Die Monatszeitschrift - Juris

07.07.2015 - A u.a. Wertpapiere, Sparbriefe und Lebensversicherungen auf. Darüber hinaus ..... anspruch mit der Begründung, dass es an einer vergleich-.
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

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Topthema:

In dieser Ausgabe:

Kein großer Wurf – Der Referentenentwurf zur Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts

Der Beruf des Wohnungseigentumsverwalters

VRiLG Dirk Seichter, RiLG Karin Columbus und RiLG Dr. Thomas Mehring

Weshalb ist der vorzeitige Zugewinn so wichtig?

RA und FA für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Michael Drasdo

VRiOLG Dieter Büte

Der Referentenkommentar als Führer durch das Dickicht des Mindestlohnrechts Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau

Zukunft der deutschen Hochschulen? – Versuch einer Antwort anhand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Prof. Dr. Rudolf Wendt und Prof. Dr. Stephan Weth

Private Veräußerungsgeschäfte unter aufschiebender Bedingung oder „Zustimmungsvorbehalt“ RiBFH Dr. Harald Schießl

Die

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Expertengremium: Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

INHALT

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AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Topthema:

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Kein großer Wurf – Der Referentenentwurf zur Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts VRiLG Dirk Seichter, RiLG Karin Columbus und RiLG Dr. Thomas Mehring S. 266 Der Beruf des Wohnungseigentumsverwalters RA und FA für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Michael Drasdo S. 270 Weshalb ist der vorzeitige Zugewinn so wichtig? VRiOLG Dieter Büte

S. 273

Kein Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers bei bloß faktischer Überlassung des Kundenstamms BGH, Urt. v. 05.02.2015 - VII ZR 109/13 RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht Dr. Volker Güntzel S. 278 Zeitfenster für Raucher? BGH, Urt. v. 16.01.2015 - V ZR 110/14 RA Ulrich Nastold Arbeitsrecht

Der Referentenkommentar als Führer durch das Dickicht des Mindestlohnrechts Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau S. 283 AGB-rechtliche Inhaltskontrolle bei Aufhebungsvertrag – Wirksamkeit einer Klageverzichtsklausel BAG, Urt. v. 12.03.2015 - 6 AZR 82/14 RA Dr. Gero Schneider, M.C.L.

Sozialrecht

S. 281

S. 287

Altersgrenze bei der Krankenversicherung von Studenten BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R RiLSG Dr. Steffen Luik S. 288

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INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Verwaltungsrecht

Zukunft der deutschen Hochschulen? – Versuch einer Antwort anhand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Prof. Dr. Rudolf Wendt und Prof. Dr. Stephan Weth S. 290

Steuerrecht

Private Veräußerungsgeschäfte unter aufschiebender Bedingung oder „Zustimmungsvorbehalt“ RiBFH Dr. Harald Schießl

S. 298

Geltendmachung von Verlustvorträgen für Kosten einer Erstausbildung – Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids BFH, Urt. v. 13.01.2015 - IX R 22/14 RiBFH Dr. Nils Trossen S. 303

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EDITORIAL

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Risiken und Nebenwirkungen Einzug der Forderungen damit eine anfechtbare Benachteiligung anderer Gläubiger gewesen sei. Der Lieferant sieht sich nun selbst dem Risiko einer Insolvenz ausgesetzt. Löst die geltende Insolvenzordnung also unbeabsichtigt gänzlich unerwünschte Nebenwirkungen aus? Erweist sich die hehre Absicht, Vermögensverschiebungen in der Krise eines Unternehmens wirkungsvoll zu unterbinden, als unfairer Fallstrick für redliche Gläubiger? Der Gesetzgeber hat jedenfalls legislativen Handlungsbedarf ausgemacht und einen Gesetzentwurf zur Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts vorgelegt. Ob es sich dabei um einen „großen Wurf“ handelt oder ob „gut gemeint“ eher das Gegenteil von „gut“ bedeutet, beleuchten kenntnisreich und überaus lesenswert die Mitglieder der für diese Materie zuständigen Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart.

Holger Radke Vizepräsident des Landgerichts Mannheim

Artikel über laufende Gerichtsverfahren oder staatsanwaltliche Ermittlungsmaßnahmen finden sich regelmäßig nicht nur in den auflagenstarken, überregional erscheinenden Tages- und Wochenzeitungen, sondern auch in der Lokalpresse. Je größer dabei der regionale Bezug, der Prominentenfaktor der Betroffenen oder das Skandalpotential des Sachverhaltes ausgeprägt sind, desto breiteren und besseren Raum kann der Gerichtsreporter für seine Beiträge beanspruchen. Dass dagegen einem Gesetzgebungsvorhaben des Bundesjustizministeriums, das sich zudem noch im Stadium eines Referentenentwurfs befindet und einer Spezialmaterie des Zivilrechts gewidmet ist, die Ehre zuteilwird, Anlass eines umfassenden Beitrags zu werden, dürfte in diesen Medien eine eher seltene Ausnahme sein. So indes geschehen vor wenigen Wochen in der „Rheinpfalz am Sonntag“: Über eine ganze Zeitungsseite hinweg wurde die Situation eines wirtschaftlich gesunden Unternehmens geschildert, das einen anderen Betrieb über Jahre hinweg mit Waren beliefert und dabei in Kauf genommen hatte, dass Zahlungen regelmäßig nur schleppend und mit deutlicher Verzögerung erfolgten; da letztlich aber immer alle Rechnungen beglichen wurden, sah man keinen Anlass, die Geschäftsbeziehung zu beenden. Nun aber befindet sich der Kunde in Insolvenz und der Insolvenzverwalter fordert einen Millionenbetrag zurück, weil angesichts der schlechten Zahlungsmoral auch dem Lieferanten die (mindestens drohende) Zahlungsunfähigkeit schon lange bewusst gewesen und der

Nicht nur einem Gesetzentwurf, sondern einer in föderaler Vielfalt blühenden Gesetzeslandschaft haben sich die beiden Saarbrücker Juraprofessoren Wendt und Weth in ihrem Aufsatz zur Zukunft der deutschen Hochschulen gewidmet. Die Förderung von Effizienz und Wirtschaftlichkeit und die Etablierung (vermeintlich) moderner Führungsstrukturen ist in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung ein Dauerthema geworden. Wie aber verträgt sich eine „Hierarchisierung und Ökonomisierung“ von Universitäten mit der grundgesetzlich verbürgten Wissenschaftsfreiheit? In welchem Umfang kann man die Leitung der Hochschule auf (vermeintlich) schlagkräftige und professionell agierende Vorstände und Präsidien übertragen, ohne die Rechte der wissenschaftlich Tätigen auszuhöhlen? Ausgehend von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts definiert der Aufsatz am Beispiel des saarländischen Universitätsgesetzes die maßgeblichen Grenzlinien und zeigt auf, dass der Gesetzgeber zwar Gestaltungsspielräume hat, die Wissenschaftsfreiheit aber auch bei der Schaffung von Strukturen nicht gefährden darf. Das Ergebnis der Betrachtung ist für jeden Juristen zumindest in Erinnerung an seine akademischen Anfänge von Interesse, sollte aber vor allem die Verantwortlichen in den Wissenschaftsministerien der Länder aufrütteln und zu einer Prüfung der eigenen Situation motivieren. Auch zahlreiche weitere spannende juristische Fragen unserer Zeit haben Eingang in das Heft gefunden, etwa das „Dickicht des Mindestlohnrechts“, die Bedeutung des vorzeitigen Zugewinns oder steuerliche Fragen rund um private Veräußerungsgeschäfte. Lektüre mit Gewinn und Freude wünscht Ihnen, im Namen aller Herausgeber und Experten, Holger Radke

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AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Kein großer Wurf – Der Referentenentwurf zur Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts1 VRiLG Dirk Seichter, RiLG Karin Columbus und RiLG Dr. Thomas Mehring A. Vorbemerkung Das geltende Insolvenzanfechtungsrecht und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH sind nicht unerheblicher Kritik der Wirtschaft2 und der Wissenschaft3 ausgesetzt. Diese lässt sich dahingehend zusammenfassen, der Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO werde zu weit gezogen und die Rechtsprechung sei zu stark ausdifferenziert, wodurch die Beratungspraxis und die Instanzgerichte überfordert seien. Das BMJV hat die Kritik aufgegriffen und einen Referentenentwurf zur Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts vorgelegt. Dabei wird eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen soll das Anfechtungsrecht gegenüber der als zu weitgehend erachteten Rechtsprechung des BGH teilweise eingeschränkt werden. Zum anderen soll das Anfechtungsrecht vereinfacht und der Ausgang von Anfechtungsrechtsstreiten kalkulierbarer werden. Der Entwurf berührt dabei nicht die Eckpfeiler der bisherigen gesetzlichen Regelung sowie der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern beschränkt sich ausdrücklich auf die „punktuelle Neujustierung“ einzelner Fragestellungen. Soweit mit dem Entwurf eine Vereinfachung des Insolvenzanfechtungsrechts erstrebt wird, erscheint der Bedarf für eine Neuregelung fraglich. Zwar mag es sein, dass es für Beteiligte, die sich nur sporadisch mit der Materie befassen, schwierig sein kann, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu überblicken. Dieser Problematik, die das Anfechtungsrecht mit anderen Spezialmaterien teilt, kann aber sowohl in der Anwaltschaft als auch bei den Instanzgerichten mit einer Spezialisierung begegnet werden. Jedenfalls verfehlt der Entwurf das Ziel, die als überdifferenziert beklagte Rechtsprechung des BGH zu vereinfachen, sondern schafft im Gegenteil weitere Differenzierungen. So wird innerhalb des Tatbestands der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO eine im Gesetz bislang nicht vorgesehene Unterscheidung zwischen Rechtshandlungen, die eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben (§ 133 Abs. 2 und 3 RefE-InsO), und sonstigen Rechtshandlungen eingeführt. Zugleich nimmt der Entwurf neue Rechtsbegriffe in das Anfechtungsrecht auf („unangemessen“ in § 133 Abs. 1 Satz 1 RefE-InsO; „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ in §§ 133 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 142

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Satz 2 RefE-InsO), die ihrerseits ausfüllungsbedürftig sind. Bis zur Konkretisierung dieser Tatbestandsmerkmale durch die höchstrichterliche Rechtsprechung würde durch ein Gesetz auf der Grundlage des Entwurfs die Rechtssicherheit daher nicht erhöht, sondern im Gegenteil vermindert. Darüber hinaus schafft der Entwurf erhebliche Wertungswidersprüche. Denn der Entwurf hält an dem Grundsatz fest, dass eine Deckungshandlung nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar ist, die ein Schuldner in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit vornimmt, wenn auch der Gläubiger diese kennt. Die Kenntnis des Gläubigers soll aber nicht daraus abgeleitet werden, dass der Schuldner im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um Zahlungserleichterungen nachsucht, selbst wenn er – so jedenfalls im Ergebnis die Begründung des Entwurfs – damit zum Ausdruck bringt, derzeit nicht in der Lage zu sein, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen. Gerade dann liegt aber aus Sicht des Gläubigers eindeutig Zahlungsunfähigkeit vor. B. Zu den wesentlichen Änderungen im Entwurf im Einzelnen I. § 131 InsO Der Entwurf befasst sich im Rahmen der beabsichtigen Neuregelung des § 131 InsO mit Rechtshandlungen, die dem Gläubiger im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen (nicht sonstigen) Titeln eine Befriedigung oder Sicherung gewähren. Nach der beabsichtigten Änderung sollen Sicherungen und Befriedigungen, die ein Gläubiger durch Zwangsvollstreckungen auf Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten voll-

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Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtung nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, abrufbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RefE_ Reform_Insolvenzanfechtung.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 12.05.2015). Vgl. etwa das Positionspapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, ZInsO 2013, 2321. So aus neuerer Zeit vor allem Foerste, ZInsO 2013, 897; Marotzke, ZInsO 2014, 417; Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073; Köper/Pfoster, ZInsO 2014, 2341.

JM 07 | streckbaren Titels erlangt hat, aus dem Anwendungsbereich des § 131 InsO herausfallen. Hintergrund der Änderung durch § 131 Abs. 1 Satz 2 RefE-InsO ist, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Befriedigung einer titulierten Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung innerhalb des Dreimonatszeitraums inkongruent ist, auch wenn der Gläubiger – wie die erstrittenen Titel zeigen – einen Anspruch auf die Befriedigung seiner Forderungen hat.4 Der BGH begründet dies damit, dass das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt werde, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht bestehe, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann trete die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderung zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Der Entwurf möchte Rechtsunsicherheiten vermeiden und für den Geschäftsverkehr die Voraussetzungen für eine Anfechtung klarstellen. Dies gelingt jedoch bei der beabsichtigten Regelung nicht. Schon allein die Formulierung „nicht allein“ zeigt, dass es doch Fälle geben soll, in denen Rechtshandlungen auch im Zusammenhang mit Zwangsvollstreckungen aus gerichtlichen Titeln nach § 131 InsO als inkongruente Deckungen anfechtbar sind, nämlich dann, wenn noch andere Umstände hinzutreten. Welche dies sind, überlässt der Entwurf der Rechtsanwendung. Ebenso bleibt unklar, ob nur Rechtshandlungen im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung selbst (Pfändung) oder auch Rechtshandlungen, die mit einer Zwangsvollstreckung im Zusammenhang stehen – wie die Zahlung nach Drohung mit einer Zwangsvollstreckung, freiwillige Zahlungen an den Gerichtsvollzieher oder das Werthaltigmachen gepfändeter Forderungen5 –, innerhalb der Dreimonatsfrist erfasst werden sollen. Der Wortlaut des Entwurfs („durch Zwangsvollstreckung“) legt nahe, dass die in der Praxis und in der Rechtsprechung weit häufiger streitgegenständlichen Leistungen, die nur im Zusammenhang mit Zwangsvollstreckungen stehen, nicht erfasst sein sollen. Hier bestehen Unklarheiten in der Abgrenzung. Dies alles führt nicht zu einer beabsichtigten klaren Regelung und deckt sich nicht mit der Zielsetzung des Entwurfs, solche Leistungen künftig nur unter den Voraussetzungen des § 130 InsO anfechtbar sein zu lassen. Darüber hinaus dürften die von der Änderung erfassten Sachverhalte häufig ohnehin nach § 130 InsO anfechtbar sein, da die Nichtbezahlung eines Titels regelmäßig eine Zahlungsunfähigkeit indiziert. Der Zwangsvollstreckung gehen zumeist im Hinblick auf das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis an der Zwangsvollstreckungsmaßnahme6

