Heft 3-2016 Book v1.indb - Juris

09.03.2016 - Datenbank verlinkte Online-Kommentar wird ständig aktualisiert. www.juris.de/sgbv ... INHALT. Sozialversicherungsbeiträge auf eine über .... Instanz geschlossenen Teilvergleich, der sämtliche erstin- stanzlich geltend ...
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

M3 Die Monatszeitschrift

MÄRZ

2016

Topthema:

In dieser Ausgabe:

Arbeitsrechtliche Sonderwege im bezahlten Fußball? (Teil 1)

„Rettung“ der unzulässigen Berufung durch Klageerweiterung oder Parteiwechsel?

Neuere Rechtsprechung des BFH aus dem Bereich der privaten Vermögensverwaltung

RiLG Dr. Christoph Kretschmer

RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel

Das Verbraucherwiderrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen nach Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie

Tatprovokation – eine kritische Bestandsaufnahme

VRiBAG a.D. Klaus Bepler

RA Patrick Jost

Die

auch unter www.juris.de

RA Prof. Dr. Guido Britz

Schlegel

Voelzke

Engelmann

juris PraxisKommentar SGB V

Neu: 3. Auflage Die Neuauflage kommentiert die wichtigen Gesetzesnovellen, die das SGB V in 2015 und 2016 prägen. Neben dem GKV-VSG und dem PräVG werden die Reformen durch das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) und die Verbesserungen bei der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG) berücksichtigt. Der mit der juris Datenbank verlinkte Online-Kommentar wird ständig aktualisiert. www.juris.de/sgbv

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Expertengremium: Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

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INHALT

MÄRZ

2016

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Zivil- und Wirtschaftsrecht

„Rettung“ der unzulässigen Berufung durch Klageerweiterung oder Parteiwechsel? RiLG Dr. Christoph Kretschmer

S. 90

Das Verbraucherwiderrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen nach Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie RA Patrick Jost S. 94 Gummibärchen gegen Lindt-Teddy BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Prof. Dr. Hannes Ludyga

S. 101

Transport von Kindern zu Sportveranstaltungen – zur Abgrenzung von rechtsgeschäftlichem Schuldverhältnis und bloßer Gefälligkeit BGH, Urt. v. 23.07.2015 - III ZR 346/14 RiAG Dr. Lars Niesler S. 103 Die Urteilsausfertigung – von der Regel zur Ausnahme LG Wuppertal, Beschl. v. 04.12.2015 - 8 S 80/15 VPräsLG Holger Radke S. 105 Topthema:

Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Sonderwege im bezahlten Fußball? (Teil 1) VRiBAG a.D. Klaus Bepler S. 105 Arbeitszeugnisse im Zeitalter des PCs – tempora mutantur LArbG Franfurkt, Beschl. v. 21.10.2014 - 12 Ta 375/14 Marie Herberger S. 111

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Die Monatszeitschrift

INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Sozialrecht

Sozialversicherungsbeiträge auf eine über die Unterhaltsbeihilfe hinausgehende „Stationsvergütung“ von Rechtsreferendaren? BSG, Urt. v. 31.03.2015 - B 12 R 1/13 R RiSG Dr. Britta Wiegand, z.Zt. wiss. Mit. beim BSG S. 114

Verwaltungsrecht

Die Presse hat einen Anspruch auf Überlassung veröffentlichungswürdiger Urteile BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 - 1 BvR 857/15 RA Christoph Clanget S. 116

Steuerrecht

Neuere Rechtsprechung des BFH aus dem Bereich der privaten Vermögensverwaltung RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel S. 118

Strafrecht

Tatprovokation – eine kritische Bestandsaufnahme RA Prof. Dr. Guido Britz S. 123

BÜCHERSCHAU

Ibold, Maklerrecht Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr. hc. mult. Michael Martinek, M.C.J. (New-York Univ.), Hon.-Prof. (Johannesburg)

S. 130

Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union RiBVerwG Prof. Dr. Harald Dörig

S. 130

Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht ORR’in Dr. Bettina Malzahn, z. Zt. wiss. Mit. beim BFH S. 131

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EDITORIAL

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„Ich sag‘ nur: Kündigungsschutz!“ Heinz Müller. Die Befristung seines Arbeitsvertrages sah das Gericht als unwirksam an, weil sie nicht durch einen Sachgrund gerechtfertigt sei. Insbesondere teilt das Gericht nicht die in der Literatur vertretene Auffassung, die Eigenart einer Arbeitsleistung könne eine Befristung des Arbeitsverhältnisses erforderlich machen, wenn die Tätigkeit des Arbeitsnehmers Verschleißerscheinungen erwarten lasse und es der Verkehrsanschauung entspreche, dass die Tätigkeit nur solange ausgeübt werde, wie der Arbeitnehmer Leistungen in seiner persönlichen Bestform erbringen könne (ArbG Mainz, Urt. v. 19.03.2015 - 3 Ca 1197/14, juris Rn. 35 ff.).

Prof. Dr. Stephan Weth Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Prozess- und Arbeitsrecht sowie Bürgerliches Recht an der Universität des Saarlandes

Über die Vernunft oder besser Unvernunft des Arbeitsrechts ist vieles geschrieben worden. Nicht selten wird der überbordende Kündigungsschutz und seine für die Unternehmen häufig untragbaren Folgen behauptet und beklagt. Unser Karikaturist hat dieses Klagen – wie ich finde – meisterhaft visuell dargestellt. Auf einen Blick wird klar, es ist der „böse“ Kündigungsschutz, der den Verein daran hindert, einen jungen dynamischen, seiner Aufgabe gewachsenen Torhüter einzusetzen. Die Karikatur zielt auf das Topthema und die Frage, ob die reale Gefahr besteht, dass Bundesligaprofis bis zum Rentenalter beschäftigt werden müssen, weil ihre Verträge nicht wirksam befristet werden können. Bepler geht dieser Frage unter dem Titel „Arbeitsrechtliche Sonderwege im bezahlten Fußball?“ nach. Fußballprofis sind Arbeitnehmer und unterliegen dem Schutz des Arbeitsrechts. Muss aber nicht für Fußballprofis etwas anderes gelten, als für „normale“ Arbeitnehmer? Liegt es denn nicht auf der Hand, dass man den Beruf „Fußballprofi“ nicht bis ins hohe Rentenalter ausüben kann? Muss es nicht arbeitsrechtliche Sonderwege im bezahlten Fußball geben, die dem Rechnung tragen, was offensichtlich ist? Zu Recht steht Bepler einem solchen arbeitsrechtlichen Sonderweg für bestimmte Personengruppen äußerst skeptisch gegenüber. Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist eine Entscheidung des ArbG Mainz in der Sache des Fußball-Torhüters

Folge der unwirksamen Befristung ist, dass der Arbeitsvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Dem Arbeitgeber bleibt realistischerweise nur die personenbedingte Kündigung, die aber voraussetzt, dass der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann. Welche Arbeitsleistung aber schuldet der Bundesligaprofi? Ist die geschuldete Arbeitsleistung für seinen Verein Fußball zu spielen? Diese Arbeitsleistung wird er ggf. bis zum Rentenalter erbringen können. Oder schuldet er bundesligatauglichen Fußball? Wäre eine solche Verpflichtung überhaupt wirksam und wer würde entscheiden, ob der Arbeitnehmer diese Verpflichtung (noch) erfüllen kann? Es scheint durchaus fraglich, ob eine personenbedingte Kündigung, die darauf gestützt wird, der Fußballprofi sei nicht mehr bundesligatauglich, Aussicht auf Erfolg hätte. Wäre aber die personenbedingte Kündigung nicht möglich, so wäre die oben angesprochene Gefahr, dass Fußballspieler bis zum Rentenalter beschäftigt werden müssen, durchaus realistisch, wenn man sich der Auffassung des ArbG Mainz anschließt, dass bei Bundesligaprofis kein Sachgrund für eine befristete Beschäftigung gegeben ist. Der Ausschluss der Sachgrundbefristung für Verträge von Fußballprofis hätte nicht nur erhebliche praktische Auswirkungen auf den Profifußball in Deutschland; er ist auch wenig einleuchtend. Und er ist, wie Bepler überzeugend darlegt, vom Teilzeit-und Befristungsgesetz nicht gefordert. Dieses lässt vielmehr eine Sachgrundbefristung der Arbeitsverträge von Fußballprofis zu. Wie unser Autor dieses Ergebnis erreicht, darf hier natürlich nicht verraten werden, um Ihnen, liebe Leser, den Spaß an der Lektüre des Aufsatzes nicht zu nehmen. Viel Spaß am neuen Heft der jM wünscht Ihnen Ihr Stephan Weth

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

„Rettung“ der unzulässigen Berufung durch Klageerweiterung oder Parteiwechsel? RiLG Dr. Christoph Kretschmer A. Einleitung Kann sich eine Partei dadurch in die zweite Instanz retten, dass sie die Klage nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils erweitert oder einen Parteiwechsel vornimmt? Wie berührt ein solches Vorgehen die Zulässigkeit der Berufung? Diese grds. Problematik soll zunächst folgender Fall aus der Praxis verdeutlichen: Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall und macht insgesamt 1.100 € (Nettoreparaturkosten und Unkostenpauschale) nebst Zinsen geltend. Das Amtsgericht erachtet eine hälftige Haftung beider Parteien dem Grunde nach für angemessen und verurteilt den Beklagten zur Zahlung von 550 €. Will der Kläger nun in Berufung gehen, weil er weiterhin von einer 100-prozentigen Haftung des Beklagten ausgeht, steht ihm § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO im Weg, wenn das Amtsgericht die Berufung nicht zugelassen hat. Die Berufung wäre unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 600 € nicht übersteigt. Der Kläger könnte nun in der Berufungsinstanz seine Klage erweitern, z.B. indem er eine unfallbedingte Wertminderung seines Fahrzeugs geltend macht, Nutzungsausfallschaden begehrt oder einen Feststellungsantrag hinsichtlich der Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung der Umsatzsteuer bei Nachweis der ordnungsgemäßen und fachgerechten Reparatur des Fahrzeugs stellt. Wäre dann die Berufung zulässig, wenn der Kläger nunmehr mehr als 600 € mit Hilfe der Klageerweiterung verlangt?

Nichts anderes kann gelten, wenn der Rechtsmittelführer den erstinstanzlichen Anspruch zwar ganz oder teilweise weiterverfolgt, die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für eine zulässige Berufung aber nicht überschritten wird. Im Ausgangsfall ist der Berufungskläger nur i.H.v. 550 € durch das amtsgerichtliche Urteil beschwert, seine Berufung daher unzulässig. Die erst in der Berufungsinstanz erklärte Klageerweiterung kann die Berufung nicht mehr retten. Dennoch gibt es Konstellationen, die im Folgenden dargestellt werden sollen, in denen eine Klageerweiterung zur Zulässigkeit der Berufung führen kann.

B. Zulässigkeit bei Klageerweiterung

II. Differenzierung der Begriffe

I. Zulässige Klageerweiterung nur bei zulässiger Berufung

Für die weitere Beurteilung ist zunächst bei den zu verwendenden Begriffen zu differenzieren. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO legt fest, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigen muss, damit die Berufung – abgesehen

Der „Trick“ mit der Klageerweiterung hilft dem Kläger im Ausgangsfall nicht weiter: Eine zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz setzt zunächst eine zulässige Berufung voraus. Der BGH hat dies in mehreren Entscheidungen ausdrücklich ausgesprochen,1 auch in der Literatur wird diese Auffassung geteilt.2 Die von der Rechtsprechung zu entscheidenden Fälle betrafen allerdings in der Regel Sonderkonstellationen, bei

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denen der jeweilige Berufungskläger seinen Klageanspruch erster Instanz nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt hat, sondern durch Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz nur einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Dies führt nach der Rechtsprechung des BGH etwa bei einer Klage auf Begleichung von Mietrückständen und einem in zweiter Instanz geschlossenen Teilvergleich, der sämtliche erstinstanzlich geltend gemachten Mietrückstände betrifft, zur Unzulässigkeit der Geltendmachung von erst in der Berufungsinstanz anhängig gemachten Ansprüchen wegen weiterer Mietrückstände. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn der Beklagte der Klageerweiterung gem. § 533 Nr. 1 ZPO zustimmt. Der BGH nimmt an, dass die Zulässigkeit der Berufung mit Abschluss des Teilvergleichs entfallen ist, da die Klägerseite ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Beseitigung der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil verfolgt.3

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BGH, Urt. v. 30.11.2005 - XII ZR 112/03; BGH, Urt. v. 11.10.2000 - VIII ZR 321/99; zur Revision vgl. BGH, Urt. v. 14.03.2012 - XII ZR 164/09. Ball in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, Vor § 511 ff. Rn. 29; Heßler in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 511 Rn. 10a; Rimmelspacher in: MünchKomm ZPO, 4. Aufl. 2012, Vor § 511 ff. Rn. 46. BGH, Urt. v. 30.11.2005 - XII ZR 112/03.

JM 3 von der vom erstinstanzlichen Gericht gem. § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassenen Berufung – zulässig ist. Der Wert des Beschwerdegegenstandes unterscheidet sich begrifflich sowohl von dem erstinstanzlichen Streitwert als auch der Beschwer: Der Streitwert bestimmt die Grenzen der Beschwer, die im Falle einer Teilstattgabe den Streitwert unterschreiten, ihn aber selbst bei einer uneingeschränkten Verurteilung oder Klageabweisung nicht überschreiten kann.4 In Übereinstimmung mit dem Verhältnis von Streitwert zu Beschwer begrenzt der Wert der Beschwer seinerseits den Wert des mit einem Rechtsmittel zu verfolgenden Beschwerdegegenstandes, der – wenn der Rechtsmittelführer die ihm nachteilige Entscheidung teils hinnimmt – geringer, aber selbst bei einem unbeschränkten Rechtsmittel keinesfalls höher als die Beschwer sein kann. Mit dem Wert des Beschwerdegegenstandes i.S.d. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist darum der Wert der Beschwer gemeint, den der Rechtsmittelführer mit dem Ziel ihrer Beseitigung zur Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht stellt.5 Wenn in Abwandlung des Ausgangsfalles der Kläger vollständig unterliegt, würde sich sowohl der Streitwert als auch seine Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil auf 1.100 € belaufen. Der Kläger könnte also grds. zulässigerweise Berufung einlegen. Nimmt der Kläger in zweiter Instanz allerdings eine hälftige Haftung hin und macht nur noch einen Betrag von 550 € geltend, beläuft sich auch der Wert des Beschwerdegegenstandes nur auf 550 €, sodass die Berufung unzulässig ist. Bei dieser Fallgestaltung fangen dann die Abgrenzungsschwierigkeiten erst an. III. Berufungsantrag zum Schluss der mündlichen Verhandlung Entscheidend für die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist zunächst der Berufungsantrag. Ein die Berufungssumme unterschreitender Berufungsantrag kann noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf einen die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigenden Umfang erweitert werden. Solange diese Möglichkeit besteht, darf die Berufung deshalb nicht mit der Begründung als unzulässig verworfen werden, die Berufungssumme sei nicht erreicht.6 Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Berufung zunächst unbeschränkt eingelegt wird und erst in der später eingereichten Berufungsbegründung Anträge angekündigt werden, die hinter der Beschwer zurückbleiben oder ob die Berufung zugleich mit ihrer Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird. Auch eine bereits anfänglich beschränkte Berufung, die nach dem angekündigten Berufungsantrag die Berufungssumme

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nicht erreicht, kann dadurch zulässig werden, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf einen Umfang erweitert wird, der die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt. Denn entscheidend ist nicht, ob der Berufungskläger sein Rechtsmittel anfänglich oder nachträglich auf einen Betrag von nicht mehr als 600 € beschränkt, sondern vielmehr, ob die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wirksam auf einen Betrag von mehr als 600 € erweitert wird.7 Kündigt der Berufungskläger, der bezüglich eines Betrages von 1.100 € unterlegen ist, daher zunächst schriftsätzlich nur einen Berufungsantrag an, der auf Zahlung von 550 € gerichtet ist, kann er die an sich unzulässige Berufung grds. dadurch retten, dass er in der mündlichen Verhandlung einen Antrag stellt, bei dem ein Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 600 € erreicht wird. IV. Rechtzeitige Berufungsbegründung Dieses Vorgehen ist aber nicht uneingeschränkt möglich. Die nachträgliche Erweiterung des Berufungsantrages muss in den Grenzen der rechtzeitig eingereichten Berufungsbegründung erfolgen. Dies kann etwa im Verkehrsunfallprozess problematisch sein, wenn sich die Berufungsbegründung nur mit einer Haftung der Gegenseite von 50 % auseinandersetzt. Die Erweiterung des Berufungsantrages auf eine höhere Haftungsquote – mit der die Berufungssumme erreicht würde – wäre dann von der Berufungsbegründung nicht gedeckt. In einem vom BGH entschiedenen Rechtsstreit wurde der Schaden von der Haftpflichtversicherung zu 25 % reguliert, die auf höhere Erstattung gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. In der Berufungsbegründung wurde von der Klägerin ausgeführt, dass die ursprünglich vorgetragene Haftungsquote nicht mehr aufrechterhalten werde. Es werde aber davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Haftungsquote von 50 % die wechselseitigen Verursachungsbeiträge zu-

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Bei der Verurteilung zur Beseitigung von Eigentumsstörungen kann dennoch der Wert der Beschwer nach dem Interesse des Beklagten, sich gegen die Kosten einer Ersatzvornahme zu wehren, höher sein als der Wert des Streitgegenstandes nach dem Interesse des Klägers an der Beseitigung der Störung oder an der Unterlassung künftiger Störungen, vgl. BGH, Urt. v. 10.12.1993 - V ZR 168/92 - BGHZ 124, 313. BGH, Beschl. v. 19.03.2009 - IX ZB 152/08. BGH, Beschl. v. 27.03.2012 - VI ZB 74/11. BGH, Beschl. v. 09.11.2004 - VIII ZB 36/04. Bei der umgekehrten Fallkonstellation, dass die Berufungssumme bei Einlegung des Rechtsmittels erreicht ist, aber später reduziert wird, wird die Berufung dadurch nicht unzulässig, sofern die Verminderung der Berufungssumme nicht auf einer späteren willkürlichen Beschränkung des Rechtsmittels beruht, vgl. BGH, Urt. v. 17.07.2008 - IX ZR 126/07.

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treffend würdige, der Berufungsantrag richtete sich auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 378,93 €. Nach Hinweis des Berufungsgerichts auf die Unzulässigkeit der Berufung stellte die Klägerin dann schriftsätzlich ihren Antrag um und verlangte die Zahlung von 742,62 € von den Beklagten. Der BGH verwarf die gegen den Beschluss des Berufungsgerichts gerichtete Rechtsbeschwerde, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde. Er wies darauf hin, dass der Mangel an Begründetheit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden kann, auch wenn grds. erst auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrages zu entscheiden ist, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes die Berufungssumme erreicht. Die Berufung durfte als unzulässig verworfen werden, sobald feststeht, dass eine Erweiterung des die Berufungssumme unterschreitenden Berufungsantrages ausgeschlossen ist.8 V. Keine Berücksichtigung neuer Ansprüche beim Wert des Beschwerdegegenstandes Denkbar ist in der Abwandlung des Ausgangsfalles noch die Fallgestaltung, dass der vor dem Amtsgericht vollständig mit 1.100 € unterlegene Kläger mit der Berufung nur noch eine Haftungsquote von 50 % erreichen will und damit 550 € begehrt, rechtzeitig mit der Berufungsbegründung aber die Klage auf Nutzungsentschädigung, Wertminderung oder sonstige weitergehende Schadensersatzforderungen erweitert und begründet. Auch hier führt die Klageerweiterung nicht zur Zulässigkeit der Berufung: Vielmehr zählen bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes neue Ansprüche, die vor dem Berufungsgericht im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht werden, nicht mit.9 Die fehlende Berücksichtigung neuer Ansprüche beim Wert des Beschwerdegegenstandes ergibt sich bereits aus der oben näher dargelegten Abgrenzung zwischen dem Wert des Beschwerdegegenstandes und der Beschwer. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist schon begrifflich nach oben dahingehend begrenzt, dass der Berufungsführer durch das Urteil erster Instanz in seinem Recht verkürzt ist und die Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer begehrt, er kann nicht größer sein als der Entscheidungsgegenstand der Vorinstanz.10 Soweit der Berufungskläger neue Ansprüche geltend macht, fehlt es daran. Der Berufungskläger wäre daher in diesem Fall besser beraten, eine höhere Haftungsquote in der Berufungsinstanz zu verlangen und dies in der Berufungsbegründung auszuführen, selbst wenn er einsieht, dass er damit nicht vollständig Erfolg haben wird. Dann verbleibt dem Berufungskläger die Möglichkeit, weitergehende Ansprüche erstmals in der Berufungsinstanz in den Prozess einzuführen.

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Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Berufung ist darüber hinaus für die Berechtigung einer Klageerweiterung in zweiter Instanz allerdings die Erfüllung der Voraussetzungen des § 533 ZPO erforderlich, d.h. die Einwilligung des Gegners oder die Sachdienlichkeit der Klageerweiterung. Zudem muss die Klageerweiterung auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht ohnehin seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen hat. C. Zulässigkeit bei Parteiwechsel Vergleichbare Schwierigkeiten wie bei einer Klageerweiterung treten in der Praxis insbesondere bei einem Parteiwechsel in der Berufungsinstanz auf. Der Parteiwechsel orientiert sich an den Grundsätzen der Klageänderung (§ 533 ZPO) und setzt ebenfalls grds. eine zulässige Berufung voraus.11 Dies erfordert für den Berufungsführer, dass das mit der Klage verfolgte Ziel mindestens teilweise weiterverfolgt werden muss. Der häufigste Anwendungsfall für einen Parteiwechsel in der Berufungsinstanz dürfte sein, dass die Klage in erster Instanz mangels Aktivlegitimation des Klägers oder Passivlegitimation des Beklagten abgewiesen wurde und der unterlegene Kläger sich mit einem Austausch der nicht aktiv- bzw. passivlegitimierten Partei in die Berufung „retten“ will. I. Parteiwechsel bei fehlender Aktivlegitimation Die Zulässigkeit der Berufung setzt bei fehlender Aktivlegitimation des ursprünglichen Klägers zunächst voraus, dass der in erster Instanz unterlegene Kläger in zulässiger Weise selbst Berufung einlegt, die Berufung also auch fristgerecht begründet. Fehlt es an einer Berufungsbegründung des ursprünglichen Klägers und wird die Berufung nur vom neuen Kläger begründet, ist die Berufung unzulässig. In dieser Weise hat der BGH bei einem geltend gemachten Provisionsanspruch entschieden, der in zweiter Instanz nunmehr nicht mehr vom persönlich haftenden Gesellschafter, sondern von der Kommanditgesellschaft selbst geltend gemacht wurde. Der erstinstanzliche Kläger hatte die Berufung zwar eingelegt, aber nicht fristgerecht begründet.

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BGH, Beschl. v. 27.03.2012 - VI ZB 74/11. OLG Rostock, Beschl. v. 05.04.2004 - 7 U 136/03; Ball in: Musielak/ Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 511 Rn. 18; für die Revision BGH, Beschl. v. 19.04.2012 - IX ZB 162/10. 10 Rimmelspacher in: MünchKomm ZPO, 4. Aufl. 2012, § 511 Rn. 53. 11 BGH, Beschl. v. 07.05.2003 - XII ZB 191/02 - BGHZ 155, 21, 24; Heßler in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 511 Rn. 10a, § 533 Rn. 4.

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Die Kommanditgesellschaft als neue Klägerin war mangels Wirksamkeit des mit der Berufungsbegründung erklärten Parteiwechsels nicht in die Position des Berufungsklägers eingerückt. Die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klageabweisung wurde damit nicht in Frage gestellt, sondern ein neuer, bisher nicht geltend gemachter Anspruch – der Kommanditgesellschaft – zur Entscheidung gestellt.

haltsanspruchs durch die Rechtsinhaber nicht geändert. Es ist auch keine prozessuale Notwendigkeit ersichtlich, statt oder neben einer rechtzeitigen Berufungsbegründung der neuen Kläger eine rechtzeitige Berufungsbegründung des ursprünglichen Rechtsmittelführers zu verlangen, zumal wenn dieser mit der Erklärung des Parteiwechsels aus dem Verfahren aus gutem Grund ausgeschieden ist.13

II. Nebenintervention

IV. Parteiwechsel bei fehlender Passivlegitimation

Der BGH hat allerdings auch angedeutet, wie in dieser Fallkonstellation zulässigerweise Berufung hätte eingelegt werden können: Die Kommanditgesellschaft hätte dem Rechtsstreit zwischen dem Gesellschafter und der Beklagten gem. § 265 Abs. 2 Satz 3 ZPO als Nebenintervenientin beitreten können, da sie sich hilfsweise auch auf die Rückabtretung des eingeklagten Provisionsanspruchs berufen hatte. In diesem Fall wäre die Zustimmung der Beklagtenseite zur Übernahme durch den Rechtsnachfolger nicht – wie bei der Übernahme des Prozesses als Hauptpartei – nach § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderlich gewesen.12

Bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite in der Berufungsinstanz nach Abweisung der Klage in erster Instanz mangels Passivlegitimation kann die Zulässigkeit der Berufung – anders als bei einem Parteiwechsel auf Klägerseite – nicht ohne weiteres daran scheitern, dass der erstrebte Parteiwechsel nicht wirksam ist und es an einem Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien fehlt. Dies hat der BGH in einem Fall entschieden, in dem die Klägerin zunächst die „Deutsche Bundesbahn AG“ erstinstanzlich verklagt hatte und dann in zweiter Instanz den Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet hat. Eine bloße Berichtigung der Parteibezeichnung der Beklagten sah der BGH darin nicht. Er nahm aber an, dass das Prozessrechtsverhältnis mit der ursprünglichen Beklagten fortgesetzt wird, wenn der Parteiwechsel unwirksam ist, sofern nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin ihr Klagebegehren gegen die „Deutsche Bundesbahn AG“ in diesem Fall nicht mehr weiterverfolgen, sondern es dann bei der Abweisung der Klage in erster Instanz belassen wollte.14 Wenn sich aus dem Berufungsvorbringen hingegen (unzweifelhaft) ergibt, dass die Berufung nur gegen den neuen Beklagten geführt werden soll und die Abweisung in erster Instanz gegen den bisherigen Beklagten vom Kläger akzeptiert wird, führt dies zur Unzulässigkeit der Berufung.15

Eine entsprechende Möglichkeit besteht auch in anderen Fällen, in denen (nur) ein Nebenintervenient Berufung einlegt. Dies gilt etwa dann, wenn erstinstanzlich eine Abrechnungsgesellschaft erfolglos gegen einen Patienten auf Begleichung einer Arztrechnung aus abgetretenem Recht klagt und in zweiter Instanz der Arzt selbst dem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitritt und gleichzeitig Berufung einlegt. Diese Vorgehensweise ist zulässig, da der Nebenintervenient gem. § 66 Abs. 2 ZPO den Rechtsstreit in jeder Lage bis zur rechtskräftigen Entscheidung aufnehmen darf und dies auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels erfolgen kann. Das Rechtsmittelverhalten des Streithelfers darf dem der Partei nur nicht widersprechen, § 67 ZPO. III. Auslegung der Berufungsbegründung des neuen Klägers Eine Ausnahme, die einen Parteiwechsel auf Klägerseite ermöglicht, lässt die Rechtsprechung zudem dann zu, wenn die Berufungsbegründung des neuen Klägers zugleich auch als Berufungsbegründung des bisherigen Klägers ausgelegt werden kann. In einem familiengerichtlichen Verfahren um Kindesunterhaltsansprüche erachtete der BGH eine Berufung daher als zulässig, obwohl die Berufungsbegründung an sich durch die in erster Instanz nicht beteiligten Kläger zu 2) und 3) – die minderjährigen Kinder der Klägerin erster Instanz – erfolgt ist. Anders als im Provisionsfall nahm der BGH einen sachdienlichen Klägerwechsel an, bei dem eine Zustimmung des Gegners nicht erforderlich war. Der Streitgegenstand hat sich durch die Weiterverfolgung des Unter-

D. Fazit Insgesamt hängt die Zulässigkeit der Berufung bei Klageerweiterung bzw. Parteiwechsel in der zweiten Instanz von den Umständen des Einzelfalls ab. Grds. muss eine Berufung überhaupt zulässig sein und der Berufungsführer muss durch das erstinstanzliche Urteil gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO mit mehr als 600 € beschwert sein, auch wenn er mit der Klageerweiterung insgesamt einen höheren Betrag begehrt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist genau zu überlegen, ob das Urteil nur teilweise mit der Berufung

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BGH, Beschl. v. 21.09.1994 - VIII ZB 22/94. BGH, Beschl. v. 07.05.2003 - XII ZB 191/02 - BGHZ 155, 21, 25 f. BGH, Urt. v. 16.12.1997 - VI ZR 279/96. Vgl. LG Frankfurt, Beschl. v. 14.04.2015 - 13 S 164/14.

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angegriffen wird, da auch bei einer Klageerweiterung der in erster Instanz abgewiesene Anspruch zumindest im Umfang von mehr als 600 € weiterverfolgt und begründet werden muss. Ein insoweit zunächst nicht ausreichender Berufungsantrag kann jedenfalls noch bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entsprechend erweitert werden. Bei einem Parteiwechsel ist darauf zu achten, dass der

Streitgegenstand in der Berufungsinstanz nicht geändert wird und sich bei einem beabsichtigten Austausch des Klägers im Zweifel besser der Beitritt als Nebenintervenient anbietet, zumindest aber der bisherige Kläger die Berufung einlegt und begründet.

