Verwendung seiner IT-Infrastruktur abhalten könnte. Der Grund dürfte darin liegen, dass es an der Intention, Richterinnen oder Richter gezielt auszuspionieren, gefehlt hat und ein weisungswidriges Verhalten der technisch Verantwortlichen nie auszuschließen ist, gleichgültig, wer die Oberhoheit über eine technische Infrastruktur ausübt. Es bleibt also die Aufgabe – wahrzunehmen insbesondere durch die eingerichteten oder noch zu schaffenden Kontrollgremien der Justiz –, das eingeräumte Vertrauen zu

RA Dr. Christian Conreder und RA Ulrike Schild, LL.M.* A. Problemstellung Der Trend zum Online-Shopping ist ungebrochen. Das Konsumverhalten der Deutschen verlagert sich immer stärker von der Ladentheke in das Internet. Nach der ShoppingTour mit Smartphone, Tablet oder Computer folgt die Bezahlung des virtuellen Warenkorbs. Dabei wird dem Kunden eine Vielzahl von Bezahlmethoden offeriert. Neben den klassischen Verfahren, wie beispielsweise Rechnung, Lastschrift oder Kreditkarte, werden auch zunehmend „PayPal“, „SOFORT Überweisung“, „amazonpayments“ oder von FinTechs entwickelte Zahlungssysteme dem Kunden zur Auswahl gestellt. Das LG Frankfurt hat hinsichtlich „SOFORT Überweisung“ entschieden, dass das Bezahlsystem als einziges kostenloses Zahlungsmittel unzumutbar ist. Online-Shops müssen neben dem Angebot von „SOFORT Überweisung“ mindestens eine weitere kostenlose Zahlungsart anbieten, wie z.B. Zahlung per Lastschrift oder Überweisung. Diese Entscheidung des LG Frankfurt wird in der nachfolgenden Anmerkung besprochen. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Die Beklagte betreibt ein Online-Reiseportal, auf dem u.a. Flugreisen gebucht werden können. Als mögliche Zahlungsmittel werden die Zahlung mit Kreditkarte gegen ein

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Rechtsanwälte Dr. Christian Conreder, Hamburg / Ulrike Schild, LL.M. (University of Aberdeen), Frankfurt; beide KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

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zusätzliches Entgelt von 12,90 € und die Zahlung per „SOFORT Überweisung“ ohne zusätzliches Entgelt angeboten. Der Verbraucher wird bei Verwendung von „SOFORT Überweisung“ auf eine ausgefüllte Eingabemaske der SOFORT AG weitergeleitet. Dort hat der Verbraucher seine LoginDaten (einschließlich PIN und TAN) für sein Online-Bankkonto einzugeben. Die SOFORT AG prüft bei der kontoführenden Bank die Validität der Daten. Daneben werden der aktuelle Kontostand, die Kontobewegungen der letzten 30 Tage sowie der Dispokreditrahmen und das Bestehen weiterer Konten sowie deren Kontostand abgefragt. Diese Datenabfrage erfolgt automatisch ohne Vorabinformation des Kunden. Nach Auffassung der Klägerin, dem Bundesverband der Verbraucherzentralen, verstößt die Beklagte mit den angebotenen Zahlungsmöglichkeiten gegen § 312a Abs. 4 BGB. Indem nur die „SOFORT Überweisung“ als unentgeltliche Zahlungsmethode zur Verfügung gestellt werde, genüge die Beklagte nicht der in § 312a Abs. 4 BGB gestellten Anforderung, eine „gängige und zumutbare unentgeltliche Zahlungsmöglichkeit“ anzubieten. Einem Verbraucher sei es nämlich nicht zumutbar, die Zugangsdaten für sein Bankkonto an einen Dritten zu übermitteln, zumal der Verbraucher durch Übermittlung von PIN und TAN in der Regel gegen die AGB seiner Bank verstoße. Die Beklagte ist hingegen der Meinung, dass die „SOFORT Überweisung“ die Voraussetzungen des § 312a Abs. 4 BGB erfülle. Die SOFORT AG verwende hohe Sicherheitsstandards im Hinblick auf die Datenverschlüsselung. Darüber hinaus verletze der Kunde mit der Nutzung von „SOFORT Überweisung“ nicht die AGB seiner Bank. Die AGB-Klauseln der Banken, die die Weitergabe von PIN und TAN an Dritte untersagen, seien kartellrechtswidrig und damit nach Art. 101 AEUV nichtig. Im Übrigen finde eine Speicherung der vom Kunden eingegebenen PIN und TAN nicht statt. Auch nach der vom Bundeskartellamt gem. § 90 Abs. 2 GWB im Verfahren erklärten vorläufigen Auffassung1 sind die entsprechenden Online-Bedingungen in den AGB der Banken nach Art. 101 AEUV kartellrechtswidrig. II. Das LG Frankfurt hatte die Frage zu klären, ob es sich bei dem Zahlungsmittel „SOFORT Überweisung“ um eine gängige und zumutbare kostenlose Zahlungsmöglichkeit gem. § 312a Abs. 4 BGB handelt. Mangels Rückgriffsmöglichkeit auf eine gesetzliche Definition urteilte das LG Frankfurt in Übereinstimmung mit dem Schrifttum2, dass eine gängige und zumutbare unentgeltliche Zahlungsmöglichkeit u.a. die Barzahlung, die EC-Kartenzahlung, das Lastschriftverfahren oder die Überweisung sei. Nach dem Landgericht handle es sich bei der Kreditkarte nur dann um ein zumutbares Zahlungsmittel, wenn mehrere am Markt verbreitete Kredit-

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und Zahlungskarten kostenlos verwendet werden könnten.3 Das LG Frankfurt hat die „SOFORT Überweisung“ grundsätzlich als gängiges Zahlungsmittel anerkannt. Die Zahlungsmöglichkeit „SOFORT Überweisung“ werde bei 54% der 100 umsatzstärksten Online-Shops eingesetzt. Daneben liege auch eine Bankabdeckung von ca. 99% vor, da der Kunde mit seinem Konto bei fast jeder Bank in Deutschland das Zahlungsmittel „SOFORT Überweisung“ nutzen könne. Das Zahlungsmittel „SOFORT Überweisung“ ist für den Verbraucher nach Auffassung des LG Frankfurt als alleiniges kostenlos angebotenes Zahlungsmittel allerdings unzumutbar. Die Unzumutbarkeit beruhe darauf, dass der Verbraucher durch die Nutzung von „SOFORT Überweisung“ nicht nur vertragliche Beziehungen mit einem Dritten eingeht, sondern dem Dritten auch sensible Kontodaten mitteilt und dabei in den Kontodatenabruf einwilligen muss. Solche sensiblen Kunden-Kontoinformationen könnten u.a. auch zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen genutzt werden. Daneben führe die Mitteilung der personalisierten Sicherheitsmerkmale (PIN und TAN) zu erheblichen Datensicherheitsrisiken und Missbrauchsgefahren. Unerheblich sei der Einwand der Beklagten, bei der „SOFORT Überweisung“ könne die Datensicherheit gewährleistet werden. Entscheidend sei allein, dass für den Verbraucher durch die Zwischenschaltung eines Dritten abstrakt ein höheres Risiko von Datenmissbrauch bestehe. Das LG Frankfurt stellte hingegen ausdrücklich klar, dass die Beklagte die „SOFORT Überweisung“ weiterhin verwenden dürfe. Der Beklagten sei es lediglich untersagt, „durch den Druck der einzig nicht kostenauslösenden Zahlungsart den Kunden dazu zu zwingen, zur Begleichung seiner vertraglichen Verpflichtungen mit einem nicht beteiligten Dritten zu kontrahieren und diesem hochsensible Daten übermitteln zu müssen“.4

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Das Bundeskartellamt prüft derzeit in einem Verfahren gegen die deutsche Kreditwirtschaft, inwieweit die AGB der Banken und der Sparkassen eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung gegenüber unabhängigen Online-Bezahldiensten, wie beispielsweise Sofortüberweisung.de, beinhalten (Jahresbericht 2014, S. 24). Schirmbacher in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 312a BGB Rn. 43; Schulte-Nölke in: Schulze, BGB, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 312a Rn. 7. So auch BGH, Urt. v. 20.05.2010 - Xa ZR 68/09 - BGHZ 185, 359 (Ryanair-Entscheidung); Schulte-Nölke in: Schulze, BGB, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 312a Rn. 7; a.A. wohl Schirmbacher in: Spindler/ Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 312a BGB Rn. 44. LG Frankfurt a.M., Urt. v. 24.06.2015 - 2-06 O 458/14.

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Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Beklagte hat Berufung vor dem OLG Frankfurt a.M. eingelegt.5

des LG Frankfurt müsste die Beklagte nunmehr ein weiteres zumutbares entgeltfreies Zahlungsmittel, wie beispielsweise Lastschrift, anbieten.

C. Kontext der Entscheidung

Diese Entscheidung kann grundsätzlich auch auf andere „neuere“ Zahlungsmittel übertragen werden. „Neuere“ Zahlungsmittel sind grundsätzlich, an den Maßstäben der Entscheidung gemessen, wohl als unzumutbar einzustufen, da viele dieser Zahlungsmittel die Beteiligung eines Dritten (beispielsweise bei Zahlungsauslösediensten9) und damit auch die Weitergabe von sensiblen Zahlungsdaten an diesen Dritten beinhalten.

In diesem Zusammenhang spielt auch die „Ryanair-Entscheidung“6 des BGH zur Wirksamkeit von Zahlungs- und Gebührenregelungen in den Beförderungsbedingungen der Ryanair Ltd. eine wichtige Rolle. Gegenstand des Urteils waren die folgenden Klauseln, die die Ryanair Ltd. auf ihrer Internetseite bei Flugbuchungen verwendete: „Wegen der erhöhten Sicherheits- und Verwaltungskosten wird von Ryanair kein Bargeld für die Bezahlung von Flugscheinen (…) akzeptiert.“ „(1) Kreditkartengebühr pro Fluggast und einfachen Flug: 4 Euro. (2) Zahlungskartengebühren pro Fluggast und einfachen Flug: 1,50 Euro.“ Allein die Zahlung per Visa Electron-Karte wurde entgeltlos angeboten. Die Klägerin, ebenfalls der Bundesverband der Verbraucherzentralen, sah hierin eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste gem. § 307 BGB. Dem folgte der BGH allerdings nicht. Da die Beklagte ihre Leistungen nahezu vollständig im Bereich des Fernabsatzes erbringe, stelle der Ausschluss der Barzahlungsmöglichkeit keine unangemessene Benachteiligung dar. Anders urteilte der BGH jedoch hinsichtlich der Gebührenregelung bei Zahlung mit Kredit- oder Zahlungskarte, da von einem wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung (jeder Rechtsunterworfene muss seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen können, ohne dafür ein gesondertes Entgelt entrichten zu müssen) abgewichen und der Kunde hierdurch in unangemessener Weise benachteiligt werde (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Beklagte müsse ein gängiges unentgeltliches Zahlungsmittel anbieten, das dem Kunden mit zumutbarem Aufwand zugänglich ist. Diese Voraussetzungen erfülle die Visa Electron-Karte nicht. Auf diesem Urteil beruht die für die vorliegende Entscheidung maßgebliche Regelung des § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB, die sodann im Rahmen der Implementierung der Verbraucherrechterichtlinie7 im BGB kodifiziert wurde.

Darüber hinaus stellt dieses Urteil auch andere bereitgestellte Online-Zahlungssysteme in Frage. Beispielsweise dürfte es nach den Anforderungen des Urteils nicht ausreichen, wenn wie derzeit teilweise praktiziert neben „SOFORT Überweisung“ als einziges weiteres kostenloses Zahlungsmittel ein Lastschriftverfahren angeboten wird, für dessen Nutzung jedoch ein Personalausweis mit aktivierter Online-Ausweisfunktion, ein an den Computer angeschlossenes Kartenlesegerät sowie das Herunterladen und Installieren einer Software erforderlich sind. E. Bewertung Das Urteil des LG Frankfurt dürfte einen weitreichenden Einfluss auf die angebotenen Online-Zahlungssysteme haben, sollte es von den weiteren Instanzen bestätigt werden. Letztlich trägt das Urteil aber nur der bei der Implementierung von § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB verfolgten Intention des Gesetzgebers Rechnung. Gleichwohl sollte in diesem Zusammenhang auch der Entwurf der überarbeiteten Zahlungsdiensterichtlinie („PSD IIEntwurf“) im Blick behalten werden. Ein Schwerpunkt des PSD II-Entwurfs sind Regelungen für einen Kontozugang durch dritte Zahlungsdienstleister (Access to Accounts). Hierzu dürfte zukünftig die Weitergabe von PIN und TAN an Dritte erlaubt sein. Insoweit könnten also künftig Zweifel an der Entscheidung des LG Frankfurt aufkommen.10 Eine abschließende Bewertung wird jedoch erst nach Inkrafttreten der PSD II sowie des entsprechenden Umsetzungsgesetzes möglich sein.

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D. Auswirkungen für die Praxis Das Urteil könnte sich auf das Zahlungsmittel „SOFORT Überweisung“ nachteilig auswirken.8 „SOFORT Überweisung“ war das einzige kostenlos angebotene Zahlungsmittel auf der Website der Beklagten. Nach der Entscheidung

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Berufung anhängig beim OLG Frankfurt a.M. unter Az. 6 U 129/15. BGH, Urt. v. 20.05.2010 - Xa ZR 68/09 - BGHZ 185, 359 (RyanairEntscheidung). Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl. EG Nr. L 304 v. 22.11.2011, S. 64. Vgl. Conreder/Schild, CR 2015, 614-616. Beispielsweise „Giropay“, „iDeal“ sowie „ClickandBuy“. Vgl. Conreder/Schild, CR 2015, 614-616.

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Festigung der neuen Schwarzarbeits-Rechtsprechung BGH, Urt. v. 11.06.2015 – VII ZR 216/14 Wiss. Mit. Anna Hahn, LL.M. (Johannesburg)* A. Problemstellung Mit seinem Urteil vom 11.06.2015 folgt der BGH konsequent weiter seiner neuen Richtung in Sachen Schwarzarbeit. Bereits 2014 versagte das Gericht dem Schwarzarbeiter nicht nur vertragliche, sondern auch bereicherungsrechtliche Zahlungsansprüche.1 In seiner jüngsten Entscheidung verweigert das Gericht nun folgerichtig auch dem Besteller die Rückzahlung des bereits entrichteten Werklohns. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger beauftragte den Beklagten, das Dachgeschoss seines Hauses auszubauen. Die Parteien vereinbarten einen Werklohn in Höhe von 10.000 €. Der Beklagte führte die vereinbarten Arbeiten aus und stellte dem Kläger eine Rechnung ohne Steuerausweis. Nach vollständiger Zahlung des vereinbarten Werklohns begehrte der Besteller, unter Berufung auf Werkmängel, Rückzahlung von 8.300 €. Nicht überraschend verneint der BGH zunächst vertragliche Ansprüche des Bestellers. Der zwischen den Parteien geschlossene Werkvertrag verstoße nämlich gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG, damit gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB und sei daher nichtig. Grundsätzlich könne der Besteller, der aufgrund eines nichtigen Vertrages geleistet hat, vom Unternehmer die Rückzahlung des gezahlten Entgelts nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften verlangen. Der Anspruch sei aber gem. § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Besteller selbst mit seiner Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Eben dies sei vorliegend der Fall. Denn nicht nur die vertragliche Schwarzgeldabrede, sondern auch die aufgrund dieser Vereinbarung erfolgten Leistungen, also Ausführung des Werkes und Zahlung des Werklohns, verstießen gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG. Wie bereits in seiner vorhergehenden Entscheidung lehnt der BGH auch hier sowohl eine teleologische Reduktion des § 817 Satz 2 BGB als auch eine Korrektur nach § 242 BGB ab.

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Generalprävention der Schwarzarbeit mit dem Ausschluss vertraglicher Ansprüche sowie dem Risiko der Strafverfolgung und der Nachzahlung von Steuer- und Sozialabgaben genügend gedient sei. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Insbesondere sei hierzu unter Berücksichtigung von Treu und Glaube der Ausschlusstatbestand des § 817 Satz 2 BGB einzuschränken. Eine strenge Anwendung des § 817 Satz 2 BGB führe sonst zu dem unbilligen Ergebnis, dass der Empfänger die rechtswidrig erlangte Leistung auch noch unentgeltlich behalten dürfe.2 Als Fortführung seiner neuen Rechtsauffassung betont der BGH in seiner jetzigen Entscheidung, dass eine solche Einschränkung des § 817 Satz 2 BGB insbesondere nach der Novellierung des SchwarzArbG nicht angebracht sei. Nachdem der BGH bereits zuvor alle Ansprüche des Unternehmers ausgeschlossen hatte, kann die Prüfung der Ansprüche des Aufraggebers zu keinem anderen Ergebnis führen. Aus dem Vertrag, der aufgrund der Schwarzgeldabrede insgesamt nichtig ist, ergeben sich weder vertragliche Ansprüche noch Ausgleichsansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag. Als Folge der Abkehr von der alten Rechtsprechung bleibt nun aber auch der bereicherungsrechtliche Ausgleich beiden Parteien verwehrt. Der Ausschluss sämtlicher Ansprüche entspricht der Intention des Gesetzgebers. Wer bewusst außerhalb der Rechtsordnung agiert, der soll sich im Streitfall nicht auf ihren Schutz berufen können. Nicht nur der Unternehmer, sondern auch der Besteller profitiert in finanzieller Hinsicht von der Schwarzarbeit. Insbesondere kommt es ausschließlich dem Besteller zugute, wenn keine Umsatzsteuer berechnet wird. Diese hätte der Unternehmer nämlich sowieso abführen müssen. Beide Parteien fördern die Schwarzarbeit. Daher muss auch die Sanktionierung beide Parteien treffen. Nachdem der BGH in seiner letzten Entscheidung dem Unternehmer bereicherungsrechtlichen Ausgleich versagt hat, entscheidet er nun folgerichtig, auch dem Besteller keinen Anspruch zuzugestehen. Gründe, die eine einseitige Privilegierung rechtfertigen würden, sind nicht zu erkennen. Mit der Schwarzgeldabrede gehen beide Parteien das Risiko ein, zu leisten, ohne einen äquivalenten Gegenwert zu erhalten. Auf welcher Seite sich diese Gefahr sodann tatsächlich realisiert, hängt vom Zufall ab.

C. Kontext und Konsequenzen der Entscheidung

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Mit dem jetzigen Urteil bestätigt der BGH seinen Kurswechsel zur Schwarzarbeit und verfestigt die neue Rechtsprechung. Noch 1990 ging das Gericht in seiner Entscheidung zur Schwarzarbeit davon aus, dass der Abschreckung und

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Die Autorin promoviert bei Prof. Dr. mult. Michael Martinek am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität des Saarlandes. Vgl. BGH, Urt. v. 10.04.2014 - VII ZR 241/13. Zum Ganzen BGH, Urt. v. 31.05.1990 - VII ZR 336/89.

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Arbeitsrecht

Überwachung im Arbeitsverhältnis: Von Befragungen bis zur GPS-Ortung – wie viel Kontrolle ist erlaubt? RA u. FA für Arbeitsrecht Dr. Detlef Grimm A. Einleitung Die Überwachung eines krankgemeldeten Arbeitnehmers durch Detektive, die heimliche Spindkontrolle oder eine Videoüberwachung bezwecken den Schutz der unternehmerischen Handlungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) des Arbeitgebers. Überwachungsmaßnahmen kollidieren mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), im Konkreten in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei handelt es sich um die Befugnis einer natürlichen Person, über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten selbst zu bestimmen. Geschützt ist der Einzelne gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner personenbezogenen Daten i.S.v. § 3 Abs. 1 BDSG.1 B. Rechtsgrundlagen der Überwachung von Arbeitnehmern I. Erlaubnistatbestände für die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung § 4 Abs. 1 BDSG formuliert ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Zulässig ist eine Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung nur dann, wenn eine Erlaubnis durch Gesetz, eine andere Rechtsvorschrift oder eine Einwilligung der Arbeitnehmer (§ 4a BDSG) vorliegt. Das Risiko trägt der Arbeitgeber als datenverarbeitende Stelle i.S.v. § 3 Abs. 7 BDSG.2 Eine andere Rechtsvorschrift i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG liegt vor, wenn durch die Norm der jeweilige Umgang mit Daten eindeutig für zulässig erklärt worden ist oder der Normadressat dazu verpflichtet wird. Die Art der Daten und der Verwendungszweck müssen ausdrücklich bezeichnet sein oder sich aus dem Zusammenhang der Norm ergeben.3 1. BDSG und spezielle Gesetze

2009 neu eingefügte § 32 BDSG. § 32 BDSG will die Rechtsprechung kodifizieren und eine umfassende Normierung des Beschäftigtendatenschutzes nicht ersetzen.4 Beschäftigte i.S.v. § 3 Abs. 11 BDSG sind neben Arbeitnehmern u.a. Beamte, Richter, Soldaten und Bewerber. Nach h.M. wird bei der automatisierten Datenverarbeitung für Zwecke des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses der bis 2009 angewandte § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG vollständig verdrängt.5 Erfolgt die Datenerhebung und -verarbeitung für „andere Zwecke“, kann § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG herangezogen werden.6 Das ist z.B. bei der Übermittlung von Beschäftigtendaten an einen potenziellen Unternehmenserwerber im Rahmen einer Due Diligence der Fall.7 Nach einer Auffassung sollen auch Maßnahmen der Compliance auf der Grundlage dieser Norm gerechtfertigt werden können (und nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG, dazu unten B. II. 2).8 Immer bedarf es im Hinblick auf das Gebot des § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG der dokumentierten Zweckfestlegung, wodurch eine Zweckbindung der Datenerhebung und -verarbeitung eintritt.9 Das BDSG ist gegenüber spezielleren Gesetzen wie dem TMG und TKG, insbesondere gegenüber dem Fernmeldegeheimnis nach § 88 TKG (welches bei der gestatteten Privatnutzung von E-Mails oder Internet anwendbar ist10 und 1

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Im Arbeitsverhältnis relevante Erlaubnisnormen sind §§ 28, 32 BDSG und in Bezug auf die Videoüberwachung § 6b BDSG als Spezialvorschrift (zu § 32 BDSG bei B. II.; zu § 6b BDSG bei C. VI.). Die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses regelt der im Jahr

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BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83 (Volkszählungsurteil). Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F Rn. 27. BAG, Beschl. v. 03.06.2003 - 1 ABR 19/02. So BT-Drs. 16/13657, S. 20. So BT-Drs. 16/13657, S. 20; Geiger in: WHW, Daten- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, 2014, A.III. Rn. 67 m.w.N. BT-Drs. 16/13657, S. 20; Thüsing, NZA 2009, 865, 869. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 9; Forst, NZA 2010, 1043, 1044. Geiger in: WHW, Daten- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, 2014, A.III. Rn. 71; Gola/Klug, NJW 2009, 2577, 2582. Geiger in: WHW, Daten- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, 2014, A.III. Rn. 70, 74 m.w.N. Zur Geltung des § 88 TKG bei erlaubter Privatnutzung des Internets unten bei C. III. 2.