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erfolglose Zahlungsaufforderungen voraus. Oft wurden bereits Zwangsvollstreckungsversuche vorgenommen. In diesen Fällen kann der Gläubiger regelmäßig darauf schließen, dass es an einer Liquidität des Schuldners fehlt.7 Daher kann die Praxisrelevanz der beabsichtigten Reform bezweifelt werden. Wenn aber dieses, trotz fehlender Praxisrelevanz, so geregelt werden soll, wäre eine einfachere, für jeden klar verständliche Regelung vorzugswürdig, die für Auslegungszweifel keinen Platz lässt. II. § 133 InsO Der Schwerpunkt der Änderungen liegt auf dem Tatbestand der Vorsatzanfechtung des § 133 Abs. 1 InsO. 1. Die Einfügung des Wortes „unangemessen“ Der Entwurf sieht zum einen in § 133 Abs. 1 Satz 1 RefEInsO vor, dass der Vorsatz des Schuldners sich künftig darauf beziehen muss, seine Gläubiger unangemessen zu benachteiligen, wobei der andere Teil diesen auf die Unangemessenheit der Gläubigerbenachteiligung bezogenen Vorsatz kennen muss. Der Begriff der „unangemessenen Gläubigerbenachteiligung“ hat allerdings wenige Konturen, was jedenfalls zunächst zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen dürfte. Unter Geltung der Konkursordnung ist von der Rechtsprechung zum Begriff der Gläubigerbenachteiligungsabsicht i.S.d. § 31 Nr. 1 KO, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG a.F. ein unlauteres Handeln vorausgesetzt worden, was bei kongruenten Deckungen regelmäßig fehlte.8 Zu dieser Rechtsprechung, welche mit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung und dem Begriff des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG n.F.) ausdrücklich aufgegeben worden ist9, will der Entwurf nicht zurück. Vielmehr wird grundsätzlich an der Rechtsprechung festgehalten, wonach – auch bei kongruenten Deckungen – der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz daraus zu schließen ist, dass ein Schuldner im Wissen, nicht alle Gläubiger befriedigen zu können, einem Gläubiger Befriedigung verschafft, weil damit notwendig die Befriedi-

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BGH, Urt. v. 10.02.2005 - IX ZR 211/02 - BGHZ 162, 143. Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.11.2007 - IX ZR 30/07 - BGHZ 174, 297 Rn. 36 f.; BGH, Urt. v. 14.02.2013 - IX ZR 94/12. Stöber in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., vor § 704 Rn. 17. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 30.06.2011 - IX ZR 134/10. BGH, Urt. v. 26.03.1984 - II ZR 171/83; BGH, Urt. v. 18.04.1991 IX ZR 149/90; BGH, Urt. v. 21.01.1993 - IX ZR 275/91 - BGHZ 121, 171, 185. BGH, Urt. v. 17.07.2003 - IX ZR 272/02; BGH, Urt. v. 05.06.2008 IX ZR 17/07.

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gungsmöglichkeiten anderer Gläubiger verkürzt werden.10 Somit bleibt letztlich offen, nach welchen Wertungskriterien sich der Begriff der Unangemessenheit bestimmen soll. 2. Der Ausschluss der Anfechtung in bestimmten Fällen Darüber hinaus soll in § 133 Abs. 1 Satz 2 RefE-InsO geregelt werden, dass eine Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO im Falle eines bargeschäftsähnlichen Geschäfts bzw. im Falle einer Rechtshandlung im Rahmen eines ernsthaften Sanierungsversuchs ausscheidet. Dies entspricht im Kern der höchstrichterlichen Rechtsprechung.11 Dabei ist die Formulierung so konturen(un)scharf wie die vom BGH entwickelten Leitsätze. Dementsprechend ist diese Änderung zwar nicht schädlich, aber auch nicht weiterführend. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass vor allem die Frage, ob ein ernsthafter Sanierungsversuch vorliegt, die Praxis vor erhebliche Probleme stellt. Nach der Rechtsprechung des BGH, an der ausweislich der Begründung festgehalten werden soll, setzt die Annahme eines ernsthaften Sanierungsversuches voraus, dass zu der Zeit der Handlung ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorliegt, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden ist und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt.12 Ob ein mit Blick auf die eingetretene Insolvenz letztlich gescheitertes Sanierungskonzept diesen Anforderungen genügt, ist in der Praxis schwierig zu beurteilen. Dies gilt umso mehr, als das Gericht bei nicht eindeutigen Fällen eine solche Beurteilung regelmäßig nicht aufgrund eigener Sachkunde treffen kann, sodass im Falle einer streitigen Entscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, was für die Beteiligten zu weiteren finanziellen Nachteilen führt. Zu begrüßen ist allerdings, dass nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut aber nicht richtig zum Ausdruck kommt, nunmehr der Insolvenzverwalter beweisen muss, dass kein ernsthafter Sanierungsversuch vorlag. Die gegenteilige Auffassung des BGH13 erscheint nicht sachgerecht, da der Gläubiger regelmäßig keine näheren Kenntnisse der Hintergründe des Sanierungsversuches hat und ihm somit eine Beweisführung regelmäßig unmöglich ist. 3. Die zeitliche Beschränkung der Deckungsanfechtung Zudem soll durch einen neuen § 133 Abs. 2 RefE-InsO die Deckungsanfechtung auf Rechtshandlungen beschränkt werden, die innerhalb von vier Jahren (statt bisher zehn Jahren) vor Antragstellung erfolgt sind. Diese zeitliche Beschränkung der Deckungsanfechtung ist grundsätzlich zu

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begrüßen. Allerdings dürften sich die Auswirkungen auf die Praxis in Grenzen halten. Nach den instanzgerichtlichen Erfahrungen gibt es nur sehr wenige Fälle, in denen Rechtshandlungen angefochten werden, die mehr als vier Jahre vor der Insolvenzantragstellung erfolgt sind. 4. Die Herausnahme der drohenden Zahlungsunfähigkeit Weiter soll in § 133 Abs. 3 RefE-InsO geregelt werden, dass bei kongruenten Deckungshandlungen die lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit nicht mehr zur Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes führt. Auch dies erscheint problematisch. Wenn man mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch bei kongruenten Deckungen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz weiterhin daraus schließen kann, dass ein Schuldner im Wissen, nicht alle Gläubiger befriedigen zu können, einem Gläubiger Befriedigung verschafft, weil damit notwendig die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger verkürzt werden, leuchtet nicht ein, weshalb entgegen der bisherigen Rechtsprechung14 bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit einer kongruenten Deckungshandlung der Vorsatz ermangeln soll, die Gläubiger unangemessen zu benachteiligen. Ergibt sich die Unangemessenheit der Befriedigung eines Gläubigers gerade aus der Überlegung, dass im Stadium materieller Insolvenz des Schuldners der insolvenzrechtliche Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung gelten und keinem Gläubiger ein Sondervorteil verschafft werden soll, so ist nicht ersichtlich, weshalb dies bei kongruenten Deckungshandlungen nicht bei drohender, sondern nur bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit gelten soll. Die „unangemessene“ Benachteiligung ergibt sich in beiden Fällen gleichermaßen aus der Überlegung, dass im Stadium materieller Insolvenz keinem Gläubiger mehr ein Sondervorteil gegenüber anderen zukommen soll. 5. Die fehlende Kenntnis des Gläubigers im Falle von Zahlungsvereinbarungen Zudem regelt § 133 Abs. 3 RefE-InsO, dass die Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes beim Gläubiger im Falle von Zahlungsvereinbarungen nach § 802b ZPO

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BGH, Urt. v. 10.01.2013 - IX ZR 13/12; BGH, Urt. v. 05.12.2013 IX ZR 93/11; BGH, Urt. v. 08.01.2015 - IX ZR 198/13. Vgl. zum bargeschäftsähnlichen Geschäft BGH, Urt. v. 17.07.2014 IX ZR 240/13 und zum Sanierungsversuch etwa BGH, Urt. v. 08.12.2011 - IX ZR 156/09. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 08.12.2011 - IX ZR 156/09. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 03.04.2014 - IX ZR 201/13. Vgl. BGH, Urt. v. 10.01.2013 - IX ZR 13/12; BGH, Urt. v. 05.12.2013 IX ZR 93/11; BGH, Urt. v. 08.01.2015 - IX ZR 198/13.

JM 07 | oder bei einer im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs erfolgten Bitte um Zahlungserleichterungen nicht vorliegen soll. Dies ist kaum nachvollziehbar. Der Entwurf hält in § 133 Abs. 1 Satz 3 RefE-InsO an der Regelung der Vermutung fest, dass der Gläubiger Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners hat, wenn er dessen Zahlungsunfähigkeit kennt. Wenn eine solche Kenntnis aber nicht daraus geschlossen werden darf, dass eine Zahlungsvereinbarung nach § 802b Abs. 2 Satz 1 ZPO oder aufgrund einer vom Schuldner im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs erfolgten Bitte geschlossen wurde, so ist dies in hohem Maße widersprüchlich. Die Beantwortung der Frage, ob der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hat, hängt – nachdem regelmäßig kein Einblick in die wirtschaftliche Situation des Schuldners besteht – davon ab, ob sich die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung der Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner ersichtlichen Umstände als ausreichendes Indiz für eine (nach derzeit geltendem Recht) zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit darstellt.15 Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Zahlungseinstellung, die nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet, bereits dann vorliegen kann, wenn eine einzelne Verbindlichkeit nicht beglichen wird und diese von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist.16 Zudem muss ein Gläubiger eines unternehmerisch tätigen Schuldners damit rechnen, dass dieser auch andere Verbindlichkeiten hat, die er nicht bedienen kann.17 Ausgehend hiervon ist regelmäßig von einer Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn bereits die Zwangsvollstreckung begonnen hat.18 Gleiches gilt bei einer Bitte um Zahlungserleichterung, wenn sie vom Schuldner mit der Erklärung verbunden wird, dass keine ausreichende Liquidität vorhanden ist.19 Zwar schließt der Wortlaut des Entwurfs nicht aus, dass im Falle des Hinzutretens weiterer Umstände auf die Kenntnis des anderen Teils vom Vorsatz des Schuldners geschlossen werden kann. Nach der Begründung sollen aber die Umstände außer Betracht bleiben, die typischerweise Bestandteil der Geschehensabläufe sind, die zum Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder zur Gewährung einer verkehrsüblichen Zahlungserleichterung führen. Hierzu dürfte aber auch ein Eingeständnis auf Schuldnerseite, nicht bezahlen zu können, zählen, da dies typischerweise im Rahmen von Verhandlungen über Zahlungserleichterungen erfolgt. Ansonsten wird der Gläubiger kaum bereit sein, Zahlungserleichterungen zuzustimmen. Genau dann liegt aber eine Kenntnis des Gläubigers auf der Hand. Gleichwohl soll das Gericht aus diesen Umständen die Kenntnis nicht feststellen.

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Unabhängig von diesem Wertungswiderspruch erscheint auch die dogmatische Einordnung einer solchen Regelung unklar. Eine vergleichbare Regelung, dass eine Feststellung nicht auf einen Umstand gestützt werden darf, der an sich die Feststellung indiziert, findet sich in der geltenden Rechtsordnung außerhalb des Bereichs der Beweisverwertungsverbote – soweit ersichtlich – nicht. Auch ist ungeachtet der Verwendung des Begriffs in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung20 völlig offen, was unter dem Merkmal „im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ zu verstehen ist. Da ein Gericht die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs regelmäßig nicht kennt, die zudem auch branchenabhängig sein können, wird man in vielen Fällen nicht ohne ein Sachverständigengutachten entscheiden können, so dass die Beteiligten mit weiteren Kosten belastet werden. 6. Weitere Bemerkungen a) Die Aufgabe des Merkmals der Rechtshandlung Unabhängig davon, wie weit der Kreis anfechtbarer Deckungshandlungen im Stadium materieller Insolvenz gezogen wird, sollte erwogen werden, diese in einem gesonderten Anfechtungstatbestand zu regeln anstatt eine Differenzierung innerhalb des Tatbestands der Vorsatzanfechtung vorzunehmen. Liegt der rechtspolitische Regelungsgehalt darin, dass ein Gläubiger, welcher die materielle Insolvenz seines Schuldners kennen muss, nicht darauf vertrauen kann, eine in diesem Stadium erhaltene Befriedigung behalten zu dürfen, sondern eher zur Stellung eines frühzeitigen Insolvenzantrags animiert werden soll, so ist nicht einsehbar, weshalb die Anfechtbarkeit eine Schuldnerhandlung voraussetzen soll. Das Erfordernis der Schuldnerhandlung lässt noch das frühere Verständnis der Absichtsanfechtung als unerlaubte Handlung21 erkennen, welches mit dem Verständnis als Instrument der Gläubigergleichbehandlung überholt ist22. Indem das Erfordernis einer Rechtshandlung des Schuldners auf Fälle außerhalb von Deckungshandlungen und die nur dort geltende 10jährige Anfechtungsfrist begrenzt würde, erledigte sich zugleich die im Einzelfall schwierige Abgrenzung, wann Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers wegen

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BGH, Urt. v. 01.07.2010 - IX ZR 70/08. BGH, Urt. v. 30.06.2011 - IX ZR 134/10. BGH, Urt. v. 08.01.2015 - IX ZR 203/12. Vgl. auch BGH, Urt. v. 30.06.2011 - IX ZR 134/10. BGH, Urt. v. 10.07.2014 - IX ZR 280/13. Vgl. BGH, Beschl. v. 16.04.2015 - IX ZR 6/14. RG, Urt. v. 19.09.1910 - VI 403/09 - RGZ 74, 224, 226; RG, Urt. v. 28.02.1914 - V 363/13 - RGZ 84, 242, 253. Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rn. 21.07.

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Die Monatszeitschrift

einer mitwirkenden Schuldnerhandlung der Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO unterliegen.23 b) Zur Beweislast für den Wegfall der Zahlungsunfähigkeit Eine mögliche Alternative zur Eingrenzung der Anfechtbarkeit kongruenter Deckungshandlungen stellt die Änderung der Beweislast für den Wegfall der Zahlungsunfähigkeit dar. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine einmal verwirklichte Zahlungseinstellung nur abgewendet werden, wenn der Schuldner die Zahlungen allgemein wiederaufgenommen hat. Die Beweislast obliegt dem Schuldner.24 Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter nur darlegen und beweisen muss, dass der Schuldner zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Vornahme der Rechtshandlung die Zahlungen eingestellt hat. Wenn dies feststeht, so muss der Gläubiger beweisen, dass die Zahlungseinstellung zwischenzeitlich wieder entfallen ist. Ein solcher Beweis ist für den Gläubiger kaum zu führen, da er in das gesamte Zahlungsverhalten des Schuldners regelmäßig keinen Einblick hatte. Zwar kann der Gläubiger der Anfechtungsklage auch noch entgegenhalten, er sei davon ausgegangen, der Schuldner habe die Zahlungen allgemein wiederaufgenommen, weil es in diesem Fall an der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz fehlt. Aus Sicht des BGH ist aber der Gläubiger auch insoweit beweisbelastet25, wobei recht strenge Maßstäbe an den zu erbringenden Beweis angelegt werden26. Es erscheint daher nicht unbillig, für den Fall, dass sich der Gläubiger auf den Wegfall der Zahlungseinstellung beruft, dem Insolvenzverwalter die Beweislast dafür aufzuerlegen, es sei keine allgemeine Aufnahme der Zahlungen erfolgt.

