Die Monatszeitschrift - Juris

26.08.2016 - RiAG Dr. Petra Pheiler-Cox. Das Verfahren vor dem kirchlichen Arbeitsgericht .... Vorangestellt wird dem Aufsatz von Petra Pheiler-Cox der. Hinweis auf Artikel 3 Abs. 1 der UN-Konvention über die ...... Gute und schlechte Urteile gibt es in der Schiedsgerichts- barkeit genauso wie vor den ordentlichen ...
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

M 8/9 Die Monatszeitschrift

AUGUST/SEPTEMBER

2016

Topthema:

In dieser Ausgabe:

Der Umgang mit dem Kindeswohl – eine Herausforderung für Juristen

Das Verfahren vor dem kirchlichen Arbeitsgericht PräsLAG a.D. Dr. Norbert Schwab

RiAG Dr. Petra Pheiler-Cox

Leistungen für Asylbewerber nach dem Asylpaket II RiBSG Jutta Siefert

Der Richter als Sicherheitsrisiko? Richterliche Unabhängigkeit und IT-Sicherheit VRiBVerwG Prof. Dr. Uwe Berlit

Die

auch unter www.juris.de

Vertrauensschutz als Asymmetrie – warum die Suspendierung von Vertrauensschutz bei der Übergangsregelung zur Besteuerung von Bauleistungen in der Umsatzsteuer systemgerecht ist VRiBFH Prof. Dr. Bernd Heuermann

Bundesrichter als „politisch exponierte Personen“ StA Dr. Markus Ebner, LL.M.

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Expertengremium: Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

INHALT

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AUGUST/SEPTEMBER

2016

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Topthema:

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Der Umgang mit dem Kindeswohl – eine Herausforderung für Juristen RiAG Dr. Petra Pheiler-Cox

S. 310

Pech für Pechstein BGH, Urt. v. 07.06.2016 - KZR 6/15 RA Dr. Paul Lambertz

S. 316

Anwendbarkeit von § 64 Satz 1 GmbHG auf eine Limited BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14 Prof. Dr. Axel Jäger

S. 319

Kein besonderer Kündigungsschutz bei Mietverhältnissen von einem sozialen Träger BGH, Urt. v. 20.01.2016 - VIII ZR 311/14 RA Norbert Eisenschmid

S. 320

Nur der Urheber darf für seine Werke werben BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11, I ZR 76/11, I ZR 88/13 Prof. Dr. Hannes Ludyga S. 323 Arbeitsrecht

Das Verfahren vor dem kirchlichen Arbeitsgericht PräsLAG a.D. Dr. Norbert Schwab S. 325

Sozialrecht

Leistungen für Asylbewerber nach dem Asylpaket II RiBSG Jutta Siefert

S. 329

XXIX

Die Monatszeitschrift

INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Verwaltungsrecht

Der Richter als Sicherheitsrisiko? Richterliche Unabhängigkeit und IT-Sicherheit VRiBVerwG Prof. Dr. Uwe Berlit S. 334 Aufhebung der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets BVerwG, Urt. v. 26.11.2015 - 7 CN 1/14 RiBVerwG Dr. Franz Schemmer S. 340

Steuerrecht

Vertrauensschutz als Asymmetrie – warum die Suspendierung von Vertrauensschutz bei der Übergangsregelung zur Besteuerung von Bauleistungen in der Umsatzsteuer systemgerecht ist VRiBFH Prof. Dr. Bernd Heuermann S. 342

Strafrecht

Bundesrichter als „politisch exponierte Personen“ StA Dr. Markus Ebner, LL.M.

BÜCHERSCHAU

S. 345

Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB V RA und FA für Verwaltungs- und Medizinrecht Dr. Reimar Buchner

S. 351

Moritz/Jesch, Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht – Band 2: InvStG RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth

XXX

S. 351

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EDITORIAL

AUGUST/SEPTEMBER

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Kinder an die Macht! systematische Darstellung der unterschiedlichen juristischen Aspekte des Kindeswohls in familienrechtlichen Verfahren und in Strafverfahren an. Hierbei wird deutlich, dass der jeweilige Entscheider in den unterschiedlichen Varianten der Entscheidungsfindung häufig vor dem Dilemma steht, lediglich das kleinere Übel wählen zu können.

Prof. Dr. Thomas Voelzke Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht

Grönemeyers herrlich unbeschwertem Lied von der Machtergreifung der Kinder liegt die Idee eines schrankenlosen kindlichen Selbstbestimmungsrechts zugrunde. Dieses findet in der rauen Wirklichkeit allerdings seine Grenzen in der Fremdbestimmung durch Eltern und andere in die Erziehung einbezogene Personen. Das Top-Thema der aktuellen Ausgabe der jM behandelt das zwischen Freiheit und Fürsorge zu verortende Kindeswohl als Herausforderung nicht nur für Juristen. Vorangestellt wird dem Aufsatz von Petra Pheiler-Cox der Hinweis auf Artikel 3 Abs. 1 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, wonach bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Obwohl in Deutschland seit 2010 unmittelbar geltendes Recht, ist der Bekanntheitsgrad der in der UN-Konvention niedergelegten Kinderrechte – wie eine aktuelle von der Jacobs Foundation finanzierte Studie zeigt – bei deutschen Kindern im internationalen Vergleich mit deutlich unter 20 % weit unterdurchschnittlich angesiedelt. Der Komplexität des Begriffs des Kindeswohls wird in dem Beitrag einleitend u.a. durch einen Seitenblick auf seine historische Entwicklung sowie psychologische Aspekte und die Sicht des Jugendhilferechts erhellt. Es schließt sich eine

Das Flüchtlingsthema beherrscht zwar in jüngster Zeit infolge des gesunkenen Zuzugs von Asylbewerbern nicht mehr die Titelseiten der Tageszeitungen, jedoch lebt die große Zahl von Menschen, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind, weiterhin unter uns. Das insoweit für den Lebensunterhalt einschlägige Asylbewerberleistungsgesetz war als besonderes Sicherungssystem – wie Jutta Siefert in ihrem Beitrag mit einem Überblick zur aktuellen Rechtslage nach dem Asylpaket II darlegt – mehrfach einschneidenden Änderungen unterworfen. Denn einerseits hatte das BVerfG mit seinem Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL10/10, 1 BvL 2/11 klargestellt, dass der Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren darf. Diese Aussage steht andererseits in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur Forderung aus dem politischen Raum, durch das Leistungsniveau keine Anreize zur Einreise allein aus wirtschaftlichen Gründen zu setzen. Auf einen nur bei oberflächlicher Betrachtung überraschenden Konflikt weist Uwe Berlit in seinem Aufsatz mit der provokanten Frage nach der „Richterschaft als Sicherheitsrisiko“ hin. Deutlich wird, dass das aus richterlicher Unabhängigkeit, die sich auch auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung erstreckt, und unverrückbaren IT-Sicherheitsstandards resultierende Spannungsverhältnis sich künftig weiter verstärken wird. Berlit liefert die zu diesem datenschutzrechtlich ausgesprochen relevanten Thema erforderliche Aufklärung und schafft damit die Grundlagen für den von ihm eingeforderten sachlichen Diskurs. Abschließend möchte ich nicht nur die sportinteressierten Leser auf die mit „Pech für Pechstein“ betitelte Anmerkung von Paul Lambertz zur diesbezüglichen Entscheidung des BGH hinweisen. Erläutert werden sowohl die Beweggründe für die Anerkennung des Internationalen Sportschiedsgerichts CAS als echtes Schiedsgericht, als auch die den BGH leitenden Gründe zur Rechtfertigung des den Sportlern bei der Teilnahme an internationalen Wettbewerben auferlegten Schiedszwanges. Viel Spaß und Nutzen bei der Lektüre Thomas Voelzke

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Der Umgang mit dem Kindeswohl – eine Herausforderung für Juristen RiAG Dr. Petra Pheiler-Cox A. Einleitung Kinder kommen sowohl in familien- als auch in strafrechtlichen Verfahren mit der Justiz in Berührung. Sind Kinder Opfer von Gewalt, werden sie im Strafverfahren häufig als Zeugen vernommen. In ein familiengerichtliches Verfahren sind sie involviert, wenn ihre Eltern sich über die Ausgestaltung des Umgangs- und Sorgerechts nicht einigen können oder nicht dazu in der Lage sind, Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen. Bereits mit Blick auf die internationale Ebene wird deutlich, dass in all diesen Verfahren das Kindeswohl die entscheidende Rolle spielt. Die im Jahr 1989 verabschiedete UNKinderrechtskonvention gibt in Art. 3 Abs. 1 vor, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, [...] das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt (ist), der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Die in der UN-Kinderrechtskonvention garantierten Rechte sind in Deutschland spätestens seit der Rücknahme der Vorbehaltserklärung im Jahr 2010 unmittelbar anzuwenden. Sie müssen vor deutschen Gerichten einklagbar sein und in die nationale Rechtsprechung einfließen.1 Dieser Beitrag soll dafür sensibilisieren, wo die Herausforderungen für Juristen beim Umgang mit dem Begriff Kindeswohl liegen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Betrachtung des familiengerichtlichen Verfahrens. B. Das Kindeswohl als zentrales Anliegen im Familienrecht § 1697a BGB: „Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht [...] diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten, sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ Der Wortlaut der Generalklausel und die zahlreichen Erwähnungen des Begriffs im Familien- und Kindschaftsrecht zeigen es: Zentrales Anliegen des deutschen Familienrechts ist der Schutz des Kindes, das sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus psychologischer Sicht im Vergleich zu den El-

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tern der schwächste Beteiligte ist.2 Das Kindeswohl ist oberste Richtschnur für die gerichtliche Entscheidung. Es dient als Orientierungs- und Entscheidungsmaßstab. Das Kindeswohl ist die einzige Rechtfertigung für staatliche Eingriffe in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Doch obwohl das Kindeswohl die alles entscheidende Frage ist, findet sich an keiner Stelle im Gesetz eine Definition dieses Begriffs. Obwohl das Kindeswohl vielfach in Entscheidungen des BVerfG angeführt wird, wird es im Grundgesetz selbst noch nicht einmal erwähnt. Auch in einfachgesetzlichen Normen sucht man vergeblich nach Hinweisen für den Umgang mit diesem Begriff. Was ist das aber nun für ein Begriff und wie ist mit ihm umzugehen? Vielfach wird dieser Begriff kritisiert als definitorische Katastrophe3 als leere Schachtel4 oder hohle Mystifikation5 und zum Teil gar die Forderung erhoben, den Begriff abzuschaffen.6 Aus juristischer Sicht handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, eine Generalklausel.7 Die Begriffsbestimmung hängt stark von den Wertvorstellungen des Einzelnen ab und begründet die Gefahr, dass der Richter seine eigenen persönlichen Ansichten vom Wohl des Kindes (unbewusst) für die Entscheidungsfindung heranzieht. So ist der Umgang mit Generalklauseln für Juristen auch eine der schwierigsten und zugleich spannendsten Aufgaben. Wie Wieacker betont, fordert die Anwendung einer Generalklausel dem Anwender die Leistung des Freiherrn von Münchhausen ab, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen: Sie setzt eine Norm als gegeben voraus, die in Wahrheit erst für die besondere Lage des Einzelfalls erarbeitet werden muss.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Graf-van Kesteren, Policy Paper Nr. 34, S. 7. Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 347. Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 69. Steindorff, Vom Kindeswohl zu den Kindesrechten, 1994, S. 30 ff. Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, 1998, S. 83 ff. Steindorff, Vom Kindeswohl zu den Kindesrechten, 1994, S. 30 ff. Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 69. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242, 1956, S. 16.

JM 8/9 Da das Gesetz selbst kaum Hilfestellung anbietet, sind Richter und Rechtsanwälte gehalten, über den juristischen Tellerrand hinauszublicken und zur Definition des Begriffs nicht nur juristische, sondern auch außerjuristische Elemente heranzuziehen. Die Schwierigkeit, diesen Begriff zu konkretisieren, liegt auch an der Offenheit des Begriffs gegenüber den sich wandelnden Anschauungen über die Bedürfnisse des Kindes in bestimmten Situationen. Der Zeitgeist und die Kultur, in der das Kind lebt, spielen bei der Begriffsbestimmung eine entscheidende Rolle.9 Zur Verdeutlichung soll ein kurzer Überblick gegeben werden, wie sich die gesellschaftlichen Vorstellungen, was dem Wohl eines Kindes entspricht, im Laufe der Zeit verändert haben. Damit einhergehend werden auch einige markante Punkte in der Gesetzgebungsgeschichte beleuchtet. Zudem soll ebenfalls dargestellt werden, wie sich andere Professionen diesem Begriff nähern. C. Außerjuristische Elemente zur Begriffsbestimmung I. Gesellschaftliche Standards im Wandel der Zeit Jahrtausende lang war das, was nach heutigem Recht „elterliche Sorge“ heißt, eigentlich „elterliche Gewalt“. Dies stand nicht nur bis zum Jahr 1979 im Gesetz,10 sondern entsprach auch den Wertvorstellungen der Bevölkerung. Wie es um das Wohl der Kinder stand, kann man anhand des Begriffs schon erahnen. Zur Verdeutlichung sollen einige Beispiele dienen: Martin Luther (1483–1546) äußerte sich über seine eigene Erziehung wie folgt: „Die Mutter stäupte mich einmal um einer geringen Nuss willen, bis Blut kam.“ Später, als Erwachsener, empfahl Luther Eltern, für die Kindererziehung außer einem Apfel auch immer eine Rute griffbereit zu haben. Auch einige Jahrhunderte später hat sich an diesem Bewusstsein nichts verändert, wie man den Worten entnehmen kann, die Ludwig van Beethoven (1770–1827) dem Leiter eines Erziehungsheims schrieb:

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sind. Damit korrespondierten die Vorstellungen des Gesetzgebers. Am 01.01.1900 stand im BGB: „Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.“ Auch die Gerichte bewegten sich lange Zeit auf dieser Linie. Noch im Jahr 1952 billigten es die Bundesrichter, was Eltern mit ihrer 16-jährigen Tochter Irmhild anstellten. Irmild, so führten die Bundesrichter missbilligend an, hatte trotz ihres jugendlichen Alters sexuelle Kontakte. Wenn der Vater das Haus verließ, band er Irmhild am Stuhl fest. Zudem schoren die Eltern Irmhild so verunstaltend die Haare, dass sie sich auf der Straße nicht mehr sehen lassen konnte. Mit den folgenden Worten urteilten die Bundesrichter: „Art und Maß der Züchtigung muss sich nach der körperlichen Beschaffenheit des Kindes, nach seinem Alter, nach der Größe seiner Verfehlung und nach seiner allgemeinen sittlichen Verdorbenheit richten. Rechtfertigen diese Umstände die Anwendung solcher Züchtigungsmittel, die eine nachhaltige und schmerzhafte Wirkung hervorrufen, so wird regelmäßig anzunehmen sein, dass damit die Grenzen einer vernünftigen Züchtigung nicht überschritten sind.“12 Mehr als 30 Jahre später in den 1980er Jahren ging es auch der damals acht Jahre alten Christine nicht besser, die „seit ihrem fünften Lebensjahr erhebliche Erziehungsschwierigkeiten bereitet hatte“. Christine hatte die Brillen des Vaters, des Bruders und ein teures Fernglas kaputt gemacht. Daraufhin griff der Vater in Absprache mit der Mutter in vier Fällen zu einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch und schlug dem Kind jeweils mehrmals auf das Gesäß und die Oberschenkel, wobei jeweils rote Striemen entstanden. Jeder Student aus dem 1. Semester kommt heute – zu Recht – zu dem Ergebnis, dass dieses Verhalten eine strafbare Körperverletzung darstellt. Anders urteilten hingegen die Bundesrichter noch im Jahr 1986 in der sog. Wasserschlauchentscheidung. Während Christines Eltern vom Landgericht noch zu Bewährungsstrafen verurteilt worden waren, hob der BGH das Urteil des Landgerichts mit folgender Begründung auf:

„Behandeln Sie ihn lieber (gemeint ist Beethovens Neffe) wie Sie ihr eigenes Kind behandeln würden, denn ich habe Ihnen schon bemerkt, dass er gewohnt war, nur durch Schläge gezwungen bei seines Vaters Lebzeiten zu folgen.“11

„Die Grenzen der elterlichen Züchtigungsbefugnis erfordern eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens. Die Verwendung eines Schlag-

Ludwig selbst war als Kind gewalttätigen Übergriffen durch seinen Vater ausgesetzt.

9 Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 71. 10 Erst im Jahr 1979 wurde der Begriff der elterlichen Gewalt durch den der elterlichen Sorge ersetzt. 11 Süddeutsche Zeitung, 14./15.02.2015, S. 49. 12 BGH, Urt. v. 25.09.1952 - 3 StR 742/51.

Aber nicht nur Privatpersonen hatten die Vorstellung, dass Zuchtmittel die geeignete Methode zur Kindererziehung

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Die Monatszeitschrift

gegenstandes ist für sich genommen keine entwürdigende Behandlung.“13 Dazu passt, dass die schwarz-gelbe Regierung es noch im Jahr 1997 ablehnte, ein Gesetz auf gewaltfreie Erziehung zu erlassen. Es bestanden Bedenken, dass das Erziehungsrecht der Eltern dadurch zu sehr eingeschränkt und die Strafbarkeit der Eltern ausgeweitet würde.14 Erst im Jahr 2000 gab es eine eindeutige Wende, indem durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt15 ein umfassendes Verbot von Gewalt in der Erziehung in Form von § 1631 Abs. 2 BGB verankert wurde: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Der Gesetzgeber geht an dieser Stelle einen vorbildlichen Weg. Doch ob sich diese Auffassung auch flächendeckend in der Bevölkerung durchgesetzt hat, ist nicht erst seit der Äußerung des Papstes Franziskus anlässlich der wöchentlichen Generalaudienz im Februar 2015 zweifelhaft. Zu der Rolle der Väter in der Familie führte er aus: „Einmal habe ich bei einem Treffen einen Vater sagen hören: Manchmal muss ich meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen. Wie schön, er [der Vater] weiß um den Sinn von Würde. Er muss bestrafen, aber er tut es gerecht und geht dann weiter.“ II. Psychologische Aspekte Füllen lässt sich die „leere Schachtel“ des Begriffs Kindeswohl vor allem durch die Berücksichtigung psychologischer Aspekte. Aus psychologischer Sicht wird das Wohl des Kindes anhand der sog. Kindeswohlkriterien definiert, welche die Grundbedürfnisse des Kindes erfassen. Danach ist Kindeswohl die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen.16 Auch ohne vertieftes psychologisches Wissen ist es möglich, mit dieser Definition eigene Erkenntnisse zu gewinnen. Unabhängig von der Entscheidung im Einzelfall ist es sinnvoll, sich auch als Jurist zunächst Gedanken darüber zu machen, was die Grundbedürfnisse eines Kindes sind und welche sozialen Risikofaktoren die Erfüllung dieser Bedürfnisse gefährden. Zu unterscheiden sind körperliche, seelische und geistige Bedürfnisse. Die Risikofaktoren hemmen die kindliche Entwicklung dadurch, dass diese Bedürfnisse (teilweise) nicht erfüllt und die Bewältigung von altersangemessenen Entwicklungsaufgaben behindert werden.17

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Im Folgenden soll eine Auswahl von Bedürfnissen und Risikofaktoren für Kinder dargestellt werden, die 30 Jurastudenten der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Rahmen des „Zertifikatskurses Familienrecht“18 im Wintersemester 2015/2016 ohne Vorwissen selbstständig erarbeitet haben. Die Liste ist natürlich nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen:19 Bedürfnisse: Ein Zuhause, Nahrung, Pflege, Kleidung, Kinderzimmer, medizinische Versorgung, Hygiene, materielle Sicherheit Sicherheits(-gefühl), Schutz, stabiles Umfeld

Risikofaktoren: Finanzielle Schwierigkeiten, Armut

Emotionale Defizite, Distanz im Kontakt, Armut, schlechte Beziehung zwischen Eltern, häufige Umzüge, wechselnde Partner, Verwahrlosung Gewaltfreiheit Eltern haben selbst Gewalt erlebt Liebe, Akzeptanz Geschwisterrivalität, Perfektionis(bedingungslos), mus der Eltern, Verbote, Druck, menschliche Nähe Überforderung, Gegenleistung für Liebe wird verlangt Stabile Bindungen Streit, Trennung, Desinteresse, Fernzu Bezugspersonen halten von Großeltern, Todesfälle Sich angenommen Zu viel Ehrgeiz, Desinteresse, Zeitfühlen, keine Angst mangel, Leistungsdruck, übermähaben müssen, ßige Kritik, zu hohe AnforderunRespekt, Aufmerkgen, konkrete Vorstellungen, wie samkeit das Kind sein muss, Gericht entscheidet ohne Anhörung des Kindes Freunde, Teilhabe Verbot, sich mit bestimmten Freunam sozialen Leben den zu treffen Regeln, Grenzen, Eltern sind sich nicht einig, Streit Strukturen zwischen Eltern Umwelt entdecken, Eltern machen sich lächerlich, FreiFragen stellen dürfen heitsentziehung (aus Strafe oder Angst)

13 14 15 16 17 18

BGH, Urt. v. 25.11.1986 - 4 StR 605/86. Süddeutsche Zeitung, 21.01.2014, S. 13. Süddeutsche Zeitung, 14./15.02.2015, S. 49. Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 70. Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 76. Dieser Kurs wurde im WWS 2015/2016 erstmals angeboten, siehe http://www.jura.uni-muenster.de/go/organisation/institute/fi/zertifikatfamr/zertifikat-famr.html. 19 Zur Aufzählung weiterer Bedürfnisse siehe die Tabelle von Dettenborn in: Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 72.

JM 8/9 Unterstützung bei persönlicher Entwicklung, individuelle Entfaltung, eigenständig werden Bildung, individuelle Förderung, Forderung des Kindes

Überfürsorge, Einengung des Kindes, alles dem Kind abnehmen

Lernschwierigkeiten wegen familiärer Sorgen, Armut, Leistungsdruck, Eltern können in der Schule nicht unterstützen

Anhand dieser Aufzählung durch die Studenten lässt sich auch nachvollziehen, inwieweit der Zeitgeist und das soziale Umfeld für die eigene Herangehensweise eine Rolle spielen: Fast alle Studenten haben als Risikofaktor für die Entwicklung eines Kindes Ehrgeiz der Eltern und hohe Leistungsanforderungen genannt. Es liegt die Vermutung nahe, dass dies Auswirkungen des Schulsystems G8 mit wenig Zeit für Freizeitgestaltung und hohem Leistungsdruck sein könnten.

Eine Studie des Kompetenzzentrums für Rechtspsychologie der Universität St. Gallen hat zum einen ergeben, dass die Verwirklichung des Kindeswohls für Richter ein hohes Ziel darstellt und zum anderen, dass dieses Ziel in vielen Fällen rein utopisch und nicht zu erreichen ist.21 Wo liegen die Schwierigkeiten? Eine Ursache ist die unterschiedliche Funktion des Begriffs Kindeswohl in den einzelnen gesetzlichen Normen: Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Kindeswohlentsprechung unterscheiden sich je nach Art des Verfahrens. Es gibt unterschiedliche gesetzliche Funktionen bzw. Eingriffsschwellen des Begriffs Kindeswohl in den verschiedenen Vorschriften. Dettenborn hat die Funktionen, je nach Art des Verfahrens, in unterschiedliche Kategorien eingeteilt.22 Diese Einteilung erweist sich als sehr hilfreich. Anhand dieser Bestimmung werden die Schwierigkeiten für den Juristen sichtbar. Drei Fälle lassen sich unterscheiden:

Ausgangspunkt der Betrachtung von Kindeswohl aus Sicht der Jugendhilfe ist § 1 SGB VIII, der in Absatz 1 festgelegt, dass „jeder junge Mensch [...] ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ hat.

I. Die „Best-Variante“

Die Jugendhilfe soll auch dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familie sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen (Absatz 3 Nr. 4). Der Kinderschutzauftrag der Jugendhilfe wird, auch gegenüber dem Familiengericht, in § 8a SGB VIII präzisiert. § 8a SGB VIII beschreibt die Art und Weise der Gefährdungseinschätzung als gemeinschaftlichen Prozess, an dem mehrere Fachkräfte, die Kinder und Jugendlichen selbst sowie ihre Erziehungsberechtigten gemeinsam mitwirken. Darüber hinaus gestaltet er die Zusammenarbeit von Jugendamt und Familiengericht als gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft näher aus.20 Auch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) vom 01.01.2012 definiert in § 4 den staatlichen Schutzauftrag für Kinder. In § 4 des BKiSchG findet sich die Grundlage für die Weitergabe von Informationen durch mit Kindern arbeitende Fachleute bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung. Haben die Fachkräfte den Verdacht, dass eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, erörtern sie dies mit Eltern und Kindern, haben Anspruch auf Beratung durch Fachkräfte und dürfen das Jugendamt informieren.

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D. Juristische Aspekte im familiengerichtlichen Verfahren

III. Kindeswohl aus Sicht der Jugendhilfe

Kinder und Jugendliche sollen vor Gefahren für ihr Wohl geschützt werden (Absatz 3 Nr. 3).

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Hier wird eine optimale Relation zwischen Bedürfnislage und den Lebensbedingungen des Kindes angestrebt. Ziel der richterlichen Entscheidung ist es, die Lösung zu finden, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Nach oder durch die Entscheidung soll es dem Kind besser gehen als vorher. Folgenden Verfahren fallen unter diese Kategorie der „BestVariante“: 1. Entscheidungen gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 BGB Im Rahmen einer doppelten Kindeswohlprüfung wird die beste Lösung gesucht,23 in dem auf der ersten Stufe die Frage formuliert wird, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Erst wenn diese Hürde genommen ist, schließt sich auf der zweiten Stufe die Frage an, ob die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil „dem Wohl des Kindes am besten entspricht“. Auf dieser Stufe spielen die oben aufgeführten Bedürfnisse des Kindes die entscheidende Rolle. Demjenigen Elternteil, der am besten in der Lage ist, die Bedürfnisse zu erfüllen, wird die Alleinsorge übertragen. 20 Kößler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 8a SGB VIII Rn. 11. 21 Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 349. 22 Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 69 ff. 23 Schilling, NJW 2007, 3237.

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Diese Art von Verfahren stellen besondere moralische Anforderungen an Richter und Anwälte, die auch als Belastung empfunden werden können. Es kann ein Moraldilemma entstehen, wenn sich der Richter zwischen zwei gleich gut geeigneten Eltern, die beide in der Lage sind, die Bedürfnisse des Kindes optimal zu erfüllen, entscheiden muss.24 In der Praxis häufiger ist aber leider der Fall, dass beide Eltern gleich schlecht geeignet sind und der Richter das kleinere Übel wählen muss. In einem nicht weniger belastenden Dilemma befindet sich der Richter, wenn beide Eltern unterschiedliche Bedürfnisse des Kindes befriedigen können. Der Vater kann bspw. gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse mit Struktur und guten Bildungsmöglichkeiten ermöglichen, während die Mutter mehr emotionale Wärme und Raum für Selbstentfaltung bietet. Der Richter muss eine Wertentscheidung treffen. Für diese Art von Entscheidung ist es hilfreich, wenn er sich im Vorfeld darüber Gedanken macht, welche Werte für ihn selbst besonders wichtig sind. Die eigenen Wert- und Moralvorstellungen und ggf. Ursachen aufgrund der eigenen Biografie sollte er kennen und in der Lage sein, sich davon bei der Betrachtung des zu entscheidenden Falls mit Blick auf die betroffene Familie und das Kind zu lösen. Muss der Richter sich zwischen zwei Werten entscheiden, die er für die Verwirklichung des Kindeswohls für gleich wichtig hält, ist die Entscheidung besonders belastend, denn er muss wichtige Bedürfnisse außer Acht lassen, weil er sich für einen Elternteil entscheiden muss.25 2. Entscheidungen nach § 1696 Abs. 1 BGB Wenn es um die Abänderung einer Entscheidung geht, kann ebenfalls ein optimales Ergebnis angestrebt werden. Eine Entscheidung ist nur zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Die Änderung muss also eindeutig Vorteile gegenüber der früheren Regelung haben. 3. § 1697a BGB Auch die Auffangregel gem. § 1697a BGB, die immer dann herangezogen wird, wenn, wie z.B. in § 1628 BGB, eine Kindeswohlformel nicht genannt ist, strebt eine optimale Relation zwischen Bedürfnislage und Lebensbedingungen des Kindes an. II. Die „Genug-Variante“ In diesen Fällen kann das Kindeswohl lediglich hinreichend gewährleistet werden. Es wird nicht das Optimale ange-

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strebt. Eine günstige Relation zwischen Bedürfnis und Lebensbedingung genügt. 1. Entscheidungen nach § 1626a BGB Sind Eltern nicht miteinander verheiratet, kann das Familiengericht seit dem Jahr 2013 den Eltern gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB die elterliche Sorge gemeinsam übertragen.26 Eine positive Feststellung, was dem Kindeswohl dient, wird nicht verlangt. Das Familiengericht überträgt den Eltern die Sorge bereits dann gemeinsam, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.27 2. Entscheidungen nach § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB Das Familiengericht kann nach dieser Vorschrift das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.28 III. Die Gefährdungsabgrenzung In diesen Verfahren erfolgt keine positive Bestimmung des Kindeswohls, sondern es geht allein um die Abwendung einer Kindeswohlgefährdung. Zur Ausfüllung dieses Begriffs bedarf es zunächst wiederum der Heranziehung der Beurteilungsmaßstäbe nicht juristischer Disziplinen. Aus psychologischer Sicht bedeutet Kindeswohlgefährdung, dass die Bedürfnisse des Kindes durch eine Mängellage in den Lebensbedingungen ignoriert werden und das Kind überfordert wird, die anstehenden Entwicklungsaufgaben oder negativen Folgen zu bewältigen.29 Ärzte verstehen unter Kindesmisshandlung alle Formen von physischer und/oder emotionaler Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung oder vernachlässigender Behandlung oder kommerzieller Ausbeutung, die zu tatsächlicher oder potenzieller Schädigung der Gesundheit, des Überlebens, der Entwicklung oder der Würde des Kindes im

24 Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 349. 25 Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 248. 26 Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.04.2013, BGBl. I, 795. Die Neuregelung erfolgte, da das BVerfG die bisherige Gesetzeslage, die den Vater von der Sorgetragung für sein Kind gegen den Willen der Mutter ausschloss, für verfassungswidrig hielt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.07.2010 - 1 BvR 420/09. 27 Fink in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, § 1626a Rn. 26. 28 Gottschalk in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, § 1684 Rn. 69. 29 Dettenborn, FPR 2003, 293, 294.