Das Verbraucherwiderrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen nach Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie RA Patrick Jost Der folgende Aufsatz befasst sich mit dem Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1, 1. Fall BGB. Die Vorschrift ist zum 13.06.20141 in Kraft getreten und setzt die sog. Verbraucherrechte-Richtlinie vom 25.10.20112 um. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, welche Ziele der Gesetz- und der Richtliniengeber mit dem Widerrufsrecht verfolgen und unter welchen Bedingungen dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht. A. Problemstellung Interessiert sich ein Konsument für ein Produkt, so ist er schon in der Informationsbeschaffungsphase regelmäßig geschulten Vertriebsmitarbeitern ausgesetzt, die ihm gegenüber mehrere Vorteile haben: Zum einen verfügen Vertriebsmitarbeiter in der Regel über einen Wissensvorsprung, was das angebotene Produkt betrifft, zum anderen über ein Repertoire an Verkaufsargumenten, auf das täglich bei einer Vielzahl von Kunden routiniert zurückgegriffen werden kann. Es besteht somit aus Kundensicht das Risiko, sich für ein Produkt zu entscheiden, dessen Erwerb weniger seinen eigenen als vielmehr den Bedürfnissen des Anbieters entspricht. Im Direktvertrieb haben sich mannigfaltige Methoden herausgebildet, um diese situationsbedingte Dynamik auszunutzen und den Kunden zu einem spontanen Vertragsschluss zu bewegen: Bei der sog. „Low-Ball-Taktik“3 bietet der Verkäufer dem Kunden zunächst einen Vertrag zu sehr günstigen Konditionen an, um ihn zu einer positiven Entscheidung zu bewegen. Entscheidet sich der Kunde für den Abschluss des Vertrages, wird der Verkäufer diese Entscheidung loben und weitere Argumente für den Abschluss anführen. Erst kurz vor dem eigentlichen Abschluss des Vertrages wird der Kun-

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de darauf aufmerksam gemacht, dass bestimmte – von ihm stillschweigend vorausgesetzte – Zusatzleistungen in dem günstigen Vertrag nicht enthalten, aber gegen Aufpreis zu haben sind. Nachdem der Kunde das „Ob“ des Vertragsschlusses bereits beschlossen hat, wird er sich – auch wegen der vom Verkäufer genannten sonstigen Argumente, die ihm als „Trost“ verbleiben – in einer Vielzahl von Fällen durch diese Modifikation nicht mehr von seiner Entscheidung abbringen lassen und den Aufpreis akzeptieren, auch wenn im Ergebnis kein günstiger Vertrag mehr zu Stande gekommen ist. Eine weitere Vorgehensweise, die sog. „Foot-in-the-door-Methode“4, besteht darin, dem Kunden nach Abschluss eines vergleichsweise unbedeutenden Geschäfts oder der Abgabe nicht bindender Erklärungen, wie dem Unterschreiben einer Petition oder der Teilnahme an einer Umfrage5, weitere Produkte anzubieten. Der Kunde wird dann dazu tendieren, auch diese Angebote anzunehmen.6 Nach Abschluss des Vertrages leben die zuvor unterdrückten oder verdrängten Zweifel indes nicht selten wieder auf und führen dazu, dass der Kunde das getätigte Geschäft in Frage stellt und rückgängig machen möchte.7

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„Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung“, BGBl. I 2013, 3642. RL 2011/83/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011, ABl. L 304/64 vom 22.11.2011, im Folgenden VRRL. Beschrieben in Cialdini, Influence – The psychology of persuasion, S. 99. Cialdini, Influence – The psychology of persuasion, S. 73. Vgl. bereits Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine RL des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl. C 180/39 vom 28.07.1977, S. 40. Cialdini, Influence – The psychology of persuasion, S. 73. Sog. kognitive Nachlaufdissonanz, vgl.: Holland, Direktmarketing, S. 222.

JM 3 Eine Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen, hat der Kunde zu diesem Zeitpunkt jedoch – die vertragsgemäße Leistung der anderen Partei und ein legales Zustandekommen des Vertrages unterstellt – nicht mehr. Durch bewussten Einsatz der vorgenannten Mechanismen in Situationen, in denen der Kunde nicht mit Vertragsangeboten rechnet, laufen insbesondere geschäftsunerfahrene Personen wegen des zur psychologischen Beeinflussung hinzutretenden Überraschungseffektes Gefahr, zu Vertragsschlüssen bewegt zu werden, die sie entweder nicht oder nicht so getätigt hätten, wenn der Vertrag unter gewöhnlichen Bedingungen im Ladengeschäft verhandelt und abgeschlossen worden wäre. Dieser Personenkreis ist daher besonders schutzbedürftig. B. Zweck des Widerrufsrechts I. Erwägungen des deutschen Gesetzgebers Der deutsche Gesetzgeber hat diese Problematik bereits im Jahr 19648 zum Anlass genommen, dem Kunden – zumindest im Bereich der Abzahlungskäufe – bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Rücktrittsrecht zu gewähren. Die Notwendigkeit eines Widerrufsrechts für Abzahlungsgeschäfte wurde damit begründet, dass besonders geschulte Verkäufer9 mit psychologischen Tricks operieren würden, um ihre unerfahrenen Kunden zu Verträgen zu animieren, für die sie keinen Bedarf hätten.10 Hiervon seien besonders „unbeholfene“ und „minderbemittelte“ Teile der Bevölkerung betroffen, deren effektiver Schutz nur dadurch erreicht werden könne, dass der Käufer die Möglichkeit habe, sich innerhalb einer bestimmten Frist wieder von den übereilt eingegangenen Verpflichtungen zu lösen.11 In der parlamentarischen Debatte wurde in diesem Zusammenhang u.a. die vormittags vom Vertreter angetroffene Hausfrau angeführt, die mit dem Kochen oder den kleinen Kindern beschäftigt sei und zu einem Vertragsschluss gedrängt werde.12

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den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung denjenigen in den nationalen Materialien.14 Die Richtlinie wurde mit geringfügigen Modifikationen am 20.12.198515 verabschiedet. III. Entwicklung des Haustür-Widerrufsrechts in Deutschland Bereits am 16.01.1986 wurde zur Umsetzung der Richtlinie das deutsche Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften16 erlassen, das sich inhaltlich eng an dem Entwurf des Bundesrats vom 01.10.1975 orientierte.17 Von dem Entwurf abweichend war ein Widerrufsrecht jedoch nicht schlechthin bei Vertragsschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen, sondern stattdessen in bestimmten, durch einen enumerativen Katalog umschriebenen geschäftlichen Situationen vorgesehen. § 1 HWiG blieb bis zum 12.06.2014 inhaltlich nahezu unverändert. Mit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes18 wurde die Vorschrift in § 312 BGB überführt, der bis zum 12.06.2014 ein Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften vorsah. Mit Wirkung ab dem 13.06.2014 wurden die §§ 312 ff. BGB durch das VRRL-UmsG unter dem neuen Untertitel 2 „Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen“ zusammengefasst. An die Stelle des bisherigen Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften gem. § 312 BGB trat das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1, 1. Fall BGB.19 Der bisherige enumerative Katalog der Haustürsituationen wurde durch eine Negativbestimmung20 des Anwendungsbereichs in § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB ersetzt, die der im Entwurf des Bundesrats vom 01.10.1975 für § 1 Abs. 1 HWiG vorgesehenen Fassung systematisch stark ähnelt.

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II. Tätigwerden der EWG

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Parallel zu den Bemühungen des deutschen Gesetzgebers hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 17.01.1977 den Entwurf einer Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen13 vorgelegt. Dem Vorschlag lag primär die Erwägung zu Grunde, dass Unterschiede zwischen den die Haustür-Vertragsschlüsse regelnden nationalen Rechtsvorschriften sich unmittelbar auf das Funktionieren des gemeinsamen Marktes auswirken könnten und daher anzugleichen seien. Im Übrigen entsprachen die Erwägungen der Kommission im Hinblick auf

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

AbzG-E CDU/CSU, FDP, BT-Drs. IV/1864. Vgl.: Däubler-Gmelin, Plenarprot. der 39. Sitzung des BT, S. 2155 D-2157 B, S. 2155 B. Vgl.: Elbrächter, Plenarprot. d. 118. Sitzung des BT, S. 5492 A-5493 A, S. 5492 A-5492 C. Jahn, Plenarprot. der 39. Sitzung des BT, S. 2155 A-2155 D, S. 2155 B. Reischl, Plenarprot. der 143. Sitzung des BT, S. 7427 D-7429 A, S. 7428 D. ABl. C 22/6 vom 29.01.1977; nach Auffassung des Bundesrats bereits im Jahr 1975: BR-E HWiG vom 01.10.1975, BT-Drs. 7/4078, S. 7. Vgl.: RL-Vorschlag, ABl. C 22/6 vom 29.01.1977, S. 7. RL 85/577/EWG, ABl. L 372/31 vom 31.12.1985. HWiG, BGBl. I 1986, 122. BR-E HWiG vom 15.02.1985, BT-Drs. 10/2876, S. 9-10. SMG, BGBl. I 2001, 3138. Vgl.: Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 34. Vgl.: Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, jM 2014, 222, 223; Bierekoven/Crone, MMR 2013, 687, 688; Förster, ZIP 2014, 1569, 1571.

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IV. Zielsetzung des Widerrufsrechts Die vorbeschriebene Entwicklung des Widerrufsrechts zeigt, dass die wesentlichen gesetzgeberischen Motive, die dem Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zugrunde liegen, seit nunmehr 40 Jahren dieselben sind: 1. Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung und psychischem Druck Die Aspekte des psychischen Drucks und der Überraschung werden in den europäischen und nationalen Gesetzgebungs-Materialien21 und in ErwGr. 21 VRRL nur noch knapp angesprochen. Die Erwägungen zur RL 85/577/EWG bzw. die Materialien zum HWiG sind insoweit im Wege der historischen Auslegung ergänzend heranzuziehen. Für den Verbraucher führt das Widerrufsrecht zur Einräumung einer Bedenkzeit, die er in den oben beschriebenen Situationen typischerweise nicht hat. Hierdurch wird er vor bindenden Vertragsschlüssen geschützt, die unter Ausnutzung des Überraschungseffekts und psychischen Drucks zustande gekommen sind. 2. Herstellung und Sicherung eines funktionierenden Binnenmarktes Ein hohes Verbraucherschutzniveau soll gem. ErwGr. 6 und 7 VRRL der Vertrauensbildung der Verbraucher in den Binnenmarkt dienen. Hierdurch soll die in ErwGr. 4 VRRL angesprochene Fluktuation von Waren und Dienstleistungen im europäischen Wirtschaftsraum verbessert werden. Die Vereinheitlichung der Verbraucherschutzvorschriften soll nach ErwGr. 5 wiederum den Unternehmen die grenzüberschreitende Tätigkeit erleichtern, die durch jeweils unterschiedliche Verbraucherschutz- und Informationsvorschriften eingeschränkt würde. Die VRRL schreibt in Art. 4 zur Erreichung dieser Ziele erstmals die Vollharmonisierung der Verbraucherinformationspflichten und des Widerrufsrechts in Verträgen vor, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden. Das bisherige, in der RL 85/577/EWG vorgesehene Prinzip der Mindestharmonisierung, wonach es den Mitgliedstaaten gestattet war, für die Verbraucher günstigere Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, wurde aufgegeben, wie sich aus ErwGr. 2 VRRL ergibt. C. Voraussetzungen des Widerrufsrechts gem. § 312g BGB Im Folgenden sollen die Voraussetzungen dargestellt werden, unter denen der Kunde den Schutz des Widerrufsrechts

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bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1, 1. Fall BGB genießt. I. Verbrauchervertrag i.S.v. § 312 BGB Für die Anwendbarkeit des § 312g BGB muss zunächst gem. § 312 Abs. 1 BGB die Vertragserklärung22 eines Verbrauchers vorliegen, die auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB gerichtet ist, also auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. 1. Verbraucher Verbraucher ist gemäß der Legaldefinition in § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Anders als Art. 2 Abs. 1 VRRL schließt § 13 BGB lediglich die selbständige berufliche Tätigkeit vom Verbraucherbegriff aus. Dieser weiter gefasste Verbraucherbegriff ist jedoch nach ErwGr. 13 VRRL ausdrücklich zulässig.23 Hiernach können die Mitgliedstaaten die Anwendung der VRRL auf natürliche Personen ausdehnen, die keine „Verbraucher“ im Sinne der VRRL sind. Durch das neu eingefügte Wort „überwiegend“ wird klargestellt24, dass Verbraucher auch derjenige ist, der ein Rechtsgeschäft zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken abschließt, wenn diese nicht überwiegen. Die Gesetzesbegründung zu § 13 BGB bezieht sich dabei auf ErwGr. 17 VRRL.25 Dieser handhabt den Verbraucherbegriff im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH26, wonach bei Mischverträgen nur dann von der Verbrauchereigenschaft auszugehen war, wenn der gewerbliche Zweck nebensächlich war, deutlich großzügiger27 und stellt lediglich darauf ab, dass der gewerbliche Zweck nicht überwiegt28. 21 Europäische Kommission, http://ec.europa.eu/consumers/archive/ rights/docs/COMM_PDF_COM_2008_0614_F_DE_PROPOSITION_ DE_DIRECTIVE.pdf (Abruf am 06.10.2015); Reg-E VRRL-UmsG, BTDrs. 17/12637, S. 49. 22 Der Vertrag braucht noch nicht geschlossen worden zu sein (s.u. C. II. 2. a.). 23 So auch Bittner/Clausnitzer/Föhlisch, Das neue Verbrauchervertragsrecht, Rn. 28. 24 BT-Drs. 17/13951, S. 61. 25 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 61. 26 EuGH, Urt. v. 20.01.2005 - C-464/01. 27 So auch Loacker, JZ 2013, 234, 236, der sich auch mit der bemerkenswerten Regelungstechnik per ErwGr. auseinandersetzt. 28 Vgl. auch Beck, JURA 2014, 666, 670.

JM 3 2. Unternehmer Unternehmer ist nach der Legaldefinition in § 14 BGB jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Ein Überwiegen der gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit erfordert § 14 BGB nicht. Die sich hieraus ergebende Überschneidung zwischen Verbraucher- und Unternehmerbegriff ist dadurch aufzulösen, dass § 13 BGB als lex specialis gegenüber § 14 BGB Vorrang genießt und von der Verbrauchereigenschaft auszugehen ist, solange die Grenzen des § 13 BGB nicht überschritten sind.29 3. Entgeltlichkeit i.S.v. § 312 Abs. 1 BGB Der zwischen Verbraucher und Unternehmer geschlossene Vertrag muss gem. § 312 Abs. 1 BGB eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Entgeltlichkeit ist nach natürlichem Wortverständnis dann gegeben, wenn ein Vertrag für eine Leistung der einen Partei eine finanzielle Gegenleistung der anderen Partei vorsieht.30 Diese Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB ist vor dem Hintergrund, dass die VRRL die Voraussetzung der Entgeltlichkeit nicht vorsieht, problematisch.31 Art. 3 Abs. 1 VRRL bestimmt, dass die VRRL für jegliche Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer gilt. Auch die Definitionen des Fernabsatz- und des Außergeschäftsraumvertrages in Art. 2 Nr. 7 und 8 VRRL erfassen „jeden Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher“.32 Die Gesetzesbegründung33 und mit ihr Teile der Literatur34 gehen indes davon aus, dass das Entgelterfordernis aus Art. 2 Abs. 5 und 6 VRRL abzuleiten sei. Weiter folge aus Art. 2 Abs. 5 und 6 VRRL, dass nur solche Verträge erfasst seien, bei denen der Unternehmer die Leistung erbringe und der Verbraucher das Entgelt zahle.35 Die Informationspflichten des Unternehmers seien nur in dieser Konstellation sinnvoll anzuwenden.36 Art. 2 Abs. 5 und 6 VRRL beinhaltet indes lediglich die Definitionen von Kauf- und Dienstleistungsvertrag, auf die die Richtlinie den Begriff des Außergeschäftsraumvertrages jedoch nicht beschränkt. Eine eng am Wortlaut orientierte Auslegung des Entgeltlichkeitserfordernis würde somit zu einer Reduktion des Anwendungsbereichs der nationalen Vorschriften gegenüber dem der VRRL, namentlich Art. 2 Nr. 7 und 8 VRRL führen. Um einen Verstoß des § 312 Abs. 1 BGB gegen den Vollharmonisierungsgrundsatz in Artikel 4 VRRL zu vermeiden, ist die Vorschrift richtlinienkonform weit auszulegen.37 a. Personenbezogene Daten als Entgelt Hierauf macht der Rechtsausschuss des Bundestags in seiner Beschlussempfehlung38 aufmerksam und will insbeson-

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dere auch Verträge als entgeltlich verstanden wissen, bei denen die Gegenleistung in der Überlassung von personenbezogenen Daten besteht39. Dafür spricht, dass sich personenbezogene Daten in den letzten Jahren zu einer Ersatz-40 bzw. Komplementärwährung entwickelt haben, mit der beispielsweise für die Nutzung „kostenloser“ SmartphoneApps oder sozialer Netzwerke „gezahlt“ wird.41 So trägt beispielsweise jeder Facebooknutzer circa 130 € zum Unternehmenswert bei.42 b. Erfasste Leistungsrichtung Der Auffassung der Gesetzesbegründung, wonach ein entgeltlicher Verbrauchervertrag nur vorliege, wenn sich ein Unternehmer zu einer Dienstleistung oder einer Warenlieferung an einen Verbraucher verpflichtet, ist nicht zu folgen. Auch wenn die Informationspflichten nach §§ 312d ff. BGB auf diese Konstellation nicht sinnvoll anzuwenden sind, ist es mit dem Zweck des Widerrufsrechts bei Außergeschäftsraumverträgen, das vor Überrumpelung schützen soll, nicht vereinbar, einem Verbraucher insbesondere die Widerrufsmöglichkeit beispielsweise bei einem Geschäft mit einem fahrenden Antiquitäten-, Möbel- oder Gebrauchtwagenankäufer zu versagen.43 Die Einräumung eines Widerrufsrechts in derartigen Konstellationen dürfte nach wie vor dem Willen des Richtliniengebers entsprechen. Schon vor Erlass der VRRL hat die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme zur Vor-

29 So auch Loacker, JZ 2013, 234, 237. 30 Vgl. Loewenich, WM 2015, 113, 113-114. 31 So auch Schärtl, JuS 2014, 577, 578; Stürner, JURA 2015, 30, 35; Artz/ Brinkmann/Ludwigkeit, jM 2014, 222. 32 So auch Dinges, Das Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten, S. 160. 33 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 45. 34 Loewenich, WM 2015, 113, 113-114. 35 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 45; Bittner, ZVertriebsR 2014, 3, 4. 36 Bittner, ZVertriebsR 2014, 3, 4. 37 So auch Schirmbacher in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 312 BGB Rn. 27; Grüneberg in: Palandt, BGB, § 312 Rn. 3; Stürner, JURA 2015, 30, 35. 38 BT-Drs. 17/13951, S. 58, 59. 39 BT-Drs. 17/13951, S. 72; a.A. Schirmbacher in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 312 BGB Rn. 30. 40 Brönneke/Schmidt, VuR 2014, 3, 3; Junker in: jurisPK-BGB, § 312 Rn. 20. 41 Vgl.: Brönneke/Schmidt, VuR 2014, 3, 3. 42 Sievers, Unternehmenswert pro Nutzer, www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaft-in-zahlen/unternehmenswert-pro-nutzer-in-dieserrechnung-ist-whatsaPlenarprot.-richtig-billig-12813948.html (Abruf am 06.10.2015). 43 So auch mit diesen Beispielen Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312 Rn. 4.

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lagesache „Dietzinger“44 klargestellt, Artikel 1 der damals einschlägigen RL 85/577/EWG gelte für jeden Vertrag zwischen einer natürlichen Person und einem Gewerbetreibenden, der im Rahmen seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit für gewöhnlich Verbrauchern Waren liefere oder Dienstleistungen für sie erbringe, auch wenn der fragliche Vertrag keine solche Leistung vorsehe. c. Widerrufsrecht bei Bürgschaften und sonstigen Drittsicherheiten Ausgehend vom Zweck des Widerrufsrechts ist es konsequent, mit dem EuGH in seiner vorgenannten Entscheidung zur Vorlagefrage des IX. Zivilsenats des BGH45 auch das einseitig verpflichtende Bürgschaftsversprechen, das ein Verbraucher einem Unternehmer zur Absicherung der Hauptschuld eines Dritten aus einem Verbrauchervertrag gewährt, dem Widerrufsrecht zu unterwerfen.46 Der EuGH stellte zur Begründung ebenfalls auf den Schutzzweck der damaligen RL 85/577/EWG ab, den Verbraucher in gewissen Situationen vor Überrumpelung zu schützen.47 Aus dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft und dem Wortlaut von Art. 1 der Richtlinie folgerte der EuGH weiter, dass jedoch nur Haustür-Bürgschaften eines Verbrauchers für Verbindlichkeiten aus Haustür-Verbraucherverträgen, sog. „doppelte Haustür-Situationen“,48 dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfielen.49 Dieses Ergebnis hat der BGH in seinem anschließenden Urteil50 für das Widerrufsrecht des Bürgen nach § 1 HWiG übernommen. Zur Begründung hat sich der BGH auf die Entstehungsgeschichte des § 1 HWiG51 und insbesondere die Entscheidungsgründe des EuGH52 gestützt. Das vom EuGH gefundene Ergebnis war jedoch entgegen der Auffassung des BGH wegen des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte von § 1 HWiG auf das damalige deutsche Recht nicht vollständig übertragbar: Das unabhängig von der Richtlinie entwickelte53 nationale Widerrufsrecht nach § 1 HWiG war nicht auf Warenlieferungen und Dienstleistungen beschränkt, sondern erfasste über die Richtlinie hinaus jegliche entgeltlichen Verträge, worunter auch und erst recht eine Bürgschaft fiel. Selbst wenn die Richtlinie die Bürgschaft nur in der vom EuGH genannten Situation erfasst hätte, hätte sie einer weitergehenden Auslegung von § 1 HWiG nicht entgegengestanden, da sie in Art. 8 Abs. 1 den Erlass bzw. die Beibehaltung günstigerer Vorschriften ausdrücklich zugelassen hat.54 Dieser Auffassung hat sich der XI. Zivilsenat des BGH im Jahre 200655 angeschlossen und in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung56 ausgeführt, dass § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. dem Schutz des Verbrauchers vor der Gefahr diene, bei der Anbahnung eines Vertrages in einer

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ungewöhnlichen räumlichen Situation überrumpelt und zu einem unüberlegten Geschäftsabschluss veranlasst zu werden. Diese Gefahr drohe einem Bürgen immer, wenn er sich selbst in einer so genannten Haustürsituation befinde, und bestehe unabhängig davon, ob die Hauptschuld ein Verbraucherdarlehen oder ein gewerblicher Kredit sei und ob der Hauptschuldner ebenfalls durch eine Haustürsituation zum Vertragsschluss bestimmt worden sei.57 In der Literatur wird vereinzelt die Ansicht vertreten, dass sich ein solches Widerrufsrecht nach Umsetzung der VRRL nicht mehr auf § 312 Abs. 1 BGB stützen lasse.58 Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber aufgrund der Definitionen von Kauf- und Dienstleistungsvertrag in Art. 2 Nr. 5 und 6 der VRRL davon ausgegangen ist, dass Verträge, in denen der Verbraucher Entgeltempfänger ist, von der Richtlinie nicht erfasst werden und die Bürgschaft eine Dienstleistung des Verbrauchers an den Unternehmer darstelle.59 Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass die Bürgschaft als geldwerte Leistung wirtschaftlich durchaus die Funktion eines zusätzlichen Entgelts hat, das der Bürge an den Unternehmer für eine Dienstleistung oder Lieferung an einen Dritten „zahlt“,60 und sich unter diesem Gesichtspunkt unter den Entgeltlichkeitsbegriff subsumieren lässt. Diese wirtschaftliche Betrachtung ist bei richtlinienkonformer, weiter Auslegung des Entgeltlichkeitserfordernisses geboten.61 Der VRRL ist, wie schon der Richtlinie 85/577/ EWG, nicht zu entnehmen, dass Konstellationen, in denen der Verbraucher für eine Leistung zahlt, die an einen Dritten erbracht wird, nicht erfasst sein sollen. Auch das Argument,

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EuGH, Urt. v. 17.03.1998 - C-45/96 Rn. 13. BGH, EuGH-Vorlage v. 11.01.1996 - IX ZR 56/95. EuGH, Urt. v. 17.03.1998 - C-45/96 Rn. 20. EuGH, Urt. v. 17.03.1998 - C-45/96 Rn. 19. Vgl. Brennecke, ZJS 2014, 236, 237; Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 10; Schürnbrand, WM 2014, 1157. EuGH, Urt. v. 17.03.1998 - C-45/96 Rn. 22. BGH, Urt. v. 14.05.1998 - IX ZR 56/95. BGH, EuGH-Vorlage v. 11.01.1996 - IX ZR 56/95 Rn. 11; BGH, Urt. v. 14.05.1998 - IX ZR 56/95 Rn. 11. BGH, Urt. v. 14.05.1998 - IX ZR 56/95 Rn. 9. Reinicke/Tiedtke, DB 1998, 2001, 2002; BGH, Urt. v. 10.01.2006 - XI ZR 169/05 Rn. 14. Reinicke/Tiedtke, DB 1998, 2001; Looschelders, Schuldrecht, Besonderer Teil, Rn. 963. BGH, Urt. v. 10.01.2006 - XI ZR 169/05 Rn. 13. BGH, Urt. v. 09.03.1993 - XI ZR 179/92. BGH, Urt. v. 09.03.1993 - XI ZR 179/92. Loewenich, WM 2015, 113, 114. Loewenich, WM 2015, 113, 114. So auch Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 444; vgl. auch: BGH, Urt. v. 09.03.1993 - XI ZR 179/92 Rn. 13. So auch Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, jM 2014, 222.

JM 3 der Unternehmer könne seine Informationspflichten nicht sinnvoll erfüllen,62 überzeugt in diesem Fall nicht. In der vorgenannten Konstellation ist es geboten, dass der Unternehmer den Bürgen über die Konditionen des Vertrages mit dem Hauptschuldner63 und die Bedingungen seiner Inanspruchnahme informiert. Eine entsprechende Auslegung der Informationspflichten lässt sich auf die Akzessorietät der Bürgschaft stützen, aus der sich ein mit dem Interesse des Hauptschuldners identisches Informationsbedürfnis des Bürgen ergibt. Dafür, dass § 312 Abs. 1 BGB die Bürgschaftserklärung eines Verbrauchers – und zwar unabhängig von den Bedingungen des Hauptgeschäfts – erfasst, spricht zudem die Entstehungsgeschichte der Norm, die ihren Ursprung in § 1 HWiG hat, der dem Bürgen in der Haustürsituation ein Widerrufsrecht gewährte. Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung des 11. Zivilsenats und der herrschenden Literaturmeinung64 beabsichtigt hätte, das Widerrufsrecht des bürgenden Verbrauchers einzuschränken, so wäre dies in den Gesetzgebungsmaterialien angeklungen. Da der Gesetzgeber entsprechende Erwägungen nicht angestellt hat, ist davon auszugehen, dass er auch hinsichtlich der Bürgschaft das bisherige Verbraucherschutzniveau beibehalten wollte, sofern ihm der Vollharmonisierungsgrundsatz nichts anderes vorgibt,65 so dass im Ergebnis auch nach Umsetzung der VRRL von einem Widerrufsrecht des Bürgen bei außerhalb von Geschäftsräumen abgegebenen Bürgschaftsversprechen auszugehen ist.66 II. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag gem. § 312b BGB Der entgeltliche Verbrauchervertrag muss nach § 312g Abs. 1, 1. Fall BGB außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen sein. 1. Begriff des Geschäftsraums nach § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB Geschäftsräume sind nach der wenig hilfreichen67 Legaldefinition in § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB, der Art. 9 Nr. 2 VRRL wörtlich übernimmt, unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen er seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Nach ErwGr. 22 VRRL sollen als Geschäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Öffentlich zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie

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Privatwohnungen oder Arbeitsplätze sollten nicht als Geschäftsräume gelten. ErwGr. 22 VRRL grenzt Geschäftsräume eines Unternehmers damit in erster Linie ab von Bereichen, die einer unbestimmten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, vom Arbeitsplatz und Räumen des Verbrauchers.68 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Verbraucher, der sich in der Öffentlichkeit bewegt, sich zu Hause oder an seinem Arbeitsplatz befindet, typischerweise nicht mit Vertragsangeboten von Unternehmern rechnet und daher vor unüberlegten, voreiligen Vertragsschlüssen zu schützen ist.69 Dieses Schutzbedürfnis entfällt, wenn er sich aktiv in die Geschäftssphäre des Unternehmers begibt.70 Für die Einordnung eines Raums als Gewerberaum sowohl i.S.d. VRRL als auch i.S.v. § 312b BGB kann es daher nicht auf seine bauordnungs-, gewerbe- oder mietrechtliche Klassifizierung ankommen.71 Entscheidend ist vielmehr, ob der fragliche Raum rein tatsächlich üblicherweise für Geschäftskontakte mit Kunden genutzt wird72 und dies objektiv erkennbar ist.73 Den Attributen „dauerhaft“ und „gewöhnlich“ kann folglich bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen nur eine geringe eigenständige Bedeutung zukommen.74 Dies lässt sich auch ErwGr. 22 VRRL entnehmen, wonach (unbewegliche) Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, als Geschäftsräume angesehen werden, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen nur für gewöhnlich ausübt. Hieran wird der Wille des Richtliniengebers deutlich, die Bestimmung der Tatbestandsmerkmale „dauerhaft“ und „gewöhnlich“ nicht grammatikalisch, sondern anhand von Sinn und Zweck des Widerrufsrechts bei Außergeschäftsraumverträgen vorzunehmen.75

62 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 45. 63 So Brennecke, ZJS 2014, 236, 239. 64 Statt aller Masuch in: Säcker/Rixecker, MünchKomm BGB, § 312 Rn. 30 m.w.N. 65 Vgl. BT-Drs. 17/13951, S. 58. 66 Im Ergebnis ebenfalls Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 446; Looschelders, Schuldrecht, Besonderer Teil, Rn. 963. m.w.N. 67 Vgl.: Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 2. 68 Vgl.: Junker in: jurisPK-BGB, § 312b Rn. 34. 69 Vgl.: Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 11. 70 Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 11. 71 Vgl: Brinkmann/Ludwigkeit, NJW 2014, 3270, 3271. 72 Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 28. 73 Vgl. Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 11; EuGH, Urt. v. 22.04.1999 - C-423/97 Rn. 37-38 - „Travel Vac SL“. 74 So auch Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 2. 75 So auch Wendelstein/Zander, JURA 2014, 1191, 1195.