Behandlung von verspätet ausgezahltem Arbeitsentgelt, wonach der nach § 142 InsO geforderte unmittelbare Leistungsaustausch im Falle der Bezahlung von Arbeitsentgelt auch noch dann vorliegt, wenn zwischen der Arbeitsleistung und der Entgeltzahlung bis zu drei Monate liegen.27 Gegen diese Änderungen bestehen nur insoweit Bedenken, als im Zusammenhang mit dem Unmittelbarkeitskriterium wiederum der unklare Begriff der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs verwendet wird. IV. § 143 InsO Die Änderung, wonach Prozesszinsen nicht bereits mit Insolvenzeröffnung28, sondern erst seit Klageerhebung geschuldet sind, ist zu begrüßen. Es ist in der Tat wenig nachvollziehbar, dass ein Gläubiger auch noch Zinsen für einen Zeitraum bezahlen muss, in dem der Anspruch gegen ihn nicht geltend gemacht wurde und er so gar nicht die Möglichkeit hatte, durch Bezahlung der Forderung den Zinsen zu entgehen. C. Fazit Alles in allem führt der Referentenentwurf nicht nur zu keinen Verbesserungen für die Praxis, vielmehr dürfte das Insolvenzanfechtungsrecht noch unübersichtlicher werden. Es ist zu hoffen, dass die fachliche Diskussion noch zu erheblichen Verbesserungen führen wird. 23

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III. § 142 InsO

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Durch den Entwurf soll das Bargeschäftsprivileg konkretisiert werden. In diesem Zusammenhang übernimmt das BMJV die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur

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Vgl. BGH, Urt. v. 27.03.2003 - IX ZR 169/02 - BGHZ 155, 75, 79; BGH, Urt. v. 23.03.2006 - IX ZR 116/03 - BGHZ 167, 11 Rn. 7; BGH, Urt. v. 03.02.2011 - IX ZR 213/09; BGH, Urt. v. 14.06.2012 - IX ZR 145/09; BGH, Urt. v. 21.11.2013 - IX ZR 128/13. BGH, Urt. v. 06.12.2012 - IX ZR 3/12. BGH, Urt. v. 06.12.2012 - IX ZR 3/12. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 06.12.2012 - IX ZR 3/12. BAG, Urt. v. 06.10.2011 - 6 AZR 262/10; kritisch hierzu allerdings BGH, Urt. v. 10.07.2014 - IX ZR 192/13. So die bisherige Rechtsprechung BGH, Urt. v. 01.02.2007 - IX ZR 96/04.

Der Beruf des Wohnungseigentumsverwalters RA und FA für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Michael Drasdo Die Berufsausübung als Wohnungseigentumsverwalter ist ebenso wie bei der sonstigen Verwaltung von Immobilien gesetzlich nicht geregelt. Es gelten lediglich die allgemeinen Vorgaben des Gewerberechts und eventuell im WEG vorgegebene Einschränkungen. Dennoch sind Besonderheiten zu beachten.

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A. Berufsausbildung Für die Verwaltung von Wohnungseigentum ist eine Berufsausbildung nicht vorgeschrieben. Sie kann damit auch nicht verlangt werden.1 Die Tätigkeit kann daher unter 1

Vgl. Merle in: Bärmann, WEG, § 16 Rn. 15; a.A. wohl LG Hamburg, Urt. v. 30.11.2011 - 318 S 201/10.

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bestimmten Voraussetzungen von jedermann ausgeübt werden. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass es im immobilienwirtschaftlichen Bereich Ausbildungsgänge gibt, die sich mit der Verwaltung von Immobilien befassen. Sowohl auf der Basis einer akademischen Ausbildung im Rahmen eines betriebs- oder wirtschaftswissenschaftlichen Studiums als auch durch eine Lehrausbildung kann das notwendige Wissen für die Immobilienverwaltung erworben werden. Allen Ausbildungsgängen ist jedoch gemeinsam, dass sie nicht speziell auf die Verwaltung von Wohnungseigentum ausgerichtet sind. Oftmals kann aber durch zusätzliche Ausbildungsgänge oder Lehrveranstaltung weiteres Wissen erworben werden.

chen nicht gegen den Willen auch nur eines Sondereigentümers verzichtet werden kann. Anderweitige Vereinbarungen und Beschlüsse sind nichtig. Weiter wird in § 26 WEG das Verfahren der Bestellung und die Dauer der Amtszeit, abhängig davon, ob es sich um den ersten oder einen weiteren Verwalter handelt, geregelt. In weiteren Vorschriften werden noch Aufgaben des Verwalters gegenüber den Wohnungseigentümern und der Wohnungseigentümergemeinschaft festgelegt, die im Wesentlichen in § 27 WEG beschrieben werden. Hinzu kommen Vorgaben für die Einberufung und Abhaltung der Wohnungseigentümerversammlung in den §§ 24 f. WEG sowie bezüglich der Erstellung der Jahresabrechnung in § 28 WEG.

B. Berufsbild

Daneben sind aber weitere, von Rechtsprechung und Literatur entwickelte Grundsätze bei der Übernahme des Verwalteramtes zu beachten. Diese Vorgaben orientieren sich an dem allgemeinen Grundsatz der ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne des § 21 Abs. 4 WEG.

Nahezu spiegelbildlich ergibt sich daraus, dass es für den Verwalter von Wohnungseigentum auch kein eigenes Berufsbild gibt.2 Was unter einem Wohnungseigentumsverwalter zu verstehen ist, welche Voraussetzungen dafür notwendig sind oder ob sonstige Vorgaben erfüllt sein müssen, ist hinsichtlich der Grundlagen einer Berufsausübung weder im WEG noch in sonstigen Gesetzen oder Verordnungen beschrieben. Zahlreiche Verwalter haben sich in Verbänden zusammengeschlossen. Eine Qualifikationsauszeichnung ist dies nicht. Dennoch ist zu betonen, dass die Verbände um die Fortbildung ihrer Mitglieder bemüht sind. C. Zulässigkeit Für die Ausübung des Berufes als Wohnungseigentumsverwalter ist demnach eine Genehmigung dem Grunde nach nicht erforderlich.3 Eine besondere Qualifikation wird nicht verlangt.4 Jeder Wohnungseigentümer kann unter diesem Aspekt die Verwaltung durchführen. Dies gilt auch für dritte Personen. Grenzen werden nur insoweit gezogen, als dass bei einer gewerblichen Tätigkeit der Berufsausübung die Vorschriften der GewO zu beachten sind. Wer die Tätigkeit gewerblich, damit in einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Form dauerhaft ausüben will, muss dies gemäß § 14 GewO der Ordnungsbehörde anzeigen.5 Dabei handelt es sich jedoch um eine allgemeine Voraussetzung der Zulässigkeit der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Besondere weitere Genehmigungen, wie sie etwa aus dem Bereich der Makler und Bauträger sowie der Versicherungsmakler bekannt sind, müssen nicht eingeholt werden. Dafür mangelt es zurzeit an den notwendigen gesetzlichen Vorgaben.

I. Person des Verwalters Die Stellung als Verwalter kann von jeder natürlichen Person übernommen werden. Eine Geschäftsfähigkeit wird man voraussetzen müssen. Auch juristische Personen wie die GmbH, die AG, die Gen oder ein Verein kommen als Verwalter in Betracht.6 Daneben ist zwischenzeitlich anerkannt, dass auch rechtsfähige Personenvereinigungen das Amt übernehmen können. Zu denken ist dabei an die oHG7, die KG8 oder die PartG9. Darüber hinaus sind auch Gesellschaften aus den EU-Mitgliedstaaten, wenn ihnen nach deren Recht eine Rechtsfähigkeit zukommt, als Verwalterin von Wohnungseigentümergemeinschaften geeignet.10 Dennoch sind auch insoweit Besonderheiten zu beachten. 2 3 4 5 6

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D. Privatrechtliche Vorgaben des WEG Das WEG regelt bezüglich der Stellung des Verwalters zunächst in § 20 Abs. 2 WEG lediglich, dass auf einen sol-

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Vgl. Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 12. Vgl. Merle in: Bärmann, WEG, § 26 Rn. 17. Vgl. Jennißen in: Jennißen, WEG, § 26 Rn. 2. Vgl. Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 30. Vgl. Merle in: Bärmann, WEG, § 16 Rn. 8; Jennißen in: Jennißen, WEG, § 26 Rn. 9; Spielbauer/Then, WEG, § 26 Rn. 3; Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 17. Vgl. Merle in: Bärmann, WEG, § 16 Rn. 10; Spielbauer/Then, WEG, § 26 Rn. 3; Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 16. Vgl. BayObLG, Beschl. v. 12.01.1989 - BReg 2 Z 123/88 - BayObLGZ 1989, 4; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.05.1990 - 3 Wx 159/90; OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.02.1989 - 20 W 259/88; OLG München, Beschl. v. 31.10.2007 - 34 Wx 60/07, 34 Wx 060/07; zur Eignung der GmbH & Co. KG BayObLG, Beschl. v. 06.02.1987 - BReg 2 Z 6/87 BayObLGZ 1987, 54; LG Freiburg, Beschl. v. 05.09.1983 - 4 T 88/83. Vgl. Merle in: Bärmann, WEG, § 16 Rn. 11; Jennißen in: Jennißen, WEG, § 26 Rn. 4; Spielbauer/Then, WEG, § 26 Rn. 3; Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 16. Vgl. Drasdo, Die Eigentümerversammlung nach dem WEG, 5. Aufl. 2014, Kap. B Rn. 23 ff.

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1. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Nachdem der II., unter anderem für das Gesellschaftsrecht zuständige Senat des BGH11 festgestellt hat, dass auch einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Rechtsfähigkeit zuzuerkennen sei, hätte man annehmen können, dass diese damit entgegen einer bis dahin bestehenden Rechtsprechung12 zum Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft hätte bestellt werden können. Dem hat der V., unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige Senat des BGH13 jedoch eine Absage erteilt. Weil für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Register nicht geführt werde, ihre Gesellschafter daher nicht zuverlässig erkennbar seien, könne eine Bestellung als Verwalterin nicht erfolgen, weil den Wohnungseigentümern nicht erkennbar wäre, wer hinter dieser Gesellschaft stünde. Man mag diese Entscheidung in Zweifel ziehen, weil letztlich die Frage der Publizität mit der der Rechtsfähigkeit vermischt wird.14 In der Praxis muss man sich mit der Entscheidung jedoch abfinden. Dabei ist aber aus Gründen der Klarheit darauf zu achten, ob die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auftretende Personenvereinigung nicht tatsächlich nach § 1 HGB eine OHG ist. 2. Die Unternehmergesellschaft Die Problematik der Publizität stellt sich bei der Unternehmergesellschaft im Sinne des § 5a GmbHG bezüglich der Verwalterbestellung nicht. Denn es erfolgt deren Eintragung in das Handelsregister, sodass Geschäftsführer und gegebenenfalls Gesellschafter erkennbar oder zumindest ermittelbar sind. Dennoch hat das LG Karlsruhe15 die Bestellung einer solchen UG als Verwalterin von Wohnungseigentum für unwirksam gehalten. Die nur geringe Kapitalausstattung mache diese Gesellschaftsform letztlich prima facie für das Verwalteramt ungeeignet. Dem ist der BGH16 zu Recht entgegengetreten. Auch die UG ist als Verwalter grundsätzlich geeignet. Alleine die Rechtsform, die der Gesetzgeber für den Rechtsverkehr anbietet, kann nicht als Argumentation für die Unzulässigkeit einer Verwalterbestellung herangezogen werden.17

nicht geführt wird, ersichtlich. Ein Verweis auf die Wohnungs- und/oder Teileigentumsgrundbücher erscheint ungeeignet, denn die dortigen Eintragungen sind im Hinblick auf Erbfälle19 und den Rechtserwerb in der Zwangsversteigerung gemäß § 90 ZVG20 auch nicht immer zutreffend. Ob eine solche Bestellung auch für die Verwaltung der eigenen Anlage der Fall sein kann, ob dies den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht und wie dies letztlich zu erfolgen hat, mag letztlich dahinstehen. In der Praxis wird niemand die Bestellung einer Wohnungseigentümergemeinschaft als Verwalterin tatsächlich in Betracht ziehen. II. Die persönliche Eignung zum Wohnungseigentumsverwalter Als Selbstverständlichkeit soll unterstellt werden, dass strafrechtlich vorbelastete Personen als Verwalter von Wohnungseigentum weder selber noch als Repräsentanten von Gesellschaften in Betracht kommen. Insbesondere eine Vorstrafe wegen der Vermögens-, Eigentums- und Insolvenzdelikte lassen eine Bestellung bereits anfänglich ausscheiden.21 Auch dürfte die Bestellung von Verwaltern, die auf Grund ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit keinerlei Erfahrung mit der Verwaltung von Wohnungseigentum haben, nicht den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entsprechen. Gleiches gilt für Erfahrungen mit Objekten, die eine außergewöhnliche Größe oder sonstige Besonderheiten aufweisen.

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3. Die Wohnungseigentümergemeinschaft Letztlich wird man auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft wegen der bei ihr gemäß § 10 Abs. 6 WEG bestehenden Rechtsfähigkeit als tauglich für das Verwalteramt ansehen können. Fraglich erscheint, ob bei dieser aber nicht die Grundsätze der Entscheidung des BGH18 über die Tauglichkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Verwalterin herangezogen werden müssen. Denn auch die Wohnungseigentümergemeinschaft leidet an Publizitätsmängeln. Der jeweilige Verwalter ist aus keinem Register, das auch für die Wohnungseigentümergemeinschaft

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Vgl. BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00; vgl. auch BAG, Urt. v. 01.12.2004 - 5 AZR 597/03. Vgl. BGH, Beschl. v. 18.05.1989 - V ZB 4/89 - BGHZ 107, 268; BayObLG, Beschl. v. 12.01.1989 - BReg 2 Z 123/88; KG, Beschl. v. 07.06.1994 - 1 W 6026/93. Vgl. BGH, Beschl. v. 21.01.2006 - V ZB 132/05; BGH, Beschl. v. 13.06.2013 - V ZB 94/12. Vgl. Armbrüster, BlnGE 2001, 821; Drasdo, NZM 2001, 258. Vgl. LG Karlsruhe, Urt. v. 28.06.2011 - 11 S 7/10. Vgl. BGH, Urt. v. 22.06.2012 - V ZR 190/11. Ebenso LG Frankfurt, Urt. v. 04.12.2013 - 2-13 S 94/12, 2/13 S 94/12; Merle in: Bärmann, WEG, § 16 Rn. 8; Jennißen in: Jennißen, WEG, § 26 Rn. 9a. Vgl. BGH, Beschl. v. 21.01.2006 - V ZB 132/05; BGH, Beschl. v. 13.06.2013 - V ZB 94/12. Vgl. BayObLG, Beschl. v. 14.10.1999 - 2Z BR 108/99; Jeckstaedt, BlnGE 2012, 1359; Schmid, ZWE 2011, 443. Vgl. BGH, Urt. v. 05.11.1982 - V ZR 228/80 - BGHZ 85, 245; BayObLG, Beschl. v. 10.03.1988 - BReg 2 Z 123/87; OLG Köln, Beschl. v. 29.11.2010 - 2 Wx 26/10. Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 30.04.2008 - 16 Wx 262/07; LG Berlin, Beschl. v. 20.06.2000 - 85 T 251/99; LG Itzehoe, Beschl. v. 16.07.2002 - 1 T 200/01; Spielbauer/Then, WEG, § 26 Rn. 3; Knop in: Timme, WEG, § 26 Rn. 150.