JM 8/9 Kontext einer Beziehung von Verantwortung, Vertrauen oder Macht führt.30 1. §§ 1666, 1666a BGB Die Bejahung einer Kindeswohlgefährdung aus psychologischer oder ärztlicher Sicht berechtigt aber nicht zwangsläufig zu einem familiengerichtlichen Tätigwerden. Hier liegt die Eingriffsschwelle höher. Das BVerfG hat im Jahr 2014 und auch in vorherigen Entscheidungen schon mehrfach darauf hingewiesen, dass eine gegenwärtige Gefahr, die zum Eingriff in die elterliche Sorge berechtigt, nicht alleine damit begründet werden kann, dass keine guten Bedingungen für die Entwicklung des Kindes bestehen.31 Garantiert werden solle ein umfassender Schutz des Kindes vor erheblichen Gefährdungen. Ein rechtlicher Anspruch auf bestmögliche Förderung des Kindes und seiner Fähigkeiten bestehe hingegen nicht. Eltern, deren sozioökonomische Verhältnisse, Werte und Verhaltensweisen seien grds. Schicksal eines Kindes.32 Erst wenn eine erhebliche, also nachhaltige und schwerwiegende Schädigung des Kindeswohls bereits eingetreten ist oder prognostisch mit ziemlicher Sicherheit nah zu erwarten ist, darf auf Grundlage der §§ 1666, 1666 ABGB in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden.33 Problematisch ist hier, dass die Grenze zwischen „rotem“ und „grünem“ Bereich fließend ist und sich viele Fälle, insbesondere im Bereich der psychischen Gefährdung oder emotionalen Verwahrlosung eines Kindes gerade in der „Grauzone“ bewegen. 2. § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB Im Mittelpunkt der Entscheidung, ob der Umgang mit einem Elternteil auszuschließen ist, steht auch hier, eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Problematisch sind vor allem die Fälle des Verdachts des sexuellen Missbrauchs, für den aber keine Beweise vorhanden sind. Der Richter befindet sich zwangsläufig in einem Moraldilemma.34 Schließt er den Umgang aus, obwohl tatsächlich kein Missbrauch stattgefunden hat, bricht grundlos die Beziehung zu einem Elternteil ab. Ebenfalls sehr belastend ist für ihn auf der anderen Seite der Gedanke, dass Missbrauch stattfindet und das Kind nicht geschützt wird. In beiden Fällen kommt es zu einer sog. sekundären Kindeswohlgefährdung durch das Familiengericht.35 Auch Anwälte geraten in Moraldilemmata, wenn das Kindeswohl betroffen ist.36 Insbesondere dann, wenn das Kindeswohl durch das Verhalten des eigenen Mandanten (Alkoholsucht, Gewalt) in

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Gefahr ist, können starke Gewissenskonflikte auftreten. Entscheidet der Anwalt sich dafür, zum Wohl des Kindes zu agieren, verletzt er dabei die Loyalität gegenüber dem Mandanten. E. Kinder im Strafverfahren In strafrechtlichen Verfahren gibt das Verfahren selbst Anlass dafür, sich die Frage nach dem Kindeswohl zu stellen. Vor allem die Vernehmung von kindlichen Opferzeugen ist insoweit problematisch. Ebenso wie erwachsene Zeugen sind sie zur Aussage verpflichtet. Aufgrund der sog. Nullhypothese37 können den Kindern harte und unangenehme Fragen gestellt werden. Es gilt zunächst die Annahme, dass ihre Aussage unwahr ist. Der Richter ist gezwungen, diese Grundsätze zu beachten. Eine kindgerechte Art der Befragung ist daher nur begrenzt möglich. Zum Schutz des Kindes sieht die StPO selbst zwar eine Reihe von Möglichkeiten (z.B. Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung, § 247 StPO, Videovernehmung, Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 GVG) vor, an der Art der Herangehensweise an die kindliche Aussage ändern diese Möglichkeiten allerdings nichts. Eine Möglichkeit, kindliche Zeugen zu entlasten, ist das Angebot einer psychosozialen Prozessbegleitung zur Betreuung und Informationsvermittlung.38 Eine zweite Schädigung durch das Verfahren soll so vermieden werden.39 F. Schlussbetrachtung Die Blickrichtung der einzelnen Professionen auf das Kindeswohl ist unterschiedlich. Die Jugendhilfe hat ihren Auftrag, für positive Lebensbedingungen der Kinder zu sorgen und sie in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. Der Jurist hingegen definiert seinen Auftrag je nach Art des Verfahrens unterschiedlich. In einem Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB stimmen die Ziele des Juristen noch weit-

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WHO, 1999. BVerfG, Beschl. v. 24.03.2014 - 1 BvR 160/14. BVerfG, Beschl. v. 29.01.2010 - 1 BvR 374/09. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2014 - 1 BvR 1178/14. Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 350. Dettenborn, FPR 2003, 293 ff. Vgl. die ausführliche Darstellung von Ludewig/De Matteis, Praxis der Rechtspsychologie, 2011, S. 350 ff. 37 BGH, Urt. v. 30.07.1999 - 1 StR 618-98. 38 Ferber, NJW 2016, 279 ff. 39 Graf-van Kesteren, Policy Paper Nr. 34, S. 11.

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gehend mit denjenigen der Jugendhilfe und der Psychologen überein. Auch der Richter darf nach dem Gesetz nach der bestmöglichen Variante suchen und versuchen, optimale Lebensbedingungen für das Kind herzustellen.

arbeiten und damit ihrer Aufgabe als Verantwortungsgemeinschaft besser gerecht werden.

In Fällen von Kindeswohlgefährdung, in denen der Ausschluss des Umgangs mit einem Elternteil oder Eingriffe in die elterliche Sorge Inhalt des Verfahrens sind, werden die Unterschiede in den fachlichen Perspektiven hingegen sehr deutlich. Aus Sicht der Jugendhilfe führt dies sicher häufig zu Unverständnis gegenüber richterlichem Handeln. Die Eingriffsschwelle für familiengerichtliches Tätigwerden liegt deutlich höher, als dies aus der fachlichen Perspektive der Jugendhilfe der Fall sein sollte. Das führt in vielen Verfahren dazu, dass die Jugendhilfe Handlungsbedarf sieht, der Richter aber trotz ungünstiger Lebens- und Entwicklungsbedingungen für das Kind (noch) untätig bleiben muss. Der richterliche Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, nach der die Hürden für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung hoch und Eltern Schicksal des Kindes sind, wirkt aus Sicht der Jugendhilfe sicherlich mitunter häufig kalt und ignorant gegenüber den Bedürfnissen des betroffenen Kindes.

40 Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2015, S. 70. 41 Hornung/Kaufhold, frühe Kindheit 2/2013, S. 36-43; Hornung/Kaufhold, Papa-Ya 1/2013, Nr. 22, 22-26.

Gleichwohl bzw. gerade deshalb erscheint es für die tägliche Arbeit aller Fachleute als unverzichtbar, die unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Professionen zu kennen. Der Richter kommt ohne die Heranziehung psychologischer und pädagogischer Aspekte allein mit seinen juristischen Kenntnissen nicht weiter. Auf der anderen Seite sollten Pädagogen und Psychologen die rechtlichen Wertungen kennen, um sich in angemessener Weise in den Ablauf des familiengerichtlichen Verfahrens einbringen zu können und so an einer für das Kind möglichst günstigen Ergebnisfindung aktiv mitzuwirken. Ein Bewusstsein dafür, dass jede Profession, die mit dem Begriff Kindeswohl umgeht, zwangsläufig ihre Kompetenzen überschreitet,40 ist der erste Schritt, die leere Worthülse Kindeswohl gemeinsam mit Leben zu füllen. Vor diesem Hintergrund erscheint es als elementar wichtig, auf kommunaler Ebene – nicht nur im Bereich früher Hilfen für Kinder von 0–3 Jahren, in den denen § 3 KKG dies ohnehin gesetzlich einfordert – einzelfallunabhängige Kooperationsnetzwerke unter Beteiligung der Jugendhilfe, der Familiengerichte sowie von Verfahrensbeiständen, Sachverständigen und Ärzten zu etablieren. Hier haben die Beteiligten neben der Entwicklung gemeinsamer fachlicher Standards für die Zusammenarbeit auch die Möglichkeit, die anderen handelnden Fachleute und deren Perspektive näher kennenzulernen. Jugendhilfe und Familiengericht können so – wie etwa das Beispiel der sog. Warendorfer Praxis zeigt41 – Hand in Hand

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Pech für Pechstein BGH, Urt. v. 07.06.2016 - KZR 6/15 RA Dr. Paul Lambertz A. Problemstellung Es gibt nicht viele gerichtliche Entscheidungen aus dem Bereich des Sports, die solch eine Beachtung finden. Die Causa Pechstein ist so ein Verfahren. Seit Jahren verfolgen die Öffentlichkeit, die Medien und nicht zuletzt auch die Juristen den Klagemarathon von Frau Pechstein. Zwar hat Frau Pechstein auf ihrem Weg bis zum höchsten deutschen Zivilgericht nicht immer Sympathiepunkte gesammelt, aber allein für die Tatsache, dass sie ihr Verfahren vor die deutschen Gerichte brachte, ist man ihr zu Dank verpflichtet. Denn im Sportrecht kommt es nicht oft vor, dass Entscheidungen der Verbände gerichtlich überprüft werden. Zwei große (sport-)juristische Fragen verbergen sich, neben der Frage, ob Frau Pechstein gedopt hat oder nicht, hinter der Causa. Zum einen die Frage, ob es sich bei dem internationalen Sportschiedsgerichtshof in Lausanne, dem Court for Arbitration in Sports, kurz CAS, um ein echtes Schiedsgericht handelt, sodass dessen Schiedssprüche zwischen den Parteien grds. final sind. Zum anderen die Frage, ob der Schiedszwang, also die Tatsache, dass Verbände nur Athleten starten lassen, die Schiedsklauseln unterschrieben haben, rechtmäßig ist. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Drei Gerichte, drei Meinungen und am Ende verliert Pechstein. So in etwa könnte man den Verfahrensverlauf zusammenfassen. Seit Längerem bekannt, aber in diesem Verfahren besonders offensichtlich, Gerichte können und werden ein- und denselben Sachverhalt komplett unterschiedlich werten. Jedes der mit diesem Fall betrauten Gerichte setzte andere Schwerpunkte mit unterschiedlichen Begründungen. Entschieden werden musste über die von Frau Pechstein u.a. gegen den internationalen Eisschnelllaufverband an-

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gestrengte Klage, mit der sie die Rechtswidrigkeit der gegen sie verhängten Dopingsperre feststellen lassen wollte und Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. rund 4,4 Mio. € wegen der aus ihren Augen rechtswidrigen Sperre forderte.

Schiedsgericht sei. Die gegen diese Feststellung erhobenen Bedenken waren aus Sicht des Senats nicht überzeugend. Insbesondere sei der CAS eine unabhängige und neutrale Instanz, nicht in einen bestimmten Verband eingegliedert und unabhängig von den ihn tragenden Institutionen.

Was war vorgefallen: Im Jahr 2009 wiesen die bei einem Wettkampf von Frau Pechstein genommenen Blutproben einen erhöhten Retikulozytenwert auf, sodass diese wegen Verstoßes gegen die einschlägigen Anti-Dopingregeln des internationalen Eisschnelllaufverbands für zwei Jahre gesperrt wurde. Da sie mit der Sperre nicht einverstanden war, legte sie zunächst vereinsinterne Rechtsmittel ein. Nachdem dort die Entscheidung aufrechterhalten wurde, zog sie vor den in Lausanne beheimateten CAS. Die Zuständigkeit des CAS ergab sich aus der Schiedsvereinbarung, die Teil der von Frau Pechstein zu unterzeichnenden Wettkampfmeldung war. Eine Teilnahme ohne Unterzeichnung dieser Meldung wäre nicht möglich gewesen. Eine von vielen Kritikern bemängelte Eigenheit des CAS ist es, dass Schiedsrichter eines CAS-Verfahrens nur werden kann, wer vom CAS in dessen Schiedsrichterliste aufgenommen wurde. Die damalige Verfahrensordnung sah vor, dass die Sportverbände einen Großteil der Schiedsrichter vorschlagen konnten.

Der Senat gelangte zu der Überzeugung, dass aus dem Verfahren der Erstellung der geschlossenen Schiedsrichterliste kein strukturelles Ungleichgewicht hergeleitet werden könne. Die Unabhängigkeit und Neutralität des CAS sei deshalb nicht in einem Maße beeinträchtigt, dass seine Stellung als echtes Schiedsgericht gefährden könne. Eine rechtliche Einschätzung, die von vielen in der Literatur und auch der Vorinstanz nicht geteilt wird. Für den BGH war aber einzig entscheidend, dass die Mitglieder des jeweiligen Schiedsgerichts nicht allein oder überwiegend von einer Partei bestimmt werden können. Da die Schiedsrichter grds. paritätisch besetzt werden, sah der BGH diese Voraussetzung als gegeben an. Dieser Argumentation ist zuzustimmen. Zunächst ist es richtig, dass der CAS kein Verbandsgericht ist, weil es außerhalb irgendeines Verbands organisiert ist. Die Tatsache, dass die Verbände die Möglichkeit haben, mehr Schiedsrichter vorzuschlagen als die Athleten, ändert daran nichts. Weiterhin ist es richtig, dass auch die Erstellung der Schiedsrichterliste die Neutralität und Unabhängigkeit des CAS nicht gefährdet, denn zum einen hat jede der Parteien den gleichen Einfluss, Schiedsrichter zu bestellen und zum anderen können die Parteien aus einer großen Anzahl von Schiedsrichtern wählen. Weiterhin gilt es zu beachten, dass obwohl eine Großzahl der Schiedsrichter auf der Liste ursprünglich nicht von Athleten vorgeschlagen wurde, dies immer noch nicht zwangsläufig zu Entscheidungen pro Verbandsseite führt. Bei der Diskussion um die vermeintliche Parteilichkeit von Schiedsrichtern darf nämlich nicht vergessen werden, dass Rechtsanwälte, die einen erheblichen Anteil der CAS-Schiedsrichter darstellen, regelmäßig sowohl Athleten als auch Verbände vertreten. Eine Nähe der Schiedsrichter zu einer „Seite“ ist daher eher fernliegend.

Doch auch der CAS hob die Sperre nicht auf, sodass Frau Pechstein, letztlich ebenfalls erfolglos, das schweizerische Bundesgericht anrief. Nachdem die Gerichte in der Schweiz ihr nicht folgten, klagte sie in Deutschland zunächst vor dem LG München I gegen den deutschen und den internationalen Eisschnelllaufverband auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen sie verhängten Sperre und auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens sowie Schmerzensgeld. Nachdem das Landgericht die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen hatte, legte die Klägerin Berufung lediglich gegen die Klageabweisung gegen den internationalen Verband ein, sodass das OLG München entscheiden musste. Anders als die Vorinstanz wies das Oberlandesgericht die Klage nicht gänzlich ab, sondern entschied im Wege eines Teilurteils, dass die Klageanträge auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zulässig seien. Gegen diese Entscheidung wurde durch den internationalen Verband Revision eingelegt, der Frau Pechstein entgegentrat. Anders als die Vorinstanz verneinte der BGH jedoch die Zulässigkeit der Klage mit der Begründung, dass dieser die erhobene Schiedseinrede entgegenstehe. Eine Entscheidung, die seitdem von vielen kritisiert wurde, die aber, trotz eines Fehlers in der Sachverhaltserfassung, einer kritischen Überprüfung standhält. In aller Deutlichkeit stellt der Senat fest, dass der CAS bereits mit seiner damaligen Verfahrensordnung ein echtes

Gute und schlechte Urteile gibt es in der Schiedsgerichtsbarkeit genauso wie vor den ordentlichen Gerichten. Das hat aber regelmäßig nichts mit einer möglichen Befangenheit der entscheidenden Juristen, sondern mit den juristischen Fähigkeiten dieser Juristen sowie mit der anwaltlichen Vertretung in dem jeweiligen Verfahren zu tun. Zwar hat der BGH fälschlicherweise in seinem Urteil erklärt, dass die Parteien den Vorsitzenden der Berufungskammer selbst bestimmen können, richtigerweise wird dieser jedoch durch ein Gremium bestellt. Doch ist dies für das Urteil unerheblich. Denn zum einen fußt die Entscheidung nicht maßgeblich darauf und zum anderen könnte der be-

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stimmte Schiedsrichter wegen Befangenheit abberufen werden. Bei der gesamten Diskussion um etwaig fehlende Neutralität der beim CAS zugelassenen Schiedsrichter sollte man jedoch eins nicht vergessen, die Schiedsrichter sind keine Parteivertreter. Selbstredend werden die Parteien versuchen, einen Schiedsrichter zu bestellen, der grds. die vertretene Rechtsauffassung teilt, doch heißt dies nicht, dass der Schiedsrichter auch der unbedingte Fürsprecher der ihn ernennenden Partei ist. Schiedsrichter sollen neutrale Dritte sein, die unabhängig und neutral über den ihnen vorgelegten Sachverhalt urteilen. Sie als dem Willen der sie bestellenden Partei unterstehende Akteure zu verstehen, widerspräche dem Wesen der Streitbeilegung durch neutrale Dritte. Zu guter Letzt gewährte die damalige Schiedsordnung des CAS den Parteien auch die Möglichkeit, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Wäre also im Laufe des Verfahrens eine nicht hinnehmbare Verbindung eines Schiedsrichters zu einer Partei herausgekommen, hätte die andere Partei einen Befangenheitsantrag stellen können. Von diesem Recht hat Frau Pechstein im Übrigen keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie später immer wieder vortrug, dass ein Schiedsrichter aufgrund seiner Nationalität befangen sein könnte. Auch die Argumentation des BGH im Hinblick auf die durch sachliche Gründe gerechtfertigte aufgezwungene Schiedsvereinbarung überzeugt. Ebenso wie die Vorinstanz arbeitete der BGH heraus, dass es keine kartellrechtswidrige Ausnutzung einer überragenden Stellung sei, wenn die Athleten von den Verbänden zur Unterschrift einer Schiedsvereinbarung gezwungen werden würden. Zustimmungswürdig ist die Ansicht des Senats, die sachliche Rechtfertigung des Schiedszwangs sei u.a. im Parteiinteresse an einer weltweit gleichen Auslegung von Regeln zu sehen. Denn nur wenn gewährleistet ist, dass Athleten sich sowohl nach den gleichen sportlichen Regeln messen und nach den gleichen Regeln rechtfertigen müssen, ist internationaler Spitzensport möglich. Eine Feststellung, die auch von Frau Pechstein nicht in Abrede gestellt wurde. C. Auswirkungen für die Praxis Mit dieser Entscheidung steht der CAS in den nächsten Jahren in Deutschland auf einem starken Fundament. Durch den BGH gestärkt, kann er sich damit rühmen, ein echtes Schiedsgericht i.S.d. § 1025 ZPO zu sein, sodass zukünftig auch deutsche Athleten vor dem CAS ihre Verfahren führen (müssen). Darüber hinaus bietet diese Entscheidung auch den deutschen Verbänden Rechtssicherheit, denn der BGH sieht kei-

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nen Verstoß gegen das Kartellrecht, wenn Athleten zur Unterzeichnung einer Schiedsvereinbarung gezwungen werden. Dies wird die Verbände im besonderen Maße erfreuen, da sie anderenfalls wohl erhebliche Probleme gehabt hätten, sich WADA-konform zu verhalten. Denn die WADA verlangt, dass in Dopingverfahren zwingend der CAS als Schiedsgericht vorzusehen ist. D. Bewertung Ein Raunen ging am 07.06.2016 durch die (Sport-)Rechtswelt. Viele aufmerksame Beobachter hatten, gerade nach der Entscheidung des OLG München, nicht mit diesem Tenor und vor allem nicht mit dem Ritterschlag des BGH für den CAS gerechnet. Möglicherweise auch mit dem Blick auf die Auswirkungen eines stattgebenden Urteils, argumentierte der BGH alle am CAS gehegten Zweifel weg und stärkte der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit den Rücken. Dass die Sportschiedsgerichtsbarkeit aber noch reformbedürftig ist, sollte allen Beteiligten klar sein. Denn nur nach Reformen kann der CAS den Rückhalt bei den Athleten bekommen, den er braucht, damit seine Entscheidungen als unabhängige und neutrale angesehen werden. Der CAS ist dies sich und dem Sport schuldig. Erste zaghafte Reformen sind zu erkennen, aber damit ist der Reformprozess noch lange nicht abgeschlossen. Ohne zwingende Notwendigkeit wird z.B. weiterhin an der geschlossenen Schiedsrichterliste festgehalten. Nach diesseitigem Dafürhalten besteht an der Beschränkung keine Notwendigkeit, denn es wird schon im Interesse der Parteien liegen, fähige und sportnahe Juristen zu bestimmen, die ihren Fall verhandeln. Darüber hinaus sollte auch darüber diskutiert werden, ob man nicht die Öffentlichkeit zu den Verfahren zulässt, um somit für größere Transparenz zu sorgen. Man kann nur hoffen, dass der CAS trotz des Urteils ein vitales Interesse daran hat, jedem berechtigten Zweifel entgegenzutreten und seine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen. Nur wenn auch abseits der Juristen der CAS als oberste Sportgerichtsbarkeit anerkannt wird, wird er die Befriedungsfunktion haben, die er schon lange innehaben wollte. Es bleibt daher die Hoffnung, dass der CAS sich weiterhin reformiert und sich nicht ausruht. Für viele Athleten wird jedoch, trotz dieser Entscheidung, das unbestimmte Gefühl bleiben, vor dem CAS nicht gut aufgehoben zu sein. Zu oft wurde in der Vergangenheit behauptet, die Verbände würden das Geschehen am CAS zu ihren Gunsten beeinflussen. Diese immer wieder aufgestellte Behauptung wird sicherlich auch nicht so schnell aus den Köpfen der Athleten verschwinden.

JM 8/9 Anwendbarkeit von § 64 Satz 1 GmbHG auf eine Limited BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14

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Rechts nur nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung finde.12 B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Prof. Dr. Axel Jäger A. Problemstellung Soweit die Europäische Insolvenzverordnung nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Ein Berufungsgericht hatte insoweit auch § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. als insolvenzrechtliche Norm angesehen und den Direktor einer Limited1 mit im deutschen Handelsregister eingetragener Zweigniederlassung einer entsprechenden Haftung unterworfen.2 Der II. Zivilsenat des BGH hatte dies im Grundsatz bestätigt3 und hierzu u.a. auf die Gesetzesmaterialien zum inhaltlich identischen § 64 Satz 1 GmbHG (n.F.) verwiesen.4 Da er jedoch der Auffassung war, der Begriff „Insolvenzrecht“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO sei autonom auszulegen, was allein dem EuGH obliege, legte er diesem die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine Klage vor einem deutschen Gericht das deutsche Insolvenzrecht i.S.v. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO betrifft, mit der ein Direktor einer Limited englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen werden kann, die er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft geleistet hat.5 Der EuGH hat dies bejaht6 und dabei darauf hingewiesen, dass er § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. bereits zuvor als insolvenzrechtliche Norm qualifiziert hatte.7 Eine Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG trage zur Verwirklichung eines Ziels bei, das untrennbar mit jedem Insolvenzverfahren verbunden sei, nämlich die Verhinderung etwaiger Massekürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, damit eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger erfolge. Damit erscheine sie einer Vorschrift zumindest vergleichbar, die eine Benachteiligung der Gläubigergesamtheit betreffe und deshalb nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. m) EuInsVO unter die lex fori concursus falle.8 Die zweite Vorlagefrage des BGH, ob eine solche Klage gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) verstößt,9 hat der EuGH verneint10 und ist damit auch insoweit dem II. Zivilsenat gefolgt.11 Die Anwendung einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. betreffe weder die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat noch ihre spätere Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, da diese Bestimmung des nationalen

Durch den EuGH derart in seiner eigenen Auffassung bestärkt, konnte der II. Zivilsenat an seine zuvor entwickelten Grundsätze anknüpfen und stellte im Leitsatz klar, dass auf den Direktor einer Limited, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, § 64 Satz 1 GmbHG zur Anwendung kommt.13 Der Zweck der Vorschrift bestehe darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und für den Fall, dass der Geschäftsführer seiner Massesicherungspflicht nicht nachkomme, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt werde, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung stehe.14 Damit werde von ihr im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Die verbotswidrigen Zahlungen dienten i.d.R. der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führten bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Verringert werde nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führe.15 Die Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG setze im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Es sei dann Sache des Insolvenzverwalters, den Anspruch geltend zu machen.16

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Die vollständige Bezeichnung lautet „Private Company Limited by Shares“. Im konkreten Fall war die Gesellschaft in dem für England und Wales zuständigen Handelsregister (Companies House) eingetragen. OLG Jena, Urt. v. 17.07.2013 - 2 U 815/12. BGH, Urt. v. 02.12.2014 - II ZR 119/14. BT-Drs. 16/6140, S. 47. BGH, Urt. v. 02.12.2014 - II ZR 119/14. EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C-594/14. EuGH, Urt. v. 04.12.2014 - C-295/13. EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C-594/14. BGH, Urt. v. 02.12.2014 - II ZR 119/14. EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C-594/14. BGH, Urt. v. 02.12.2014 - II ZR 119/14. EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C-594/14. BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14. BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14 unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung zu § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. am Beispiel von BGH, Urt. v. 29.11.1999 - II ZR 273/98; BGH, Urt. v. 14.05.2007 - II ZR 48/06; BGH, Urt. v. 05.05.2008 - II ZR 38/07. BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14 im Anschluss an BGH, Urt. v. 20.09.2010 - II ZR 78/09. BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14, allerdings unter Bezugnahme auf § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F.

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Dieser Gesetzeszweck treffe auf beide Gesellschaftsformen zu. Sowohl in der GmbH als auch in der Limited hafteten die Gesellschafter grds. nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden. In beiden Gesellschaftsformen würden die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt. Bei beiden Gesellschaftsformen bestehe die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zulasten der späteren Insolvenzgläubiger leiste und damit die Insolvenzmasse verkürze.17 Diese Umstände rechtfertigten es, den Geschäftsführer deutschen Rechts und den Direktor englischen oder walisischen Rechts in Bezug auf die Haftung bei derartigen Zahlungen gleich zu behandeln.18 Da im konkreten Fall weder die tatsächlich vorgenommenen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar noch sonstige Ausschlussgründe ersichtlich waren, wurde das Verschulden des Geschäftsführers vermutet.19 Schließlich stellte der II. Zivilsenat noch klar, dass angesichts der ausdrücklichen Verweisung auf § 43 Abs. 4 GmbHG in § 64 Satz 4 GmbHG eine analoge Anwendung der drei- bzw. zehnjährigen Verjährung nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 195, 199 BGB ausscheidet und es stattdessen bei der fünfjährigen Verjährungsfrist verbleibt.20 C. Auswirkungen für die Praxis Mit dem hier besprochenen Urteil des BGH steht (endgültig) fest, dass § 64 Satz 1 GmbHG trotz seiner Verortung im Gesellschaftsrecht nicht zum Gesellschaftsstatut zählt, sondern Teil des Insolvenzstatuts ist. Dass der II. Zivilsenat in seinen Entscheidungsgründen ausschließlich auf § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Bezug nimmt, ist allein dem Umstand geschuldet, dass sich der konkret zu entscheidende Sachverhalt vor dem Inkrafttreten von § 64 Satz 1 GmbHG abgespielt hat. Es ist dennoch ungewöhnlich, wenn er in seinem Leitsatz wiederum nur § 64 Satz 1 GmbHG erwähnt. Letztlich spielt dies aber auch keine entscheidende Rolle, da § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. durch die letzte große GmbH-Reform (MoMiG) inhaltlich unverändert geblieben ist und mit Wirkung zum 01.11.2008 lediglich einen neuen Standort erhalten hat. Interessanter ist, dass der II. Zivilsenat in seiner an den EuGH gerichteten Vorlageentscheidung eine Anwendung des GmbH-rechtlichen Zahlungsverbots nicht nur auf die Limited englischen oder walisischen Rechts befürwortet hatte, sondern offenbar auf alle mit der GmbH vergleichbare EU-Auslandsgesellschaften.21 Die von ihm nunmehr zur Rechtfertigung der Anwendung von § 64 Satz 1 GmbHG auf dem GmbH-Geschäftsführer vergleichbare Geschäftsführungsorgane herangezogenen Kriterien – keine persönliche Haftung der Gesellschafter, Möglichkeit zur

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Fremdorganschaft und Massegefährdung durch Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen – dürften jedenfalls auf zahlreiche weitere EU-Auslandsgesellschaften zutreffen. Mit Blick auf das deutsche Recht gelten sie in gleichem Maße für den Vorstand einer Aktiengesellschaft, sodass es nur konsequent erscheint, auch die § 92 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG zum Insolvenzstatut zu rechnen und auf das dem Vorstand entsprechende Geschäftsführungsorgan einer mit einer Aktiengesellschaft vergleichbaren EU-Auslandsgesellschaft anzuwenden. 17 BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14. 18 BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14 unter Hinweis auf die zustimmenden Stellungnahmen zu den Vorgängerentscheidungen von Servatius, DB 2015, 1087 ff.; Mankowski, NZG 2016, 281 ff.; Schall, ZIP 2016, 289 ff.; Schulz, EWiR 2016, 67 f.; Weller/Hübner, NJW 2016, 225; von Wilcken, DB 2016, 225 f. 19 BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14 im Anschluss an BGH, Urt. v. 19.06.2012 - II ZR 243/11. 20 BGH, Urt. v. 15.03.2016 - II ZR 119/14, allerdings unter Bezugnahme auf § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. 21 BGH, Urt. v. 02.12.2014 - II ZR 119/14.