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Die Monatszeitschrift

hohe praktische Relevanz bei der Einsichtnahme in Mails auf dem Account des Arbeitnehmers erlangt, dazu unten C. IV.), subsidiär. Diese Normen haben damit Anwendungsvorrang. 2. Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge als „andere Rechtsvorschriften“ i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG Erlaubnistatbestände i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG können im Arbeitsverhältnis auch Tarifverträge, Dienst- und Betriebsvereinbarungen sowie Einigungsstellensprüche sein.11 Mit normativer Wirkung erstrecken sich Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) auf alle vom Geltungsbereich des BetrVG erfassten Arbeitsverhältnisse, also auf alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG), was in der Betriebspraxis vorteilhaft ist. Auch Kontrollen (z.B. Videoüberwachung oder Spind- und Torkontrollen, Einsichtnahme in den Internet- bzw. E-MailAccount) können durch Dienst- und Betriebsvereinbarungen gerechtfertigt werden. Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Mitbestimmung bei technischer Überwachung ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, sonst § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Fragen der Ordnung und des Verhaltens im Betrieb). Betriebsvereinbarungen sind nicht am BDSG, sondern an § 75 BetrVG (insbesondere an der Verpflichtung der Betriebsparteien, die Persönlichkeit der Arbeitnehmer zu schützen) zu messen. Auch eine Absenkung des Datenschutzniveaus gegenüber dem BDSG wird möglich sein, sofern ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung und dem Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht geschaffen wird. Dabei richtet sich das zulässige Maß der Beschränkung des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrechts nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (also geeignet, erforderlich und angemessen). Insbesondere dürfen den Betriebsparteien keine anderen weniger einschränkenden Mittel zur Kontrolle zur Verfügung stehen.12 Eine Betriebsvereinbarung ist verhältnismäßig im engeren Sinne (also „angemessen“), wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe steht.13 Es ist in der Praxis aber kaum denkbar, den Standard des BDSG zu unterschreiten, ohne gegen § 75 BetrVG zu verstoßen.14 3. Einwilligung nach § 4a BDSG

Nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BDSG muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung hinweisen, also auf den konkreten Kontrollzweck (Grundsatz der informierten Einwilligung). Unwirksam ist beispielsweise die für eine noch nicht konkretisierte Vielzahl von Fällen – und in der betrieblichen Praxis oft vorzufindende – Pauschaleinwilligung im Arbeitsvertrag.17 Eine Einwilligung bedarf der Schriftform und kann zudem jederzeit und ohne Angabe von Gründen18 widerrufen werden. Daher ist sie als sichere Rechtsgrundlage für die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung und damit die Überwachung (z.B. die Einsichtnahme in einen E-Mail-Account19 oder bei Torkontrollen) eher ungeeignet. II. Erlaubnistatbestände des § 32 BDSG 1. Sachlicher Geltungsbereich: auch manuelle Datenerhebung und -verarbeitung Seit 2009 ist im Beschäftigungsverhältnis nach § 32 Abs. 2 BDSG nicht nur die automatisierte Datenverarbeitung (§ 3 Abs. 2 BDSG), sondern jede erdenkliche Art der auch nicht (!) automatisierten Erhebung, Nutzung oder Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten i.S.d. § 3 Abs. 3 bis 5 BDSG durch den Arbeitgeber an § 32 Abs. 1 BDSG zu messen. Darunter fällt beispielsweise eine einfache Arbeitnehmerbefragung mit oder ohne Dokumentation oder das Aufschreiben von Erkenntnissen in eine Kladde durch den Vorgesetzten und auch eine Spind- oder Torkontrolle.20

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Lange war offen, ob eine Einwilligung in die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Arbeitsverhältnis überhaupt zulässig ist. Das BAG hat dies kürzlich bejaht.15 Dies war von Literaturstimmen mit der Begründung abgelehnt worden, Arbeitnehmer könnten aufgrund des Machtungleichgewichts nicht i.S.v. § 4a Abs. 1 Satz 1 BDSG frei entscheiden und damit einwilligen.16

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BAG, Beschl. v. 27.05.1986 - 1 ABR 48/84; zuletzt BAG, Beschl. v. 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B). Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 53; Geiger in: WHW, Daten- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, 2014, A.III. Rn. 80. Schulmäßig geprüft in Bezug auf eine Betriebsvereinbarung zur Tor- und Personenkontrolle in einem Drogerielagerbetrieb mit außergewöhnlich hohen Diebstahlsverlusten BAG, Beschl. v. 15.04.2014 1 ABR 2/13 (B); Brink/Wybitul, ZD 2014, 225, 226 f. Statt aller mit Beispielen Franzen, RdA 2010, 257, 260. BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13; BAG, Urt. v. 19.02.2015 8 AZR 1011/13, dazu Grimm, jM 2015, 374, 375. Hauptsächlich Simitis in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 4a Rn. 62. LArbG Mainz, Urt. v. 25.11.2014 - 8 Sa 363/14. Das BAG verlangt nur im besonderen Fall des Widerrufs der Einwilligung in die Veröffentlichung von Fotos usw. auf der Unternehmenshomepage oder in Druckerzeugnissen nach § 22 Satz 1 KUG eine „plausible Erklärung“: BAG, Urt. v. 19.02.2015 - 8 AZR 1011/13; dazu Grimm, jM 2015, 374 ff. Dazu Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 115 ff. BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 2 AZR 546/12.

JM 1 2. Materieller Prüfungsmaßstab: § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG Der Arbeitgeber darf Beschäftigtendaten nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG nur erheben, verarbeiten und nutzen, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung oder für die Durchführung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Arbeitnehmerüberwachung kann zur Organisation des Arbeitsablaufs erforderlich sein.21 Denkbar ist auch, dass sie dem Schutz wertvoller Gegenstände des Arbeitgebers dient (wie bei der Handy-Überwachung im Sicherheitskurierdienst) oder der Zugangskontrolle (durch RFID-Technik oder biometrische Daten).22 Zulässige Zwecke sind auch Maßnahmen der Compliance – insbesondere die Vermeidung von Korruption23 – sowie die Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten und schließlich die Überwachung der Arbeitnehmer, um festzustellen, ob diese ihre arbeitsvertraglichen Pflichten (z.B. die Einhaltung des Verbots, das betriebliche E-Mail-System nicht privat zu nutzen) erfüllen. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten muss zur Erfüllung dieser Zwecke geeignet sein. Es darf sich bei gleicher Eignung kein milderes Mittel finden, das den Arbeitnehmer weniger beeinträchtigt. Die Intensität der Beeinträchtigung darf nicht außer Verhältnis zum Interesse des Arbeitgebers an der Kenntnis der Daten stehen. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen sind Zeitpunkt, Dauer, Ort, Art und Umfang der Kontrolle. Weniger beeinträchtigende stichprobenartige Kontrollen muss der Arbeitnehmer eher hinnehmen als Dauerüberwachungen, die meistens unzulässig sind.24 Je intensiver der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ist, desto gewichtigerer Interessen des Arbeitgebers bedarf es. 3. Sonderregelung zur Aufdeckung von Straftaten: § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG

Der Verdacht muss sich auf eine konkrete Person oder zumindest auf eine räumlich-funktional abgrenzbare Personengruppe beziehen. Die tatsächlichen Verdachtsmomente sind schriftlich oder elektronisch zu dokumentieren. Wann ein solcher Verdacht gegeben ist, hat die Rechtsprechung27 noch nicht geklärt. Nach einigen genügt ein einfacher Anfangsverdacht28, wohingegen andere29 die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten verlangen.

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Richtigerweise dürften tatsächliche Anhaltspunkte, also Hilfstatsachen im Sinne von Indizien genügen, da es sonst kaum noch weiterer Aufklärung bedürfte.30 Die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung muss zur Aufdeckung „erforderlich“ sein, es dürfen also keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer weniger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung zur Verfügung stehen.31 Überdies muss die Maßnahme verhältnismäßig im engeren Sinne sein, das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten darf hinsichtlich Art und Ausmaß nicht überwiegen. Abwägungsrelevant sind insbesondere der Anlass der Datenerhebung, namentlich die „Art und Schwere der Straftat“ sowie die „Intensität des Verdachts“ und das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung.32 Der Unterschied zwischen den Prüfungsmaßstäben liegt in der Intensität der Abwägung – der für die Aufklärung von Straftaten geltende § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG hat einen strengeren Maßstab als derjenige bei bloßen Pflichtverletzungen – sowie in der Dokumentationspflicht. Letzteres ist wenig praxisrelevant, zumal Arbeitgeber generell gut beraten sind, datenschutzrechtlich relevante Vorgänge zu dokumentieren. Beispielsweise kann die Anhörung eines verdächtigen Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zum einen als Maßnahme zur Aufklärung einer Straftat – zu messen an § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG – und zum anderen als Kündigungsvorbereitung – zu messen an § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG – betrachtet werden.33 Das ist im Hinblick auf die Art der auszusprechenden Kündigung (Tat-

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Die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zur Aufklärung von Straftaten regelt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Sie ist nur bei konkretem Verdacht einer Straftat im Beschäftigungsverhältnis – also während der Arbeitszeit oder außerhalb dieser zu Lasten des Arbeitgebers – zulässig.25 Präventionsmaßnahmen können sich nur auf § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG stützen.26

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Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 75 mit dem Beispiel GPS zur Organisation der Einsatzplanung in Speditionen und Videoüberwachung an Bankschaltern zur Vermeidung von Banküberfällen. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 131 f. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 75; Franzen in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 32 BDSG Rn. 30. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 32 BDSG Rn. 13. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 32 BDSG Rn. 17. Z.B. Torkontrollen ohne Anlass, Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 39. Auch BAG, Urt. v. 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13, dazu Tiedemann, ZD 2015, 487. Zöll in: Taeger/Gabel, BDSG, 2. Aufl. 2013, § 32 Rn. 50; Erfurth, NJOZ 2009, 2914, 2920. Wedde in: DKKW, BDSG, 4. Aufl. 2013, § 32 Rn. 127. Franzen in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 32 BDSG Rn. 32. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 36. BT-Drs. 16/13657, S. 21; Gräfin v. Brühl/Sepperer, ZD 2015, 415, 418. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 32 BDSG Rn. 9, 21.

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und/oder Verdachtskündigung) und mit Blick auf § 102 BetrVG zu dokumentieren. C. Fallgruppen der Arbeitnehmerüberwachung I. Arbeitnehmerbefragungen und Screening Eine umfassende Auskunftspflicht eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber hinsichtlich aller Vorgänge, die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber erfahren hat, inklusive solcher, die ihn selbst betreffen, ergibt sich aus §§ 666, 675 BGB analog und aus §§ 611, 241 Abs. 2, 242 BGB.34 Beim „Compliance-Officer“ ist dies sogar arbeitsvertragliche Hauptpflicht.35 Eine Verpflichtung, über die Handlungen anderer Arbeitnehmer zu unterrichten, soll nach Auffassung mancher nur bei der Gefahr eines Personenschadens oder erheblichen Sachschadens bestehen.36 Vom BAG noch nicht geklärt ist, ob auch im Arbeitsrecht das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung gilt. Teile der Literatur37 und auch der BGH38 verneinen bei einer Selbstbelastung in Bezug auf Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände eine Mitteilungspflicht. Nach zutreffender Ansicht des LArbG Hamm39 sind Arbeitnehmer zur Auskunft auch dann verpflichtet, wenn sie sich dadurch in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren selbst belasten könnten. In einem auf diesen Aussagen aufbauenden Strafprozess besteht nach den dort geltenden Grundsätzen ein strafrechtliches Verwertungsverbot40 nicht in dem Arbeitsgerichtsverfahren. Rechtsgrundlage für die Arbeitnehmerbefragung beim Verdächtigen ist § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG und bei Ermittlungshandlungen gegenüber sonstigen Arbeitnehmern § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG.41

ten Belegschaft nur bei außergewöhnlichem Interesse des Arbeitgebers, etwa einem konkreten, nicht personifizierten Straftatverdacht, in ein Screening eingebunden werden dürfen.46 Bei einem Treffer kann die Anonymisierung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aufgehoben werden.47 II. Tor-,Spind- und Taschenkontrollen, Überwachung durch Detektive Die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Tor-, Spind- und Taschenkontrollen oder eine Detektivüberwachung hängt neben der Art der Kontrolle von der Heimlichkeit, Häufigkeit und Dauer der Maßnahme ab. Dies hat eine Einzelfallbeurteilung zur Folge. Tendenziell sind anlasslose Dauerüberwachungen und Massenkontrollen aber unzulässig. Ausnahmen können nur bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen und einem konkreten, aber nicht personenbezogenem Verdacht bestehen.48 Im Rahmen der Bewertung einer (heimlichen) Spindkontrolle hat das BAG herausgestellt, dass der persönliche Schrank (Spind) eines Arbeitnehmers nicht zum absolut geschützten Kernbereich der Privatsphäre gehört, sondern nur zum relativ geschützten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.49 Grundsätzlich ist der Schrank daher der Kontrolle 34

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Umfangreiche Kontrollen durch Arbeitgeber kommen auch in Form eines Datenabgleichs hinsichtlich Kontakt- oder Kontodaten, sog. Screening, vor. Geht es um Straftaten, kann § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG Rechtsgrundlage sein. Geht es um Ordnungswidrigkeitstatbestände oder sonstige Pflichtverletzungen, kann § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG als Rechtfertigung herangezogen werden.42 Besondere Bedeutung hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.43 Screening wird als Compliance-Maßnahme eingesetzt, um z.B. eine Korruptionsbeteiligung von Arbeitnehmern aufzuklären. Bleiben diese Daten anonym und werden gelöscht, sofern sie nicht mit den abgeglichenen Daten übereinstimmen, ist der Vorgang datenschutzrechtlich unbedenklich.44 Anstelle der Anonymisierung gem. § 3 Abs. 6 BDSG kann auch die Pseudonymisierung dieser Daten i.S.d. § 3 Abs. 6a BDSG ausreichen, um für die Zulässigkeit des Screenings zu sorgen.45 Vertreten wird auch, dass der Umfang der abzugleichenden Daten von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis zu beschränken ist und die Daten der gesam-

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BAG, Urt. v. 01.06.1995 - 6 AZR 912/94; Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 99f. Oberthür, ArbRB 2011, 184; Grimm/Freh, ZWH 2013, 89. Wohl auch BAG, Urt. v. 18.06.1970 - 1 AZR 520/69 für den Fall, dass die Beaufsichtigung anderer Arbeitnehmer zu den Hauptpflichten gehört. Preis in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 611 BGB Rn. 742; Müller-Glöge in: MünchKomm, 6. Aufl. 2012, § 611 BGB Rn. 1082, beide unter Bezug auf BAG, Urt. v. 18.06.1970 - 1 AZR 520/69. Gegen eine Auskunftspflicht Diller, DB 2004, 313, 314; Grau, KSzW 2012, 66, 69. Schneider, NZG 2010, 1201, 1204 unter Hinweis auf § 4 Abs. 9 WpHG; Müller-Bonanni, AnwBl. 2010, 651, 653. BGH, Urt. v. 23.02.1989 - IX ZR 236/86; zustimmend Preis, Der Arbeitsvertrag, 5. Aufl. 2015, II A 40 Rn. 14. LArbG Hamm, Urt. v. 03.03.2009 – 14 Sa 1689/08; LArbG Berlin, Urt. 09.01.1999 – 9 Sa 93/88, unter Berücksichtigung der betrieblichen Stellung des Arbeitnehmers. BVerfG, Beschl. v. 13.01.1981 - 1 BvR 116/77; BVerfG, Beschl. v. 31.03.2008 - 2 BvR 467/08. Vogel/Glas, DB 2009, 1747, 1750; Kort, DB 2011, 651, 655. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 93. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 94; dagegen Thüsing/Granetzky, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 5 ff. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 32 BDSG Rn. 104a. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 94. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 134. Grimm/Freh, ZWH 2013, 89, 90. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 136. BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 2 AZR 546/12.

JM 1 entzogen, wenn nicht Gründe den Eingriff rechtfertigen. Arbeitgeber haben mit Blick auf die Abwehr von Gefahren die (Verkehrssicherungs-)Pflicht, wegen möglicherweise eingebrachter gefährlicher Güter zu kontrollieren, und das berechtigte Interesse, Missbräuchen (z.B. Diebstählen) vorzubeugen. Arbeitnehmer müssen also mit Kontrollen rechnen. Im konkreten Fall bestand ein Verdacht des Diebstahls von Damenunterwäsche, die zum Sortiment des Unternehmens gehörte. Das BAG sah in der ohne Anwesenheit des Arbeitnehmers – mithin heimlich – durchgeführten Schrankkontrolle einen Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Diese hätte ohne weiteres im Beisein des Arbeitnehmers (milderes Mittel!) stattfinden können und sei daher unverhältnismäßig gewesen. Es gebe keinen Anhalt, dass dadurch der Ermittlungserfolg gefährdet worden sei. Dabei helfe auch nicht die Hinzuziehung von Betriebsratsangehörigen, da wegen der höheren Zahl beteiligter Personen der Eingriff noch intensiviert worden sei.50 Einen ungerechtfertigten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nahm das BAG auch bei der – teilweise mit VideoAufnahmen – durchgeführten Überwachung einer Arbeitnehmerin durch einen Detektiv an. Die Arbeitnehmerin hatte sich aufgrund sechs Krankschreibungen von zwei Ärzten über einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten, zunächst wegen Bronchitis, anschließend wegen eines Bandscheibenvorfalles, arbeitsunfähig gemeldet. Das BAG sah im Einklang mit der Vorinstanz aufgrund des hohen Beweiswertes ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und mangels entgegenstehender, diese erschütternder Tatsachen schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG (dokumentierte Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat – hier betrügerische Erschleichung der Entgeltfortzahlung durch Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit) für nicht gegeben an. Es bedurfte daher keiner weiteren Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch die Observation im häuslichen Bereich und bei der Verfolgung im privaten Umfeld durch den Detektiv.51 Rechtsfolge war wegen des schweren Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht, der nicht anders befriedigend ausgeglichen werden konnte, hier vor allem ein aus deliktsrechtlichen Vorschriften i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG abgeleiteter Schmerzensgeldanspruch.52 Dieser Anspruch wird wegen der intensiven Persönlichkeitsverletzung regelmäßig auch bei einer sonstigen rechtswidrigen Videoüberwachung im Betrieb bestehen.53

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BDSG, wenn der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges besteht. Erfolgt die Maßnahme weder in Anwesenheit des Arbeitnehmers noch des Datenschutzbeauftragten, ist sie nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG unverhältnismäßig i.e.S., insbesondere auch wegen der Heimlichkeit.54 Dies gilt auch, wenn die Maßnahme das einzig verbleibende Mittel darstellt und der Arbeitgeber die private Nutzung der IT-Systeme untersagt. Allerdings hat das LArbG Mainz im konkreten Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Nachweises während der Dienstzeit eingetragener Privattermine (und deren Wahrnehmung durch der Arbeitnehmer während der vergüteten Arbeitszeit) wegen der relativ geringen Eingriffsintensität verneint. Eine Einzelfallbetrachtung, die sich ähnlich in einem Urteil des LArbG Köln zur Auswertung von Speicherdateien findet.55 IV. Kontrollen bei Telefon- und Internetnutzung unter Berücksichtigung von „Bring Your Own Device“ (BYOD) 1. E-Mail: Verbot der Privatnutzung Ob der Arbeitgeber die E-Mail-Korrespondenz seiner Arbeitnehmer kontrollieren darf, hängt davon ab, ob die Nutzung zu privaten Zwecken verboten ist. Dann darf er nach allen ernsthaft vertretenen Auffassungen davon ausgehen, dass es sich bei E-Mails der Mitarbeiter um „Geschäftspost“ handelt. Stichprobenkontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Verbots sind unter Beachtung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG erlaubt. Dies beinhaltet das Lesen einzelner E-Mails, woran der Arbeitgeber z.B. zur Verhinderung der Verbreitung von Geschäftsgeheimnissen interessiert sein kann.56 Bei ausgeschiedenen Mitarbeitern kann der Arbeitgeber auf der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG zugreifen, weil der Zugriff für die Geschäftstätigkeit erforderlich ist und der Arbeitgeber davon ausgehen kann, nichts Privates gewahr zu werden.57

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III. Einsichtnahme in einen elektronischen Kalender 54

Bei einer Einsichtnahme in den private Einträge enthaltenden elektronischen Kalender (Lotus-Notes-Kalender) des Arbeitnehmers gilt der Maßstab des § 32 Abs. 1 Satz 2

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BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 2 AZR 546/12; Brink/Wybitul, ZD 2014, 225, 228. BAG, Urt. v. 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13; Vorinstanz LArbG Hamm, Urt. v. 11.07.2013 - 11 Sa 312/13. § 253 Abs. 2 BGB steht nicht entgegen, weil er das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht erfasst; Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 206 m.w.N. LArbG Hessen, Urt. v. 25.10.2010 - 7 Sa 1586/09; Grimm/Freh, ArbRB 2012, 151, 153. LArbG Mainz, Urt. v. 25.11.2014 - 8 Sa 363/14. LArbG Köln, Urt. v. 29.09.2014 - 2 Sa 181/14. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 83, 84. Dzida/Klopp, ArbRB 2015, 83, 84.