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Daneben ist aber auch eine finanzielle Zuverlässigkeit des Verwalters erforderlich. Im Zusammenhang mit seiner Entscheidung über die Eignung der UG als Verwalterin hat der BGH22 festgestellt, dass im Rahmen der Prüfung der ordnungsgemäßen Beschlussfassung bei der Verwalterbestellung zu beachten ist, ob eine finanziell ausreichende Ausstattung des Unternehmens vorliegt. Die insoweit sicherlich zu Recht aufgestellten Grundsätze können aber nicht nur bei der Bestellung einer UG als Wohnungseigentumsverwalterin von Bedeutung sein. Sie müssen bei der Bestellung einer jeden Person oder eines jeden Unternehmens beachtet werden. Demnach muss ein Kandidat, der sich um das Amt des Wohnungseigentumsverwalters bewirbt, darlegen, welche Absicherungen er für ein mögliches Fehlverhalten getroffen hat. Die Wohnungseigentümer haben dies bei der Beschlussfassung im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens sachgerecht zu bewerten. Demnach dürfte jeder Beschluss, der eine solche Abwägung im Vorfeld nicht erkennen lässt, anfechtbar sein. Bei der Bewerbung um das Amt des Verwalters werden daher die Finanzausstattung des Verwaltungsunternehmens und bestehende Haftpflichtversicherungen offen zu legen sein. Anders ist den Wohnungseigentümern eine Beurteilung nicht möglich.

beschreiben und ausgestalten, denkbar. Kombinationen beider Varianten sind ebenfalls in Betracht zu ziehen. Es bleibt abzuwarten, welchen Weg der Gesetzgeber einschlägt.

E. Prognosen

F. Ausblick

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass für den Wohnungseigentumsverwalter Zugangsvoraussetzungen für die Berufsergreifung und -ausübung geschaffen werden sollen. Die Verbände der Wohnungseigentumsverwalter haben dies unterstützt. Zwischenzeitlich wird diese Vereinbarung, die naturgemäß nur eine politische Absichtserklärung ohne weitergehende Bindungswirkung sein kann, von ihnen auch eingefordert.

Obwohl es die Figur des Wohnungseigentumsverwalters bereits seit der Begründung des WEG im Jahre 195123 gibt, scheint die Diskussion um seine Person und Berufsausübung noch lange nicht abgeschlossen. Dies hat auch zivilrechtliche Auswirkungen. Wohnungseigentümer, Verwalter und Berater sind gehalten, die weiteren Entwicklungen sorgfältig zu beobachten, um rechtzeitig zutreffende Entscheidungen treffen zu können.

Man wird gespannt sein dürfen, wie eine solche Ausgestaltung erfolgen wird. Dies kann zum einen auf der Ebene des Gewerbeordnungs- und Verwaltungsrechts, wie etwa bei der Makler- und Bauträgerverordnung, erfolgen. Zum anderen sind zivilrechtliche Regelungen, etwa im WEG, die das Amt des Wohnungseigentumsverwalters entsprechend

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Von besonderer Bedeutung werden dabei Fragen der Ausbildung und der Berufsausübung sein. Absicherungen gegen Vermögensschäden der Wohnungseigentümer und der Wohnungseigentümergemeinschaften werden eine bedeutende Rolle im Rahmen der Diskussion einnehmen. Bedingungen der Kapitalausstattung oder Versicherungspflicht sind dabei denkbare Varianten. Eventuell ist auch an Tätigkeitsverbote im Zusammenhang mit der Verwaltertätigkeit zu denken. Beschränkungen bei der Bestellung durch den Bauträger sind bereits ebenfalls erwähnt worden. Der Gesetz- oder Verordnungsgeber wird im Hinblick auf bestehende Unternehmen, die sich mit der Wohnungseigentumsverwaltung befassen, auf verfassungsrechtliche Gesichtspunkte, die sich aus den Art. 2, 3, 12 und 14 GG ergeben, Rücksicht nehmen müssen. Aber auch hier wären die jetzigen unternehmenseinschränkenden Regelungen aus Gründen des Schutzes der Allgemeinheit, wenn ein dahin überwiegendes Interesse an Reglementierungen vorliegen sollte, denkbar.

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Vgl. BGH, Urt. v. 22.06.2012 - V ZR 190/11. Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) vom 15.03.1951, BGBl I 1951, 175, berichtigt 209.

Weshalb ist der vorzeitige Zugewinn so wichtig? VRiOLG Dieter Büte Nimmt man die Anzahl der veröffentlichen Entscheidungen bis zur Güterrechtsreform (in Kraft getreten am 01.09.2009) zum vorzeitigen Zugewinn zum Maßstab, führt dieser ganz offensichtlich ein „Schattendasein“. Die

Erfahrungen des Verfassers aus unzähligen Anwaltsfortbildungsveranstaltungen bestätigen dies. Nur eine äußerst geringe Anzahl der Teilnehmer hat davon Gebrauch gemacht. Durch die Änderung der §§ 1385, 1386 BGB ab

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01.09.2009 ist nunmehr ein früheres Einschreiten im Wege des vorzeitigen Zugewinnausgleichs möglich. Die von Schramm1 geäußerte Befürchtung einer erheblichen Ausweitung hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Der erleichterte Zugang zum vorzeitigen Zugewinn wird nach wie vor wenig genutzt.2 Der folgende Beitrag zeigt die Bedeutung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs, stellt die Voraussetzungen dar und zeigt auch die Haftungsrisiken auf. A. Szenarien für den Anwendungsbereich Beispiel 1: Die Eheleute A und B trennen sich zum 01.08.2010. Sie gehen einvernehmlich – anwaltlich nicht beraten – davon aus, dass dieses Datum für die Regelung der Vermögensverhältnisse, insbesondere die güterrechtliche Auseinandersetzung, ausschlaggebend ist. In der Folgezeit löst der A u.a. Wertpapiere, Sparbriefe und Lebensversicherungen auf. Darüber hinaus gibt es Anzeichen, dass er das in seinem alleinigen Eigentum stehende und nahezu das gesamte Vermögen i.S.d. § 1365 BGB darstellende Einfamilienhaus verkaufen will. Beispiel 2: B hat einen Titel auf Trennungsunterhalt gegen A für die Zeit ab 01.10.2014. Dieser Titel kann wegen der desolaten wirtschaftlichen Situation des A nicht vollstreckt werden. Jeden Monat erhöht sich der Rückstand um 600 €. Beispiel 3: Das Scheidungsverfahren ist seit mehr als 3 ½ Jahren rechtshängig. Im Scheidungsverbund befinden sich der nacheheliche Unterhalt, der eigentlich entscheidungsreif ist, sowie der Zugewinn, bei dem noch vielfältige Streitfragen ungeklärt sind. Ein Antrag auf Abtrennung der Folgesachen gemäß § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG ist zurückgewiesen worden.3 Ein Ende des Verfahrens und damit die Rechtskraft der Ehescheidung sind nicht absehbar. Beispiel 4: A bittet um anwaltliche Beratung über die Verpflichtungen, die sich aus einer Scheidung ergeben. Er erklärt, seit fast drei Jahren getrennt zu leben, drei Kinder zu haben sowie Inhaber einer florierenden und expandierenden Firma zu sein. Ein Ehevertrag existiert nicht. Wenige Tage nach der Beratung erklärt A telefonisch, er wolle „wegen der Kinder“ keinen Scheidungsantrag stellen. Zwei Jahre später bittet A um anwaltliche Vertretung in dem von der Ehefrau B eingeleiteten Scheidungsverfahren.

B. Geltendmachung durch einen Gestaltungsund/oder Leistungsantrag Seit der Güterrechtsreform zum 01.09.2009 kann – anders als bisher – nunmehr auch ein ausgleichsberechtigter Ehegatte zweigleisig vorgehen. Nach § 1386 BGB kann er in allen Fällen des § 1385 BGB im Wege des Stufenantrages (§ 254 ZPO) vorgehen oder ausschließlich einen Zahlungsantrag stellen. Dies hat zur Folge, dass ein dem Zahlungsantrag stattgebender Beschluss die Zugewinngemeinschaft aufhebt. Alternativ kann ein Ausgleichsberechtigter aber auch (nur) einen Gestaltungsantrag erheben. Diese Variante bietet sich an, wenn ein vermeintlich ausgleichsberechtigter Ehegatte nicht sicher ist, ob er überhaupt ausgleichsberechtigt ist oder wenn nur ein geringer Zugewinn zu erwarten ist. Aber auch der ausgleichsberechtigte Ehegatte kann – dies war früher streitig – nunmehr (§ 1386 BGB) im Wege des Gestaltungsantrages die Aufhebung der Zugewinngemeinschaft verlangen. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse ist insoweit nicht erforderlich.4 C. Voraussetzungen des § 1385 BGB I. 3-jähriges Getrenntleben (§ 1385 Nr. 1 BGB) Leben die Ehegatten seit mindestens 3 Jahren getrennt voneinander, begründet allein dies den vorzeitigen Zugewinnausgleich. Die 3-Jahresfrist lehnt sich an die Zerrüttungsvermutung des § 1566 Abs. 2 BGB an. Dadurch wird gewährleistet, dass durch einen Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich nicht Ehen gefährdet werden, die noch nicht endgültig gescheitert sind. Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen eine häusliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Dabei ist der Begriff des Getrenntlebens identisch mit dem des § 1567 BGB. Deshalb muss neben der räumlichen Trennung von Haushaltsund Lebensführung auch ein Trennungswille manifestiert sein.5 Die Frist beginnt mit dem Auszug eines oder beider Ehegatten aus der gemeinsamen Wohnung und der Begründung neuer, getrennter, örtlicher Lebensmittelpunkte. Maßgeblich ist allein der objektive Tatbestand der Trennung; die Gründe für die Trennung sind unerheblich, sodass auch ein Ehegatte, der die Trennung schuldhaft herbeigeführt hat – z.B. durch schwere Eheverfehlungen –, auf vorzeitigen Zugewinn antragen kann. Für die Dauer des Getrenntlebens ist der Zeitpunkt der letzten mündli1 2 3

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Schramm, NJW‑Spezial 2009, 741. Vgl. dazu auch Büte, FuR 2012, 516. Vgl. dazu Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, 4. Aufl., Rn. 432. OLG München, Beschl. v. 15.02.2012 - 12 UF 1523/11; Gomille, NJW 2012, 541; Kogel, FamRZ 2012, 85; a.A. Schöfer-Liebl, FamRZ 2011, 1628 und 2012, 87. Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 347.

JM 07 | chen Verhandlung maßgebend.6 Sofern Ehegatten während des 3-Jahreszeitraums die häusliche Gemeinschaft wiederaufgenommen haben, läuft die Frist bei erneuter Trennung von vorn, es sei denn, es hat sich um ein kürzeres Zusammenleben mit dem Ziel einer allerdings gescheiterten Versöhnung gehandelt. Dabei sind drei Monate die Obergrenze.7 II. Gefährdung der Ausgleichsforderung (§ 1385 Nr. 2 BGB) Der Tatbestand entspricht in modifizierter Form dem früheren § 1386 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB. Dieser setzte voraus, dass der Antragsgegner gesetzwidrige Geschäfte oder Handlungen i.S.d. §§ 1365, 1375 Abs. 2 BGB vor Antragstellung schon vorgenommen hatte. Nach der seit dem 01.09.2009 geltenden Fassung des § 1385 Nr. 2 BGB muss eine vermögensmindernde Verfügung des ausgleichspflichtigen Ehegatten nicht mehr vorliegen.8 Ausreichend ist es vielmehr, dass Handlungen der in § 1365 BGB oder § 1375 Abs. 2 BGB bezeichneten Art zu befürchten sind und dadurch eine erhebliche Gefährdung der Erfüllung der Ausgleichsforderung zu besorgen ist. Insoweit genügt es jetzt, dass ein Antragsteller Anhaltspunkte vorträgt und ggf. unter Beweis stellt, die bei vernünftiger unvoreingenommener Betrachtung Anlass zu ernsthafter Sorge geben, dass mit baldigen Handlungen der in § 1365 oder § 1375 Abs. 2 BGB bezeichneten Art vonseiten des anderen Ehegatten zu rechnen ist.9 Solche Anhaltspunkte sind dem ausgleichsberechtigten Ehegatten regelmäßig aus eigener Wahrnehmung bekannt. Soweit es um die Befürchtung einer illoyalen Vermögensminderung geht, genügt es etwa, eine Vorbereitungshandlung vorzutragen, die den Schluss auf Benachteiligungsabsicht zulässt; es ist dann Sache des anderen Ehegatten, sich substantiiert zu erklären, um die Folgen des § 138 Abs. 3 ZPO zu vermeiden.10 Erfasst werden also insbesondere finanzielle Transaktionen, die weder in der konkreten Situation notwendig noch üblich noch wirtschaftlich sinnvoll sind und deshalb den Schluss zulassen, dass der Ehepartner dadurch die Verfügbarkeit von Geldmitteln für Vermögensverschiebungen hat erleichtern wollen (z.B. Veräußerung von Aktien, Auflösung von Festgeldkonten und Anlage des Geldes auf einem Girokonto; Annoncierung einer vermieteten Eigentumswohnung, die das wesentliche Vermögen darstellt, zum Verkauf; Buchung einer Kreuzfahrt nach der Trennung, nachdem die Eheleute während der Ehe in bescheidenen Verhältnissen gelebt hatten). Die Erheblichkeit der Gefährdung der Ausgleichsforderung beurteilt sich nach dem Umfang der Vermögensinteressen und dem Grad der Gefährdung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.11