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Eine zu enge Auslegung des Dauerhaftigkeitserfordernisses bei unbeweglichen Gewerberäumen würde überdies zu einem Wertungswiderspruch76 gegenüber den beweglichen Gewerberäumen führen. Hierzu zählen nach der Gesetzesbegründung Stände und Verkaufswagen sowie Marktstände und Stände auf Messen und Ausstellungen.77 Wenn ein Unternehmer auf einem wöchentlichen Markt mit seinem Stand nur einmalig vertreten ist, so genügt dies nach zutreffender Auffassung der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission bereits dann den Anforderungen an einen Geschäftsraum, wenn nur der fragliche Markt regelmäßig und zu festen Zeiten stattfindet.78 Der engeren Auffassung der Gesetzesbegründung, wonach Markt- und Messestände nur dann als Geschäftsräume angesehen werden, wenn der Unternehmer sein Gewerbe dort für gewöhnlich ausübt und er keine marktfremden Produkte anbietet,79 kann nicht gefolgt werden. Für die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ist es unerheblich, ob er einen Marktstand aufsucht, der nur ausnahmsweise oder ständig am Markt teilnimmt, da eine für Außergeschäftsraumverträge typische Überrumpelungssituation in beiden Fällen nicht gegeben ist. Auch wenn ein unbeweglicher Geschäftsraum nur vorübergehend – etwa einige Stunden80 – genutzt wird, begründet dies kein Schutzbedürfnis des Verbrauchers vor Überrumpelung, wenn der Geschäftsraum als solcher erkennbar ist.81 Unter den vorgenannten Bedingungen kommt auch eine Privatwohnung als Gewerberaum in Betracht.82 Der Gesetzgeber hat dies zwar unter Heranziehung von ErwGr. 22 VRRL verneint.83 Die pauschale Herausnahme von Privatwohnungen aus dem Geschäftsraumbegriff führt jedoch zu nicht vom Zweck des Widerrufsrechts gedeckten Ergebnissen.84 Wenn beispielsweise eine Künstlerin ihre Werke in einem zu diesem Zweck eingerichteten Teil ihrer Privatwohnung anbietet, ist eine Überrumpelung des Verbrauchers, der sich zum Erwerb von Kunstwerken dorthin begibt, nicht zu befürchten. ErwGr. 22 VRRL steht der Einordnung der Privatwohnung als Geschäftsraum nicht entgegen, wenn man den Begriff der Privatwohnung als ausschließlich zu Wohnzwecken genutzte Räumlichkeiten auslegt. 2. Die vier Konstellationen des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB Bei dem Geschäft zwischen Verbraucher und Unternehmer müssen schließlich die situativen Voraussetzungen des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sein. Die Vorschrift entspricht Art. 2 Nr. 8 VRRL und beinhaltet vier Konstellationen des Außergeschäftsraumvertrags.85 a. Vertragsschluss oder verbindliches Angebot des Verbrauchers nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 BGB § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB stellt den Hauptfall des Außergeschäftsraumvertrages dar, in dem der Unternehmer

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bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien außerhalb seiner Geschäftsräume einen Vertrag i.S.v. § 312 Abs. 1 BGB schließt. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB erklärt auch solche Fälle zu Außergeschäftsraumverträgen, in denen zwar noch kein Vertrag zustande gekommen ist, der Verbraucher aber bereits eine bindende Vertragserklärung abgegeben hat, wobei unerheblich ist, ob es sich hierbei um das Vertragsangebot oder die -annahme handelt.86 Ausgehend vom Schutzzweck des Widerrufsrechts kann der Verbraucher seine Vertragserklärung auch widerrufen, bevor der Unternehmer die Annahme erklärt hat.87 b. Vertragsschluss nach individuellem Ansprechen gem. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB Gibt der Verbraucher seine Vertragserklärung innerhalb von Geschäftsräumen oder per Fernkommunikationsmittel i.S.v. § 312c Abs. 2 BGB ab, liegt gleichwohl ein Außergeschäftsraumvertrag vor, wenn der Unternehmer den Verbraucher unmittelbar zuvor in der oben genannten Ausgangssituation persönlich und individuell angesprochen hat. In ErwGr. 21 VRRL wird die Einräumung eines Widerrufsrechts in dieser Konstellation damit begründet, dass der Verbraucher im unmittelbaren Anschluss an einen persönlichen Kontakt mit dem Unternehmer noch unter dem Einfluss des Überraschungseffekts und des psychischen Drucks stehen kann. Das Wort „unmittelbar“ macht deutlich, dass zwischen dem Ansprechen und der Abgabe der Vertragserklärung keine größere Zeitspanne liegen darf. Künftig dürfte jede nicht völlig unbeträchtliche zeitliche Zäsur88 zwischen Ansprechen und Vertragsschluss zum Entfallen der Unmittelbarkeit führen.

76 So für „Pop-Up-Stores“ Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 345. 77 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 49, 50. 78 Europäische Kommission, Leitfaden der GD Justiz zur VRRL, http:// ec.europa.eu/justice/consumer-marketing/files/crd_guidance_de.pdf (Abruf am 06.10.2015). 79 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 50. 80 Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 2. 81 Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 345; a.A. Brönneke/Schmidt, VuR 2014, 3, 4. 82 Maume in: Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 312b Rn. 27; a.A., ohne diese zu begründen: Junker in: jurisPK-BGB, § 312b Rn. 35; Grüneberg in: Palandt, BGB, § 312b Rn. 4; Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 5. 83 Reg-E VRRL-UmsG, BT-Drs. 17/12637, S. 50. 84 Brinkmann/Ludwigkeit, NJW 2014, 3270, 3271. 85 Vgl. Förster, JA 2014, 721, 727. 86 Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 6. 87 Hönninger in: jurisPK-BGB, § 355 Rn. 9. 88 Schon bei einer Zeitspanne von mehr als wenigen Minuten SchulteNölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 7.

JM 3 Durch die Nennung von Fernkommunikationsmitteln in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB entsteht eine Überschneidung mit dem Fernabsatzvertrag gem. § 312c Abs. 1 BGB, wenn der Unternehmer den Verbraucher individuell persönlich anspricht, die Vertragsverhandlungen sowie der Vertragsschluss jedoch unmittelbar darauf per Fernkommunikationsmittel erfolgen.89 Dies wirft die Frage auf, ob auf einen so zustande gekommenen Vertrag die Vorschriften über den Fernabsatz- oder den Außergeschäftsraumvertrag Anwendung finden. Nach allgemeiner Meinung soll in Fällen konkurrierender Verbraucherschutzvorschriften die für den Verbraucher günstigere Norm den Vorrang genießen.90 c. Die Ausflugsituation, § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB Mit § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB wird eine Schutzlücke geschlossen, die sich ergäbe, wenn ein Unternehmer Verbraucher über einen von ihm oder mit seiner Hilfe organisierten Ausflug dazu bewegt, mit ihm innerhalb von Geschäftsräumen zu kontrahieren. Hierunter fallen typischerweise die sog. „Kaffeefahrten“, bei denen Verbraucher durch die gelöste Stimmung einerseits und den durch die Reisegruppe erzeugten sozialen Druck andererseits einem erhöhten Risiko übereilter Vertragsschlüsse ausgesetzt sind.91 D. Fazit Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist kein neues Konzept, sondern ein bewährtes Verbraucherschutzinstrument zur Sicherung der Funktion des Verbrauchers als Marktteilnehmer, das seine Ursprünge im nationalen Recht Deutschlands und anderer Mitgliedstaaten hat92 und sich seit über 40 Jahren fortentwickelt. Nach wie vor werden durch das Widerrufsrecht Verbraucher vor übereilten und nachteiligen Vertragsschlüssen geschützt, zu denen sie sich infolge überraschender Vertragsangebote und psychischem Druck von einem Unternehmer haben bewegen lassen. Die Auslegung der §§ 312, 312b, 312g BGB und der VRRL muss sich an diesem Zweck orientieren. Unklarheiten und mögliche Wertungswidersprüche sind durch teleologische und historische Auslegung zu korrigieren.

89 Vgl. Wendelstein/Zander, JURA 2014, 1191, 1198. 90 Grüneberg in: Palandt, BGB, § 312b Rn. 5; Wendelstein/Zander, JURA 2014, 1191, 1198. 91 So auch Schulte-Nölke in: Schulze, HK-BGB, § 312b Rn. 8. 92 Reischl, Plenarprot. der 143. Sitzung des BT, S. 7427 D-7429 A, S. 7428 C-7428 D.

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Gummibärchen gegen Lindt-Teddy BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Prof. Dr. Hannes Ludyga A. Problemstellung Der für das Marken- und Wettbewerbsrecht zuständige 1. Zivilsenat des BGH entschied mit Urteil vom 23.09.2015 die umstrittene Frage, ob der traditionsreiche Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli aus der Schweiz eine in Goldfolie eingewickelte, sitzende Schokoladefigur, der eine rote Schleife um den Hals gewickelt ist (Lindt-Teddy), vertreiben darf. Gegen diesen Vertrieb richtet sich die Klage des Süßwarenkonzerns Haribo-Holding GmbH & Co. KG. gegen Lindt & Sprüngli. Haribo vertreibt seit der Weimarer Zeit Gummibärchen (Fruchtgummis), bezeichnet diese seit Mitte der 1960er Jahre als Goldbären und ist Inhaberin der eingetragenen Wortmarken „Goldbären“, „Goldbär“ sowie „Goldteddy“. Sie behauptet eine Verletzung ihrer Marken und eine unlautere Nachahmung ihrer Gummibärchen durch Lindt & Sprüngli. Konkret wendet sich Haribo gegen „die Ausgestaltung der von den Beklagten verwendeten Bärenfiguren“ und behauptet, die Figur LindtTeddy „sei die bildliche Darstellung des Wortes „Goldbär“.1 Haribo fordert von Lindt & Sprüngli eine Unterlassung des Verkaufs des Lindt-Teddys, verlangt Auskunft, eine Vernichtung der Lindt-Teddys und macht eine Schadensersatzfeststellung geltend. Der Streit zwischen den Konzernen ging durch alle Instanzen. Vor dem LG Köln war die Klage von Haribo erfolgreich, vor dem OLG Köln erfolgte eine Klageabweisung, der BGH wies die Revision von Haribo gegen das Berufungsurteil des OLG Köln in den zentralen Punkten zurück.2 Wohl primär wegen der prominenten Prozessparteien und der beinahe jedermann bekannten Gummibärchen fand die Entscheidung des BGH eine Resonanz auch außerhalb der juristischen Fachpresse. Das Handelsblatt stellte nach dem BGH-Urteil fest: „Das Duell Haribo gegen Lindt ist entschieden. Der Punkt geht an den SchokoladenTeddy der Schweizer.“3 In juristischer Hinsicht geht es im Kern um die Frage, ob der Lindt-Teddy von Lindt & Sprüngli als dreidimensionale Produktgestaltung eine Wortmarke – die „Goldbären“ von Haribo – verletzt. Erstmals entschied der BGH eine derartige Fallkonstellation.4

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BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 4. Christoph Rieken, Lindt-Teddy ist kein Goldbär, GRUR-Prax 2015, 458. http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/haribo-scheitert-vor-dem-bgh-lindt-gewinnt-den-baerenstreit/12357112.html. (abgerufen am 16.11.2015). Rieken, GRUR-Prax 2015, 458.

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B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Relevant für die Entscheidung des BGH ist in markenrechtlicher Hinsicht § 14 Abs. 2 Nr. 2, 3 MarkenG und aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive § 4 Nr. 9 und 10 UWG. Gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist es Dritten untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, einschließlich der Gefahr, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird. § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG untersagt es Dritten ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die denen ähnlich sind, für die die Marke Schutz genießt, wenn es sich bei der Marke um eine im Inland bekannte Marke handelt und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. In erster Linie stützt der BGH seine Klageabweisung auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG in Abgrenzung zu § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG unterbleibt, was in methodischer Hinsicht angreifbar ist. Nähere Ausführungen dazu wären wünschenswert gewesen. Der BGH erkennt an, dass sich eine „Zeichenähnlichkeit“ bei einer Wortmarke und einer dreidimensionalen Gestaltung „weder in klanglicher noch bildlicher Hinsicht, sondern allein aus einer Ähnlichkeit im Bedeutungsinhalt ergeben“ kann.5 Er stellt zu Recht fest, dass eine „rechtsverletzende Benutzung der angegriffenen Gestaltungen i.S.v. § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG wegen fehlender Zeichenähnlichkeit“ nicht vorliegt6 und eine „Verwechslungsgefahr“ nicht besteht7. Der BGH betont, dass kein „dem Markenrecht fremder Motivschutz gewährt“ werden darf.8 Ansonsten – so der BGH – „bestünde die Gefahr, dass über eine Zeichenähnlichkeit im Sinngehalt einer Wortmarke eine weitgehende Monopolisierung von Warengestaltungen erfolgt, wie sie mit einer Bildmarke oder dreidimensionalen Warenformmarke, in der eine bestimmte Ausgestaltung festgelegt ist, nicht zu erreichen ist“.9 Klar in der Diktion erklärt der BGH, dass der „etwaige Einfluss von Form und Farbe“ die „Benennung als „Goldbären“ „nicht als naheliegend erscheinen“ lässt, da die „Bärenform gleichermaßen als „Teddy“, „Schokoladen-Bär“ oder „Schokoladen-Teddy“ bezeichnet werden kann“10. Praxisnah ist die Feststellung des BGH, wonach „die bloße Möglichkeit, dass die Gestaltung mit dem Markenwort benannt wird“, für „die Annahme begrifflicher

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Zeichenähnlichkeit nicht“ ausreicht.11 Diese Argumente des BGH sind stichhaltig und in markenrechtlicher Hinsicht nachvollziehbar. Die „einander gegenüberstehenden Zeichen“ von Haribo und Lindt & Sprüngli unterscheiden sich deutlich. Eine Markenrechtsverletzung kommt nicht in Betracht.12 Im Übrigen verwehrt der BGH unter Berufung auf § 4 Nr. 10 UWG Haribo, sich auf die Wortmarke „Goldteddy“ zu berufen. Unlauter handelt gem. § 4 Nr. 10 UWG derjenige, der Mitbewerber gezielt behindert. Eine gezielte Behinderung von Lindt & Sprüngli durch Haribo im Sinne einer „Beeinträchtigung der wettbewerbsrechtlichen Entfaltungsmöglichkeiten“13 nimmt der BGH zu Recht an, da Haribo die Marke „Goldteddy“, „ohne den entsprechenden Begriff in der Vergangenheit“ für seine „Produkte benutzt zu haben, erst angemeldet habe“, nachdem Lindt & Sprüngli Haribo „über die beabsichtigte Verwendung des Begriffs „Teddy“ informiert“ hatte.14 II. Einen auf die §§ 5 Abs. 2, 4 Nr. 9 UWG gestützten wettbewerbsrechtlichen Anspruch von Haribo verneint der BGH. Gem. § 4 Nr. 9 UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt, die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat. Ausgehend vom „Grundsatz der Nachahmungsfreiheit“15 stellt der BGH treffend fest, „die angegriffenen Produktausstattungen“ von Lindt & Sprüngli seien den Produkten von Haribo nicht „so ähnlich“, dass „sie sich in ihnen wiedererkennen lassen“. Die von § 4 Nr. 9 UWG „vorausgesetzte Nachahmung“ fehlt.16 C. Auswirkungen für die Praxis Die Auswirkungen des Rechtsstreits zwischen Haribo und Lindt & Sprüngli dürften, auch wenn derartige Prognosen immer schwierig sind, gering sein. Es ging um einen äußerst ungewöhnlichen Einzelfall. 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 34. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 31. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 59. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 35. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 35. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 38. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 42. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 51. Ohly/Sosnitza, 6. Auflage, § 4 Rn. 10.8. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 63. Ohly/Sosnitza, UWG, 6. Aufl., § 4 Rn. 9.2. BGH, Urt. v. 23.09.2015 - I ZR 105/14 Rn. 88.

JM 3 Transport von Kindern zu Sportveranstaltungen – zur Abgrenzung von rechtsgeschäftlichem Schuldverhältnis und bloßer Gefälligkeit BGH, Urt. v. 23.07.2015 - III ZR 346/14 RiAG Dr. Lars Niesler A. Problemstellung Der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 23.07.2015 darüber zu befinden, ob Familienangehörigen minderjähriger Kinder Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag gegen den Sportverein zustehen, wenn sie auf dem Weg zu einer Sportveranstaltung verunglücken. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Die Enkelin der Klägerin spielte in der Mädchen-Fußballmannschaft des beklagten Vereins. Die Mannschaft nahm an einer auswärtigen Hallenkreismeisterschaft teil. Die Klägerin, die ihre Enkelin zu dieser Veranstaltung bringen wollte, erlitt auf der Fahrt einen Unfall und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Die Sportversicherung des beklagten Vereins lehnte Ansprüche der Klägerin ab, weil nach den Versicherungsbedingungen nur Vereinsmitglieder und „offiziell eingesetzte“ Helfer Versicherungsschutz genössen. Zu diesem Personenkreis gehörte die Klägerin aber nicht. Die Klägerin nahm daraufhin den Sportverein auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte in Bezug auf den Ersatz des materiellen Schadens Erfolg;1 das OLG Celle hat einen Anspruch der Klägerin aus § 670 BGB analog bejaht. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das klageabweisende Urteil wiederhergestellt. II. Der BGH hat einen Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB analog vereint, weil es sich bei der Fahrt der Klägerin um eine bloße außerrechtliche Gefälligkeit gehandelt habe. In einem ersten Schritt hat der BGH die Abgrenzung für den Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis nach dem Rechtsbindungswillen vorgenommen. Es sei darauf abzustellen, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstelle. Wenn erkennbar sei, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stünden und er sich auf die

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Leistungszusage verlasse oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse habe, sei eine vertragliche Bindung anzunehmen. Folglich fehlt nach dem BGH ein Bindungswille beim so genannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind. In einem zweiten Schritt überträgt der BGH diese Rechtsprechung auf den Bereich gesetzlicher Schuldverhältnisse. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen müsse im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse zwischen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB und der (außerrechtlichen) Gefälligkeit ohne Auftrag unterschieden werden. Die Abgrenzung sei unter Berücksichtigung u.a. der Art der Tätigkeit, ihrem Grund und Zweck, ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung für den Geschäftsherrn, der Umstände, unter denen sie erbracht werde, und der dabei entstehenden Interessenlage der Parteien vorzunehmen. Dabei könne es dahinstehen, ob diese Wertungen im Rahmen des normativen Verständnisses des Begriffs des „Geschäfts“ i.S.d. § 677 BGB oder im Rahmen des „Geschäftsübernahmewillens“ zu berücksichtigen seien. Für den konkret zu entscheidenden Fall bedeutete dies, dass eine bloße Gefälligkeit der Klägerin gegenüber ihrer Enkelin oder deren sorgeberechtigten Eltern anzunehmen sei. Die Klägerin habe ihre Enkelin fahren wollen, um dieser die Teilnahme am Sportturnier zu ermöglichen. Wenngleich der „Bringdienst“ auch im Interesse der Mannschaft und damit des beklagten Vereins gelegen habe, so sei er doch Sache der Eltern oder anderer Angehöriger gewesen. Nach dem Vortrag der Klägerin seien die Kinder immer privat und ohne Gegenleistung seitens des Vereins gefahren worden; auch habe man den Transport innerhalb der Familie oder der übrigen Vereinsmitglieder organisiert. Daher könne der Transport nicht als auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestalteten Schuldverhältnisses erbracht angesehen werden. Solange keine gegenteiligen Absprachen getroffen würden, scheiden nach dem BGH Aufwendungsersatzansprüche aus. Auch aus dem weiteren Vortrag der Klägerin, sie sei von der Trainerin der Mannschaft gebeten worden, ihre Enkelin zu fahren, ergebe sich nichts anderes. Ebenfalls hat der BGH das Argument der Klägerin, der beklagte Verein hätte die Klägerin vor Antritt der Fahrt darauf hinweisen müssen, dass insoweit kein Versicherungsschutz bestehe, nicht gelten lassen.

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OLG Celle, Urt. v. 16.10.2014 - 5 U 16/14.

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C. Kontext der Entscheidung Der BGH knüpft in seiner Entscheidung an seine ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis im Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse an. Ausgehend von dem Rechtsbindungs- oder Rechtsfolgewillen2, der aber nicht subjektiv, sondern objektiv vom Empfängerhorizont zu bestimmen ist, grenzt der BGH den rechtlichen vom außerrechtlichen Bereich ab. Neues gibt es hier insoweit nicht. Diese Abgrenzung überträgt der BGH nunmehr – und soweit ersichtlich erstmals – auf den Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse und hier konkret auf die Geschäftsführung ohne Auftrag. In bemerkenswerter Art und Weise lässt der BGH die Frage offen, ob die Wertungen, die über das Vorliegen des gesetzlichen Schuldverhältnisses der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Nichtschuldverhältnisses der „Geschäftsführung aus Gefälligkeit“ bestimmen, im Rahmen eines normativen Verständnisses des Begriffs des „Geschäfts“ i.S.d. § 677 BGB3 oder im Rahmen des „Geschäftsübernahmewillens“4 berücksichtigt werden. Einer Entscheidung bedarf es aus seiner Sicht auch nicht. D. Auswirkungen auf die Praxis und Bewertung I. Die Entscheidung ist aus Sicht der Praxis jedenfalls im Ergebnis zu begrüßen und ist insoweit auch auf Zustimmung gestoßen.5 Der BGH wirkt mit diesem Urteil der immer weiter um sich greifenden Verrechtlichung des alltäglichen Lebens entgegen. Für Sportvereine ist dies durchweg positiv zu sehen. Würde die Haftung der Vereine erweitert, wären sie gehalten, den Versicherungsschutz – wenn überhaupt möglich – zu erweitern. Dies würde eine erhöhte finanzielle Belastung der Sportvereine nach sich ziehen. Die Entscheidung steht auch der oftmals geforderten „Stärkung des Ehrenamts“ nicht entgegen. Die Sportversicherung des beklagten Vereins sichert gerade solche „offiziellen Vertreter“ ab. Einer Absicherung weiterer Personenkreise bedarf es nicht. Insoweit obliegt es jedem Teilnehmer am Straßenverkehr, selbst hinreichende Vorsorge zu treffen. II. Demgegenüber ist die Entscheidung in der Begründung nicht gänzlich zufriedenstellend, da der BGH offenlässt, ob der Anspruch am Merkmal des Geschäfts oder am Fremdgeschäftsführungswillen scheitert. Betrachtet man den Fremdgeschäftsführungswillen genauso wie den Rechtsbindungswillen normativ, kann eine Abgrenzung dahinstehen.6 Dies dürfte sich aber nicht mit der herrschenden Meinung zur Ermittlung des Fremdgeschäftsführungswillens vereinbaren lassen, dem ein empirisch naturalistisches Verständnis zugrunde liegt. Hiernach entscheidet letztlich der reale Wille des Geschäftsführers.7 Deswegen wird der Wille, ein fremdes Geschäft zu führen, nur dann als beacht-

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lich angesehen, wenn er in irgendeiner Form nach außen in Erscheinung tritt.8 In der Praxis führt dies zu erheblichen Schwierigkeiten, weil sich dieser Wille nicht immer ermitteln lässt, jedenfalls aber in vielen Fällen zweifelhaft bleibt, ob er hinreichend nach außen in Erscheinung getreten ist. Den damit verbundenen Schwierigkeiten begegnet die Rechtsprechung, indem sie beim objektiv fremden und beim sog. auch fremden Geschäft den Fremdgeschäftsführungswillen vermutet oder an diesen nur minimale Anforderungen stellt.9 Hierdurch eröffnet sie sich einen Beurteilungsspielraum, demjenigen die Kosten und Nutzen der Tätigkeit zuzuweisen, welcher sie letztlich tragen soll.10 Auch im vorliegenden Fall gelingt es nicht überzeugend, den Willen der Klägerin zu erschließen. Hierzu fehlen Feststellungen im Sachverhalt. Der BGH hält sich mit der Frage nach dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen auch gar nicht auf. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Transport der Kinder immer im Familien- oder Freundeskreis organisiert worden sei, nach dem BGH entscheidend dagegen, ein Schuldverhältnis anzunehmen, zumal eine andere Person gefahren wäre, wenn die Klägerin verhindert gewesen wäre. Dies ist aber eine reine Wertung, die nicht einmal die Kriterien bemüht, welche für die Abgrenzung von Gefälligkeitsverhältnis und vertraglichem Schuldverhältnis entwickelt worden sind. Dessen ungeachtet ist die Entscheidung deshalb richtig, weil die Angehörigen minderjähriger Kinder sich nicht „für den Amateursportverein“ ins Auto setzen, sondern „für die eigenen Kinder“; die Interessen des Sportvereins sind nur reflexartig betroffen.11

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C. Armbrüster in: Erman, BGB, 14. Aufl., § 145 Rn. 3. Bergmann in: Staudinger, BGB, 15. Aufl., Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 111; so auch Dornis in: Erman, 14. Aufl., § 677 Rn. 3. 4 Sprau in: Palandt, BGB, 74. Aufl., Einf. v. § 677 Rn. 2; Gehrlein in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 677 Rn. 1. 5 Geisler, jurisPR-BGHZivilR 15/2015 Anm. 3; Singbartl/Zintl, NJW 2015, 2881, 2882. 6 Bergmann in: Staudinger, BGB, 15. Aufl., Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 111. 7 Gursky, AcP 185 [1985] 13, 27 f.; 28 ff. 8 BGH, Urt. v. 02.04.1998 - III ZR 251/96 - BGHZ 138, 281. 9 BGH, Urt. v. 17.11.2011 - III ZR 53/11 - BGHZ 191, 325; BGH, Urt. v. 27.05.2009 - III ZR 302/07; BGH, Urt. v. 26.02.2005 - VIII ZR 66/04. 10 Bergmann in: Staudinger, BGB, 15. Aufl., Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 168. 11 Singbartl/Zintl, NJW 2015, 2881, 2882.

JM 3 Die Urteilsausfertigung – von der Regel zur Ausnahme LG Wuppertal, Beschl. v. 04.12.2015 - 8 S 80/15 VPräsLG Holger Radke A. Problemstellung Wer sich mit dem „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ näher befasst, der prägt sich die Jahreszahlen 2018, 2020 und 2022 als Etappen auf dem Weg zum flächendeckenden und insbesondere für Rechtsanwälte obligatorischen elektronischen Rechtsverkehr rasch ein. Bisweilen wird aber übersehen, dass praxisrelevante Regelungen aus diesem Gesetz bereits in Kraft getreten sind. Dies gilt etwa für die Neufassung des § 317 ZPO, der die Urteilszustellung und -ausfertigung regelt und mit seinem jetzigen Wortlaut seit dem 01.07.2014 gilt. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Beim LG Wuppertal ging am 19.10.2015 ein Berufungsschriftsatz gegen ein amtsgerichtliches Urteil ein, das am 19.08.2015 verkündet und dem Berufungsführer am 21.08.2015 in Form einer beglaubigten Abschrift zugestellt worden war. Die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO war bei Einlegung des Rechtsmittels somit abgelaufen – allerdings nur, wenn die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils wirksam erfolgt war. Dies hat der Berufungsführer

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unter Hinweis darauf, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils geeignet sei, die Rechtsmittelfrist in Lauf zu setzen, bestritten. Das Landgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung konnte die Kammer auf den aktuellen Wortlaut des § 317 Abs. 1 ZPO verweisen, wonach die Urteile den Parteien „in Abschrift zugestellt“ werden. Zwar habe der BGH im Jahr 2010 entschieden, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung die Berufungsfrist nach § 517 ZPO in Lauf setzen könne.1 In der damals gültigen Fassung der Norm habe aber der Zusatz „in Abschrift“ gefehlt, der Beschluss des BGH sei daher im Lichte der Neufassung überholt. C. Auswirkungen für die Praxis Der Boden für den elektronischen Rechtsverkehr wird schrittweise bereitet. Beglaubigte Abschriften können gem. § 169 Abs. 4 ZPO auch elektronisch zugestellt werden, während die Ausfertigung keine Entsprechung in der elektronischen Welt findet. Als weiteres Beispiel einer Neuregelung sei auf das zentrale Schutzschriftenregister hingewiesen (§ 945a ZPO), das am 01.01.2016 seinen Betrieb aufgenommen hat und von Rechtsanwälten ab dem 01.01.2017 genutzt werden muss (§ 49c BRAO).

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BGH, Beschl. v. 09.06.2010 - XII ZB 132/09 - BGHZ 186, 22-28, Rn. 11.

Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Sonderwege im bezahlten Fußball? (Teil 1) VRiBAG a.D. Klaus Bepler A. Einleitung Wer Sonderwege sucht, trifft, wenn er sie im Arbeitsrecht angeht, auf in der Regel unüberwindliche Sperren. Und das grds. zu Recht! Das Arbeitsrecht versteht sich als ein Rechtsgebiet, das sich als Schutzrecht für auf vertraglicher Grundlage in bestimmter Weise strukturell unterlegene, abhängige Beschäftigte versteht. Seine Schutzwirkung wird verwässert, seinen Schutzgesetzen viel von ihrer Verhalten steuernden Wirkung und ihrer Prägekraft genommen, was das Rechtsgefühl der Rechtsunterworfenen angeht, wenn in relevantem Umfang die Bildung von Kleingruppen

abhängig Beschäftigter zugelassen wird, für die einzelne Schutzregeln nicht gelten sollen. Es ist zwar zuzugeben, dass eine vergleichbare Wirkung auch einzutreten droht, wenn in merkbarem Umfang Personengruppen, wie etwa Profifußballer des FC Bayern München oder Chefärzte in der Herzchirurgie, für die solcher Schutz nicht zu passen scheint, arbeitsrechtliche Schutzgesetze in Anspruch nehmen.1 Aber spätestens nach dem Versuch, solche besonde-

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So schon Fischer, FA 2003, 136, 138.