Kein besonderer Kündigungsschutz bei Mietverhältnissen von einem sozialen Träger BGH, Urt. v. 20.01.2016 - VIII ZR 311/14 RA Norbert Eisenschmid A. Problemstellung Abweichend vom typischen Untermietverhältnis bei der Vermietung von Wohnraum soll bei der gewerblichen Weitervermietung gem. § 565 BGB der Mieter nach dem Mietvertrag den gemieteten Wohnraum gewerblich einem Dritten zu Wohnzwecken weitervermieten. Ob diese in den 90er Jahren eingeführte Sonderregelung auch dann anzuwenden ist, wenn eine Gesellschaft oder ein Verein den gemieteten Wohnraum aus sozialen, karitativen oder ähnlichen Gründen einem Untermieter zu Wohnzwecken überlässt, ist Gegenstand dieser Entscheidung. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Kläger sind Rechtsnachfolger ihrer Mutter als Eigentümer eines großen Mehrfamilienhauses. Dieses Grundstück war während des NS-Regimes enteignet und sollte auf Antrag der Mutter der Kläger rückübertragen werden. Die Rückübertragung erfolgte am 17.07.1996. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Grundstück verwaltet von der P.B.

JM 8/9 Wohnungsbaugesellschaft. Diese schloss mit der Mutter der Kläger und der im Wesentlichen aus den damaligen Nutzern bestehenden Hausgenossenschaft S. eG einen dreiseitigen Vertrag über die Nutzung, Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes. Nach diesem Vertrag sollte die S. eG das Objekt instandsetzen und modernisieren und zur Nutzung an die damalige Hausgenossenschaft bereitstellen. Nach Ablauf des Nutzungsvertrages, der für eine Laufzeit von 20 Jahren vorgesehen war, sollte die S. eG berechtigt sein, den Klägern bisherige Nutzer als Mieter für die jeweils eigengenutzte Wohnung zu benennen. Als Eigentümer sollten die Kläger im Gegenzug verpflichtet sein, mit diesen so benannten Nutzern Mietverträge nach dem üblichen Standardformular unter Vereinbarung der ortsüblichen Vergleichsmiete abzuschließen. Die S. eG sanierte das Objekt mit rund 4 Mio. DM, wobei ein Betrag von rund 375.000 DM aus Eigenmitteln erbracht wurde. Im Übrigen handelt es sich um öffentliche Fördergelder. Nach Abschluss der Arbeiten im März 1993 wurden die Wohnungen von der S. eG an die Mitglieder der Hausgenossenschaft zu Mieten zwischen 1,80 bis 2,96 €/qm vermietet. Das Nutzungsentgelt, das die S. eG an die Rechtsvorgängerin der Kläger zu entrichten hatte, betrug seinerzeit 1,50 DM/qm monatlich. Die Kläger haben die Feststellung beantragt, dass zwischen den Nutzern der S. eG und ihr Mietverträge nicht zustande gekommen seien. Die beklagten Mieter, die mit der S. eG einen Mietvertrag abgeschlossen hatten, sind der Auffassung, dass nach Ablauf der 20-jährigen Nutzungszeit die Kläger in den „alten“ Mietvertrag zwischen S. eG und den Nutzern nach § 565 BGB eingetreten seien. Die Kläger seien daher nur berechtigt, Mieterhöhungen in den Grenzen des § 558 BGB auf der Grundlage des bisherigen Mietniveaus durchzuführen. Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage abgewiesen, da § 565 BGB Anwendung finde und die Kläger daher in die Mietverträge zwischen den Beklagten und der S. eG eingetreten seien. Der VIII. Zivilsenat hat diese Auffassung mit der vorliegenden Entscheidung nicht geteilt. Es liege schon der Zweck des Vertrages i.S.d. § 565 BGB nicht vor. Der Regelungsgehalt des § 565 BGB zeichne sich dadurch aus, dass nach dem Zweck des Hauptmietvertrages eine gewerbliche Weitervermietung zu Wohnzwecken erfolgen sollte. Hier sei die Interessenlage bei Abschluss des Mietvertrages zwischen der Mutter der Kläger und den Hausgenossen aber derart gewesen, dass die Restitution des Eigentums erwartet worden sei und daher die Sicherung des Bestandes und die Rentabilität des Eigentums erhalten bleiben sollte. Diese Zielsetzung habe eine umfangreiche Sanierung erfordert, zu der sich die Bewohner der S. eG zu-

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sammengeschlossen hätten. Mit dem Nutzungsvertrag habe ein Ausgleich dieser Interessen vorgenommen werden sollen. Denn es sei beabsichtigt gewesen, die sanierten Wohnungen 20 Jahre an die Bewohner mit einer sehr niedrigen Miete zu überlassen. Nach Ablauf dieses Zeitraums sei der Verbleib in der Wohnung durch die Verpflichtung des Klägers sichergestellt worden, auf Wunsch einen Mietvertrag mit den Nutzern zu den üblichen Bedingungen und im Rahmen einer ortsüblichen Vergleichsmiete abzuschließen. Darüber hinaus habe keine gewerbliche Weitervermietung i.S.d. § 565 Abs. 1 Satz 1 BGB stattgefunden. § 565 BGB verlange eine geschäftsmäßige, auf Dauer gerichtete und mit der Absicht der Gewinnerzielung oder im eigenen wirtschaftlichen Interesse ausgeübte Vermietungstätigkeit des Zwischenmieters. Dies habe das Berufungsgericht fehlerhaft angenommen und dem eigenwirtschaftlichen, selbst verantwortlichen Handeln der Genossenschaft eine Gewinnerzielungsabsicht beigelegt. Aus dem Zweck der Vorschrift ergebe sich jedoch, dass diese nur für bestimmte Sachverhalte anwendbar sei, nämlich dann, wenn der Eigentümer im eigenen Interesse einen Zwischenmieter einschalte, der mit der Weitervermietung wiederum eigene wirtschaftliche Interessen verfolge. Dieser im Rahmen der sog. Bauherrenmodelle verfolgte Geschäftszweck sei etwas anderes als die hier vorliegende Vermietungstätigkeit. Es bestehe eine andere Interessenlage, wenn der Zwischenmieter mit der Weitervermietung gemeinnützige, karitative oder ähnliche Zwecke verfolge und die Zwischenvermietung deshalb vor allem in seinem und insbesondere im Interesse des Endmieters liege. In diesen Fällen könne nicht von einer gewerblichen Weitervermietung i.S.d. § 565 BGB ausgegangen werden. Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht, da eine nicht vergleichbare Interessenlage der Beteiligten vorliege. Die Zwischenvermietung von einem gemeinnützigen Verein diene nicht der in seinem Interesse vorgenommenen gewerblichen Weitervermietung, sondern er handele als Zwischenmieter im Rahmen seiner satzungsgemäßen Aufgaben im Sinne der von ihm betreuten Personen. Während im Bauherrenmodell bzw. beim Normzweck des § 565 BGB die Einschaltung einer Mittelperson auf dem Interesse des Eigentümers beruhe, sich etwa seiner Steuerlast oder seines Verwaltungsaufwandes zu entledigen, gehe es hier um die gegenläufigen Interessen, den Nutzungsvertrag der Bewohner zu sichern. Daher seien diese Fälle eher mit den Fällen einer klassischen Untermiete zu vergleichen. Auch nach Treu und Glauben könne kein anderes Ergebnis hergeleitet werden. Zwar habe der Senat1 seinerzeit ange-

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BGH, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 163/02; BGH, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 162/02.

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nommen, dass sich ein Endmieter, der von einem nichtgewerblichen Zwischenmieter angemietet habe, im Einzelfall gegenüber dem Herausgabeanspruch des Hauptvermieters nach Beendigung der Zwischenvermietung auf die Kündigungsvorschrift des Wohnungsmieters berufen könne. Das habe aber nach den damaligen Überlegungen des Senats vorausgesetzt, dass die Anwendung der Kündigungsschutzvorschriften dem dort klagenden Eigentümer zumutbar gewesen sei. Bei dem zu beurteilenden Sachverhalt sei davon auszugehen gewesen, dass der Eigentümer die Wohnung ohne die Zwischenvermietung zu vergleichbaren Bedingungen auch unmittelbar an die vom Zwischenmieter ausgewählte Person vermietet hätte. An dieser Voraussetzung fehle es hier. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung muss im Zusammenhang mit dem historischen Zweck des § 565 BGB gesehen werden. Nachdem das BVerfG2 die Rechtsstellung des Untermieters gestärkt hatte, indem es einen Verstoß gegen Art. 3 GG angenommen hatte, wenn im Falle der gewerblichen Zwischenvermietung der Untermieter schlechter behandelt wird als der normale Mieter, musste der Gesetzgeber darauf reagieren. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zu der Vorgängervorschrift (§ 549a BGB a.F.) ergibt sich, dass die Norm speziell den „gewerblichen Zwischenvermieter“ im Auge hatte, wie er insbesondere bei der Vermietung von Wohnungen eingeschaltet wurde, die im sog. Bauherrenmodell errichtet worden sind.3 Bei diesem Steuersparmodell des Eigentümers und (Haupt-)Vermieters wurden die Kündigungsschutzvorschriften zugunsten des Endmieters praktisch ausgehebelt.4 An diesem aus dem Gesetzeszweck sich ergebenden Leitbild muss sich die Auslegung orientieren.5 Daher ist für die vorliegende Entscheidung zunächst der Gesetzeszweck maßgebend. Die Weitervermietung an den Endmieter zu Wohnzwecken muss gerade im (steuerlichen) Interesse des Hauptvermieters liegen. Eine bloße Duldung der Untervermietung oder spätere Erlaubniserteilung reicht nicht aus.6 Hier ging es letztlich darum, dass Grundstück und das Haus zu erhalten und die Vermietbarkeit zu sichern. Die Zwischenvermietung an die Gemeinschaft der Wohnungsnutzer als Hausgenossenschaft erfolgte nicht, um besondere Vergünstigungen aus diesem Vertragsmodell zu erzielen, sondern weil die vorhandene Mieterstruktur für alle Beteiligten vorteilhaft war. Es fehlt aber auch an dem Tatbestandsmerkmal „gewerblich“. Nach diesem Merkmal muss die Hausgenossenschaft die Wohnungen an die Nutzer zumindest aus eigenem wirtschaftlichen Interesse vermietet haben. Diese Vorausset-

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zung war bislang jedenfalls dann umstritten, wenn es sich bei dem Zwischenmieter um eine gemeinnützige oder soziale Institution handelte. Der BGH hatte allerdings schon in einer frühen Entscheidung aus dem Jahr 1996 festgestellt, dass der Untermieter bei der gewerblichen Zwischenvermietung an der Nutzung der Wohnräume nur im Rahmen des zwischen Eigentümer und Hauptmieter bestehenden Mietverhältnisses beteiligt wird, während im Gegensatz dazu in den typischen Fällen der Untervermietung zwischen Hauptmieter und Untermieter eine wesentlich engere Beziehung besteht, weil der Hauptmieter die Wohnung entweder selbst nutzt oder aufgrund einer besonderen Vereinbarung an dem Wohl des Untermieters teil hat.7 Wegen dieses engen Verhältnisses kann der Endmieter im letzteren Fall davon ausgehen, dass er gegenüber dem Zwischenmieter den vollen gesetzlichen Kündigungsschutz genießt.8 Aus diesen Erwägungen wird auch in Rechtsprechung und Literatur überwiegend eine analoge Anwendung des § 565 BGB abgelehnt.9 Offengelassen hatte der BGH diese Frage noch in seiner Entscheidung vom 30.04.2003.10 D. Auswirkungen für die Praxis Für die Praxis ist diese Entscheidung eine Bestätigung dahin gehend, dass die Untervermietung durch einen sozial oder karitativ tätigen Träger keine Anwendung des § 565 BGB rechtfertigt. Dies gibt den Vermietern bei der Vermietung von Wohnungen an karitative und soziale Einrichtungen die Sicherheit, dass bei einer Kündigung des Hauptmietverhältnisses die Wohnungen wieder dem Markt zur Verfügung stehen. Bei problembewusster Vermietung solcher Wohnungen ist dies auch nicht zum Schaden des Endmieters, da er seinen Bestandsschutz über sein Verhältnis zum Zwischenmieter realisiert. § 565 BGB gäbe den betroffenen Mietern in solchen Fällen kaum Schutz, da im Falle eines Eintritts des (Haupt-)Vermieters in den Mietvertrag

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BVerfG, Beschl. v. 11.06.1991 - 1 BvR 538/90. BR-Drs. 396/93, S. 14, 15. Vgl. BGH, Rechtsentscheid v. 21.04.1982 - ARZ 16/81. Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 565 BGB Rn. 8; Häublein in: MünchKomm BGB, § 565 Rn. 9. 6 Hinz in: Klein-Blenkers/Heinemann/Ring, Miete/WEG/Nachbarschaft, § 565 BGB Rn. 6. 7 BGH, Urt. v. 03.07.1996 - VIII ZR 278/95. 8 So im Ergebnis auch Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 565 BGB Rn. 9 mit weiteren Beispielen. 9 Zum Meinungsstand Emmerich in: Staudinger, BGB, Mietrecht 3, § 565 Rn. 5 f. 10 BGH, Urt. v. 30.04.2003 - VIII ZR 162/02.

JM 8/9 dieser sie im Zweifel über Mieterhöhungen spätestens mittelfristig aus der Wohnung drängen kann. E. Bewertung Die Entscheidung ist auch in der zu beurteilenden Fallgestaltung richtig, da die Nutzer wegen der vertraglichen Zusage des Eigentümers in ihren Wohnung verbleiben konnten und der Eigentümer zudem bei Vertragsschluss an die ortsübliche Miete gebunden wurde. Auch Renovierungsbedarf ist wegen der vorgenommenen umfassenden Sanierungsarbeiten in der Vergangenheit nicht erkennbar, sodass eine Modernisierungsverdrängung der Mieter ausgeschlossen scheint.

Nur der Urheber darf für seine Werke werben BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11, I ZR 76/11, I ZR 88/13 Prof. Dr. Hannes Ludyga A. Problemstellung Firmen mit Sitz in Italien haben sich darauf spezialisiert, Imitate von Einrichtungsgegenständen aus der Bauhausepoche auf der ganzen Welt über das Internet zu vertreiben. Im Vergleich zu den Bauhausoriginalen sind diese Imitate deutlich günstiger. Eine Herstellung von derartigen Imitaten in Deutschland ist nicht zulässig, da diese Einrichtungsgegenstände in Deutschland als Werke der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4, 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sind. Keinen urheberrechtlichen Schutz genossen diese Werke bis etwa 2010 in Italien. Die Herstellung von Bauhaus-Imitaten war bis zu diesem Zeitpunkt in Italien erlaubt, da nach früherem italienischen Urheberrecht „der künstlerische Wert dieser Werke“ zur Erlangung eines urheberrechtlichen Schutzes „von dem gewerblichen Charakter des Produkts, in das sie eingeflossen sind, trennbar sein musste“.1 Zwar dürfen nach der Umsetzung rechtlicher Vorgaben der EU mittlerweile theoretisch keine Bauhaus-Imitate mehr in Italien mehr hergestellt werden, in der Praxis fluktuiert der Handel mit den Imitaten in Italien aber weiterhin. Italienische Firmen bieten diese Imitate über das Internet in Deutschland an und bewerben diese offensiv.2 B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidungen I. Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH entschied in drei Parallelverfahren3 die umstrittene Thema-

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tik,4 ob eine Werbung für urheberrechtlich geschützte Werke – wie Bauhaus-Imitate – zulässig ist. Im Kern geht um die Frage, ob das Verbreitungsrecht des Urhebers gem. § 17 Abs. 1 UrhG bzw. das Verbreitungsrecht des ausübenden Künstlers gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG das Recht umfasst, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit im Rahmen von Werbemaßnahmen zum Erwerb anzubieten. Die Klägerin aus Italien im ersten Verfahren5 ist eine Herstellerin von Möbeln, die sie auf der ganzen Welt verkauft. Sie ist Inhaberin von ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechten an Entwürfen Marcel Breuers für Möbel und von der Knoll Inc., die Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an Entwürfen Ludwig Mies van der Rohes für Möbel und „Muttergesellschaft“ der Klägerin ist, zur Geltendmachung entsprechender Ansprüche berechtigt. Die Beklagte – ebenfalls aus Italien – hat ein europaweites Vertriebsnetz für Designermöbel. Sie wirbt in Printmedien in Deutschland und auf ihrer Homepage, die in deutscher Sprache abrufbar ist, für den Erwerb von Möbeln, die Breuers und van der Rohes „entworfenen Möbeln entsprechen“.6 Die Klägerin im zweiten Verfahren7 ist Inhaberin von ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechten an Entwürfen von Wilhelm Wagenfeld für Leuchten, die sie herstellt und handelt. Die Beklagte, das im ersten Verfahren beklagte Unternehmen aus Italien, veräußert Nachahmungen der Leuchten und wirbt für diese wie für die Möbel Breuers und van der Rohes.8 Die Klägerin im dritten Verfahren9 ist eine Rechtsanwaltskanzlei, die den Beklagten, Betreiber eines Ton- und Bildträgerhandels im Internet, abmahnt. Die Beklagte bot auf ihrer Homepage die DVD „Al Di Meola – In Tokio (Live)“ ohne Autorisierung durch den Künstler an.10 II. Der BGH bejaht in den ersten beiden Verfahren nach Feststellung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Urheberrechts11 die Verletzung des Verbreitungsrechts gem. § 17 Abs. 1 UrhG durch die Werbemaßnahmen der Beklagten für die in Deutschland als Werke der angewandten Kunst ge-

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Schulze, GRUR-Prax 2016, 187. Schulze, GRUR-Prax 2016, 187. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11, I ZR 76/11, I ZR 88/13. Rauer/Ettig, GRUR-Prax 2016, 201. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11 Rn. 1, 3, 6, 29. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 76/11. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 76/11 Rn. 1-2. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 88/13. BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 88/13 Rn. 1-3. Schulze, GRUR-Prax 2016, 187.

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schützten Werke (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG) in den ersten beiden Verfahren.12 Im dritten Verfahren stellt der BGH fest, dass das Recht des ausübenden Künstlers gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG das Recht umfasst, einen „Bild- oder Tonträger der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten“ und für den „Erwerb dieses Bild- oder Tonträgers zu werben“.13

gebot bzw. die Werbemaßnahmen, die dem Kauf vorgelagert sind,19 für das Werk stellen einen Eingriff in das Verbreitungsrecht dar.20 Dem von Rechtsanwälten immer wieder vorgebrachten Argument, wonach nur die Eigentumsübertragung des Werkes eine Verbreitungshandlung i.S.d. § 17 Abs. 1, § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG darstellt, erteilt der BGH eine eindeutige „Absage“.21

C. Kontext der Entscheidungen

In der Literatur wird die Befürchtung geäußert, dass die Imitatoren aus Italien in der Praxis neue Wege finden werden, um Imitate in Deutschland zu vertreiben. Immerhin erschweren die BGH-Entscheidungen den Vertrieb der Imitate in Deutschland. Von den BGH-Entscheidungen geht möglicherweise eine Signalwirkung aus und Italien sorgt in Zukunft für eine effektivere Umsetzung eines mittlerweile bestehenden urheberrechtlichen Schutzes von Werken der angewandten Kunst im eigenen Land.22

Die Entscheidungen zeigen, wie sehr europarechtliche Vorgaben mittlerweile das deutsche Urheberrecht beeinflussen und überlagern, auch wenn „kein einheitliches EU-Urheberrecht existiert“.14 § 17 Abs. 1 UrhG ist durch den BGH richtlinienkonform auszulegen, da das Verbreitungsrecht gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft harmonisiertes Recht ist.15 Die Mitgliedstaaten sehen gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Der EuGH legt Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/ EG dahin gehend aus, dass „der Inhaber des ausschließlichen Verbreitungsrechts an einem geschützten Werk Angebote zum Erwerb oder gezielte Werbung in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke des Werkes auch dann verbieten kann, wenn nicht erwiesen sein sollte, dass es aufgrund dieser Werbung zu einem Erwerb des Schutzgegenstands durch einen Käufer aus der Union gekommen ist, sofern die Werbung die Verbraucher des Mitgliedstaats, in dem das Werk urheberrechtlich geschützt ist, zu dessen Erwerb anregt“.16 In Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH sieht der BGH in den ersten beiden Verfahren das Verbreitungsrecht gem. § 17 Abs. 1 UrhG durch die Werbemaßnahmen, die „die Verbraucher in Deutschland“ zum „Erwerb“ der Möbel bzw. der Leuchten „anregt“, als verletzt an. Unerheblich ist, ob aufgrund der Werbung ein Kauf der Möbel erfolgt.17 Entsprechend urteilt der BGH im dritten Verfahren hinsichtlich des Verbreitungsrechts des ausübenden Künstlers gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG, der gem. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums ebenfalls richtlinienkonform auszulegen ist.18 D. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidungen stärken das Verbreitungsrecht des Urhebers und ausübenden Künstlers in der Praxis. Bereits das An-

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Die Entscheidungen verdeutlichen das „Problem eines urheberrechtlichen Flickenteppichs“23 in der EU bzw. weltweit. Einer einheitlichen urheberrechtlichen Ordnung in der EU steht Art. 345 AEUV entgegen, der die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt lässt.24 Eine einheitliche urheberrechtliche Ordnung weltweit ist trotz internationaler Abkommen auf dem Gebiet des Urheberrechts eine Utopie.

12 BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11 Rn. 26, 30, 32; BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 76/11 Rn. 20, 28, 30. 13 BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 88/13 Rn. 14. 14 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht. Ein Studienbuch, 27. Aufl. 2015, S. 21. 15 BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11 Rn. 26, 30, 32; BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 76/11 Rn. 20, 28, 30. 16 EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 13.05.2015 - C-516/13 - GRUR 2015, 665 Rn. 35 - „Dimensione Direct Sales Srl, Michele Labianca/Knoll International SpA“. 17 BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 91/11 Rn. 34; BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 76/11 Rn. 32. 18 BGH, Urt. v. 05.11.2015 - I ZR 88/13 Rn. 12. 19 Schulze, GRUR-Prax 2016, 188. 20 Rauer/Ettig, GRUR-Prax 2016, 201. 21 Möller, GRUR-Prax 2015, 233. 22 Schulze, GRUR-Prax 2016, 188. 23 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht. Ein Studienbuch, 27. Aufl. 2015, S. 23. 24 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht. Ein Studienbuch, 27. Aufl. 2015, S. 23.

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Arbeitsrecht

Das Verfahren vor dem kirchlichen Arbeitsgericht PräsLAG a.D. Dr. Norbert Schwab1

A. Einleitung Die Verfassung garantiert den Kirchen mit ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV ein Selbstbestimmungsrecht, wonach die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst regeln können. Das staatliche BetrVG und das BPersVG finden keine Anwendung (§ 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG). Bei diesen Vorgaben haben die beiden großen christlichen Kirchen u.a. jeweils ein eigenes Mitarbeitervertretungsgesetz geschaffen. Streitigkeiten hieraus unterliegen nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Daher haben die beiden Kirchen den Rechtsschutz in diesem Bereich jeweils eigenständig geregelt. B. Allgemeine Hinweise zur Rechtslage I. Die Kirchen als Dienstgeber Den Arbeitgeber „Kirche“ gibt es als solchen nicht. Vielmehr unterstehen viele einzelne Arbeitgeber (die Mitarbeitervertretungsordnung – MAVO bezeichnet sie als „Dienstgeber“) dem kirchlichen Bereich. Dies sind etwa die einzelnen Diözesen, Kirchengemeinden, Vereine der Caritas bzw. Diakonie, Orden oder zahlreiche gemeinnützige GmbHs, die alle den bedeutsamen kirchlichen Zweck des Dienstes am Mitmenschen erfüllen. Die praktische Bedeutung dieser wesensmäßigen christlichen Betätigung wird evident durch das Faktum, dass die beiden großen Religionsgesellschaften mit zusammen rd. 1,3 Mio. Arbeitnehmern nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands sind. Dies sollte den mit dem staatlichen Arbeitsrecht vertrauten Rechtsanwalt ermutigen, sich intensiver diesem „Marktsegment“ zuzuwenden. Die zu überwindenden Hürden sind für ihn nicht hoch. Er hat seine Anspruchsgrundlagen in anderen Gesetzen zu suchen mit teilweise anderem Inhalt. Mitunter begegnet man dem Vorurteil, die Kirchengesetze seien weniger arbeitnehmerfreundlich als das staatliche Arbeitsrecht. Diese Sichtweise wählt einen unrichtigen Bezugspunkt. Die Kirchen haben eine Art „Tendenzschutz“ mit teilweise dem Rechnung tragenden eigenständigen Mitbestimmungsrechten. Von daher sind sie nur gelegentlich anders, teilweise auch sozialer ausgeprägt als das staatliche Arbeitsrecht. So führte etwa das Leitbild der „Dienstgemeinschaft“ wegen des im christlichen Glauben wurzelnden Dienstes am Mit-

menschen zu einer Einschränkung der Leiharbeit in den kirchlichen Einrichtungen. Zumindest im Bereich der katholischen Kirche gibt es derzeit starke Bestrebungen, die Zulässigkeit sachgrundloser Befristungen (§ 14 Abs. 2 TzBfG) zu beschneiden. Die MAVO (der katholischen Kirche) kennt Mitbestimmungstatbestände, die es im BetrVG bzw. BPersVG nicht gibt. In den ganz überwiegenden Fällen hat sie die korrespondierenden Regelungen des BetrVG bzw. BPersVG übernommen.2 II. Zuständigkeit Die das gesamte kirchliche Arbeitsrecht dominierende Grundordnung (GrO) der katholischen Kirche enthält Grundsatzregelungen für das individual- und kollektive Arbeitsrecht nebst dem Rechtsschutz.3 Art. 1 Satz 1 GrO definiert den das kirchliche Arbeitsrecht prägenden Grundsatz der „Dienstgemeinschaft“. Für individualrechtliche Streitigkeiten der Arbeitnehmer im kirchlichen Dienst gewähren gem. Art. 10 Abs. 1 GrO die staatlichen Arbeitsgerichte Rechtsschutz. Sie haben bei solchen Streitigkeiten materiell-rechtlich die speziellen kircheneigenen Arbeitsgesetze (AVR) und die allgemeinen Rechtsnormen anzuwenden. Demgegenüber sind für Rechtsstreitigkeiten aus den Bereichen der kirchlichen Ordnungen für ein Arbeitsvertragsrecht4 und des Mitarbeitervertretungsrechts eigene unabhängige weisungsfreie kircheneigene Gerichte gebildet (Art. 10 Abs. 2 GrO). Für deren Verfahren besteht eine eigenständige „kirchliche Arbeitsgerichtsordnung“ (KAGO). Die Zuständigkeit des kirchlichen Arbeitsgerichts (KAG) – § 2 KAGO spricht von einer „sachlichen“ Zuständigkeit – ergibt sich aus § 2 KAGO. Danach ist das KAG zuständig für Rechtsstreitigkeiten

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Der Autor war bis zum Eintritt in seinen Ruhestand im Mai 2012 der Präsident des LArbG Mainz. Er ist seit März 2012 Vorsitzender des kirchlichen Arbeitsgerichts mit Sitz in Mainz für die Diözesen Mainz, Speyer, Trier und Limburg. Von daher beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen – soweit nichts anderes angegeben – auf das Verfahren aus dem Bereich der katholischen Kirche. Vgl. zur Struktur des kirchlichen Arbeitsrechts und seiner Einbettung in unsere Rechtsordnung: Richardi, NZA 2015, 1481. Man könnte in der GrO eine Art „Grundgesetz“ des katholischen kirchlichen Arbeitsrechts sehen. Die Kommissionen des sog. Dritten Weges.

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• aus der MAVO, • aus dem Recht der nach Art. 7 GrO gebildeten Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsvertragsrechts, • aus dem Recht der Mitwirkung in Caritaswerkstätten für Menschen mit Behinderungen und • aus dem Verfahren der kircheneigenen Einigungsstellen (vgl. §§ 40 ff., § 33 Abs. 4 MAVO). In der Praxis dominieren vor dem KAG ganz überwiegend die kollektivrechtlichen Verfahren aus der MAVO, sodass sie bei den nachfolgenden Darstellungen als Bezugspunkte dienen. Die Urteile der kirchlichen Arbeitsgerichte5 sind für alle Beteiligten bindend und rechtskraftfähig, aber letztlich nur eingeschränkt vollstreckbar. Der eigentliche Verfahrensablauf unterscheidet sich von dem vor den staatlichen Gerichten für Arbeitssachen praktisch kaum; die Berufsrichter und die Anwälte tragen keine Roben. III. Systematik und allgemeine Verfahrensregelungen Die KAGO ist systematisch gegliedert wie das ArbGG. Sie enthält als leges speciales eigenständige Verfahrensregelungen. Soweit solche nicht bestehen, finden nach § 27 KAGO für das erstinstanzliche Verfahren vor dem KAG die Bestimmungen des ArbGG über das Urteilsverfahren (§§ 46–60 ArbGG) Anwendung; auf das Beschlussverfahren der §§ 80 ff. ArbGG wird also nicht verwiesen. Die Entscheidungen ergehen daher durch Urteil (§ 43 KAGO) und nicht durch Beschluss. Die Akteure sind „Parteien“ und werden mit Kläger und Beklagter bezeichnet. Allerdings ordnet § 7 KAGO an, dass das KAG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat, wobei die am Verfahren Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Die KAGO übernimmt daher für die vor dem KAG auszutragenden Streitigkeiten das prägende Prinzip des Beschlussverfahrens (§ 83 Abs. 1 ArbGG), den eingeschränkten Untersuchungsgrundsatz. In Konsequenz davon sind nach § 8 KAGO weitere „Beteiligte“ im Verfahren hinzuzuziehen, die vom KAG gem. § 9 KAGO auf Antrag oder von Amts wegen beizuladen sind. Die weiteren Verfahrensvorschriften der §§ 28 ff. KAGO orientieren sich – neben eigenständigen allgemeinen Regelungen – oftmals an den §§ 80 ff. ArbGG. Dies sind z.B.: Bei Klagerücknahme hat der Vorsitzende das Verfahren einzustellen (§ 29 KAGO). Ein Säumnisverfahren findet gem. § 32 Satz 2 KAGO nicht statt.6 Nach einer beidseitigen Erledigungserklärung hat der Vorsitzende nach vorheriger Anhörung der Beteiligten das Verfahren einzustellen (§ 41 Abs. 2 KAGO). Bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers hat § 41 Abs. 3 KAGO die Regelungen von § 83a Abs. 3 ArbGG übernommen. Das Verfahren wird somit im Kleide des Urteilsverfahrens in der Sache als Beschlussverfahren ausgetragen; anders ge-

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wendet: es steht Urteilsverfahren darauf, ist aber Beschlussverfahren darin. IV. Aufbau der Gerichtsbarkeit Sowohl in der evangelischen als auch katholischen Kirche ist die Arbeitsgerichtsbarkeit zweistufig. Es gibt jeweils nur eine Tatsacheninstanz. Die Revision ist – wie in § 72 Abs. 1 ArbGG für die staatliche Gerichtsbarkeit – nur durch Zulassung durch das KAG oder aufgrund Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht statthaft. Für die katholische Kirche hat der Kirchliche Arbeitsgerichtshof (KAGH) seinen Sitz in Bonn, der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirchen Deutschlands (KGH-EKD) seinen Sitz in Hannover. Den Vorsitz führen in erster und zweiter Instanz i.d.R. erfahrene Arbeitsrichter aus der staatlichen Gerichtsbarkeit7 oder renommierte Juristenpersönlichkeiten. Jedes Bistum/Erzbistum (jede Landeskirche) hat gem. § 14 Abs. 1 KAGO ein Gericht erster Instanz errichtet. Durch Vereinbarung der Diözesanbischöfe können mehrere Bistümer ein gemeinsames KAG errichten. Davon wurde in der Praxis von beiden Kirchen rege Gebrauch gemacht.8 Das KAG entscheidet im Kammerprinzip in der Besetzung mit dem Vorsitzenden und zwei beisitzenden Richtern. Letztere kommen – wie beim staatlichen Gericht – jeweils aus der Dienstgeberbzw. Mitarbeiterseite. Das Revisionsgericht ist im Senatsprinzip mit fünf Richtern besetzt, bestehend aus drei Richtern mit der Befähigung zum Richteramt und zwei Beisitzern. Alle Richter werden jeweils für die Dauer von fünf Jahren ernannt mit der Möglichkeit der Wiederernennung.