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Soweit teilweise nach wie vor die Auffassung vertreten wird, die Vorschrift finde nur Anwendung für einen Ausgleichsberechtigten,12 kann dem nicht gefolgt werden. Für diese Auffassung streitet zwar der Wortlaut der Norm, Ziel der Gesetzesänderung war es jedoch, eine Waffengleichheit für beide Ehegatten herbeizuführen; auch beim ausgleichsberechtigten Ehegatten kann es zu Vermögensminderungen i.S.d. § 1375 Abs. 2 BGB kommen.13 Auch ein Ausgleichspflichtiger ist also davor geschützt, dass eine künftig zu erfüllende Ausgleichsforderung des anderen Ehegatten durch unredliche Handlungen zu seinem Nachteil beeinflusst wird. III. Schuldhafte Nichterfüllung der wirtschaftlichen Verpflichtungen (§ 1385 Nr. 3 BGB) Erfasst werden vor allem aus dem ehelichen Lebensverhältnis sich ergebende Verpflichtungen zu Unterhaltsleistungen und zur Besorgung des ehelichen Haushalts nach Maßgabe der §§ 1360, 1356 Abs. 1 BGB. Nichterfüllung bedeutet jedes pflichtwidrige Verhalten – Tun oder Unterlassen –, wozu auch eine nur unregelmäßige, unvollständige oder grundlos verzögerte Pflichterfüllung gehören kann. Voraussetzung ist ein pflichtwidriges Verhalten über einen längeren Zeitraum, wobei es neben der Dauer des Güterstandes auch auf den Umfang und die Schwere der Pflichtwidrigkeit ankommt sowie weiter eine objektiv begründbare ernsthafte Besorgnis der Fortsetzung oder Wiederholung des Verhaltens. Notwendig ist insoweit eine Negativprognose in Bezug auf das Verhalten des anderen Ehegatten.14 Deshalb ist es notwendig, konkrete Umstände vorzutragen, die zum einen objektiv eine ernsthafte Besorgnis eines Fortsetzungs- oder Wiederholungsverhaltens begründen, also insbesondere Art, Umfang, Dauer und 6

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Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Aufl. 2015, § 1385 Rn. 2; a.A. Weinreich/Klein, Fachanwaltskommentar Familienrecht, 5. Aufl., § 1385 Rn. 3; Braeuer, Der Zugewinnausgleich, Rn. 656: Ist die 3-Jahresfrist bei Einreichung nicht abgelaufen, ist der Antrag sofort abzuweisen. Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, § 1567 Rn. 34; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.05.1994 - 2 WF 79/94. BT-Drs. 16/10798, S. 19. BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - XII ZB 604/13; Johannsen/Henrich/ Jaeger, Familienrecht, § 1385 Rn. 3. Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 348; Klein, FuR 2011, 481, 483. OLG Köln, Urt. v. 29.10.2001 - 21 UF 17/01; Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, 6. Aufl., 1. Kap. Rn. 916. So Weinreich/Klein, Fachanwaltskommentar Familienrecht, § 1385 Rn. 10. BT-Drs. 16/10798, S. 20; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, § 1386 Rn. 2; Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 348. OLG Brandenburg, Urt. v. 16.10.2007 - 10 UF 96/07; Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 350.

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Schwere der bisherigen Pflichtwidrigkeiten, weiter aber auch die subjektive Einstellung des „schuldhaften“ Ehegatten. Dessen Erklärungen und Versicherungen sind nur zu berücksichtigen, wenn deren Ernsthaftigkeit außer Frage steht. Nicht ausreichend ist allein das Misstrauen eines Ehegatten, das daraus resultiert, dass sich der andere Ehegatte erst nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs zur Zahlung von Trennungsunterhalt bereiterklärt hat.15 Das Gericht muss konkrete Feststellungen treffen, auf die die Besorgnis für zukünftige Pflichtverstöße gestützt werden kann. Besondere Bedeutung erlangt die Vorschrift deshalb, weil Unterhaltsverbindlichkeiten im Endvermögen des Zugewinnausgleichspflichtigen als Passiva und im Endvermögen des Zugewinnausgleichsberechtigten als Aktiva aufzuführen sind.16 Dies kann dazu führen, dass ein Unterhaltspflichtiger über den Zugewinnausgleich seinen eigenen Unterhaltsanspruch finanziert, soweit der Zeitraum bis zur Rechtshängigkeit betroffen ist.17 IV. Beharrliche Weigerung, den anderen Ehegatten über den Bestand des Vermögens zu unterrichten (§ 1385 Nr. 4 BGB) Rechtsgrundlagen und Reichweite des Informations-/Unterrichtungsanspruchs Aus § 1353 BGB leitet die nahezu einhellige Auffassung18 während bestehender Ehe eine allgemeine, wechselseitige Pflicht der Ehegatten her, den anderen Ehegatten in groben Zügen über den Bestand des Vermögens zu unterrichten. Umstritten ist der Anwendungsbereich der Vorschrift. Teilweise wird vertreten, der Anspruch bestehe bis zum Scheitern der Ehe19, wobei das Scheitern der Ehe weitgehend in der endgültigen Trennung, d.h. dem Auszug eines Ehegatten, gesehen wurde. Da die Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte dafür hergeben, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich hat erweitern wollen, spricht vieles dafür, die zeitliche Reichweite mit dem Zeitpunkt der Trennung enden zu lassen.20 Demgegenüber vertritt Klein21 die Auffassung, Rechtsgrundlage sei nicht nur die bis zur Trennung (§ 1567 Abs. 1 BGB) bestehende eheliche Lebensgemeinschaft, sondern die aus der noch nicht aufgelösten Ehe folgende Rechtspflicht, auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten aufeinander Rücksicht zu nehmen. Für eine beharrliche Weigerung ist es notwendig, dass zum einen mit einer Änderung des Verhaltens des zur Unterrichtung verpflichteten Ehegatten nicht mehr gerechnet werden kann. Davon kann jedenfalls bei einer Nichtreaktion trotz dreimaliger Aufforderung ausgegangen werden.22 Bei einer – vom informationspflichtigen Ehegatten darzulegenden und zu beweisenden – Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der mitgeteilten Daten kann die Infor-

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mation verweigert werden, allerdings nur, soweit dies zum Schutz des Unterrichtungspflichtigen notwendig ist. Ein generelles Interesse des Pflichtigen oder seiner Geschäftspartner an der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen reicht nicht aus. Eine Unterrichtung erst nach Zustellung eines Antrages auf vorzeitigen Zugewinnausgleich führt nicht zur Erledigung des Verfahrens. Höchstrichterlich23 ist nunmehr auch geklärt, dass es kein Verlangen auf Unterrichtung darstellt, wenn ausdrücklich Auskunft nach § 1379 BGB verlangt wird. Sofern also ein Ehegatte nur Auskunft über das Vermögen z.B. zum Trennungszeitpunkt verlangt hat, kann damit der Antrag nach § 1385 Nr. 4 BGB nicht begründet werden. Die beiden Ansprüche stehen nicht in einem Rangverhältnis.24 Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Zielsetzung, ihres Umfangs und ihrer Voraussetzungen.25 D. Prozessuale Probleme I. Zuständigkeit Zuständig ist gemäß § 262 FamFG das Familiengericht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragsgegners. Bei Anhängigkeit einer Ehesache ist das Verfahren ausschließlich bei dem insoweit zuständigen Familiengericht zu führen. Wird während der Anhängigkeit des Verfahrens eine Ehesache anhängig, ist das Verfahren auf vorzeitigen Zugewinnausgleich gem. § 263 FamFG an das Gericht der Ehesache abzugeben. II. Keine Einbeziehung in den Verbund Da mit dem Verfahren auf vorzeitigen Zugewinnausgleich keine Entscheidung für den Fall der Scheidung getroffen wird, scheidet eine Einbeziehung in den Verbund aus.26 15 16

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OLG Brandenburg, Urt. v. 16.10.2007 - 10 UF 96/07. BGH, Urt. v. 27.08.2003 - XII ZR 300/01; BGH, Urt. v. 06.10.2010 XII ZR 10/09. Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 4. Aufl., Rn. 345. Vgl. nur BGH, Urt. v. 25.06.1976 - IV ZR 125/75; BGH, Urt. v. 05.07.2000 - XII ZR 26/98; BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - XII ZB 604/13; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, § 1385 Rn. 5. OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.03.2002 - 20 UF 154/00; OLG Köln, Urt. v. 01.07.2008 - 4 UF 8/08. So auch Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, § 1385 Rn. 5 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 15.08.2012 - XII ZR 80/11. Klein, FuR 2011, 481, 485. BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - XII ZB 604/13: obiter dictum unter Hinweis auf OLG Frankfurt, Urt. v. 01.07.2009 - 2 UF 16/09; so auch Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 354. BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - XII ZB 604/13. So schon OLG Bamberg, Urt. v. 20.08.2009 - 2 UF 133/09. Koch in: MünchKomm BGB, § 1386 Rn. 24. KG, Urt. v. 21.03.2000 - 13 UF 9188/99; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.02.2002 - 2 UF 211/01; Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, Rn. 355; a.A. Braeuer, Der Zugewinnausgleich, Rn. 689.

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III. Anwaltszwang

Beispiel:

Gemäß § 114 Abs. 1 FamFG besteht Anwaltszwang.

A verbindet diesen Antrag mit einem Stufenantrag. Dieser Stufenantrag wird dem B am 31.08.2013 zugestellt. Sodann reicht der B Scheidungsantrag ein und macht gleichzeitig den Zugewinn als Folgesache im Wege eines Stufenantrages geltend. Dieser Scheidungsantrag wird der A am 05.10.2013 zugestellt. Endtermin für die Berechnung des Zugewinns ist der 31.08.2013. Ist der Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich begründet, bestimmen sich der Auskunftsanspruch, der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung und die Ausgleichsforderung nach diesem Datum. Der 05.10.2013 ist zunächst ohne Bedeutung und bleibt dies auch, wenn dem Antrag auf vorzeitigen Zugewinn stattgegeben wird. Wird der Antrag auf vorzeitigen Zugewinn jedoch abgewiesen, ist der 05.10.2013 der maßgebliche Endtermin. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber, ob die Zugewinngemeinschaft durch den vorzeitigen Zugewinnausgleich beendet wurde, ist aus dem Ehescheidungsverfahren die Folgesache Zugewinn gem. § 148 ZPO auszusetzen.30

IV. Nebeneinander von vorzeitigem Zugewinn und Scheidungsverfahren Nach einhelliger Auffassung27 ist ein Nebeneinander von vorzeitigem Zugewinn und Scheidungsverfahren möglich. Beide Verfahrensarten haben das Ende des gesetzlichen Güterstandes zur Folge. In Betracht kommen folgende Möglichkeiten28: • Ein Ehegatte stellt Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich und beantragt vor dem Ende des Verfahrens auch die Scheidung. • Der andere Ehegatte beantwortet den Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich mit einem Scheidungsantrag. • Ein Ehegatte beantragt die Scheidung und beantragt ergänzend vor Ende des Scheidungsverfahrens den vorzeitigen Zugewinnausgleich. • Ein Ehegatte beantragt Scheidung und Zugewinnausgleich als Folgesache, der andere beantwortet die Anträge mit einem eigenen Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich. • Die Scheidung und die Folgesachen (ohne Güterrecht) sind in der Rechtsmittelinstanz, und nunmehr beantragt einer der Eheleute gemäß § 1385 BGB vorzeitigen Zugewinnausgleich. Sinn zweier nebeneinanderliegender Verfahren ist es, dass die Beendigung des Güterstandes zu unterschiedlichen früheren Zeitpunkten eintreten kann. Sind Scheidungsverfahren und vorzeitiger Zugewinnausgleich nebeneinander anhängig und wird der Scheidungsbeschluss rechtskräftig, bevor über den vorzeitigen Zugewinnausgleich entschieden ist, ist ein Verfahren nach § 1386 BGB auf Aufhebung der Zugewinngemeinschaft in der Hauptsache erledigt, da mit Rechtskraft der Scheidung der Güterstand beendet ist. In einem Verfahren nach § 1385 BGB hat sich nur der Antrag auf Aufhebung der Zugewinngemeinschaft erledigt. Bei Rücknahme des Scheidungsantrages kann die Folgesache Zugewinnausgleich mit Umstellung des Antrages auf vorzeitigen Zugewinnausgleich fortgeführt werden.29 V. Stichtag Ist der Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich vor dem Scheidungsantrag rechtshängig geworden, bestimmt sich der Berechnungszeitpunkt für das Endvermögen nach der Rechtshängigkeit des Antrages auf vorzeitigen Zugewinnausgleich.

VI. Streitwert Dieser richtet sich nach dem Interesse des Antragstellers an der vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft (§ 42 Abs. 1, Abs. 3 FamGKG). Häufig wird ¼ der zu erwartenden Forderung angenommen.31 Bei Verfahren nach § 1385 ist dieser Wert zu dem Zahlungsantrag zu addieren.32 Geht es um die Vorverlegung der Fälligkeit der Zugewinnausgleichsforderung, kann der Wert der früheren Fälligkeit auf der Basis des Satzes für Prozess- und Verzugszinsen für die Zeit der wahrscheinlichen Dauer des Zugewinnverfahrens berechnet werden.33 VII. Kosten Da der vorzeitige Zugewinnausgleich nicht in den Verbund einbezogen werden kann, findet § 150 FamFG keine Anwendung. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 91, 92 ZPO.

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Vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.04.2003 - 16 WF 6/03; Brudermüller in: Palandt, BGB, 74. Aufl., §§ 1385, 1386 Rn. 14. Braeuer, Der Zugewinnausgleich, Rn. 706. KG Berlin, Beschl. v. 04.11.2003 - 18 WF 233/03; OLG Köln, Urt. v. 29.10.2001 - 21 UF 17/01. Thiele in: Staudinger, BGB, § 1387 Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.02.2002 - 2 UF 211/01. OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.11.1997 - 7 WF 3549/97. Brudermüller in: Palandt, BGB, §§ 1385, 1386 Rn. 12. OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.03.2009 - 16 WF 35/09; so auch Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, Rn. 374.