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ren Personengruppen trennscharf zu beschreiben und die Schutzgesetze zu benennen, die hier unanwendbar bleiben sollten, kehrt man zur grds. umfassenden Geltung des Arbeitsrechts für alle nach herkömmlichem Verständnis abhängig Beschäftigten zurück.2 Hierfür spricht im Übrigen auch, dass das Arbeitsrecht an vielen Stellen unbestimmte Rechtsbegriffe und Bewertungsspielräume enthält, die, stößt man auf atypische Fallgestaltungen, erst einmal nach Sinn und Zweck ausgelotet werden müssen, bevor man nach einem Sonderrecht ruft. Von einem solchen Vorverständnis ausgehend sollen im Folgenden einige aktuelle Fragen erörtert werden, die im Überschneidungsbereich von Arbeitsrecht und Fußballsport angesiedelt sind. B. Die Befristungspraxis im Lizenzspielerbereich I. Der aktuelle Konflikt Googelt man den 1978 geborenen Fußball-Torhüter Heinz Müller, kann man eines sofort feststellen: Der Mann hat schon einiges in seinem Fußballerleben kennengelernt. Es hatte ihn vom Bornheimer Hang des Frankfurter FußballSportvereins (FSV) über Bad Homburg, Hannover, Bielefeld, St. Pauli und Regensburg, die norwegischen Erstligaklubs Old Greenland und Lillestrom SK sowie den englischen Zweitligaklub FC Barnsley in der Saison 2009/2010 zurück zu einem anderen Fußballsportverein, dem FSV Mainz 05, geführt. Gleichwohl hat er vermutlich nicht damit gerechnet, dass er als eine Art nationaler Jean-Marc Bosman3 in die Geschichte des deutschen Sportarbeitsrechts eingehen könnte: Heinz Müller hatte von Mainz 05 im Juni 2009 einen auf drei Jahre befristeten Arbeitsvertrag erhalten, der im Mai 2012 für die Zeit bis zum 30.06.2014 verlängert wurde. Sollte er in der bis an den vertraglichen Endtermin heranreichenden Spielzeit auf 23 Mindesteinsätze kommen, sollte ihm wie auch dem Verein eine Option auf eine Vertragsverlängerung für ein weiteres Jahr zustehen. Am elften Spieltag der Spielzeit 2013/2014 – bis dahin war er nur bei einem Spiel der Bundesligaelf krankheitsbedingt nicht eingesetzt worden – kam es zu einer im Einzelnen streitigen Auseinandersetzung mit dem damaligen Cheftrainer von Mainz 05. Danach erhielt er keine Einsätze mehr in der Bundesligamannschaft. Ab dem 17. Spieltag, dem letzten der Hinrunde, wurde er dem Trainings- und Spielbetrieb der in der Regionalliga spielenden 2. Mannschaft zugewiesen. Einen neuen Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 01.07.2014 erhielt er nicht. Er klagte vor dem ArbG Mainz unter dem Gesichtspunkt der treuwidrigen Verhinderung des Bedingungseintritts durch den Verein auf Zahlung von Punktprä-

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mien für die Rückrunde i.H.v. 261.000 € sowie – im Wege der Klageerweiterung – auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum 30.06.2014 beendet worden sei; zumindest müsse er – aufgrund Bedingungsvereitlung – so behandelt werden, als sei der Vertrag bis zum 30.06.2015 verlängert worden. Das Arbeitsgericht wies seine Zahlungsklage zwar durch Urteil vom 19.03.2015 ab; Heinz Müller habe nicht bewiesen, dass der Verein den Eintritt der Bedingungen für die verfolgten Zahlungsansprüche treuwidrig vereitelt habe. Zur Überraschung vieler stellte das Arbeitsgericht aber fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund Ablaufs der vereinbarten Frist geendet habe. Der Arbeitsvertrag aus Mai 2012 gelte als auf unbestimmte Zeit geschlossen; auf den insoweit gestellten Hilfsantrag komme es nicht an.4 Zu Recht geht das Arbeitsgericht mit keinem Satz auf die früher gelegentlich breiter erörterte Frage ein, ob es sich bei einem Lizenzfußballer um einen Arbeitnehmer handelt, der deshalb auch dem Teilzeit- und Befristungsgesetz unterfällt. Hierzu ist schon alles gesagt.5 Die höchstrichterliche Rechtsprechung problematisiert diese Frage seit Längerem nicht mehr, wenn sie es denn überhaupt mit derartigen Rechtsverhältnissen zu tun hat. Sie qualifiziert sie dann ohne Weiteres als Arbeitsverhältnisse.6 Das Arbeitsgericht setzt seine Prüfung, ob für die Befristung des zweiten Arbeitsvertrages der erforderliche Sachgrund

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Näher zu einem solchen Versuch und den sich hier ergebenden Problemen Bepler, Profifußball und Arbeitsrecht, in: Fütterer/Pötters/ Stiebert/Traut (Hrsg.), Arbeitsrecht – für wen und wofür?, 2015, S. 11, 21 ff. Auch der 1. Deutsche Arbeitsrechtstag, den die Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Arbeitsrecht im DAV am 23.01.2014 durchführte, und der auch dieses Thema, literarisch vorbereitet durch Bauer/von Medem (NZA 2013, 1233) und Bayreuther (NZA 2013, 1238), zum Gegenstand hatte, kam letztlich zu diesem Ergebnis. Zu der für die berufliche Freizügigkeit innerhalb der (heute) EU weit über den Profisport hinaus bedeutsamen Entscheidung der EuGH v. 15.12.1995 in Sachen „Bosman“ - C-415/93 - Slg. 1995, I-4921 = NJW 1996, 505 = NZA 1996, 191 = AP BGB § 611 Nr. 12 (Singer) = SAE 1998, 209 (Junker); Besprechung z.B. v. Hobe/Tietje, JuS 1996, 486. ArbG Mainz, Urt. v. 19.03.2015 - 3 Ca 1197/14 - NZA 2015, 684; Besprechungen des Urteils u.a. Katzer/Frodl, NZA 2015, 657; UrbanCrell, DB 2015, 1413; Mosch, NJW-Spezial, 2015, 2015; Heink/Hemmeter, SpuRt 2015, 192; Boemke/Jäger, jurisPR-ArbR 31/2015, Anm. 4. Grundlegend etwa Preis, Der Lizenzspieler im Berufsfußball, 1992, S. 27 ff.; Rybak, Das Rechtsverhältnis zwischen dem Lizenzfußballer und seinem Verein, 1999, S. 49 ff.; aus jüngster Zeit etwa Bepler, Profifußball und Arbeitsrecht, in: Fütterer/Pötters/Stiebert/Traut (Hrsg.), Arbeitsrecht – für wen und wofür?, 2015, S. 11, 17 f. Z.B. BAG, Urt. v. 17.01.1979 - 5 AZR 498/77 - NJW 1980, 473; BAG, Urt. v. 08.12.1998 - 9 AZR 623/97 - NZA 1999, 989; BAG, Urt. v. 19.01.2000 - 5 AZR 637/98 - BAGE 93, 212 = NZA 2000, 771.

JM 3 vorliege, mit einer zusammenfassenden Darstellung der Rechtsprechung des EuGH zur RL 99/70/EG zur Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge an. Es entnimmt ihr zu Recht, dass befristete Arbeitsverhältnisse als Ausnahme von der regelmäßig anzustrebenden Beschäftigung in Arbeitsverhältnissen auf unbestimmte Zeit nur auf der Grundlage konkreter Umstände wirksam abgeschlossen werden dürften, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang die Verwendung aufeinanderfolgender befristete Arbeitsverträge rechtfertigen können.7 Es überrascht allerdings, dass das Arbeitsgericht es als vom Gerichtshof zugrunde gelegten Sinn der Rahmenvereinbarung ausmacht, die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten zu verhindern, ohne hierbei zu stocken oder darauf noch einmal substanziell zurückzukommen. Die hierauf aufbauende Prüfung der Sachgründe der Nr. 6 (Gründe in der Person des Arbeitnehmers) und 4 (Eigenart der Arbeitsleistung) des § 14 TzBfG bleibt aus der Sicht des Vereins erfolglos: Weder das Alter des Spielers sei ein tragfähiger Sachgrund noch gehe die Befristung auf dessen Wunsch zurück. Es spreche alles dagegen, dass er sich für einen befristeten Vertrag entschieden hätte, hätte er auch die Möglichkeit gehabt, den letzten Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit abzuschließen. Nach einer ausführlichen Prüfung des Sachgrundes der Eigenart der Arbeitsleistung kommt das Arbeitsgericht auch insoweit zu einem Negativattest: Das bestehende Interesse des Vereins an einer überschaubaren, kürzeren Vertragsdauer habe kein derartiges Gewicht, dass es die Befristung sachlich rechtfertigen könne. Entgegen einiger anderslautender Literaturmeinungen und den Grundaussagen eines Urteils des LArbG Nürnberg8 sieht das Arbeitsgericht weder in der altersbedingten Ungewissheit der Leistungsentwicklung des Spielers einen Sachgrund – hier geht es sogar von einem Fall unerlaubter Altersdiskriminierung aus – noch in der Branchenüblichkeit der Befristung im Lizenzspielerbereich noch im Abwechslungsbedürfnis des Publikums oder der typischen Höhe der Spielervergütungen. Auch die – zudem abdingbare – Unkündbarkeit der Spielerverträge während der Vertragslaufzeit wiege für die Spieler den Bestandschutzverlust an dessen Ende nicht auf. II. Nicht geeignete und geeignete Sachgründe Das ArbG Mainz konnte sich nicht auf eine unmittelbar einschlägige Entscheidung des BAG stützen und hatte jedenfalls im Ergebnis auch eine starke Literaturmeinung9 sowie das relativ aktuelle Urteil des LArbG Nürnberg10 gegen sich. Gleichwohl ist die Reaktion der überraschten Fachöffentlichkeit auf das Urteil eher zwiespältig bis positiv ausgefallen. Man macht sich allerdings wohl durchgängig

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Sorgen um die Zukunft des Bundesligafußballs. Jedenfalls wird dem FSV Mainz 05 für die am 17.02.2016 anstehende Berufungsverhandlung und etwaige weitere Wege nach Erfurt und Luxemburg nicht nur Mut gemacht.11 1. Es spricht einiges dafür, dass Wolf-Dietrich Walker recht hat, der bei einem Vortrag in Hamburg auch zu dem Mainzer Urteil Stellung genommen und ausgeführt hat: „… streng genommen rechtfertigt keine der Ausnahmeklauseln im Gesetz die allseits üblichen Befristungen im Profisport.“12 Dies gilt zumindest dann, wenn man die bereits kurz angesprochenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte jeweils gesondert betrachtet. Das Arbeitsgericht geht zu Recht davon aus, die Befristung könne nicht unter dem Gesichtspunkt „auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers“ (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG) gerechtfertigt werden. Hätte der regelmäßig fachkundig beratene Spieler vor Vertragsschluss die Wahl gehabt, ob er sich für ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit oder ein befristetes Arbeitsverhältnis entscheidet, hätte er die erste Alternative gewählt. Dafür spricht schon, dass er damit nur an Bestandsschutz gewinnt, ohne durch eine Beschrän-

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Unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 23.04.2009 - C-378/07 - „Angelidaki u.a.“ - Rn. 96 - AP RL 99/70/EG § 5 Nr. 4. 8 LArbG Nürnberg, Urt. v. 28.03.2006 - 7 Sa 405/05 - SpuRt 2010, 33; kritisch hierzu auch Bepler, Profifußball und Arbeitsrecht, in: Fütterer/Pötters/Stiebert/Traut (Hrsg.), Arbeitsrecht – für wen und wofür?, 2015, S. 11, 28 ff. 9 Z.B. Bayreuther in: BeckOK ArbR, § 14 TzBfG Rn. 51, naturgemäß nachlassende Leistungsfähigkeit, also Verschleißtatbestand; Gräfl in: Arnold/Gräfl, TzBfG, § 14 Rn. 145; D. Hesse in: MünchKomm BGB, Band 4, § 14 TzBfG Rn. 46 für Spitzensportler, als Akteure in der Unterhaltungsbranche qualifiziert; Lipke in: KR TzBfG, § 14 Rn. 209, analog zum künstlerischen Bereich im Hinblick auf das Interesse des Trainer an einer seinen Vorstellungen entsprechenden Zusammensetzung des Spielerkaders; Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, 3. Aufl., § 14 Rn. 90, Flexibilitätsinteresse von Spieler und Verein; wohl auch Mestwert in: HaKo KSchR, § 14 TzBfG Rn. 110; unentschieden Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 298, der am ehesten eine Rechtfertigung mit der zu Saisonbeginn herkömmlich stattfindenden Spielerfluktuation und der erforderlichen Neuzusammenstellung der Spielerkader für möglich hält; ähnlich Sievers, TzBfG, § 14 Rn. 189 f.; unentschieden auch Schlachter in: Laux/Schlachter, TzBfG, § 14 Rn. 60; allgemein gegen eine Befristungsmöglichkeit bei Berufsfußballern demgegenüber Däubler in: Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 80. 10 LArbG Nürnberg, Urt. v. 28.03.2006 - 7 Sa 405/05 - SpuRt 2010, 33. 11 So etwa Boemke/Jäger, JurisPR-ArbR 31/2015, Anm. 4 („vertretbar, teilweise überzeugend“); ähnlich Heink/Hemmeter, SpuRt 2015, 192; Urban-Crell, DB 2015, 1413; die Sorgen um den Berufsfußball betont Spielberger, Editorial zu NZA 9/2015; kritischer Mosch, NJW-Spezial 2015, 370; im Ergebnis ablehnend Katzer/Frodl, NZA 2015, 657, die auch die Sorgen der Deutschen Fußball Liga (DFL) deutlich machen. 12 Laut FAZ v. 25.11.2015.

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kung der eigenen Möglichkeiten an Flexibilität zu verlieren. Deshalb ist auch der Hinweis verfehlt,13 die Befristung der Spielerverträge liege zumindest im Interesse der Spieler an eigener Bewegungsfreiheit innerhalb des attraktiven, auch internationalen Arbeitsmarktes für Lizenzfußballer. Deren Bewegungsfreiheit ist regelmäßig im befristeten Arbeitsverhältnis geringer als im Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit. Dies gilt selbst dann, wenn man einbezieht, dass die Vereine im Hinblick auf die von ihnen regelmäßig mit der Spielerverpflichtung eingegangenen Investitionen ein berechtigtes Interesse daran haben, den Spieler für eine bestimmte Vertragslaufzeit zu verpflichten, ohne dass für ihn die Möglichkeit besteht, sich durch ohne Weiteres wirksame ordentliche Kündigung aus dem Lizenzspielerverhältnis zu lösen.14 Diesem berechtigten Interesse ließe sich auch Rechnung tragen, indem man in einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsvertrag für die ersten Jahre dessen ordentliche Unkündbarkeit vereinbarte. In diesem Fall bliebe dem Arbeitnehmer nach Ablauf des Kündigungsverbotes die Flexibilität, an der er im Zweifel interessiert ist, ohne die Sicherheit des fortbestehenden kündigungsgeschützten Arbeitsverhältnisses zu verlieren. Auch der Versuch, die für Bühnenkünstler entwickelten Gedanken15 auf Lizenzfußballer zu übertragen und daraus einen Sachgrund für Vertragsbefristungen zu entwickeln, muss scheitern. Demgegenüber wird schon zu Recht darauf hingewiesen,16 dass die erleichterten Befristungsmöglichkeiten im Bühnenbereich auch deshalb bestehen, weil dem veranstaltenden Arbeitgeber die grundrechtlich geschützte Kunstfreiheit zur Seite steht. Zudem ist ein Abwechslungsbedürfnis des Publikums, das schon dort nicht allein trägt,17 im Berufsfußball in aller Regel nicht auf einzelne Spieler, sondern auf die Mannschaft und deren Erfolg bezogen. Hierfür wird aber grds. – zu Recht oder zu Unrecht – der Trainer als Schöpfer der Mannschaft und ihrer Spielweise verantwortlich gemacht. Man könnte so möglicherweise einen Sachgrund für die Befristung von Trainerverträgen im Berufsfußball herleiten,18 nicht aber für die von Lizenzfußballern. Auch kann der Verantwortung des Intendanten für das künstlerische Konzept einer Spielzeit, die er nach seinem persönlichen Kunstverständnis gestaltet und wofür er eine dementsprechend in befristeten Arbeitsverhältnissen zusammengestellte Gruppe von Solisten benötigt, nicht die Verantwortung des Trainers für ein Spielkonzept und die für dessen Umsetzung benötigten Spieler gleichgestellt werden. Von der hier fehlenden verfassungsrechtlichen Absicherung der Interessen abgesehen ist auch nicht erkennbar, warum das Bestandsschutzinteresse der Lizenzspieler als Arbeitnehmer des Vereins hinter dem Gestaltungsinteresse des vom Verein angestellten Trainers zurückzustehen hat. Man kann es auch als Aufgabe des Vereins ansehen, für die

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mit ihm vertraglich verbundenen Spieler einen Trainer mit einem darauf passenden Spielkonzept zu verpflichten oder dem verpflichteten Trainer die Entwicklung eines passenden Spielkonzepts zu übertragen. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung, eine auf die jeweilige Spielzeit bezogene Befristung lasse sich am ehesten damit rechtfertigen, dass zur neuen Spielzeit typischerweise eine erhebliche Fluktuation stattfinde und Mannschaften neu zusammenzustellen seien.19 Zum einen gibt es in aller Regel keine Befristungsvereinbarungen mit Lizenzfußballern, die auf eine Spielzeit begrenzt sind. Dem dürfte die Verhandlungsmacht der Spieler und ihrer Berater entgegenstehen. Zum anderen nähert sich diese Erwägung einer petitio principii: Es kommt deshalb vielfach zur Neuzusammenstellung einer Profimannschaft vor Beginn einer neuen Spielzeit, weil zu diesem Zeitpunkt schon heute zahlreiche – jeweils für mehrere Jahre – befristete Spielerverträge auslaufen. Schließlich reicht zur Befristungsrechtfertigung auch der vielfach angesprochene Verschleißtatbestand nicht aus, demzufolge eine Befristung sachlich gerechtfertigt sei, weil bei Vertragsschluss im Lizenzspielerbereich nicht abzusehen sei, wie sich die Leistungsfähigkeit der Spieler entwickle bzw. wie lang die Leistungsfähigkeit eines eingestellten älteren Spielers noch den Anforderungen genüge.20 Bei der letztgenannten Spielergruppe kommt es nicht einmal darauf an, auf den zumindest in Betracht kommenden Verstoß gegen das Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters

13 So Katzer/Frodl, NZA 2015, 657, 660. 14 Dem steht nicht einmal das auf vereinsrechtlicher Grundlage geschaffene Transfersystem gewichtig entgegen. Vereinswechsel sind hiernach jeweils zum Ende des Spieljahres bis zum 31.08. und vom 01. bis 31.01. eines Kalenderjahres möglich (Katzer/Frodl, NZA 2015, 657, 658). 15 BAG, Urt. v. 21.05.1981 - 2 AZR 1117/78 - AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 15; BAG, Urt. v. 26.08.1998 - 7 AZR 293/97 - NZA 1999, 442; Lipke in: KR TzBfG, 9. Aufl., § 14 Rn. 176 ff.; Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 182 ff. 16 ArbG Mainz, Urt. v. 19.03.2015 - 3 Ca 1197/14 - NZA 2015, 684, 686; Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 298. 17 BAG, Urt. v. 21.05.1981 - 2 AZR 1117/78 - AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 15; Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 190. 18 So etwa Beathalter in: Bepler (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten, Herbert Fenn zum 65. Geburtstag, S. 37, 46 ff.; Fenn, JZ 2000, 347; strenger Dieterich, NZA 2000, 862. 19 Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 298. 20 Zuletzt etwa Katzer/Frodl, NZA 2015, 657, 660.

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zu verweisen. Körperliche – und geistige – Leistungsfähigkeit ist vermutlich in jedem Arbeitsverhältnis Voraussetzung für eine angemessene Vertragserfüllung. Sie ist hier wie dort in der tatsächlichen Entwicklung ungewiss; eine Ungewissheit, die sich mit fortschreitendem Alter steigern mag. Warum es bei einem Normalarbeitsverhältnis vor Eintritt des Rentenalters einer im Einzelfall nachzuweisenden negativen Entwicklung bedarf, die eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen muss, damit das Arbeitsverhältnis beendet werden kann, bei Lizenzfußballern aber eine Vertragsbeendigung ohne jede Einzelfallkontrolle allein aufgrund einer rechtswirksamen Vertragsbefristung möglich sein soll, ist nicht erkennbar.21 Der Umstand, dass die angesprochene – gerichtlich bekanntlich nicht ohne Weiteres durchsetzbare – Kündigungsmöglichkeit für den Befristungszeitraum aufgrund von § 15 Abs. 3 TzBfG in aller Regel ausgeschlossen ist, gleicht das Schutzdefizit im Übrigen nicht aus.

Transfererlöse, wenn der Spieler entgegen den vertraglich übernommenen Verpflichtungen vorzeitig zu einem anderen Verein wechseln will. Würde diesem Interesse nur in der Form Rechnung getragen, dass die erste Zeit eines an sich auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses ordentlich unkündbar gestellt würde, würde dies zu einer erheblichen Absenkung der bisher üblichen Vergütungen führen. Denn in einem solchen Fall müsste der Verein voraussehbar auf längere Zeit an Spieler, von denen er glaubt, er könne sie auf Dauer nicht mehr sinnvoll einsetzen, zumindest die Grundvergütung weiterzahlen. Erste Folge einer entsprechenden Rechtsprechungsentwicklung wäre es wahrscheinlich, dass bei der Vertragsgestaltung das Verhältnis zwischen Grundgehalt und Einsatzprämien erheblich zulasten des Grundgehaltes verschlechtert würde. Dies würde die ohnehin im Berufssport angelegte Gefahr der gesundheitsschädlichen körperlichen Selbstausbeutung noch weiter verstärken.

2. Gleichwohl sollte die Befristung des Arbeitsvertrages eines Lizenzfußballers in einem Fall wie dem in Mainz erstinstanzlich entschiedenen gerichtlich gehalten werden. Dafür müsste die Rechtsprechung zwar einen umfassenderen Blickwinkel wählen, als er derzeit in der Literatur üblich ist. Damit wäre aber wohl nicht nur eine vernünftige, sondern auch dogmatisch zu rechtfertigende Entscheidung verbunden.22

Dass Arbeitnehmer, die der Verein nicht mehr einsetzen will, in jedem Fall noch längere Zeit weiter bezahlt werden müssten, liegt daran, dass das allgemeine Arbeitsrecht für den berufsmäßigen Leistungssport in einer Mannschaftssportart kein den beiderseitigen Interessen angemessenes Bestandsschutzrecht zur Verfügung stellt. Gerade wenn er berufsmäßig betrieben wird, ist Mannschaftssport in besonderer Weise auf durch Konkurrenzanreize besonders zu fördernde Leistungsoptimierung angelegt. Er verlangt typischerweise auch im Interesse des Publikums und sei-

Eine Gesamtbetrachtung des Rechtsverhältnisses eines typischen Lizenzfußballers ergibt, dass hier ein den beteiligten Interessen angemessenes, sozial akzeptables23 Arbeitsverhältnis besteht, innerhalb dessen die hier üblichen Befristungsabreden grds. sachlich gerechtfertigt sind. Dabei kann unentschieden bleiben, ob man den hiernach festzustellenden Sachgrund der „Eigenart der Arbeitsleistung“ (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG) zuordnet oder einen weiteren Sachgrund neben dem nicht abschließenden Katalog des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 8 TzBfG annimmt, der den dort zum Ausdruck kommenden Wertungsmaßstäben entspricht und den aufgeführten Sachgründen nach ihrem Gewicht gleichwertig ist.24 Innerhalb einer derartigen Gesamtbetrachtung sind zahlreiche tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte bedeutsam. a. Aufseiten der Sportvereine und ihrer Trägerunternehmen spielen die hohen Investitionen in neu verpflichtete Spieler eine wesentliche Rolle. Deren Refinanzierung setzt voraus, dass die Spieler für einen bestimmten längeren Zeitraum das mit dem Verein eingegangene Arbeitsverhältnis nicht ordentlich kündigen können. Entweder kann in dieser Zeit die Leistungsfähigkeit des Spielers umfassend und den zur Finanzierung erforderlichen Publikumszuspruch fördernd verwertet werden oder der Verein erzielt zumindest

21 Es ist auch zweifelhaft, ob dieser Sachgrund bei Vertragsschluss tatsächlich eine Rolle spielt: Als der Kläger des Mainzer Rechtsstreits seinen ersten, auf drei Jahre befristeten Arbeitsvertrag erhielt, war er 31 Jahre alt, bei der Vertragsverlängerung um weitere zwei Jahre war er knapp 34 Jahre alt. Der Stürmer, um dessen Vertrag es vor dem LArbG Nürnberg (LArbG Nürnberg, Urt. v. 28.03.2006 - 7 Sa 405/05 - SpuRt 2010, 33) ging, war bei Vertragsschluss 30 Jahre alt und hatte einen Vertrag für vier Jahre erhalten. Der Eintritt einer relevanten Leistungsminderung ist im Übrigen gerade bei Torhütern höchst ungewiss: Dino Zoff wurde 40-jährig mit der italienischen Nationalmannschaft Weltmeister. Gabor Kiraly, der am 01.04.2016 40 Jahre alt wird, spielt noch heute für einen ungarischen Erstligaclub und die ungarische Nationalmannschaft. Er hatte im Dezember 2013 beim Zweitligisten TSV 1860 München einen Zweijahresvertrag erhalten, der nicht aus Gründen fehlender Leistungsfähigkeit, sondern aus disziplinarischen Gründen vorzeitig endete. 22 Walker scheint allerdings Letzteres laut FAZ v. 25.11.2015 nicht für möglich zu halten. 23 Zumindest im Verhältnis zwischen Verein und Lizenzspieler; die soziale Akzeptierbarkeit im gesamtgesellschaftlichen Kontext kann man zwar diskutierten; angesichts der gegebenen Umstände ist eine solche Diskussion aber müßig. 24 Dazu BAG, Urt. v. 09.12.2009 - 7 AZR 399/08 - NZA 2010, 495; Lipke in: KR TzBfG, 9. Aufl., § 14 Rn. 38; Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 81.

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ner vom Publikumsinteresse abhängigen Finanzierbarkeit einen anderen Leistungsmaßstab als das allgemeine Arbeitsleben, wo Leistungen mittlerer Art und Güte grds. ausreichen und auch für den Bestandsschutz maßgebend sind. Im berufsmäßig betriebenen Leistungssport passen weder die allgemeinen Maßstäbe der sozialen Rechtfertigung einer arbeitgeberseitigen Kündigung aus personenbedingten Gründen noch die für eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Bei der personenbedingten Kündigung wäre kaum je vor Eintritt einer wesentlichen körperlichen Dauerbeeinträchtigung davon auszugehen, dass der Spieler die Fähigkeit und Eignung nicht mehr besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung – ganz oder teilweise – zu erbringen,25 es sei denn, man wählte hier einen sportspezifischen, auf die betreffende Spielklasse bezogenen allgemeinen Leistungsmaßstab (welchen?) und überließe insoweit regelmäßig die Sachentscheidung externen Sachverständigen wie etwa Bundesligatrainern im Ruhestand. Ginge es im Zuge einer Verkleinerung eines übergroßen Spielerkaders, den ein Verein nicht mehr finanzieren kann, um betriebsbedingte Kündigungen, würde spätestens im Zusammenhang mit der Anwendung der Regeln über die soziale Auswahl die im Sport vorgegebene „Art der Arbeitsleistung“ ein Vorgehen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht gerade naheliegen. Schon die allgemeine Feststellung der miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer wäre außerordentlich schwierig. Selbst wenn man hier einen Weg fände, würde eine Auswahlentscheidung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung der miteinander vergleichbaren Lizenzfußballer nicht der von allen Teilnehmern zugrunde gelegten „Art der Arbeitsleistung“ entsprechen. Ein Rückgriff auf die Leistungsträgerklausel des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG würde kaum je zu einer sportadäquaten Korrektur der Auswahlentscheidung führen. Arbeitsrichterinnen und -richtern wäre wohl nicht zu vermitteln, warum z.B. der FC Bayern München nur mit Robert Lewandowski und nicht mit Mario Mandzukic funktionieren kann.26 b. Zur Bestimmung des für einen Lizenzspieler erforderlichen Schutzumfangs durch den Bestandsschutz des Befristungskontrollrechts, der im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs des „sachlichen Grundes“ Rechnung zu tragen ist, ist zunächst darauf zu verweisen, dass Lizenzfußballer, die in der deutschen Bundesliga spielen, Teil eines für sie wegen seiner Internationalität besonders günstigen Arbeitsmarktes sind.27 Wer in einer deutschen Bundesligamannschaft gespielt hat, findet mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Anschlussbeschäftigung in einer anderen europäischen oder außereuropäischen Fußballliga. Eine solche Möglichkeit, die keine besonderen Sprachkenntnisse voraussetzt, können Lizenzfußballer auch wegen des Alters,

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in dem für sie möglicherweise ein Wechsel ins Ausland ansteht oder erforderlich wird, typischerweise sehr viel leichter nutzen als „normale“ Arbeitnehmer. Eine entscheidende Rolle für die Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses von Lizenzfußballern spielt die typischerweise außergewöhnliche Höhe von deren Vergütung. Sie soll sich in der 1. Bundesliga durchschnittlich auf 1,5 Mio. € belaufen.28 Eine derartige Vergütung würde für die Besoldung aller Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des BVerfG ohne Weiteres ausreichen. Sie wird tendenziell auch durch den Mainzer Arbeitsrechtskonflikt bestätigt. Der Torhüter Heinz Müller hat für die Spiele ab dem 17. Spieltag, also im Wesentlichen für die Rückrunde 2013/2014, die einem halben Beschäftigungsjahr entspricht, Einsatzprämien i.H.v. 261.000 € als treuwidrig vereitelte Vergütung in Anspruch genommen. Gegenüber dem Hinweis auf die Höhe der typischen Vergütung von Lizenzfußballern wird nur im Grundsatz zu Recht darauf hingewiesen, dass der Bestandsschutz durch Befristungsrecht ebenso wie durch Endigungsschutzrecht nicht abgekauft werden kann. Eine derartige Feststellung ist zwar vonseiten der Arbeitsrichterinnen und -richter, die regelmäßig mehr als einhundert Mal jährlich mehr oder weniger intensiv an dem Zustandekommen von Abfindungsvergleichen mitwirken, zumindest nicht von vornherein überzeugend. Man kann demgegenüber aber letztlich zu Recht auf die besondere gerichtliche Situation hinweisen, in der der Arbeitnehmer im geschützten Raum des Gerichts relativ frei entscheiden kann, ob er sein Arbeitsverhältnis fortsetzt oder gegen eine Geldzahlung beendet. Mit diesem Einwand wird aber zugleich auch eine Besonderheit der hier behandelten Arbeitsverhältnisse deutlich, die eine entsprechende Bewertung des Verhältnisses von arbeitsvertraglich versprochener Vergütung und Vereinbarung einer nur befristeten Beschäftigung rechtfertigen kann: Schon die Höhe der typischen Vergütungen von Lizenzfußballern, aber auch die näheren Umstände der Vertragsverhandlungen unter Beteiligung hoch spezialisierter Spielerberater, wie sie öffentlich kommuniziert werden, indizieren eine mit § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG vergleichbare Freiheit der Lizenzspieler beim Abschluss befristeter Arbeitsverträge. Es spricht deshalb einiges dafür, für Lizenzspieler ebenso wie für Fußballtrainer in einer von vornherein „im Paket“ mit vereinbarten außergewöhnlich hohen Vergütung eine Art

25 Z.B. BAG, Urt. v. 18.01.2007 - 2 AZR 731/05 - NZA 2007, 680. 26 Immerhin eine – vage – Möglichkeit, die dauernden Alleingänge von Bayern München zu verhindern. 27 Einzelheiten bei Katzer/Frodl, NZA 2015, 657. 28 Katzer/Frodl, NZA 2015, 657, 658.