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2. E-Mail: Gestattung der Privatnutzung Ungeklärt ist, wonach sich die Zulässigkeit von Kontrollen richtet, wenn eine Privatnutzung erlaubt ist. Bislang wird der Arbeitgeber dann von der h.M. als Diensteanbieter gem. § 3 Nr. 6, Nr. 10, Nr. 24 TKG, § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG angesehen. Folge ist, dass er nach § 88 TKG und §§ 11 ff. TMG an das Fernmeldegeheimnis gebunden ist.58 Bei einem Verstoß kann er sich nach § 206 Abs. 1 StGB bzw. § 202a StGB (Ausspähen von Daten) strafbar machen.59 Auch die Kontrollmöglichkeiten sind eingeschränkt. Es bedarf einer Einwilligung des Arbeitnehmers, vgl. § 96 Abs. 3 TKG, oder einer gesetzlichen Grundlage, vgl. § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG. Dazu sind im Anwendungsbereich des TKG Betriebsvereinbarungen ungeeignet, weil das TKG anders als § 4 Abs. 1 BDSG eine gesetzliche und nicht nur eine normative Grundlage verlangt.60 Eine im Vordringen befindliche Auffassung lehnt die Qualifikation des Arbeitgebers als Diensteanbieter ab.61 Der Arbeitgeber biete die Einrichtungen nicht geschäftsmäßig i.S.d. § 3 Nr. 6 TKG an. Das BDSG sorge für ausreichenden Datenschutz. Zudem sei die Einschränkung der Kontrolle eine erhebliche Belastung, wenn zur Aufrechterhaltung von Arbeitsprozessen, beispielsweise im Krankheitsfall, eine E-Mail-Einsicht erforderlich sei. Immerhin haben sich dieser Ansicht zwei Landesarbeitsgerichte und Verwaltungsgerichte angeschlossen.62 Bis zur Festigung dieser Rechtsprechung sollten sich Arbeitgeber aber an den strengeren Kontrollvorschriften für Diensteanbieter orientieren.63 Das Fernmeldegeheimnis erfasst nur die laufende Kommunikation.64 Eine Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung bezüglich laufender Kommunikation kann nur zu Abrechnungs- oder Störungsbeseitigungszwecken erfolgen (§§ 97, 100 TKG).65 Nach Beendigung des technischen Übertragungsvorganges unterliegen die E-Mails, die im Herrschaftsbereich des Arbeitgebers – etwa auf dem Arbeitsplatzrechner – gespeichert sind, nicht (mehr) dem Fernmeldegeheimnis. Anderes gilt allerdings für E-Mails, die auf einem externen Mailserver zwischen- oder endgespeichert und nur über eine Internetverbindung vom Rechner des Arbeitnehmers zu erreichen sind.66 Nur bei Vorliegen der ersten technischen Alternative ist eine Kontrolle somit (wieder) zulässig. Von einer Einsichtnahme durch den Arbeitgeber muss die private Kommunikation ausgenommen werden. Deshalb ist es sinnvoll, hierfür eine Kennzeichnungspflicht einzuführen (zweckmäßigerweise durch eine Betriebsvereinbarung). Fehlt die Differenzierbarkeit, bleibt dem Arbeitgeber der Zugriff auf die gesamte E-Mail-Post verwehrt.67 Denkbar ist es auch, einen privaten Account oder Server für private Mails einzurichten oder die Arbeitnehmer auf web.de, me.com,

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yahoo.com usw. zu verweisen. Nicht zu vergessen ist, dass Mailen während der Arbeitszeit – ebenso wie die private Internet-Nutzung – aufgrund des Direktionsrechts (§ 106 GewO) untersagt werden kann, wenn keine arbeitsvertragliche oder sonstige Anspruchsgrundlage (etwa durch Betriebsvereinbarung) der Arbeitnehmer besteht. 3. Exkurs: Gestattung der Privatnutzung durch betriebliche Übung Umstritten ist, ob sich eine Privatnutzungserlaubnis infolge einer betrieblichen Übung68 ergeben kann, wenn von Seiten des Arbeitgebers keine explizite entgegenstehende Regelung getroffen worden war. Das Arbeitsgericht Wesel nahm an, dass ein Arbeitnehmer, dessen private Internetnutzung vom Arbeitgeber sechs Monate lang ungeahndet geduldet wurde, von einer Erlaubnis ausgehen durfte, und bejaht dann eine Gestattung infolge betrieblicher Übung.69 Die herrschende Literaturauffassung lehnt dies zu Recht ab.70 Zudem ist eine Duldung der Privatnutzungserlaubnis per definitionem reine Vorteilsgewährung, also eine bloße Annehmlichkeit. Diese kann nicht Gegenstand einer betrieblichen Übung sein.71

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Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, BDSG Vorb. Rn. 92. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 110. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, BDSG Vorb. Rn. 92. Thüsing/Traut in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 79 ff.; Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 101; Wybitul/Böhm, CCZ 2015, 133, 134. LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.02.2011 - 4 Sa 2132/10; LArbG Niedersachsen, Urt. v. 31.05.2010 - 12 Sa 875/09; VG Karlsruhe, Urt. v. 27.05.2013 - 2 K 3249/12; Hess VGH, Urt. 19.05.2009 - 6 A 2672/08. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 123. BVerfG, Urt. v. 16.06.2009 - 2 BvR 902/06. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 103. BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009 - 2BvR 902/06. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 102. Zur Definition: BAG, Urt. v. 19.08.2008 - 3 AZR 194/07; BAG, Urt. v. 16.07.1996 - 3 AZR 352/95. ArbG Wesel, Urt. v. 21.03.2001 - 5 Ca 4021/00. Zwölf Monate Duldung verlangt Däubler, Internet und Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2013, Rn. 185 m.w.N. Thüsing/Traut in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 71; Dzida/Klopp, ArbRB 2015, 83, 85; Stamer/ Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 90, 92; Waltermann, NZA 2007, 529, 533. BAG, Urt. v. 16.04.1997 - 10 AZR 705/96; zustimmend Waltermann, RdA 2006, 257, 260.

JM 1 Hat der Arbeitgeber keine ausreichende Kenntnis von der Nutzung durch die Arbeitnehmer und ist das für diese erkennbar, fehlt es auch im Fall der privaten Nutzung der betrieblichen Telefonanlage, des E-Mail-Servers oder des Internets an einem hinreichend bestimmten Angebot des Arbeitgebers, weshalb dann wegen Nichtvorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen ein Anspruch aus betrieblicher Übung nicht entsteht.72 4. Internetnutzung Für die Überprüfung der Internetnutzung durch den Arbeitgeber gelten die gleichen Grundsätze wie zur E-Mail. 5. Social Media Im Bereich Social Media sind die Kontrollgrenzen umstritten. Eine routinemäßige, anlasslose Überprüfung der Äußerungen von Arbeitnehmern in Social Media oder anderen Plattformen und ein anlassloses Googeln wird von einigen Stimmen abgelehnt73, von anderen gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BDSG gerechtfertigt74. Der Arbeitgeber kann Social Media Guidelines in Form von Betriebsvereinbarungen erlassen, deren Einhaltung er kontrollieren darf. Festlegen kann er so zum Beispiel die Nutzungsdauer, die Kennzeichnung von Aussagen als eigene Meinung, die Anmeldung über die private E-Mail-Adresse.75 Bei einer Facebook-Seite zur Entgegennahme von Kundenbeschwerden über Mitarbeiter soll es sich nach Ansicht des LArbG Düsseldorf nicht um eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle des Arbeitgebers im Sinne einer technischen Überwachungseinrichtung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG handeln.76 6. Telefonnutzung Die Regeln zur Kontrolle der Internetnutzung finden auch hinsichtlich der Überprüfung von Telefonverbindungsdaten der Arbeitnehmer Anwendung. Unabhängig von einer Privatnutzungserlaubnis betreffen die Gesprächsinhalte der Telefonkorrespondenz aufgrund der „Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes“77 stets das Persönlichkeitsrecht der Beteiligten. Daher ist eine Kontrolle dieser allenfalls bei berechtigten Interessen des Arbeitgebers bei kumulativer Kenntnis des Betroffenen von der Möglichkeit der Gesprächsaufzeichnung zulässig, wie zum Beispiel zu Trainingszwecken in Call-Centern.78 7. BYOD Ermöglicht der Arbeitgeber die dienstliche Nutzung privater Smartphones, Laptops oder anderer Geräte der Arbeitnehmer (BYOD) oder stellt er seinen Arbeitnehmern Geräte sowohl zu dienstlichen als auch privaten Zwecken zur

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Verfügung (Corporate Owned, Personally Enabled = COPE; Chose Your Own Device = CYOD), tritt er nicht als Diensteanbieter auf, da er nicht die Dienste, sondern allenfalls die Nutzungserlaubnis oder Geräte zur Verfügung stellt. Zu beachten sind schon bei der Einrichtung dieser Modelle die Vorschriften zu § 9 BDSG und seiner Anlage 1. Gem. Nr. 8 der Anlage 1 zu § 9 BDSG ist für eine getrennte Verarbeitung von Dateien zu sorgen, die zu unterschiedlichen Zwecken eingegeben werden. Realisiert werden kann eine Trennung zwischen privaten und dienstlichen Daten durch eine Container-App, die die Daten so sortiert, dass der Zugriff auf den jeweiligen Bereich beschränkt werden kann. Eine Überprüfung der dienstlichen Kommunikation steht dem Arbeitgeber im Rahmen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dann frei; die privaten Daten sind auszunehmen.79 8. Empfehlung für die Praxis Der Arbeitgeber sollte die Privatnutzung von Internet, EMail-Programmen und Telefon ausdrücklich verbieten oder höchstens die Nutzung eines vom Dienstprogramm losgelösten E-Mail-Accounts (wie google.com, web.de usw.) erlauben, um sich eine sinnvolle Kontrollmöglichkeit zu bewahren.80 V. Ortung des Arbeitnehmers 1. Bewertung nach dem BDSG Bei einer Abwägung im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG kann auf Seiten des Arbeitgebers das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG besonderes Gewicht erlangen, wenn es um die Standortüberprüfung von Firmenmaterial geht. Andererseits ist die hohe Eingriffsintensität in das Persönlichkeitsrecht zu beachten, wenn via Ortung ein genaues Bewegungsprofil erstellt wird.

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LArbG Nürnberg, Urt. v. 05.08.2015 - 2 Sa 132/15 Rn. 49. Thüsing/Traut, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 14 Rn. 37; Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 148. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, BDSG Vorb. Rn. 87, § 32 BDSG Rn. 4. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 149 ff. LArbG Düsseldorf, Urt. v. 12.01.2015 - 9 TaBV 51/14. Krit. zur dort bejahten Pflicht der Arbeitnehmer, sich auf Facebookprofilen den (auch missfälligen) Bewertungen Dritter aussetzen zu müssen, Greif, NZA 2015, 1106, 1109. Notwendig ist wohl eine Einwilligung nach § 4a BDSG. Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 84. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, BDSG Vorb. Rn. 105. Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163, 1164. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 135.

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Die Ortung eines Außendienstmitarbeiters anlässlich des Rückgangs der „Vertriebsaktivität“ um 50% hielt das LArbG Baden-Württemberg 200281 noch für zulässig, was angesichts der Neuregelung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG hinsichtlich der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr als zweifelhaft geworden ist. Eine Abwägung wird mit Ausnahme von Sonderfällen wie GeldtransporterKontrollen oder der Überprüfung von Sicherheitspersonal für bestimmte Standorte zur Unzulässigkeit einer Ortung führen. Der Arbeitgeber sollte daher auf eine normative Grundlage (Betriebsvereinbarung) oder eine (hinreichend konkrete) Einwilligung setzen. In jedem Fall ist der Arbeitnehmer von der Ortung in Kenntnis zu setzen, vgl. § 4 Abs. 3 BDSG.82 2. Exkurs: Strafbarkeitstatbestände bei rechtswidrigen Ortungsmaßnahmen Eine rechtswidrige Ortung kann strafrechtlich sanktioniert werden. Eine GPS-Ortung von Fahrzeugen durch Detektive zur verdeckten Überwachung bestimmter Personen mit dem Ziel der Ermittlung des Aufenthaltsortes und der Erstellung von Bewegungsprofilen ist grundsätzlich strafbar.83 Relevant sind in diesem Zusammenhang nicht nur die datenschutzrechtlichen Straftatbestände des StGB (§§ 201a, 202a, 203, 303a StGB), sondern auch § 44 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 2 BDSG. VI. (Heimliche) Videoüberwachung Die rechtlichen Anknüpfungspunkte hinsichtlich Zulässigkeit von Videoüberwachungsmaßnahmen richten sich zunächst nach der Art der Räumlichkeit, „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“. 1. Öffentlich zugängliche Räume Für öffentlich zugängliche Räume gilt § 6b BDSG. Dies sind solche, die dazu bestimmt sind, von einer unbestimmten oder nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Vielzahl von Personen betreten zu werden, zum Beispiel Museen, Bahnsteige, Schalterhallen oder Verkaufsräume. Die Einordnung erfolgt stets für den gesamten Raum, es existieren keine nicht-öffentlich zugänglichen Enklaven in einem öffentlichen Raum.84 Zulässig ist die Überwachung nur, wenn sie zum einen zu den in § 6b Abs. 1 BDSG festgelegten Zwecken erforderlich und damit nicht durch mildere, gleich effektive Mittel ersetzbar ist. Unter § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG fällt das Arbeitgeberinteresse, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, insbesondere bei Wiederholungsgefahr sowie im Falle von Straftaten, die „typischerweise“ im konkreten Arbeitsumfeld begangen werden, z.B. Diebstähle in Verkaufsstätten.85 Der Überwachungszweck sollte zu Beweiszwecken dokumentiert werden.86

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Zum anderen hat eine Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erfolgen. In diese sollen Ort, Zeit, Anzahl der betroffenen Verdächtigen und NichtVerdächtigen sowie der technische Überwachungsumfang und die Speicherungsdauer einfließen. Der Umfang der Überwachung ist auf das Nötigste zu beschränken. Es gilt das Prinzip der Datenvermeidung und -sparsamkeit nach § 3a BDSG.87 An sich ist in öffentlichen Räumen die Informationspflicht gegenüber dem Betroffenen nach § 6b Abs. 2 BDSG zu beachten, was einer heimlichen Videoüberwachung entgegenstehen würde. Das BAG legt diese Norm aber verfassungskonform unter Berücksichtigung des Eigentumsschutzes des Arbeitgebers aus.88 Mit der heimlichen Videoüberwachung befasste sich schon ein Urteil des BAG von 200389, dessen Leitsatz hinsichtlich der Wertung in den aktuell geltenden Voraussetzungen für eine Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zur Aufklärung von Straftaten nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG kodifiziert ist90. Zulässig ist sie, wenn „der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist“. Diesen Maßstab hat das BAG im Jahr 201391 in der ersten Entscheidung nach Novellierung des BDSG weiterhin angelegt. Es stellt unter Bezugnahme auf die vor der Novellierung ergangene Rechtsprechung heraus, dass § 6b Abs. 2 BDSG der Datenverwertung aus heimlicher Videoüberwachung „nicht zwingend entgegen[stehe]“, es handele sich um eine (bloße) Ordnungsvorschrift. Dies verleiht aber der An-

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LArbG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.10.2002 - 5 Sa 59/00. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 90-92. BGH, Urt. v. 04.06.2013 - 1 StR 32/13; zustimmend Franzen in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 32 BDSG Rn. 20. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 106. Zum Ganzen: Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 122. Grimm/Schiefer, RdA 2009, 329, 331. Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 107-108. BAG, Urt. v. 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 zu einem Sachverhalt aus 2008 (vor der Novelle) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/5793, S. 62. BAG, Urt. v. 27.03.2003 - 2 AZR 51/02. BT-Drs. 16/13657, S. 21. BAG, Urt. v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11.

JM 1 gemessenheitsabwägung besonderes Gewicht.92 Als unverhältnismäßig wurde im konkreten Fall die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung zur Aufklärung von Leergutdifferenzen angesehen. Dies unter anderem, da der Arbeitgeber nicht ausreichend darlegt hatte, dass die Videoüberwachung das einzig verbleibende Mittel zur Aufklärung war. Die Vorinstanz93 war anderer Auffassung gewesen, weil sich der Arbeitgeber in einer notwehrähnlichen Lage befunden hatte und die Maßnahme nicht unverhältnismäßig gewesen war. Das BAG hat in dem Urteil daran festgehalten, dass sich der konkrete Straftatverdacht (nur) „gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern“, nicht aber (weitergehend) gegen eine einzelne bestimmte Person richten muss. Es darf aber nicht nur die allgemeine Mutmaßung bestehen, es könnten Straftaten begangen worden sein.94 2. Nicht-öffentlich zugängliche Räume Die Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung in nicht-öffentlichen Räumen richtet sich – je nach Zweck – nach § 32 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BDSG. Es erfolgt also eine an den Grundrechten orientierte Einzelfallabwägung. Eine heimliche Videoüberwachung ist gesetzlich nicht normiert, aber unter den zu Ziff. 1. genannten strengen Voraussetzungen zulässig. Im Detektivobservationsfall95 hatte das LArbG Hamm herausgestellt, dass eine Videoüberwachung einen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bedeute, der durch die Heimlichkeit noch verstärkt werde und selbst im Falle einer gerechtfertigten Krankenkontrolle wohl unverhältnismäßig wäre. Ein milderes Mittel sei die Erstellung eines Observationsberichts durch den Detektiv und eine Verwertung seiner Zeugenaussage. Das BAG als Revisionsinstanz hat sich diese Verhältnismäßigkeitsdiskussionen angesichts der fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG erspart und die Rechtmäßigkeit schon wegen Fehlens eines hinreichend konkreten Verdachts einer Straftat (dies wäre hier Entgeltfortzahlungsbetrug gewesen) verneint.96 In keinem Fall zulässig – insoweit unter Vorgriff auf § 32f Abs. 2 des seit 2013 nicht weiter verfolgten Gesetzesentwurfs zur Reform des Beschäftigtendatenschutzes – ist die Videoüberwachung in Räumen, die für die Vornahme von Handlungen im absoluten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts vorgesehen sind, wie Umkleidekabinen, Schlafräume und Sanitäranlagen.97

I. Ausgangspunkt der Rechtsprechung Ein Beweis- oder Sachvortragsverwertungsverbot ist daher eine Ausnahme, die einer gesetzlichen Grundlage bedarf99 bzw. die sich aus dem Schutzzweck der verletzten Norm ergeben kann100. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG kann als gesetzliche Grundlage der Beweisverwertung Schranken setzen.101 Es ist zwischen der persönlichkeitsrechtswidrigen Beweiserhebung und der Beweisverwertung zu trennen. Wird eine durch die Beweiserhebung des Arbeitgebers entstandene Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Beweisverwertung vor Gericht perpetuiert, ist die Verwertung verboten. Da schon im Rahmen der Beweiserhebung nicht jeder Eingriff in das Persönlichkeitsrecht (erste Prüfungsstufe) rechtswidrig ist, bedarf es auch für die Beweisverwertung auf einer zweiten Stufe der Prüfung einer Abwägung.102 Dabei muss das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht nur dem Interesse des Arbeitgebers, sondern auch dem Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionsfähige Justiz gegenübergestellt werden.103 Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben.104 Das Persönlichkeitsrecht hat vor allem dann zurückzustehen, wenn sich der Arbeitgeber in einer „Notwehrsituation oder notwehrähnlichen Lage“ befindet, in der es auf eine

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Die ZPO enthält keine Regelung des Verbots der Beweisverwertung. Es ist umstritten, ob eine rechtswidrige Beweiserhebung zu einem Beweisverwertungsverbot führt und

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ob ein Sachvortrag, der sich unstreitiger, aber rechtswidrig bekannt gewordener Tatsachen bedient, vor Gericht verwertbar ist. Aus § 286 ZPO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG wird abgeleitet, dass ein Gericht grundsätzlich an den Vortrag der Parteien gebunden ist und die vorgebrachten Beweise zu berücksichtigen hat.98

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D. Beweis- und Sachvortragsverwertungsverbot, Beweiserhebungsverbot

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Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 109. LArbG Hamm, Urt. v. 15.07.2011 - 10 Sa 1781/10. Reinhard, ArbRB 2015, 86, 88. LArbG Hamm, Urt. v. 11.07.2013 - 11 Sa 312/13. BAG, Urt. v. 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13. BR-Drs. 535/10, S. 10. BVerfG, Urt. v. 9.10.2002 - 1 BvR 1611/96. BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06. BAG, Urt. v. 16.10.2012 - 2 AZR 485/08. BVerfG, Urt. v. 13.02.2007 - 1 BvR 421/05; BAG, Urt. v. 20.06.2013 2 AZR 546/12. Reinhard, ArbRB 2015, 86, 87. BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06. BAG, Urt. 21.06.2012 - 2 AZR 153/11.