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VIII. Muster für einen Stufenantrag In pp. Wegen vorzeitiger Aufhebung der Zugewinngemeinschaft, Auskunft und Zugewinnausgleich, vorläufiger Gegenstandswert … bestellen wir uns zu Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und beantragen (1) den durch die Eheschließung der Beteiligten am … begründeten Güterstand der Zugewinngemeinschaft aufzuheben, (2) dem Antragsgegner aufzugeben a) der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über den Bestand seines Anfangsvermögens am … und seines Endvermögens am … Tag der Zustellung dieses Antrages durch Vorlage schriftlicher Bestandsverzeichnisse, jeweils unterteilt nach Aktiva und Passiva und mit genauer Beschreibung der wertbildenden Faktoren, b) ggf. noch zu bezeichnende Belege vorzulegen und/ oder die Vollständigkeit der Auskünfte eidesstattlich zu versichern, c) an die Antragstellerin einen Zugewinnausgleich in noch zu beziffernder Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB zu zahlen, d) die sofortige Wirksamkeit bezüglich Ziff. (2 c) anzuordnen. IX. Fazit Der vorzeitige Zugewinnausgleich ist so wichtig, weil a) durch den vorzeitigen Zugewinn ein Stichtag herbeigeführt und vorverlegt werden kann. Dieser ist nach einhelliger Auffassung34 Voraussetzung für das Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen, z.B. für einen Arrest. Denn ein Rechtsanwalt verstößt gegen seine Sorgfaltspflichten, wenn er keine Maßnahmen zur Sicherung der Vollstreckbarkeit einer Zugewinnausgleichsforderung ergreift, obwohl er konkrete Hinweise auf insoweit bestehende Vereitelungsabsicht des anderen Ehegatten hat;35 b) Ausgleichspflichtiger und Ausgleichsberechtigter ohne Scheidungsantrag den Stichtag für die Berechnung des Zugewinns festlegen können; c) durch die vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft (§ 1388 BGB) der Fälligkeitszeitpunkt für die Ausgleichszahlung vorverlegt wird, da mit Rechtskraft der Entscheidung über den vorzeitigen Zugewinnausgleich Gütertrennung eingetreten ist. Mit Rechtskraft

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der Entscheidung über den vorzeitigen Zugewinnausgleich ist die Ausgleichsforderung zu verzinsen; d) bei einem Nebeneinander von vorzeitigem Zugewinn und Zugewinn im Verbundverfahren mit Rechtskraft der Entscheidung über den vorzeitigen Zugewinn der Zugewinn aus dem Verbund zu lösen ist, da nunmehr keine Entscheidung mehr für den Fall der Ehescheidung begehrt wird.36 Damit kann ggf. verhindert werden, dass die Rechtskraft der Ehescheidung hinausgezögert wird. Diese Variante ist für den Ausgleichspflichtigen von Bedeutung. 34 35

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Vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.01.1998 - 16 WF 133/97. OLG Hamm, Urt. v. 27.11.1991 - 33 U 6/90; OLG Hamm, Urt. v. 17.05.2002 - 33 U 7/02: im konkreten Fall Haftung allerdings verneint; OLG Zweibrücken, Urt. v. 16.08.2013 - 2 U 1/13. Brudermüller in: Palandt, BGB, §§ 1385, 1386 Rn. 12; Schöfer-Liebl, FamRZ 2011, 1628; Haußleiter, NJW Spezial 2010, 580; Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, Rn. 318.

Kein Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers bei bloß faktischer Überlassung des Kundenstamms BGH, Urt. v. 05.02.2015 - VII ZR 109/13 RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht Dr. Volker Güntzel A. Problemstellung Während der in § 89b HGB geregelte Ausgleichsanspruch die wirtschaftlich und forensisch bedeutendste Vorschrift1 im Handelsvertreterrecht darstellt und auch im Vertragshändlerrecht zahlreiche Urteile des BGH bezüglich der analogen Anwendbarkeit dieser Bestimmung ergangen sind, existieren im Franchising bisher nur einige wenige, zumeist unveröffentlichte landgerichtliche und oberlandesgerichtliche Entscheidungen.2 Der BGH hat in seiner „Benetton I“Entscheidung3 vom 23.07.1997 die Frage der analogen Anwendbarkeit auf eine franchiseähnliche Vertriebsgestaltung ausdrücklich offen gelassen, da seiner Ansicht nach die im Vertragshändlerrecht entwickelten Analogievoraussetzungen nicht erfüllt waren.

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Hopt, Handelsvertreterrecht, 4. Aufl. 2009, § 89b Rn. 1. LG Frankfurt, Urt. v. 10.12.1999 - 3/8 O 28/99; LG Hanau, Urt. v. 28.05.2002 - 6 O 106/01; OLG München, Urt. v. 26.06.2002 - 7 U 5730/01; LG Kiel, Urt. v. 09.12.2003 - 16 O 56/02; LG Berlin, Urt. v. 08.09.2004 - 101 O 23/04; OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 - 11 U 279/06. BGH, Urt. v. 23.07.1997 - VIII ZR 130/96.

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Der Stand der Entwicklung der Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des § 89b HGB ist am weitesten im Vertragshändlerrecht fortgeschritten.4 Dementsprechend besteht eine analoge Anwendbarkeit, wenn der Vertragshändler einem Handelsvertreter vergleichbar in die Absatzorganisation des Lieferanten eingegliedert und verpflichtet ist, dem Lieferanten den Kundenstamm zu überlassen, sodass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann.

log auf Franchiseverträge anwendbar ist, offen gelassen. Seiner Ansicht nach sind auch in dem vorliegenden Fall die im Vertragshändlerrecht entwickelten Analogievoraussetzungen nicht erfüllt, da es an einer Verpflichtung des Franchisenehmers zur Überlassung des Kundenstamms fehle. Es bestehe bei einer bloß faktischen Überlassung des Kundenstamms durch die nahtlose Fortführung des Betriebs keine für eine Analogie erforderliche vergleichbare Interessenlage zum Handelsvertreter.

Die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur verweist im Hinblick auf das Franchising auf die Rechtsprechung zum Vertragshändlerrecht und meint, dass dem Franchisenehmer erst recht ein Ausgleichsanspruch zustehen müsse, da eine vergleichbare Interessenlage zu dem Handelsvertreter festzustellen sei.5 Es ist aber noch höchstrichterlich ungeklärt, ob zum einen § 89b HGB überhaupt auf Franchisenehmer anwendbar ist und zum anderen, unter welchen Voraussetzungen dies zu erfolgen hat.

C. Kontext der Entscheidung

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung6 des 7. Senats des BGH, der sich erst seit kurzem mit vertriebsrechtlichen Fragestellungen befasst, mit Spannung erwartet worden. Der Sachverhalt ist schnell dargestellt: Der Kläger, bei dem es sich um den Insolvenzverwalter eines ehemaligen Franchisenehmers handelt, fordert von dem Franchisegeber nach Beendigung von zwei Franchiseverträgen gemäß § 89b HGB analog einen Ausgleichsanspruch. Der Beklagte betreibt das Kamps-Franchisesystem, bei dem die Besonderheit besteht, dass der Franchisegeber den Franchisenehmern die Geschäftsräume für die Backshops im Rahmen eines Pachtvertrages zur Verfügung stellt. Dies führt dazu, dass nach Beendigung des Franchisevertrages das Ladenlokal entweder von dem Franchisegeber selbst oder von einem neuen Franchisenehmer übernommen und der Betrieb nahtlos fortgeführt werden kann. Für die Kunden verändert sich nichts, d.h. diese werden den Inhaberwechsel zumeist überhaupt nicht bemerken. Hinzu kommt, dass die betreffenden Franchisenehmer, anders als in anderen Branchen, aufgrund des vorliegenden anonymen Massengeschäfts nicht über die Daten ihrer Kunden verfügen. Während das LG Frankfurt in seinem Urteil vom 19.11.19997 in einem vergleichbaren Fall dem Franchisenehmer noch einen Ausgleichsanspruch zugesprochen hat, haben bereits die beiden Vorinstanzen, d.h. das LG Mönchengladbach8 und das OLG Düsseldorf9, entsprechend der Rechtsprechung zum Vertragshändlerrecht diese bloße faktische Kontinuität des Kundenstamms nicht ausreichen lassen. Der BGH hat, ebenso wie in seiner „Benetton I“Entscheidung10, die Frage, ob § 89b HGB überhaupt ana-

Nach dem richtungsweisenden Urteil des OLG Celle11 im Jahr 2007, in dem die Frage der analogen Anwendbarkeit des § 89b HGB auf Franchiseverträge eindeutig bejaht worden ist und dabei die zu Vertragshändlerverträgen gebildeten Grundsätze herangezogen worden sind, ist seitens des BGH weiterhin eine Klärung unterblieben. Allerdings hat er wie schon in seiner „Benetton I“-Entscheidung die Anforderungen, die für die analoge Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Vertragshändlerverträge gebildet worden sind, auch für Franchisenehmer geprüft. Daher ist zumindest klar, dass dann, wenn § 89b HGB analog auf Franchisenehmer anwendbar wäre, die gleichen Grundsätze wie bei Vertragshändlern gelten würden. Wenn der BGH aber zu der Auffassung gelangt ist, dass für die Beurteilung einer analogen Anwendbarkeit des § 89b HGB auf Franchiseverhältnisse die Anforderungen für Vertragshändler anzuwenden sind, muss er letztlich aufgrund der vielfach parallelen Ausgangssituation auch von einer grundsätzlich analogen Anwendbarkeit auf Franchiseverträge ausgehen. Dementsprechend führt der BGH in seinem aktuellen Urteil aus, dass zum einen Vorschriften des Handelsvertreterrechts auf einen Franchisevertrag entsprechend anwendbar sein können und zum anderen § 89b HGB grundsätzlich auch auf andere im Vertrieb tätige Per-

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Der BGH nahm bereits im Jahr 1958 erstmals zu dieser Frage im Vertragshändlerrecht Stellung; BGH, Urt. v. 29.04.1958 - VIII ZR 189/57. Bodewig, BB 1997, 637, 638 f.; Eckert, WM 1991, 1237 ff.; Emde, WRP 2006, 449; Flohr, DStR 1998, 572 ff.; Giesler, NZS 1999, 483, 484; Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn. 669 ff.; Haager, NJW 2002, 1463, 1471; Köhler, NJW 1990, 1689, 1691 f.; Martinek/Habermeier in: Martinek/Semler/ Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Aufl. 2010, § 29 Rn. 81 ff.; Matthießen, ZIP 1988, 1089, 1095 f.; Skaupy, Franchising, Handbuch für die Betriebs- und Rechtspraxis, 2. Aufl. 1995, S. 142 ff.; Ullmann, CR 1991, 193, 199; Weber, JA 1983, 347, 353. BGH, Urt. v. 05.02.2015 - VII ZR 109/13. LG Frankfurt, Urt. v. 10.12.1999 - 3/8 O 28/99. LG Mönchengladbach, Urt. v. 09.01.2012 - 8 O 71/11. OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.05.2013 - I-16 U 36/12. BGH, Urt. v. 23.07.1997 - VIII ZR 130/96. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 - 11 U 279/06.

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sonen entsprechend anwendbar sein könne, wobei dies „insbesondere“ für Vertragshändler gelte. Dabei bezieht er ausdrücklich sein „JOOP!“-Urteil vom 29.04.201012 mit ein. Zwar geht es bei dieser Entscheidung um einen Markenlizenzvertrag und der BGH verneint den Ausgleichsanspruch mit der Begründung, dass es an einer vergleichbaren Interessenlage als Voraussetzung einer Gesetzesanalogie fehle. Allerdings wendet der BGH auch für diesen Fall die für die Vertragshändler entwickelten Analogiekriterien an und kommt zu dem Ergebnis, dass bereits keine mit einem Handelsvertreter vergleichbare Einbindung in die Absatzorganisation des Lizenzgebers vorliege. Zudem bezieht sich der BGH ausdrücklich auf Franchiseverträge und führt aus, dass bei solchen Verträgen eine vergleichbare Interessenlage in Fallgestaltungen angenommen worden sei, in denen dem Franchisenehmer der Vertrieb von Produkten des Franchisegebers zugewiesen war. Es ist daher nur noch eine Frage der Zeit, d.h. der Vorlage einer geeigneten Fallkonstellation geschuldet, bis der BGH auch für Franchiseverträge die grundsätzlich analoge Anwendbarkeit des § 89b HGB bestätigen wird. Ob dies dann auch tatsächlich greift, ist immer eine Frage des Einzelfalls. D. Auswirkungen für die Praxis Dieses Urteil wird dazu führen, dass in der Praxis die Zahl der Prozesse, die Franchisenehmer zur Durchsetzung eines Ausgleichsanspruchs anstrengen werden, weiter sinkt. Der Ausgleichsanspruch bei der Beendigung von Franchiseverträgen spielt selbst nach dem Urteil des OLG Celle13 im Jahr 2007 nur eine untergeordnete Rolle. Grund dafür ist, dass sich Franchisenehmer-Anwälte, wenn und soweit sie Zahlungsansprüche ihrer Mandanten durchsetzen wollen, beinahe stets auf Schadensersatzansprüche konzentrieren. Es geht entweder um einen Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten oder auf Schadensersatz gemäß § 89a Abs. 2 HGB analog bzw. gemäß §§ 280, 281 BGB aufgrund der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung. Dies führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass trotz der in vielen Fällen sehr weitgehenden Parallelen zwischen Vertragshändler- und Franchiseverträgen in der Praxis Schwerpunkte bei verschiedenen Anspruchsgrundlagen gesetzt werden.

unter Umständen jahrzehntelangen Tätigkeit die Früchte ihrer Arbeit nicht ernten können. Während ein außerhalb eines Franchisesystems stehender selbstständiger Unternehmer am Ende seines Geschäftslebens seinen erfolgreichen Betrieb veräußern kann, steht diese Option Franchisenehmern, die die Geschäftsräume von dem Franchisegeber gemietet oder gepachtet haben, nicht wirklich zur Verfügung. Warum sollte der Franchisegeber einen Betrieb kaufen, wenn er ihn aufgrund seiner Herrschaft über den Standort jederzeit ohne die Zahlung eines Kaufpreises selbst fortführen oder auf einen neuen Franchisenehmer übertragen kann? Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei der vom BGH zu entscheidenden Fallkonstellation der Verpachtung von Franchisebetrieben durch den Franchisegeber aufgrund der damit für den Franchisegeber erforderlichen Investitionen und verbundenen finanziellen Risiken um eine Ausnahmeerscheinung geht. Dennoch gelingt es vielen Franchisegebern mit stationären Konzepten, sich durch die Vereinbarung einer sog. „Mieteintrittsoption“ eine Zugriffsmöglichkeit auf den Standort des Franchisebetriebs zu sichern. Es handelt sich dabei um die zumeist in einem Vorvertrag zu dem Franchisevertrag vereinbarte Verpflichtung für den Franchisenehmer, in seinem Mietvertrag mit dem Vermieter der Geschäftsräume eine Regelung aufzunehmen, die den Franchisegeber berechtigt, die Nachfolge im Mietverhältnis anzutreten, wenn und sobald der Franchisevertrag endet. Die Konsequenzen der Ausübung dieses Eintrittsrechts für den Franchisenehmer sind noch schwerwiegender als bei einer Beendigung eines zwischen ihm und dem Franchisegeber bestehenden Miet- oder Pachtvertrages. Da Franchisegeber und Vermieter personenverschieden sind, ist der Franchisenehmer gegenüber dem Vermieter als unbeteiligtem Dritten bei Ausübung des Eintrittsrechts des Franchisegebers nicht zu einer Nutzungsfortsetzung der Geschäftsräume, die zumindest in gewissen Ausnahmefällen gegenüber dem Franchisegeber als Vermieter bestehen kann14, berechtigt. Auch eine finanzielle Kompensation scheidet aus, da der im Schrifttum geforderte sog. „Investitionserstattungsanspruch“, der entweder aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB oder aus §§ 675, 670 BGB analog hergeleitet wird15, in der Rechtsprechung keinen

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E. Bewertung Das Urteil ist konsequent, da es die Rechtsprechung zu den vergleichbaren Vertragshändlern auf das Franchising überträgt. Es kann aber für Franchisenehmer erhebliche Nachteile mit sich bringen, da diese bei Beendigung ihrer

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BGH, Urt. v. 29.04.2010 - I ZR 3/09. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 - 11 U 279/06. Vgl. dazu ausführlich Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn. 282. Vgl. zu dem Investitionserstattungsanspruch Giesler/Güntzel in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn. 282; Liesegang/Liesegang, Jahrbuch Franchising 2012, 111, 129 f.; Pohl, Jahrbuch Franchising 2009, 277 ff.