JM 3 die Bestandsschutzeinbuße in etwa kompensierende Prekariatsprämie zu sehen, welche den Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse entsprechend dem Sinn und Zweck von § 14 TzBfG und der Befristungsrichtlinie 99/70/EG eröffnen kann.29 Dabei ist zusätzlich der zumindest vorübergehende Schutz der körperlich hoch beanspruchten Lizenzspieler vor personenbedingten Kündigungen für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen und – dies in besonderem Umfange – die Branchenüblichkeit befristeter Arbeitsverhältnisse im Lizenzspielerbereich. Wenn es um diesen Gesichtspunkt geht, wird stets betont, es handele sich hier nur um eine Indiztatsache von regelmäßig geringem Gewicht. Dies ist richtig, wenn es darum geht, im Normalarbeitsverhältnis – oder gar bei Arbeitsverhältnissen sozial schwächerer Arbeitnehmer – entstandene Üblichkeiten zu berücksichtigen. Die Vereinbarung von Vergütungen, die sich als Lohnwucher darstellen oder gesetzliche Gebote aus dem Mindestlohngesetz oder spezialgesetzlicher Regelungen30 unterschreiten, sind auch dann unwirksam, wenn sie sich in der betreffenden Branche eingebürgert haben.31 Dies gilt auch dann, wenn die Festlegungen wie bei Arbeitsverhältnissen Schwächerer nicht von den Betroffenen selbst angegriffen werden. Hier muss dann anders reagiert werden. Entweder müssen hierfür geeignete Stellen aus übergegangenem Recht vorgehen (§ 115 SGB X)32 oder der Gesetzgeber sorgt mit einem Kontroll- und Bestrafungssystem für rechtskonformes Verhalten (§§ 14 ff. MiLoG). Branchenüblichkeit muss aber dann eine andere, sehr viel größere Bedeutung haben, wenn sie in einem Teil des Arbeitslebens entstanden ist, in dem durch eine untypische Verteilung der Durchsetzungsmacht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und eine durchgängige fachliche Betreuung der Arbeitnehmer sichergestellt ist, dass sie nicht entstanden, sondern auf breiter Front angegriffen worden wäre, wenn sie nicht von allen Beteiligten als interessenan-

29 Für Trainer im Spitzensport Däubler in: Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 80; Maschmann in: Annuß/Thüsing, TzBfG, § 14 Rn. 46; ablehnend Backhaus in: Ascheid/ Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 298. Horst/Persch (RdA 2006, 166, 170) lehnen zwar eine Befristungsmöglichkeit für Sporttrainer ab. Sie plädieren aber statt dessen für eine Möglichkeit analog § 9 KSchG mit deutlich abgesenkten Voraussetzungen. 30 Hierzu BAG, Urt. v. 19.08.2015 - 5 AZR 500/14. 31 Immerhin können solche Üblichkeiten aber offenbar den Gesetzgeber bei entsprechender Lobbyarbeit veranlassen, einen aus wohl erwogenen sozialen Gründen eingeschlagenen Pfad zu verlassen: § 24 Abs. 2 MiLoG. 32 Vgl. ArbG Eberswalde, Urt. v. 10.09.2013 - 2 Ca 428/13 - LAGE BGB 2002 § 138 Nr. 6.

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gemessen angesehen würden.33 Die Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und 8 TzBfG können in einem solchen Fall unterstützend herangezogen werden. c. Nimmt man hinzu, dass der Schutz des § 14 TzBfG und der Befristungsrichtlinie 99/70/EG vorrangig den grds. strukturell schwächeren Arbeitnehmern dient, ergibt die vorstehende Zusammenschau, dass die Vertragsbefristung im Lizenzspielerbereich sachlich gerechtfertigt ist, wenn sie für einen größeren Zeitraum von mindestens zwei Jahren vereinbart wurde und von der Vereinbarung einer ganz außergewöhnlich hohen Vergütung begleitet ist. [Der Beitrag wird in jM 4/2016 fortgesetzt]

33 Es erscheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass der Angriff gegen die Befristung auch im Fall Heinz Müller erst im Wege der Klageerweiterung, vermutlich um die Verhandlungsposition für den geltend gemachten Zahlungsanspruch zu verbessern, rechtshängig wurde.

Arbeitszeugnisse im Zeitalter des PCs – tempora mutantur LArbG Franfurkt, Beschl. v. 21.10.2014 - 12 Ta 375/14 Marie Herberger* A. Problemstellung Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 GewO hat ein Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Besonders in Fällen nicht einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt dieser Anspruch ein beliebtes Kampffeld dar. Da die Vorgaben zur Gestaltung eines Arbeitszeugnisses in § 109 GewO sehr knapp ausfallen, hat sich eine umfassende Rechtsprechung zu diesem Thema entwickelt. Dementsprechend gibt es zahlreiche Praxis-Handbücher mit Tipps, worauf bei der Erstellung eines Zeugnisses zu achten ist.2 Die Gerichte haben sich nicht nur zum Inhalt von Arbeitszeugnissen geäußert, sondern auch zur äußeren Form. Zwischen beiden As-

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Die Autorin promoviert bei Prof. Dr. Markus Würdinger am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht sowie Zivilprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zum Beispiel Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, 21. Aufl. 2015; Schulz/ Jarvers/Gerauer, Alles über Arbeitszeugnisse, 9. Aufl. 2015; Weuster/ Scheer, Arbeitszeugnisse in Textbausteinen, 13. Aufl. 2015.

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pekten besteht ein Zusammenhang, denn die äußere Form des Zeugnisses darf nicht als Distanzierung vom Inhalt des Zeugnisses verstanden werden. Der vorliegende Fall gibt Anlass, zwei formelle Aspekte von Arbeitszeugnissen zu betrachten. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Arbeitgeber und Arbeitnehmerin hatten am 26.02.2014 einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Arbeitgeber u.a. verpflichtete, der Arbeitnehmerin ein qualifiziertes Zeugnis auszustellen. Die Arbeitnehmerin hatte dem Arbeitgeber am 19.03.2014 einen Zeugnisentwurf übersandt. Daraufhin fertigte der Arbeitgeber mehrere Zeugnisse an (Mai, Juli, September). Mit Beschluss des ArbG Darmstadt vom 26.05.2014 wurde der Arbeitgeber durch Verhängung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, dazu angehalten, die in dem Vergleich eingegangene Verpflichtung zu erfüllen (§ 888 Abs. 1 ZPO). Der Arbeitgeber wendet sich mit der sofortigen Beschwerde (§ 793 ZPO) vor dem LArbG Franfurkt gegen diesen Beschluss. Da das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen hatte, war das Landesarbeitsgericht zur Entscheidung berufen (§ 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Arbeitnehmerin ist der Ansicht, dass die vom Arbeitgeber erstellten Zeugnisse nicht den gesetzlichen Anforderungen an ein Zeugnis entsprächen und daher nicht zur Erfüllung (§ 362 BGB) führten.3 Die Arbeitnehmerin kritisiert zunächst, dass das Adressfeld ausgefüllt sei. Dies lasse erkennen, dass das Zeugnis erst nach einem Streit postalisch versendet wurde. Das Landesarbeitsgericht schließt sich diesem Einwand an. Dieser versteckte Hinweis auf einen vorangegangenen Streit könne die Fortkommenschancen der Arbeitnehmerin beeinträchtigen.4 Weiterhin wendet sich die Arbeitnehmerin gegen diverse Schreibfehler. Das Zeugnis vom Juli enthalte fünf Schreibfehler in der Form, dass mitten im Satz Adjektive oder Verben willkürlich groß geschrieben worden seien. Das Zeugnis vom September enthalte weitere Rechtschreibfehler, wie z.B. „Zahlungseingänge und Ausgänge“ statt „Zahlungseingänge und -ausgänge“. Zu diesem Punkt stellt das Landesarbeitsgericht fest, dass „im Zeitalter des mit Rechtschreibkontrolle ausgestatteten PC […] auch ein Anspruch auf ein von Schreibfehlern freies Zeugnis [bestehe]“.5 Die Schreibfehler könnten nun nicht mehr als Ausdruck einer Rechtschreibschwäche des Ausstellers gedeutet werden, sondern legten die Vermutung nahe, dass sich der Arbeitgeber vom Inhalt des Zeugnisses durch Einfügen von Fehlern habe distanzieren wollen.

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C. Bewertung I. Die Frage des Adressfeldes Der Schluss des Landesarbeitsgerichts von der Versendung des Arbeitszeugnisses auf einen vorangegangenen Streit ist nicht zwingend. Es kann unterschiedliche Gründe dafür geben, dass ein Arbeitszeugnis dem Arbeitnehmer postalisch zugesendet wird. Sicherlich kann ein vorangegangener Streit eine Ursache sein. Es ist aber auch denkbar, dass der Arbeitnehmer seinen Wunsch nach einem Zeugnis erst kurzfristig geäußert hat, sodass das Zeugnis bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht fertiggestellt werden konnte. Wenn der Arbeitnehmer dann bereits einen neuen Arbeitsplatz in einer anderen Stadt gefunden hat, sprechen Praktikabilitätserwägungen für eine Versendung des Zeugnisses. Außerdem setzt sich das Landesarbeitsgericht mit seiner Auffassung zum Adressfeld möglicherweise in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BAG.6 Das BAG hat 1999 nämlich entschieden, dass allein das Übersenden eines Zeugnisses nicht auf einen vorausgehenden Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen lasse. In diesem Zusammenhang hat sich das BAG aber nicht mit der Frage beschäftigt, ob das Adressfeld ausgefüllt werden darf. Vielmehr hatte das Gericht nur darüber zu entscheiden, ob das Zeugnis gefaltet versendet werden darf. Dazu entschied das BAG, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, das Zeugnis offen auszuhändigen oder nur in einem DIN A4Umschlag oder in sonstiger Weise ungefaltet zu versenden. Aus dieser Äußerung schließt Preis, dass die Übersendung eines Zeugnisses in der heutigen Zeit üblich sei und aus dem ausgefüllten Anschriftsfeld daher nicht auf einen Streit geschlossen werden könne.7 Dieser Ansicht nach wäre also gegen das Ausfüllen des Adressfeldes nichts einzuwenden. Im Ergebnis dürfte eine isolierte Betrachtung des Adressfeldes keinen sicheren Schluss auf die vorangegangene Situation erlauben. Vielmehr sollte man weitere Indizien hinzuziehen, wie zum Beispiel die Datumsangabe. In der Regel ist das Zeugnis mit dem Ausstellungsdatum zu versehen. Jedoch ist dann, wenn ein Zeugnis nachträglich berichtigt wird, weiterhin das Datum des Ursprungszeugnisses zu ver-

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Das Gesetz kennt keinen Berichtigungsanspruch für Arbeitszeugnisse, weswegen im Falle von erwünschten Korrekturen auf Erfüllung des Zeugnisanspruchs geklagt werden muss, BAG, Urt. v. 14.10.2003 - 9 AZR 12/03. So auch LArbG Hamburg, Beschl. v. 07.09.1993 - 7 Ta 7/93; ArbG Köln, Urt. v. 05.03.2013 - 13 Ca 2497/12; Gäntgen in: Henssler/Willemsen/ Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 109 GewO Rn. 14. LArbG Franfurkt, Beschl. v. 21.10.2014 - 12 Ta 375/14. BAG, Urt. v. 21.09.1999 - 9 AZR 893/98. Preis in: Staudinger, BGB, 2012, § 630 BGB Rn. 30.

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wenden.8 Weicht das Datum des Zeugnisses deutlich von dem Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses ab und wurde das Zeugnis versendet, so spricht viel dafür, dass das Zeugnis erst nachträglich beantragt wurde. Ein vorangegangener Streit ist eher fernliegend. Liegt das Datum des Zeugnisses aber zeitlich vor dem Beendigungszeitpunkt und wurde das Zeugnis versendet, so spricht einiges dafür, dass ein Streit um das Zeugnis voranging. Denn sonst hätte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Zeugnis noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses übergeben können.

Frage stellen, welches Rechtschreibkontrollprogramm als Maßstab anzusehen ist. Und selbst wenn ein solches Referenzprogramm festgelegt würde, ergäbe sich das Problem, dass Rechtschreibkontrollprogramme – wie das in Word enthaltene – keine statischen Gebilde darstellen, da Nutzereinträge aufgenommen werden können.

Diese Überlegungen sprechen dafür, nicht allein das ausgefüllte Adressfeld zu betrachten. Nur wenn weitere Aspekte für einen vorangegangenen Streit sprechen, ist das Adressfeld unausgefüllt zu lassen.

Allerdings spielt der Hinweis auf den PC und die Möglichkeiten der Textverarbeitung doch eine Rolle, was die Pflichten bei der Zeugniserstellung angeht. In der Zeit vor der Textverarbeitung war die Korrektur eines Zeugnisses mit Fehlern deutlich aufwendiger als heute. Damals hätte man aufgrund eines minimalen Fehlers das Zeugnis neu schreiben müssen, weil Verbesserungen, Durchstreichungen o.Ä. als „geheime Botschaft“ hätten gedeutet werden können und deswegen von der Rechtsprechung nicht zugelassen wurden.13 Deswegen gab es auch Versuche, zwischen verschiedenen Fehlerkategorien zu differenzieren und weniger ins Gewicht fallende Fehler oder Fehler ohne negative Auswirkungen für den Arbeitnehmer als unerheblich einzustufen.14 Derartige Unterscheidungen, die im Übrigen der Rechtssicherheit nicht zuträglich waren, sind im Zeitalter der leichten Korrigierbarkeit von Fehlern mit Hilfe von Textverarbeitungsprogrammen obsolet geworden. Heute sind Zeugnisse nämlich durchgehend (und in zulässiger Weise, § 257 Abs. 4 HGB) elektronisch gespeichert, sodass auch kleinere Korrekturen unproblematisch möglich sind.15

Diesen Auslegungsschwierigkeiten kann in der Praxis aber dadurch begegnet werden, dass ein Geschäftsbriefbogen ohne Adressfeld verwendet wird, wenn ein solcher vorhanden ist. Sollte ein derartiger Briefbogen nicht zur Verfügung stehen, kann alternativ auch eine Bemerkung wie „Zur Vorlage bei künftigen Arbeitgebern von Frau/Herrn“ in das Adressfeld eingetragen werden, damit nicht das leere Adressfeld den Arbeitgeber, dem das Zeugnis vorgelegt wird, zum Nachdenken bringt.9 Und schließlich könnte man auch hier den vom Gericht hergestellten Bezug zum PC-Zeitalter fruchtbar machen: Bei geeigneter technischer Ausgestaltung lässt sich ein Arbeitszeugnis auf einem Geschäftsbriefbogen ohne Adressfeld unschwer implementieren. II. Die Frage der Orthographie An sich ist anerkannt, dass ein Anspruch auf ein Arbeitszeugnis ohne Schreibfehler besteht.10 In diesem Kontext erscheint die Begründung des Landesarbeitsgerichts, die auf das Zeitalter der mit Rechtschreibkontrolle ausgestatteten PCs abstellt, zunächst als innovativ. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass im Kontext der Zeugniserstellung der Hinweis auf die Rechtschreibkontrolle von dem Hinweis auf die Möglichkeiten der Textverarbeitung generell zu unterscheiden ist. Im konkreten Fall akzeptiert die Rechtschreibkontrolle in Word11 die dem Zusammenhang des Zeugnisses nach falsche (weil sinnentstellende) Schreibweise „Zahlungseingänge und Ausgänge“, weil eben „Ausgänge“ ein korrekt geschriebenes Wort der deutschen Sprache ist. Gleiches gilt für andere Online-Rechtschreibkontrollen.12 Trotzdem hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die korrekte Schreibweise „Zahlungseingänge und -ausgänge“. Der Arbeitgeber würde nicht einwenden können, sein Rechtschreibprogramm habe die Schreibweise „Zahlungseingänge und Ausgänge“ durchgehen lassen. Wollte man auf die Rechtschreibprogramme abstellen, entstünden noch weitere Probleme. Es würde sich u.a. die

Es ist also gleichgültig, welcher Mittel sich der Arbeitgeber bedient, um ein fehlerfreies Zeugnis zu erstellen. Es zählt allein das Ergebnis und nicht der Weg dahin.

Dem LArbG Franfurkt ist also im Ergebnis dahingehend zuzustimmen, dass die heute gegebenen technischen Möglichkeiten der Textverarbeitung zur Erstellung eines fehlerfreien Arbeitszeugnisses genutzt werden müssen. Ein blindes Vertrauen auf Rechtschreibkorrekturprogramme empfiehlt sich dabei aber nicht.

8 BAG, Urt. v. 09.09.1992 - 5 AZR 509/91. 9 Van Venrooy, AP, § 630 BGB, Nr. 20. 10 ArbG Köln, Urt. v. 05.03.2013 - 13 Ca 2497/12; Appel in: Kittner/ Zwanziger/Deinert, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2015, § 87 Rn. 8; Franzen in: NK-BGB, Schuldrecht, Band 2/2, 2. Aufl. 2012, § 630 BGB Rn. 24. 11 Microsoft Office Professional Plus 2013. 12 Duden, Korrekturen.de und Rechtschreibpruefung24.de. 13 BAG, Urt. v. 03.03.1993 - 5 AZR 182/92. 14 ArbG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.1984 - 6 Ca 5682/84; Gäntgen in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 109 GewO Rn. 14; Müller-Glöge in: ErfK, 16. Aufl. 2016, § 109 GewO Rn. 15. 15 Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, 21. Aufl. 2015, Rn. 443.

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Sozialversicherungsbeiträge auf eine über die Unterhaltsbeihilfe hinausgehende „Stationsvergütung“ von Rechtsreferendaren? BSG, Urt. v. 31.03.2015 - B 12 R 1/13 R RiSG Dr. Britta Wiegand, z.Zt. wiss. Mit. beim BSG A. Problemstellung Rechtsreferendare stehen in den meisten Bundesländern während der Zeit des juristischen Vorbereitungsdienstes in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis.1 Dieses ist als Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 Abs. 1, 2 SGB IV zu qualifizieren mit der Folge, dass die den Referendaren gewährte Unterhaltsbeihilfe grds. der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Insbesondere während der Rechtsberatungs- und Wahlstation ist es durchaus üblich, eine Ausbildungsstelle zu wählen, die dem Rechtsreferendar eine zusätzliche Vergütung zu der Unterhaltsbeihilfe gewährt. Dies wirft die – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren in ihrer Dauer und Bedeutung gestiegenen Rechtsanwaltsstation – zentrale Frage auf, wer die Sozialversicherungsbeiträge für die zusätzliche Vergütung zu tragen und zu zahlen hat. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die klagende Freie und Hansestadt Hamburg führte von der Unterhaltsbeihilfe, die damals monatlich 850 € betrug, die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung ab. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung waren nicht zu zahlen, weil den Referendaren nach beamtenrechtlichen Vorschriften eine Anwartschaft auf Versorgung bei geminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährt wurde.2 Im Anschluss an eine bei der Klägerin und der beigeladenen Rechtsanwalts- und Steuerberatungssozietät nach § 28p SGB IV durch den zuständigen beklagten Rentenversicherungsträger durchgeführte Betriebsprüfung forderte dieser von der Klägerin Beiträge i.H.v. 19.829,24 € zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für die von der Sozietät an die ebenfalls beigeladenen Referendare gezahlten zusätzlichen Vergütungen. Klage und Berufung blieben erfolglos, das BSG hat die Revision zurückgewiesen. Die Klägerin sei alleinige Arbeitgeberin der Referendare i.S.v. §§ 28e Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 28d Satz 1 SGB IV und damit im Ergebnis allein zur Tragung und Zahlung der Beiträge verpflichtet gewesen. Durch die Zu-

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weisung zu den Stationen habe sie allein den Ausbildungsgang der Referendare bestimmt, und daher sei auch nur sie weisungsberechtigt sowie zur Sanktionierung von Dienstvergehen der Referendare befugt gewesen. Der Ausbilder in der Station erhalte lediglich das Weisungsrecht bezüglich der täglichen Arbeit vor Ort. Nach den für das BSG bindenden Tatsachenfeststellungen des Landessozialgerichts existierten zudem keine schriftlichen oder mündlichen Vereinbarungen zwischen den Referendaren und der Sozietät, die Grundlage für die zusätzlichen Zahlungen hätten sein können. Die für die ausschließlich im Rahmen der Ausbildung erfolgte Beschäftigung gewährten Zahlungen seien daher freiwillig und ohne Rechtsgrund erbracht worden. Es habe folglich weder ein Arbeitsverhältnis noch eine andere Form der Beschäftigung zwischen den Referendaren und der Sozietät bestanden. Die zusätzlichen Vergütungen seien bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen gewesen, weil sie im Zusammenhang mit der Beschäftigung gezahlt worden seien. Die Referendare hätten die Einnahmen überhaupt nur deshalb erzielen können, weil sie der Sozietät im Rahmen ihres Ausbildungsdienstes zugewiesen worden seien. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung knüpft an die bereits zuvor im Hinblick auf Rechtsreferendare ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung an. Das BSG hatte in mehreren Urteilen vom 31.05.1978 entschieden, dass ein – damals noch in einem Beamtenverhältnis auf Widerruf stehender und damit in dieser Beschäftigung nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegender – Rechtsreferendar, der von seiner Ausbildungsstelle eine zusätzliche Vergütung erhält, insgesamt versicherungsfrei ist, wenn keine von der Ausbildungsbeschäftigung abgrenzbare freie Beschäftigung besteht. Die zusätzliche Vergütung könne nur dann einer neben der Ausbildung bestehenden Zweitbeschäftigung zugeordnet werden und damit zur Versicherungspflicht führen, wenn die Beschäftigung des Referendars – sei es durch ausdrückliche Vereinbarung, sei es durch tatsächliche Gestaltung

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Dagegen werden die Rechtsreferendare etwa in Thüringen gem. § 33 Abs. 10 Thüringer Juristenausbildungs- und -prüfungsordnung v. 24.02.2004 (GVBl. 2004, 217), zuletzt geändert durch Art. 30 des Gesetzes v. 20.03.2009 (GVBl. 2009, 238), noch in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen. § 37 Abs. 2 Satz 4 Hamburgisches Juristenausbildungsgesetz v. 11.06.2003 (HmbGVBl. 2003, 156), zuletzt geändert durch Gesetz vom 04.09.2012 (HmbGVBl. 2012, 414).

JM 3 des Arbeitsablaufs – konkret in zwei voneinander unabhängige Teile getrennt sei.3 Zwar stehen Referendare nunmehr während des juristischen Vorbereitungsdienstes i.d.R. in einem öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis und unterliegen in dieser Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1, 2 SGB IV grds. der Sozialversicherungspflicht. Jedoch gelten die vorgenannten Grundsätze weiter, wie die Entscheidung des BSG vom 31.03.2015 zeigt: Zur Beurteilung, ob die Klägerin alleinige Arbeitgeberin und als solche zur Tragung und Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet ist, prüft das Gericht, ob zwei voneinander zu trennende Beschäftigungen mit unterschiedlichen Arbeitgebern bestehen. Beschäftigung ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“. Anhaltspunkte hierfür sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ob eine Beschäftigung in diesem Sinne vorliegt, bewertet das BSG anhand des Gesamtbildes der Arbeitsleistung.4 In Einklang mit seiner bisherigen, ständigen Rechtsprechung hat das Gericht daher als Arbeitgeber denjenigen qualifiziert, der Anspruch auf die von dem Beschäftigten nach Maßgabe des Weisungsrechts geschuldete Arbeitsleistung hat und der dem Beschäftigten dafür als Gegenleistung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist.5 Bei der Prüfung, ob im konkreten Fall eine Beschäftigung vorlag, hat das Gericht u.a. festgestellt, dass das Weisungsrecht der Klägerin durch die Zuweisung an verschiedene Ausbilder bezüglich der täglichen Arbeit vor Ort zwar eingeschränkt sei, die Verantwortung für die Durchführung von Arbeitsgemeinschaften aber ebenso in der Hand der Klägerin verblieben sei wie etwa die Gewährung von Urlaub, die Entscheidung über den Abbruch von Stationen und eine neue Zuweisung. Zudem bestehe die Pflicht zur Zahlung der Unterhaltsbeihilfe während des gesamten Ausbildungsverhältnisses. Insbesondere hat das BSG aber betont, dass im vorliegenden Fall die Zahlungen der Sozietät an die Referendare mangels schriftlicher oder mündlicher Absprachen freiwillig und ohne Rechtsgrund erbracht worden seien. Im Ergebnis sei daher weder ein Arbeitsverhältnis noch eine andere Form der Beschäftigung zustande gekommen. Demnach habe die Rechtsanwalts- und Steuerberatungssozietät keine Arbeitgeberstellung gegenüber den Referendaren innegehabt. Anders als in den Konstellationen, in denen eine selbständige Tätigkeit oder eine Beschäftigung mit einer anderen Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber derart verbunden ist, dass sie nur aufgrund dieser Beschäftigung ausgeübt werden kann und insgesamt wie ein Teil dieser Beschäf-

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tigung erscheint (einheitliches Beschäftigungsverhältnis)6 mit der Folge, dass Zahlungen Dritter grds. dem Arbeitgeber zuzurechnen sind7, fehle es bezüglich der Rechtsreferendare schon an einer neben der eigentlichen Beschäftigung ausgeübten, von dieser abgrenzbaren Tätigkeit. D. Bewertung und Auswirkungen für die Praxis Im vorliegenden Fall hatte das Landessozialgericht für das BSG bindend festgestellt (vgl. § 163 SGG), dass keinerlei vertragliche Vereinbarungen zwischen den Referendaren und der Sozietät geschlossen worden waren. Doch dürfte eine solche Konstellation in der Praxis nicht der Regelfall sein. Vielmehr dürfte es häufig so sein, dass zwischen Referendaren und Sozietät zumindest mündliche – wenn nicht oftmals sogar schriftliche – Absprachen über Anwesenheitszeiten und zusätzliche Arbeitsleistungen sowie die dafür zu entrichtenden Vergütungen erfolgen. Diese Zahlungen dürften sowohl von den Referendaren als auch von der Sozietät kaum als „Schenkungen“ eingeordnet werden, sondern als Gegenleistungen für Tätigkeiten des Referendars, die über die aufgrund des Ausbildungsbeschäftigungsverhältnisses geschuldeten Leistungen hinausgehen („überobligatorische Leistungen“). Werden aber solche Leistungen von dem Referendar geschuldet und erhält er gerade hierfür eine gesonderte Vergütung, liegt die Bejahung eines von dem Ausbildungsbeschäftigungsverhältnis zu trennenden, gesonderten Beschäftigungsverhältnisses, in dessen Rahmen die Sozietät als Arbeitgeberin i.S.d. obigen Definition des BSG einzustufen ist, nahe. Für diesen Fall wäre dann schon deshalb kein einheitliches Beschäftigungsverhältnis anzunehmen, weil mit dem ausbildenden Bundesland und der Sozietät unterschiedliche Arbeitgeber existieren. Zudem kann die Beschäftigung bei der Sozietät nicht allein aufgrund des Ausbildungsbeschäftigungsverhältnisses ausgeübt werden. Dies wird am Beispiel eines Referendars deutlich, der schon vorher, etwa während einer anderen Ausbildungsstation, bei der Sozietät im Rahmen einer Beschäftigung tätig war und sich sodann für die Rechtsberatungs- oder Wahlstation dieser zuweisen lässt. In diesem Fall tritt der Ausbildungsgehalt zu der schon bestehenden Beschäftigung hinzu. Die über die Unterhalts-

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BSG, Urt. v. 31.05.1978 - 12 RK 48/76 - BSGE 46, 241, 242 f.; vgl. auch BSG, Urt. v. 31.05.1978 - 12 RK 49/76 Rn. 9 ff. und BSG, Urt. v. 31.05.1978 - 12 RK 25/77 Rn. 20 ff. St. Rspr., z.B. BSG, Urt. v. 31.03.2015 - B 12 R 1/13 R Rn. 18 m.w.N. St. Rspr., z.B. BSG, Urt. v. 31.03.2015 - B 12 R 1/13 R Rn. 18 m.w.N. Vgl. z.B. BSG, Urt. v. 26.03.1998 - B 12 KR 17/97 R Rn. 14 m.w.N.; BSG, Urt. v. 31.10.2012 - B 12 R 1/11 R Rn. 16 m.w.N. St. Rspr., vgl. nur BSG, Urt. v. 26.03.1998 - B 12 KR 17/97 R Rn. 14 m.w.N.; BSG, Urt. v. 31.10.2012 - B 12 R 1/11 R Rn. 16 m.w.N.

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Die Monatszeitschrift

beihilfe hinausgehenden Zahlungen der Sozietät werden aber weiterhin für die „überobligatorischen Leistungen“ erbracht. Unabhängig davon könnte die Entscheidung des BSG auf den ersten Blick zu einem Ergebnis führen, das unbefriedigend erscheint: Dies wäre der Fall, wenn das ausbildende Bundesland Sozialversicherungsbeiträge auf Entgelte für „überobligatorische Leistungen“ des Referendars zahlen müsste, in deren alleinigen „Genuss“ aber die Sozietät kommt, die dann keine Sozialversicherungsbeiträge zu tragen und zu zahlen hätte. Doch muss dies keineswegs die Konsequenz der Entscheidung des BSG sein: Durch die regelmäßig erfolgende, teilweise Anrechnung des zusätzlichen Entgelts auf den Grundbetrag der Unterhaltsbeihilfe8 spart das Land Aufwendungen. Vor allem ist aber zu berücksichtigen, dass es das Land selbst in der Hand hat, ein als unbefriedigend empfundenes Ergebnis zu vermeiden. Insoweit hat das LSG Hamburg in dem vorliegend dem Revisionsverfahren zu Grunde liegenden Urteil bereits ausgeführt, dass etwa durch gesetzgeberische Maßnahmen einer überobligatorischen Inanspruchnahme des ausbildenden Landes vorgebeugt werden könnte.9 Zudem wäre es denkbar, dass sich das ausbildende Land von der eine zusätzliche Vergütung zahlenden Ausbildungsstelle vor der Zuteilung des Referendars eine Freistellungserklärung unterzeichnen lässt, durch die jedenfalls im Innenverhältnis die Tragung der Beiträge verlagert wird.10 8

Vgl. z.B. § 3 der Verordnung über die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare Hamburg v. 30.07.2002 (HmbGVBl. 2002, 216), zuletzt geändert durch Verordnung vom 04.07.2014 (HmbGVBl. 2014, 261). 9 LSG Hamburg, Urt. v. 28.11.2012 - L 2 R 16/10 Rn. 58. 10 Dies erfolgt offensichtlich – trotz der dortigen Stellung der Referendare als Beamte auf Widerruf – in Thüringen: vgl. insoweit die unter www.thueringen.de/th4/olg/ausbildung/hoeherer_dienst/ abrufbare Freistellungserklärung (zuletzt abgerufen am 28.12.2015).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung In der Sache hat das BVerfG mit Beschluss vom 14.09.20151 entschieden, dass für Gerichte die grundsätzliche Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen besteht. Den Gerichten steht unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ein Ermessensspielraum bei der Frage nach Art und Umfang der Auskunft zu. In keinem der Landespressegesetze wird der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs näher präzisiert. Den Gerichten und Behörden wird vielmehr ein Ermessensspielraum zugestanden. Nach dem BVerfG ist es weithin anerkannt, dass aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folgt. Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft greifen. Sie bezieht sich auf die Entscheidungen als solche in ihrem amtlichen Wortlaut. Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht dagegen grundsätzlich nicht.