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Verwertung der rechtswidrig erlangten Informationen ankommt.105 Wie auch im Rahmen der materiellen Prüfung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 BDSG ist der konkrete Tatverdacht zu dokumentieren und es ist im Hinblick auf die Frage der notwehrähnlichen Situation bzw. der Angemessenheitsprüfung zu untersuchen und zu dokumentieren, ob es (noch) andere Aufklärungsmöglichkeiten gibt, die ebenso geeignet und für den Arbeitnehmer milder sind.106 Aus einem Beweisverwertungsverbot vor Gericht ergibt sich ein Beweiserhebungsverbot für das Gericht, wenn durch eine weitere Beweiserhebung das Beweisverwertungsverbot umgangen würde. Im Falle der heimlichen Spindkontrolle zur Aufklärung des Diebstahlsverdachts sah das BAG107 die Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Verwertung der gefundenen Beweismittel vor Gericht als perpetuiert an. Dieses Beweisverwertungsverbot impliziere, dass die Beweiserhebung durch Zeugenbefragung des Arbeitgebers, der die rechtswidrige Spindkontrolle durchgeführt hatte, sowie der hinzugezogenen Betriebsratsmitglieder verboten sei. II. Einzelfälle Ein absolutes Verwertungsverbot von Beweisen besteht in jedem Fall bei audiovisueller Überwachung in Kernbereichen privater Lebensgestaltung, wie Sanitär-, Umkleideund Schlafräumen.108 Einem Arbeitnehmer ist prozessual zu raten, sich nicht zur Videoaufnahme zu äußern, sondern sich schon auf die Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung zu berufen. Kenntnisse aus bewusst heimlichem Mithören von Telefonaten unterliegen regelmäßig einem Verwertungsverbot.109 Im Falle zufälligen Mithörens gilt dies nur, wenn der Gesprächsteilnehmer nicht selbst dafür verantwortlich ist, dass Dritte mithören können.110 Der bloße Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung, die das Verfahren bei Personalkontrollen regelt, kann für sich genommen kein Verwertungsverbot auslösen, da die Betriebsverfassungswidrigkeit nicht zwangsweise eine Persönlichkeitsrechtsverletzung impliziert.111 Nach herrschender Ansicht gilt dies auch bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts eines Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Die Beweisverwertung weist in diesen Fällen keinen eigenen Unrechtsgehalt auf.112

len sein sollten. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin genieße aufgrund des konkreten Verdachts des Arbeitszeitmissbrauchs keinen Vorrang gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an der Einsichtnahme in die Zeitstempel. Vorrangiges Ziel des Datenschutzes sei nicht der Täterschutz. Ebenfalls kein Beweisverwertungsverbot sah das LArbG Hamm114, falls die auf dem Dienstrechner gespeicherten Chatprotokolle eines Arbeitnehmers zum Nachweis illegaler Aktivitäten gegen den Arbeitgeber verwendet wurden, da die Privatnutzung des Internets im Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber eingeschränkt gewesen war und auf gelegentliche Kontrollen sowie eine deshalb eingeschränkte Vertraulichkeit hingewiesen worden war. III. Zufallsfunde Umstritten ist, wann die Verwertung von Zufallsfunden zulässig ist.115 Auch im Rahmen einer heimlichen Videoüberwachung gewonnene Erkenntnisse sind unbeschadet des § 6b Abs. 3 BDSG nicht stets unverwertbar, wenn „sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen“. Es bedürfe auch hier einer Abwägung zwischen dem Beweisinteresse und der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Ersterem sei nur der Vorrang zu geben, „wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist“.116 Als unverhältnismäßig erachtete das BAG die Verwertung heimlich aufgenommenen Videomaterials im Kassenbereich des Getränkemarktes, das zum Zwecke der Aufklärung einer Leergutdifferenz von 7.000 € angefertigt worden war, aber

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Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots hat das LArbG Köln113 bezüglich der Auswertung einer Datei abgelehnt, bei deren Bearbeitung die Namen der Mitarbeiter sowie die Uhrzeit ihrer Dateneingabe festgehalten wurden. Diese zog der Arbeitgeber zur Überprüfung der Arbeitszeit einer Arbeitnehmerin heran, die Freizeitausgleich für Überstunden beantragt hatte, die bei der Heimarbeit angefal-

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Ablehnend im Fall der heimlichen Spindkontrolle BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 2 AZR 546/12. Reinhard, ArbRB 2015, 86, 89. BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 2 AZR 546/12. Anders LArbG Mainz, Urt. v. 25.11.2014 - 8 Sa 363/14 (oben bei C. III.). LArbG Köln, Urt. v. 18.11.2010 - 6 Sa 817/10; Grimm in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rn. 114 m.w.N. Lembke in: HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, BDSG Vorb. Rn. 105. BVerfG, Urt. v. 09.10.2002 - 1 BvR 1611/96; Reinhard, ArbRB 2015, 86, 88. BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06. BAG, Urt. v. 27.03.2003 - 2 AZR 51/02. LArbG Köln, Urt. v. 29.09.2014 - 2 Sa 181/14; ähnlich LArbG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.11.2014 - 8 Sa 363/14. LArbG Hamm, Urt. v. 10.07.2012 - 14 Sa 1711/10. Für die Zulässigkeit bei rechtmäßiger Beweiserhebung: Stamer/Kuhnke in: Plath, BDSG, 2013, § 32 Rn. 138; enger im Rahmen einer Beurteilung nach Maßstäben des § 6 Abs. 3 BDSG: Grimm/Schiefer, RdA 2009, 329, 340. BAG, Urt. v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11.

JM 1 dann zum Beweis der Zueignungsabsicht bezüglich CentBeträgen aus einer „Klüngelgeld-Kasse“ verwendet worden war.117 E. Fazit Das BAG hat auch ohne Normierung nachvollziehbare Grenzen der Datenerhebung und -verarbeitung im Arbeitsverhältnis entwickelt. Eine auf einzelne Anwendungsfälle ausdifferenzierte Regelung – wie sie der 2013 nicht fortgeführte Entwurf der §§ 32 bis 32l BDSG-E enthalten hatte – würde mehr Bewertungssicherheit vermitteln und den Beschäftigtendatenschutz von seinem derzeitigen Case-Law-Charakter befreien. Festzustellen ist aber, dass die Technik so rasant fortschreitet (siehe Social Media, BYOD, Web 2.0, Big Data und Digitalisierung der Arbeitswelt – Stichwort: Arbeit 4.0), dass der Gesetzgeber regelmäßig „hinterherhecheln“ wird. Beachten müssen wir nun auch (wieder) die arbeitsrechtlichen Auswirkungen der EU-Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). Der Rat der EU hat am 11.06.2015 sein Verhandlungsdokument118 beschlossen. Rat, Parlament und Kommission versuchen nun, dies bis Ende 2015 nach Art- 294 AEUV im Trilog-Verfahren abzustimmen, sodass die DS-GVO 2016 in Kraft treten und nach Art. 91 DS-GVO-Entwurf zwei Jahre später (also ca. ab Sommer 2018) unionsweit gelten könnte. Nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO-Entwurf sollen die Mitgliedstaaten spezifische nationale Rechtsvorschriften oder Kollektivvereinbarungen zum Beschäftigtendatenschutz vorsehen. Der deutsche Gesetzgeber bleibt damit in der Pflicht.

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BAG, Urt. v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11. Rat der Europäischen Union, Dok. 9565/15.

Das BAG geht vorliegend dann aber über das europäische Recht hinaus und nimmt an, dass ein auf Antrag eines Arbeitnehmers vereinbarter unbezahlter Sonderurlaub, im Anlassfall vom Jahresbeginn bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.09., den Urlaubsanspruch nicht mindere. Dies leuchtet so wenig ein und wurde so häufig abgelehnt6, dass hier noch einmal versucht wird, das BAG in dieser praktisch bedeutsamen Frage zum Umsteuern zu bewegen. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Für das Entstehen des Urlaubsanspruchs sei nach dem Bundesurlaubsgesetz (BurlG) allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Der Urlaubsanspruch stehe dagegen nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Die Ansicht der Revision, ein ruhendes Arbeitsverhältnis stehe einem Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer Arbeitspflicht an „null Tagen“ in der Woche gleich, sodass nach der bei Teilzeitbeschäftigungen üblichen Umrechnungsformel der Urlaubsanspruch „null Tage“ betrage, sei unzutreffend7.

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Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau A. Bitte um Umsteuerung Das Urlaubsrecht ist durch die Rechtsprechung des EuGH in heftige Bewegung, ja geradezu ins Schlingern geraten.1 Dabei geht es vor allem um die Frage, ob das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, also der Wegfall der beiderseitigen Hauptpflichten,2 zu einem entsprechenden Wegfall des

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Urlaubsanspruchs führt. BAG und EuGH waren und sind sich darin einig, dass das Ruhen des Arbeitsverhältnisses infolge Krankheit nicht zu einer Minderung des Urlaubsanspruchs führt.3 Das wurde vom BAG durch eine strikte Rechtsprechung zum Verfall des Urlaubsanspruchs bei längerer Krankheit konterkariert, vom EuGH in der berühmten Schultz-Hoff Entscheidung korrigiert.4 Später stellte der EuGH klar, dass sich das nicht auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Kurzarbeit bezieht.5

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Fehlsteuerung im Urlaubsrecht BAG, Urt. v. 06.05.2014 - 9 AZR 678/12 - BAGE 148,115

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Fundierte und kritische Darstellungen von Höpfner, NZA 2013, 16, 65; Plüm, NZA 2013, 11. Der Begriff des ruhenden Arbeitsverhältnisses wird verschieden verstanden. Hier wird er für alle Fälle gebraucht, in denen Arbeits- und Entgeltpflicht zeitweise oder auf Dauer entfallen. So schon BAG, Urt. v. 28.01.1982 - 6 AZR 571/79; EuGH, Urt. v. 20.01.2009 - C-350/06. EuGH, Urt. v. 20.01.2009 - C-350/06. EuGH, Urt. v. 08.11.2012 - C-229/11 und C-230/11 (Heimann und Toltschin). U.a. Bartz, EWiR 2014, 661; Bauer, Arbeitsrecht Aktuell 2014, 283; Besgen, FA 2015, 5; Fieberg, Anmerkung AP Nr. 24 § 1 BUrlG; Korinth, ZTR 2014, 691; Scharff, AuA 2015, 412; vorher schon Düwell, DB 2012, 1749; Fieberg, NZA 2009, 929; Powietzka/Christ, NJW 2010, 3397; Wicht, BB 2012, 1349. Das LArbG Düsseldorf, Urt. v. 05.05.2010 7 Sa 1571/09 Rn. 87, bezeichnet die Unabhängigkeit des Urlaubs von Arbeit und Entgelt als nicht haltbares Ergebnis; Joussen, RdA 2015, 306, 318, bescheinigt der Entscheidung Konsequenz. Dies trifft sicherlich zu, doch ist Konsequenz auf dem falschen Wege nicht hilfreich. BAG, Urt. v. 06.05.2014 - 9 AZR 678/12 Rn. 14, dazu Hinweis auf BAG, Urt. v. 07.08.2012 - 9 AZR 353/10 Rn. 17; Höpfner, Anm. AP BUrlG § 7 Nr. 61, zu I2b.

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Der Arbeitnehmer sei in einem solchen Fall nicht mit einer Wochenarbeitszeit beschäftigt, die kürzer sei als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. Im ruhenden Arbeitsverhältnis werde der Arbeitnehmer gar nicht beschäftigt. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht setze begrifflich voraus, dass die Arbeitspflicht „an sich“ fortbesteht. Sie müsse vom Arbeitnehmer allerdings wegen der Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht erfüllt werden. Würde eine Sonderurlaubsabrede als Vereinbarung einer Arbeitszeit „Null“ verstanden, würde die Arbeitspflicht aufgehoben. Das sei etwas anderes als die Freistellung von einer grundsätzlich weiter bestehenden vertraglichen Arbeitspflicht.8 Diese rein begriffliche Argumentation wird durch eine interessenbezogene ergänzt (Rn. 15). Dass das Ruhen des Arbeitsverhältnisses auf Grund eines Antrags der Arbeitnehmerin vereinbart wurde, gebiete keine andere Beurteilung, da das Urlaubsrecht gem. § 13 BUrlG der Disposition der Arbeitsvertragsparteien entzogen sei. Angesichts der im Arbeitsverhältnis typischerweise bestehenden strukturellen Ungleichgewichtslage bestünde ansonsten die Gefahr, dass der Arbeitnehmer letztlich „unfreiwillig“ auf seine Urlaubsansprüche verzichten könnte.9 Mit dieser Begründung könnte und müsste man die Arbeitsvertragsfreiheit ganz abschaffen. Das dürfte zu weit gehen. C. Was in der Entscheidung fehlt Das Manko dieser Entscheidung liegt darin, dass sie auf die Arbeitspflicht und nicht auf das Arbeitsentgelt abstellt. Es ist zwar richtig, dass das BUrlG ebenso wie das europäische Recht für den vergüteten Erholungsurlaub keine Arbeitsleistung voraussetzt. Das BUrlG knüpft aber an das im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geschuldete Entgelt an. Dabei regelt § 11 nur die Berechnung des Geldfaktors. Der Zeitfaktor wird dagegen nicht nach Daten aus der Vergangenheit festgestellt, sondern nach der für die Befreiung von der Arbeitspflicht ausgefallenen Arbeitszeit. Der Arbeitgeber hat die ausgefallene Arbeitszeit zu bezahlen, die der Arbeitnehmer im Urlaub gearbeitet hätte, wäre er an diesen Tagen nicht von seiner Arbeitspflicht befreit worden. Insoweit wird auch im Urlaubsrecht auf das Lohnausfallprinzip zurückgegriffen.10 Das steht zwar nicht im Gesetz, doch ist es selbstverständlich, dass ein Teilzeitbeschäftigter nicht so viel Urlaubsentgelt zu beanspruchen hat wie ein Vollzeitbeschäftigter. Das wird vom BAG nicht bezweifelt, doch wird angenommen, dass das Entgelt wieder auf Vollzeit springt, wenn die Beschäftigung auf Null geht. Dem steht aber ein Argument a minore ad maius entgegen.11 Wenn das Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge schon für einen weniger wichtigen Fall vorgesehen hat, muss sie erst recht für einen gewichtigeren Fall gelten. Wenn schon die Verminderung

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der Arbeitszeit auf Teilzeit zu einer entsprechenden Verminderung von Arbeits- und Urlaubsentgelt führt, muss dies erst recht für den völligen Wegfall der Arbeits- und Entgeltpflicht gelten. Der EuGH hat den Pro-Rata-Temporis-Grundsatz des § 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 EG auf den Jahresurlaub für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung angewandt, da für diese Zeit die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei.12 Und in seiner Entscheidung zur Kurzarbeit13 hat er diese wie Teilzeit behandelt. Dass der Urlaubsanspruch von einem Arbeits- und möglicherweise Entgeltausfall wegen Krankheit nicht berührt wird, ist kein Gegenargument, da es eine auf Fürsorgegesichtspunkten beruhende Ausnahme vom Lohnausfallprinzip ist. D. Die Tragweite der Entscheidung Die Entscheidung des BAG zum vereinbarten Sonderurlaub ist nicht nur für diesen Fall, sondern auch für andere Fälle ruhender Arbeitsverhältnisse bedeutsam. Einige Fälle sind allerdings gesetzlich bereits nach dem Pro-Rata-Temporis-Grundsatz geregelt, § 17 BEEG14, § 4 Abs. 4 PflegeZG, § 4 ArbPlSchG, während § 17 MuSchG Ausfallzeiten wegen mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote den Beschäftigungszeiten urlaubsrechtlich gleichstellt. Eine gesetzliche Regelung fehlt u.a. für die Altersteilzeit im Blockmodell, aus einem Wertguthaben (§§ 7b ff. SGB IV) finanzierte Auszeiten und das befristete Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach Bewilligung einer befristeten Erwerbsminderungsrente. Es könnte sein, dass das BAG in den

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Ebenso schon BAG, Urt. v. 07.08.2012 - 9 AZR 353/10 Rn. 17. Dazu Hinweis auf die Einwilligung zur Datenverarbeitung, eine recht entfernte Parallele. Gallner in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 11 BUrlG Rn. 3; Schinz in: HWK, Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2014, § 11 BUrlG Rn. 28 ff. Vgl. nur Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 6. Aufl. 2015, S. 90. EuGH, Urt. v. 22.04.2010 - C-486/08 Rn. 33 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirol); EuGH, Urt. v. 08.11.2012 - C-229/11 und C-230/11 Rn. 34; EuGH, Urt. v. 13.06.2013 - C-415/12 (Bianca Brandes). Dazu eingehend Schinz in: HWK, 6. Aufl. 2014, § 3 BUrlG Rn. 33 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2012 - C-229/11 und C-230/11 (Heimann und Toltschin). Kamanabrou, RdA 2014, 321, bezweifelt die Vereinbarkeit der Vorschrift mit den EG-Richtlinien 2003/88 zur Arbeitszeit und 2010/18 zur Elternzeit; anders Schubert, NZA 2013, 1104, 1107. BAG, Urt. v. 19.05.2015 - 9 AZR 725/13, will die Vorschrift auf den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht anwenden. Dieser wird dadurch stärker als der Urlaubsanspruch selbst!

JM 1 ersten beiden Fällen zu einer Gleichstellung von Teilzeit und Arbeitszeit „Null“ kommt, weil die Altersteilzeit, auch wenn sie im Blockmodell stattfindet, schon begrifflich eine Teilzeit ist und § 7c SGB IV vollständige und teilweise Freistellungen von der Arbeitsleistung auf Grund eines Wertguthabens ausdrücklich gleichstellt. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Bezuges einer befristeten Erwerbsminderungsrente führt dagegen nach Auffassung des BAG nicht zum Wegfall des Urlaubsanspruchs.15 Von dem hier vertretenen Standpunkt aus ist es selbstverständlich, dass der vollständige Wegfall von Arbeits- und Entgeltpflicht auf Grund von Altersteilzeit oder anderen Wertguthaben zu einem entsprechenden Wegfall des Urlaubsanspruchs führt.16 Dass hier ein aus Wertguthaben finanziertes Entgelt fortgezahlt wird, ist unerheblich, da es nicht Entgelt für die ausgefallene Arbeitsleistung, sondern gespartes Entgelt für eine frühere Arbeitsleistung ist. E. Wechsel vom aktiven zum ruhenden Arbeitsverhältnis im Urlaubsjahr Abgrenzungsprobleme ergeben sich, wenn der Übergang vom aktiven zum ruhenden Arbeitsverhältnis nicht zu Beginn eines Urlaubsjahres erfolgt und in ihm verbleibt, sondern beide auf dasselbe Urlaubsjahr entfallen. Dazu liegen neben einzelnen gesetzlichen Bestimmungen mehrere Entscheidungen des EuGH und eine Entscheidung des BAG vor. Danach ist es unzulässig, bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs so anzupassen, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann.17 Dem Tatbestand und den Gründen dieser Entscheidungen ist nicht zu entnehmen, wann und in welchem Umfang der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollbeschäftigung einen Anspruch auf bezahlte Arbeitszeit erworben hat. Grundsätzlich entsteht der Urlaubsanspruch mit dem Beginn des Urlaubsjahres, mit dem dann maßgeblichen Arbeitsentgelt. Stellte man darauf ab, wäre freilich der anschließende Übergang zu einer Teilzeitbeschäftigung unerheblich, selbst wenn er etwa schon im Februar erfolgt. Im umgekehrten Fall des Überganges vom ruhenden Arbeitsverhältnis bzw. Teilzeitbeschäftigung zu Vollzeitbeschäftigung wäre die Rechtslage anders.18 Das ist am deutlichsten, wenn man der Vollzeitbeschäftigung eine Reduktion bzw. den Wegfall der täglichen Arbeitszeit

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gegenüberstellt. Der Sonderfall einer Verminderung der Beschäftigung durch Verminderung der Arbeitstage kann hier außer Acht bleiben, da er für den Grenzfall des ruhenden Arbeitsverhältnisses ohnehin unerheblich ist. Schon dies zeigt, dass nicht einfach auf den Beschäftigungsumfang zu Jahresbeginn abgestellt werden kann. Als Alternative bietet sich das vom EuGH herausgestellte ProRata-Temporis-Prinzip an. Das würde bedeuten, dass sich der zeitliche und finanzielle Umfang des Urlaubsanspruchs nach den aktiven Beschäftigungsmonaten richteten.19 Dafür spricht auch, dass BEEG, PflegeZG und ArbPlSchG das Pro-Rata-Prinzip zugrunde legen. Das BAG meint allerdings, dass sich diesen Bestimmungen kein allgemeiner Grundsatz entnehmen lasse.20 Doch handelt es sich jedenfalls um die gesetzliche Bestätigung des für Teilzeit und Ruhen des Arbeitsverhältnisses allgemein geltenden ProRata-Prinzips. Ein bereits genommener Urlaub wird nicht davon berührt, dass die vertragliche Arbeitszeit später vermindert oder ausgesetzt wird. Das ergibt sich aus dem in § 5 Abs. 3 BUrlG enthaltenen Rechtsgedanken.