C. Eigenheiten des Verfahrens I. Vorläufiger Rechtsschutz Zur Sicherung des vorläufigen Rechtsschutzes kann unter den Voraussetzungen von § 52 Abs. 1 KAGO eine einst-

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Soweit einzelne evangelische Landeskirchen entgegen § 56 MVGEKD an der früheren Bezeichnung „Schieds- oder Schlichtungsstelle“ festhalten, ändert dies am Charakter dieser Kirchengerichte nichts. Diese Bezeichnung hat nur deklaratorischen Charakter, siehe Hempel, NZA 2014, 1003. KAG Freiburg, Urt. v. 07.01.2013 - M 06/12. Präsident des KAGH war bis zum 31.12.2015 Prof. Dr. Reinhard Richardi und ist seit dem 01.01.2016 VPräsLAG Köln a.D. Dr. HeinzJürgen Kalb. Präsident des KGH-EKD war viele Jahre lang Harald Schliemann, früherer Minister der Justiz in Thüringen und VRiBAG i.R., und ist jetzt Dr. Stephan Gatz, RiBVerwG. Die beiden Fachsenate beim KGH-EKD für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten führen die LAG-Präsidenten Dr. Helmut Nause und Wilhelm Mestwerdt. So ist z.B. das interdiözesane KAG mit Sitz in Mainz zuständig für die Bistümer Mainz, Speyer, Trier und Limburg.

JM 8/9 weilige Verfügung ergehen. Die hier genannten beiden Verfügungsgründe sind den §§ 935, 940 ZPO nachgebildet. Im Übrigen finden die §§ 935 bis 943 ZPO Anwendung, allerdings mit folgenden Besonderheiten: Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende allein ohne mündliche Verhandlung. Die Zustellungen erfolgen von Amts wegen. Gegen den Beschluss des Vorsitzenden ist der Weg in die zweite Instanz nicht statthaft (§ 47 Abs. 4 KAGO). Bei Zurückweisung des Antrags findet dagegen die sofortige Beschwerde i.S.v. §§ 55, 27 KAGO i.V.m. § 78 ArbGG, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statt, bei Stattgabe kann der Antragsgegner Widerspruch einlegen (§ 942 ZPO). Auch die Entscheidungen über diese beiden Rechtsbehelfe9 trifft nach dem Wortlaut von § 52 Abs. 2 KAGO stets der Vorsitzende allein außerhalb mündlicher Verhandlung. Erachtet er die Beschwerde für begründet, so hat er ihr gem. § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO abzuhelfen. Da es aber keine zweite Tatsacheninstanz gibt, die als Beschwerdegericht in Betracht kommen könnte, ist § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO unabwendbar, wonach bei Nichtabhilfe die Beschwerde unverzüglich dem „Beschwerdegericht“ vorzulegen ist. Eine Vorlage zum KAGH scheidet wegen § 47 Abs. 4 KAGO aus. Somit ist eine sofortige Beschwerde zwar nicht ausgeschlossen, über sie entscheidet aber allein und abschließend der Vorsitzende des KAG.10 Hält er den Widerspruch für begründet, hebt er seine frühere Entscheidung auf. Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss gibt es nicht. Soweit eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz Rechtskraft erlangt,11 stellt diese eine „Endentscheidung“ i.S.v. § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG dar.12 II. Prozessvertretung Hier bestehen zwischen den katholischen und evangelischen Arbeitsgerichten Unterschiede: Im Bereich der katholischen Kirche können die Beteiligten gem. § 11 KAGO sowohl vor dem erstinstanzlichen KAG als auch vor dem zweitinstanzlichen KAGH den Prozess selbst führen oder sich durch eine sach- und rechtskundige Person vertreten lassen. Es besteht also kein Anwaltszwang, die Vertretungsperson muss aber fachlich so qualifiziert sein, dass sie das Verfahren sachgemäß betreiben, das beiderseitige prozessuale Handeln überblicken und rahmenmäßig richtig einschätzen kann; anwaltlicher Sachverstand muss nicht erreicht werden. In der Praxis treten wohl überwiegend Rechtsanwälte als Prozessvertreter auf. Im Bereich der evangelischen Kirche verweist die generelle Verweisungsvorschrift von § 63 Abs. 7 MVG.EKG u.a. auf § 89 Abs. 1 ArbGG. Danach müssen nur der Revisions- und Revisionsbegründungschriftsatz vor dem KGH-EKD von einem Rechtsanwalt bzw. qualifizierten Prozessbevollmächtigen

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i.S.v. § 11 Abs. 4 und Abs. 5 ArbGG unterzeichnet sein. Im übrigen zweitinstanzlichen Verfahren besteht für die Beteiligten kein Vertretungszwang. Sie können also wirksam weitere Schriftsätze einreichen, (weitere, andere) Anträge stellen und den Verhandlungstermin vor dem Revisionsgericht selbst wahrnehmen.13 Unterschiedlich sind die notwendigen Religionszugehörigkeiten ausgestaltet. Vor dem KAG und dem KAGH besteht keinerlei Konfessionsbindung. Im Bereich der evangelischen Kirche schreibt § 61 Abs. 4 MVG-EKD dagegen vor, dass der „Beistand“ Mitglied einer bedeutenden christlichen Kirche – also nicht nur der evangelischen – sein muss, weil nur von diesen Personen Verständnis für den kirchlichen Sendungsauftrag zu erwarten ist.14 Insbesondere Rechtsanwälte, die aus einer christlichen Kirche ausgetreten sind oder ihr nie angehört haben, können vor einem evangelischen Arbeitsgericht weder erstnoch zweitinstanzlich auftreten. III. Kosten und Auslagenerstattung Im Verfahren finden die allgemeinen Grundsätze zum Gegenstandswert und das RVG Anwendung. Die Entscheidungen des KAG und des KAGH sind nur beschränkt vollstreckungsfähig (s. unten VI.). Dies kann auch Probleme insbesondere für die Durchsetzung der Honoraransprüche der beigezogenen Rechtsanwälte erzeugen.15 Das kirchliche Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KAGO). Ein Verfahrensbeteiligter hat nur dann einen Anspruch auf Erstattung seiner im gerichtlichen Verfahren entstandenen Auslagen, wenn es hierfür eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage gibt; § 12 KAGO ist keine Anspruchsgrundlage. Als solche kommt insbesondere § 17 Abs. 1 Satz 1 MAVO i.V.m. Satz 2, 4. Spiegelstrich MAVO in Betracht. Voraussetzung ist danach die „Notwendigkeit“ einer Prozessvertretung durch einen Bevollmächtigten. Zu deren Beurteilung ist auf die Umstände des Einzelfalls im konkreten Verfahren abzustellen. Insoweit steht der MAV ein eigener Beurteilungsspielraum zu, der vom Gericht nur auf Grenzüberschreitung zu überprüfen ist. Ein kleinlicher Maßstab ist hier nicht angebracht, allerdings muss es tat-

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Diese sofortige Beschwerde ist wegen ihres fehlenden Devolutiveffektes kein Rechtsmittel; vgl. dazu Schwab in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 78 Rn. 2. Jüngst in: Thiel/Fuhrmann/Jüngst, MAVO, 7. Aufl., § 47 Rn. 68; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Aufl., § 22 Rn. 23; KAGH, Beschl. v. 30.05.2011 - M 07/11. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., Vor § 916 Rn. 13; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 3. Aufl., A 25. Vgl. dazu Schwab in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 78a Rn. 5, 6. Vgl. Schwab, Arbeitsrechtslexikon, Prozessvertretung III und IV. Verw.EKD, Beschl. v. 12.09.1996 - 22/95 - NZA 1997, 1303. Vgl. dazu Hempel, NZA 2014, 1003.

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sächlich um echte Rechts- oder Tatsachenprobleme gehen, die einen anwaltlichen Beistand zumindest zweckmäßig erscheinen lassen. Hiervon ist in aller Regel auszugehen, wenn sich der Dienstgeber selbst von einem Rechtsanwalt vertreten lässt.16 Zur Beurteilung der Notwendigkeit sind auch die vorhandenen Rechtskenntnisse des Antragstellers zu würdigen.17 Schließlich muss für die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine gewisse Erfolgsaussicht bestehen. Ohne tiefere Prüfung recht schnell erkennbar unzulässiges oder unbegründetes Prozessieren ist nicht „notwendig“. Die Auslagenentscheidung trifft das KAG grds. als Teil des Tenors in seinem Endurteil.18 Ergänzend hierzu enthält § 12 Abs. 2 KAGO eine sinnvolle Besonderheit. Noch im laufenden Verfahren und ganz überwiegend schon mit Klageeinreichung bzw. -erwiderung kann jeder Verfahrensbeteiligte einen Antrag auf Vorabentscheidung an das KAG stellen, dass seine Auslagen – insbesondere durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts – im vorliegenden Verfahren (vom Dienstgeber) zu erstatten sind. Durch diese gerichtliche Vorabklärung lässt sich ein späterer Streit der Beteiligten um eine Kostenerstattung vermeiden. Insbesondere die MAV erlangt so früh Gewissheit, ob sie für das Verfahren auf Kosten des Dienstgebers einen Rechtsanwalt beauftragen kann oder nicht.19 Über den Vorabantrag entscheidet der Vorsitzende nach Anhörung der Gegenseite, insbesondere des zahlungspflichtigen Dienstgebers. Gegen seinen Beschluss findet – unabhängig ob er dem Antrag stattgegeben hat oder nicht – nach § 12 Abs. 2 KAGO die sofortige Beschwerde gem. §§ 55, 27 KAGO i.V.m. § 78 ArbGG, §§ 567 ff. ZPO statt. Über das Rechtsmittel entscheidet der Vorsitzende des KAG im Rahmen von § 572 Abs. 1 ZPO und – bei Vorlage an den KAGH – der dortige Präsident im Wege einer Alleinentscheidung. Die Dienststellenpartner sind zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet (Präambel und § 26 Abs. 2 Satz 1 MAVO). Von daher ist es grds. außer in eiligen Fristsachen angezeigt, dass die MAV zunächst beim Dienstgeber einen Antrag auf Auslagenerstattung i.S.v. § 12 Abs. 2 KAGO stellt. Vielfach erkennt der Dienstgeber dies an. Weigert er sich hierzu oder beantwortet er die Anfrage nicht zeitnah, ist es jetzt angebracht, einen Antrag auf Vorabentscheidung i.S.v. § 12 Abs. 2 KAGO beim KAG zu stellen. Dagegen sieht die Praxis oftmals so aus, dass die MAV sofort ohne Kostenzusage einen Rechtsanwalt beauftragt, der dann in der Klageschrift den Antrag nach § 12 Abs. 2 KAGO stellt. Dieses Prozedere ist nicht ungefährlich. Hier haben die MAV und ihr Anwalt ein Kostenrisiko zu tragen. IV. Wiedereinsetzung Nach § 37 Abs. 1 KAGO ist den Beteiligten bei fehlendem Verschulden an der Fristversäumung Wiedereinsetzung in eine versäumte „Ausschlussfrist“ zu gewähren. Das weitere Verfahren ist den §§ 233 ff. ZPO nachgebildet. Wieder-

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einsetzung gibt es daher nicht nur bei Versäumung einer Notfrist oder einer sonstigen in § 233 Satz 1 ZPO genannten Frist. Die schuldlose Versäumung jeder prozessualen Ausschlussfrist ist im Verfahren vor dem KAG und KAGH heilbar. Als Verfahrensvorschrift erfasst § 37 KAGO allerdings keine materielle Ausschlussfrist etwa aus dem Arbeitsvertrag oder den die materiellen Arbeitsbedingungen regelnden Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Beispiel: Die Anfechtung der Wahl einer MAV ist fristgebunden innerhalb der Ein- und der Zweiwochenfrist von § 12 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 MAVO zu erklären. Beide Fristen sind Ausschlussfristen. Hier ist gem. § 37 Abs. 1 KAGO eine Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Anfechtende ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung einer oder beider Anfechtungsfristen gehindert war.20 V. Beweisaufnahme Das KAG erhebt gem. § 40 Abs. 1 KAGO Beweis mit den Beweismitteln der ZPO. Fraglich ist, wie die Zeugen vor ihrer Vernehmung zu belehren sind i.S.v. § 395 ZPO. Geschütztes Rechtsgut der §§ 153 ff. StGB sind die innerstaatliche Rechtspflege und die ihr nahen Bereiche, die durch falsche Aussagen gefährdet werden.21 Dazu dürfte das eigenständige Verfahren vor dem KAG nicht zu zählen sein. Somit unterbleibt eine diesbezügliche Zeugenbelehrung. Das schließt freilich nicht aus, dass im Einzelfall eine Falschaussage einen anderen Straftatbestand, z.B. eine Beihilfe zum Betrug oder eine Verleumdung, erfüllen kann; gibt es Anhaltspunkte hierfür, dann ist der Zeuge entsprechend zu belehren. Im kirchlichen Verfahren gilt gem. § 7 Abs. 3 KAGO in gleicher Weise wie im staatlichen Beschlussverfahren (vgl. § 83 Abs. 1 ArbGG) der eingeschränkte Untersuchungsgrundsatz.22 Daher kann das Gericht in diesem Verfahren Beweis mit allen zulässigen Beweismitteln auch ohne Antrag und ohne Benennung von Beweisantritten von Amts wegen erheben. Der im Urteilsverfahren Anwendung findende § 373 ZPO (Zeugenbeweis grds. nur auf Parteiantrag) gilt beim Amtsermittlungsgrundsatz nicht. Zeugen können auch ohne Antrag einer Partei vom KAG geladen und vernommen werden.23 Allerdings kann im kirchlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz an Grenzen stoßen, wenn

16 KAGH, Urt. v. 31.08.2012 - M 08/12. 17 KAG Rothenburg-Stuttgart, Beschl. v. 26.032010 - AS 02/10; zu Unrecht a.A. Menges in: Eichstätter Komm, § 12 KAGO Rn. 14. 18 Menges in: Eichstätter Komm, § 12 KAGO Rn. 14. 19 Vgl. KGH-EKD, Beschl. v. 26.02.2014 - II-0124/W6-14. 20 Simon in: Freiburger Komm MAVO, § 12 Rn. 19. 21 BGH, Beschl. v. 24.10.1955 - GSSt 1/55. 22 Siehe hierzu Weth in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 83 Rn. 2–17. 23 Böckenförde-Wunderlich in: Eichstätter Komm, § 40 KAGO Rn. 4.

JM 8/9 eine Aufklärung nicht möglich ist. Hier gibt es praktisch keine Zwangsmittel. Erscheint ein geladener Zeuge nicht oder verweigert er trotz guten Zuredens die Aussage, endet insoweit eine Aufklärung. Gleiches gilt, wenn sich etwa ein Mitarbeiter weigert, seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden24 oder ein Dritter seine Mitwirkung an einer Beweiserhebung verweigert. Maßgebende Entscheidungsgrundlage ist dann der „feststellbare“ Sachverhalt. VI. Vollstreckung Die nur eingeschränkte Vollstreckung einer kirchengerichtlichen Entscheidung ist der Schwachpunkt im Verfahren. Die staatlichen Vollstreckungsmöglichkeiten bis hin zum Gewaltmonopol gibt es im kirchlichen Bereich nicht. Die kirchengerichtlichen Urteile sind keine Vollstreckungstitel i.S.v. §§ 704, 794 ZPO. Wer allerdings ein rechtskräftiges kirchengerichtliches Urteil missachtet, stellt sich außerhalb des Mitarbeitervertretungsrechts mit der dort normierten Bildung von MAVen mit den beiderseitigen Rechten und Pflichten. Er verstößt auch gegen Art. 8 und Art. 10 GrO mit der Gewährung eines kircheneigenen Rechtsschutzes durch freie und unabhängige Gerichte. Die GrO ist letztlich Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Dagegen nachhaltig zu verstoßen, negiert System, Gesetz und kirchlichen Willen. Da sich der gesetzesuntreue Amtsträger außerhalb der Kirchengesetze stellt, kann er vom zuständigen kirchlichen Vorgesetzten i.S.v. § 53 Abs. 2 Satz 2 KAGO disziplinarisch belangt werden.25 Die KAGO unterscheidet zwischen der Vollstreckung einer Leistung (§ 53 KAGO) und der Abgabe einer Willenserklärung (§ 54 KAGO). § 54 KAGO ist inhaltlich § 894 Satz 1 ZPO nachgebildet. Mit Rechtskraft eines Urteils26 wird die Abgabe der Willenserklä-

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rung fingiert. Dagegen bestehen offene Fragen bei § 53 KAGO. Wer durch kirchengerichtliches Urteil zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verurteilt worden ist, hat dem erkennenden Gericht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft von sich aus zu berichten, dass er die auferlegte Verpflichtung erfüllt hat bzw. dass er die Unterlassung/Duldung einhält. Kommt der Verpflichtete seiner Berichtspflicht nicht fristgemäß nach, fordert ihn der Vorsitzende hierzu auf. Bleibt auch diese Aufforderung erfolglos, ersucht das Gericht den kirchlichen Vorgesetzten um Vollstreckungshilfe. Im Bereich der verfassten Kirche ist das der Generalvikar des Bistums. Bei einer GmbH/gGmbH sind das Kuratorium bzw. der Aufsichtsrat in die Vollstreckungsvollziehung einzubeziehen27 oder etwa der Verband der Diözesen Deutschlands oder der Deutsche Caritasverband. Ist der Dienstgeber als e.V. organisiert, ergeben sich dessen Struktur und das Aufsichtsorgan i.d.R. aus dessen Satzung. Sodann berichtet der Vorgesetzte dem Gericht über die von ihm getroffenen Maßnahmen. Bleiben auch diese erfolglos, kann das Vollstreckungsgericht – nur auf Antrag des Antragstellers – gegen den Untätigen bzw. die Verpflichtung nicht ordnungsgemäß Erfüllenden eine Geldbuße bis zu 2.500 € verhängen und zusätzlich anordnen, dass die Entscheidung des Gerichts unter namentlicher Nennung der Beteiligten im Amtsblatt des zuständigen Bistums zu veröffentlichen ist (§ 53 Abs. 3 KAGO). Nicht geklärt ist, wer die Geldbuße beitreiben und wem sie zufließen soll. Beides durchzuführen bzw. zu entscheiden, dürfte in den Händen des Gerichts als Vollstreckungsorgan liegen.

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KGH-EKD Hannover, Beschl. v. 31.08.2015 - II-0124/6-2015. Ebenso Jüngst in: Thiel/Fuhrmann/Jüngst, MAVO, 7. Aufl., § 47 Rn. 84. Siehe dazu Schwab in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 69 Rn. 34. Jüngst in: Thiel/Fuhrmann/Jüngst, MAVO, 7. Aufl., § 47 Rn. 74, 78.

Sozialrecht

Leistungen für Asylbewerber nach dem Asylpaket II RiBSG Jutta Siefert A. Einleitung Im vergangenen Jahr war die große Zahl von Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland Schutz und Aufnahme suchten, Gegenstand großen öffentlichen Interesses und medialer Berichterstattung. Nachdem politisch einerseits

vorgegeben war, dass diese Aufgabe zu bewältigen sei, wurde andererseits die Diskussion um das „Wie“ häufig mit Überlegungen verknüpft, welche leistungsrechtlichen Restriktionen in der Lage sein könnten, Menschen auf der Flucht davon abzuhalten, die Bundesrepublik als ihren Zielstaat zu wählen. Anders ausgedrückt: „sozialpolitische

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Fehlanreize“ des bis dahin bestehenden Leistungsrechts, normiert im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), sollten eliminiert und eine klare Kategorisierung von Menschen mit und ohne Bleibeperspektive für eine sinnvolle Verwendung der öffentlichen Mittel sorgen. Erst Ende 2014 war mit immerhin zweieinhalbjährigem Verzug das Urteil des BVerfG1 umgesetzt worden,2 das die Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in der damaligen Fassung als eklatant zu niedrig und die Regelung deshalb als verfassungswidrig angesehen hatte. Mit diesem Gesetz waren u.a. nicht nur die Leistungen an Asylbewerber der Höhe nach den Leistungen an Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angeglichen – wenn auch nicht gleichgesetzt – worden, sondern auch die Zeit des regelmäßigen Verbleibs im AsylbLG von 48 Monaten tatsächlichen Leistungsbezugs auf 15 Monate rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland verkürzt worden. Zudem wurde auch für diejenigen, die nicht (mehr) in Aufnahmeeinrichtungen wohnen müssen, ein Vorrang von Geldgegenüber Sachleistungen normiert und Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang geschaffen, z.B. hinsichtlich des frühesten Zeitpunkts für die Erteilung einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Die Halbwertszeit zahlreicher Verbesserungen im Bereich des AsylbLG war jedoch nur kurz: Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.20153 (sog. Asylpaket I) und das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.20164 (sog. Asylpaket II) haben nicht nur teilweise zur Rückkehr des Rechtszustands vor Dezember 2014, sondern sogar zu erheblichen Verschärfungen des Leistungsrechts geführt. Womit Menschen aus leistungsrechtlicher Sicht zu rechnen haben, wenn sie trotz aller Abschreckungsbemühungen die Bundesrepublik als ihr Zielland wählen, soll dieser Beitrag aufzeigen. B. Leistungsberechtigter Personenkreis Wer bei der Frage des anspruchsberechtigten Personenkreises nach dem AsylbLG nur Asylbewerber vor Augen hat, also Menschen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, der irrt. Vielmehr werden abhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status verschiedenste Personengruppen erfasst, denen jedenfalls gemein ist, dass ein nur vorübergehender Aufenthalt in Deutschland erwartet wird, also z.B. Personen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die also vollziehbar ausreisepflichtig sind und denen entweder eine Duldung oder eine zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Diese Personen haben Anspruch auf sog. Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (dazu gleich). Leistungen auf dem höheren Niveau der Sozialhilfe erhalten diese Personen dann, wenn sie sich 15 Monate ohne wesentli-

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che Unterbrechung im Bundesgebiet aufgehalten und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (sog. Analogberechtigte, § 2 AsylbLG). C. Leistungsanspruch I. Grundleistungen, § 3 AsylbLG Seit den Änderungen des § 3 AsylbLG durch das sog. Asylpaket I wird im Bereich der Grundleistungen begrifflich und systematisch zwischen dem notwendigen Bedarf, d.h. Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege, Ge- und Verbrauchsgütern des Haushalts, sowie dem notwendigen persönlichen Bedarf, dem sog. Taschengeld, unterschieden. Ob diese Leistungen als Geld- oder Sachleistungen erbracht werden, ist u.a. von der Wohnverpflichtung der Leistungsberechtigten abhängig. 1. Aufnahmeeinrichtung Mit dem sog. Asylpaket I wurde für alle Asylsuchenden die Dauer ihrer Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 44 Abs. 1 AsylG) von drei auf maximal sechs Monate verlängert, beginnend mit dem Zeitpunkt ihrer Einreise. Menschen aus sog. sicheren Herkunftsstaaten5 sind seitdem sogar verpflichtet, bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag bzw. bis zur Abschiebung oder Ausweisung in den Aufnahmeeinrichtungen zu wohnen. Mit dem sog. Asylpaket II wurde die Wohnverpflichtung weiter ausgeweitet auf Personen, auf die das ebenfalls neu eingeführte „beschleunigte Verfahren“ (§ 30a AsylG) angewendet wird (vgl. § 30a Abs. 3 AsylG), also neben Menschen aus sicheren Herkunftsländern z.B. Personen, die „offensichtlich“ über ihre Identität getäuscht, Identitätsdokumente mutwillig beseitigt haben oder Folgeantragsteller. Alle Asylsuchenden, die in Aufnahmeeinrichtungen wohnen müssen, erhalten die Leistungen zur Deckung ihres notwendigen Bedarfs ausschließlich durch Sachleistungen. Kann Kleidung nicht geleistet werden, kann sie in Form von Wertgutscheinen oder sonstigen unbaren Abrechnungen gewährt werden. Auch das sog. Taschengeld 1 2

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BVerfG, Urt. v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11. Gesetz zur Änderung des AsylbLG und des SGG vom 10.12.2014 BGBl. I 2014, 2187 und Art. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von Asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014 - BGBl. I 2014, 2439. BGBl. I 2015, 1722. BGBl. I 2016, 390. Anlage II zu § 29a AsylG: Zu den sicheren Herkunftsländern zählten bis Oktober 2015 Ghana, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Senegal und Serbien. Mit dem sog. Asylpaket I wurden außerdem Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten deklariert.

JM 8/9 soll, soweit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, durch Sachleistungen gedeckt werden, ansonsten in Form von Wertgutscheinen, anderen unbaren Abrechnungen oder schlussendlich ggf. in Form von Geldleistungen (§ 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 AsylbLG). Ob Behörden den mit dem Kauf einer jeden einzelnen Fahrkarte, Zeitschrift oder Ähnlichem verbundenen Verwaltungsaufwand als vertretbar ansehen, kann gespannt abgewartet werden. Jedenfalls ist dem Anliegen der Kommunen, nicht uneingeschränkt dazu verpflichtet zu werden, das sog. Taschengeld in Sachleistungsform zur Verfügung zu stellen, während des Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen worden.6 Die ursprüngliche Gesetzesfassung, die ein Abweichen nur nach den Umständen des Einzelfalls vorgesehen hatte,7 wurde so deutlich entschärft. 2. Gemeinschaftsunterkunft/Wohnung Ausländer, die nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sollen i.d.R. in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Die Verpflichtung, in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, endet i.d.R. (erst) mit dem positiven Abschluss des Asylverfahrens (§ 53 AsylG). Ab dem Zeitpunkt der erlaubten Wohnsitznahme außerhalb der Aufnahmeeinrichtung gilt grds. wieder der Ende 2014 normierte Vorrang der Geld- vor Sachleistungen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG), wobei der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat auch als Sachleistung erbracht werden kann (§ 3 Abs. 2 Satz 4 AsylG). Nur in Gemeinschaftsunterkünften kann das sog. Taschengeld so weit wie möglich auch

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durch Sachleistungen gedeckt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 6 AsylbLG), in allen anderen Fällen sind die Leistungen als Geldleistungen zu erbringen (§ 3 Abs. 2 Satz 5 AsylbLG). II. Umfang der Geldleistung/Analogleistungen Erhält ein nach dem AsylbLG Leistungsberechtigter alle Leistungen für den notwendigen und den notwendigen persönlichen Bedarf in Geld (längstens ein Monat im Voraus und im Regelfall durch persönliche Aushändigung, § 3 Abs. 6 AsylbLG) – dies sind nach dem oben Ausgeführten i.d.R. nur diejenigen Personen, die außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften wohnen dürfen – sind die nachfolgenden Beträge maßgeblich; die Spalte „Analogleistungen“ zeigt die Leistungsbeträge nach dem SGB XII auf, die nach 15 Monaten rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland anstelle der Grundleistungen gezahlt werden. Auffällig ist dabei vor allem, dass mit dem sog. Asylpaket II das Taschengeld um bis zu 10 € pro Person abgesenkt worden ist. Begründet wurde diese Kürzung mit der mangelnden Aufenthaltsverfestigung innerhalb der ersten 15 Monate der Anwesenheit in der Bundesrepublik, die dazu führe, dass bestimmte Bedarfe z.B. für Datenverarbeitung nicht anfielen oder, wie z.B. die Kosten für Sprachkurse von dritter Seite getragen würden, weil Asylsuchende nach § 44 Abs. 4 AufenthG einen kostenfreien Zugang zu Integrationskursen hätten. Ob dies eine pauschale Kürzung für alle Asylsuchenden rechtfertigt, wenn man zudem bedenkt, dass derzeit nur ein Bruchteil aller Asylberechtigten tatsächlich Zugang zu einem solchen Kurs hat, ist mehr als zweifelhaft.

Die Leistungsbeträge im Überblick: 1. Alleinstehende/Alleinerziehende (Regelbedarfsstufe 1): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld), § 3 AsylbLG 140 € 143 € 145 € 135 €

notwendiger Bedarf, § 3 AsylbLG 212 € 216 € 219 € 219 €

Analogleistungen, § 2 AsylbLG8 391 € 399 € 404 €

2. Zwei Erwachsene, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 2): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld), § 3 AsylbLG 126 € 129 € 131 € 122 € 6 7 8

notwendiger Bedarf, § 3 AsylbLG 190 € 194 € 196 € 196 €

Analogleistungen, § 2 AsylbLG 353 € 360 € 364 €

Vgl. BT-Drs. 18/6386, S. 14 zu b). Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 11. Jeweils ab dem 01.01. des maßgeblichen Jahres.