RA Christoph Clanget

Diese Veröffentlichungspflicht ist jedoch nicht umfassend. Hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände der Parteien bzw. verurteilter Personen sind die Gerichtsentscheidungen in der Regel zu anonymisieren. Soweit Medien nach dieser Veröffentlichungspflicht Gerichtsentscheidungen zugänglich gemacht werden, haben sie aber auch weiterhin die Grundsätze der Zurückhaltung bei Verdachtsberichterstattung oder zur Zurückhaltung bei Berichten über zurückliegende Straftaten, die die Resozialisierung von Straftätern beeinträchtigen, zu beachten. Den Medien obliegt insoweit eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.

A. Problemstellung

Wieweit mögliche Beeinträchtigungen der Zugänglichmachung von Gerichtsentscheidungen Grenzen setzen und

Die Beschwerdeführerin ist eine Zeitungs-Verlagsgruppe. Sie hatte im Eilrechtsschutzverfahren gegenüber dem Landgericht die Zusendung einer anonymisierten Kopie

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Verwaltungsrecht

Die Presse hat einen Anspruch auf Überlassung veröffentlichungswürdiger Urteile BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 - 1 BvR 857/15

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eines Urteils in einem öffentlichkeitswirksamen Strafverfahren beantragt. Das VG Meiningen verpflichtete den Präsidenten des Landgerichts antragsgemäß, der Beschwerdeführerin Auskunft über die schriftlichen Urteilsgründe durch Übersendung einer anonymisierten Kopie des vollständigen Urteils zu erteilen. Das OVG Weimar änderte die Entscheidung ab und lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin auf Auskunftserteilung ab. Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde der Zeitungs-Verlagsgruppe statt und wies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das OVG Weimar zurück.

BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 - 1 BvR 857/15.

JM 3 Entscheidungen deshalb auch als Ganzes zurückgehalten werden können, hat das BVerfG in seinem Beschluss freilich offen gelassen. Welche Entscheidungen veröffentlichungswürdig sind, bemisst sich dem BVerfG zufolge unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BVerwG nach dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Interesse der Öffentlichkeit.2 C. Bewertung Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG klargestellt, dass ein Anspruch der Medien auf Übersendung von Urteilen aus den jeweiligen Landespressegesetzen besteht. Auf die Rechtskraft kommt es dabei nicht an. Die Entscheidungen sind in der Regel zu anonymisieren. Zuständig ist das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, da sich der Anspruch gegen das konkrete Gericht richtet. Verweise auf die aktenführende Stelle, etwa die Staatsanwaltschaft, sind nicht (mehr) möglich. Ein Anspruch auf Überlassung der Anklageschrift besteht nicht, die öffentliche Mitteilung einer Anklageschrift vor einer öffentlichen Verhandlung ist nach § 353d Nr. 3 StGB im Übrigen strafbar. Die Entscheidung des BVerfG wird dazu führen, dass Gerichte in entsprechenden Fällen mehr Pressearbeit vornehmen (müssen). Gleiches gilt aber auch für Rechtsanwälte und Strafverteidiger, um bspw. einer einseitigen oder verzerrten medialen Darstellung von aus dem Zusammenhang gerissenen Teilen einer Urteilsbegründung im Interesse ihrer Mandanten entgegenzuwirken. Als veröffentlichungswürdig werden Urteile solcher Verfahren anzusehen sein, für die schon vor der Urteilsverkündung ein öffentliches Interesse bestand. In Verfahren, in denen ein solches öffentliches Interesse nicht besteht, wird eine Entscheidung auch unter dem Gesichtspunkt eines mutmaßlichen öffentlichen Interesses nur ausnahmsweise als veröffentlichungswürdig zu erachten sein. Bei Umfangsverfahren wird es nicht selten vorkommen, dass durch die Veröffentlichung von Urteilen die konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung (etwa von Zeugen oder Schöffen) eines Folgeverfahrens oder anderer Gerichtsverfahren besteht. Hier wird die Gefahr der Beeinträchtigung gerade für solche Folgeverfahren bestehen, die ihrerseits selbst ein großes öffentliches und mediales Interesse auf sich ziehen. Um in den Folgeverfahren nicht schon mit der Bürde eines echten „Vor-Urteils“ antreten zu müssen, wird darauf hinzuwirken sein, dass eine Veröffentlichungspflicht zumindest in diesen Fällen bis zum Urteil in den weiteren Gerichtsverfahren (noch) nicht oder nur sehr reduziert besteht.

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Es empfiehlt sich, durch eine entsprechende sofortige Stellungnahme nach Urteilsverkündung gegenüber dem Gericht auf solche Umstände hinzuweisen, die der Publikationspflicht im Einzelfall entgegenstehen, wie etwa der Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK. Auch wird der Rechtsanwalt oder Verteidiger die Pressearbeit verstärkt dahingehend ausrichten müssen, dass im Interesse des Mandanten die Presse letztlich auch über den endgültigen Ausgang eines Verfahrens zu unterrichten ist. In öffentlichkeitswirksamen Verfahren wird nämlich häufig über eine brisante Entscheidung in der ersten Instanz berichtet. Nach einem erfolgreichen Rechtsmittelverfahren, welches zu einem milderen oder freisprechenden Urteil führt, interessiert sich die mediale Öffentlichkeit mangels Brisanz dann oft nur noch wenig für die Sache oder die Person. Oft wird allein das Brisante berichtet und bleibt allein bestehen. Die Mitteilung des endgültigen Ausgangs erfolgt vielmals nicht mehr. Nicht zuletzt unter Berufung auf den vom Deutschen Presserat aufgestellten Pressekodex (Sorgfaltspflicht, Richtigstellung, Schutz der Persönlichkeit, Unschuldsvermutung usw.) ist auch insoweit auf eine vollständige und abschließende Berichterstattung im Interesse des Mandanten hinzuwirken. Soweit auch nach der postulierten Veröffentlichungspflicht Gerichtentscheidungen hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände in der Regel zu anonymisieren sind, bleibt offen, wie weit dieser Anonymisierungsanspruch der Betroffenen geht. Fallen hierunter nur persönliche Angaben im strafprozessualen Sinne, wie etwa Angaben zur Person (Ausbildungsweg, Familienstand, Einkommen usw.) oder ist diese Einschränkung weiter und gilt für sämtliche persönlichen Umstände? Die Formulierung des BVerfG – „persönliche Angaben und Umstände“ – sprechen für einen weitergehenden und über die reinen persönlichen Angaben hinausgehenden Anonymisierungsanspruch der Betroffenen. So werden auch solche persönlichen Umstände und Details, die im Kern nichts mit dem festgestellten Sachverhalt und den Urteilsgründen zu tun haben, wie das Steuergeheimnis (§ 30 AO), eine Suchtproblematik, eine (psychische) Erkrankung, aber wohl auch Strafzumessungserwägungen zu anonymisieren sein. Es gehört demnach – zumindest ab jetzt – zur Aufgabe der Rechtsbeistände der Betroffenen, unter Hinweis auf das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht den Anonymisierungsanspruch der Betroffenen den Gerichten gegenüber zu verdeutlichen und ggf. durchzusetzen.

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BVerwG, Urt. v. 26.02.1997 - 6 C 3/96.

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Neuere Rechtsprechung des BFH aus dem Bereich der privaten Vermögensverwaltung RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel A. Einführung Der BFH hat in jüngster Zeit die Besteuerung der privaten Vermögensverwaltung unter mehreren Aspekten von hoher Breitenwirkung behandelt. Es geht dabei zunächst um Zinsen, nämlich die Abziehbarkeit von Schuldzinsen bei Veräußerung eines Vermietungsobjekts (dazu B.), weiter um die Höhe von Zinsen auf Steuerbeträge (dazu C.). Auch die Abgeltungsteuer ist mittlerweile beim BFH angekommen (dazu D.). Jüngere Judikate dazu betreffen die sog. Günstigerprüfung, „Quellenverluste“ aus Liquidation und Verfall sowie Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen. B. Schuldzinsen bei Veräußerung eines Vermietungsobjekts I. Nachträgliche Schuldzinsen Wird ein fremdfinanziertes Vermietungsobjekt veräußert, stellt sich die Frage, ob verbleibende Schuldzinsen als Werbungskosten abziehbar sind. Es handelt sich hier um sog. nachträgliche Schuldzinsen. Entscheidend für deren Anerkennung als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG) ist, ob trotz der Veräußerung weiterhin ein sog. Veranlassungszusammenhang zwischen dem Darlehen und den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) besteht. Während traditionell nach der Veräußerung des finanzierten Objekts die Ursache der Schuldzinsen im privaten Vermögensbereich gesehen wurde, endet nach neuer Rechtsprechung1 die Veranlassung der Schuldzinsen durch die Vermietungstätigkeit nicht automatisch mit der Veräußerung. Dies steht im Kontext einer zunehmenden steuerlichen Verstrickung auch von Privatvermögen. Freilich dauert die Veranlassung durch die frühere Vermietung nicht an, wenn der Steuerpflichtige die Absicht, Vermietungseinkünfte zu erzielen, bereits vor der Veräußerung aufgegeben hat,2 – so, wenn er schon vor der Veräußerung vorhatte, das fragliche Haus selbst für private Zwecke zu nutzen. Grds. können aber Zinsen für ein Darlehen, mit dem ein Steuerpflichtiger in ein bestimmtes Wirtschaftsgut investiert hat, auch im Fall der Veräußerung dieses Wirtschaftsguts berücksichtigt werden, wenn der Veräußerungserlös

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seinerseits im Kontext der Einkünfteerzielung eingesetzt wird. Dies gilt unabhängig von der Steuerbarkeit der Veräußerung des Objekts nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.3 Die Veräußerung selbst und ihre Steuerbarkeit sind für die Veranlassung irrelevant. Entscheidend für die Abziehbarkeit nachträglicher Schuldzinsen ist der Umgang des Steuerpflichtigen mit dem Veräußerungserlös. Schafft er damit eine neue Einkunftsquelle an, etwa ein Vermietungsobjekt, setzt sich der Zusammenhang am neuen Objekt fort. Ist dies nicht der Fall und reicht der Veräußerungserlös nicht aus, das Darlehen abzulösen, so besteht die Veranlassung des Zinsaufwands durch die ursprüngliche Vermietungstätigkeit insoweit fort. Dies gilt auch für ein Refinanzierungs- oder Umschuldungsdarlehen, das der Steuerpflichtige zur Tilgung aufnimmt. Auch hierauf gezahlte Schuldzinsen können durch die (frühere) Einkünfteerzielung veranlasst sein, wenn die Valuta des Umschuldungsdarlehens den abzulösenden Restdarlehensbetrag nicht übersteigt und sich die Umschuldung im Rahmen einer marktüblichen Finanzierung hält. Genügt jedoch der Veräußerungserlös zur Darlehenstilgung, sind die Schuldzinsen nicht mehr abziehbar. Zahlt der Steuerpflichtige das Darlehen nicht zurück, obwohl er es könnte, sondern verwendet er den Erlös anderweitig privat, überlagert die private Motivation den ursprünglichen wirtschaftlichen Zusammenhang. Der Steuerpflichtige muss also den aus der Veräußerung einer bislang vermieteten Immobilie erzielten Erlös grds.4 voll zur Ablösung eines im Zusammenhang mit der Einkünfteerzielung aufgenommenen Darlehens verwenden (sog. Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung).5

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BFH, Urt. v. 08.04.2014 - IX R 45/13 - BFHE 244, 442, BStBl. II 2015, 635; BFH, Urt. v. 16.09.2015 - IX R 40/14; auch Jachmann, jM 2014, 387. BFH, Urt. v. 21.01.2014 - IX R 37/12 - BFHE 244, 550, BStBl. II 2015, 631. Anders BMF-Schreiben v. 15.01.2014, BStBl. I 2014, 108. Soweit keine Tilgungshindernisse entgegenstehen. BFH, Urt. v. 08.04.2014 - IX R 45/13 - BFHE 244, 442, BStBl. II 2015, 635; BFH, Urt. v. 20.06.2012 - IX R 67/10 - BFHE 237, 368 = BStBl. 2013, 275; BMF-Schreiben v. 27.07.2015 - BStBl. I 2015, 581, unter 1.

JM 3 Zu dem aus einer Veräußerung erzielten „Erlös“ zählt grds. auch eine vom Steuerpflichtigen vereinnahmte Versicherungssumme aus einer Kapitallebensversicherung, wenn sie in die Finanzierung der Anschaffungskosten einer fremdvermieteten Immobilie einbezogen, d.h., wesentlicher Bestandteil der Darlehensvereinbarung geworden ist. Der Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung verpflichtet den Steuerpflichtigen aber nicht, den Versicherungsvertrag von sich aus zu beenden, wenn die Versicherung weiterhin die Rückführung des verbliebenen Darlehensrestbetrages absichert.6 Zur Klarstellung: Beiträge für eine Risikolebensversicherung sind keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.7 Dies gilt auch, wenn mit der Versicherung Darlehen zur Finanzierung der Anschaffungskosten eines Vermietungsobjekts abgesichert werden und der Abschluss des Versicherungsvertrags durch das finanzierende Kreditinstitut vorgegeben war. Denn maßgeblich für die Versicherungsbeiträge ist hier der private Umstand, dass der Vermieter mit dem Abschluss der Lebensversicherung das Risiko eines vorzeitigen Todes noch während des Laufs des Darlehensvertrags abdecken will. Er trägt diesen Aufwand auch, um einen schuldenfreien Übergang des maßgeblichen Immobilienobjekts auf den Rechtsnachfolger zu gewährleisten.8 Veräußert eine vermögensverwaltende Personengesellschaft ein Vermietungsobjekt, gilt auch sub specie nachträgliche Schuldzinsen die sog. Bruchteilsbetrachtung:9 Darlehenszinsen für ein von der Gesellschaft aufgenommenes Darlehen sind dem Gesellschafter als Aufwand in dem Maße zuzurechnen, in dem ihm auch Einkünfte zuzurechnen wären. Bei einem verheirateten Vermieter ist es auch für den Abzug nachträglicher Schuldzinsen unerheblich, dass das fragliche Darlehen zulasten beider Eheleute aufgenommen wurde und so die Eheleute das Vermietungsobjekt „aus einem Topf“ finanzieren. Gleichgültig ist, aus wessen Mitteln die Zahlung für Zinsen auf die Darlehensschuld im Einzelfall stammt.10 II. Vorfälligkeitsentschädigung Löst ein Steuerpflichtiger seine Darlehensschuld vorzeitig ab, um sein bisher vermietetes Objekt lastenfrei übereignen zu können, kann er die dafür an den Darlehensgeber zu entrichtende Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehen.11 Zwar ist auch sie Nutzungsentgelt für das auf die verkürzte Laufzeit in Anspruch genommene Fremdkapital. „Auslösendes Moment“ für die Vorfälligkeitsentschädigung ist aber nicht der Abschluss

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des Darlehensvertrags, sondern gerade dessen vorzeitige Ablösung; mit dem Darlehensgläubiger wird eine Vertragsanpassung nur vereinbart, weil das Grundstück lastenfrei veräußert werden soll. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht daher gerade nicht zwischen der Vorfälligkeitsentschädigung und der vormaligen Vermietung der Immobilie, sondern zwischen der Vorfälligkeitsentschädigung und der Veräußerung der Immobilie. Ist der Veräußerungsvorgang – etwa nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG – steuerbar, ist die Vorfälligkeitsentschädigung unter den Veräußerungskosten in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder Veräußerungsverlustes einzustellen. Ist der Veräußerungsvorgang nicht steuerbar, kann die Vorfälligkeitsentschädigung nicht „ersatzweise“ als Werbungskosten im Zusammenhang mit der bisherigen steuerbaren Tätigkeit (im Streitfall der Vermietung) geltend gemacht werden.12 C. Zinsen auf Steuerbeträge Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen verzinst (§ 233 Satz 1 AO). In Betracht kommen Nachforderungs- und Erstattungszinsen (§ 233a AO), Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) sowie Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO). Die Zinsen betragen für jeden

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BFH, Urt. v. 16.09.2015 - IX R 40/14. BFH, Gerichtsbescheid vom 13.10.2015 - IX R 35/14. Eine Aufteilung von Beiträgen für Risikolebensversicherungen nach den vom BFH niedergelegten Maßstäben kommt nicht in Betracht, wenn sich die durch die Einkünfteerzielung veranlassten Beitragsanteile nicht feststellen lassen und dem Darlehenssicherungszweck gegenüber der Absicherung des Todesfallrisikos eine untergeordnete Bedeutung zukommt (BFH, Beschl. v. 21.09.2009 - GrS 1/06 - BFHE 227, 1 = BStBl. II 2010, 672). 9 Vgl. BFH, Urt. v. 20.06.2012 - IX R 29/11 - BFH/NV 2012, 1952; BFH, Urt. v. 27.07.2004 - IX R 20/03 - BStBl. II 2005, 33. 10 BFH, Urt. v. 04.09.2000 - IX R 22/97 - BFHE 193, 112 = BStBl. II 2001, 785; siehe auch den Beschluss des Großen Senats unter C.I.1. (BFH, Beschl. v. 23.08.1999 - GrS 2/97 - BFHE 189, 160 = BStBl. II 1999, 782). 11 BFH, Urt. v. 11.02.2014 - IX R 42/13 - BFHE 245, 131, BStBl. II 2015, 633. 12 Soweit der BFH Vorfälligkeitsentschädigungen in Veräußerungsfällen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zu den Werbungskosten gezählt hat (vgl. BFH, Urt. v. 14.01.2014 - IX R 34/01 - BFH/NV 2004, 1091 und BFH, Urt. v. 23.04.1996 - IX R 5/94 - BFHE 180, 374 = BStBl. II 1996, 595 zu Vorfälligkeitsentschädigungen als Finanzierungskosten eines neu erworbenen Mietobjektes), hält er an dieser Rechtsprechung nicht fest. Vgl. auch BFH, Urt. v. 06.12.2005 - VIII R 34/04 - BFHE 212, 122 = BStBl. II 2006, 265.

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Monat 0,5 vom Hundert des auf den abgerundet nächsten durch 50 € teilbaren Betrages (§ 238 AO). Immer wieder angegriffen wird diese Zinshöhe von sechs vom Hundert pro Jahr bei den Aussetzungszinsen.13 Der IX. Senat des BFH geht aber in zwei Entscheidungen jüngeren Datums für Verzinsungszeiträume November 2004 bis März 201114 und vom Juni 2008 bis Dezember 201115 nicht von Verfassungswidrigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen aus. Der V. Senat folgt dem für eine Verzinsung bis Januar 2012.16 Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bei Aussetzung der Vollziehung ist es, den Nutzungsvorteil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht: Dabei ist die Ermittlung eines Zinsvorteils oder -nachteils für den konkreten Einzelfall regelmäßig nicht möglich, weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhängt, wie er Steuernachzahlungen finanziert oder das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwendet.17 Danach ist der gesetzliche Zinssatz mit dem Anlagezinssatz (Verwendung von Kapital) wie auch mit dem Darlehenszinssatz (Finanzierung von Steuernachzahlungen) zu vergleichen, und zwar nicht nur für kurzfristige Fremdfinanzierungen. In den entschiedenen Verzinsungszeiträumen lagen die Effektivzinssätze für Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung zwischen 7,14 % p.a. und 5,32 % p.a.18 sowie die banküblichen Sollzinsen für Dispositionskredite über bzw. jedenfalls nicht wesentlich unter 6 % p.a. Dies gilt ebenso für die gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB19 und § 288 Abs. 2 BGB20. Da sich der Zinssatz von 0,5 vom Hundert für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) danach noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen hielt, war der BFH nicht davon überzeugt, dass § 238 Abs. 1 Satz 1 AO verfassungswidrig wäre, dies gerade auch mit Blick darauf, dass für nicht besicherte Kredite im Vergleich zu besicherten am Markt in der Regel ein höherer Darlehenszins zu bezahlen ist. Die Forderungen des Finanzamts gegenüber dem Steuerpflichtigen sind aber regelmäßig nicht besichert. Nachdem sich erst nach Ablauf der entschiedenen Verzinsungszeiträume das Marktzinsniveau dauerhaft auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert hat, konnte der BFH offenlassen, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Folgezeit so einschneidend geändert haben, dass anders zu entscheiden wäre, weil die Grundlage der gesetzgeberischen

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Entscheidung für 6 % p.a. durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend infrage gestellt wird. D. Problembereiche der Abgeltungsteuer I. Günstigerprüfung Für Kapitalerträge wird regelmäßig von der Bank eine Abgeltungsteuer von 25 % (§ 32d Abs. 1 EStG) abgeführt. Stellt der Steuerpflichtige jedoch einen Antrag auf Günstigerprüfung (§ 32d Abs. 6 EStG), werden Kapitaleinkünfte nach seinem individuellen Steuersatz besteuert, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich der Zuschlagsteuern führt. Ist aber der Einkommensteuerbescheid bereits ergangen, kann ein Antrag auf Günstigerprüfung nur noch gestellt werden, wenn der Bescheid noch geändert werden kann. Eine zeitliche Befristung für diesen Antrag auf Günstigerprüfung ergibt sich aus der Bestandskraft der Steuerfestsetzung.21 Wird etwa dem Finanzamt erst nach der Steuerfestsetzung bekannt, dass ein Steuerpflichtiger abgegolten besteuerte Kapitaleinkünfte erzielt hat, die mit seinen niedrigeren persönlichen Steuersatz zu besteuern gewesen wären, ist eine Korrektur des Steuerbescheids wegen dieser „neuen Tatsachen“ (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) nur möglich, wenn den Steuerpflichtigen an dem nachträglichen Bekanntwerden kein Verschulden trifft, nicht aber, wenn

13 Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Zinsen werden erhoben vom Tag des Eingangs des Rechtsbehelfs bei der Behörde oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AO). 14 BFH, Urt. v. 01.07.2014 - IX R 31/13 - BFHE 246, 193 = BStBl. II 2014, 925. 15 BFH, Urt. v. 14.04.2015 - IX R 5/14. 16 BFH, Beschl. v. 21.10.2015 - V B 36/15. 17 Der gesetzliche Zinssatz gilt weiterhin sowohl zugunsten als auch zulasten des Steuerpflichtigen; vgl. BFH-Beschl. v. 29.05.2013 - X B 233/12 - BFH/NV 2013, 1380. 18 Quelle: Deutsche Bundesbank, Zinssätze und Volumina für das Neugeschäft der deutschen Banken (MFIs) – Konsumentenkredite an private Haushalte. 19 Fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz; mithin im Zeitraum von 2004 bis 2011 zwischen 8,32 % und 5,12 %. 20 Acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz; mithin im Zeitraum von 2004 bis 2011 zwischen 11,32 % und 8,12 %. 21 BFH, Urt. v. 12.05.2015 - VIII R 14/13 - BFHE 250, 64 = BStBl. II 2015, 806.

JM 3 der Steuerpflichtige die Steuerbescheinigung über die einbehaltene Kapitalertragsteuer bereits vor der Abgabe der Einkommensteuererklärung erhalten hatte. Mit Einführung der Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 9 EStG ab dem Jahr 2009 den Abzug der tatsächlich entstandenen Werbungskosten ausgeschlossen. Möglich ist nur noch der Abzug des Sparer-Pauschbetrages von 801 €. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet dies nach Auffassung des BFH nicht.22 Dieses Werbungskostenabzugsverbot findet laut BFH auch bei der Günstigerprüfung Anwendung.23 II. „Quellenverluste“ aus Liquidation und Verfall Strukturelle Probleme der geltenden Abgeltungsteuer ergeben sich bei Verlusten, die nicht die laufende Kapitalnutzung, sondern das Kapitalvermögen selbst betreffen, d.h. im herkömmlichen dogmatischen Sinne die Einkunftsquelle. 1. Auflösungsverluste Anders als im alten Recht gilt § 20 EStG seit Einführung der Abgeltungsteuer nicht nur für laufende Kapitalanträge, sondern auch für Veräußerungsgewinne im weiteren Sinne. Probleme ergeben sich hier im Verlustfall, wenn keine Veräußerung im traditionellen Begriffssinn vorliegt. Veräußerung ist nach ständiger Rechtsprechung die entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten, ggf. auch zwangsweise, etwa im Wege der Zwangsversteigerung.24 Eine entgeltliche Anteilsübertragung liegt auch dann vor, wenn wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten übertragen werden.25 Mit Urteil vom 12.05.2015 hat der BFH einen Fall entschieden,26 in dem Aktien einer amerikanischen Gesellschaft auf der Grundlage eines Insolvenzplanverfahrens nach USamerikanischem Recht eingezogen und auf die Gläubiger der Aktiengesellschaft übertragen wurden. Er hat angenommen, dass eine Veräußerung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auch in dieser Einziehung von Aktien und der Übertragung der eingezogenen Aktien auf die Gläubiger liegen kann. Im Streitfall erwarb der Kläger am 03.11. sowie am 09. und 10.12. des Streitjahrs 2009 300.000 Aktien einer US-amerikanischen Finanzdienstleistungsgruppe (C) für 12.884,06 €. Der C drohte im Zuge der Finanzkrise seit Juli 2009 die Insolvenz. Sie meldete am 01.11.2009 Gläubigerschutz nach Chapter 11 des amerikanischen Insolvenzrechts an. Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf fast 65 Mrd. US-Dollar. Dennoch stimmten die Gläubiger

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einem Insolvenzplan zu, der die Reduzierung der Schulden um rund 11 Mrd. US-Dollar vorsah; Gegenstand des Insolvenzplans war u.a. die Einziehung der im Besitz der Altaktionäre stehenden C-Aktien und die Übertragung der eingezogenen Aktien auf die Gläubiger der C. Die Aktien des Klägers wurden am 22.12.2009 aus seinem Depot ausgebucht. Die erlittene Vermögenseinbuße von 12.884,06 € machte der Kläger ohne Erfolg beim Finanzamt geltend. Das Finanzgericht hat das zur Übertragung des Eigentums an den C-Aktien führende Rechtsgeschäft in ihrer Einziehung und der Übertragung der eingezogenen Aktien auf die Gläubiger der C im Wege der Insolvenz gesehen. Es hat hierzu festgestellt, dass die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens im Gegenzug gegen die Reduzierung der Schulden der C die Aktien des Unternehmens erhielten. Die Aktien des Klägers gingen somit auf einen Gläubiger der C über. Diese Feststellungen erachtete der BFH für bindend (§ 118 Abs. 2 FGO): Das Finanzgericht habe den Insolvenzplan dahin gehend gewürdigt, dass er hinsichtlich der Aktien des Klägers zu einem Rechtsträgerwechsel führt.27 Dass sich das Finanzgericht aber etwa nicht damit beschäftigt hat, ob die Aktien des Klägers oder neue Aktien auf die Gläubiger übergingen, bleibt unerwähnt. Der BFH hat damit die Lösung eines virulenten Grundsatzproblems der Abgeltungsteuer auf die Sachverhaltsebene verlagert und im Grundsätzlichen offengelassen: Es geht darum, ob Verluste aus der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft beim Anteilseigner deshalb steuerlich unberücksichtigt bleiben, weil nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn bzw.