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BAG, Urt. v. 07.08.2012 - 9 AZR 353/10 Rn. 14; die Begründung stellt teils allgemein darauf ab, dass der Wegfall der Arbeitspflicht den Urlaubsanspruch nicht berühre, teils darauf, dass der Arbeitnehmer während des Bezuges der Erwerbsminderungsrente gesundheitlich nicht in der Lage sei, Urlaub zu nehmen. Anders LArbG Düsseldorf, Urt. v. 05.05.2010 – 7 Sa 1571/09 Rn. 89, da das Sozialversicherungsrecht während des Rentenbezuges die finanzielle Fürsorge übernehme. Für eine hinreichende Versorgung durch die Erwerbsminderungsrente unter Ausschluss von zusätzlicher Urlaubsabgeltung oder Sozialplanleistung auch LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.06.2015 - L 9 R 5132/14, und BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 25.03.2015 - 1 BvR 2803/11. Vgl. Hanau/Veit/Hoff, Recht und Praxis der Arbeitszeitkonten, 2. Aufl. 2015, S. 51. EuGH, Urt. v. 22.04.2010 - C-486/08 und EuGH, Urt. v. 13.06.2013 C-415/12; BAG, Urt. v. 10.02.2015 - 9 AZR 53/14; ebenso jetzt EuGH, Urt. v. 11.11.2015 - C-219/14, zum Wechsel von Teil- zu Vollzeit. Zweifelnd Dassau, ZTR, 2013, 476; Joussen, RdA 2015, 603, 620. Ebenso LArbG Hessen, Urt. v. 11.06.2013 - 8 SaGa 224/13 für die Altersteilzeit, LArbG Köln, Urt. v. 29.04.2010 - 6 Sa 103/10 für die Zeit des Bezuges einer Rente wegen voller Erwerbsminderung; in diese Richtung auch Bayreuther, DB 2012, 2748; Schubert, NZA 2013, 1104, 1109. Dass für Urlaub und Urlaubsabgeltung nicht allein der Erholungszweck, sondern auch der bereits erarbeitete Urlaubsentgeltanspruch maßgeblich ist, zeigt auch das EuGH-Urteil v. 12.06.2014 - C-118/13 (Bollacke), nach dem der Abfindungsanspruch vererblich ist. BAG, Urt. v. 06.05.2014 - 9 AZR 678/12 Rn. 19.

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F. Urlaubsdauer bei Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses Die Rechtsprechung des BAG führt die Arbeitgeber in die Versuchung, anstelle eines Sonderurlaubes eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses mit Wiedereinstellungsanspruch zu bewilligen. Nach Auffassung des BAG entsteht jedenfalls in den Fällen, in denen aufgrund vereinbarter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereits vor Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses feststeht, dass es nur für eine kurze Zeit unterbrochen wird, ein Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet.21

geben. Dies könnte dem BAG noch einmal Gelegenheit geben, seine Rechtsprechung zu überdenken. Der EuGH bezeichnet den Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union, der nicht restriktiv ausgelegt werden darf.22 Trotzdem hat er das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Kurzarbeit als Grund für die Einschränkung des Urlaubsanspruchs anerkannt.23 Das ist ausgewogen und könnte doch auch für das BAG eine Leitlinie sein.

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Die damit verbundene Unsicherheit (Was ist hier eine kurze Zeit? Was ist bei längerer Unterbrechung?) könnte Arbeitgeber dazu veranlassen, dieser Versuchung nicht nachzu-

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BAG Pressemitteilung, 20.10.2015, 9 AZR 224/14. Ständige Rechtsprechung, z.B. EuGH, Urt. v. 22.04.2010 - C-486/08 Rn. 28. Vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2012 - C-229/11 und C-230/11 (Heimann und Toltschin).

Sozialrecht

Aufhebungsverträge und Sperrzeit Stv. Dir. ArbG Cornelius Kroeschell A. Einleitung Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben häufig das Bedürfnis nach einer einvernehmlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitgeber können dadurch vorzeitig Rechtssicherheit erlangen und ein lang andauerndes Kündigungsschutzverfahren vermeiden. Arbeitnehmer können beispielsweise erreichen, dass ihr Arbeitsverhältnis trotz einer schwerwiegenden Vertragspflichtverletzung nicht fristlos, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt beendet wird. Zudem kann es ihnen um das Heraushandeln einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsverhältnisses gehen. Die Arbeitsvertragsparteien können sich insofern schlicht und einfach auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt verständigen. In diesem Fall spricht man von einem Aufhebungsvertrag. Alternativ hierzu können sie vereinbaren, dass eine zuvor ausgesprochene Kündigung oder ein sonstiger streitiger Beendigungstatbestand (beispielsweise eine Befristung) als wirksam angesehen wird. Derartige Vereinbarungen werden Abwicklungsvertrag genannt. Der Arbeitnehmer verzichtet damit auf eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung. Die Zulässig-

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keit eines Verzichtes auf eine Kündigungsschutzklage gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB1 und die Möglichkeit der Anfechtung von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen gem. § 123 BGB2 richten sich nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen und sind nicht Gegenstand dieser Abhandlung. Der Aufsatz beschäftigt sich ausschließlich mit der sozialversicherungsrechtlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen es bei derartigen Vereinbarungen zu einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III und somit zu einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kommen kann. B. Voraussetzungen der Sperrzeit Nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der Arbeitslose ohne wichtigen Grund das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch

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Vgl. etwa: BAG, Urt. v. 06.09.2007 - 2 AZR 722/06. Vgl. etwa: BAG, Urt. v. 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06; BAG, Urt. v. 11.07.2012 - 2 AZR 42/11.

JM 1 ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Die Sperrzeitregelung beruht auf dem Grundgedanken, dass sich die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat.3 Ein derartiges Vertretenmüssen liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer für die Aufgabe seines Beschäftigungsverhältnisses und die dadurch verursachte Arbeitslosigkeit kein wichtiger Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III zur Seite stand. Im Gegensatz hierzu löst eine aus der Sicht der Versichertengemeinschaft nachvollziehbare (freiwillige) Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses keine Sperrzeit aus. Der Begriff des wichtigen Grundes wird im Gesetz nicht definiert und muss aus dem Zweck der Sperrzeitregelung hergeleitet werden. Danach soll die Gemeinschaft der Beitragszahler davor geschützt werden, dass die Anspruchsberechtigten das Risiko ihrer Arbeitslosigkeit manipulieren. Andererseits gibt es Lebenssachverhalte, die eine Aufgabe der Arbeit als gerechtfertigt erscheinen lassen. Ein wichtiger Grund liegt daher immer dann vor, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden konnte.4 Hiervon ausgehend erfordert die Sperrzeit eine zweistufige Prüfung. In der ersten Stufe muss – vereinfacht ausgedrückt – geprüft werden, ob der Arbeitnehmer die Beschäftigungs- bzw. Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Hierfür muss die „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ in die Sphäre des Arbeitnehmers und nicht in die des Arbeitgebers fallen. Sodann muss – in einem zweiten Schritt – geklärt werden, ob das Verhalten des Arbeitnehmers bzw. die dadurch verursachte Arbeitslosigkeit ausnahmsweise durch das Vorliegen eines wichtigen Grundes gerechtfertigt ist. Dabei kann danach differenziert werden, ob das Beschäftigungsverhältnis durch (I.) eine Eigenkündigung bzw. einen Aufhebungsvertrag, (II.) durch eine Arbeitgeberkündigung oder (III.) durch einen Abwicklungsvertrag beendet worden ist.

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mindest grob fahrlässig herbei. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Arbeitslosigkeit auch unabhängig vom Abschluss des Aufhebungsvertrages auf Grund einer ansonsten ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung eingetreten wäre. Denn für die Beurteilung der Frage, ob eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum Eintritt der Arbeitslosigkeit geführt hat, kommt es allein auf den tatsächlichen Geschehensablauf an. Keine Beachtung findet demgegenüber ein hypothetischer Geschehensablauf, zu dem auch eine etwaige zuvor angedrohte betriebsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber gehört.5 Für die „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ genügt es, dass der Arbeitnehmer durch seine Zustimmung zu dem Aufhebungsvertrag (oder durch den Ausspruch einer Eigenkündigung) eine wesentliche Ursache für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzt hat. Ebenso wenig kommt es an dieser Stelle darauf an, ob die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber ausgegangen ist.6 Bei Eigenkündigungen und Aufhebungsverträgen hängt die Sperrzeit daher ausschließlich davon ab, ob das Verhalten des Arbeitnehmers (ausnahmsweise) durch einen wichtigen Grund i.S.v. § 157 Abs. 1 Satz 1 SGB III gerechtfertigt war. Ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer Eigenkündigung bzw. den Abschluss eines Aufhebungsvertrages liegt in der Regel aber nur dann vor, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses auf Grund besonderer Umstände ausnahmsweise nicht mehr zugemutet werden konnte. Die besonderen Umstände können im persönlichen Bereich – beispielsweise einem durch Umzug eingetretenen unzumutbar weiten Arbeitsweg7 oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung8 – oder im betrieblichen Bereich – beispielsweise einem unverschuldeten Arbeitsplatzkonflikt9 oder dem Eintritt eines erheblichen Lohnrückstandes – liegen. Bei etwaigen Missständen im Arbeitsverhältnis muss der Arbeitslose zuvor allerdings versucht haben, diese anderweitig zu beseitigen.10 Die besonderen Umstände müssen bei Abwägung sämtlicher Umstände ein derartiges Gewicht haben, dass eine (freiwillige) Aufgabe des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer auch aus der Sicht eines Außenstehenden – der Versichertengemeinschaft – nachvollziehbar erscheint.

I. Aufhebungsvereinbarungen und Eigenkündigungen Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge stellen (eigentlich) immer eine sperrzeitbegründende „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dar. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer keine konkreten Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat, löst er durch den Ausspruch einer Eigenkündigung oder die Unterschrift eines Aufhebungsvertrages sein Beschäftigungsverhältnis und führt seine Arbeitslosigkeit zu-

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BSG, Urt. v. 06.05.2009 - B 11 AL 10/08 R. BSG, Urt. v. 18.02.1987 - 7 RAr 72/85; BSG, Urt. v. 29.11.1989 - 7 RAr 86/88; BSG, Urt. v. 21.10.2003 - B 7 AL 92/02 R. BSG, Urt. v. 12.07.2006 - B 11a AL 47/05 R. BSG, Urt. v. 29.11.1989 - 7 RAr 86/88. BSG, Urt. v. 29.11.1988 - 11/7 RAr 91/87. BSG, Urt. v. 21.10.2003 - B 7 AL 92/02 R. BSG, Urt. v. 21.10.2003 - B 7 AL 92/02 R. BSG, Urt. v. 06.02.2003 - B 7 AL 72/01 R.

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Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein wichtiger Grund für die freiwillige Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ferner angenommen werden, wenn der Abschluss des Aufhebungsvertrages lediglich der Vermeidung einer ansonsten drohenden (rechtmäßigen) Arbeitgeberkündigung gedient hat.11 Im Interesse der Versichertengemeinschaft hat die Rechtsprechung in diesen Fällen bisher allerdings verlangt, dass der Arbeitnehmer zunächst abwartet, ob die Kündigung tatsächlich ausgesprochen wird oder nicht.12 Bei einer lediglich in Aussicht gestellten Kündigung musste der Abschluss eines Aufhebungsvertrages durch das Hinzutreten von weiteren Umständen gerechtfertigt erscheinen. Zudem hat das BSG bisher verlangt, dass die vom Arbeitgeber angedrohte Kündigung – den Aufhebungsvertrag hinweggedacht – tatsächlich wirksam gewesen wäre.13 Bei der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag konnte sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund nur dann berufen, wenn ihm eine objektiv rechtmäßige Kündigung gedroht hat und ihm die Hinnahme (das Abwarten) dieser Kündigung aufgrund besonderer Umstände nicht zugemutet werden konnte.14 Für Aufhebungsverträge, die seit dem Inkrafttreten von § 1a KSchG – dem 01.01.2004 – abgeschlossen worden sind, hat das BSG seine Rechtsprechung zu Gunsten der Arbeitnehmer geändert. Seitdem ist es nicht mehr erforderlich, dass die ohne den Aufhebungsvertrag drohende Arbeitgeberkündigung tatsächlich wirksam gewesen wäre. Hierfür muss die dem Arbeitnehmer im Gegenzug angebotenen Abfindung allerdings innerhalb des Rahmens von § 1a KSchG liegen. Wenn das der Fall ist, ist ein zwecks Vermeidung einer andernfalls drohenden Arbeitgeberkündigung abgeschlossener Aufhebungsvertrag regelmäßig durch einen wichtigen Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III gerechtfertigt.15 Die Bundesagentur darf dem Arbeitnehmer dann nicht mehr entgegengehalten, dass die dem Arbeitnehmer in Aussicht gestellte Kündigung unwirksam gewesen wäre bzw. dass die Arbeitslosigkeit kausal nur auf den Aufhebungsvertrag zurückgeführt werden könne. Die Änderung der Rechtsprechung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck von § 1a KSchG und der darin zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Wertung. Nach dieser Vorschrift hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf betriebliche Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt, der Arbeitgeber in der schriftlichen Kündigungserklärung darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer beim Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann und der Arbeitnehmer die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG

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tatsächlich hat verstreichen lassen.16 Dies führt – arbeitsrechtlich – dazu, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung seinen Arbeitsplatz nach festen Sätzen „abkaufen“ kann und die Kündigung des Arbeitgebers nicht mehr auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen ist.17 Der Gesetzgeber wollte den Arbeitsvertragsparteien im Fall einer betriebsbedingten Kündigung eine einfache, effiziente und kostengünstige vorgerichtliche Klärung der Voraussetzungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anbieten. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 1a KSchG unmittelbar nur das Kündigungsrecht geändert. Die Änderung des Arbeitsrechtes hat aber zugleich Auswirkungen auf das Arbeitsförderungsrecht. Dementsprechend braucht – so das BSG – für die Annahme eines wichtigen Grundes i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III in derartigen Fällen nicht mehr geprüft zu werden, ob die (angedrohte) Arbeitgeberkündigung tatsächlich rechtmäßig gewesen wäre.18 Gegen die entsprechende Anwendung des § 1a KSchG im Arbeitsförderungsrecht kann – so das BSG – auch nicht eingewandt werden, dass der Gesetzgeber nur die sich bei einer Kündigung (absolut) passiv verhaltenden Arbeitnehmer privilegieren wollte. Denn dieser Einwand trägt dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und einer sachgerechten Abwägung der Interessen der Versichertengemeinschaft einerseits und der Interessen des Versicherten andererseits nicht hinreichend Rechnung.19 Befindet sich die Abfindung unterhalb des Regelsatzes, können Aufhebungsund Abwicklungsverträge, die zwecks Vermeidung einer drohenden Arbeitgeberkündigung abgeschlossen werden, mithin nur noch im Ausnahmefall, beispielsweise bei der Hinnahme einer offensichtlich unwirksamen Kündigung20, eine Sperrzeit begründen. Die Änderung der Rechtsprechung ist zu begrüßen, da dem Arbeitnehmer andernfalls zugemutet werden müsste, dass er sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage wehrt.

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BSG, Urt. v. 17.11.2005 - B 11a/11 AL 69/04 R; BSG, Urt. v. 12.07.2006 - B 11a AL 47/05 R. BSG, Urt. v. 02.09.2004 - B 7 AL 18/04 R. BSG, Urt. v. 02.09.2004 - B 7 AL 18/04 R; BSG, Urt. v. 12.07.2006 B 11a AL 47/05 R. BSG, Urt. v. 17.11.2005 - B 11a/11 AL 69/04 R. BSG, Urt. v. 12.07.2006 - B 11a AL 47/05 R (angekündigt); BSG, Urt. v. 08.07.2009 - B 11 AL 17/08 R (offen gelassen); BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R (abschließend entschieden). BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 971/06. BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R. BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R. BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R. BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R.

JM 1 Die Arbeitnehmer müssten damit aber auch die Gefahr einer gerichtlichen Niederlage und das damit verbundene Kostenrisiko eingehen. Zudem wurde vom BSG schon früher anerkannt, dass bei einem ungewissen Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens allein aus der Vereinbarung einer Abfindung noch nicht der Verdacht hergeleitet werden kann, dass der Arbeitnehmer sich in einer von der Versichertengemeinschaft nicht mehr zu tolerierenden Weise habe „freikaufen lassen“.21 II. Arbeitgeberkündigungen Auch eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung kann zu einer Sperrzeit führen. Nach dem klaren Wortlaut von § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II gilt das aber nur für Kündigungen, die aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen worden sind, da die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nur dann durch ein „arbeitsvertragswidriges Verhalten“ herbeigeführt worden sein kann. Bei betriebs- oder personenbedingten Kündigung kann eine Sperrzeit deshalb allenfalls darauf gestützt werden, dass sich der Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt mit der Kündigung, beispielsweise durch den Abschluss eines Abwicklungsvertrages, einverstanden erklärt hat, worauf noch gesondert eingegangen wird. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Verletzung einer Hauptpflicht, sondern auch die einer vertraglichen Nebenpflicht zu einer Sperrzeit führen kann. So hat das BSG beispielsweise entschieden, dass die private Trunkenheitsfahrt eines Berufskraftfahrers eine vertragliche Nebenpflichtverletzung darstellen und somit zur Begründung einer Sperrzeit herangezogen werden kann.22 Dies gilt auch, wenn man die Kündigung des Berufskraftfahrers nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ebenso gut mit dem Verlust der Fahrerlaubnis und somit mit personenbedingten Gründen rechtfertigen könnte. Im Sozialrecht können personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe mithin ineinander übergehen.23 Bei einem vertragswidrigen Verhalten setzt die Sperrzeit ergänzend voraus, dass das Verhalten des Arbeitnehmers für die Kündigung und diese wiederum für die Arbeitslosigkeit kausal gewesen ist (Kausalität). An der Kausalität kann es insbesondere fehlen, wenn die Kündigung vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren nicht nur mit verhaltensbedingten, sondern auch mit betriebs- oder personenbedingten Gründen begründet worden ist. Wenn der Arbeitgeber die Kündigung im Kündigungsschutzprozess auf mehrere Kündigungsgründe gestützt hat – was in der arbeitsrechtlichen Praxis durchaus häufig vorkommt – muss geprüft werden, welcher dieser Gründe für den tatsächlichen Ausspruch der Kündigung wesentlich und somit kausal gewesen ist.24

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Im Gegensatz hierzu hat die bloße Umbenennung des Kündigungsgrundes keinen Einfluss darauf, ob das Ende des Beschäftigungsverhältnisses durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten herbeigeführt worden ist oder nicht. Für die Sperrzeit ist es daher auch unerheblich, wenn in dem Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht ein Vergleich des Inhalts geschlossen wird, dass das Arbeitsverhältnis aus „betrieblichen Gründen“ beendet worden ist,25 was in der Praxis häufig geschieht. Das Gleiche gilt, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen eines Vergleiches im Kündigungsschutzverfahren darauf verständigen, dass die gegenüber dem Arbeitnehmer zunächst erhobenen Vorwürfe „nicht länger aufrechterhalten bleiben“. Die Bundesagentur und die Sozialgerichte sind an derartige arbeitsgerichtliche Vergleiche nicht gebunden.26 Mangels Bindungswirkung der arbeitsgerichtlichen Entscheidungen und Vergleiche müssen die Sozialgerichte vielmehr eigenständig prüfen, ob der Arbeitnehmer durch ein vertragswidriges Verhalten Anlass für die Kündigung und somit für die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit gegeben hat oder nicht.27 Da die Sperrzeitfolge – wie bereits ausgeführt – an eine schuldhafte Verursachung der Arbeitslosigkeit geknüpft ist, muss der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit auf eine bestimmte Weise herbeigeführt haben, nämlich durch Lösung des Arbeitsverhältnisses (1. Variante) oder dadurch, dass er durch ein vertragswidriges Verhalten Anlass für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben hat (2. Variante). Die Sperrzeit tritt selbst dann nur ein, wenn die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig geschehen ist.28 Dementsprechend reicht es auch nicht aus, dass die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung auf ein irgendwie vertragswidriges Verhalten zurückgeführt werden kann. Das vertragswidrige Verhalten muss vielmehr so schwerwiegend gewesen sein, dass es, gegebenenfalls im Zusammenhang mit anderen Umständen, geeignet ist, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Hierfür muss von Sozialgerichten eigenständig geprüft werden, ob die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen tatsächlich wirksam gewesen wäre.29

21 22 23 24 25 26 27 28 29

BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 11a AL 51/06 R. BSG, Urt. v. 06.03.2003 - B 11 AL 69/02 R. BSG, Urt. v. 15.12.2005 - B 7a AL 46/05 R. BSG, Urt. v. 28.06.1991 - 11 RAr 81/90. BSG, Urt. v. 03.06,2004 - B 11 AL 70/03 R. BSG, Urt. v. 03.06.2004 - B 11 AL 70/03 R. BSG, Beschl. v. 27.04.2011 - B 11 AL 11/11 B. BSG, Urt. v. 25.04.1990 - 7 RAr 106/89. BSG, Urt. v. 25.04.1990 - 7 RAr 106/89; BSG, Urt. v. 06.03.2003 - B 11 AL 69/02 R.