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3. Erwachsene, die keinen eigenen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 3): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld),

notwendiger Bedarf,

Analogleistungen,

§ 3 AsylbLG 111 € 113 € 114 € 108 €

§ 3 AsylbLG 170 € 174 € 176 € 176 €

§ 2 AsylbLG 313 € 320 € 324 €

4. Jugendliche von Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs (Regelbedarfsstufe 4): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld), § 3 AsylbLG 83 € 85 € 86 € 76 €

notwendiger Bedarf, § 3 AsylbLG 194 € 198 € 200 € 200 €

Analogleistungen, § 2 AsylbLG 296 € 302 € 306 €

5. Kinder von Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs (Regelbedarfsstufe 5): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld), § 3 AsylbLG 90 € 92 € 93 € 83 €

notwendiger Bedarf, § 3 AsylbLG 154 € 157 € 159 € 159 €

Analogleistungen, § 2 AsylbLG 261 € 267 €

notwendiger Bedarf, § 3 AsylbLG

Analogleistungen,

270 €

6. Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahrs (Regelbedarfsstufe 6): Jahr 2014 ab 03/2015 ab 01/2016 ab 12.03.2016

notwendiger persönlicher Bedarf (Taschengeld), § 3 AsylbLG 82 € 84 € 85 € 79 €

Für Kinder und Jugendliche werden zudem Leistungen für Bildung und Teilhabe nach Maßgabe der Regelungen im Sozialhilferecht erbracht (§ 3 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. §§ 34a, 34b SGB XII). III. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt, § 4 AsylbLG Berechtigte nach dem AsylbLG erhalten lediglich bei akuten Erkrankungen und Schmerzuständen die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung (§ 4 AsylbLG); weitergehende Leistungen, z.B. psychologische Hilfe nach traumatischen Erlebnissen, werden nur im Einzelfall erbracht (§ 6 AsylbLG). Über die Erforderlichkeit einer Krankenbehandlung entscheidet dabei ein Mitarbeiter der Sozialbehörde. Erst mit dessen positiver Entscheidung, verbunden mit der Ausstellung eines Behandlungsscheins, kann ein Arzt aufgesucht werden, der dann wiederum direkt mit

332

130 € 133 € 135 € 135 €

§ 2 AsylbLG 229 € 234 € 237 €

dem Leistungsträger abrechnet. Zudem werden Schutzimpfungen angeboten, die im Umfang dem der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Nachdem in Bremen und Hamburg erfolgreich die direkte Abrechnung von Behandlungskosten mit der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Aushändigung einer der Versichertenkarte vergleichbaren Karte erprobt worden war, wurde mit dem sog. Asylpaket I eine derartige Option durch die Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung9 für alle Länder eingeräumt, ohne dass sich dadurch allerdings der Leistungsumfang verändern sollte! Das Ziel ist lediglich eine weniger verwaltungsaufwendige Abwicklung des Leistungsanspruchs der Asylbewerber.10 Die Umsetzung dieses

9 § 264 SGB V. 10 Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 60.

JM 8/9 Vorhabens lässt aber noch immer auf sich warten, weil sich die Abstimmung der beteiligten Akteure (Kommunen und Länder auf der einen, Ärzteschaft und Kassen auf der anderen Seite) wohl schwieriger darstellt als gedacht. IV. Verminderte Leistungen, Anspruchsausschluss Bereits 1998 wurde das AsylbLG um § 1a AsylbLG ergänzt. Danach erhielten und erhalten geduldete und vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG und deren Familienangehörigen, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen oder bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Diese Regelung findet sich nun in Abs. 1 des § 1a AsylbLG. Was unter dem „unabweisbar Gebotenen“ zu verstehen ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und insbesondere hinsichtlich der Frage umstritten, ob und inwieweit das sog. Taschengeld als Mittel zur Befriedigung soziokultureller Bedürfnisse gekürzt werden kann. Mit dem sog. Asylpaket I ist der Anwendungsbereich des § 1a deutlich erweitert worden, nämlich auf Personen, deren dauerhafter Verbleib in Deutschland ausgeschlossen ist. So erhalten nach Absatz 2 vollziehbar Ausreisepflichtige, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststeht, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag für die Dauer von wenigstens sechs Monaten (§ 14 AsylbLG) weder Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) noch Analog(§ 2 AsylbLG) oder sonstige Leistungen nach § 6 AsylbLG. Vielmehr sollen ihnen bis zur Ausreise bzw. Abschiebung nur noch Sachleistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Körper- und Gesundheitspflege zur Verfügung gestellt werden. Sie erhalten also insbesondere kein Taschengeld mehr. Diese verminderten Leistungen erhalten nach Absatz 4 auch Personen, deren „Umsiedlung“ (relocation) in einen sicheren Drittstaat nach Maßgabe europäischen Rechts zugestimmt worden ist. Dasselbe gilt nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige, bei denen aus von ihn zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, z.B. weil sie nicht (hinreichend) an der Beschaffung der für ihre Ausreise benötigten Dokumente mitwirken. Die Leistungsminderung erstreckt sich dabei bei diesem Personenkreis – anders als bei Absatz 2 – auch auf ihre Familienangehörigen, selbst wenn ihnen kein individuelles Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Ihnen allen sollen Leistungen nur im Einzelfall nach Maßgabe des unabweisbar Gebotenen gewährt werden. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer „Sippenhaft“ hatte das BSG jedoch schon zur alten Rechtslage angemel-

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det.11 Denn das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) ist auf das jeweilige Individuum bezogen und verlangt die Sicherung der Existenz unabhängig davon, in welcher familienhaften oder sonstigen Zusammenhängen eine Person lebt. Ziel dieser Leistungseinschränkungen ist erkennbar, den weiteren Verbleib in Deutschland für Menschen ohne Bleibeperspektive finanziell so unattraktiv als möglich zu gestalten und damit einen „Anreiz“ zur freiwilligen Ausreise zu schaffen. Weitere Leistungseinschränkungen finden sich versteckt in § 11 AsylbLG – als „Ergänzende Bestimmungen“ überschrieben. Bereits im sog. Asylpaket I wurden die Sanktionen gegenüber denjenigen verschärft, die sich entgegen einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider an einem anderen Ort aufhalten. Während sie aber bis dahin noch von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde nur – aber immerhin – die unabweisbar gebotene Hilfe erwarten konnten, ist ihr Anspruch seit 20.10.2015 auf eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Rückreise beschränkt. Mit dem sog. Asylpaket II wurde § 11 AsylbLG Abs. 2a angefügt. Danach erhalten Asylantragsteller bis zur Ausstellung eines Ankunftsnachweises durch die Aufnahmeeinrichtung oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (§ 63 AsylG) im Regelfall nur noch Sachleistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung, Unterkunft und Heizung, Körper- und Gesundheitspflege als „Überbrückungsbedarf“ mit dem Ziel, die Betroffenen dazu anzuhalten, sich zügig in die Aufnahmeeinrichtung zu begeben, der sie zugewiesen sind.12 Gänzlich entfällt der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, § 33 AsylG, was bei bestimmten Handlungen bzw. Unterlassungen sogar vermutet wird. Dies ist bspw. der Fall, wenn ein Asylbewerber gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung verstoßen hat, der er wegen einer Wohnverpflichtung nach § 30a Abs. 3 AsylG (beschleunigtes Verfahren) unterliegt (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 AsylG). Konsequenz des Nichtbetreibens ist die Fiktion der Antragsrücknahme (§ 33 Abs. 1 AsylG) mit der Folge des Erlöschens der Aufenthaltsgestattung, sobald die förmlich zu treffende Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zugestellt ist (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Dies wiederum führt zum Erlöschen des Leistungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG.

11 Vgl. Terminbericht Nr. 22/15 vom 29.05.2015 unter www.bundessozialgericht.de. 12 Vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 24 zu Nr. 2.

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Die Monatszeitschrift

D. Schluss Das Leistungsrecht für Personen, die unter das AsylbLG fallen, ist durch die enge Verknüpfung mit dem Ausländerund Ordnungsrecht sehr komplex. Dies zeigt nicht nur die Abhängigkeit des Anspruchs vom ausländerrechtlichen Status, sondern auch die leistungsrechtliche „Sanktionierung“ ausländerrechtlich unerwünschten Verhaltens. Diese Verquickung setzt sich in vielen anderen Lebensbereichen, z.B. dem Zugang zu Arbeit, fort. Auch wenn der Gesetzgeber mit den Asylpaketen das – durchaus nachvollziehbare – Ziel verfolgt hat, begrenzte Ressourcen nur noch für Menschen einsetzen zu müssen, deren Bleibeperspektive in Deutschland gesichert erscheint, bleibt abzuwarten, ob und wie Anspruch und Wirklichkeit in Deckung gebracht werden. Denn nur dann, wenn sich Menschen ohne Bleibeper-

spektive tatsächlich nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten (dürfen), der Staat also sein Regelungskonzept tatsächlich durchsetzt, erscheint es vor dem Hintergrund der durch das BVerfG formulierten Vorgaben noch zu rechtfertigen sein, Leistungen nach dem AsylbLG auf ein Niveau zu senken, das unterhalb des durch die Regelbedarfssätze vorgegebenen Existenzminimums liegt. Ansonsten wird ggf. das BVerfG Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äußern, ob es an seinem denkwürdigen Satz „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“13 auch in Zeiten eines „Flüchtlingsstroms“ festzuhalten gedenkt.

13 BVerfG, Urt. v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11.

Verwaltungsrecht

Der Richter als Sicherheitsrisiko? Richterliche Unabhängigkeit und IT-Sicherheit* VRiBVerwG Prof. Dr. Uwe Berlit A. Spannungsverhältnis von IT-Sicherheit und richterlicher Unabhängigkeit? IT-Sicherheit ist gut und wichtig. Auch die Richterschaft ist für Sicherheit und Verlässlichkeit (in) der Justiz. So sollen auch elektronische Akten verfügbar bleiben und nur von jenen zur Kenntnis genommen werden dürfen, die hierzu prozessrechtlich befugt sind. Eine unbefugte, gar unerkannte Veränderung von Prozessakten berührt unmittelbar die Entscheidungsgrundlagen richterlicher Tätigkeit. Quod non est in actis, non est in mundo. Durch IT-Sicherheitslücken bewirkte Akten„manipulationen“, mögen sie nun gezielt oder versehentlich erfolgen, verändern in diesem Sinne die (richterliche) Welt. Richter1 sind prinzipiell normorientierte, regelgebundene Wesen. Die Steuerung richterlicher Tätigkeit erfolgt über das Gesetz: Hieraus zieht die unabhängige Richterschaft ihre Legitimation, die Steuerung durch Gesetz ist Voraussetzung der Unabhängigkeit von Richtern.2 Die Beachtung von IT-Sicherheitsstandards, -Regeln und -Vorgaben für den Umgang mit elektronischen Informationen, welche die Systemsicherheit und -stabilität und die Integrität der Daten sichern, sollte aus dieser Perspektive kein Problem bilden. Es sind ja schließlich Regeln – wenngleich keine Gesetze3 –, die es zu beachten gilt. Also: kein Problem?

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Richter sind indes von Verfassungs wegen auch unabhängige Wesen. Kern der richterlichen Unabhängigkeit ist zwar die spruchrichterliche Entscheidung. In der Selbstwahrnehmung, teils indes auch nach der Rechtsprechung der Richterdienstgerichte, erstreckt sich aber die richterliche Unabhängigkeit auf alle Aspekte der richterlichen Tätigkeit einschließlich der vielfältigen Aspekte der Arbeitsorganisation.4 Richter ent-

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Um einige Nachweise ergänzter Vortrag auf dem Symposium des Deutscher EDV-Gerichtstages e.V. und der Europäischen EDV-Akademie des Rechts „Die Hacker kommen – Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung: Wo liegen rechtliche und technische Risiken? Was ist zu tun?“ am 10.02.2016. Die Vortragsform ist beibehalten. Der Beitrag spiegelt allein die persönliche Auffassung des Verfassers wider. Der besseren Lesbarkeit wegen wird lediglich die männliche Bezeichnung „Richter“ verwendet. Jüngst Rennert, JZ 2015, 529. Die rechtliche Qualifizierung von IT-Standards und ihrer Wirkungen wird (Teil-)Thema eines Arbeitskreises auf dem 25. EDV-Gerichtstag (21. bis 23.09.2016 in Saarbrücken) sein. Dazu Berlit in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Justiz und Justizverwaltung, 2002, S. 135, 149 ff.; Redeker, NJW 2000, 2796; Berlit, JurPC Web.-Dok. 77/2012 Abs. 12 ff. (http://www.jurpc.de/jurpc/ show?id=20120077&q=berlit).

JM 8/9 scheiden selbstständig darüber, wann5 sie was wie und wo6 bearbeiten. Um die Arbeitsbelastung unter den Bedingungen stets zu knapper Ressourcen, welche die Justizverwaltung zur Verfügung stellt, bewältigen zu können, sind Richter typischerweise „Selbstoptimierer“. Sie entwickeln ihren eigenen Arbeitsstil, bestimmen dabei grds. selbst über Art und Umfang des Einsatzes technischer Mittel, die ihnen von der Justizverwaltung zur Verfügung gestellt werden, setzen bei der Aufgabenerledigung – teils notgedrungen, teils aus eigenem Antrieb – auch selbst beschaffte Arbeitsmittel ein und haben heterogene, aber stets klare Vorstellungen von der dienenden Funktion von Organisation und Technik für die richterliche Aufgabenbewältigung.7 Die Organisation des Arbeitsumfeldes hat sich aus dieser Perspektive nach den (je individuellen) richterlichen Anforderungen zu richten, die notfalls auch als rechtlich zwingend hingestellt werden können. Suboptimale technische Hilfsmittel und Arbeitsabläufe werden als Beeinträchtigung der eigenverantwortlichen, unabhängigen Tätigkeit empfunden und geraten leicht in den Verdacht eines auch rechtlich unzulässigen Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit. Ich erinnere nur an die heute anachronistisch anmutenden Diskussionen der Vergangenheit um den Einsatz von Diktiergeräten8 und erster Schreibautomaten und der dort vorgehaltenen Textbausteine. Schon seinerzeit ging es indes nicht um eine amorphe „Technikfeindlichkeit“ oder um einen Gegensatz von Richterschaft und Technik bzw. Sicherheit. Im Kern ging um die Frage, wer im hochgradig arbeitsteiligen Prozess justizieller Aufgabenerledigung die Definitionshoheit über die Organisation und die eingesetzten Mittel hat: der einzelne Richter, kollektive Instanzen der Richterschaft oder die Justizverwaltung (und damit letztlich die Exekutive). Hier ergibt sich ein klares Spannungsverhältnis von (individueller) richterlicher Definitions- und Handlungsmacht und notwendig „standardisierten“ Anforderungen an sichere und vertrauenswürdige IT-Prozesse. Die Organisationseinbindung und -abhängigkeit richterlicher Tätigkeit9 und die Notwendigkeit, zum „Systemschutz“ festgelegte Sicherheitsregeln auch ausnahmslos zu beachten, steigt mit dem Einsatz von IT exponentiell, und die Einführung führender elektronischer Akten wird diesen Prozess weiter beschleunigen.10 Auf individuelle Gestaltungswünsche kann bei der IT-Infrastruktur und ihrer Absicherung immer weniger Rücksicht genommen werden. Individuelle Risikokalküle haben im IT-Systemschutz bei vernetzten Systemen keinen Raum. Angesichts einer heterogenen Richterschaft, bei der alle Grade von Technikaffinität und -aversion zu finden sind, wird es nahezu unmöglich, bei der Standarddefinition im Bereich von IT-Sicherheit „die“ Haltung „der“ Richterschaft – gar empirisch – zu definieren.

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Strukturell sind klare, regelmäßig obligatorische IT-Sicherheitsstandards mithin inkompatibel mit individueller richterlicher Arbeitsumfeld- und Arbeitsorganisationsgestaltung. Aus der Perspektive der IT-Sicherheitsverantwortlichen im Bereich der Justizverwaltung sind Richter ein zumindest potenzielles Sicherheitsrisiko.11 • Richter haben zumeist ausgeprägte individuelle Vorstellungen von den einzuhaltenden Sicherheitsniveaus und den für sie realistischen Risikokalkülen, welche in die IT-Sicherheitsarchitektur einfließen, und sind mitunter geneigt, sicherheitsrelevante Vorgaben und Regeln nach Maßgabe eigener Beurteilung zugunsten der Optimierung der eigenen Arbeitsweise selektiv oder nicht zu beachten. • Richter wirken mit Forderungen nach mobiler Arbeit und „Heimarbeit“, nach Einbindung ihrer privat beschafften iPads, Tablets und Smartphones etc. in auch sicherheitsrelevanter Weise auf die Gestaltung von Arbeitsorganisation ein. • Richter haben Erwartungen an die IT-Sicherheit auch in der Weise, dass eine Ausnutzung der IT zur Kontrolle/ Überwachung der äußerlichen richterlichen Arbeitsweise und auch eine inhaltliche Ausforschung richterlicher Arbeitsprodukte – namentlich von Entscheidungsentwürfen, Voten oder sonstiger dem Beratungsgeheimnis unterliegender Arbeitsschritte – sicher ausgeschlossen sein muss. Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen ist, wie dieser strukturelle Gegensatz gemildert werden kann. B. Beachtung von Vorgaben/Regeln zur IT-Sicherheit durch Richter? Richter sind nicht nur regelgebundene und unabhängige Wesen, sie sind prinzipiell auch lernfähig. Das Bewusstsein

5 6

Schröder, NJW 2006, 1160. BGH, Urt. v. 25.09.2002 - Ri(Z) 2/01; BGH, Urt. v. 16.11.1990 - Ri(Z) 2/90. 7 Diese müssen mit den technischen Realitäten und der Leistungsfähigkeit von Technik nicht übereinstimmen. Wille und Bereitschaft, sich auf die „Eigenlogik“ von Technik einzulassen, besteht gerade wegen dieser Funktionszuschreibung nicht immer in dem technikgebotenen Umfang. 8 BGH, Urt. v. 18.08.1987 - RiZ (R) 3/87. 9 Berlit in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Justiz und Justizverwaltung, 2002, S. 135, 150 f. 10 Siehe Berlit, JurPC Web.-Dok. 77/2012 (http://www.jurpc.de/jurpc/ show?id=20120077&q=berlit). 11 Von den anderen Nutzern unterscheidet sich die Richterschaft durch die strukturelle Weisungsresistenz, die aus dem von der richterlichen Unabhängigkeit erfassten Bereich auch in andere Bereiche richterlicher Tätigkeit transformiert wird, und die höhere Konfliktfähigkeit.

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Die Monatszeitschrift

dafür ist zu schärfen, dass richterliche Tätigkeit notwendig in die sächliche und personelle Organisation von Justiz eingebunden ist. Diese organisatorischen Rahmenbedingungen sind von der Richterschaft grds. hinzunehmen. Aus der individuellen richterlichen Unabhängigkeit folgt kein Anspruch auf eine bestimmte Arbeitsorganisation oder die Bereitstellung optimaler Arbeitsmittel. Soweit mit den zur Verfügung gestellten Mitteln Rechtsstreitigkeiten prozessrechtskonform bearbeitet werden können, liegt die Arbeitsorganisation in der Verantwortung der Justizverwaltung, die suboptimale Organisationsvorgaben dann aber auch bei der Personalbemessung berücksichtigen muss. Es ist grds.12 kein Bereich, in dem unmittelbar richterliche Unabhängigkeit wirkt. Die Beteiligung der Richterschaft an der Gestaltung der Arbeitsorganisation und -mittel und die Berücksichtigung ihrer Erfahrungen ist ein Gebot effektiven Justizmanagements, nicht aus Art. 92 GG folgendes Rechtsgebot. Die Richterschaft ist umgekehrt in diesem Bereich dienstrechtlich auch verpflichtet, die Regeln und Vorgaben für die Nutzung der IT, insbesondere die Sicherheitsvorkehrungen, zu beachten. Hier unterscheidet sich die Richterschaft nicht von allen anderen Justizbediensteten. Sie ist hier – vor allem – nicht weisungsfrei und selbstbestimmt. Dieser klare rechtliche Rahmen garantiert aber nicht die Beachtung von IT-Vorgaben. Sicher scheinen auf den ersten Blick IT-Sicherheitsvorkehrungen, die technisch vorgegeben sind und nicht umgangen werden können (z.B. nicht vorhandene Laufwerke oder USB-Schnittstellen). Hier sind bei der Gestaltung der Sicherheitsarchitektur indes individuelle Umgehungslösungen mitzudenken. Erfordert etwa der Datenaustausch zwischen dem heimischen Richterarbeitsplatz und dem dienstlichen Computer mit dem USB-Stick aus Sicherheitsgründen, dass eine zentrale „Datenschleuse“ mit entsprechenden Virenschutzprogrammen aufgesucht wird, ist mit einem signifikanten Anstieg unverschlüsselten E-MailVerkehrs auch mit sensiblen, datenschutzrechtlich schutzbedürftigen Inhalten zu rechnen – und dies selbst bei Richtern, die ansonsten das hohe Lied des Datenschutzes singen und zur Selbstberuhigung darauf verweisen, dass kein Grund für eine systematische Ausspähung der an die private E-MailAnschrift übermittelten E-Mails besteht.13 Das Beispiel verweist auf zweierlei: • IT-Sicherheitsregeln mögen gelten. Wirksam sind sie nur bei hinreichender Akzeptanz. Sie kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden. Für die IT-Sicherheitsverantwortlichen bedeutet IT-Sicherheit notwendig auch, die Bedingungen und Voraussetzungen hinreichender Akzeptanz mitzudenken. Die Gründe für die Nichtbeachtung sind zu ermitteln. Es ist nach Alternativlösungen gleichwertiger Sicherheit zu suchen, die „Ausweichreaktionen“ überflüssig machen und die Beachtung von

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Standards als vorzugswürdige Handlungsvarianten erscheinen lassen. • Für die Richterschaft bedeutet dieser Befund die Notwendigkeit, sich bestimmten Lern- und Erkenntnisprozessen zu stellen, wenn und weil das abstrakt konsensfähige Ziel „IT-Sicherheit“ auch konkret Realität werden soll. Die Verantwortung der Richterschaft für das Funktionieren der Justiz umfasst auch die Mitverantwortung für IT-Sicherheit. Durch geeignete Fortbildungsangebote ist bei der Richterschaft das Wissen um die vielfältigen IT-Sicherheitsprobleme zu verbessern. Durch Sensibilisierungsmaßnahmen ist das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass bei vernetzten Systemen das Sicherheitsniveau durch die schwächste Stelle definiert wird und es daher – mittel- oder langfristig – sinnvoll sein kann, die Regeln und Vorkehrungen zur IT-Sicherheit zu beachten. Im Bereich der IT-Sicherheit ist eine richterliche Fortbildungspflicht mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar – auch wenn freiwillige, auf Überzeugung setzende Maßnahmen regelmäßig effektiver sind; eine attraktive, zielgruppenadäquate Ausgestaltung der Informationsund Schulungsangebote mag hier helfen. IT-Sicherheitsverantwortlicher und Richterschaft müssen aufeinander zugehen und bereit sein, die jeweilige „Handlungslogik“ der anderen Seite mitzudenken. Anzustreben ist ein gemeinsames Verständnis zu dem in der Justiz erforderlichen Sicherheitsniveau und der hierfür erforderlichen Maßnahmen. Es geht nicht um ein Maximum, sondern allenfalls um ein Optimum von IT-Sicherheit. Es darf die Funktionsund Arbeitsfähigkeit der Richterschaft nicht mehr als unbedingt notwendig berühren und muss die Risiken, die mit jedem IT-Betrieb verbunden sind, als noch hinreichend beherrsch- und damit verantwortbar erscheinen lassen. Ein wichtiger Katalysator hierbei können die Schutzbedarfs- bzw. Risikoanalysen für die im Rahmen des richterlichen Arbeitsprozesses erstellten Dokumente bzw. im Bereich von Scanprozessen14 sein. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat mit den IT-Grundschutz-Katalogen und IT-Grundschutzstandards15 ein me12 Eine wichtige Ausnahme bilden die technikbedingten, z.B. durch Sicherheitsprotokollierungen, induzierten Kontrollpotenziale, die zur Vermeidung einer „gläsernen Richterschaft“ wirksam bewältigt werden müssen; siehe Berlit, BJ 2015, 15, 19; die Beherrschbarkeit bestreitet etwa Held, BJ 2015, 27. 13 Konsequenz sind dann etwa abgesicherte Fernzugriffsmöglichkeiten (z.B. über VPN-„Tunnel“). 14 Dazu BSI, Technische Richtlinie 03138 (Ersetzendes Scannen) (TR RESISCAN) vom 20.03.2013 (https://www.bsi.bund.de/DE/Publikationen/TechnischeRichtlinien/tr03138/index_htm.html). 15 https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/grundschutz. html; BSI, IT-Grundschutzkataloge, 2005 ff.; Gora/Stark, DuD 2002, 625; Münch, DSB 1/2011, 16.

JM 8/9 thodisches Instrumentarium bereitgestellt, das für die technischen Laien nicht immer gleichermaßen verständlich ist. Es bietet aber eine systematische Aufbereitung der Methoden, Prozesse und Verfahren sowie Vorgehensweisen und Maßnahmen mit Bezug zur Informationssicherheit. Die Abarbeitung der Kataloge zwingt zur Reflexion aller relevanten IT-Sicherheitsdimensionen und zur Selbstvergewisserung über das gebotene Sicherheitsniveau. Die Richterschaft ist nun nicht zu IT-Grundschutzexperten fortzubilden. Sie ist aber systematisch bei der Risikobewertung in der Informationssicherheit zu beteiligen und muss angeben, welche Sicherheitsanforderungen für Geschäftsprozesse und Fachanwendungen aus richterlicher Sicht zu stellen sind. Dies setzt einen informierten Diskurs auch innerhalb der Richterschaft voraus, bei dem auch der Zusammenhang zwischen einem definierten Sicherheitsniveau und den zu dessen Erreichung erforderlichen Sicherheitsanforderungen und -vorkehrungen deutlich werden muss: Sicherheit hat einen Ergonomie- und Performancepreis, Ergonomie und Performance gehen (noch zu) oft zulasten der Sicherheit. C. IT-Sicherheit und mobiles/häusliches Arbeit Einen unter dem Aspekt der IT-Sicherheit sensiblen Bereich bildet das mobile Arbeiten bzw. der häusliche Richterarbeitsplatz. Normativ ist anerkannt, dass Richter neben ihrer Arbeitszeit grds. auch ihren Arbeitsort frei bestimmen können und ihre Arbeit nicht an dem ihnen zugewiesenen dienstlichen Arbeitsplatz verrichten müssen. Die fortschreitende Digitalisierung justizieller Aufgabenerledigung bietet für die Richterschaft neben unbestreitbaren Risiken, z.B. für die „Selbstausbeutung“ oder die gerichtsinternen Kommunikationsstrukturen, und Regulierungsbedarfen, z.B. in Bezug auf Mietrecht, Arbeitsschutz und -sicherheit,16 für die individuelle Arbeitsgestaltung auch erhebliche Flexibilitätschancen. Die verschiedenen Formen richterlicher „Telearbeit“ bergen vor allem auch IT-Sicherheitsrisiken. Ihre Bewältigung ist nicht individuell auszuhandeln. Es ist eine Organisations- und Gestaltungsaufgabe, die nur im Zusammenwirken von Gerichtsleitung, IT-Sicherheitsverantwortlichen und Richterschaft bewältigt und in einer entsprechenden Dienstvereinbarung reguliert werden muss. Bei richterlicher Telearbeit entfallen dabei zumindest einige der für sonstige Beschäftigte regulierungsbedürftigen Probleme,17 z.B. in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung und – jedenfalls noch nach derzeitigem Verständnis – die Kosten von Einrichtung und Unterhaltung des häuslichen Arbeitsplatzes. Nicht vertieft werden soll die Frage, inwieweit die aus der richterlichen Unabhängigkeit folgenden Freiheiten zur

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Arbeitsgestaltung nach dem derzeitigen Stand der Technik auch einen Anspruch auf Ermöglichung von richterlicher Telearbeit im weiteren Sinne verschaffen.18 Die Justizverwaltung jedenfalls ist gut beraten, hier die durch Digitalisierung auch der Akteninhalte geschaffenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Unter IT-Sicherheitsaspekten scheint mir unbestreitbar, dass der häusliche Arbeitsplatz nicht die Schwachstelle der Justiz-IT (und ihrer Netze) werden darf und sich die Richterschaft daher bei der Nutzung den erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen stellen muss. Dies gilt etwa für die Sicherheitsvorkehrungen, die am häuslichen/ mobilen Arbeitsplatz zu treffen sind (z.B. gegen Risiken durch Familienangehörige, Einbrecher, Computer-Viren oder Hardware-Defekte). Hervorzuheben sind hierbei die Datenschutzvorkehrungen einschließlich der nach § 9 BDSG zu treffenden technischen und organisatorischen Maßnahmen. Denn die hierfür i.S.d. § 3 Abs. 7 BDSG verantwortliche Stelle bleibt das jeweilige Gericht. Richterliche Arbeit im häuslichen Bereich macht diese nicht zur Privatsache. Dann aber muss die verantwortliche Stelle ihre Verantwortlichkeit auch wahrnehmen können. Dies umschließt ggf. auch gewisse Überwachungsund Kontrollrechte, um sicherzustellen, dass die Standards und Vorgaben der für die IT-Sicherheit Verantwortlichen bei richterlicher Telearbeit auch beachtet werden. Jedenfalls umfasst es die Befugnis der IT-Sicherheitsverantwortlichen des Gerichts, die entsprechenden Standards und Vorgaben zu definieren und im Zweifelsfall die dienstrechtliche Befugnis zur Zulassung elektronischer richterlicher Heimarbeit unter Nutzung dienstlicher Ressourcen an deren Beachtung zu koppeln. Ein weiteres Konfliktfeld bildet die Integration privater mobiler Endgeräte (Laptops, Tablets oder Smartphones) in die gerichtlichen Netzwerke (Bring Your Own Device – BYOD).19 Für die technikaffineren Teile der Richterschaft brächte dies eine größere Wahlfreiheit bei der Wahl der Arbeitsmittel und eine bessere Orientierung an den persönlichen Bedürfnissen. Aus der Perspektive der IT-Sicherheit birgt „BYOD“ indes erhebliche Sicherheitsrisiken.20 Es steht der Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur entgegen, die eine klarere

16 Siehe etwa Schwiering/Zurel, ZD 2016, 17; Oberthür, MDR 2015, 1269. 17 Dazu etwa Bissel/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Brachmann, AuS 2015, 396; Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025. 18 Dazu Deutscher Richterbund, Positionspapier zum Elektronischen Rechtsverkehr und zu E-Akten (September 2015) (Abschnitt II Nr. 6: Vereinbarkeit von Familien und Beruf). 19 Heldmann, Dienstliche Nutzung privater Endgeräte (BYOD) und privater Gebrauch dienstlicher Kommunikationsmittel, 2015. 20 Siehe etwa Röhrborn/Lang, BB 2015, 2357; Seel, MDR 2014, 69.