22 Mit der Gewährung des Sparer-Pauschbetrages i.H.v. 801 € habe der Gesetzgeber eine verfassungsrechtlich grds. anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten bei den Beziehern niedriger Kapitaleinkünfte sowie mit der Senkung des Steuertarifs von bis zu 45 % auf nunmehr 25 % zugleich eine verfassungsrechtlich anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten bei den Beziehern höherer Kapitaleinkünfte vorgenommen (BFH, Urt. v. 01.07.2014 VIII R 53/12 - BFHE 246, 332 = BStBl. II 2014, 975). 23 BFH, Urt. v. 02.12.2014 - VIII R 34/13 - BFHE 248, 51, BStBl. II 2015, 387; BFH, Urt. v. 28.01.2015 - VIII R 13/13 - BFHE 249, 125, BStBl. II 2015, 393; vgl. auch Jachmann, jM 2015, 259. 24 BFH, Urt. v. 10.12.1969 - I R 43/67 - BFHE 98, 30 = BStBl. II 1970, 310 zu § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. 25 BFH, Urt. v. 06.04.2011 - IX R 61/10 Rn. 13 - BFHE 233, 446 = BStBl. II 2012, 8 m.w.N.; BFH, Urt. v. 01.10.2014 - IX R 13/13 Rn. 15 - BFH/NV 2015, 198. 26 BFH, Urt. v. 12.05.2015 - IX R 57/13. 27 Das – so der BFH – lässt weder einen Verstoß gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze erkennen und ist mithin revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft gehört, nicht aber aus ihrer Auflösung. Auch nach Satz 2 der Regelung gilt als Veräußerung zwar die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage, nicht aber die Auflösung einer Gesellschaft. 2. Verluste aus dem Verfall einer Option Im Januar 2016 hatte der BFH jedoch Gelegenheit, Klarheit in einer weiteren Verlustproblematik zu schaffen: Es geht um Verluste aus dem Verfall von Optionen.28 Zu entscheiden war, ob – entgegen dem BMF29 und in Abkehr von der Rechtsprechung zum alten Recht – Einkünfte bzw. Verluste aus Kapitalvermögen – genau: Einkünfte im Zusammenhang mit einem Termingeschäft i.S.d. §§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, 20 Abs. 4 Satz 5 EStG – auch dann vorliegen, wenn eine Option wertlos wird. Die betroffenen Steuerpflichtigen hatten Verluste aus dem vollständigen Wertverfall von Indexoptionen auf den DAX30 bzw. von Allianz-Call-Optionen und Commerzbank-Call-Optionen31 sowie von anderen Aktienoptionen32 erlitten. Die Finanzverwaltung betrachtete diese Verluste als steuerlich irrelevant, da weder eine Veräußerung erfolgt noch ein Differenzausgleich erlangt worden sei; anders das jeweilige Finanzgericht und der BFH: Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der Gewinn bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt. Gewinn bei einem Termingeschäft ist der Differenzausgleich oder der durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil abzüglich der Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Termingeschäft stehen (§ 20 Abs. 4 Satz 5 EStG). Zu den Termingeschäften zählen auch Optionsgeschäfte. § 20 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG unterscheidet nicht zwischen Eröffnungs- und Basisgeschäft. Anders als nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. verlangt die Neuregelung nicht, dass der Gewinn durch die „Beendigung des Rechts“ erzielt wird.33 Für den Besteuerungstatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG ist es unerheblich, ob das Basisgeschäft durchgeführt wird oder es – wie bei Optionen üblicherweise oder bei Optionen auf Indizes zwangsläufig – ohne Durchführung des Basisgeschäfts lediglich zu einem Barausgleich kommt. Anders als nach der Rechtsprechung zum alten Recht sind nach neuem Recht die Anschaffung einer Option und der Ausgang des Optionsgeschäfts durchaus als Einheit zu betrachten. Danach sind aus einem Termingeschäft folgende

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Gewinne oder Verluste ohne zeitliche Beschränkung in vollem Umfang steuerbar und nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen verrechenbar. Ein der Besteuerung unterworfener Vorteil (bzw. Nachteil) „bei Termingeschäften“ wird auch dann erzielt bzw. realisiert, wenn eine Option wertlos wird. Das Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9 EStG steht dem Abzug der Optionsprämien nicht entgegen. Denn § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG enthält für die bei einem Termingeschäft angefallenen Werbungskosten eine Sondervorschrift. Danach können die Aufwendungen abgezogen werden, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Termingeschäft stehen. Dies sind die geleisteten Optionsprämien. Im Unterschied dazu können etwaige zur Finanzierung des Optionsgeschäfts angefallene Schuldzinsen nicht als Werbungskosten abgezogen werden. III. Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen – kein Fall der Abgeltungsteuer Nicht jede Kapitalnutzung im weiteren Sinne unterfällt jedoch der Abgeltungsteuer. Der Gewinn oder Verlust aus der Veräußerung oder Einlösung von Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen, die dem Inhaber ein Recht auf Auslieferung von Gold gewähren, ist nach zwei Urteilen des BFH vom 12.05.201534 nach Ablauf der Veräußerungsfrist von einem Jahr zwischen Anschaffung und Veräußerung der Wertpapiere nicht steuerbar.35 Bei Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen handelt es sich um börsenfähige Wertpapiere. Sie gewähren dem Inhaber das Recht auf Auslieferung eines Gramms Gold, das jederzeit unter Einhaltung einer Lieferfrist von zehn Tagen gegenüber der Bank geltend gemacht werden kann. Daneben besteht die Möglichkeit, die Wertpapiere an der Börse zu handeln. Zur Besicherung und Erfüllbarkeit der Auslieferungsansprüche war die streitige Inhaberschuldverschrei-

28 BFH, Urt. v. 12.01.2016 - IX R 48/14, IX R 49/15 und IX R 50/15. 29 BMF-Schreiben v. 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Rn. 27 und v. 27.03.2013, BStBl. I 2013, 403. 30 IX R 49/14 (anhängiges Verfahren beim BFH). 31 IX R 50/14 (anhängiges Verfahren beim BFH). 32 BFH, Urt. v. 12.01.2016 - IX R 48/14. 33 Vgl. zur alten Rechtslage BFH, Urt. v. 19.12.2007 - IX R 11/06 - BFHE 219, 574 = BStBl. II 2008, 519 und BFH, Urt. v. 09.10.2008 - IX R 69/07 - BFH/NV 2009, 152. 34 BFH, Urt. v. 12.05.2015 - VIII R 4/15 und VIII R 35/14. 35 BFH, Urt. v. 12.05.2015 - VIII R 4/15 und VIII R 35/14.

JM 3 bung jederzeit durch physisch eingelagertes Gold zu mindestens 95 % gedeckt. Ein Gewinn aus der Veräußerung oder Einlösung von XetraGold Inhaberschuldverschreibungen führt nicht zu steuerbaren Einkünften aus Kapitalvermögen, da die Schuldverschreibung keine Kapitalforderung verbrieft, sondern einen Anspruch auf eine Sachleistung, die Lieferung physischen Goldes. Der Anspruch auf Lieferung von Gold wird auch nicht dadurch zu einer Kapitalforderung, dass eine Vielzahl von Anlegern Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen auf dem Sekundärmarkt gehandelt haben. Im Ergebnis stellt der BFH den Erwerb sowie die Einlösung oder den Verkauf der Inhaberschuldverschreibungen dem unmittelbaren Erwerb oder Verkauf physischen Goldes gleich. Derartige Goldgeschäfte hat der BFH stets als private Veräußerungsgeschäfte i.S.v. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG angesehen.

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E. Fazit Schuldzinsen sind auch nach der Veräußerung des fremdfinanzierten Vermietungsobjekts grds. abziehbar. Gegen die Höhe von Aussetzungszinsen – 6 % p.a. – bestehen jedenfalls bis 2012 keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Regime der Abgeltungsteuer endet – abgesehen vom Steuersatz – auch nicht in Fällen einer erfolgreichen Günstigerprüfung. Ob Auflösungsverluste im Rahmen der Abgeltungsteuer allgemein steuerbar sind, bleibt abzuwarten. Verluste aus dem Verfall von Optionen sind nach neuem Recht steuerbar. Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen nicht der Abgeltungsteuer.

unterfallen

Strafrecht

Tatprovokation – eine kritische Bestandsaufnahme1 RA Prof. Dr. Guido Britz A. Einleitung Das überaus problematische Ermittlungs- und Überführungsinstrumentarium der sog. Tatprovokation ist seit langem2 in der Diskussion. Wohl erstmals beschäftigte sich der BGH im Jahre 1975 näher damit.3 In der Folgezeit entwickelte der BGH über wenige prägnante Stationen die nicht unumstrittene sog. Strafzumessungslösung und baute sie aus.4 In einem kurzen Zeitraum – Oktober 2014 bis Juni bzw. November 2015 – sind nunmehr vier beachtliche Entscheidungen zur Thematik ergangen, welche die Diskussion deutlich beleben. Judiziert haben nämlich der EGMR, das BVerfG und zweimal der BGH. Trotz dieser höchstrichterlichen Entscheidungen scheinen eine verbindliche Klärung in der Sache oder gar ein Ende der Kontroverse nicht in Sicht. Dies soll Anlass geben, die erwähnten Entscheidungen zu analysieren und den aktuellen Streitstand zu skizzieren.

liche Konsequenzen einer rechtsstaatswidrigen und damit unzulässigen Tatprovokation kontrovers erörtert, was mit

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B. Zu den Ausgangspunkten in der Debatte um die Tatprovokation In der Diskussion um das Phänomen der Tatprovokation geht es zunächst darum, die zulässige von der unzulässigen Tatprovokation abzugrenzen.5 Ausgehend davon werden auf materiell- und/oder verfahrensrechtlicher Ebene mög-

Der überarbeitete und insbesondere um die Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH, die zum Zeitpunkt des Vortrags nur als Presseerklärung vorlag, ergänzte Beitrag geht zurück auf meinen Vortrag anlässlich der 10. Beck-Strafrechtstagung 2015: „Fair Trial und Tatprovokation: EGMR vs. BVerfG?“. Vgl. hierzu etwa die Nachw. bei BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 (346 f., 348 ff.), aber auch: Schmitt in: MeyerGoßner/Schmitt, StPO, § 163 Rn. 34b. BGH, Urt. v. 10.06.1975 - 1 StR 165/75 - GA 1975, 333 (334); hierzu auch: BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 (346). Unter dem Gesichtspunkt des § 136a StPO ging es in der Entscheidung um die Verwertbarkeit der Aussage eines agent provocateur. Ein Polizeibeamter als Scheinkäufer hatte den Beschuldigten zu einem BtM Delikt provoziert. BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 ff.; 45, 321 ff.; 47, 44 ff. Zum (vorläufigen) Schlusspunkt: BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 128/15. Anders aber: BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14. Hierbei ergeben sich – wie noch zu zeigen sein wird – Parallelen in der Rspr. des BGH und des EGMR. Denn der EGMR verfährt nach dem sog. substantive test of incitement, um im Einzelfall zu eruieren, ob eine konventionsrechtswidrige Tatprovokation seitens der polizeilichen Ermittlungsbehörden vorliegt; vgl. EGMR, Urt. v. 04.11.2010 18757/06 - „Bannikova v. Russia“, Ziff. 37; EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09 - „Furcht v. Germany“ Ziff. 47 f.; hierzu: Sinn/Maly, NStZ 2015, 379 (380). Der BGH wählt eine Gesamtbetrachtung, bei der ähnliche Kriterien Anwendung finden. Freilich bestehen Unterschiede.

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Die Monatszeitschrift

den bekannten Topoi „Verfahrenshindernis“, „Strafzumessungslösung“, „Verwirkung des staatlichen Strafanspruches“, „Beweisverwertungsverbot“ und „Strafausschließungsgrund“6 beispielhaft7 umrissen werden kann.8 Den Hintergrund in der deutschen Diskussion bilden der kriminalpolitisch verankerte wie verfassungsrechtlich für abgesichert erachtete und deshalb nahezu schon als axiomatische zu bezeichnende Befund,9 dass es grundsätzlich zulässig sein soll, zur Kriminalitätsbekämpfung vor allem im Bereich des Drogenhandels das Instrument der Tatprovokation einsetzen zu können.10 Eine grundsätzliche Diskussion betreffend die Zulässigkeit einer staatlichen Tatprovokation erscheint deshalb bedauerlicherweise strafrechtspraktisch geradezu entbehrlich.11 Übergreifend ließ sich bislang zudem konstatieren, dass der BGH mit verschiedenen Entscheidungen12 für die strafrichterliche Spruchpraxis durchaus taugliche Bewertungskriterien zur Handhabung der Tatprovokation herausgearbeitet hat. Vermeintliche Gewissheiten scheinen sich indessen angesichts der aktuellen Rechtsprechung des BGH aufzulösen. C. Die Entscheidung des EGMR: EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09 - „Furcht gegen Deutschland“ Der Entscheidung des EGMR lag folgender Sachverhalt13 zugrunde: Der weder vorbestrafte noch ansonsten dem Drogenmilieu unmittelbar angehörige Beschwerdeführer, welcher zunächst lediglich das Mittel sein sollte, an eine Gruppe von Verdächtigen heranzukommen, wurde durch verdeckte Ermittler (VP) der Polizei trotz mehrfach geäußertem Desinteresse zur Vermittlung zweier Drogenkäufe massiv animiert. Das LG Aachen verurteilte ihn wegen der Taten am 22.10.2008 wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM in zwei Fällen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Vor dem BGH und dem BVerfG hatte die Entscheidung Bestand. Gestützt auf eine gefestigte Rechtsprechung14 seit dem Jahre 199815 konstatiert der EGMR hingegen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. In der Analyse der Entscheidung lässt sich zwischen einem Ausgangspunkt, einer entscheidenden Weichenstellung und der Begründung im Einzelnen differenzieren. Unter Berücksichtigung des Schutzbereiches von Art. 6 Abs. 1 EMRK besteht der Ausgangspunkt darin, dass das Gericht den Einsatz verdeckter Ermittler grundsätzlich für hinnehmbar erachtet, sofern deren Einsatz jedoch klaren Beschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen unterliegt. Insofern wird dem Recht auf ein faires Verfahren eine herausragende Stellung zuerkannt.16 In einer zentralen Weichenstellung wird sodann zwischen zulässiger „Fal-

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lenstellerei“17 (entrapment) einerseits und unzulässiger „polizeilicher Anstiftung“ (police incitement) andererseits unterschieden.18 Denn mit Art. 6 Abs. 1 EMRK ist die polizeiliche Anstiftung unvereinbar. Nach Auffassung des

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Hierzu z.B. Wohlers, NStZ 1993, 1 ff. (10): Ein staatlich veranlasster Strafausschließungsgrund liegt vor, da bei einer Tatprovokation hinsichtlich einer unverdächtigen Person „… eine staatliche Befugnis zu strafen von vorherein nicht existent“ ist. Zur Vollstreckungslösung: Kraatz, JR 2008, 189 (194); Weber, JR 2008, 36 (38). Kurze instruktive Übersicht zu den verschiedenen Ansätzen: Jahn, JuS 2014, 371 (372); Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (763). Hierzu: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 f. m.w.N. auch zur Kritik. Hierzu hat der BGH beispielsweise ausgeführt: „Zutreffend geht das angefochtene Urteil davon aus, daß der Einsatz von V-Personen und von verdeckt arbeitenden Polizeivollzugsbeamten zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität, zu der insbesondere auch der Rauschgifthandel gehört, notwendig und zulässig ist … Das Landgericht betont andererseits mit Recht, daß tatprovozierendes Verhalten polizeilicher Lockspitzel nur innerhalb der durch das Rechtsstaatsprinzip gesetzten Grenzen hingenommen werden kann … An diesem Grundsatz ist festzuhalten.“. Pointiert: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761: „Die Kritik, die am Einsatz verdeckter Ermittler und insbesondere an der Provokation von Taten geäußert worden ist, hatte ganz offenbar nie eine Chance, sich gegen die Bedürfnisse der Strafverfolgungspraxis durchzusetzen, die geradezu mantra-artig die kriminalistische Notwendigkeit dieser Ermittlungsinstrumente betont.“. BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 (355); BGH, Urt. v. 18.11.1999 - 1 StR 221/99 - BGHSt 45, 321 (324 ff.); BGH, Urt. v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01 - BGHSt 47, 345 (346 f., 348 ff.). Ausführlich hierzu: EGMR: Unzulässige Tatprovokation muss entgegen der seitherigen deutschen Rechtsprechung zu einem Verwertungsverbot führen, in: JR 2015, 81 ff. (82 ff.) m. Anm. Petzsche, 88 ff. EGMR, Urt. v. 09.06.1998 - 25829/94 - „Teixeira de Castro gegen Portugal“; EGMR, Urt. v. 05.02.2008 - 74420/01 - „Ramanauskas gegen Litauen“; EGMR, Urt. v. 04.11.2010 - 18757/06 - „Bannikova gegen Russland“; vgl. aber auch: EGMR, Urt. v. 25.06.1992 17/1991/269/340 - „Lüdi gegen Schweiz“. Hierzu: Eisenberg, GA 2014, 404 (407 f. m.w.N.); Esser, Lockspitzel und V-Leute in der Rechtsprechung des EGMR: Strafrechtliche Ermittlungen jenseits der StPO – außerhalb des Gesetzes? in: 35. Strafverteidigertag Berlin (2011), S. 197 ff. (198 ff.); Gottschalk, StudZR 2013, 49 ff. Der EGMR führt an maßgeblicher Stelle aus: „Der Einsatz verdeckter Ermittler kann hingenommen werden, vorausgesetzt, er unterliegt klaren Beschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen … Während die Zunahme des organisierten Verbrechens zweifellos angemessene Maßnahmen erfordert, kommt dem Recht auf ein faires Verfahren gleichwohl eine so herausragende Stellung zu, dass es der Zweckmäßigkeit nicht geopfert werden kann.“ In der Übersetzung ließe sich auch von List sprechen; vgl. EGMR, Urt. v. 25.03.2015 - 54648/09DE. Der EGMR führt an maßgeblicher Stelle aus: „Wenn der Gerichtshof mit dem Einwand polizeilicher Anstiftung oder Fallenstellerei befasst wird, versucht er festzustellen, ob angestiftet oder eine Falle gestellt worden ist …“.

JM 3 EMRG ist es nämlich Aufgabe der Polizei, Verbrechen zu verhüten und aufzuklären, nicht aber, zu ihnen anzustiften. Es besteht demnach ein Verbot polizeilicher Anstiftung, die wiederum vorliegt, wenn die beteiligten Beamten sich nicht darauf beschränken, strafbare Handlungen im Wesentlichen passiv zu untersuchen, sondern einen solchen Einfluss auf die Person ausüben, dass eine Tat begangen wird, die sonst nicht begangen worden wäre, um die Tat zu beweisen. Um nunmehr zwischen zulässiger Fallenstellerei19 als bloß passiver Ermittlungstätigkeit20 einerseits und polizeilicher Anstiftung als unzulässiger Tatprovokation andererseits abschichten zu können, fokussiert der EGMR die Gründe der verdeckten Maßnahme sowie das Verhalten der die Maßnahme ausführenden Akteure.21 Hierzu hat das Gericht bereits in früheren Entscheidungen Differenzierungskriterien22 entwickelt, welche in dem aktuellen Urteil nochmals repetiert werden; nämlich das Vorliegen von (objektiven) Anhaltspunkten betreffend begangene oder geplante Straftaten zum Zeitpunkt der erstmaligen Kontaktaufnahme wie z.B. Vorstrafen, laufende Ermittlungsverfahren, Nähe zum kriminellen Milieu (Preiskenntnis, kurzfristige Beschaffungsmöglichkeiten, finanzieller Vorteil aus dem Drogengeschäft) sowie ferner die Frage, ob und inwiefern Druck ausgeübt wurde, eine Straftat zu begehen.23 Bezogen auf den zu beurteilenden Sachverhalt war für die Feststellung einer Verletzung der Konvention zweierlei maßgeblich. Zum einen der Umstand, dass gegen den Beschwerdeführer zu Beginn der polizeilichen Aktivitäten keine Maßnahme nach §§ 110a, 110b StPO durchgeführt wurde.24 Zum anderen der Umstand, dass der Beschwerdeführer trotz ausdrücklicher Distanzierung von Drogengeschäften vom verdeckten Ermittler erneut kontaktiert und zum Weitermachen motiviert wurde.25 Bei der Frage, ob nach Art. 34 EMRK die Verletzteneigenschaft des Beschwerdeführers wegen einer gerichtlichen Wiedergutmachung durch nationale Gerichte entfallen sein könnte, hebt der EMRK erneut deutlich hervor, dass ein umfassendes Beweisverwertungsverbot angebracht erscheint. Denn in Fällen polizeilicher Tatprovokation unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK müssen dem Gericht zufolge alle als Ergebnis der polizeilichen Tatprovokation erlangten Beweise ausgeschlossen werden.26 Dies mündet in die für die aktuelle Diskussion maßgebliche Feststellung, dass eine erhebliche Milderung der Strafe nicht als „Verfahren mit ähnlichen Konsequenzen“ – als eine im Grundsatz mögliche Alternative zu einem (umfassenden) Beweisverwertungsverbot – in Betracht kommt.27 Dies lässt sich in der Konsequenz als eine grundsätzliche Absage an die Strafzumessungslösung des BGH begreifen.28

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Die Entscheidung ist in der Literatur begrüßt worden.29 In seiner Anmerkung zur Entscheidung des EGMR versuchte es Sommer sprachgewaltig auf den Punkt zu bringen, indem er ausführte, dass der EGMR den Totentanz für einen Zombie der deutschen Rechtsprechung intoniert habe.30 Andere sprachen nicht minder zurückhaltend von einem Fanal.31 Hintergrund ist, dass im Schrifttum seit langem mit Blick auf die Rechtsprechung in Straßburg eine Abkehr von der Strafzumessungslösung vertreten wird.32 D. Die Entscheidung des BVerfG: BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Knapp zwei Monate nach der Entscheidung des EGMR bestätigte das BVerfG in Kenntnis des Straßburger Urteils in einer vergleichbaren Fallkonstellation wiederum die Strafzumessungslösung. Die Annahme eines Verfahrenshindernisses wurde dem sog. Extremfall33 vorbehalten. Der der Entscheidung des BVerfG zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Hinsichtlich des Beschwerdeführers bestand der vage Verdacht, in großem Umfang mit Heroin zu handeln. Eine für ihre Tätigkeit honorierte polizeiliche Vertrauensperson (VP) wurde mit den Ermittlungen beauftragt. Der Verdacht betreffend Heroinhandel konnte zwar nicht bestätigt werden. Allerdings gelang es der VP durch heftiges Drängen, den zweifelnden, sich zuweilen ablehnend verhaltenden Beschwerdeführer, der weder über die erforderlichen finanziellen Mittel noch

19 Als ein Beispiel hierfür kann gelten: BGH, Urt. v. 10.06.1975 - 1 StR 165/75. 20 Zur Präzisierung des essentially passiv: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (766 m.w.N.). 21 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 50. 22 Gesprochen wird auch von einem materiellen Test bzw. substantive test of incitement; vgl. Petzsche, JR 2015, 88 ff. (90). 23 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 51 f. 24 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 54 ff. 25 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 57 ff. 26 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 64. 27 EGMR, Urt. v. 23.10.2014 - 54648/09, 67 ff. 28 In diesem Sinne: Petzsche, JR 2015, 88; Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (762, 768). 29 Beukelmann, NJW-Spezial 2015, 376; Sinn/Maly, NStZ 2015, 379 ff. (383); Esser, BGH zu Agent Provokateur: Hindernis für Verfahren, in: Legal Tribune Online, 11.06.2015. 30 Sommer, StraFo 2014, 508. 31 Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (762). 32 El-Ghazi/Zerbes, HRRS 2014, 209 ff. (215 ff.); Esser in: Strafverteidigertag Berlin 2011, S. 197 ff. (206). 33 Zum Extremfall bereits BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 (354).

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über entsprechende Kontakte verfügte, zu einem Kokainimport aus Südamerika zu animieren. Mit einem Strafabschlag von fünf Jahren und sieben Monaten verurteilte das LG Berlin den Beschwerdeführer – schließlich durch den 5. Senat des BGH34 bestätigt – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten. Ausgangspunkt der Entscheidung des BVerfG ist eine Abwägung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires Verfahren einerseits, gegen die Erfordernisse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege andererseits. Demnach ist eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren erst dann gegeben, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde.35 Vor diesem Hintergrund wird zunächst eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren verneint, weil die rechtsstaatswidrige Tatprovokation im Rahmen der Strafzumessung ausreichend Berücksichtigung gefunden habe.36 Und es lässt sich in der Diktion des BVerfG37 hinzufügen: Es liegt wohl nur eine Zurücksetzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren zugunsten der wirksamen Strafrechtspflege vor. Indessen soll ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitendes Verfahrenshindernis, gedacht als Verbot der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches, aufgrund rechtsstaatswidriger Tatprovokation grundsätzlich möglich sein, nämlich in extremen Ausnahmefällen. Wann eine solche Konstellation wiederum gegeben ist, lässt das Gericht offen. Angedeutet wird aber, dass der zugrunde liegende Sachverhalt dem extremen Ausnahmefall nahekomme.38 Entscheidend soll die Wahrnehmung der der Staatsanwaltschaft obliegenden Kontrollfunktion sein. Die Verletzung der Kontrollpflicht durch die Staatsanwaltschaft oder deren bewusste Umgehung durch die Polizei können demzufolge zu einem Verfahrenshindernis führen.39 Des Weiteren deutet sich an, dass dies auch dann gelten kann, wenn die Tatprovokation einen gänzlich Unverdächtigen, der lediglich als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten Tatplan ohne eigenen Antrieb ausführt, betrifft.40 Den Vorgaben aus der Rechtsprechung des EGMR weicht das BVerfG mit dem Hinweis auf einen anderen dogmatischen Ansatz gewissermaßen aus.41 Zudem wird angeführt, dass es anerkanntermaßen Aufgabe der nationalen Gerichte sei, die Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK in die nationalen Strafrechtssysteme zu integrieren.42 Fallspezifisch wird daher die Anwendung der Strafzumessungslösung

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noch für ausreichend – weil verfassungs- und konventionskonform43 – befunden.44 Das BVerfG sympathisiert also erkennbar mit der Strafzumessungslösung.45 Pointiert formuliert ließe sich konstatieren, dass eine Absage an die Rechtsprechung des EGMR vorliegt. Oder unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zur Rechtsprechung des EGMR: Es liegt die Absage an die Absage und damit ein verfassungsgerichtlicher Rettungsversuch zugunsten der Strafzumessungslösung vor. Jenseits aller Polemik lässt sich freilich festhalten, dass das BVerfG grundsätzlich zur Strafzumessungsregelung steht. Nur in extremen Ausnahmefällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation soll nunmehr ein aus Art. 20 Abs. 3 GG ableitbares Verfahrenshindernis in Betracht kommen. Das Verfahrenshindernis stellt aus der nationalen verfahrensrechtlichen Perspektive ein – so wohl auch bewusst gedachtes – Äquivalent zum (europastrafrechtlichen) Beweisverwertungsverbot dar. Die verfassungsgerichtliche Konstruktion um die Bewertung von Erscheinungsformen der unzulässigen Tatprovokation insbesondere mit Blick auf den Ausnahmefall lässt sich daher als Versuch eines diplomatischen Brückenschlags zur Rechtsprechung des EGMR begreifen. E. Die Entscheidungen des BGH: BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 128/15 und BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Wenige Monate nach den Entscheidungen aus Straßburg und Karlsruhe suchte und fand der BGH Gelegenheit, sich

34 Ausführlich zu den Entscheidungen des LG Berlin und des BGH: Eisenberg, GA 2014, 404 ff. Vgl. aber auch: Sättele, FD-StrafR 2014, 354628; Jahn, JuS 2014, 371 ff. 35 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 31. 36 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 33. 37 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 32. 38 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 35. 39 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 36. 40 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 38. 41 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 42. Die Ausweichstrategie ist auch in der Rspr. des BGH zu erkennen; vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1999 - 1 StR 221/99 - BGHSt 45, 321 (339): „Auf diese Weise wird die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen einer Verletzung der MRK vermieden …“. 42 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 43. 43 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 46. 44 Kritisch zur Argumentation des BVerfG: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (768) mit der Schlussfolgerung: „Für die Strafzumessungslösung kann nicht mehr reklamiert werden, sie genüge den Vorgaben des EGMR.“. 45 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 44 f. Kritisch: Jäger, JA 2015, 473 ff. (475 f.).

JM 3 erneut mit der Thematik zu befassen und in die Kontroverse einzugreifen. Es handelt sich um die Entscheidungen des 1. Senats vom 19.05.201546 sowie die des 2. Senats vom 10.06.201547. Die letztgenannte Entscheidung des BGH lag lange Zeit nur in Form einer Pressemitteilung vor und ist erst gegen Ende November 2015 publiziert worden. Freilich war das Echo schon auf die Pressemitteilung nach der Verkündung groß, da der 2. Senat ankündigte, angesichts des Urteils des EGMR seine Rechtsprechung zu ändern und wohl nicht mehr an der Strafzumessungslösung festzuhalten.48 In der zeitlich ersten Entscheidung wird der zugrunde liegende Sachverhalt49 nicht weiter mitgeteilt, da dieser nicht zuletzt aus revisionsrechtlicher Sicht50 ohne weitere Bedeutung war. Denn der 1. Strafsenat hat die Revision gegen die Entscheidung des LG Stuttgart eher mehr denn weniger schlicht annektiert, um in der aktuellen Diskussion Stellung beziehen zu können. Der Beschluss als solcher liest sich sodann wie eine große Umarmung. Mit dem BVerfG wird nämlich zunächst die Annahme des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses auf extreme Ausnahmefälle beschränkt.51 Sodann mündet die zusammenfassende Darstellung der bisherigen Rechtsprechung des BGH52 in Gegenüberstellung mit der Rechtsprechung des EGMR53 in die artifiziell anmutende Feststellung, dass eigentlich sachliche Übereinstimmung zwischen BGH und EGMR bestünde.54 In der gesamten Entscheidung geht der BGH indessen nicht auf die Strafzumessungslösung ein, obwohl gerade sie Bestätigung finden soll. Denn der Strafsenat navigiert geschickt vor allem in dem durch den EGMR geschaffenen Freiraum, der sich hinter dem Begriff „Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen“ verbirgt, sowie dem Freiraum, welcher sich daraus ergeben soll, dass die Gerichte der Vertragsstaaten entscheiden, wie die Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK in das nationale Strafrechtssystem zu integrieren sind.55 Zusammenfassend ist deshalb zu konstatieren, dass der 1. Senat, der sich zudem hinsichtlich der Kriterien einer unzulässigen Tatprovokation in Übereinstimmung mit dem EGMR wähnt56, an seiner bisherigen Rechtsprechung und insbesondere an der Strafzumessungslösung weiter festhält. Nur bei Vorliegen eines sog. Extremfalls kommt ein rechtsstaatliches Verfahrenshindernis unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG in Betracht. Anders demgegenüber der 2. Strafsenat des BGH, dessen Entscheidung folgender Sachverhalt zugrunde lag57: Durch das LG Bonn waren die Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten unter strafmildernder Berück-

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sichtigung einer Tatprovokation58 verurteilt worden. Die einschlägig vorbestraften59 Beschuldigten wurden – nachdem ein undeutlicher, aber sodann nicht bestätigter Verdacht auf Drogenhandel aufgekommen war – von deutschen und niederländischen Verdeckten Ermittlern trotz einer durchweg ablehnenden Haltung vor allem durch Vorspiegelung einer existenziellen Zwangslage sowie durch insistierendes Vorgehen der Ermittler dazu gedrängt, Drogengeschäfte zu vermitteln; zum Teil gegen eine geringe Vergütung60. Der Senat stellte das Verfahren ein, da nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK – so der Leitsatz – die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge habe. Zentral ist in der Urteilsbegründung der Satz, dass der Senat angesichts der aktuellen Rechtsprechung des EGMR nicht mehr an der Strafzumessungslösung festhält.61 Zur Begründung wird an maßgeblicher Stelle ausgeführt, dass

46 BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 128/15. 47 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14. Hierzu: Clanget, jM 2015, 393 f. 48 Vgl. Mitteilung der Pressestelle Nr. 91/2015. Zum Echo in der Presse: Janisch, SZ v. 10.06.2015: „Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Praxis teilweise einen Riegel vorgeschoben. Wer durch massiven Druck eines verdeckten Polizeiermittlers gleichsam in die Straftat hineingetrieben wird, darf überhaupt nicht mehr verurteilt werden.“; Müller in: beck-community 10.06.2015: Polizisten stiften Bürger zum Rauschgiftschmuggel an – BGH ändert endlich seine ständige Rechtsprechung. 49 Hierzu: BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 15. 50 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 15: „Die Urteilsfeststellungen geben damit keinen Anhalt dafür, dass der Entschluss des Angeklagten, unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben, auf eine polizeiliche Tatprovokation zurückgeht.“. 51 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 6 ff. 52 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 23 ff. 53 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 27 ff. 54 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 29: „Die die Rechtsprechung des EGMR in der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK prägenden Voraussetzungen der Tatprovokation werden in der Judikatur des Bundesgerichtshofs … abgebildet.“ Kritisch demgegenüber: Meyer/ Wohlers, JZ 2015, 761 (765): „Und auch insoweit legt der EGMR Maßstäbe an, die nicht deckungsgleich sind mit denen, die von den deutschen Gerichten entwickelt worden sind.“. 55 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 8. 56 Zweifelnd: BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 35. 57 Ausführlich zum umfangreichen Sachverhalt: BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 3 ff. 58 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 17. 59 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 9, 27. 60 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 12, 16. 61 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 38.