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Eine Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung nach arbeitsrechtlicher Grundsätze durch die Sozialgerichte ist vor allem erforderlich, wenn der Arbeitnehmer eine aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochene (fristlose) Kündigung einfach hingenommen und auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet hat. Die bloße Hinnahme einer rechtswidrigen Arbeitgeberkündigung begründet für sich gesehen nämlich noch keine Sperrzeit. Selbst bei einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, sich im Interesse der Versichertengemeinschaft gegen die Kündigung durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu wehren. Die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe knüpft vielmehr immer an ein aktives Verhalten des Arbeitnehmers an.30 Aber auch dann, wenn sich der Arbeitnehmer an das Arbeitsgericht wendet, ist im Regelfall kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, von ihm zu verlangen, den Rechtsstreit unter allen Umständen weiter zu verfolgen. Ist schon das Unterlassen der Klageerhebung, das zur Wirksamkeit der Kündigung und damit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, als sperrzeitunschädlich anzusehen, so muss dies grundsätzlich auch für den Fall gelten, dass der Arbeitnehmer ein gerichtliches Verfahren durch die Rücknahme der Klage oder durch den Abschluss eines Vergleiches wieder beendet.31 Auch hieran lässt sich erkennen, dass die Wirksamkeit einer aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung durch die Sozialgerichte nicht einfach unterstellt, sondern von Amts wegen geprüft werden muss. Sollte sich die Wirksamkeit der aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung in dem sozialgerichtlichen Verfahren auch nach Erschöpfung aller verfügbaren Quellen nicht klären lassen, geht das zu Lasten der Bundesagentur. Hintergrund hierfür ist, dass die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Sperrzeit bei der Bundesagentur liegt. Etwas anderes gilt nur bei einer Verletzung der Mitwirkungspflichten.32 Die Arbeitnehmer sind nach § 159 Abs. 1 Satz 4 SGB III für das Vorliegen eines wichtigen Grund nur dann beweisbelastet, wenn dieser in ihrer Sphäre oder ihrem Verantwortungsbereich liegt (bspw.: gesundheitliche Beeinträchtigungen, Kindererziehung etc.). III. Abwicklungsvertrag Ein sperrzeitauslösendes Verhalten kann ergänzend in dem Abschluss eines Abwicklungsvertrages gesehen werden. Dadurch können nicht nur verhaltensbedingte, sondern auch ausschließlich betriebs- oder personenbedingte Kündigungen zu einer Sperrzeit führen. Die Sperrzeit setzt dann aber immer voraus, dass sich die Arbeitsvertragsparteien zu einem späteren Zeitpunkt durch einen Abwicklungsvertrag auf die Wirksamkeit der Kündigung verständigt haben.

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Dem Arbeitnehmer muss hierfür allerdings zum Vorwurf gemacht werden können, dass er durch den Abschluss des Abwicklungsvertrages einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung der Arbeitslosigkeit geleistet hat. Dass ein Beschäftigungsverhältnis sperrzeitauslösend auch dadurch gelöst werden kann, dass der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Wirksamkeit einer bereits ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung schließt, hat das BSG erstmals 1995 angenommen.33 In einer späteren Entscheidung hat das BSG indes ausgeführt, dass es keinen Grund für die „Rechtsfortbildung im Sinne eines offenen Lösungsbegriffes“ sehe.34 Aus diesem Grund wurde lange Zeit die Auffassung vertreten, dass bei betriebs- oder personenbedingten Kündigungen durch einen Abwicklungsvertrag keine Sperrzeit ausgelöst werden kann. Das BSG ist dem nicht gefolgt. Vielmehr hat es durch eine grundlegende Entscheidung aus dem Jahr 2003 unmissverständlich klargestellt, dass eine „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III auch dann vorliegt, wenn die Arbeitsvertragsparteien nach dem Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses treffen. Auch dann hat der Arbeitnehmer einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit geleistet. Ob der Arbeitnehmer an einem Aufhebungsvertrag mitwirkt oder ob die aktive Beteiligung an der Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit darin liegt, dass er hinsichtlich des Bestandes der Kündigung und deren Folgen eine verbindliche Vereinbarung trifft, kann – so das BSG – keinen Unterschied machen.35 Bei der auf einen Abwicklungsvertrag gestützten Sperrzeit muss – wie bei jedem anderen Sperrzeittatbestand – im zweiten Schritt geprüft werden, ob der Arbeitnehmer für den Abschluss einer solchen Vereinbarung ausnahmsweise einen wichtigen Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III gehabt hat. Ein derartiger wichtiger Grund kann – so das BSG – vor allem angenommen werden, wenn die dem Vertrag zugrunde liegende Arbeitgeberkündigung ohnehin wirksam gewesen wäre.36 Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer fachkundigen Auskunft berechtigterweise von der Wirksamkeit der Kündigung ausgehen durfte. Der Umstand, dass die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Zahlung einer Abfindung 30 31 32 33 34 35 36

BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 11a AL 51/06 R. BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 11a AL 51/06 R. BSG, Urt. v. 02.09.2004 - B 7 AL 18/04 R. BSG, Urt. v. 09.11.1995 - 11 RAr 27/95. BSG, Urt. v. 25.04.2002 - B 11 AL 65/01 R. BSG, Urt. v. 18.12.2003 - B11AL 35/03 R. BSG, Urt. v. 18.12.2003 - B 11 AL 35/03 R; BSG, Urt. v. 12.07.2006 B 11a AL 47/05 R.

JM 1 verknüpft wird, steht der Annahme eines wichtigen Grundes nicht entgegen. Der Erhalt einer Abfindung schließt das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht aus. Vielmehr kann auch das Interesse des Arbeitnehmers schützenswert sein, sich bei einer ohnehin nicht zu vermeidenden Beschäftigungslosigkeit wenigstens eine Abfindung zu sichern.37 Bei einer ohnehin wirksamen Kündigung kann dem Arbeitnehmer nicht vorgeworfen werden, dass er sich für die Abfindung und somit gegen eine weitere Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens entschieden hat. Da die Kündigung wirksam ist, hätte er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schließlich ohnehin nicht verhindern können. Bei den seit dem 01.01.2004 – dem Inkrafttreten von § 1a KSchG – abgeschlossenen Abwicklungsverträgen kann nach der neuesten Rechtsprechung des BSG dahingestellt bleiben, ob die Kündigung des Arbeitgebers – den Abfindungsvergleich weggedacht – tatsächlich wirksam gewesen wäre. Hierfür muss sich die dem Arbeitnehmer im Gegenzug zugesagte Abfindung allerdings innerhalb der Grenzen von § 1a KSchG halten.38 Dem Arbeitnehmer darf dann nicht vorgehalten werden, dass er sich gegen die weitere Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens entschieden hat. Insofern wird auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen.39 Weder bei einem Aufhebungsnoch bei einem Abwicklungsvertrag darf dem Arbeitnehmer zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich gegen die Zahlung einer Abfindung bis zur Höhe des Regelsatzes mit der vom Arbeitgeber gewünschten Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärt hat. Die Arbeitsverwaltung ist der Rechtsprechung des BSG weitestgehend gefolgt. Nach deren Geschäftsanweisung liegt bei Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen ein wichtiger Grund vor, wenn der Arbeitnehmer eine Abfindung von 0,5 Monatsgehältern, mindestens aber von 0,25 Monatsgehältern pro Jahr der Beschäftigung erhält.40 Die Geschäftsanweisung muss dahin gehend verstanden werden, dass der Vorgang bei einer hiervon abweichenden Abfindung näher angeschaut und dahingehend überprüft werden muss, ob ausnahmsweise eine Sperrzeit festgestellt werden kann. Bei Abfindungen zwischen 0,25 bis 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr kann hingegen davon ausgegangen werden, dass die Arbeitslosigkeit auf kein (schwerwiegendes) vertragswidriges Verhalten zurückzuführen ist und dass der Abfindungsvergleich ebenfalls nicht als sperrzeitauslösender Umstand zu bewerten ist. Wenn dem Arbeitnehmer in dem Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag eine Abfindung von mehr als 0,5 Monatsverdiensten pro Jahr der Beschäftigung zugesagt wird, ist es aus der Sicht der Versichertengemeinschaft hingegen nicht hinnehmbar, dass er sich mit einer andernfalls unwirksa-

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men Kündigung einverstanden erklärt hat. Bei einer über dem Regelsatz liegenden Abfindung muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass sich der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit „versilbern“ lassen hat. Dann kann aber auch kein wichtiger Grund für den Abschluss des Auf- oder Abwicklungsvertrags angenommen werden. In diesem Fall ist es auch nicht unangemessen, wenn sich der Arbeitnehmer für einen gewissen Zeitraum – den der Sperrzeit – auf eigene Kosten finanzieren muss. Schließlich hat er für den Verlust des Arbeitsplatzes eine über den üblichen Sätzen liegende Abfindung erhalten. Bei derart hohen Abfindungen darf von einer Sperrzeit deshalb nur dann Abstand genommen werden, wenn das Arbeitsverhältnis wegen der Rechtmäßigkeit der Kündigung ohnehin geendet hätte, was von den Sozialgerichten geprüft werden muss. C. Rechtsfolgen der Sperrzeit Die Sperrzeit führt zu einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Das Arbeitslosengeld wird während des Ruhens nicht zur Auszahlung gebracht (§ 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Zudem hat die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe gem. § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III eine Verminderung (Verkürzung) der Anspruchsdauer zur Folge. Danach mindert sich der Anspruch auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die der oder dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht. Sodann kann die Sperrzeit gem. § 161 SGB III dazu führen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld endgültig erlischt. Voraussetzung hierfür ist, dass sich insgesamt Sperrzeiten von mindestens 21 Wochen angesammelt haben und der Arbeitslose auf die Folgen hingewiesen worden ist. Der Krankenversicherungsschutz bleibt während der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe durchgehend erhalten. Während des ersten Monats der Sperrzeit ist der Arbeitslose gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zwar nicht pflichtversichert. Während dieser Zeit besteht aber der nachgelagerte Versicherungsschutz gem. § 19 Abs. 2 SGB V. Für die restliche Zeit der Sperrzeit ist der Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V wieder pflichtversichert. Damit wird gewährleistet, dass der Arbeitnehmer trotz einer Sperrzeit durchgehend 37 38

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BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 11a AL 51/06 R. BSG, Urt. v. 12.07.2006 - B 11a AL 47/05 R (angekündigt); BSG, Urt. v. 08.07.2009 - B 11 AL 17/08 R (offen gelassen); BSG, Urt. v. 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R (endgültig entschieden). Siehe oben unter B. II. GA 159.103; www.arbeitsagentur.de (Stichwort Geschäftsanweisung Sperrzeit).

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krankenversichert bleibt. Der Anspruch auf Krankengeld ruht während der gesamten Dauer der Sperrzeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). D. Dauer der Sperrzeit Die Dauer der Sperrzeit ergibt sich aus § 159 Abs. 3 Satz 1 SGB III und beträgt in der Regel zwölf Wochen. Wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Wochen nach dem die Sperrzeit auslösenden Ereignis ohnehin geendet hätte oder wenn die Sperrzeit für den Arbeitslosen eine besondere Härte darstellen würde, verkürzt sich die Sperrzeit gem. § 159 Abs. 3 Satz 2 SGB III auf sechs Wochen. Der Beginn der Sperrzeit ist in § 159 Abs. 2 Satz 1 SGB III geregelt. Danach beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das auf die Sperrzeit fällt, oder wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Das sperrzeitbegründende Ereignis liegt in dem Eintritt der Beschäftigungslosigkeit. Die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beginnt daher frühestens mit der durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses herbeigeführten Beschäftigungslosigkeit41 bzw. mit der Freistellung des Arbeitnehmers und somit mit der faktischen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.42 Wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Diebstahlsverdachtes vom Arbeitgeber zunächst nur suspendiert wird, beginnt die Sperrzeit beispielsweise bereits mit der Freistellung zu laufen. Sollte der Arbeitgeber später eine außerordentliche Kündigung aussprechen, wäre die Sperrzeit mithin bereits teilweise abgelaufen. Die Sanktion der Sperrzeit beschränkt sich dann auf die Verminderung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld (§ 148 Nr. 4 SGB III). Der Arbeitnehmer erhält dann beispielsweise nicht mehr für zwölf, sondern nur noch für neun Monate Arbeitslosengeld. Das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während der Sperrzeit würde – bei wirtschaftlicher Betrachtung – dann hingegen zunächst keine Rolle mehr spielen, da der Arbeitnehmer während der Freistellung (Suspendierung) nach den Grundsätzen des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) weiterhin einen Anspruch auf die Zahlung der Arbeitsvergütung hat.43 Während der Zeit des Annahmeverzugs ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld gem. § 157 Abs. 1 SGB III. Das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen der Sperrzeit und wegen des Annahmeverzuges läuft gewissermaßen parallel. Der Zeitraum der Sperre darf durch den parallel verlaufenden Ruhenstatbestand weder verlängert noch verschoben werden. Es findet keine Addition der Ruhenstatbestände statt. Das ergibt sich aus § 158 Abs.1 Satz 5 SGB III, wo eine Verlängerung des Ruhens nur für die dort näher beschriebene Konstellation ausdrücklich angeordnet wird (argumentum e contrario).44

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Wenn sich die Arbeitsvertragsparteien im Kündigungsschutzverfahren auf die Umdeutung einer fristlosen Kündigung verständigen, darf ebenfalls keine Addition der Ruhenstatbestände vorgenommen werden. Vereinbaren die Parteien beispielsweise in einem Vergleich, dass das Arbeitsverhältnis nicht fristlos, sondern lediglich unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wird, hat die Sperrzeit (gleichwohl) bereits mit den Zugang der fristlosen Kündigung bzw. der damit einhergehenden Freistellung zu laufen begonnen. Bei dem Ablauf der (nunmehr) vereinbarten Kündigungsfrist wäre die Sperrzeit mithin teilweise bereits abgelaufen. Bei einer unterstellten Kündigungsfrist von drei Monaten hätte sich die Sperrzeit durch einen solchen Vergleich gewissermaßen erledigt. Der Arbeitnehmer würde in einem solchen Fall trotz einer Sperrzeit durchgehend Geld bekommen, zunächst Geld vom Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs und sodann Arbeitslosengeld von der Bundesagentur. Sollte die Bundesagentur dann gleichwohl zu dem Ergebnis kommen, dass der Arbeitnehmer die Beschäftigungslosigkeit durch ein vertragswidriges Verhalten grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat, könnte sie zwar weiterhin eine Sperrzeit feststellen. Die Sperrzeit hätte aber nur noch eine Verminderung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zur Folge (§ 148 Nr. 4 SGB III).

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BSG, Urt. v. 25.04.2002 - B 11 AL 65/01 R. BSG, Urt. v. 17.11.2005 - B 11a/11 AL69/04 R. BAG, Urt. v. 26.06.2013 - 5 AZR 432/12. BAG, Urt. v. 17.11.2010 - 10 AZR 649/09.

Verwaltungsrecht

Umweltverträglichkeitsprüfung bei nachträglicher Kumulation – Schweinemastanlagen BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 - 4 C 4/14 RiBVerwG Helmut Petz A. Problemstellung Öffentliche und private Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG – UVP-RL1 – einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die Mitglied-

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ABl. Nr. L 175 vom 05.07.1985, S. 40 i.d.F. der Änderungs-RL 97/11/ EG, ABl. Nr. L 73 vom 14.03.1997, S. 5.

JM 1 staaten treffen die hierfür erforderlichen Maßnahmen. Das deutsche Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG2 – dient der Umsetzung dieser Verpflichtung. Es soll nach § 1 UVPG unter anderem sicherstellen, dass die Auswirkungen bestimmter Vorhaben auf die Umwelt im Rahmen einer UVP frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet werden und die Ergebnisse der Prüfung bei behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit der Vorhaben so früh wie möglich berücksichtigt werden. Mit der UVP-Vorprüfung soll aufgrund überschlägiger Prüfung durch die Behörde festgestellt werden, ob bestimmte Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben können. Welche Vorhaben einer UVP oder UVP-Vorprüfung unterzogen werden müssen, ist in der „Liste UVP-pflichtiger Vorhaben“ (Anlage 1 zum UVPG) anhand bestimmter Schwellenwerte geregelt. Problematisch sind sog. kumulierende Vorhaben, die jeweils für sich genommen unter den maßgeblichen Schwellenwerten liegen, die aber zusammen mit Vorhaben derselben Art, mit denen sie in einem engen Zusammenhang stehen, die maßgeblichen Schwellenwerte überschreiten. Dass kumulierende Vorhaben, die gleichzeitig verwirklicht werden sollen, zusammenzurechnen sind, ist in § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG geregelt. Für kumulierende Vorhaben, die zeitlich versetzt verwirklicht werden sollen (sog. nachträgliche Kumulation), fehlt im Gesetz eine Regelung. Im vorliegenden Fall ging es um eine Schweinemastanlage, die neben einer bestehenden Anlage verwirklicht werden soll. Ob beide Anlagen hinsichtlich der Schwellenwerte zusammenzurechnen sind, war Gegenstand der zu besprechenden Entscheidung. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks im Außenbereich. Sie wenden sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beigeladenen zur Errichtung eines im Außenbereich gelegenen Schweinemaststalls mit 1.480 Tierplätzen erteilt worden war. Die Kläger machen gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UmwRG geltend, dass eine erforderliche UVP-Vorprüfung nicht durchgeführt worden sei. Die Entfernung zwischen dem Wohnhaus der Kläger und dem Schweinemaststall beträgt ca. 430 m. Nur unwesentlich weiter, nämlich ca. 490 m vom Wohnhaus der Kläger entfernt, befindet sich die bestehende Hofstelle des Ehemanns der Beigeladenen, der dort ebenfalls Schweinehaltung, insbesondere Ferkelaufzucht, betreibt. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht korrigierte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Klage ab. Die Baugenehmigung sei formell rechtmäßig. Das genehmigte Vorhaben unterliege weder für sich allein noch als Erweiterungs- oder nachträglich kumulierendes Vorhaben einer Pflicht zur UVP-Vorprüfung.

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Die Kläger hätten daher keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG auf Aufhebung der Genehmigung. Die Revision der Kläger war erfolgreich. Das BVerwG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das BVerwG bestätigt zunächst, dass der genehmigte Schweinemaststall für sich allein keiner Pflicht zur UVPVorprüfung unterlag. Gem. § 3c Sätze 1 und 2 UVPG i.V.m. Nr. 7.7.2 und 7.7.3 der Anlage 1 zum UVPG besteht für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastschweinen mit 2.000 bis weniger als 3.000 Plätzen eine Pflicht zur allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls und mit 1.500 bis weniger als 2.000 Plätzen eine Pflicht zur standortbezogenen Vorprüfung. Mit 1.480 Plätzen liegt der hier streitgegenständliche Schweinestall knapp unterhalb dieser Schwellenwerte. Das BVerwG stellt klar, dass gegen diese Regelung unionsrechtlich nichts zu erinnern ist. Art. 4 Abs. 2 UVP-RL erlaubt es, alle Arten von Projekten von der Pflicht zur UVP auszunehmen, bei denen aufgrund einer pauschalen Beurteilung, etwa auf der Grundlage von Schwellenwerten, davon auszugehen ist, dass nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Bei der Festlegung der Schwellenwerte hat der Gesetzgeber einen Einschätzungsspielraum. Das BVerwG sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Freistellung von Schweinemastställen mit weniger als 1.500 Plätzen von der Vorprüfungspflicht seinen Spielraum überschritten hätte, zumal Unionsrecht erst ab 3.000 Plätzen eine UVP zwingend fordert. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Tierplatzzahlen des genehmigten Schweinemaststalls der Beigeladenen nicht mit den Tierplatzzahlen des benachbarten Schweinestalls ihres Ehemanns zusammenzurechnen seien, beanstandet das BVerwG demgegenüber als bundesrechtswidrig. Die Notwendigkeit, beide Vorhaben hinsichtlich der Schwellenwerte als Einheit zu betrachten, ergibt sich vorliegend allerdings nicht unmittelbar aus dem UVPG. Gem. § 3c Satz 5 UVPG gilt für das erstmalige Erreichen oder Überschreiten und jede weitere Überschreitung der Schwellenwerte für die UVP-Vorprüfung § 3b Abs. 2 Sätze 1 und 2 und Abs. 3 UVPG entsprechend. In entsprechender Anwendung des Abs. 2 Satz 1 besteht die Verpflichtung zur Durchführung einer Vorprüfung, wenn mehrere Vorhaben derselben Art, die gleichzeitig von demselben oder mehreren Trägern verwirklicht werden sollen und in einem engen Zusammenhang stehen (kumulierende Vorhaben), zusammen die maßgeblichen Größen- und Leistungswerte erreichen oder überschreiten. Der vorliegende Fall eines nachträgli-

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In der Fassung der Bek. vom 24.02.2010 (BGBl. I 2010, 94).