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Die Monatszeitschrift

Gefährdungs- und Risikoanalyse ermöglicht, bedingt eine höhere Komplexität der Systeme, bewirkt die Verlagerung von Daten auf fremde, nicht oder nur begrenzt kontrollierbare Geräte, öffnet die internen Systeme potenziell der Ausspähung von außen und wirkt so dem Bestreben entgegen, durch Systemabschottung nach außen mehr Sicherheit zu organisieren. Sie müssen bei Beachtung bestimmter Sicherheitsvorkehrungen einen Einsatz eigener Geräte nicht zwingend ausschließen; der IT-Planungsrat hat im Juni 201521 eine offene Arbeitsgruppe „Bring Your Own Device“ eingerichtet, um für interessierte Verwaltungen Wege aufzuzeigen, unter welchen Rahmenbedingungen der Einsatz privater mobiler Endgeräte in der Verwaltung sinnvoll sein kann. Einen möglichen Kompromiss bilden dienstlich bereitgestellte, mit einheitlicher Sicherheitstechnologie ausgestattete mobile Endgeräte, die ggf. auch privat genutzt werden dürfen. Problem sind hier u.a. der finanzielle Aufwand und die Innovationszyklen im öffentlichen Sektor, die eine Ausstattung mit technisch hochwertigen, dem Stand der aktuellen Technik entsprechenden Geräten zumindest erschweren. D. IT-Sicherheit und Datenhaltung: Justizverwaltung als Richterrisiko? IT-Sicherheitsaspekte birgt auch das Thema, wo die „Justizdaten“, also die bei der justiziellen Aufgabenerledigung anfallenden Daten (einschließlich künftiger elektronischer Akten), abgespeichert werden.22 Die anfängliche dezentrale Datenhaltung ist inzwischen weitgehend einer Speicherung der Justizdaten in größeren Rechenzentren gewichen; lediglich bei der Bundesjustiz mit ihrer überschaubaren Zahl oberster und oberer Bundesgerichte herrscht noch eine vollständig dezentrale Datenhaltung bei den Gerichten vor. Eine dezentrale Datenhaltung bei den Gerichten oder in von der Gerichtsbarkeit betriebenen Datenverarbeitungszentren sichert die Kontrolle „der“ Justiz über „ihre“ Daten. Auch dort stellt sich aus der individuellen richterlichen Perspektive indes das Problem, dass letztlich nicht die Richterschaft, sondern die Justizverwaltung und ihre IT-Mitarbeiter die Daten kontrollieren. Diese Form der Datenhaltung birgt aber nicht unerhebliche Sicherheitsrisiken. Denn in kleineren Einheiten können die aufwendigen Maßnahmen zur professionellen Abwehr von unbefugten Datenzugriffen Externer, zur Datensicherheit und -sicherung sowie zur arbeitsteiligen Organisation zum Schutz vor „Binnentätern“ nicht in den Umfang gewährleistet werden, wie es aus Sicht einiger angesichts der heutigen Bedrohungsszenarien notwendig erscheint. Bei dezentraler Datenhaltung in der Justiz wird der Vorteil

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vermeintlich höherer Kontrolle durch die Richterschaft zudem dadurch erkauft, dass die für das Personal zuständige Justizverwaltung, bei der ein Interesse am Fehlgebrauch der enormen Kontrollpotenziale technisch bzw. aus Sicherheitsgründen notwendiger Protokollierung am wahrscheinlichsten ist, auch mit der Datenhaltung unter der Aufsicht über das hierfür erforderliche Fachpersonal betraut ist. Auf der anderen Seite wird geltend gemacht, dass eine justizferne Datenhaltung die Datenverarbeitung und -verwendung durch die Exekutive dem verfassungsrechtlichen Gebot der institutionellen Sonderung der Justiz widerspricht23 und technisch eine verfassungsrechtlich bedenkliche Kontrolle über die Richterschaft ermöglicht, die mangels unwirksamer Aufsicht durch die Justiz auch bei rechtlichem Verbot nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Zwischenstufen sind teils Rechenzentren der gesamten Justiz, die unter der Aufsicht eines hiermit betrauten Gerichts stehen,24 Datenhaltung in Rechenzentren der (Justiz-)Exekutive, bei denen aber besondere Aufsichtsrechte für die Richterschaft normiert sind,25 oder Auslagerung in öffentlich-rechtlich organisierte, mediatisierte Großdatenverarbeiter, bei denen bestimmte Binnenabschottungsmaßnahmen getroffen und zusätzlich spezielle Kontrollmechanismen geschaffen werden.26 Ohne hier diesen Streit vertiefen zu wollen,27 scheint mir im Spannungsfeld von „sicherheitsgewährender Professionalität“ größerer Datenzentren und Eigenkontrolle der Justiz sinnvoller, statt auf die institutionelle Zuordnung der physikalischen Datenhaltung auf die Beachtung eines definierten Sicherheitsniveaus zu setzen und bei externer Datenhaltung klar und rechtssicher die Aufsichts-, Kontroll-,

21 Beschluss 2015/25 des IT-Planungsrates vom 26.06.2015, BAnz AT vom 19.08.2015, B1. 22 Dazu jüngst – auch unter dem Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit – instruktiv Radke, jM 2016, 8. 23 Dezidiert Bertrams, DRiZ 2010, 248; Bertrams, NWVBl. 2010, 209; Bertrams, NWVBl. 2007, 205. 24 Siehe Arbeitsgruppe der „Bund-Länder Kommission für Informationstechnik in der Justiz“ (2009), jurPC Web-Dok. 202/2009, 84; so der Ansatz in Nordrhein-Westfalen (AV des JM NRW vom 13.12.2013 [IT-Zentralisierung in der Justiz]; Rahmenbetriebskonzept vom 02.04.2014). 25 Vgl. Gesetz zur Errichtung der Informationstechnik-Stelle der hessischen Justiz vom 16.12.2011, GVBl. I, 778; dazu HessDGH, Urt. v. 20.04.2010 - DGH 4/08; BGH, Urt. v. 06.10.2011 - RiZ (R) 7/10 - DRiZ 2012, 169; BVerfG, Beschl. v. 17.01.2013 - 2 BvR 2576/11 - NJW 2013, 2102. 26 So – unter Nutzung von „Dataport“ als öffentlich-rechtlicher Anstalt – der Ansatz im Entwurf eines IT-Gesetzes für die Justiz des Landes Schleswig-Holstein vom 14.07.2015, LT-Drs. 18/3224. 27 Dazu Radke, jM 2016, 8.

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Zugriffs- und Weitergaberechte so zu regeln, dass die Justiz selbst wirksam über eine mit ihren Anforderungen konforme Datenhaltung mitwachen kann.28

penarbeit im Spruchkörper) und Performanceverluste dabei hingenommen werden sollen.

Die Datenverarbeitung in justizfremden oder -fernen Großdatenzentren erfordert – zumindest im Rahmen vertrauensbildender, sicherheitsgewährender Vorkehrungen – Maßnahmen auch zum Schutz gegen „Binnentäter“, die eine unbefugte Kenntnisnahme der Inhaltsdaten vorbereitender Dokumente (z.B. Gutachten, Voten oder Urteilsentwürfe) oder deren Weitergabe ausschließt.29 In Betracht kommt eine – fakultative oder obligatorische – Verschlüsselung solcher Dateien. Auch hier stecken die Probleme indes im Detail. Eine Verschlüsselung, die durch die Systemadministratoren organisiert wird, denen auch die Schlüsselverwaltung obliegt und die im Notfall auch für die Wiederherstellung/-lesbarmachung verantwortlich sind, bietet hinreichenden Schutz nur gegen „externe Angriffe“ und solche „Binnentäter“, die nicht über besondere Administratorenrechte verfügen. Prinzipiell ist ein solcher Schutz schon heute jedenfalls bei MicrosoftBetriebssystemen (Windows) über das sog. Encrypting File System (EFS)30 möglich. Bei dessen Nutzung bleiben Dateiinhalte selbst dann bei regulären Angriffsszenarien31 vertraulich, wenn unbefugte Dritte (etwa beim Diebstahl von Datenträgern oder bei Umgehung von Zugriffsrechtsbegrenzungen) Zugriff auf die Dateien erhalten, weil sie nur durch den passenden, privaten Schlüssel entschlüsselt werden können. Um bei Verlust des privaten, geheimen Schlüssels einen Verlust der verschlüsselten Daten selbst zu vermeiden, gibt es hier zusätzlich die Möglichkeit, einen besonderen „Key Recovery Agent“ einzusetzen, der dann aber – ggf. im Mehraugenverfahren – auch die Möglichkeit eines unbefugten und verdeckten Zugriffs erhält; auch können die Administratoren beim EFS durch das Zurückstellen der Passwörter Zugriff erlangen. Beim Einsatz kryptographischer Fremdprodukte außerhalb des Betriebssystems kann dies – je nach Produkt – ausgeschlossen und die Ver- und Entschlüsselung auch so organisiert werden, dass unverschlüsselte „Schattenkopien“ weitgehend vermieden werden. Bei Schlüsselverlust oder -beschädigung scheidet dann aber eine Unterstützung bei der Datenwiederherstellung aus.

E. Schlussbemerkung

Es ist also selbst bei der auf den ersten Blick einfachen Frage einer wirksamen Verschlüsselung, die den Druck auf die Wahl einer unter Systemsicherheitsaspekten weniger sicheren Lösung zur Datenspeicherung aus Gründen des effektiven Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit zu mildern geeignet ist, eine genaue Risikodefinition vorzunehmen: Gegen wen genau soll in welchem Umfang Schutz gewährleistet werden? Nur dann ist sinnvoll zu entscheiden, welche Verarbeitungserschwerungen (z.B. in Bezug auf Grup-

Fragen der IT-Sicherheit werden die Justiz – und damit auch die Richterschaft – in den kommenden Jahren verstärkt beschäftigen. Das Spannungsverhältnis von maximaler (IT-) Sicherheit und maximaler Bequemlichkeit und Flexibilität bei der Technikunterstützung in individuellen Arbeitsprozessen wird sich bei den vielfältigen Ausgestaltungsfragen der IT-Landschaft der Gerichte nie vollständig auflösen lassen. Ob beim Einsatz zusätzlicher, nicht justizkontrollierter Unterstützungsprogramme, der Ermöglichung kabelloser Anbindungen, dem Datenaustausch über Cloud-Technologie, dem Datenabgleich zwischen dienstlichen und privaten Geräten, der Sperrung ausführbarer Dateien oder sonst „riskanter“ Dateitypen oder sonstiger Vorkehrungen der Schnittstellenkontrolle, dem fakultativen oder obligatorischen Einsatz von Verschlüsselungstechnologie, der Regulierung/Beschränkung von E-Mail-Weiterleitungen, der Reichweite von Hintergrundprotokollierungen, oder der Rigidität, mit der IT-Sicherheitsmaßvorkehrungen durchgesetzt und kontrolliert werden: Stets ist ein problem- und risikobewusster, auf Anschlussfähigkeit und Akzeptanz ausgerichteter Ausgleich der IT-Sicherheitsbelange mit der produktiven Flexibilität richterlicher Arbeitsweise erforderlich. Er kann nur erreicht werden, wenn die jeweiligen technischen Risiken und Bedrohungsszenarien bekannt und klar benannt sind. IT-Sicherheit und richterlicher Unabhängigkeit kommen nur bei mehr Aufklärung und sachlichem Diskurs zueinander.

28 Berlit, BJ 2015, 15, 20. 29 Zu den Befürchtungen und zu bewältigenden Problemen siehe auch Held, BJ 2015, 27. 30 Dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Encrypting_File_System. 31 Gegen eine systematische Ausspähung durch Geheimdienste, bei denen unbegrenzte Ressourcen vorausgesetzt werden und die zudem noch bei den Herstellern von Hard- und Software „back doors“ durchsetzen können, sind auch solche Vorkehrungen unzureichend.

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Die Monatszeitschrift

Aufhebung der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets BVerwG, Urt. v. 26.11.2015 - 7 CN 1/14 RiBVerwG Dr. Franz Schemmer A. Problemstellung Wann ist die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets aufzuheben? Diese Frage hat die Rechtsprechung bereits des Öfteren beschäftigt.1 Eine Entscheidung des BVerwG hierzu stand allerdings noch aus. Ebenfalls musste das BVerwG in seinem Urteil vom 26.11.2015 entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Behörde das Normenkontrollverfahren zur Aufhebung einer untergesetzlichen Norm einleiten darf. Da dem deutschen Recht ein Popularklageverfahren in weiten Teilen fremd ist, musste der Antragsteller, der als Zweckverband der kommunalen Wasserversorgung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, entweder antragsbefugt sein oder sich auf das Behördenprivileg im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO berufen können. Schließlich musste das BVerwG prüfen, ob der Aufhebung der Wasserschutzgebietsfestsetzung das sog. wasserrechtliche Verschlechterungsverbot entgegenstand. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Fall nahm seinen Anfang im Jahr 1983, als der Kreistag von Flöha in Sachsen ein Trinkwasserschutzgebiet zum Schutz einer Brunnengalerie mit insgesamt 12 ha auswies. Dieses Gebiet wird von dem Fluss Lößnitz auf einer Länge von etwa 400 m durchquert; vier Brunnen befinden sich in der Nähe des Flusses. Im Jahr 2002 wurde für den Antragsteller, dessen Verbandsgebiet das Wasserschutzgebiet erfasst, ein Recht zur Wasserbenutzung festgestellt. Das Entnahmerecht wurde im Jahr 2009 widerrufen. Im Jahr 2010 wurden coliforme Keime in der Lößnitz und in zwei Brunnen nachgewiesen. Daraufhin hob der Landkreis Mittelsachsen die Wasserschutzgebietsfestsetzung auf. Das sich anschließende Normenkontrollverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg. Das BVerwG hat die Revision des Antragstellers zurückgewiesen. Zunächst hatte sich das BVerwG mit der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags zu befassen. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften (Verordnung oder Satzung), sofern das Landesrecht dies bestimmt.2 Diese Voraussetzungen lagen unstreitig vor. Erörterungsbedürftig war, ob auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegeben waren. Danach kann den Normenkontrollantrag jede natürliche

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oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Da dem Antragsteller kein Wasserentnahmerecht zustand, hat das BVerwG die Antragsbefugnis des Antragstellers wegen Verletzung in eigenen Rechten durch die Aufhebungsverordnung dahinstehen lassen und stattdessen auf das Behördenprivileg abgehoben. Die Eigenschaft des Antragstellers als Behörde war zu bejahen. Ausgehend von § 1 Abs. 4 VwVfG ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dabei ist im Normenkontrollverfahren nicht zwischen Rechtsträger, also hier der Körperschaft des öffentlichen Rechts, und dessen handelndem Organ, mithin einer Behörde im engeren Sinne, zu unterscheiden. Behörde ist also auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts, deren Organe öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit ausüben. Obwohl keine Antragsbefugnis für die antragstellende Behörde vonnöten ist, setzt die Zulässigkeit des behördlichen Normenkontrollantrags voraus, dass die Behörde ein aus ihrer Aufgabenstellung resultierendes Interesse an der Überprüfung der objektiven Rechtslage hat. Sinn und Zweck des behördlichen Antragsrechts ist eine verbindliche Klärung der Gültigkeit von untergesetzlichen Normen, die sich auf die Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit in besonderer Weise auswirken. Es bedarf eines Näheverhältnisses der Behörde zu der Norm.3 Besteht es nicht, ist das Normenkontrollverfahren nur zulässig, wenn die Behörde die mögliche Verletzung eigener Rechte geltend machen kann, mithin antragsbefugt ist. Das BVerwG hat in Anknüpfung4 an seine frühere Rechtsprechung ein solches Verfahrensinteresse bejaht, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Die Norm muss im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Behörde gelten. Die Behörde muss bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben mit der Norm befasst sein und sie muss die Vorschrift bei der Erfüllung ihrer Aufgaben beachten und anwenden. Auf dieser Grundlage konnte das BVerwG das Verfahrensinteres-

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Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 21.12.1982 - 5 S 1359/81; VGH Mannheim, Urt. v. 21.10.1988 - 5 S 1088/88; VGH Mannheim, Urt. v. 23.06.1997 - 8 S 374/97; VGH München, Urt. v. 29.11.1988 - 8 B 85 A/2651. Anderenfalls hat der Betroffene eine konkrete Maßnahme (etwa die Versagung einer Genehmigung) abzuwarten, bevor er hiergegen Klage erhebt, mit der auch die Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Wasserschutzgebiets überprüfen lassen kann. Vgl. Heusch, NVwZ 2016, 612. Vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.1989 - 4 NB 10/88 Rn. 11 ff.; BVerwG, Beschl. v. 01.07.2005 - 4 BN 26/05 Rn. 7.

JM 8/9 se des Antragstellers bejahen. Die Norm gilt in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich und beeinflusst die Wahrnehmung seiner Aufgaben. Als Träger der öffentlichen Wasserversorgung nimmt er eine Aufgabe der Daseinsvorsorge (vgl. § 50 Abs. 1 WHG) wahr. Zudem wirkt sich die Aufhebung des im Verbandsgebiet des Antragstellers gelegenen Wasserschutzgebiets in besonderer Art und Weise auf die Erfüllung dieser Aufgabe aus. In der Sache selbst hat das BVerwG festgestellt, dass der Antragsgegner befugt gewesen war, über die Aufhebung des Wasserschutzgebiets im Verordnungswege zu entscheiden. Die Aufhebungsbefugnis ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, lässt sich aber aus § 51 Abs. 1 Satz 1 WHG (Festsetzung von Wasserschutzgebieten zum Wohl der Allgemeinheit durch Verordnung) ableiten. Zu der Ermächtigung, über die Festsetzung von Wasserschutzgebieten nach normativem Ermessen zu entscheiden, gehört auch die Befugnis als actus contrarius eine einmal getroffene Festsetzung im Wege erneuter Ermessensausübung wieder aufzuheben. Falls die Festsetzungsvoraussetzungen entfallen sind, verdichtet sich diese Befugnis zu einer Pflicht zur Aufhebung. Wegen der mit der Ausweisung eines Wasserschutzgebiets einhergehenden Nutzungsbeschränkung, die als Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der betroffenen Grundstückseigentümer rechtfertigungsbedürftig ist, trifft den Verordnungsgeber eine Beobachtungspflicht. In Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht hat das BVerwG die Beibehaltung des Trinkwasserschutzgebiets zum Wohl der Allgemeinheit als nicht erforderlich angesehen. Der Begriff der Erforderlichkeit bezieht sich in sachlicher Hinsicht auf den Schutz des Wasservorkommens dem Grunde nach, was sich nach der Schutzwürdigkeit, der Schutzbedürftigkeit und der Schutzfähigkeit eines Wasservorkommens richtet.5 Darüber hinaus bestimmt die Erforderlichkeit die räumliche Ausdehnung des Wasserschutzgebiets in zweierlei Hinsicht. Sie setzt wegen der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG der räumlichen Ausdehnung Grenzen. Andererseits kann ein „Zuwenig“ an Schutz vorliegen. Die räumliche Ausdehnung eines Wasserschutzgebiets kann also zu gering sein mit der Folge, dass die Eignung des Wasserschutzgebiets für den verfolgten Zweck zu verneinen ist. Bei Ausübung des normativen Ermessens gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 WHG muss die Behörde ein nachvollziehbares Schutzkonzept entwickeln. Fehlt ein solches Konzept und wird das angestrebte Schutzziel verfehlt, so erweist sich die Festsetzung als nicht zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich. So lag es hier. Es besteht eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung des Wasservorkommens und eine Trinkwassernutzung scheidet aus. Eine fortgeführte Unterschutzstellung hätte keinen Einfluss auf die wesentliche Beeinträchtigung des Wasservorkommens in hygi-

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enischer Hinsicht gehabt. Die schädlichen Eintragungen in den Fluss erfolgten bereits auf der ca. 10 km langen Strecke vor Erreichen des Wasserschutzgebiets. Das Schutzgebiet war damit ungeeignet, ein ausreichendes Schutzniveau des Wasservorkommens zu gewährleisten. Der Pflicht des Verordnungsgebers zur Aufhebung der Schutzgebietsverordnung stand das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot nicht entgegen. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG ist das Grundwasser so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen und seines chemischen Zustands vermieden wird. Dieses allgemeine Verschlechterungsverbot setzt die Vorgaben des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) i) der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 (Wasserrahmenrichtlinie – WRRL) um. Das allgemeine Verschlechterungsverbot wird durch die Bestimmung des Art. 7 WRRL ergänzt, der besondere Vorschriften für die Gewässer für die Entnahme von Trinkwasser enthält, um Verschlechterungen der Gewässerqualität zu verhindern. Zusammengefasst hat das BVerwG eine Minderung des nationalen und unionsrechtlichen Schutzes durch die Aufhebung der untauglichen Schutzgebietsfestsetzung aufgrund der örtlichen Verhältnisse und des unzureichenden Gebietszuschnitts verneint. C. Kontext der Entscheidung Das Urteil behandelt Fragen des Wasserrechts und insbesondere des Rechts über Wasserschutzgebiete. Diese sind Gebiete, in denen zum Schutz von Gewässern vor schädlichen Einflüssen besondere Ge- und Verbote gelten (vgl. § 52 Abs. 1 WHG). Die Festsetzung eines Gebiets als Wasserschutzgebiet kann gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 WHG nur erfolgen, wenn es das Wohl der Allgemeinheit erfordert. Dabei gibt das Gesetz die legitimen Zwecke für die Festsetzung von Wasserschutzgebieten vor: Das Wasserschutzgebiet kann dem Zweck des Schutzes öffentlicher Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen dienen (Nr. 1), der Anreicherung des Grundwassers (Nr. 2) oder der Vermeidung des schädlichen Abfließens etwa von Niederschlagswasser in Gewässer (Nr. 3). Die Frage, ob das Wohl der Allgemeinheit eine solche Festsetzung erfordert, unterliegt grds. unbeschränkt der verwaltungsgerichtlichen Prüfung.6 Das WHG sieht vor, dass Trinkwasserschutzgebiete nach Maßgabe der allgemein anerkannten Regeln der Technik in Zonen mit unterschiedlichen Schutzbestimmungen unterteilt werden (§ 51 Abs. 2 WHG). Die Unterteilung von Trink-

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Vgl. BVerwG, Urt. v. 02.08.2012 - 7 CN 1/11 Rn. 20; BVerwG, Beschl. v. 20.01.2015 - 7 BN 2/14 Rn. 27 ff. Vgl. Gößl in: Siedler/Zeitler/Dahme, WHG, § 51 Rn. 18, Stand 09/2015.

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Die Monatszeitschrift

wasserschutzgebieten in Zonen dient der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Abgrenzung der Schutzzonen ergeben sich aus den Arbeitsblättern des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Herkömmlich wird das Wasserschutzgebiet für die öffentliche Wasserversorgung aus dem Grundwasser in drei Zonen eingeteilt, mit unterschiedlichen Schutzanordnungen, die in den jeweils äußeren Zonen milder sind als in den inneren.7

biet nicht festsetzen darf, wenn es für einen hinreichenden Schutz ungeeignet ist. Eine Wasserschutzgebietsfestsetzung ist demgemäß aufzuheben, wenn die Festsetzungsvoraussetzungen entfallen sind. Schließlich zeigt das Urteil, dass auch das Wasserrecht nicht ausschließlich aus nationalem Recht besteht, sondern über die Wasserrahmenrichtlinie maßgeblich unionsrechtlich bestimmt wird.8

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D. Auswirkungen für die Praxis Das BVerwG hat erneut bestätigt, dass es für das Normenkontrollverfahren einer Behörde eines Verfahrensinteresses bedarf, die Behörde also kein Popularverfahren betreibt. Die untergesetzliche Norm muss sich in besonderer Weise auf die Erfüllung ihrer Aufgaben auswirken. Des Weiteren besteht Klarheit, dass die Wasserbehörde ein Wasserschutzge-

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Vgl. Gößl in: Siedler/Zeitler/Dahme, WHG, § 51 Rn. 58 f., Stand 09/2015; vgl. DVGW-Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete Teil I: Schutzgebiete für Grundwasser, Arbeitsblatt W 101, Teil II: Schutzgebiete für Trinkwassertalsperren, Arbeitsblatt W 102, und Teil III: Schutzgebiete für Seen, Arbeitsblatt W 103, und etwaige Richtlinien der Landesverwaltung. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 01.07.2015 - C-461/13 zu den Bewirtschaftungszielen der Wasserrahmenrichtlinie in der Vorhabenzulassung (auf das Vorlageersuchen des BVerwG, Beschl. v. 11.07.2013 - 7 A 20/11 - „Vertiefung der Weser“).

Steuerrecht

Vertrauensschutz als Asymmetrie – warum die Suspendierung von Vertrauensschutz bei der Übergangsregelung zur Besteuerung von Bauleistungen in der Umsatzsteuer systemgerecht ist VRiBFH Prof. Dr. Bernd Heuermann

A. Problemstellung

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um das Haus zu veräußern. Vereinbarungsgemäß soll B die Umsatzsteuer schulden (§ 13b Abs. 5 UStG).

Eine fast übergroße Steigerung der Komplexität ergibt sich selbst bei einfachen Fällen des täglichen Lebens, wenn der Gesetzgeber auf eine unionsrechtlich gebotene Rechtsprechungsänderung mit Übergangsrecht reagiert, das zudem zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht changiert. Solches verbirgt sich hinter § 27 Abs. 19 UStG, einer Übergangsvorschrift zu § 13b UStG, der den Übergang der Steuerschuld regelt. Grds. schuldet die Umsatzsteuer der Unternehmer (§ 2 UStG i.V.m. § 13a Abs. 1 Satz 1 UStG) als derjenige, der eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL).1 Es kommt in verschiedenen Fällen aber zu einer Umkehrung der Steuerschuld (reverse charge) auf den Leistungsempfänger.

Bei Bauleistungen kommt es zu einer Umkehr der Steuerschuld (13b Abs. 5 UStG). Das Unionsrecht sieht diese Möglichkeit vor (Art. 199 MwStSystRL). Hintergrund ist: Im Baubereich sollen Steuerhinterziehungs- und -umgehungsmöglichkeiten bekämpft und deshalb die Steuererhebung auf den Leistungsempfänger konzentriert werden.2 Wenn nach den allgemeinen Vorschriften der Maler die Umsatzsteuer erklärt und abführen muss und der Auftraggeber (hier B) den Vorsteuerabzug geltend macht, kommt es zum Steuerschaden, wenn der Maler die Umsatzsteuer hinterzieht. Bei Umkehr der Steuerschuld zahlt der Auftraggeber

Beispiel:

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Der Maler M streicht im Jahr 2012 Innenräume eines Neubaus, das Bauträger B auf eigenem Grundstück errichtete,

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Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsamen Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006, ABl. EU Nr. L 347 (im Folgenden: MwStSystRL). Siehe den Erwägungsgrund 42 der MwStSystRL.