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es zur Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG gehört, die Gewährleistungen der EMRK und die Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung des innerstaatlichen Rechts zu berücksichtigen.62 Die nach der Entscheidung des EGMR „Feucht/Deutschland“ erforderliche Neubewertung der staatlichen Tatprovokation63 hat dem 2. Senat zufolge drei Konsequenzen: dass die Strafzumessungslösung als Konsequenz rechtsstaatswidriger Tatprovokation nicht mehr in Betracht kommt64, dass in diesem Zusammenhang ein Beweisverwertungsverbot mit grundlegenden Wertungen des deutschen Strafrechtssystems inkompatibel ist sowie zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten führt65 und daher als Lösung ausscheidet, dass sich die Annahme eines Verfahrenshindernisses schonend in das deutsche Strafrechtssystem einfügt66. Eingebunden und eingeleitet sind die zuvor skizzierten Schlussfolgerungen in eine ausführliche Darstellung der Rechtsprechung der EGMR und des BGH zur Tatprovokation67 einschließlich der Feststellung, dass gemessen an beiden Maßstäben eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und des Rechtsstaatsprinzips gegeben ist68. Denn der Einsatz der Verdeckten Ermittler hat sich nicht auf eine passive Strafermittlung beschränkt, sondern stellt sich als massive aktive Einwirkung dar.69 Daneben besteht – im Sinne der Rechtsprechung des BGH zum sog. Quantensprung – ein deutliches Missverhältnis zwischen dem (vagen) Anfangsverdacht und den wiederholten, massiven Einwirkungshandlungen der Verdeckten Ermittler.70 Einen möglichen Widerspruch insbesondere zur aktuellen Entscheidung des BVerfG sieht der Senat indessen nicht, da die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht auf Ausnahmefälle beschränkt worden und die Herleitung der Strafzumessungslösung nicht unmittelbar aus der Verfassung erfolgt sei.71 F. Zur Bewertung Das zentrale Dilemma der Tatprovokation liegt darin, dass eine spezifische gesetzliche Regelung fehlt.72 Eingriffsgrundlage73 bildet nämlich die Vorschrift des § 163 Abs. 1 StPO mit der darin enthaltenen allgemeinen Aufgabenzuweisung und Ermittlungsbefugnis. Alles Weitere und vor allem Nähere ist Kasuistik und somit Richterrecht. Gewissermaßen potenziert wird die Problematik noch dadurch, dass auch der Einsatz von Verdeckten Ermittlern (VE), Vertrauenspersonen (VP) und sonstigen Gehilfen staatlicher Repression oder Prävention – insofern lösen sich gleichfalls bei der Gesamtthematik überkommene Unterscheidungen auf74 – nicht auf der Basis klarer gesetzlicher Regelungen erfolgt.75 Vielmehr liegen sowohl in rechtlicher Hinsicht

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als auch in der Wirklichkeit der Kriminalitätsbekämpfung Graubereiche vor. Die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessungslösung ist einschließlich des aktuellen Beschlusses des 1. Senats vom 19.05.2015 durch nunmehr insgesamt vier Entscheidungen geprägt und in sich gefestigt. Bei der Tatprovokation ist demnach zu unterscheiden in eine Form der Tatprovokation, welche als solche jedoch nicht deklariert wird, und in die eigentliche und deshalb auch so bezeichnete Tatprovokation. Bei der ersten Variante, die in der Diktion des BGH terminologisch keine Tatprovokation darstellt oder jedenfalls keine sein soll, handelt es sich um das sog. bloße Mitmachen76; mithin um eine stets zulässige Form der Tatprovokation. Demgegenüber liegt eine Tatprovokation im eigentliche Sinne vor, wenn durch staatliche Ermittlungsorgane oder diesen jedenfalls zurechenbar auf eine Person stimulierend eingewirkt wird, indem eine Tatbereitschaft geweckt oder die Intensivierung einer Tatplanung mit einiger Erheblichkeit erreicht wird. Ob diese unzulässig ist, ergibt sich aus einer Gesamtschau einzelner Bewertungskriterien, die da sind: Vorhandensein einer Tatgeneigtheit, das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Anfangsverdachts gegen den Betroffenen sowie die Art und Intensität der dem Staat zurechenbaren Einwirkung auf diesen. Die Kompensation für eine unzulässige Tatprovoka-

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BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 44. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 48. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 45. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 50 ff. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 53 ff. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 20 ff. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 25. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 26, 32. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 34. BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 57. Vgl. hierzu auch: BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 28. Dass die Tatprovokationen einen Grundrechtseingriff darstellt, dürfte unstreitig sein; vgl. hierzu: Fischer/Maul, NStZ 1992, 7 ff. (12). Zur Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bei grundrechtsrelevanten Maßnahmen: Radtke/Hohmann/ Kretschmer, StPO, § 163 Rn. 9. 74 Zur Frage, inwiefern es sich bei der Tatprovokation um Prävention oder Repression handelt: Petzsche, JR 2015, 88 ff. (89); Fischer/Maul, NStZ 1992, 7 ff. 8 (12); BGHSt 45, 321 (337: „präventive Rechtfertigungselemente“); BGH, Urt. v. 30.05.2001 - 1 StR 42/01 - BGHSt 47, 44 (50); aber auch: BGH, Urt. v. 23.07.1985 - 5 StR 166/85 - BGHSt 33, 283 f. 75 Zur Problematik der verschiedenen strafprozessualen und polizeirechtlichen Rechtsgrundlagen: Eisenberg, GA 2014, 404 (416 f.). 76 BGH, Urt. v. 18.11.1999 - 1 StR 221/99 - BGHSt 45, 321 (338); BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 128/15 Rn. 10. Vergleichbar erscheint dies mit der „Fallenstellerei“ des EGMR.

JM 3 tion erfolgt über einen im Einzelfall zu bemessenden schuldunabhängigen Strafabschlag bei der Strafzumessung. Die Attraktivität der Strafzumessungslösung liegt hauptsächlich darin, dass sie die notwendige Flexibilität in dem vermeintlichen Spannungsfeld zwischen einem individuell zu gewährleistenden fairen, rechtsstaatlichen Verfahren einerseits und übergeordneten, gleichfalls rechtsstaatlich unterlegten Strafverfolgungsinteressen (funktionsfähige Strafrechtspflege) andererseits mit sich bringt. Neu ist in dieser Gesamtkonstruktion lediglich – unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben und mit einem Kotau nach Straßburg – die Annahme eines Verfahrenshindernisses bei Vorliegen eines sog. Extremfalls.77 Den Kontrapunkt zu dieser Konzeption formulieren seit längerem schon der EGMR und aktuell der 2. Strafsenat des BGH. Unabhängig von sicherlich erforderlichen Bewertungs- oder Differenzierungskriterien zur Bestimmung des Vorliegens einer (un-)zulässigen Tatprovokation, über deren Vergleichbarkeit sich überdies diskutieren lässt, ist die Akzentuierung und damit der Grundsatz maßgeblich. Sowohl der EGMR78 als auch der 2. Senat79 verstehen die staatliche Strafverfolgung in erster Linie als passive Ermittlungstätigkeit80 und setzen dies nunmehr konsequent um, sodass grundsätzlich ein Verbot (aktiver) polizeilicher Anstiftung besteht. Diese liegt vor, wenn die beteiligten Ermittlungspersonen sich nicht darauf beschränken, strafbare Handlungen im Wesentlichen passiv zu untersuchen, sondern einen solchen Einfluss auf die Person ausüben, dass eine Tat begangen wird, die sonst ohne die Einwirkung nicht begangen worden wäre.81 Die rigorosen Rechtsfolgen derartiger Grenzüberschreitungen sind – als funktionale Äquivalente – entweder ein Beweisverwertungsverbot (EGMR) oder ein Verfahrenshindernis (2. Strafsenat). Die Kontroverse zwischen Strafzumessungslösung einerseits und Annahme eines Beweisverwertungsverbots oder eines Verfahrenshindernisses andererseits lässt sich also zuspitzen auf das inkompatible Gegenüber von Rigorosität und Flexibilität. Die Entscheidung für eines der Modelle hängt untrennbar mit rechtsstaatlichen Überzeugungen und Einstellungen zusammen. Oder prägnant formuliert: Ist es jenseits aller Zweckmäßigkeitserwägungen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen überhaupt vereinbar, aus präventiven oder repressiven Gründen Personen zu Straftaten

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anzustiften, um sie sodann nur derentwegen zu bestrafen? In der Konsequenz liegt unter Umständen ein gesetzliches Verbot der Tatprovokation82, wie es nunmehr im Bericht der Expertenkommission vom Oktober 2015 postuliert wird.83 Entschließt sich der Gesetzgeber hierzu nicht, bleibt es innerhalb der Rechtsprechung zumindest vorläufig – eventuell bis zu einer Entscheidung des Großen Senats – bei der geschilderten Kontroverse. Ein sicherlich nicht nur die Instanzgerichte irritierender Riss geht vor allem durch den BGH selbst, da die Frontlinie zurzeit zwischen dem EGMR und dem 2. Strafsenat auf der einen Seite und dem BVerfG und dem 1. Senat auf der anderen Seite verläuft. Die aktuellen Entscheidungen des EGMR, des BVerfG und des BGH haben daher kaum zu einer befriedigenden Lösung der Problematik um die Tatprovokation beigetragen. Unabhängig von offenen Einzelfragen erscheint eine klärende verfassungsrechtliche Grundsatzdebatte über den Umgang mit dem zweifelhaften Ermittlungs- und Überführungsinstrumentarium dringend notwendig.

77 Ein sog. Extremfall soll vorliegen, wenn ein gänzlich Unverdächtiger lediglich als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten Tatplan ohne eigenen Antrieb ausgeführt hat; vgl. BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 128/15; BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 - 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 38. Die Beschreibung des sog. Extremfalls stellt sich als eine Mischung von der aus der Interpretation der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG bekannten Objektformel einerseits und Versatzstücken der mittelbaren Täterschaft andererseits dar. Weder zu einer Bejahung des sog. Extremfalls noch zu einer weiteren Präzisierung ist es bislang gekommen. Allerdings hat der BGH in einer früheren Entscheidung angedeutet, dass in Extremfällen eine Analogie zu § 5 Abs. 2 WStG in Betracht kommen könne; vgl. BGH, Urt. v. 23.05.1984 - 1 StR 148/84 - BGHSt 32, 345 (354). Insgesamt stellt sich freilich die Frage, wie realistisch die Konzeption des sog. Extremfalls ist, unabhängig von den beweisrechtlichen Problemen. 78 EGMR, Urt. v. 25.03.2015 - 54648/09DE, 47 f. m.w.N. 79 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 26, 32. 80 Zur Präzisierung: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761 (766 m.w.N.). 81 BGH, Urt. v. 10.06.2015 - 2 StR 97/14 Rn. 20 m.w.N. 82 Zur bereits früher erhobenen Forderung nach einer gesetzlichen Regelung: Fischer/Maul, NStZ 1992, 7 ff. (13). 83 Bericht der Expertenkommission zur effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens (Stand Oktober 2015).

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Ibold, Maklerrecht, Handbuch Herausgegeben von Hans Christian Ibold Erich Schmidt Verlag, 3. Aufl. 2015, 319 Seiten, kartoniert, 44,00 €, ISBN 978-3-503-16360-1 Michael Martinek Man könnte durchaus von einem „Praxishandbuch“, zumindest aber von einem „Kompendium“ des Maklerrechts sprechen, denn man findet, was man sucht, und zwar keineswegs nur zur Immobilien- und Wohnungsvermittlung, sondern auch zur Vermittlung von Konsumentenkrediten, zur Arbeitsvermittlung, Reisevermittlung, zur Vermittlung von Kapitalanlagen oder zur Partnervermittlung. In der Tat: das Maklerrecht ist inzwischen ein weites Feld, das in die verschiedensten Lebensbereiche und Rechtsgebiete hineinragt, zum Gutteil mehr oder weniger stark regulierte Märkte betrifft und von einer Vielzahl von Spezialregelungen beeinflusst wird. Freilich befasst sich etwa die Hälfte des Buches zunächst mit dem „Allgemeinen Teil“ des Maklerrechts, insbesondere dem Maklervertragsrecht des Zivilmaklers der §§ 652 bis 656 BGB und des Handelsmaklers der §§ 93 bis 104 HGB, bevor die verschiedenen Einsatz- und Tätigkeitsbereiche von Maklern als „spezielles Maklerrecht“ dargestellt werden. Dass der Band seit der Erstauflage von 2003 und der Zweitauflage von 2009 nunmehr wiederum nach sechs Jahren eine wirklich „neu bearbeitete Auflage“ erfahren hat, zeugt von der gewaltigen Dynamik des Maklerrechts. Hans Christian Ibold, früher Richter am OLG Düsseldorf, hat es sich bei seiner übersichtlich gegliederten und durch ein filigranes Stichwortverzeichnis leicht erschließbaren Darstellung vor allem angelegen sein lassen, die Rechtsprechung auf- und einzuarbeiten; denn in fast allen Bereichen ist das Maklerrecht vor allem Richterrecht, weshalb den Leitentscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der Praxisbezug ist dabei omnipräsent, womit dem dankbaren Leser „Brot statt Steinen“ gegeben werden, wie etwa die Abschnitte über „Prozessuales“ oder „Gewerbeerlaubnis“ zeigen. Natürlich erfährt das „Bestellerprinzip“, das für die Vermietung von Wohnungen nach dem zum 01.06.2015 in Kraft getretenen Mietrechtsnovellierungsgesetz Geltung beansprucht, ebenso Berücksichtigung wie die Umsetzung der europäischen Verbraucherrechterichtlinien mit ihren Auswirkungen auf den Abschluss von Maklerverträgen. Die „Theorie des Maklerrechts“ ist weniger Sache des Verfassers; wer danach sucht, sei eher auf die Staudinger-Kommentierung von Dieter Reuter verwiesen, die inzwischen (seit November 2015, was Ibold noch nicht berücksichtigen konnte) von Arnd Arnold fortgesetzt wird. Die Praktiker des Maklerrechts aber werden im „Ibold“ finden, was sie su-

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chen, und zwar in präziser und kompakter Form und mit Nachweisen in einem Anmerkungsapparat von fast 1.500 Fußnoten, die durch ein ausführliches „Verzeichnis der verwendeten und weiterführenden Literatur“ ergänzt werden. Deshalb kann das Buch mit Nachdruck allen selbständigen Maklern, privaten Arbeitsvermittlern, Kapital- und Versicherungsvermittlern sowie den Experten der Immobilien-, Wertpapier- und Versicherungsabteilungen der Banken und Sparkassen aber auch den mit dem Maklerrecht beschäftigten Rechtsanwälten, Notaren und Richtern empfohlen werden – wenn es dessen überhaupt noch bedarf; denn der Band hat längst den Rang eines Standardwerks erworben.

Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union Herausgegeben von Vors. RiVG Prof. Dr. Jan Bergmann Nomos, 5. Aufl. 2015, 1.170 Seiten, gebunden, 98,00 €, ISBN 978-3-8487-1318-9 RiBVerwG Prof. Dr. Harald Dörig Die EU steht derzeit am Scheideweg zwischen Vertiefung und Zerfall. Um die Entwicklung in unterschiedlichen Politikbereichen sachgerecht beurteilen zu können, bedarf es eines umfangreichen Fachwissens. Dieses wird in dem „Handlexikon der Europäischen Union“ vermittelt, das nunmehr in 5. Auflage erschienen ist. Das 1.170 Seiten umfassende Werk ist in rund 1.000 Stichwörter gegliedert. Diese beschreiben die unterschiedlichen Politikbereiche der Union im Allgemeinen (etwa Agrar-, Asyl-, Bildungs- und Verkehrspolitik) wie auch im Speziellen (etwa Donauraumstrategie, asylrechtliches Dublin-System, die umweltrechtliche Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und das Satellitennavigationsprogramm Galileo). Erläutert werden auch die Aufgaben europäischer Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der Grenzschutzagentur Frontex, des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz und des Europäischen Militärstabs EUMS. Einbezogen sind des Weiteren Inhaltsangaben zu wichtigen Urteilen des EuGH (von Cassis de Dijon bis Akerberg Fransson und Google). Die Erläuterungen erfolgen durch 76 unterschiedliche Experten aus Praxis und Wissenschaft. Dazu zählen u.a. das ehemalige EZB-Zentralratsmitglied Jürgen Stark, der ehemalige Forschungsleiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Bernhard Seidel, darüber hinaus Botschafter und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, namhafte Völkerrechtler wie Arnim von Bogdandy, weitere zahlreiche Wissenschaftler, aber auch Richter und Rechtsanwälte. Koordiniert wird das Team von Jan Bergmann, der in seiner Person die Erfahrungen als Richter und Hochschullehrer vereint.

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Die Darstellungen zu den einzelnen Stichworten sind auf hohem fachlichem Niveau, zugleich aber gut lesbar verfasst und auf Lexikonformat komprimiert. Querverweise im Text sowie ein alphabetischer Index am Ende des Werkes erleichtern das schnelle Auffinden des Gesuchten. Im Anschluss an die Erläuterungen zu den Stichworten finden sich meist weitere Hinweise auf Literatur, sonstige einschlägige Materialien und Fundstellen im Internet. Abgeschlossen wird der Band mit Beiträgen zur Zukunft der EU und zur Geschichte der europäischen Einigung mit dazugehöriger Zeittafel. Den Autoren ist eine fachlich fundierte und zugleich gut lesbare Darstellung eines breiten Kaleidoskops unterschiedlicher Politikfelder, Institutionen und Rechtsthemen der EU gelungen. Das Werk verbindet „das Juristische erhellend mit dem Politischen“, wie die ehemalige Verfassungs- und EGMR-Richterin Renate Jaeger im Geleitwort ausführt. Das Handlexikon ist Praktikern, Wissenschaftlern und Studierenden gleichermaßen zu empfehlen, für die allesamt eine verlässliche Kenntnis vom Recht und der Politik der EU unverzichtbar geworden ist.

Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht Herausgegeben von RA Prof. Dr. Florian Haase und RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel C.H.Beck, 1. Aufl. 2016, 642 Seiten, gebunden, 129,00 €, ISBN 978-3-406-67872-1 ORR’in Dr. Bettina Malzahn, z. Zt. wiss. Mit. beim BFH Immobilien haben im Privat- wie im Wirtschaftsleben eine zentrale Bedeutung gewonnen. Sie dienen als Zuhause, Altersvorsorge und Anlageobjekt gleichermaßen. Hierbei gilt es nicht nur die rechtlichen Hürden im Bereich des Ziviloder öffentlichen Rechts zu nehmen. Darüber hinaus stellen sich zahlreiche, verschiedenartige und teilweise sehr komplexe steuerliche Fragen, die beim Erwerb, bei der Nutzung oder der Veräußerung einer Immobilie beachtet werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Preise am deutschen Immobilienmarkt nach wie vor steigen und die Nachfrage nach Immobilien stetig zunimmt.

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Hier leistet das von Haase und Jachmann herausgegebene Handbuch mit seiner fundierten Darstellung der praxisrelevanten Bereiche des Immobiliensteuerrechts eine umfassende und wertvolle Hilfestellung für die Praxis. Zahlreiche praktische Beispiele veranschaulichen die Erläuterungen und erleichtern damit dem Leser den Zugang zu den einzelnen Themen. Das Handbuch richtet sich in erster Linie an den steuerlichen Berater. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich August 2015 berücksichtigt. Die Gliederung des Handbuchs folgt dem Nutzungszyklus einer Immobilie vom Erwerb über die Nutzung bis hin zur Veräußerung. Beginnend (Teil 2) mit steuerplanerischen Grundüberlegungen und Fragen der Immobilienbewertung werden Themen behandelt, die sich insbesondere bereits im Vorfeld eines Immobilienerwerbs, grundsätzlich aber in jeder Phase eines Investments stellen. Nachfolgend (Teil 3) werden die beim Erwerb einer Immobilie zu beachtenden steuerlichen Aspekte in den Bereichen Ertrag-, Erbschaftund Schenkung-, Grunderwerb- sowie Umsatzsteuer eingehend dargelegt. Hieran (Teile 4 und 5) schließen sich ausführliche Erläuterungen zu steuerlichen Fragestellungen an, die sich im Rahmen der Nutzung oder einer Nutzungsänderung ergeben. Dabei leisten insbesondere die Ausführungen zu den Besonderheiten bei vorhandenem Auslandsbezug, also bei Auslandsinvestitionen von Steuerinländern oder inländischen Investitionen von Steuerausländern, wertvolle Hilfestellungen. In einem gesonderten 6. Teil des Handbuchs werden mitunter sehr komplexe Spezialfragen der Besteuerung von Immobilien im Zusammenhang mit Insolvenzen und insolvenznahen Situationen einschließlich der umsatzsteuerlichen Behandlung umfassend und sehr gut nachvollziehbar erläutert. Mit einem 7. Teil schließt das Handbuch mit Erläuterungen zu steuerlichen Fragen im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Immobilie ab. Diese enthalten nicht nur die Themen, die sich im normalen Veräußerungsfall stellen, sondern behandeln bspw. auch Besonderheiten spezieller Exitstrukturen wie der RETTBlocker-Strukturen. Insgesamt ist das Handbuch als kompaktes, aber gleichwohl alle praxisrelevanten Fragen umfassendes Nachschlagewerk zum Immobiliensteuerrecht vollumfänglich zu empfehlen.

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Die Monatszeitschrift

Dr. Christoph Kretschmer

DIE AUTOREN

Klaus Bepler

Richter am Landgericht Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg, Promotion bei Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, anschließend Referendariat am Landgericht Detmold. Eintritt in den höheren Justizdienst 2008, nach Stationen bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, am Amtsgericht Ettlingen und im Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg seit 2013 Richter am Landgericht Mannheim in einer Zivilkammer.

Patrick Jost

Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht a.D. Klaus Bepler war von 1980 bis 2012 Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit, zuletzt seit Ende 2004 als Vorsitzender des Vierten (Tarif-)Senats des Bundesarbeitsgerichts. Er ist Honorarprofessor für Arbeits- und Zivilprozessrecht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist dort in der Lehre sowie in der Fachanwaltsweiterbildung, als Mitherausgeber von Fachzeitschriften, Internetmedien und Fachbüchern und als Mitschlichter bei Caritas und Zentral-KODA tätig. Seine Publikationen behandeln u.a. Fragen des Tarifvertrags- und Betriebsrentenrechts sowie des Kirchen- und des Sportarbeitsrechts.

Rechtsanwalt Seit 2013 als zugelassener Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkten im Insolvenz-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht in enger Zusammenarbeit mit der Kanzlei Dr. Binz in Alzey tätig. Er ist externer Doktorand am Lehrstuhl Professor Dr. C. W. Hergenröder an der Universität Mainz.

Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Richterin am Bundesfinanzhof

IMPRESSUM Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Richterin am BFH Prof.Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: Rechtsanwalt Daniel Schumacher, stv. Ass. iur. Sebastian Butschkau

Auf die Tätigkeit im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und Habilitation folgten eine Professur an der Universität Heidelberg sowie staatsund steuerrechtliche Lehrstühle an den Universitäten Jena und Hamburg. Seit 2005 Richterin am Bundesfinanzhof im VIII. und IX. Senat sowie Lehre an der LMU München. Derzeitiger Arbeitsschwerpunkt: Besteuerung der privaten Vermögensverwaltung.

Prof. Dr. Guido Britz Rechtsanwalt und Professor an der Universität des Saarlandes Neben der Tätigkeit als Strafverteidiger ferner Direktor des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht sowie Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht. Er ist zudem Mitautor in dem renommierten Münchener Anwaltshandbuch „Verteidigung in Wirtschafts-und Steuerstrafsachen“ sowie in Radtke/ Hohmann „StPO – Kommentar zur Strafprozessordnung“.

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Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung onlineoder offline ohne zusätzliche Vergütung. Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Datagroup Int., Timisoara Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

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NEUES VON juris

IN EIGENER SACHE Neuer Bürgerservice für Entscheidungen der Bundesgerichte

MÄRZ

2016

inhalten, die vertiefte dokumentarische Erschließung der Entscheidungen, Informationen zu Verfahrensgängen, die Erschließung und Verlinkung über Fachzeitschriften, Fundstellennachweise und vieles mehr.

Die juris GmbH bietet gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein neues Informationsportal an. Auf der Seite rechtsprechung-im-internet.de stehen ab sofort die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, der obersten Gerichtshöfe des Bundes sowie des Bundespatentgerichts aktuell und kostenlos zur Verfügung. Dieses Angebot stellt – neben dem Portal gesetze-iminternet.de – einen weiteren Service dar, mit dem sich Neuerscheinungen der „roten Reihe“ Bürgerinnen und Bürger informieren können. Samuel van Oostrom, Geschäftsführer der juris GmbH: „Wir schaffen eine frei zugängliche Plattform, die der interessierten Öffentlichkeit einen einfachen Zugang zu Entscheidungen der Bundesgerichte bietet, und leisten damit einen Beitrag im Sinne des Open Government.“ Mit der gemeinsamen Initiative tragen das BMJV und juris auch dem europäischen Rechtsrahmen Rechnung. Zum Start werden in der Datenbank etwa 32.000 Entscheidungen zur Verfügung stehen; jährlich werden in täglichen Aktualisierungen bis zu 6.000 weitere hinzukommen. Das Datenformat für den neuen Webservice ist angelehnt an europäische Standards zur Veröffentlichung von Rechtsprechung. Die Bereitstellung erfolgt im HTML-, PDF- und XML-Format. Alle Metadaten des Datenformats (z. B. Gerichtstyp, Gerichtssitz, Entscheidungsdatum, Vorinstanz, Leitsatz, Tenor, Tatbestand, Entscheidungsgründe) werden von den Dokumentationsstellen der Bundesgerichte erzeugt. Die derzeitige Veröffentlichungspraxis des Bundesverfassungsgerichts, der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Bundespatentgerichts umfasst bereits etliche dieser Daten. Das neue Angebot enthält Entscheidungen ab dem Jahr 2010. Das Portal grenzt sich inhaltlich von dem deutlich umfangreicheren juris Angebot ab. Die Rechtsprechungsdokumentation bei juris geht über die europäischen Standards zur Veröffentlichung und damit über das Datenformat des neuen Webservice hinaus. Zu den Mehrwerten, die juris seinen professionellen Kunden bietet, gehören Entscheidungen bis weit in die Vergangenheit, eine umfassende Verlinkung des Rechtsprechungsangebots mit zahlreichen weiteren Portal-

Branchenweit einzigartig: juris Lex führt Bundes-, Landes- und EU-Gesetze in einer Gesetzesbibliothek zusammen und kann medienübergreifend als E-Book und als Print-Ausgabe genutzt werden. Online für alle Bundesländer erhältlich. Alle Infos zu den Bänden und zum Aktualisierungscheck finden Sie unter: www.juris.de/Lex juris Lex Band 9 Verkehrsrecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Dieser Band widmet sich dem Verkehrsrecht. Neben den verkehrsrechtlichen Gesetzen sind auch Normen aus dem Strafrecht und dem Versicherungsrecht enthalten. Die Sammlung enthält unter anderem das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung, daneben aber auch die Bußgeldkatalog-Verordnung, das Bundeszentralregistergesetz und Auszüge aus dem Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung. juris Lex Band 10 Polizeirecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Dieser Band widmet sich dem Polizeirecht. Neben den polizeirechtlichen Gesetzen sind auch Normen aus dem Versammlungs- und dem Immissionsrecht enthalten. Die Sammlung enthält unter anderem im Bundesrecht das Bundespolizeigesetz und das Versammlungsgesetz, daneben aber auch die Gewerbeordnung, das Gesetz über das Bundeskriminalamt und das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz. Im Landesrecht enthält die Sammlung außerdem das Landespolizeigesetz.

XI

Die Monatszeitschrift

NEUES VON juris

juris Lex Band 11 Kommunalrecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Dieser Band widmet sich dem Kommunalrecht. Neben kommunalrechtlichen Gesetzen sind auch Normen aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht und der kommunalen Selbstverwaltung enthalten. Die Sammlung enthält unter anderem im Bundesrecht die Verwaltungsgerichtsordnung und das Verwaltungsverfahrensgesetz, daneben aber auch das Verwaltungszustellungsgesetz. Im Landesrecht enthält die Sammlung neben der Landesverfassung auch das Landesverwaltungszustellungsgesetz und die für die kommunale Selbstverwaltung relevanten Gesetze. juris Lex Band 12 Baurecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Dieser Band widmet sich dem Baurecht. Neben den bauordnungsrechtlichen Gesetzen sind auch Normen aus dem Bauplanungsrecht und dem Energierecht enthalten. Die Sammlung enthält unter anderem das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung, daneben aber auch das Bauproduktegesetz, das Energieeinsparungsgesetz und das Raumordnungsgesetz. Im Landesrecht sind die Landesbauordnung und wichtige Verordnungen enthalten.

Informationsforum Nürnberg 09.03.2016 Informationsforum Frankfurt 13.04.2016 Informationsforum Kiel 27.04.2016 juris Webinare Infos zum Ablauf und zur Anmeldung unserer unverbindlichen und kostenlosen Online-Seminare unter: www.juris.de/webinare Basis I Einführung in die juris Recherche 09.03.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

23.03.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

06.04.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

27.04.2016,

11:00 – 12:00 Uhr

Basis II Personalisierungsfunktionen Veranstaltungen

16.03.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

Treffen Sie uns vor Ort auf den führenden deutschen Fachmessen.

30.03.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

20.04.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

10. BDA Kongress Arbeitsrecht, Berlin

Fortgeschrittenen-Webinar

01. – 02.03.2016

03.03.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

24.03.2016,

10:00 – 11:00 Uhr

DAV Anwaltforum, Frankfurt (LAT Frankfurt)

14.04.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

08.04.2016

12.05.2016,

10:00 – 11:00 Uhr

juris Informationsforen

Normen-Webinar

Aktuelle Termine finden Sie auch immer online unter: 10.03.2016, www.juris.de/veranstaltungen 21.04.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

19.05.2016,

14:00 – 15:00 Uhr

Informationsforum Magdeburg 02.03.2016 XII

10:00 – 11:00 Uhr

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