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chen Hinzutretens eines Vorhabens ist hiervon ausdrücklich („gleichzeitig“) nicht erfasst. Entsprechend Absatz 3 ist für die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden, bisher nicht vorprüfungspflichtigen Vorhabens eine Vorprüfung unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des bestehenden Vorhabens durchzuführen, wenn der maßgebende Größen- oder Leistungswert durch die Änderung oder Erweiterung erstmals erreicht oder überschritten wird. Eine Änderung oder Erweiterung liegt hier aber weder nach Baurecht noch nach Immissionsschutzrecht vor. Denn es wird weder eine bestehende bauliche Anlage geändert noch soll der neu zu errichtende Stall von demselben Betreiber geführt werden, woran § 1 Abs. 1 Satz 2 der 4. BImSchV immissionsschutzrechtlich anknüpft.

betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind. Die hiergegen seitens der Kläger vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken teilt das BVerwG nicht. Auch diese weitere Voraussetzung ist hier erfüllt, weil die beiden Schweineställe räumlich-betrieblich und wirtschaftlich aufeinander bezogen sind. Da das Berufungsurteil keine Feststellungen dazu enthält, in welchem Umfang der Schweinebestand an der Hofstelle des Ehemanns der Beigeladenen bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der UVP-RL erreicht war und deshalb gem. § 3b Abs. 3 Satz 3 UVPG Bestandschutz genießt, war die Sache zur Nachholung der notwendigen Ermittlungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Für den Fall nachträglicher Kumulation geht das BVerwG allerdings von einer Regelungslücke aus, die im Wege einer Gesamtanalogie zu § 3b Abs. 2 und 3 UVPG zu schließen ist. Die Regelungslücke ist planwidrig. Dem Gesetzgeber ging es ausdrücklich darum, mit § 3b UVPG die Vorgaben des Unionsrechts vollständig umzusetzen.3 Und Unionsrecht verlangt nach der Rechtsprechung des EuGH,4 dass der Regelungszweck der UVP-RL nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen wird. Das gilt auch dann, wenn die Teilprojekte zeitlich versetzt verwirklicht werden sollen. Das BVerwG ist sich sicher, dass der Gesetzgeber, hätte er erkannt, dass er dieser Rechtsprechung nicht (vollständig) Rechnung getragen hat, § 3b UVPG um die fehlende Regelung ergänzt hätte. Aus dem in § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG enthaltenen Tatbestandsmerkmal der „Gleichzeitigkeit“ ergibt sich kein Analogieverbot. Dieses erst im Laufe der Gesetzesberatungen hinzugefügte Merkmal hatte nicht zum Ziel, Fälle nachträglicher Kumulation aus dem Geltungsbereich der Norm herauszunehmen. Zweck war vielmehr eine Klarstellung und Abgrenzung zu dem in § 3b Abs. 3 UVPG geregelten Tatbestand der Änderung oder Erweiterung.

Eine nicht durchgeführte UVP5 und eine nicht oder fehlerhaft durchgeführte UVP-Vorprüfung haben für die Erfolgsaussichten von Abwehrklagen gegen planfestgestellte Infrastrukturvorhaben wie Straßen und Eisenbahnen, Wasserstraßen, Flughäfen oder Energieleitungen, aber auch – wie hier – gegen Bau- oder immissionsschutzrechtliche Genehmigungen enorm an Bedeutung gewonnen.6 UVP und UVP-Vorprüfung sind Verfahrensanforderungen. Nach § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines (nicht nichtigen) Verwaltungsakts nicht allein deshalb verlangt werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Mit anderen Worten: wenn der Verfahrensfehler für die Entscheidung nicht kausal war. Kausalität fehlt generell bei gebundenen Entscheidungen. Kausalitätserwägungen spielen nach der Rechtsprechung des BVerwG7 aber auch bei Planungs- oder Ermessensentscheidungen eine beträchtliche Rolle.8 Abweichend von § 46 VwVfG hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 3 UmwRG9 – unions-

Unter Anwendung dieser Maßstäbe gelangt das BVerwG zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Schweinemaststall der Beigeladenen und dem bestehenden Schweinestall ihres Ehemanns um kumulierende Vorhaben handelt, die analog § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG der UVP-Vorprüfungspflicht unterliegen. Die Ställe sind Vorhaben derselben Art, die zusammen den maßgeblichen Schwellenwert von 1.500 überschreiten. Das BVerwG bejaht auch den analog § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG erforderlichen engen Zusammenhang zwischen den beiden Ställen: Dieser setzt nach Sinn und Zweck der Kumulationsregelung voraus, dass damit zu rechnen ist, dass sich deren Umweltauswirkungen überlagern. Das reicht aber noch nicht aus. Nach der Legaldefinition des § 3b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG muss hinzukommen, dass die Vorhaben auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen

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C. Kontext der Entscheidung

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Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 674/00, S. 88; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 14/5204, S. 7. EuGH, Urt. v. 21.09.1999 - C-392/96 Rn. 76; EuGH, Urt. v. 25.07.2008 - C-142/07 Rn. 44. Zu dem – in § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UmwRG nicht geregelten – Fall einer fehlerhaft durchgeführten UVP EuGH, Urt. v. 07.11.2013 C-72/12 - „Altrip“. Siehe aus der Rechtsprechung des 4. Senats etwa BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353. Grundlegend BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 - 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256, 270. Kausalität liegt hiernach nur vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den angenommenen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Vgl. etwa die Nachweise bei Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 46 Rn. 34. Vom 07.12.2006 (BGBl. I 2006, 2816), neu gefasst und bekannt gemacht am 08.04.2013 (BGBl. I 2013, 753).

JM 1 rechtlich motiviert – eine Sonderregelung geschaffen, die die Begründetheitsprüfung verändert.10 Nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UmwRG führt eine nicht durchgeführte UVP oder UVP-Vorprüfung auf Klage eines Umweltverbandes ohne weiteres zur Aufhebung der Zulassungsentscheidung. Die Vorschrift wertet diese Verstöße als „absolute Verfahrensfehler“, auf Kausalitätserwägungen kommt es insoweit nicht an. Sie gilt gem. § 4 Abs. 3 UmwRG auch für Individualkläger nach § 61 Nr. 1 VwGO. Auch sie können die Aufhebung der Entscheidung allein wegen einer nicht durchgeführten UVP oder UVP-Vorprüfung verlangen, und zwar unabhängig davon, ob sie hierdurch in eigenen Rechten verletzt sind. § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 UmwRG ist insoweit auch eine Sondervorschrift zu § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hierauf stützen die Kläger des vorliegenden Verfahrens ihren Aufhebungsanspruch. D. Auswirkungen für die Praxis Eine nicht durchgeführte UVP oder eine nicht oder fehlerhaft durchgeführte UVP-Vorprüfung führt mithin nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 UmwRG – abwehrbereite Umweltverbände oder klagebefugte Nachbarn vorausgesetzt – stets zur Aufhebung oder – bei Planfeststellungsbeschlüssen – zur Nichtvollziehbarkeit11 der Zulassungsentscheidung. Behörde und Vorhabenträger tun deshalb gut daran, bei der Beurteilung der UVP- oder UVP-Vorprüfungspflicht keine Fehler zu machen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass mit der Pflicht zur Durchführung einer UVP, die zur umfassenden Ermittlung und Bewertung sämtlicher umweltbezogener Wirkungen eines Vorhabens (§ 1 UVPG) sowie zur Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 9 UVPG) zwingt, ein erheblicher Zusatzaufwand verbunden sein kann. Es verwundert deshalb nicht, dass Vorhabenträger der Pflicht zur Durchführung einer UVP oder UVP-Vorprüfung durch eine „geschickte“ Aufsplitterung von Vorhaben zu entkommen suchen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nationalrechtlich aber gerade sicherzustellen, dass dies nicht geschieht. Für Vorhaben derselben Art, die in einem engen Zusammenhang stehen und gleichzeitig verwirklicht werden sollen, ist der Bundesgesetzgeber dieser Verpflichtung in § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG nachgekommen. Mit der Entscheidung des BVerwG ist nunmehr klargestellt, dass Vorhabenträger ihre Pflicht zur UVP oder UVP-Vorprüfung auch nicht dadurch umgehen können, dass sie betrieblichräumlich und wirtschaftlich aufeinander bezogene Vorhaben derselben Art zeitlich versetzt verwirklichen.

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BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 - 9 A 30.10. § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG; in allen Fachplanungsgesetzen – soweit ersichtlich – identisch geregelt.

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Steuerrecht

Umsatzsteuer bei Verkäufen über eBay BFH, Urt. v. 12.08.2015 - XI R 43/13 RiBFH Dr. Gerhard Michel A. Problemstellung Die seit Sommer 1999 in Deutschland tätige Internet-Plattform eBay wird nach eigenen Angaben von mehr als 17 Millionen Personen aktiv genutzt. Auf dem eBay-Marktplatz finden sich ca. 70 Millionen Artikel, die von 5,4 Millionen privaten Verkäufern, 175.000 gewerblichen Anbietern und von über 100 Markenherstellern und großen Händlern bereitgestellt werden. Während den gewerblichen Anbietern und Markenherstellern bekannt ist, dass sie Unternehmer im Sinne von § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und damit zur Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und/oder zumindest einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung (§ 18 Abs. 1 und 3 UStG) verpflichtet sind, kann diese Kenntnis bei privaten Verkäufern nicht vorausgesetzt werden. Denn feste betragsmäßige Grenzen, ab denen gelegentliche Verkäufe zu einer umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeit werden, sieht das UStG nicht vor. Für die Abgrenzung gibt es kein „eBay-Sonderrecht“, sie richtet sich vielmehr nach den gleichen Grundsätzen wie für jede andere Händlertätigkeit. In jüngster Zeit sind dazu nicht nur mehrere Entscheidungen der Finanzgerichte (FG) ergangen, sondern auch zwei Urteile des BFH. Nachdem der V. Senat des BFH im Jahre 2012 entschieden hatte, dass der Verkauf von über 1.200 Gegenständen (insbesondere Spielzeugpuppen) über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren eine der Umsatzsteuer unterliegende (nachhaltige) unternehmerische Tätigkeit sein kann,1 ging es im Besprechungsurteil vom 12.08.2015 um den Verkauf einer Vielzahl von Pelzmänteln über eBay. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Sachverhalt Die Klägerin, eine selbständige Finanzdienstleisterin, verkaufte in den Jahren 2004 und 2005 über zwei „Verkäuferkonten“ bei eBay an einzelne Erwerber mindestens 140 Pelzmäntel für insgesamt ca. 90.000 €. Dazu gab sie an, im Zuge der Auflösung des Haushalts ihrer verstorbenen Schwiegermutter habe sie deren umfangreiche private

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BFH, Urt. v. 26.04.2012 - V R 2/11 - BFHE 237, 286 = BStBl. II 2012, 634.

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Pelzmantelsammlung, die diese zwischen 1960 und 1985 zusammengetragen habe, über eBay veräußert. Die unterschiedliche Größe der verkauften Pelze resultiere daraus, dass sich eine Kleidergröße „schon mal ändern“ könne. Der Verkauf einer privaten Sammlung sei keine unternehmerische Tätigkeit. Nachdem das Finanzamt (FA) aufgrund einer anonymen Anzeige von den Verkäufen erfahren hatte, setzte es für die Verkäufe Umsatzsteuer fest. II. Klagestattgabe durch FG Das FG gab der Klage durch Urteil vom 18.07.20122 statt, weil die der Klägerin zuzurechnenden Verkäufe über eBay nicht ihrer unternehmerischen Sphäre zuzurechnen seien. Sie sei zwar planmäßig tätig gewesen und habe im Rahmen ihrer eBay-Tätigkeit einen erheblichen Organisationsaufwand gehabt, die Plattform sei aber nicht dazu benutzt worden, um auf längere Dauer und mit erheblicher Intensität eine Vielzahl von Gegenständen zu angemessenen Entgelten weiterveräußern zu können. Die Klägerin habe sich auch nicht wie ein Händler am Markt beteiligt, sondern Pelzmäntel und -jacken aus dem Privatvermögen veräußert. Es handele sich bei den Verkaufstätigkeiten um das Ergebnis einer Haushaltsauflösung. III. Aufhebung und Klageabweisung durch BFH Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil des FG auf und wies die Klage ab. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin mit dem Verkauf der Pelzmäntel und -jacken nicht unternehmerisch tätig geworden sei. 1. Der XI. Senat geht davon aus, dass der Verkauf eines Gegenstandes grundsätzlich nicht der Mehrwertsteuer unterliege, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand im Rahmen der Verwaltung seines Privatvermögens veräußere. Etwas anderes ergebe sich aber dann, wenn der Eigentümer „aktive Schritte zur Vermarktung“ unternehme, indem er sich ähnlicher Mittel bediene wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender; das sei insbesondere der Fall, wenn er „bewährte Vermarktungsmaßnahmen“ durchführe. Als weitere Kriterien, die zum Gesamtbild der Verhältnisse beitragen, seien zu berücksichtigen: die Dauer des Zeitraums, währenddessen Lieferungen erfolgen, die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen. Einer Einstufung von Verkäufen als wirtschaftliche Tätigkeit stehe dagegen nicht entgegen, dass beim Wareneinkauf eine Weiterveräußerungsabsicht nicht vorliege oder nicht festgestellt werden könne. 2. Der BFH beanstandete an der Entscheidung des FG, dass dieses bei seiner Würdigung mehrere bedeutsame Begleitumstände nicht zutreffend berücksichtigt habe: a) Zunächst habe die Klägerin keine eigenen, sondern fremde Pelzmäntel (eine fremde „Sammlung“) verkauft. Diese

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Tätigkeit sei eine typisch unternehmerische Tätigkeit und für einen Sammler vollkommen untypisch. b) Darüber hinaus handele es sich bei den verkauften Pelzmänteln – anders als beispielsweise bei Briefmarken, Münzen oder historischen Fahrzeugen – um keine Sammlerstücke, sondern Gebrauchsgegenstände. c) Schließlich habe es das FG unterlassen, die „Vervielfachung“ der Verkäuferkonten als aktive Maßnahme zum Vertrieb der Pelzmäntel in seine Würdigung einzubeziehen. Die Mehrzahl an Verkaufskonten gehe über die schlichte Veräußerung nicht mehr benötigter privater Gegenstände durch eine Privatperson über ein Verkäuferkonto erheblich hinaus. 3. Die zeitlich begrenzte Dauer der Verkäufe über eBay stehe der Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen. Zwar spreche die kurze Dauer einer Tätigkeit gegen die Nachhaltigkeit. Trotz kurzer Dauer sei jedoch dann von einer nachhaltigen Tätigkeit auszugehen, wenn eine Person innerhalb der kurz bemessenen Zeit planmäßig, wiederholt und intensiv am Marktgeschehen teilgenommen habe. C. Kontext der Entscheidung I. Das Urteil des XI. Senates ist im Zusammenhang mit der drei Jahre zuvor ergangenen Entscheidung des V. Senates zu sehen. Diese betraf eine aus einem Ehepaar bestehende GbR, die über eBay zahlreiche Gegenstände unterschiedlicher Produktgruppen (u.a. Briefmarken, Puppen, Modelleisenbahnen, Kunstgewerbe, Schreibgeräte, Porzellan, Software, Fotoartikel, Teppiche) sowie Gegenstände veräußerte, die sich keiner gesonderten Produktgruppe zuordnen ließen. Hieraus erzielte die GbR im Jahr 2001 aus 16 Verkäufen ca. 2.200 DM, im Jahr 2002 aus 356 Verkäufen ca. 25.000 €, im Jahr 2003 aus 328 Verkäufen ca. 28.000 €, im Jahr 2004 aus 226 Verkäufen ca. 21.000 € und bis zur Einstellung der Tätigkeit im Sommer 2005 aus 287 Verkäufen ca. 35.000 €. Das FA behandelte die Verkäufe in den Jahren 2003 bis 2005 als nachhaltige und somit unternehmerische Tätigkeit. Sowohl die Klage vor dem FG als auch die Revision vor dem BFH blieben erfolglos. Der V. Senat des BFH hat dabei seine Rechtsprechung fortgeführt, wonach die Nachhaltigkeit einer Tätigkeit nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen ist, wobei insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen sind: Die Dauer und die Intensität des Tätigwerdens, die Höhe der Entgelte, die Beteiligung am Markt, die Zahl der ausgeführten Umsätze, das planmäßige Tätigwerden und das Unterhalten eines Geschäftslokales.

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FG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.07.2012 - 14 K 702/10 - DStRE 2013, 1249.

JM 1 II. Der Vergleich der beiden eBay-Entscheidungen zeigt, dass die Frage der Unternehmereigenschaft nicht durch einfache Subsumtion unter einen Rechtsbegriff zu beantworten ist, sondern eine Würdigung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse erfordert. Das wichtigste Abgrenzungskriterium stellt die Durchführung bewährter Vertriebsmaßnahmen dar, indem eBay genutzt und dabei ein erheblicher Organisationsaufwand betrieben wird. Die Dauer und die Intensität des Tätigwerdens (Anzahl der Verkäufe) sowie die Höhe der Entgelte spielen dabei eine entscheidende Rolle. III. Nicht erheblich ist dagegen, ob beim Erwerb des Gegenstands bereits die Absicht der Veräußerung bestand. Dies hat zur Folge, dass die Veräußerung einer aus privaten Gründen aufgebauten Sammlung oder die Auflösung des Haushalts eines Junggesellen oder eines Verstorbenen zur Umsatzsteuerpflicht führen kann, wenn dieser Vorgang erheblichen Organisationsaufwand erfordert, sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt und erhebliche Entgelte erzielt werden. Damit gibt es keine Privilegierung bei der Auflösung von Haushalten oder Sammlungen. D. Auswirkungen auf die Praxis I. Die beiden BFH-Entscheidungen werden die Finanzverwaltung ermutigen, Verkäufen über eBay, aber auch über andere Internetplattformen wie Amazon, Autoscout oder MyHammer gesteigerte Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei ist die Finanzverwaltung nicht auf Hinweise durch anonyme Anzeigen „ehrlicher Bürger“ angewiesen. Auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Nr. 17 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) ermittelt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) und nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Steuerfahndung Fälle mit umsatzsteuerlicher Relevanz: 1. Zu den Aufgaben des BZSt gehört es, im Internet angebotene Dienstleistungen auf ihre umsatzsteuerrechtliche Erheblichkeit zu prüfen und das Ergebnis als Kontrollmaterial den Landesfinanzbehörden zur Verfügung zu stellen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 17 FVG). Das BZSt bedient sich dazu der Spähsoftware „Xpider“, die das Internet hinsichtlich der Angebote und Verkäufe unternehmerischer Anbieter durchleuchtet.3 Interessant für die Suchmaschine sind besonders eBay-Anbieter, die über viele Bewertungen von Käuferseite verfügen, gleichzeitig jedoch steuerlich bei den Finanzbehörden nicht als Gewerbetreibende registriert sind. Stellt sich bei der Analyse dieser Profile heraus, dass die angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gefälscht ist oder fehlt, schlägt die Software automatisch Alarm. Da Xpider auch Querverbindungen zu den Datenbanken der Behörden herstellt, lassen sich Verkäufer selbst dann ermitteln, wenn diese ein Pseudonym benutzen.