JM 8/9 die Umsatzsteuer direkt an das Finanzamt und kann diese Schuld mit seinem Vorsteueranspruch verrechnen. Hierdurch wird ein Steuerschaden bei Hinterziehung des Malers ausgeschlossen. Das Unionsrecht gibt den Mitgliedstaaten in Art. 199 MwStSystRL die Möglichkeit der Steuerschuldumkehr, zwingt sie aber nicht. Es gelten deshalb (auch) die Maßstäbe des GG.3 Im Beispielsfall schuldet trotzdem nicht B die Umsatzsteuer, sondern M; denn eine Umkehr setzte 2012 voraus, dass B selbst Bauleistungen erbringt. Das tut er aber nicht; er verkauft Grundstücke. Dies erkannte der BFH im Urteil vom 22.08.2013.4 Anders sah das aber die Finanzverwaltung.5 Fortsetzung 1 des Beispiels: Nach dieser Verwaltungsauffassung erklärte B in der Voranmeldung und der Jahreserklärung 2012 die Umsatzsteuer, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, zahlte die Steuer aber nicht. Die Umsatzsteuerfestsetzung 2012 gegenüber M (ohne die Umsatzsteuer aus der Leistung gegenüber B) wurde bestandskräftig. B begehrte nach Ergehen der BFH-Entscheidung vom 22.08.2013 die Berichtigung der Jahressteuerfestsetzung 2012 (§ 164 Abs. 2 AO) und die Erstattung der Umsatzsteuer, weil er als Bauträger nicht Steuerschuldner ist. B. Besondere Änderungsvorschrift als Verfahrensnormen im materiellen Steuerrecht Jenseits von Verwaltungsanweisungen schuf der Gesetzgeber in § 27 Abs. 19 UStG Übergangsrecht. Fordert der Leistungsempfänger bei einer vor dem 15.02.2014 erbrachten steuerpflichtigen Leistung die Erstattung der Steuer, die er in der Annahme entrichtet hat, Steuerschuldner i.S.d. § 13b UStG zu sein, so ist die gegen den leistenden Unternehmer (hier M) wirkende Steuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG für noch nicht festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume entsprechend zu ändern. Das ist eine verfahrensrechtliche Änderungsvorschrift im materiellen Umsatzsteuerrecht, vergleichbar mit den §§ 172 ff. AO. Der Leistungsempfänger kann die Erstattung der Umsatzsteuer nur dann verlangen, wenn die der Steuerzahlung zugrunde liegende Steuerfestsetzung ihm gegenüber geändert wird.6 Das kann im laufenden Rechtsbehelfsverfahren des Leistungsempfängers ebenso geschehen (§ 132 AO) wie in einem gesonderten Änderungsverfahren, z.B. dann, wenn die Steuerfestsetzung – wie im Beispielsfall – unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Ist die Festsetzung gegenüber dem Leistungsempfänger hingegen nicht änderbar, kann er auch keine Erstattung verlangen (§ 37 Abs. 2 AO). Die nicht änderbare Steuerfestsetzung ist der Rechtsgrund für die Erhebung (§ 218 Abs. 1 AO). Das alles ist – blendet man das Insolvenzrisiko aus – „viel Lärm

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um Nichts“. Denn im Grunde genommen ist die ganze Sache ein Nullsummenspiel: B konnte ja die Mehrwertsteuer, die er aus übergegangener Schuld zahlt, als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG).7 Wird die Steuerfestsetzung geändert, muss er keine Steuer an das Finanzamt zahlen. Dieses erstattet ihm die gezahlte Umsatzsteuer. Er muss aber an M den Bruttopreis (also Nettopreis plus Umsatzsteuer) zahlen. M ist dann zur Abführung der Steuer verpflichtet. Diese Mehrwertsteuer kann B wiederum als Vorsteuer abziehen. Fortsetzung 2 des Beispiels: Das Finanzamt folgt dem Begehren des B, ändert ihm gegenüber die Steuerfestsetzung und korrigiert die Festsetzung gegenüber M. M als der leistende Unternehmer stellt dem Leistungsempfänger B nun eine Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer aus (bislang § 14a Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz UStG) und erfüllt auch sonst die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG. Deshalb muss das Finanzamt zulassen, dass M dem Finanzamt den ihm gegen den B zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer an Zahlungs statt abtritt. Ein derartiger Anspruch besteht, weil die Vertragsparteien von der Schuldnerschaft des B ausgegangen sind, diese zur Grundlage des Vertrags geworden ist und sie sich nachträglich geändert hat (§ 313 BGB). Stehen sich der auf das Finanzamt übergegangene Anspruch des M und der Erstattungsanspruch des B aufrechenbar gegenüber, erlöschen sie durch Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB). Hat das Finanzamt schon vorher B gegenüber die Umsatzsteuer erstattet, trägt es dessen Insolvenzrisiko. C. Rückwirkungsproblem; Rechtfertigung der Einschränkung des Vertrauensschutzes Vor diesem Hintergrund ist § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG als Rechtsgrundlage für die Änderung zu begreifen. Dabei berücksichtigt die Vorschrift die Situation, in die die Beteiligten am Leistungsverhältnis nach der damaligen, von der Finanzverwaltung praktizierten Rechtslage (also in den Jahren 2011 und 2012) geraten sind, indem sie vom Übergang der Steuerschuld auszugehen hatten. Hier tragen die Beteiligten des Leistungsverhältnisses nicht wie sonst das Risiko einer irrtümlichen Beurteilung, sondern vertrauten auf die Rechts-

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Vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.07.2011 - 1 BvR 1916/09 - „Le Corbusier, Designermöbel Urheberrecht“. BFH, Urt. v. 22.08.2013 - V R 37/10. Siehe Abschn. 182a Abs. 11 der UStR 2008. Beide Steuerfestsetzungen werden also geändert, die gegenüber B (z.B. nach § 164 Abs. 2 AO) und die gegenüber M nach § 27 Abs. 19 UStG. Die Leistungen als Bauträger sind als unter die Grunderwerbsteuer fallende Umsätze zwar nach § 4 Nr. 9 Buchst. a) UStG steuerfrei, der Bauträger kann aber nach § 9 Abs. 1 und 2 UStG zur Steuerpflicht optieren.

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Die Monatszeitschrift

auffassung der Finanzverwaltung, vordergründig der klassische Anwendungsfall des § 176 Abs. 2 AO. Doch soll § 176 AO nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG der Änderung nicht entgegenstehen. § 176 AO gilt schon nicht im Verhältnis Vorauszahlungsbescheid/Jahressteuerfestsetzung, da insoweit Erledigung eintritt.8 Deshalb betrifft diese Vorschrift lediglich die Festsetzungen der Jahresumsatzsteuer 2011 und 2012. I. Keine Rückwirkung der Änderungsvorschrift In der gesetzlich angeordneten Nichtanwendbarkeit des § 176 AO wird ein Verfassungsproblem gesehen. Es soll sich um eine unzulässige Rückwirkung handeln. Deshalb haben einige Finanzgerichte wie auch der BFH die Vollziehung der entsprechenden Umsatzsteuerbescheide ausgesetzt.9 Man muss die Ermächtigung zur Änderung von der der Suspendierung des § 176 AO unterscheiden. Das Gesetz wirkt, indem es in § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG Änderungsvoraussetzungen schafft, nicht zurück:10 Es ändert keine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich ab, sondern regelt ein Verfahren, das eingeleitet wird, wenn der Leistungsempfänger sich mit Erfolg gegen seine Steuerschuldnerschaft zur Wehr setzt. Die Steuer ist nach dem (richtig erkannten) Gesetz im Jahr 2012 in der Person des M und nicht in der Person des B entstanden. Daran ändert die Norm nichts. § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG löst wie § 174 Abs. 3, 4 und Abs. 5 AO vielmehr einen negativen Widerstreit auf, wie er durch Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber B entsteht. Denn ohne eine korrespondierende Korrektur11 bei M würde der Sachverhalt überhaupt nicht berücksichtigt (negativer Widerstreit). Deshalb muss die Steuerfestsetzung gegenüber M geändert werden, um dem materiellen Recht zum Erfolg zu verhelfen. Jede Änderung einer Steuerfestsetzung wirkt in die Vergangenheit und auf eine bereits abgeschlossene Festsetzung ein. Sie wirkt aber nicht in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise auf den Steueranspruch. Rechtsgrund für die Korrektur ist stets der Tatbestand einer Verfahrensnorm, der vom Steueranspruch zu unterscheiden ist. Änderungsvorschriften nehmen einen Umstand der Gegenwart zum Anlass, die Steuerfestsetzung zu korrigieren: Das ist bei § 27 Abs. 19 UStG ein durch den Antrag des Bauträgers entstehender Widerstreit. In anderen Fällen ist es ein rückwirkendes Ereignis, eine neue Tatsache etc. Man kann also sagen: Im Steuerverfahren sind die (Verfahrens-) Normen anzuwenden, die in dem Zeitpunkt gelten, in dem die Verfahrenshandlung vorgenommen wird. Denn nur an diese Handlung knüpft die Verfahrensvorschrift an. II. Suspendierung des Vertrauensschutzes entspricht dem Neutralitätsprinzip Führt also die Einführung der Änderungsvorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG zu keiner verfassungsrechtlich bedeut-

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samen Rückwirkung, so auch nicht § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG, mit dem das Gesetz § 176 AO für nicht anwendbar erklärt. Denn § 176 AO ist danach nicht etwa rückwirkend auf Änderungen in der Vergangenheit unanwendbar,12 sondern lediglich im Rahmen des gegenwärtigen Verfahrens, soweit der Leistungsempfänger Erstattung beantragt (Tatbestandsmerkmal der Änderungsvorschrift). Das Unbehagen bei den verfahrensrechtlichen Konsequenzen rührt wohl eher daher, dass die Verfahrensvorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG den Widerstreit bei einem anderen Steuersubjekt auflöst. Das hat im allgemeinen Verfahrensrecht zur Folge, eine Änderung gegenüber dem Dritten nur zuzulassen, wenn er am Verfahren selbst beteiligt ist (§ 174 Abs. 5 AO). Eine derartige Beteiligung sieht § 27 Abs. 1 UStG nicht vor. Er regelt die Beteiligung indes eigenständig: Der Leistende ist Dritter im Steuerrechtsverhältnis zwischen Leistungsempfänger und Finanzamt. Er kann nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG dem Finanzamt seine Forderung gegen den Leistungsempfänger auf gesetzlich entstandene Umsatzsteuer an Zahlungs statt abtreten. Das Finanzamt muss diesem Begehren nachkommen. Zwar formuliert das Gesetz mit „kann“ eine Art von Ermessen. Indes ist dies als gebundene Verwaltung zu verstehen.13 Dann trägt das Finanzamt im Ergebnis das Risiko, die Forderung z.B. wegen der Insolvenz des Leistungsempfängers nicht durchsetzen zu können. Nur das entspricht dem unionsrechtlichen Neutralitätsprinzip. Nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden.14 Das geschieht mit der Abtretung. Der Leistende steht dann so wie er stünde, wenn alles von vornherein richtig gelaufen wäre. Mehr muss das Gesetz auch aus Vertrauensschutzgründen nicht tun. Im Gegenteil: Die Anwendung des § 176 AO würde zu einer Asymmetrie zulasten des Fiskus mit Blick auf das Neutralitätsprinzip führen:15 Die Festset-

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Vgl. BFH, Urt. v. 21.11.2013 - V R 21/12; Neeser, UVR 2014, 337. Eingehend dazu BFH, Beschl. v. 17.12.2015 - XI B 84/15; a.A. aber FG Niedersachsen, Urt. v. 29.10.2015 - 5 K 80/15. Widmann, MwStR 2014, 497; Reiß, MwStR 2016; Heuermann, DB 2015, 572; a.A. Lippross, UR 2014, 717 ff.; Lippross, DStR 2016, 993 ff. § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG schafft diese Korrespondenz, dies zu Hummel, MwStR 2016, 178 f. Das wäre so, wie wenn ein Gesetz aus dem Jahr 2016 die Anwendung des § 176 AO für alle Änderungen aus bestimmten Gründen ausschließen würde, die ab 2012 vorgenommen wurden. So liegt es aber gerade nicht. Deshalb ist die Diskussion der Rückwirkung bei Lippross, DStR 2016, 1001, ziemlich hypothetisch. So schon Sterzinger, UR 2014, 810; Heuermann in: Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rn. 157, Stand März 2016. Ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH, Urt. v. 13.03.2014 C-204/13 - „Malburg“. Eingehend und zutreffend Reiß, MwStR 2016, 361 ff.

JM 8/9 zung gegenüber dem Leistenden könnte dann nicht geändert werden. Der Leistungsempfänger würde entlastet, ohne dass im Gegenzug der Leistende M belastet werden könnte. Dieser könnte von B den Bruttopreis beanspruchen.16 B könnte die ihm in Rechnung gestellte, von M mangels entsprechender Festsetzung und auch nicht nach § 14c Abs. 2 UStG zu zahlende Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen. Aus dem Nullsummenspiel würde ein Spiel zulasten der Allgemeinheit. Das widerspräche dem Neutralitäts- und auch dem Rechtsstaatsprinzip. Die Übergangsregelung ist so auch vor den unionsrechtlichen Prinzipien der Effektivität und Äquivalenz sachgerecht.17 D. Fazit Die Übergangsregelung des § 27 Abs. 19 UStG ist eine dem Neutralitätsprinzip entsprechende Übergangsregelung. Sie vereinigt materielles Recht und Verfahrensrecht in einem komplexen Geflecht zu einem Ziel, wie es auch bei korrekter Steuererhebung erreicht worden wäre. Das führt nicht zu einer verfassungsrechtlich problematischen Rückwir-

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kung und verstößt nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Die Grundsätze gelten aber nur im Änderungsmodus. Die Rechtslage bei einer erstmaligen Steuerfestsetzung bleibt hier unerörtert.18

16 Regelmäßig dürfte ein Bruttopreis geschuldet sein, d.h. der Nettopreis zuzüglich Umsatzsteuer, eingehend dazu Reiß, MwStR 2016, 372 ff. Der zivilrechtliche Anspruch gegenüber dem Bauträger besteht unabhängig davon, ob die Festsetzung gegenüber dem Leistenden an § 176 AO scheitert. Der Bauträger muss also die ihm erstattete Umsatzsteuer an den Handwerker auskehren. Wollte man anders entscheiden (besteht der Anspruch nicht), könnte der Bauträger die ihm erstattete Mehrwertsteuer behalten, sie aber im Gegenzug nicht als Vorsteuer abziehen. Das wäre dann wieder ein Nullsummenspiel, weil der Vorgang völlig aus der Umsatzsteuerpflicht herausfiele, so verhält es sich aber nur, wenn der Bauträger zur Steuerpflicht optiert. Option und ihre Rücknahme ist aber immer noch möglich, soweit die Festsetzung noch „offen“ oder noch nach § 164 Abs. 2 AO änderbar ist, vgl. BFH, Urt. v. 19.12.2013 - V R 7/12. 17 Dazu vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 21.01.2016 - C-74/14 - „Eturas u.a.“. 18 Dazu BFH, Beschl. v. 27.01.2016 - V B 87/15 mit Anmerkung Heuermann, DStR 2016, 470 ff.

Strafrecht

Bundesrichter als „politisch exponierte Personen“ StA Dr. Markus Ebner, LL.M.*

A. Verortung des Themas Auf Anhieb würde wohl niemand die Wendung „politisch exponierte Person“ – kurz „PEP“ – mit einer Richterin oder einem Richter an einem der fünf Obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) in Verbindung bringen. Nach einigem Überlegen würden vielleicht die jeweiligen Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten oder einzelne, z.B. rechtspolitisch-medial besonders hervortretende Richterpersönlichkeiten genannt – aber ausnahmslos alle in ein Richteramt an einem solchen Gericht gewählten Personen? Und zusätzlich ggf. noch deren „unmittelbare Familienmitglieder“ sowie der Richterin bzw. dem Richter „bekanntermaßen nahestehende Personen“?

taten (Geldwäschegesetz – GwG) vom – aktuell – 13.08.20081, genauer gesagt in dessen § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, vermeintlich schnell gefunden. Es handelt sich aus der Perspektive des innerstaatlichen Rechts um einen unbestimmten Rechtsbegriff aus dem öffentlichen Gefahrenabwehrrecht, der (derzeit noch)2 durch unionsrechtliche Vorgaben definitorisch ausgefüllt wird – vor dem Hintergrund von Art. 288 Abs. 3 AEUV bereits für sich gesehen eine durchaus bemerkenswerte Konstruktion! Das GwG selbst enthält der Sache nach einen präventiv ausgerichteten Vorschriftenkomplex, der einer unerwartet

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Doch alles der Reihe nach. Zuallererst einmal: Wo wird der Begriff „PEP“ eigentlich relevant?

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Die Antwort auf diese Frage ist mit einem Blick in das Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straf-

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Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder. BGBl. I 2008, 1690, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.04.2016 (BGBl. I, S. 720); der Archetypus des GwG datiert vom 25.10.1993 (BGBl. I 1993, 1770). Siehe unter B.I.1.

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großen Zahl privatwirtschaftlicher sog. Verpflichteter3 mit Blick auf deren Kunden bzw. Mandanten4 eine „allgemeine Geldwäscheverhütungspflicht“5 auferlegt, welche sich in den einzelnen GwG-Vorschiften in Identifizierungs-, Recherche-, Überwachungs-, Dokumentations- und Meldepflichten auffächert. Ziel dieses „Know your customer-Ansatzes“6 ist es, durch die Indienstnahme Privater das Nachvollziehen illegaler Vermögenstransaktionen im Rahmen eines „einheitlichen Fahndungskonzepts“ zur Bekämpfung von Geldwäsche (§ 261 StGB) und Terrorismusfinanzierung (§ 1 Abs. 2 GwG) zu erleichtern.7 Dies wiederum soll – so zumindest die Theorie – in Verbindung mit entsprechenden Ermittlungserfolgen seinerseits abschreckende Wirkungen zeitigen.

Die verschärften Vorgaben der 4. EU-Geldwäscherichtlinie (Umsetzungsfrist: 26.06.2017)18 werden erhebliche Anpassungen des deutschen Geldwäschepräventionsrechts nach sich ziehen, d.h. insbesondere eine Ergänzung bzw. Neuordnung des GwG erforderlich machen.19 Speziell auf die Frage der Klassifizierung von Bundesrichtern als „PEP“ hat dies jedoch keine Auswirkungen. In Art. 3 Nr. 9 RL (EU) 2015/849 wird der Begriff der „PEP“ lediglich erstmals von einer bloßen Durchführungsbestimmung zu einem eigenen Bestandteil der Geldwäscherichtlinie (und damit künftig wohl auch des GwG n.F.) aufgewertet. Außerdem erfährt er eine Erweiterung um „Mitglieder der Führungsgremien politischer Parteien“ und – im Richtlinientext näher umgrenzte – hohe Funktionsträger bei internationalen Organisationen (vgl. Art. 3 Nr. 9 Buchst. c) und h) RL (EU) 2015/849).

B. Die „PEP“-Klassifizierung im Einzelnen I. Justizkorruption vs. Geldwäschestrafbarkeit 1. Die 3. und 4. EU-Geldwäsche-Richtlinie Die aktuell geltenden Regelungen des GwG – also insbesondere auch § 6 GwG – lassen sich im Wesentlichen auf die Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung8 (3. EU-Geldwäscherichtlinie) zurückführen.9 Flankierend dazu hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Richtlinie 2006/70/EG vom 01.08.200610 Durchführungsbestimmungen u.a. „hinsichtlich der Begriffsbestimmung von politisch exponierten Personen“ festgelegt. Beide Richtlinien sind auf Empfehlungen der im Jahr 1989 gegründeten, an die OECD11 angegliederten Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF)12 und des Basel Comittee on Banking Supervision13 zurückzuführen und zielen in erster Linie darauf ab, korruptives Verhalten mit den Mitteln der Geldwäschebekämpfung aufzuspüren bzw. diesem entgegenzuwirken.14 Dementsprechend fußt auch die Schaffung des Instituts der „PEP“ auf dem übergeordneten Ziel der Korruptionsbekämpfung, wobei sich die FATF aufgrund von „Erfahrungen mit dem Umfang, den Korruptionsgeflechte annehmen können“, zu der Empfehlung veranlasst gesehen hat, u.a. auch hohe Justizbeamte in der Kreis der „PEP“ miteinzubeziehen (sog. Justizkorruption).15 In der Zwischenzeit ist aufgrund von Modifizierungen der FATF-Empfehlungen und einer umfänglichen Evaluation des Umsetzungsprozesses in den einzelnen Mitgliedsstaaten eine 4. EU-Geldwäscherichtlinie – die Richtlinie (EU) 2015/849 – geschaffen und ab 25.06.201516 in Kraft gesetzt worden.17 Bei den Richtlinien 2005/60/EG und 2006/70/EG handelt es sich demnach um auslaufendes Recht. Sie werden gem. Art. 66 Abs. 1 RL (EU) 2015/849 mit Wirkung vom 26.06.2017 aufgehoben.

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2. Geldwäschebekämpfung als strafprozessualer „Türöffner“ Eine der, wenn nicht gar die primäre(n) Stoßrichtung(en) der EU-Geldwäscherichtlinien – das Aufspüren von korruptivem Verhalten mit den Mitteln der Geldwäschebekämpfung (s.o.) – ist an den Maßstäben des deutschen Strafrechts gemessen nur bedingt überzeugend.20 Zwar sind die schwer-

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Vgl. § 2 GwG: u.a. Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, Rechtsanwälte, Steuerberater, Immobilienmakler sowie sämtliche „Personen, die gewerblich mit Gütern handeln“; siehe zu den beiden letztgenannten Gruppen aktuell Wilkens, WiJ 2016, 71 (online unter http://www.wi-j.de/; alle URLs – d.h. auch im Folgenden – zuletzt abgerufen am 22.06.2016). Siehe dazu EGMR, Urt. v. 26.06.2007 - C-305/05; weiterführend Hamacher, wistra 2012, 136. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 8a. Herzog/Hoch, WM 2007, 1997, 1998. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 8. ABl. EU Nr. L 309, S. 15. Vgl. BT-Drs. 16/9038; siehe ferner Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 1, 8 m.w.N. zur 1. und 2. EU-AntiGeldwäscherichtlinie. ABl. L 214 vom 04.08.2006, S. 29. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Siehe die Kurzzusammenfassung unter http://www.bafin.de/DE/Internationales/GlobaleZusammenarbeit/FATF/fatf_node.html sowie den eigenen Internetauftritt der FATF unter http://www.fatf-gafi.org/. Internetauftritt unter https://www.bis.org/bcbs/. Vgl. Herzog/Hoch, WM 2007, 1997. Herzog/Hoch, WM 2007, 1997, 1998. Vgl. Art. 68 RL (EU) 2015/849. ABl. L 141 vom 05.06.2015, S. 73. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 RL (EU) 2015/849. Siehe dazu z.B. v. Drathen, WPg 2015, 1242; Kunz/Schirmer, BB 2015, 2435; Krais, CCZ 2015, 251. Abweichend, allerdings unter globalen Vorzeichen Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 21 ff.

JM 8/9 wiegend(st)en Amtsträgerdelikte der Bestechlichkeit und der Bestechung (§§ 332, 334 StGB) in den Vortatenkatalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB inkludiert. Das Sonderdelikt der Richterbestechlichkeit (§ 332 Abs. 2 StGB) wird als Verbrechenstatbestand21 zudem bereits von § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB erfasst. Im Übrigen deckt § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) StGB aber nur die weiteren Vergehen nach §§ 332, 334 StGB ab. Bislang nicht in den Geldwäscheparagrafen miteinbezogen sind dagegen – trotz der immer uferloseren Ausdehnung des Vortatenkatalogs22 – die konkret auch den richterlichen Tätigkeitsbereich adressierenden Straftatbestände der Vorteilsnahme und der Vorteilsgewährung (vgl. § 331 Abs. 2, § 333 Abs. 2 StGB).23 Zu diesem lückenhaften Schutzbereich tritt hinzu, dass sich die an der jeweiligen Vortat (d.h. dem Korruptionsdelikt) unmittelbar Beteiligten gem. § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB grds. nicht selbst wegen Geldwäsche strafbar machen können (persönlicher Strafausschließungsgrund).24 Dies ist konsequent, weil die Geldwäsche als sog. Anschlussdelikt konzipiert ist, durch das straftatverstrickte Gelder verkehrsunfähig gemacht werden sollen. Davon sind Fälle der (straflosen) Selbstbegünstigung nicht erfasst. Folglich können sich nur außerhalb der unmittelbaren Korruptionsbeziehung stehende Personen wegen Geldwäsche strafbar machen.25 Ob bzw. inwieweit dies zwar noch gutgläubige, indes bereits leichtfertig i.S.v. § 261 Abs. 5 StGB handelnde Akteure auf Bankenseite sogar schon bei schlichten Überweisungen betreffen kann, ist umstritten.26 Folglich dient § 261 StGB gerade auch im Bereich potenzieller Justizkorruption als „funktionaler Türöffner“27 für strafprozessuale Maßnahmen, was vor allem dann augenscheinlich wird, wenn man bedenkt, dass die Geldwäsche u.a. in § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. m) StPO ihrerseits als taugliche Vortat für die Initiierung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen aufgeführt ist. II. Wer ist aktuell „PEP“? Anknüpfungspunkt für die „PEP“-Definition ist bis dato der von § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 GwG zunächst in Bezug genommene Art. 3 Nr. 8 RL 2005/60/EG. Danach sind „PEP“ „diejenigen natürlichen Personen, die wichtige öffentliche Ämter ausüben oder ausgeübt haben[28], und deren unmittelbare Familienmitglieder oder ihnen bekanntermaßen nahe stehende Personen“. In Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) RL 2006/70/EG wird dies im Hinblick auf die unbestimmte Umschreibung „natürliche Personen, die wichtige öffentliche Ämter ausüben oder ausgeübt haben“ für den Bereich Judikative auf folgende Legaldefinition heruntergebrochen: „Mitglieder von obersten Gerichten, Verfassungsgerichten oder sonstigen hochrangigen Institutionen der Justiz,

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gegen deren Entscheidungen, von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, kein Rechtsmittel eingelegt werden kann“. Dies hat der Richtliniengeber für die Zukunft in Art. 3 Nr. 9 RL (EU) 2015/849 wortlautidentisch übernommen. Zu beachten ist allerdings, dass die „PEP“-Definition der 4. EUGeldwäscherichtlinie – anders als bisher – nunmehr einen als Öffnungsklausel zu verstehenden Zusatz „unter anderem“ enthält. Dass Bundesrichterinnen und -richter29 hiervon erfasst sind, steht außer Frage. Bei ihnen handelt es sich offenkundig um „Mitglieder von obersten Gerichten [...] gegen deren Entscheidungen, von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, kein Rechtsmittel eingelegt werden kann“30 – und da-

21 Vgl. § 12 Abs. 1 StGB; dies gilt gem. § 12 Abs. 3 StGB auch für die in § 332 Abs. 2 Satz 2 StGB geregelten minder schweren Fälle. 22 Vgl. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 1c f. 23 Vgl. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 21; die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§§ 299 ff. StGB) ist zwischenzeitlich in § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a) StGB aufgenommen worden. Damit ist sie zumindest in Fällen gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung geldwäschetauglich. 24 Vgl. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 73 ff. Siehe aber die zwischenzeitlich neu eingefügte Rückausnahmeklausel in § 261 Abs. 9 Satz 3 StGB. 25 Siehe dazu Erwägungsgrund 33 der RL (EU) 2015/849: „Die Anforderungen betreffend politisch exponierter Personen sind präventiver, nicht strafrechtlicher, Art und sollten nicht als Stigmatisierung politisch exponierter Personen in dem Sinne ausgelegt werden, als wären diese als solche an strafbaren Handlungen beteiligt. Die Ablehnung einer Geschäftsbeziehung zu einer Person, die sich lediglich auf die Feststellung stützt, dass es sich um eine politisch exponierte Person handelt, läuft den Buchstaben und dem Geist dieser Richtlinie und der überarbeiteten FATF-Empfehlungen zuwider.“. 26 Die h.M. hält dies für möglich, vgl. Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 47 f. 27 Jahn in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 261 Rn. 1d, 2. 28 Art. 2 Abs. 4 RL 2006/70/EG lässt den Status als „PEP“ für Pensionäre nach Ausscheiden aus dem Amt ein Jahr lang nachwirken („seit mindestens einem Jahr“; ebenso Art. 22 RL (EU) 2015/849: „12 Monate“, jedoch mit Öffnungsklausel: „so lange angemessene und risikoorientierte Maßnahmen ..., bis davon auszugehen ist, dass diese Person kein Risiko mehr darstellt, das spezifisch für politisch exponierte Personen ist“); siehe dazu auch Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 11 a.E. 29 I.S.v. Art. 95, nicht Art. 96 GG. 30 Für den deutschen Rechtsraum sollen bislang nur Funktionen auf Bundesebene erfasst sein, mit der Folge, dass etwa Richterinnen und Richter an den Oberlandesgerichten nicht als „PEP“ einzustufen sind (vgl. Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 5, 8; Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 148). Demgegenüber könnte man bspw. den Generalbundesanwalt und die Bundesanwälte (§ 148 GVG) unter „Mitglieder von ... sonstigen hochrangigen Institutionen der Justiz“ fassen.