JM 07 | Niederschlag gefunden hat, und sich der BGH nun gegen einen Ausgleich bei einer nur faktischen Übertragung des Kundenstamms ausgesprochen hat16. Der BGH hat allerdings in seiner aktuellen Entscheidung insbesondere mit der gesetzlichen Wertung des Pachtrechts argumentiert, wonach bei der Rückgabe eines Pachtgegenstands ein etwaiger Wertzuwachs dem Verpächter zukomme und der Pächter dafür keinen Ausgleich verlangen könne. Diese Wertung kann bei der Vereinbarung einer Mieteintrittsoption nicht greifen, zumal der Franchisegeber ohne finanzielles Risiko nach seinem Belieben bei einer Beendigung des Franchisevertrages von dieser Option Gebrauch machen kann. Es bleibt daher zumindest für diese im Franchising häufig anzutreffende Fallkonstellation abzuwarten, ob die Rechtsprechung nicht doch noch ein Mittel findet, um unbillige Härten zu Lasten der Franchisenehmer, die unter Umständen über Jahrzehnte hinweg einen erfolgreichen Betrieb aufgebaut haben, zu vermeiden.

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Auf das Problem, dass der ausscheidende Franchisenehmer bei der Vereinbarung einer Eintrittsoption noch schlechtergestellt wird als bei dem Abschluss eines Miet- oder Pachtvertrages mit dem Franchisegeber, hat der Autor bereits im Jahr 2013 unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Urteils des LG Mönchengladbach hingewiesen, vgl. Güntzel/Giesler, Jahrbuch Franchising 2013, 126, 138 ff.

Zeitfenster für Raucher? BGH, Urt. v. 16.01.2015 - V ZR 110/14 RA Ulrich Nastold A. Problemstellung Bereits seit etlichen Jahren sehen sich Raucher mit immer neuen oder weitergehenden Einschränkungen und Verboten konfrontiert, die ihnen „ihren blauen Dunst“ durchaus vergällen können. Beim Betreten eines Fliegers wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Flüge NichtraucherFlüge sind. In Zügen der Deutschen Bahn AG gilt ebenfalls ein striktes Rauchverbot. Die farblichen Markierungen auf Bahnsteigen oder speziell aufgestellte Raucherboxen in Abfertigungshallen der Flughäfen wecken Assoziationen an frühere Pranger und die mittlerweile von den Bundesländern sukzessiv eingeführten Nichtraucher-Schutzgesetze sorgen zusätzlich dafür, dass sich die „Rückzugsorte“ für Raucher mehr und mehr verringern. Manche Staaten verbieten nicht nur das Rauchen in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden, sondern haben es zumindest im öffentlichen Raum noch weitergehend eingeschränkt.1 Zumindest die eigenen vier Wände sollten deshalb, so möchte man meinen, eine der letzten verbliebenen Bastionen für

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die Fraktion der Raucher geblieben sein. Eine jüngere Entscheidung des BGH stellt dies allerdings in Frage. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung vom 16.01.2015 I. Im Urteil vom 16.01.20152 ging es vor allem um die Frage, ob ein Mieter von einem unter ihm wohnenden anderen Mieter, der auf seinem Balkon raucht, rauchfreie Zeiten zu fordern berechtigt ist. Des Weiteren ging es um die Frage, welche Maßstäbe anzulegen sind, um beim Passivrauchen eine Gesundheitsgefährdung bejahen zu können. Der Mieter, der unterhalb der Klagepartei wohnt, nutzte seinen Balkon mehrmals täglich zum Rauchen. Dadurch fühlte sich der oberhalb wohnende Mieter im Gebrauch seiner Wohnung gestört und forderte, das Rauchen auf dem Balkon während bestimmter Stunden zu unterlassen. Er stützte sein Begehren auf einen Besitzschutzanspruch und berief sich ferner darauf, durch die Immissionen, die vom Tabakrauch ausgingen, in seiner Gesundheit geschädigt zu werden. Amts- und Landgericht hatten die Klage abgewiesen. Das Rauchen in einer Mietwohnung gehöre zum vertragsgemäßen Gebrauch, wenn es nicht vermieterseits in wirksamer Weise ausgeschlossen worden sei. Auch sei kein Abwehranspruch wegen einer drohenden Gesundheitsverletzung gegeben, weil das Rauchen im Freien keine dem Rauchen in Innenräumen vergleichbaren gesundheitlichen Risiken durch Passivrauchen mit sich bringe. Außerdem schließe die grundrechtlich geschützte Freiheit der Lebensführung das Recht ein, in der eigenen Wohnung unabhängig von zeitlichen und mengenmäßigen Vorgaben zu rauchen. II. Der BGH bejahte hingegen einen Abwehranspruch des Mieters gegen den auf dem unter seiner Wohnung liegenden Balkon rauchenden Nachbarn. Dieser ergebe sich auf Grund einer Störung des Besitzes nach §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB und könne sich gegebenenfalls auch aus einer analogen Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB ergeben. 1. Ebenso wie sich ein Mieter gegen durch andere Mieter verursachten Lärm zur Wehr setzen könne, stehe ihm auch ein Abwehranspruch bei Besitzstörungen durch Rauch und

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Bereits Anfang 2011 beschloss der Stadtrat von New York City ein Rauchverbot auch in Parks, der Küstenlinie und am Times Square; auch andernorts existieren solche Rauchverbote im Öffentlichkeitsbereich. Chinas Hauptstadt Peking soll eine komplett rauchfreie Zone werden, wie „Die Welt Kompakt“ am 15.05.2015 auf Seite 32 berichtete. BGH, Urt. v. 16.01.2015 - V ZR 110/14.

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Ruß zu. In Bezug auf die hinzunehmenden Grenzen sei der in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB bezeichnete Maßstab entsprechend anzuwenden. Einwirkungen durch das Rauchen eines anderen Mieters könnten dann nicht verboten werden, wenn sie den Mieter im Gebrauch seiner Mietsache nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Selbst bei durchschnittlich (nur) 12 Zigaretten an einem Tag3, die auf dem Balkon geraucht werden, sei von einer nicht mehr nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen. Hierbei stützt sich der BGH insbesondere auf die in den letzten Jahren erlassenen Nichtrauchergesetze von Bund und Ländern. Die Annahme, durch Rauchen erzeugte Immissionen seien als sozialadäquat einzustufen und hinzunehmen, käme deshalb heute nicht mehr in Betracht. Allerdings müsse auch ein sich durch Rauchen gestört fühlender Mieter auf das Recht des anderen Mieters Rücksicht nehmen, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen. Beide Rechtspositionen (Besitz- und Gebrauchsrechte jeder Mietpartei sowie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) müssten deshalb in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme führe dazu, dass Zeiträume freizuhalten seien, in denen ein Mieter seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann. Umgekehrt müssen dem rauchenden Mieter Zeiten eingeräumt werden, in denen er auf dem Balkon rauchen dürfe. 2. Der BGH hält auch einen Abwehranspruch analog § 104 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB für denkbar. Dies setze die konkrete Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung voraus, die beim Nutzen des Balkons durch das Passivrauchen eintreten könnte. Da gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch wesentliche Beeinträchtigungen sind, die nicht geduldet werden müssen4, kommt es auf die konkrete Feststellung einer solchen Gefahr im jeweiligen Einzelfall an. Auch hier bezieht sich der BGH auf die Nichtraucherschutzgesetze des Bundes und der Länder, die das Rauchen grundsätzlich nur in Gebäuden und in vollständig umschlossenen Räumen verbieten und die Gefahren durch Passivrauchen im Freien indiziell als nicht gesundheitsschädlich einstufen. Die Indizwirkung könne allerdings im Einzelfall erschüttert sein. Das wiederum setzt voraus, dass sich aufgrund der besonderen Verhältnisse vor Ort im konkreten Einzelfall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Feinstaubpartikel ergibt, die auf den Balkon oder in die Wohnung des nichtrauchenden Mieters gelangen müssen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt dabei beim Anspruchsteller. Da das Berufungsgericht die notwendigen Tatsachenfeststellungen noch nicht getroffen hatte, hob der BGH das klageabweisende Urteil auf und verwies die Sache zurück.

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C. Kontext der Entscheidung Bei der vorliegenden Entscheidung handelt es sich um eine von zwei höchstrichterlichen Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit, die sich dem Thema „Nichtraucherschutz“ zuwendet5 und die Fraktion der Raucher oftmals zum Hilferuf „Raucher sucht Anwalt“ veranlasst sehen wird.6 Die Antworten, die Rechtssuchende in derartigen Fällen erwarten, können selten eindeutig sein. Allein schon bei der Auslegung solch unbestimmter Rechtsbegriffe wie dem einer „wesentlichen Beeinträchtigung“7, einer „nachhaltigen Hausfriedensstörung“ oder „Unzumutbarkeit“8 spielen einerseits subjektive Empfindungen eine Rolle, die ohne eigene Wahrnehmung durch den Rechtsanwender kaum beurteilt werden können.9 Ferner geht es darum, zwei grundrechtlich geschützte Besitzrechte, die miteinander kollidieren können – das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des rauchenden Mieters, der in seiner Wohnung – einschließlich Balkon – raucht und das ebenfalls entsprechend geschützte Recht des Nichtrauchers auf eine Nutzung der eigenen Wohnung und des Balkons frei von belästigendem Rauch –, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. D. Auswirkungen für die Praxis Viele Fronten im Verhältnis zwischen einem rauchenden Mieter und seinem nichtrauchenden Nachbarn dürften durch diese Entscheidung künftig noch härter werden. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist und ob im Fall einer unwesentlichen Beeinträchtigung gleichwohl die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung besteht, wird im Fall einer

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Das Rauchen von durchschnittlich 12 Zigaretten am Tag hatte der rauchende Mieter eingeräumt, während der ihn in Anspruch nehmende Kläger von 20 Zigaretten sprach. Der BGH verweist hierbei auf ein Urteil v. 14.04.1954 (BGH, Urt. v. 14.04.1954 - VI ZR 35/53), bei dem es um Unterlassungsansprüche von Mietern bei gesundheitsschädlichen Lärmbelästigungen ging. In einer Entscheidung vom 18.02.2015 (BGH, Urt. v. 18.02.2015 - VIII ZR 186/14) befasste sich der BGH insbesondere mit den Voraussetzungen, unter denen ein langjährig bestehendes Wohnraummietverhältnis wegen Störung des Hausfriedens durch Zigarettengeruch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, vgl. dazu auch Herrlein, NJW 2015, 1279, 1280 f. So plakativ Lützenkirchen in seinem Editorial in der NJW Heft 12/ 2015. Egal, ob durch Lärm oder durch andere Immissionen wie hier durch Zigarettenrauch, vgl. zu von einem Mieter hinnehmbaren Lärmimmissionen auf Grund eines neuen Bolzplatzes auch BGH, Urt. v. 29.04.2015 - III ZR 197/14. Auf die Frage, ob diese Tatbestandsmerkmale vorliegen, kam es in der Raucherentscheidung vom 18.02.2015 (BGH, Urt. v. 18.02.2015 VIII ZR 186/14) an. Deshalb bedarf es im Anschluss an eine Zeugenvernehmung in der Regel zusätzlich eines Ortstermins.

JM 07 | streitigen Auseinandersetzung regelmäßig nicht ohne Ortstermin und Sachverständigengutachten festgestellt werden können. Wenn ein Mieter (nur) in seiner Wohnung raucht, stellt allein das Rauchen von täglich 15 Zigaretten keine Pflichtverletzung dar, weil dies ein Recht ist, welches zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache gehört.10 Einschränkungen erfährt dieses Recht dort, wo die Mietparteien individualvertraglich in wirksamer Weise eine diesen Gebrauch untersagende oder einschränkende Vereinbarung getroffen haben. Für den Mieter gilt ungeachtet von dieser Ausgangssituation ein Gebot der Rücksichtnahme. Zigarettenrauch breitet sich nun einmal zwangsläufig aus. Selbst wer in seinen eigenen vier Wänden raucht, ist aufgrund der Entscheidung vom 18.02.2015 gehalten, die Wohnung über Außenfenster zu lüften, damit nicht beim Öffnen der Wohnungseingangstür und beim Verlassen oder Betreten einer „Raucherwohnung“ Rauch in vermeidbarer Weise ins Treppenhaus gelangt und dort zu einer nicht mehr hinnehmbaren Geruchsbelästigung führt.

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Oftmals wird also dem Raucher nur die eigene Wohnung „als Rückzugsort“ verbleiben, soweit der Raucher „die Außenwelt nicht unzumutbar tangiert“.11 Die Wahrscheinlichkeit, dass das Rauchen auf dem Balkon nur noch innerhalb festzulegender Zeitfenster möglich ist, ist durch die Entscheidung vom 16.01.2015 gestiegen. Die Rat suchenden Raucher und Nichtraucher sind jedenfalls insoweit wieder vereint, als beiden lediglich gesagt werden kann, nach welchen Kriterien eine Interessenabwägung zu erfolgen hat und Rechtspositionen eingeschränkt sind. Die Diskussion ist noch lange nicht am Ende.

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Vgl. BGH, Urt. v. 18.02.2015 - VIII ZR 186/14 Rn. 14; vgl. auch LG Potsdam, Urt. v. 14.03.2014 - I S 31/13. Bei diesem Urteil handelt es sich um das Berufungsurteil zum „Recht auf Rauchen auf dem Balkon“, welches der BGH mit seinem Urteil v. 16.01.2015 aufgehoben hat. Diesen Grundsatz hat der BGH allerdings nicht beanstandet. Vgl. Lützenkirchen (in seinem Editorial in der NJW Heft 12/2015) unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 18.02.2015.