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2. Einen anderen Weg geht die Steuerfahndung, indem sie im Rahmen von Vorfeldermittlungen Sammelauskunftsersuchen an die Betreiber von Internethandelsplattformen richtet. Nachdem der BFH im Urteil vom 16.05.20134 entschieden hatte, dass die Beantwortung derartigen Auskunftsersuchens nicht wegen einer privatrechtlich vereinbarten Geheimhaltung dieser Daten abgelehnt werden dürfe, und den Rechtsstreit – zur Prüfung der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit des Auskunftsersuchens an den Dienstleister einer Internethandelsplattform – an das FG zurückgewiesen hatte, wies das FG die Klage im zweiten Rechtsgang ab.5 Es bejaht einen hinreichenden Anlass für Sammelauskunftsersuchen, weil sich aus der Überprüfung von zahlreichen Nutzern anderer Internetplattformen Erkenntnisse zu einem hohen Prozentsatz von Steuerverkürzungen mit erheblichen Mehrsteuern ergaben. Die Klägerin hat gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.6 II. Umsatzsteuerlich betrachtet befindet sich der eBay-Verkäufer auf der „sicheren Seite“, solange er mit seinen Verkäufen die sog. Kleinunternehmergrenzen des § 19 Abs. 1 UStG nicht überschreitet: 1. Unter diese Regelung fallen Personen, die im Vorjahr nicht mehr als 17.500 € zuzüglich der auf die Umsätze entfallenden Umsatzsteuer vereinnahmt haben und voraussichtlich im laufenden Kalenderjahr nicht mehr als 50.000 € Umsätze erzielen werden; in diese Berechnung werden Verkäufe des sog. Anlagevermögens nicht einbezogen. Erst nach Überschreiten dieser Grenzen ist in der Praxis anhand der o.g. Abgrenzungskriterien zu prüfen, ob der jeweilige eBay-Verkäufer zur Umsatzsteuer veranlagt wird und ggf. Strafmaßnahmen einzuleiten sind. 2. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der eBay-Verkäufer keine Rechnungen mit gesondertem Ausweis von 19% bzw. 7% Umsatzsteuer erstellt und auch keine sog. Kleinbetragsrechnungen im Sinne von § 33 UStDV ausstellt. Tut er dies gleichwohl, schuldet er die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer auch unterhalb der Kleinunternehmergrenze nach § 19 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 14c Abs. 2 UStG. Selbst wenn dies nur in Einzelfällen und auf Verlangen des Käufers geschieht, muss er allein deswegen eine Umsatzsteuererklärung abgeben und die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer an den Fiskus abführen (§ 18 Abs. 4b i.V.m. Abs. 4a UStG).

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5 6

Vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 FVG Rn. 16. BFH, Urt. v. 16.05.2013 - II R 15/12 - BFHE 241, 211 = BStBl. II 2014, 225. FG Niedersachsen, Urt. v. 30.06.2015 - 9 K 343/14 - DB 2015, 2178. Az.: II B 75/15.

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NACHRICHTEN

Krankenhausstrukturgesetz passiert den Bundesrat Der Bundesrat hat in seiner 939. Sitzung am 27.11.2015 das Krankenhausstrukturgesetz gebilligt, welches nach der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten weitestgehend am 01.01.2016 in Kraft tritt. Einen Schwerpunkt des Gesetzes stellt die Einrichtung eines Pflegestellen-Förderprogramms zur Stärkung der unmittelbaren pflegerischen Patientenversorgung dar. In den Jahren 2016 bis 2018 werden hierfür Fördermittel von bis zu 660 Mio. € bereitgestellt. Ab 2019 stehen dann dauerhaft bis zu 330 Mio. € pro Jahr zur Verfügung. Dadurch können voraussichtlich 6.350 neue Stellen geschaffen werden. Zusätzlich wird ein Pflegezuschlag in Höhe von 500 Mio. € den Krankenhäusern einen Anreiz bieten, eine angemessene Pflegeausstattung vorzuhalten. Es ist außerdem vorgesehen, Lohnkostensteigerungen infolge von Tarifanpassungen auszugleichen. Weiterhin wird die Qualität als zentrales Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. Ist die Qualität zufriedenstellend, erhalten die Krankenhäuser finanzielle Zuschläge. Ist sie mangelhaft, müssen die Krankenhäuser mit Abschlägen rechnen. Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser sollen künftig patientenfreundlicher gestaltet und die Informationen zugänglicher und vergleichbarer gemacht werden. Als dritter Schwerpunkt wird ein Strukturfonds zur Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen eingerichtet. Dazu werden einmalig Mittel in Höhe von 500 Mio. € aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln werden Vorhaben der Länder gefördert, wenn diese sich mit einem gleich hohen Betrag beteiligen. So wird maximal ein Volumen in Höhe von 1 Mrd. € zur Verfügung gestellt.

Harmonisierung deutscher Erbschaftsteuervorschriften mit EU-Recht Die Europäische Kommission hat Deutschland aufgefordert, seine Erbschaftsteuervorschriften über besondere Versorgungsfreibeträge mit dem EU-Recht zu harmonisieren. Die deutschen Steuerbehörden können nach deutschem Recht einem überlebenden Ehe- oder Lebenspartner nur dann einen besonderen Versorgungsfreibetrag gewähren, wenn entweder der Erbe oder der Erblasser oder beide in Deutschland steuerpflichtig waren. Den überlebenden Eheoder Lebenspartnern hingegen steht dieser Versorgungsbeitrag nicht zu, wenn sie Vermögenswerte erben, die sich in Deutschland befinden, der Erblasser und der Erbe jedoch in einem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind.

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Die Kommission sieht hierin eine ungerechtfertigte Einschränkung des freien Kapitalverkehrs (Art. 63 Abs. 1 AEUV), da der Wert des Nachlasses gemindert werde, wenn die Kriterien bezüglich der Steuerpflicht nicht erfüllt seien. Zudem weist die Kommission darauf hin, dass hierdurch Staatsangehörige anderer EU-Staaten davon abgehalten werden könnten, ihr Kapital in Vermögenswerte in Deutschland zu investieren. Sollte die Kommission bis Mitte Januar 2016 keine „zufriedenstellende“ Antwort erhalten, kann sie Deutschland vor dem EuGH verklagen.

Bundespräsident muss Presse keine Auskunft zu Gesetzgebungsverfahren erteilen Das VG Berlin hat in einem Eilverfahren (Beschl. v. 24.11.2015 - VG 27 L 179.15) entschieden, dass der Bundespräsident Journalisten keine Auskunft zu etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken bei der Ausfertigung von Gesetzen erteilen muss. Die Richter begründeten ihren Beschluss insbesondere mit der Integrationsfunktion des Bundespräsidenten. Der Antragsteller, ein Berliner Journalist, bat das Bundespräsidialamt im April 2015 um Mitteilung der verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundespräsidenten am Betreuungsgeldgesetz und anderen Gesetzesvorhaben in der laufenden Legislaturperiode. Dieses Ansinnen wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass über Ausfertigungsprüfungen und in diesem Zusammenhang angestellte formelle und materielle Erwägungen sowie einzelne Prüfungsschritte keine Auskunft erteilt werde. Der Antragsteller beantragte daraufhin im Eilverfahren die Erteilung der Auskünfte. Das VG Berlin hat den Eilantrag abgelehnt. Zwar müssten der Bundespräsident und das ihm zuarbeitende Bundespräsidialamt die Presse umfassend und wahrheitsgemäß über Geschehnisse von öffentlichem Interesse informieren. Im Hinblick auf die Ausfertigung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten einschließlich der verfassungsrechtlichen Prüfung stünden dem Anspruch jedoch schutzwürdige Vertraulichkeitsinteressen entgegen. So stelle eine Veröffentlichung der Vorüberlegungen die Integrationsfunktion des Bundespräsidenten in Frage. Müsste dieser zur Prüfung eines Gesetzesvorhabens Auskunft gegeben, würde bei umstrittenen Gesetzen eine Diskussion wiederbelebt, die mit der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag beendet sein sollte. Überdies erhielten etwaige Bedenken des Bundespräsidenten durch ihr „Öffentlichwerden“ ein Gewicht, das der Rolle des Bundespräsidenten im Gesetzgebungsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht entspreche.

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BÜCHERSCHAU

Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, Kommentar Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Karsten Schmidt und Prof. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutter Dr. Otto Schmidt Verlag, 3. Aufl. 2015, 4.578 Seiten, 2 Bände, gebunden, 299 €, ISBN 978-3504-31178-0 Prof. Dr. Axel Jäger Ein Versuch Wer als Rezensent nur 5.000 Zeichen für nahezu 5.000 Seiten zur Verfügung hat, muss sich auf Stichproben beschränken. Diese Rezension kann deshalb nur ein bescheidener Versuch sein, den Schmidt/Lutter als ein für alle am Aktienund Konzernrecht Interessierten grundlegendes Werk angemessen zu würdigen. Der Kommentar Tim Drygala zeichnet zu § 41 AktG die Entwicklungsstufe der Vorgesellschaft einschließlich ihrer Haftungsrisiken, während sich Christoph H. Seibt in einem Exkurs zu § 23 AktG mit der wirtschaftlichen Neugründung befasst. Walter Bayer kritisiert die Neufassung von § 27 Abs. 3 und 4 AktG, erklärt den dadurch verursachten Eingriff in das Kapitalaufbringungsrecht für systemwidrig und macht auf die verbliebenen Risiken aus dem Nachgründungsrecht aufmerksam. Hervorzuheben ist daneben sein Hinweis, dass die Kapitalaufbringung in einem Cash-Pool bei bestehendem Sollsaldo der AG auch nach den durch das ARUG bewirkten Änderungen unzulässig ist.1 Christoph H. Seibt bemüht sich, die Corporate-ComplianceVerantwortung des Vorstands zu konturieren2, während Gerd Krieger und Viola Sailer-Coceani die auch nach Einführung der Business Judgement Rule verbliebenen Innenhaftungsrisiken bewerten. Tim Drygala setzt sich zum Aufsichtsrat mit dem deutschen Mitbestimmungssystem, der Geschlechterquote und der Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ kritisch auseinander.3 Wer verstehen will, warum gerade börsennotierte Gesellschaften großen Wert auf die Vor- und Nachbereitung der Hauptversammlung legen, wo die – in der Praxis häufig unterschätzten – Fallstricke liegen und wie man diese am besten vermeidet, findet in Hildegard Ziemons und Gerald Spindler hervorragende Ratgeber. Letzterem ist ferner in seiner Kritik am DCGK zu folgen, der – unabhängig von den verfassungsrechtlichen Bedenken – umso eher in Frage gestellt wird, je enger bereits der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen ausgestaltet. Wer wissen will, welche Anforderungen bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen der Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung einzuhalten sind, findet die verlässlichen Antworten bei Christoph H. Seibt, Rüdiger Veil und Hanno Merkt. Besonders zu erwähnen sind die Darstellungen der Zulässigkeitsschranken für Satzungsänderungen, der materiellen Vo-

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raussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss sowie des möglichen Inhalts von Genussrechten.4 Martin Schwab wird seiner Aufgabe, die besonders praxisrelevanten Vorschriften zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen sowie des festgestellten Jahresabschlusses zu kommentieren, mit Bravour gerecht. Hervorgehoben werden können seine Ausführungen zum rechtsmissbräuchlichen Einsatz der Anfechtungsklage, zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten sowie zum Freigabeverfahren.5 Während das Recht der KGaA eine konsistente Darstellung durch Karsten Schmidt erfährt, ist das Konzernrecht auf mehrere Schultern verteilt. Jochen Vetter gelingt es eindrucksvoll, die Probleme der §§ 15-19 AktG als die Grundnormen für verbundene Unternehmen herauszuarbeiten. Zum Vertragskonzern können die Ausführungen von Klaus-Dieter Stephan zur Verlustausgleichspflicht6 sowie zu den §§ 304 und 305 AktG hervorgehoben werden. Herausragend seine Bemühungen, das mit vielfältigen Unsicherheiten behaftete und als rechtliche Aufgabe zu bewältigende Gebiet der Unternehmensbewertung möglichst allgemeinverständlich zu erschließen, auch wenn am Ende die – gleichermaßen unbefriedigende wie vorhersehbare – Erkenntnis bleibt, dass es den „richtigen“ Unternehmenswert ebenso wenig gibt wie die „richtige“ Rechtsform. In diesen Zusammenhang gehört auch die in den Anhang verwiesene Kommentierung des SpruchG durch Ingo Klöcker, der mit seinen Ausführungen zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesetzes besticht. Ein Fazit Ein Grundlagenkommentar sollte am Ende mehr Fragen beantworten als offenlassen und zugleich durch kritische Stellungnahmen zur Diskussion anregen. Das gelingt dem Schmidt/Lutter durchweg. Vom Kernproblem eines jeden Kommentars bleibt allerdings auch er nicht verschont: Die Dynamik von Gesetzgebung und höchstrichterlicher Rechtsprechung verlangt nach fortlaufender Aktualisierung, sodass es für den Verlag eine Option sein könnte, eine permanente Online-Ergänzung anzubieten. In den nächsten Jahren werden jedenfalls stets aktuell gehaltene, breit aufgestellte und zu im Internet zugänglichen Quellen verlinkte Plattformen7 an Akzeptanz gewinnen, um die klassischen Kommentare als Informationsquelle zu ergänzen. Bei diesen wird dem Schmidt/Lutter seine herausragende Stellung ohne Frage erhalten bleiben. 1 2 3 4 5 6 7

§ 27 Rn. 122. § 76 Rn. 10 ff. § 96 Rn. 28 ff. und 36 ff. sowie § 101 Rn. 37 ff. § 179 Rn. 34 ff., § 186 Rn. 24 ff. und § 221 Rn. 56 ff. § 245 Rn. 39 ff., § 246 Rn. 48 ff. und § 246a AktG. § 302 Rn. 12 ff. Als Beispiel soll hier nur auf die Plattform mur.jura.uni-saarland. de verwiesen werden.

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Die Monatszeitschrift

Stephanie Vogelgesang Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Universität des Saarlandes Studium der Rechtswissenschaften und Referendariat in Saarbrücken mit Stationen bei der Staatskanzlei des Saarlandes und dem Bundesverfassungsgericht. Von November 2012 bis März 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtstheorie und Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes (Institut für Rechtsinformatik). Seit April 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der juris-Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes und seit 2013 Lehrbeauftragte an der Universität des Saarlandes.

DIE AUTOREN

Holger Radke Vizepräsident des Landgerichts Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Saarbrücken und Freiburg zwischen 1988 und 1992. In der Folge Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max Planck Institut für Internationales und Ausländisches Strafrecht in Freiburg. 1996 Zweites Staatsexamen in Freiburg. Zwischen 1996 und 2004 Richter bzw. Staatsanwalt beim Amts- und Landgericht sowie der Staatsanwaltschaft Mannheim. Von 2004 bis 2012 Leiter des Referates „Information und Kommunikation“ im Justizministerium Baden-Württemberg in Stuttgart. 2006 bis 2012 zugleich Vorsitzender der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz und in den Jahren 2008 bis 2010 Vertreter der Bundesländer in der Ratsarbeitsgruppe „E-Justice“ in Brüssel. Seit Juni 2012 Vizepräsident des Landgerichts Mannheim.

IMPRESSUM

Dr. Detlef Grimm Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Partner bei Loschelder Rechtsanwälte in Köln mit den Tätigkeitsschwerpunkten Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsrecht, Umstrukturierungen, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Beschäftigtendatenschutz und arbeitsrechtliche Compliance. Dr. Detlef Grimm ist Dozent der Deutschen AnwaltAkademie und der Beck-Akademie und ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „Der Arbeitsrechtsberater“.

Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Richterin am BFH Prof.Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: RA Daniel Schumacher, stv. Ass. iur. Sebastian Butschkau Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung onlineoder offline ohne zusätzliche Vergütung.

Cornelius Kroeschell Stellvertretender Direktor des Arbeitsgerichts Studium an der Georg August Universität Göttingen. Seit 2002 Richter in der Niedersächsischen Arbeitsgerichtsbarkeit und seit 2014 stellvertretender Direktor des Arbeitsgerichts Göttingen. Von 2010 bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesarbeitsgericht. Mitglied des Niedersächsischen Prüfungsamtes. Dozent in arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten.

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Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Neustädter Str. 1-4, 99947 Bad Langensalza Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

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2016

juris Lex Band 6 Zivilrecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Dieser Band widmet sich dem Zivilrecht. Neben den zivilrechtlichen Gesetzen sind auch Normen des Insolvenz- und des Haftungsrechts enthalten. So sind die wesentlichen Normen schnell zur Hand. Die Sammlung enthält unter anderem das Bürgerliche Gesetzbuch und das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, daneben aber auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Produkthaftungsgesetz. Branchenweit einzigartig: juris Lex führt Bundes-, Landes- und EU-Gesetze in einer Gesetzesbibliothek zusammen und kann medienübergreifend als E-Book und als Print-Ausgabe genutzt werden. Online für alle Bundesländer erhältlich und direkt auf amazon.de bestellbar. Bereits vorhanden: Band 1: Datenschutz- und Informationsrecht (je Bundesland) Band 2: Ausgabe für das 1. und 2. Semester (je Bundesland) Band 3: Erbrecht (Gesamtausgabe Bund und Länder)

Mehr unter: www.juris.de/Lex IN EIGENER SACHE Einbanddecke 2014/2015 für juris – Die Monatszeitschrift (jM)

Ab Januar 2016 können für die monatlich erscheinende Fachzeitschrift jM auch Einbanddecken über unseren jurisAllianz-Partner Verlagsgruppe Hüthig Jehle Dieser Band widmet sich dem Strafrecht. Neben den Rehm bestellt werden. Der Preis der Einbanddecke strafrechtlichen Gesetzen sind auch Normen des (Ausl.-Nr.: HR193320) für die 22 Hefte der Jahrgänge Strafvollzugsrechts und des Prozessrechts enthalten. 2014/2015 incl. Jahresverzeichnis beträgt 15 € incl. So sind die wesentlichen Normen schnell zur Hand. MwSt. Die Sammlung enthält unter anderem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung, daneben Kontaktdaten: aber auch Auszüge aus dem Gesetz über Ordnungs- per Telefon: 089 / 2183 7928 widrigkeiten, dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem per E-Mail: [email protected] Grundgesetz. juris Lex Band 5 Strafrecht (je Bundesland)

Im Landesrecht sind die Landesvollzugsgesetze enthalten.

III

Die Monatszeitschrift

NEUES VON juris

Neue juris PartnerModule Zum Jahreswechsel erweitert die jurisAllianz ihr Leistungsangebot um gleich drei neue juris PartnerModule. Die Gemeinschaft starker Partner unter der Dachmarke jurisAllianz besteht aus den Verlagen Dr. Otto Schmidt, De Gruyter, Erich Schmidt, C.F. Müller, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, Stollfuß Medien und dem Bundesanzeiger Verlag.

06.01.2016, 20.01.2016, 10.02.2016,

14:00 – 15:00 Uhr 14:00 – 15:00 Uhr 14:00 – 15:00 Uhr

Basis II – Personalisierungsfunktionen 13.01.2016, 27.01.2016,

14:00 – 15:00 Uhr 14:00 – 15:00 Uhr

Das Basis-Modul Sozialrecht wird mit relevanten Werken zum Premium-Modul erweitert:

Fortgeschrittenen-Webinare

juris PartnerModul Sozialrecht premium

14.01.2016, 11.02.2016,

partnered by Erich Schmidt Verlag | C.F. Müller | Bundesanzeiger Verlag | Verlag Dr. Otto Schmidt Neue Rechtsgebiete werden mit den beiden juris PartnerModulen zum Insolvenz- und Kartellrecht erschlossen:

14:00 – 15:00 Uhr 14:00 – 15:00 Uhr

Normen-Webinar 04.02.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

Informationsforen und Veranstaltungen

juris PartnerModul Insolvenzrecht

Die aktuellen Termine finden Sie immer online unter: www.juris.de/veranstaltungen

partnered by C.F. Müller | De Gruyter | Erich Schmidt Verlag | Verlag Dr. Otto Schmidt

Informationsforum Dresden 27.01.2016

juris PartnerModul Kartellrecht

Informationsforum Stuttgart 17.02.2016

partnered by Verlag Dr. Otto Schmidt Recherchieren Sie in den Werken führender juristischer Fachverlage, aufbereitet in der bewährten juris Qualität und professionell verlinkt mit der juris Rechtsprechung, dem juris Bundesrecht sowie den einzigartigen juris Abstracts aus der Fachliteratur. So verläuft die Recherche besonders effektiv und komfortabel. Mehr unter: www.juris.de/partnermodule juris Webinare Infos zum Ablauf der kostenlosen juris Webinare und weitere Termine 2016 finden Sie unter: www.juris.de/ webinare

IV

Basis I – Einführung in die juris Recherche

Informationsforum Saarbrücken 23.02.2016 Deutscher Arbeitsrechtstag, Berlin 27. – 29.01.2016 LAT Bremen, Justizzentrum Am Wall 12.02.2016

Eine Gemeinschaft, geschmiedet zu Ihrem Vorteil. 30 Jahre intelligentes juris Wissen, vernetzt mit Kommentaren, Fachzeitschriften und Handbüchern, ermöglicht allen Juristen und Rechtsanwendern eine verlagsübergreifende und durchgängige Recherche über sämtliche Quellen und Medien renommierter Fachverlage. Einfach, schnell, lückenlos und rechtssicher. Setzen Sie jetzt auf diese unschlagbare Allianz! www.juris.de/allianz

Schlegel

Voelzke

Engelmann

juris PraxisKommentar SGB V

Neu: 3. Auflage Die Neuauflage kommentiert die wichtigen Gesetzesnovellen, die das SGB V in 2015 und 2016 prägen. Neben dem GKV-VSG und dem PräVG werden die Reformen durch das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) und die Verbesserungen bei der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG) berücksichtigt. Der mit der juris Datenbank verlinkte Online-Kommentar wird ständig aktualisiert. www.juris.de/sgbv

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