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mit von der durch das GwG prädisponierten Warte des „Verpflichteten“ aus betrachtet um „Hochrisikokunden“.31 Damit ist die „PEP“-Definition aber noch nicht zu Ende. Aufgrund der in Art. 3 Nr. 8 RL 2005/60/EG installierten und in § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 GwG übernommenen „Clanklausel“32 sind außerdem die „unmittelbaren Familienmitglieder“ der genannten Richterinnen und Richter ihrerseits – im Sinne einer „Abfärbewirkung“ – in den Kreis derjenigen Personen miteinbezogen, hinsichtlich derer die nach dem GwG „Verpflichteten“ besondere Sorgfaltspflichten erfüllen müssen.33 Art. 2 Abs. 2 RL 2006/70/EG „grenzt“ diesen Personenkreis auf den „Ehepartner“ bzw. „Partner, der nach einzelstaatlichem Recht dem Ehepartner gleichgestellt ist“, die „Kinder und deren Ehepartner oder Partner“ sowie die „Eltern“ näher ein. Diese durchaus erhebliche Reichweite des „PEP“-Instituts auf familiärer Ebene erfährt durch die Hinzunahme auch noch derjenigen Personen, die der jeweiligen Richterin bzw. dem jeweiligen Richter (nicht: den unmittelbaren Familienmitgliedern) „bekanntermaßen nahe stehen“, nochmals eine erhebliche Ausweitung. Die Durchführungsbestimmungen (Art. 2 Abs. 3 RL 2006/70/EG) konkretisieren auch dieses – im engeren Sinne geschäftliche – Umfeld, und zwar auf „a) jede natürliche Person, die bekanntermaßen mit einer unter Absatz 1 fallenden Person gemeinsame wirtschaftliche Eigentümerin von Rechtspersonen und Rechtsvereinbarungen ist oder sonstige enge Geschäftsbeziehungen zu dieser Person unterhält“

ten“ sind danach durchweg, d.h. im Verhältnis zu jedermann, sog. allgemeine Sorgfaltsanforderungen in Form von Identifizierungs-, Ermittlungs- und Überwachungspflichten einzuhalten (im Einzelnen: § 3 Abs. 1 GwG). Dies gilt gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 GwG u.a. bei der „Begründung einer Geschäftsbeziehung“ (Nr. 1 GwG), Einzeltransaktionen „außerhalb einer bestehenden Geschäftsbeziehung“ ab (ggf. in summa) 15.000 € (Nr. 2)35 oder Auffälligkeiten („Tatsachen“), die darauf hindeuten, dass es sich bei den mit einer Transaktion oder Geschäftsbeziehung im Zusammenhang stehenden Vermögenswerten um den Gegenstand einer Straftat „nach“36 § 261 StGB handelt oder die Vermögenswerte im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung stehen. Diese allgemeinen Sorgfaltspflichten sind unter bestimmten Voraussetzungen herabgesetzt (§ 5 GwG – „vereinfachte Sorgfaltspflichten“) oder erfahren weitere Verschärfungen (§ 6 GwG – „verstärkte Sorgfaltspflichten“ u.a. bei Beteiligung von „PEPs“). Sie lösen allesamt Aufbewahrungs- und Aufzeichnungspflichten (§ 8 GwG) aus, die über die Regelungen bspw. der §§ 238 ff. HGB hinausgehen, und können – als gleichsam höchste „Eskalationsstufe“ im Verhältnis zum Kunden bzw. Mandanten37 – in die Erstattung einer sog. Geldwäscheverdachtsanzeige an die Strafverfolgungsbehörden münden (§ 11 GwG).38,39 Die auch in Bezug auf Bundesrichterinnen und -richter bzw. deren persönliches und geschäftliches Umfeld (s.o.) eingreifenden verstärkten Sorgfaltspflichten lassen sich wie folgt skizzieren:

und „b) jede natürliche Person, die alleinige wirtschaftliche Eigentümerin einer Rechtsperson oder Rechtsvereinbarung ist, die bekanntermaßen tatsächlich zum Nutzen der in Absatz 1 genannten Person errichtet wurde.“ Diesen sehr weiten Anwendungsrahmen übernimmt die 4. EU-Geldwäscherichtlinie in Art. 3 Nr. 10, 11 RL (EU) 2015/849 unverändert. III. Folgen der Einstufung als „PEP“ nach geltendem Recht 1. Auf Seiten der „Verpflichteten“ Dem präventiven Ansatz des GwG ist es immanent, dass es für die von ihm in die Pflicht genommenen Privaten (vgl. § 2 GwG) „Sorgfaltspflichten und interne Sicherungsmaßnahmen“ – also eine Art „Compliance-Regime“ – in Bezug auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorschreibt. Dies ist für sämtliche „Verpflichtete“ im Abschnitt 2 des GwG (§§ 3–9) geschehen.34 Von den „Verpflichte-

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31 Herzog in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, Kap. 13, Rn. 41; siehe ergänzend B.III.1.b. 32 Herzog/Hoch, WM 2007, 1997, 1998. 33 Siehe unter B.III.1. 34 Der nachträglich eingefügte Abschnitt 2a (§§ 9a–9d GwG) enthält spezielle „Vorschriften für das Glücksspiel im Internet“. 35 Siehe dazu künftig Art. 11 RL (EU) 2015/849. Der Schwellenwert bei der Überwachung des grenzüberschreitenden Bargeldverkehrs liegt indes bei 10.000 €, vgl. § 12a Abs. 2 Satz 1 ZollVG. 36 Da davon denklogisch auch die sog. Vortaten umfasst sind, müsste eigentlich klarstellend formuliert werden: „nach § 261 StGB oder § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB“; ablehnend Warius in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 3 GwG Rn. 85. 37 Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht bzw. der Schweigepflicht des Steuerberaters (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist gem. § 11 GwG gerechtfertigt; die Bedeutung von § 13 Abs. 1 GwG in diesem Kontext ist umstritten (siehe zum Ganzen Häberle in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 13 GwG Rn. 2, 207. EL März 2016). 38 Siehe z.B. die Parallelregelung in § 31b AO; zum Spannungsverhältnis mit dem automatisierten steuerlichen Informationsaustausch siehe Seer/Wilms, StuW 2015, 118. 39 Im Einzelnen Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 237 ff.

JM 8/9 a. Identifizierung der „PEP“ Der „Verpflichtete“ (z.B. ein in dessen Auftrag handelnder Bankmitarbeiter) muss naturgemäß zuerst die „PEP“-Eigenschaft des jeweiligen Geschäftspartners feststellen. Hierzu muss er personenbezogene Informationen zu dessen beruflicher Tätigkeit erheben, was bei entsprechendem Anlass i.d.R. mittels sog. Customer Due Diligence-Fragebögen40 geschieht. Die darin gemachten Angaben können ggf. bzw. sollen nötigenfalls anhand öffentlich verfügbarer Informationen verprobt werden.41 Hinsichtlich der unmittelbaren Familienmitglieder der „PEP“ und der ihr „bekanntermaßen nahe stehenden Personen“ scheitert die Anwendung der verstärkten Sorgfaltspflichten in der Praxis erfahrungsgemäß regelmäßig schon auf dieser ersten Stufe.42 Eine flächendeckende und ausnahmslose Anwendung der genannten Fragebögen ist bis dato nicht zu beobachten. b. Zustimmungs-/Genehmigungserfordernis Ist von einer Einstufung als „PEP“ im weiteren Sinne (s.o.) auszugehen, bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 Buchst. a) GwG, dass die Begründung einer entsprechenden Geschäftsbeziehung der Zustimmung eines „vorgesetzten Mitarbeiters“ bedarf. Dasselbe gilt für die Fortführung der Geschäftsbeziehung, wenn die „PEP“-Eigenschaft erst in deren Verlauf begründet oder bekannt wird (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5 GwG). Sinn und Zweck dieser „Opt-out“-Möglichkeit ist es, dem „Verpflichteten“ zur Abschätzung etwaiger künftiger „Reputations- und Rechtsrisiken“43 eine ausreichende Bedenkzeit einzuräumen, die bspw. für die Durchführung eines sog. PEP-Risiko-Ratings genutzt werden kann.44

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Einsatz von sog. Risikoparametern,45 wobei die „verstärkte“ Überwachung einer „PEP“ – ganz im Sinne eines „gläsernen Kunden“46 – dadurch zum Ausdruck kommt, dass „Konten und Transaktionen ganz überwiegend noch einmal manuell geprüft werden müssen“.47 Schlagen die jeweiligen Geldwäsche- bzw. Terrorismusmarker an, ist fraglich, ob der Sachverhalt durch Rückfrage bei der „PEP“ geklärt werden darf. Dem steht a priori § 12 Abs. 1 Satz 1 GwG entgegen. Richtigerweise wird hier eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts durch den jeweiligen „Verpflichteten“ dahin gehend Platz greifen müssen, ob tatsächlich eine Meldung nach § 11 GwG angezeigt ist.48 Der Verstoß gegen § 12 GwG stellt grds. eine Ordnungswidrigkeit nach § 17 Abs. 1 Nr. 15 GwG dar, kann sich allerdings auch zu einem (gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG vorrangig zu verfolgenden) Vergehen nach § 258 Abs. 1 StGB auswachsen49 sowie auch die Konsequenzen aus §§ 30, 130 OWiG nach sich ziehen. 2. Auf Seiten der „PEP“ Zwar richtet sich das GwG vorrangig an die von ihm „Verpflichteten“. Allerdings hat auch der Normgeber erkannt, dass es durchaus einer gewissen Mitwirkung des Betroffenen bedarf, um den Pflichten nach dem GwG umfassend Rechnung tragen zu können. Aus diesem Grund bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 GwG, dass der Vertragspartner dem „Verpflichteten“ die für die „PEP“-Abklärung notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen und die sich im Laufe der Geschäftsbeziehung ergebenden Änderungen unverzüglich anzuzeigen hat.

c. Laufendes Geldwäsche-/Terrorismus-Monitoring Geht der „Verpflichtete“ mit der „PEP“ oder einer Person aus ihrem persönlichen oder geschäftlichen Umfeld (s.o.) eine Geschäftsbeziehung ein, hält ihn § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 Buchst. b) GwG dazu an, „angemessene Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Herkunft der Vermögenswerte bestimmt werden kann, die im Rahmen der Geschäftsbeziehung oder der Transaktion eingesetzt werden“. Bereits dies erfordert – wie auch schon in § 3 Abs. 1 Nr. 4 GwG vorgesehen – die laufende Überwachung der jeweiligen Geschäftsbeziehung unter dem Blickwinkel der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Dass das GwG in § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 Buchst. c) darüber hinaus fordert, „die Geschäftsbeziehung ... einer verstärkten kontinuierlichen Überwachung zu unterziehen“, unterstreicht die konzeptionelle Intention des Normgebers, die augenscheinlich in einer möglichst lückenlosen Überwachung des gesamten Vermögensverkehrs besteht. Erstzunehmende datenschutzrechtliche Abwehrpositionen gegen diesen „BigBrother-Approach“ sucht man vergebens. Seine Umsetzung erfolgt in der Bankenpraxis durchgehend EDV-basiert unter

40 Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 14. Siehe z.B. das Formular der Investitionsbank Berlin unter https://www.ibb.de/ portaldata/1/resources/content/download/wifoe/pep_r.pdf. 41 Vgl. Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 13 f.; Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 161 f. 42 Zustimmend Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 13: „lückenlose Feststellung [...] kaum denkbar“. 43 Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 153. 44 Zu den Einzelheiten Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 19; Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 195 f. und zur Frage eines aus Antidiskriminierungsgründen bestehenden Kontrahierungszwangs siehe S. 191 ff. 45 En détail Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 24. 46 Vgl. Herzog in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, Kap. 13, Rn. 41. 47 Herzog in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, Kap. 13, Rn. 44. 48 Wie hier Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 201 f. 49 Herzog/Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 12 GwG Rn. 2.

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Die Monatszeitschrift

Das mag auf den ersten Blick „harmlos“ anmuten. Denn der Pflicht zur Auskunftserteilung über den beruflichen Status u.a. ließe sich – falls überhaupt danach gefragt würde – vergleichsweise einfach aus dem Weg gehen, indem schlicht keine Geschäftsbeziehung mit diesem „Verpflichteten“ aufgenommen wird (der Fall bewusst unwahrer Angaben durch die „PEP“ soll hier ausgespart bleiben).50 Allerdings normiert § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 GwG zusätzlich eine Pflicht zur „unverzüglichen“ Anzeige der „sich im Laufe der Geschäftsbeziehung ergebenden Änderungen“. Wie dies mit Blick auf eine während laufender Geschäftsbeziehung erfolgte Ernennung zur Richterin bzw. zum Richter an einem Obersten Bundesgericht zu verstehen ist, ist unklar. Nach der Ratio des „PEP“-Instituts ließe sich möglicherweise vertreten, der „frischgebackene“ Bundesrichter müsse diese Statusänderung von sich aus bei allen mit ihm in Geschäftsbeziehung stehenden „Verpflichteten“ i.S.v. § 2 GwG anzeigen. Dem ist jedoch der Wortlaut der Vorschrift als äußerste Grenze der Auslegung entgegenzuhalten. Denn der zweite Halbsatz von § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 GwG – „die sich im Laufe der Geschäftsbeziehung ergebenden Änderungen“ – bezieht sich erkennbar nur auf die Wendung „die für die Abklärung notwendigen Informationen“ im ersten Halbsatz. Folglich bedarf es einer Änderungsanzeige nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 GwG allein dann, wenn der „PEP“-Status vor der Ernennung zur Richterin bzw. zum Richter an einem Obersten Bundesgericht durch den jeweiligen „Verpflichteten“ abgefragt wurde und dies dem Betroffenen auch zur Kenntnis gelangt ist.51 Verstöße gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 GwG sind auf Seiten der „PEP“ nicht sanktioniert. Sie stellen insbesondere keine Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 17 GwG dar. C. Resümee Das Institut der „PEP“ wirkt mit etwas Abstand betrachtet, d.h. insbesondere unter Ausblendung der mit dem „schneidig“ klingenden Ziel der Bekämpfung der Geldwäsche bzw. Terrorismusfinanzierung verbundenen Verve, insgesamt eher schillernd. Es trägt nach wie vor Züge eines Fremdkörpers in der geltenden Rechtsordnung. Seine supranationalen Einflüsse einschließlich der damit verbundenen Umsetzungshindernisse sind unverkennbar. Die faktische Umfunktionierung Privater (z.B. Immobilienmakler52) zu staatlichen Ermittlungsgehilfen in zum Teil nachrichtendienstähnlichem Umfang fordert die Kollision mit dem nationalen Verfassungsrecht (insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung)53 bzw. den europäischen Grundfreiheiten und Diskriminierungsverboten54 geradezu heraus. Dieses Spannungsverhältnis betrifft allem voran die anlasslose Einbeziehung von unmittelbaren Familienangehörigen der „PEP“ in den Anwendungsbereich von § 6

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GwG. Von der praktischen Bedeutung des Instituts legt im Übrigen die vergleichsweise geringe Anzahl „PEP“-spezifischer Verdachts-(!)Meldungen ein beredtes Zeugnis ab.55 Vor diesem Hintergrund kommt die jüngste Entscheidung des EuGH56 zur 3. EU-Geldwäscherichtlinie während des Entstehungsprozesses eines abermals zu verschärfenden GwG nicht zur Unzeit. Mit ihr hat das Gericht die zentralen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit als Gegengewichte zu den inzwischen nicht nur bei der Geldwäschebekämpfung immer mehr Platz greifenden präventiven Speicherungs-57 und Überwachungstendenzen58 wieder etwas mehr in den Fokus gerückt. Aber auch dies ändert freilich nichts an den genannten, ganz grundsätzlichen Bedenken.

50 In diesem Fall läge zwar keine Ordnungswidrigkeit nach § 17 GwG vor, weil sich diese Vorschrift nur an die „Verpflichteten“ wendet. Allerdings ist bei einem nachträglichen Erkennen der bewussten Verschleierung der „PEP“-Eigenschaft nicht nur mit der Kündigung der Geschäftsbeziehung (vgl. z.B. Nr. 19 AGB-Banken bzw. Nr. 26 AGBSparkassen), sondern auch mit einem verstärkten Interesse staatlicher Ermittlungsbehörden zu rechnen. 51 Zu den kommerziellen Anbietern sog. „PEP“-Listen, die ihre Informationen u.a. aus dem Internet beziehen und zum Teil täglich aktualisieren sollen, siehe Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 16; Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 41 f., 163 f., 183 f.; zum – hier beispielhaft angeführten – „WorldComplianceTM Online Serach Tool“ des Anbieters LexisNexis siehe http://www.lexisnexis.com/risk/intl/de/ worldcompliance-online-search.aspx. 52 Siehe dazu Wilkens, WiJ 2016, 71, 76 ff. (online unter http://www.wi-j. de/). 53 Vgl. z.B. Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 210 ff., 278 ff.; Herzog/Hoch, WM 2007, 1997, 2000 ff.; Herzog in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, Kap. 13, Rn. 41 („Eingriffsrechtfertigung [...] ist nicht grenzenlos“). 54 Vgl. Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 26; Achtelik, Politisch exponierte Personen in der Geldwäschebekämpfung, Diss., 2009, S. 119 ff. 55 Siehe Achtelik in: Herzog, GwG, 2. Aufl. 2014, § 6 GwG Rn. 27: 2006: 3; 2007: 11; 2008: 7; 2009: 6; 2010: 13; 2011: 45. 56 EuGH, Urt. v. 10.03.2016 - C-235/14 Rn. 93 und 105 ff. 57 Man denke nur an die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in §§ 113a ff. TKG i.V.m. § 150 Abs. 13 TKG („spätestens ab dem 01.07.2017“) durch das – ebenfalls auf dem Prinzip der Indienstnahme Privater beruhende – Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.2015 (BGBl. I 2015, 2218); zusammenfassend Roßnagel, NJW 2016, 533. 58 Zum sog. INDECT-Projekt („Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment“) siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/INDECT.

BÜCHERSCHAU

Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB V Herausgegeben v. Prof. Dr. Rainer Schlegel, Prof. Dr. Thomas Voelzke (GesHrsg), Dr. Klaus Engelmann, Prof. Dr. Rainer Schlegel (BandHrsg) juris, 3. Aufl. 2016, 2 Bände, 4.608 Seiten, gebunden, 179,00 € inkl. 12 Monate OnlineZugang, ISBN 978-3-86330-090-6 RA u. FA für Verw.- u. Medizinrecht Dr. Reimar Buchner Der von Klaus Engelmann und Rainer Schlegel herausgegebene jurisPK zum SGB V gehört seit dem Erscheinen der 1. Auflage im Jahr 2008 zu den Standardkommentaren zum SGB V. Die nunmehr in 3. Auflage erschienene Druckfassung nimmt zwei Bände ein und bringt die Kommentierung auf den Stand 31.12.2015. Auf nunmehr 4.552 Seiten stellen insgesamt 56 Autoren, die überwiegend Praktiker aus allen Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit sowie aus Verbänden und der Anwaltschaft sind, umfassend die Auslegung des SGB V dar. Der enorme Umfang ist nicht etwa ausschweifenden Ausführungen geschuldet, sondern entspricht der immer weiter zunehmenden Bedeutung der Absicherung gegen Krankheitsrisiken durch die gesetzliche Krankenversicherung, die ein jährliches Ausgabenvolumen von zuletzt rund 300 Mrd. € (2015) erreicht hat. Entscheidend zum gewachsenen Umfang trägt aber vor allem der Bundesgesetzgeber bei, der allein im Jahr 2015 mit dem Krankenhausstrukturgesetz, dem E-Health-Gesetz, dem Hospiz- und Palliativgesetz, dem Präventionsgesetz und schließlich dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz zahlreiche und teilweise grundlegende Änderungen im SGB V vorgenommen hat. Die Kommentierungen sind grds. einheitlich aufgebaut, indem zunächst Basisinformationen zur Entstehungsgeschichte, Parallelregelungen und Zusammenhängen gegeben werden und anschließend die eigentliche Kommentierung unter der Überschrift „Auslegung der Norm“ folgt. Auch nach Wechseln in der Autorenschaft sind die Erläuterungen aktuell, fundiert und bieten stets weiterführende Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur. Beispielhaft zu nennen sind etwa die profunde Darstellung der §§ 106 – 106b SGB V durch Clemens, die im Hinblick auf zahlreiche Vergütungsstreitigkeiten hochaktuelle Darstellung der §§ 111 und 111b SGB V von Wahl, die deutlich vertiefte Kommentierung der §§ 89 ff. SGB V durch Wiegand, aber auch die Kommentierungen praktisch seltener relevanter Vorschriften wie etwa des § 171d SGBV durch Krasney, zu denen der interessierte Leser in manch anderen Werken nur den unkommentierten Gesetzeswortlaut vorfindet. Mit dem Erwerb der Druckfassung verbunden ist die Berechtigung zur Nutzung der Online-Version für zwölf Monate. Angesichts der unveränderten hohen Aktivität des Gesetzgebers im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht ist die Onlinekommentierung aufgrund der fortlaufenden Aktualisierung mit einem erheblichen Zusatznutzen verbunden, der mit zunehmendem Ab-

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stand zur Drucklegung der gebundenen Ausgabe wächst. Die Online-Kommentierung bietet aufgrund der Verlinkung zu Rechtsprechung sowie im Angebot der juris GmbH enthaltener Literatur auch praktische Gebrauchsvorteile und ermöglicht eine schnelle und vertiefte Quellenrecherche. Nach mehreren Wochen täglicher Nutzung ist festzustellen, dass der jurisPK nach Aktualität, Umfang und Qualität eine führende Stellung unter den Kommentierungen zum SGB V einnimmt. Er ist als unverzichtbare Arbeitshilfe uneingeschränkt allen zu empfehlen, die sich mit dem SGB V zu befassen haben.

Moritz/Jesch, Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht – Band 2: InvStG Herausgegeben v. Joachim Moritz, Dr. Thomas A. Jesch Deutscher Fachverlag, 2015, 1.286 Seiten, gebunden, 289,00 €, ISBN 978-3-8005-1581-3 RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth Mit der gesetzlichen Neuregelung des Kapitalanlagerechts durch das KAGB, das Gegenstand des ersten Bands des Frankfurter Kommentars zum Kapitalanlagerecht ist, wurde eine Neuregelung der Besteuerung von Investmentprodukten erforderlich. Dies gelang nur mit Schwierigkeiten. Erst am 24.12.2013 trat eine grundlegende Neufassung des InvStG in Kraft. Der zweite Band des Frankfurter Kommentars zum Kapitalanlagerecht bietet praxisorientiert Antworten zu allen relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit der Besteuerung von ausländischen und inländischen Investmentfonds und deren privaten und betrieblichen Anlegern. Er richtet sich an Fondsvertriebsgesellschaften, Banken, Versicherungen, Finanzdienstleistungsunternehmen, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Für eine vertiefte Analyse der Problemstellungen garantieren Autoren aus der Richterschaft und der Finanzverwaltung, sowie Anwälte und Steuerberater, die die wissenschaftliche Diskussion des Investmentsteuerrechts federführend begleiten. Der Kommentar hat im Abschnitt 1 die gemeinsamen Regelungen und in Abschnitt 2 und 3 die Sonderregelungen für die Besteuerung inländischer und ausländischer Investmentfonds und deren Anteilseigner zum Gegenstand. Abschnitt 4 befasst sich mit den gemeinsamen Regelungen für inländische und ausländische Investitionsgesellschaften und Abschnitt 5 mit den Anwendungs- und Übergangsvorschriften zur gesetzlichen Neuregelung des InvStG. Insgesamt ist das Werk aufgrund seiner detaillierten Aufarbeitung der Neuregelung der Besteuerung von Investmentfonds uneingeschränkt zu empfehlen. Dies gilt auch für die beiden weiteren Bände des Gesamtwerks zum KAGB (Band1) und zum Recht der Assetklassen (Band 3).

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Die Monatszeitschrift

DIE AUTOREN

Dr. Petra Pheiler-Cox

Dr. Bernd Heuermann

Richterin am Amtsgericht Seit 2001 Richterin im OLG-Bezirk Hamm. 2007 Promotion zum Thema „Präzisierung des § 1381 BGB“. Familienrichterin seit 2008, zunächst am AG Dülmen, seit 2010 am AG Münster. 2010 Qualifizierung zur richterlichen Mediatorin, seither Tätigkeit als richterliche Mediatorin in Zivilsachen, seit Januar 2013 Güterichterin für Familiensachen. Mitarbeit in der Verantwortungsgemeinschaft zum Wohl des Kindes in Münster.

Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof Herr Dr. Heuermann leitet den vornehmlich für Umsatzsteuer zuständigen V. Senat des BFH. Seit 2001 Bundesrichter, zunächst im für Ertragssteuerrecht zuständigen IX. Senat. Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft. Mitherausgeber und Autor des Blümich, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG. Erstverfasser und Autor im Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur AO, FGO. Vielfältige Veröffentlichungen in den Bereichen Steuer-, Gesellschafts- und Verfassungsrecht.

Dr. Norbert Schwab Dr. Markus Ebner, LL.M. Präsident des Landesarbeitsgerichts a.D. Staatsanwalt Dr. Schwab war nach dem Studium der Rechtswissenschaften zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter beim LArbG Mainz. 1978 wurde er Richter beim ArbG Mainz. 1986 wechselte er zum LArbG Mainz und war dort ab 1988 in der Funktion als Vorsitzender Richter, ab 1998 als Vizepräsident und von 2006 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2012 als Präsident tätig. Seitdem Vorsitzender des interdiözesanen Kirchlichen Arbeitsgerichts mit Sitz in Mainz. Herr Dr. Schwab promovierte zum Thema „Die Berufung im arbeitsgerichtlichen Verfahren“ und ist (Mit-)Autor und (Mit-)Herausgeber zahlreicher arbeitsrechtlicher Veröffentlichungen.

Jutta Siefert Richterin am Bundessozialgericht Jutta Siefert ist seit 2012 als Richterin am BSG tätig und dem 7. und 8. Senat (Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsrecht) zugewiesen. Zuvor war sie am LSG Stuttgart im Schwerpunkt mit Fragen des Unfallversicherungsrechts befasst, die sie auch in ihrer Tätigkeit als Mitautorin eines Handbuchs weiter beschäftigen. Veröffentlichungen im Arbeitsförderungsrecht, der Sozialhilfe, dem Sozialverwaltungsverfahrensrecht und dem SGB I runden ihre wissenschaftliche Arbeit ab, die durch Vortragstätigkeiten insbesondere zur Sozialhilfe und dem AsylbLG ergänzt wird.

Prof. Dr. Uwe Berlit Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Seit 2002 Richter am BVerwG, seit 2011 dort Vorsitzender Richter zunächst des 10. und derzeit des 1. Revisionssenats (u.a. Ausländer-, Asyl- und Staatsangehörigkeits-, Datenschutzund Vereinsrecht). Herr Berlit ist Honorarprofessor an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Seine Publikationen beziehen sich u.a. auf das Verfassungs-, das Sozial-, das Migrations-, das Verwaltungsprozessrecht und Fragen rund um den elektronischen Rechtsverkehr. Er ist Mitglied im Vorstand des Vereins Deutscher EDV-Gerichtstag und richterlicher EDV-Beauftragter des BVerwG.

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Dr. Markus Ebner studierte Rechtswissenschaften in Erlangen-Nürnberg und war von 2002–2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Anwaltssozietät tätig. 2003/04 absolvierte er den Osnabrücker Magisterstudiengang „Wirtschaftsstrafrecht“. Von 2005–2015 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an Strafrechtslehrstühlen, zuletzt an der Universität Frankfurt a.M. Seit 2007 ist er Staatsanwalt im Bayerischen Justizdienst. Von 2011–2014 erfolgte eine Abordnung zum GBA. Seit 2014 ist er zum BFH abgeordnet.

IMPRESSUM Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Vors. Richterin am BFH Prof.Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG a. D. Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: Rechtsanwalt Daniel Schumacher Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirigent Dr. Matthias Korte Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung onlineoder offline ohne zusätzliche Vergütung. Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Datagroup Int., Timisoara Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

NEUES VON juris

NEU: juris PraxisKommentar Vergaberecht 5. Auflage 2016 online

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Komplettiert wird der Kommentar durch ausführliche Erläuterungen der neuen Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) neu gefasste Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A 2016) sowie Vergabeverordnung Verteidigung und Sicher-heit (VSVgV) umgestaltete Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A)

Mehr unter: www.juris.de/vergaberecht jM-Einbanddecke 2014/2015

Herausgeber: Prof. Wolfgang Heiermann, RA, München; Prof. Dr. Christopher Zeiss, FHöV NRW, Bielefeld; Herrmann Summa, Richter am OLG (Vergabesenat), Koblenz Die online erscheinende Neuauflage stellt die aktuelle Rechtslage nach der Vergaberechtsreform 2016 dar. Die zum 18.04.2016 erfolgte Umsetzung der drei EU-Vergaberichtlinien in deutsches Recht hat die Strukturen des Vergaberechts und damit die Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge umfangreich geändert. Kommentiert werden: GWB – Teil 4, Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen (§§ 97 – 184) Vergabeverordnung (VgV) Sektorenverordnung (SektVO) Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A 2016) Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A)

Seit diesem Jahr bieten wir Einbanddecken für die monatlich erscheinende Fachzeitschrift jM über unseren jurisAllianz Partner Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm an. Der Preis der Einbanddecke für die 22 Hefte der Jahrgänge 2014/2015 inkl. Jahresverzeichnis beträgt 15 € inkl. MwSt. Hier können Sie bestellen (Ausl.-Nr.: HR193320): per Telefon: 089 / 2183 7928 per E-Mail: [email protected]

NEU: juris PraxisKommentar UWG 4. Auflage 2016 Print und E-Book

Die in der Praxis maßgeblichen Themen: Bindung an das Vergaberecht u. Ausnahmen Ausschreibungspflichten und Ausnahmen Beschaffungsfreiheit vs. Nichtdiskriminierung Transparenz und Dokumentation Rüge, Nachprüfung und Rechtsschutz

Der Kommentar berücksichtigt die zum 18.04.2016 in Kraft getretenen umfangreichen strukturellen Änderungen des GWB, der VgV und der SektVO durch das VergRModG v. 17.02.2016 (BGBl I 2016, 203) und die VergRModVO v. 12.04.2016 (BGBl I 2016, 624). XXXI

Die Monatszeitschrift

NEUES VON juris

Hrsg.: Prof. Dr. Eike Ullmann, Vors. Richter am BGH a.D., Honorarprofessor an der Uni Mannheim Der juris PraxisKommentar UWG stellt das aktuelle Wettbewerbsrecht aktuell und kompetent dar. Herausgeber und Autoren berücksichtigen insbesondere das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 02.12.2015, das die europäische Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken aus dem Jahre 2005 genauer und klarer umsetzen soll als bisher. Das nationale Lauterkeitsrecht ist nur unter Rückgriff auf die einschlägigen Regelungen des Gemeinschaftsrechts verständlich. Die Rechtsprechung, insbesondere des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, bezieht deshalb die entsprechenden Verordnungen und Richtlinien konsequent ein. Dies findet auch in der Kommentierung Berücksichtigung. Mehr unter: www.juris.de/uwg

Save the date: Die juris Live-Präsentation findet am 22.09.2016 ab 14:30 Uhr an der Uni des Saarlandes statt. Der Raum wird vor Ort ausgeschildert. Weitere Infos unter: www.edvgt.de

juris Webinare Infos zum technischen Ablauf und zur kostenlosen Anmeldung unter: www.juris.de/webinare

Basis I – Einführung in die juris Recherche 03.08.2016, 14:00 – 15:00 Uhr 24.08.2016, 11:00 – 12:00 Uhr

Veranstaltungen und Informationsforum Auch online unter: www.juris.de/veranstaltungen

21.09.2016, 14:00 – 15:00 Uhr

26. – 27.08.2016, LAT Sachsen-Anhalt, Magdeburg

Basis II – Personalisierungsfunktionen

07.09.2016, juris Informationsforum Erfurt 15.09.2016, LAT Hessen/Rheinland-Pfalz, Mainz

10.08.2016, 14:00 – 15:00 Uhr 28.09.2016, 14:00 – 15:00 Uhr

16.09.2016, LAT Mecklenburg-Vorp., Rostock 21. – 23.09.2016, EDV-Gerichtstag, Saarbrücken 23.09.2016, ARGE Anwältinnen, Essen 30.09.2016, Jenaer Anwaltstag, Thüringen

Fortgeschrittenen-Webinare 11.08.2016, 10:00 – 11:00 Uhr 01.09.2016, 14:00 – 15:00 Uhr 22.09.2016, 10:00 – 11:00 Uhr

Normen-Webinare Vom 21. bis 23.09.2016 findet der 25. EDV-Gerichtstag in Saarbrücken statt. Das Motto lautet „Genug geredet – setzen wir’s um. Eine Justiz ohne ‚E‘ ist möglich, aber sinnlos.“ Am ersten Abend lädt juris zum Get together ein, am Folgeabend findet die Übergabe des Dieter-Meurer-Förderpreises statt, der von juris unterstützt wird.

XXXII

18.08.2016, 14:00 – 15:00 Uhr 13.09.2016, 10:00 – 11:00 Uhr

Wirtschaftsinformationen-Webinar 04.08.2016, 14:00 – 15:00 Uhr

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