Arbeitsrecht

Der Referentenkommentar als Führer durch das Dickicht des Mindestlohnrechts1 Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau Im Schrifttum ist rasch aufgezeigt worden, wie viele Zweifelsfragen zu dem Mindestlohngesetz (MiLoG) bestehen2; anerkannte Antworten lassen allerdings auf sich warten. Angesichts dieses Dickichts ist das Erscheinen des Referentenkommentars eine wertvolle Hilfe. Die Autoren haben das Gesetz in dem für das kollektive Arbeitsrecht zuständigen Referat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung maßgeblich vorgedacht und mitgestaltet. Dabei geben sie ihre persönliche Rechtsaufassung wieder und versuchen nicht, das Gesetz im Sinne einer politischen Richtung zu interpretieren. Vielmehr handelt es sich um eine auch historisch sorgfältig dokumentierte, objektive und gründlich durchdachte Arbeit. Die Verbindung dieser Qualifikationen mit der intensiven Beteiligung an der Entstehung des Gesetzes macht den Kommentar zu einem verlässlichen Führer und dürfte Arbeitgebern einen Schuldvorwurf ersparen, die ihm folgen. Dazu die wichtigsten Beispiele. A. Mindestlohnsockel im höheren Lohnsektor Dem allgemeinen Mindestlohn werden von den Verfassern drei Funktionen zugeschrieben: Arbeitnehmerschutz, Ver-

hinderung eines Lohnunterbietungswettbewerbs sowie Schutz der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme (Einleitung Rn. 55 ff.). Alle drei Funktionen ließen sich letztlich auf ein Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsversagen im Niedriglohnsektor zurückführen. Trotzdem soll der unabdingbare Mindestlohn als Sockelbetrag auch für höhere Löhne gelten. Die Verfasser schließen dies aus §§ 1 und 20 des Gesetzes, die „jedem Arbeitnehmer“ einen Anspruch auf den Mindestlohn geben, sodass der jeweilige

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Besprechung von Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2015, XXIV, 353 S., Verlag C.H. Beck München, € 69. Zuletzt u.a. Kommentierung des MiLoG durch Franzen in: ErfK, 15. Aufl. 2015; Mückl/Pötters/Krause, Das Mindestlohngesetz in der betrieblichen Praxis, 2015; Aufsätze von J. Schubert, Bayreuther, Oltmanns/Fuhlrott, Pötters/D. Krause, Koch-Rust/Kolb/Rosentreter, Dommermuth-Alhäuser/Heup, Hante, Schmitz-Witte/Killian, Aulmann, NZA 2015, Heft 7, S. III, 385-422; Henssler, RdA 2015, 40; Sittard bzw. Wank, RdA 2015, 99 und 88; Hofer, ZTR 2015, 183; Boemke, JuS 2015, 385; Sagan/Witschen, jM 2014, 372; alle mit vielen weiteren Nachweisen; zuallerletzt Waltermann und Kocher, AuR 2015 166 bzw. 177.

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arbeitsvertragliche Entgeltanspruch ohne Rücksicht auf seine Höhe von dem zwingenden Mindestlohnanspruch ergänzt werde (§ 1 Rn. 3). Bei einer Begrenzung des Gesetzes auf den Niedriglohnsektor könne der Arbeitgeber die Anwendung des Gesetzes durch Vereinbarung eines höheren Entgelts, und seien es auch nur 8,51 €/Stunde, umgehen (§ 2 Rn. 11). Für diese Auffassung spricht, dass der Gesetzgeber einen im parlamentarischen Verfahren gemachten abweichenden Vorschlag3 nicht übernommen hat. Allerdings wird zu erwägen sein, ob die Ausweitung des MiLoG über den Niedriglohnsektor, auf den die Funktion des Gesetzes auch nach Auffassung der Verfasser beschränkt ist, mit Art. 2 Abs. 1, 12 GG vereinbar ist. Eine Missbrauchsgefahr besteht nicht, wenn das höhere Entgelt regelmäßig gezahlt wird. B. Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden Die Verfasser leiten aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der §§ 1 und 2 ab, dass ein gesetzlicher Anspruch auf den Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden entsteht, also insbesondere nicht, wenn die Entgeltfortzahlung auf Krankheit, Urlaub oder Annahmeverzug beruht (§ 1 Rn. 27 ff.). Der Anspruch auf den Mindestlohn entfalle dadurch nicht, sondern bestehe als gewöhnlicher arbeitsrechtlicher Anspruch fort, soweit die Entgeltfortzahlung an das zuvor geschuldete Entgelt und damit an den Mindestlohn anknüpft.4 Freilich könnte das Gesetz auch anders auszulegen sein, wenn die Beschränkung auf tatsächlich geleistete Arbeitsstunden ungerechtfertigt wäre, doch ist dies nicht der Fall. Die Anspruchsgrundlagen für Entgelte bei Nichtarbeit sind anders als die für Arbeit und von den Zollbehörden kaum kontrollierbar. C. Kein Mindestlohn für mindere Beanspruchung Arbeitsbereitschaft, also die Zeit, in der der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss, um sofort und ohne gesonderte Anweisungen in Vollarbeit zu wechseln, wird von den Verfassern der Arbeit gleichgesetzt (§ 1 Rn. 64). Hierhin dürften die im oder am Kfz verbrachten Wartezeiten der Taxifahrer gehören. Der Bereitschaftsdienst, während dessen sich der Arbeitnehmer, ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall seine Arbeit zeitnah aufnehmen zu können, wird von den Verfassern dagegen nicht zur mindestlohnpflichtigen Arbeitszeit gerechnet. Dies widerspricht, wie die Verfasser einräumen5, der Praxis der Zollbehörden und einer BAG-Entscheidung zum Mindestlohn in der Pflegebranche, wird aber einleuchtend damit begründet, Bezugspunkt für die Bezahlung von Bereitschaftsdienst sei nicht die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, sondern der Verlust

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an Freizeit. Unproblematisch ist, dass die Verfasser Rufbereitschaft, Reise- und Wegezeiten der Arbeitsleistung nicht gleichstellen (§ 1 Rn. 74 bis 77), während erforderliches Umkleiden im Betrieb dazugerechnet wird (§ 1 Rn. 78). D. Keine Sachleistungen als Mindestlohn Sachleistungen wollen die Verfasser in keinem Fall als Erfüllung des Mindestlohnes gelten lassen, auch nicht für Kost und Logis in der Saisonarbeit, obwohl die Koalitionsfraktionen während der Beratung des Gesetzes eine entsprechende Absichtserklärung abgegeben haben (§ 1 Rn. 81 ff.). Den Umweg über die Aufrechnung mit einer vertraglichen Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Bezahlung der Sachleistungen sehen die Verfasser durch § 394 BGB versperrt, da die Höhe des Mindestlohnes sich bei seiner Einführung an der Pfändungsfreigrenze der ZPO orientiert habe. E. Bestimmte Sonderzahlungen als Mindestlohn Zu der sehr strittigen Frage, welche Zahlungen des Arbeitgebers auf den Mindestlohn angerechnet werden können, verweisen die Verfasser zunächst auf die Rechtsprechung des EuGH und des BAG zur Entsenderichtlinie 96/71, die nach der Gesetzesbegründung auch für innerstaatliche Fälle gelten soll (§ 1 Rn. 92 ff.).6 Aus dem vom EuGH entwickelten Grundprinzip, dass alle Entgelte für die Normalleistung angerechnet werden könnten, werden differenzierte Folgerungen gezogen, die sich nach dem Zweck der Leistung richten. Anrechenbar seien im Zweifel 13. und 14. Monatseinkommen, Ergebnis- oder Umsatzbeteiligungen, erfolgs-, nicht leistungsbezogene Provisionen, Anwesenheitsprämien, Gratifikationen ohne Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit, zeit-, nicht kostenbezogene Wegegelder, einfache Zuschläge oder Zulagen, Sozialzulagen. Nicht anrechenbar seien im Zweifel Nachtarbeits-, Sonnund Feiertagszuschläge, Schichtzulagen, Erschwerniszulagen aller Art, außer wenn die Zulage für eine Arbeit gezahlt wird, die typischerweise eine Erschwerung aufweist, Akkord- und Qualitätsprämien, Zahlungen anlässlich eines Dienstjubiläums (anders anlässlich eines Firmenjubiläums), urlaubsakzessorisches Urlaubsgeld, Aufwandsentschädigungen, Reise- und Fortbildungskosten, in der Regel Pfle-

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Bepler/Hanau, Ausschuss-Drs. 18(11)148, S. 143. So § 1 Rn. 35 ff. Ebenso zu einem Branchenmindestlohn BAG, Urt. v. 13.05.2015 - 10 AZR 191/14 (Pressemitteilung). Mehr will wohl auch das Urteil des EuGH, Urt. v. 12.02.2015 - C-396/13 nicht sagen. § 14 Rn. 68 unter Hinweis auf BAG, Urt. v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12. Dazu kommt jetzt EuGH, Urt. v. 12.02.2015 - C-396/13 mit Anm. Bayreuther, deren Ergebnisse die Verfasser vorweggenommen haben.

JM 07 | gegeld, vermögenswirksame Leistungen, Trinkgelder im Unterschied zu Bedienungsgeldern. Von allgemeiner Bedeutung für die Praxis ist der Hinweis (§ 1 Rn. 160 ff.), die Arbeitgeber könnten bei der Bezahlung des Mindestlohnes ausdrücklich festlegen, dass damit zugleich eine nach ihrer Auffassung anrechenbare Sonderzahlung erfolgen solle. Das verlagert einen Streit von dem – ja bezahlten – Mindestlohn in einen einfachen Streit um die Sonderzahlungen. Noch nicht geklärt scheint, inwieweit eine nach ihrem Zweck typischerweise nicht anrechenbare Sonderzahlung auf Grund einer Vereinbarung anrechenbar gemacht werden oder bei späterer Einführung oder Erhöhung des Mindestlohnes durch Änderungskündigung oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage entsprechend gekürzt werden kann. Die ähnliche Frage, ob übertarifliches Entgelt auf Tariflohnerhöhungen angerechnet werden kann, hängt nach der Rechtsprechung des BAG7 von der zugrunde liegenden Vergütungsabrede ab. Haben die Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt diese. Andernfalls ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht. Die Anrechnung ist grundsätzlich möglich, sofern dem Arbeitnehmer nicht vertraglich ein selbstständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist. Andererseits hat das ArbG Berlin8 jüngst ausgesprochen, fehle es an der Anrechenbarkeit der anderweitigen Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn, seien alle Handlungen, z.B. Änderungskündigungen, die darauf gerichtet sind, gleichwohl eine Anrechnung zu erreichen, objektiv als Umgehung des gesetzlichen Mindestlohnes und damit als unzulässig anzusehen. Wenn aber der Mindestlohn bezahlt wird, wird er von der Anrechnung oder Kündigung von Sonderleistungen nicht betroffen. F. Die Fälligkeit des Mindestlohnes Die Verfasser zeigen, dass die monatsbezogene Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 1 MiLoG auch auf Jahresleistungen anwendbar ist, soweit diese nach ihrem Zweck zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs herangezogen werden können. Insoweit sind sie dann keine Jahresleistungen mehr, sondern monatlich zu erbringen. Geschieht dies nicht, gerät der Arbeitgeber insoweit mit der Zahlung des Mindestlohnes in Verzug (§ 1 Rn. 140 f.). Dies gilt entsprechend für andere die gesetzliche Frist überschreitende Fälligkeitsregelungen, insbesondere bei Akkord und Provisionen (§ 2 Rn. 14).

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dass sie eine vertraglich vereinbarte Sollarbeitszeit und eine ihr entsprechende verstetigte Zahlung des Mindestentgelts voraussetzen (§ 2 Rn. 29). Zu dessen Berechnung bei einer vereinbarten Wochenarbeitszeit verweist der Kommentar auf verschiedene tarifliche Berechnungsmethoden (§ 2 Rn. 18). Für darüber hinausgehende Plusstunden verlängert sich die Fälligkeit nach Maßgabe des § 2 Abs. 2, soweit sie monatlich nicht 50% der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit übersteigen. Die Verfasser stellen klar, dass damit keine Aussage verbunden ist, wie viel Überarbeit der Arbeitgeber zulässigerweise abrufen oder vereinbaren darf. Minusstunden regelt das Gesetz nicht. Das heißt aber nicht, wie die Verfasser klarstellen, dass sie stets zu bezahlen sind: Ist das Arbeitszeitkonto im Minus, sind danach geleistete Arbeitsstunden keine ausgleichspflichtige Mehrarbeit (§ 2 Rn. 39). G. Unabdingbarkeit des Mindestlohnes (§ 3 MiLoG) Dies ist eine zentrale Regelung des Gesetzes, doch stellt der Kommentar klar, dass sie nicht extensiv auszulegen ist. So führe eine vertragliche Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes nicht gem. § 612 BGB zur Geltung des tariflichen oder sonst üblichen Lohnes, sondern einfach zur gesetzlichen Regelung (§ 3 Rn. 4 ff.). In diesem Zusammenhang ist der Hinweis der Verfasser9 wichtig, dass § 3 MiLoG dem § 4 Abs. 4 TVG nachgebildet ist. Es ist ja noch keiner auf die Idee gekommen, dass die Unterschreitung zwingender tariflicher Entgelte nicht einfach zur Anwendung des Tarifvertrages, sondern zu einer ggf. höheren üblichen Vergütung führt. Wichtig ist auch die Klarstellung (§ 3 Rn. 14 ff.), dass vertragliche Ausschlussfristen oberhalb des Mindestlohnes wirksam bleiben.10 Der Ausschluss vergleichsweiser Eingriffe in den Mindestlohn wird von den Verfassern auf den reinen Rechtsverzicht im Gegensatz zum Tatsachenvergleich reduziert (§ 3 Rn. 39). Auf derselben Linie liegt es, dass die Zulässigkeit gerichtlicher Vergleiche nach ihrer sorgfältig begründeten Auffassung den sog. Anwaltsvergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO einschließt. H. Räumlicher Anwendungsbereich Nach § 20 MiLoG ist der Mindestlohn allen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern zu zahlen. Das ist, wie die Verfasser zeigen, teils zu eng, teils zu weit. Einen Anspruch

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Als Ausnahme von der allgemeinen Fälligkeitsregelung kommt deshalb nur § 2 Abs. 2, 3 in Betracht. Das Gesetz geht bei dieser Regelung für Arbeitszeitkonten davon aus,

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BAG, Urt. v. 27.08.2008 - 5 AZR 821/07. ArbG Berlin, Urt. v. 04.03.2015 - 54 Ca 14420/14. § 3 Rn. 1 unter Verweisung auf BT-Drs. 18/1558, S. 68. So auch schon Sagan/Witschen, jM 2014, 372, 376.

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auf den Mindestlohn haben nämlich auch im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, wenn auf ihr Arbeitsverhältnis deutsches Recht Anwendung findet (§ 1 Rn. 9), allerdings ohne Überwachung durch die Zollbehörden (§ 20 Rn. 8). Eine einschränkende Auslegung des § 20 MiLoG wird demgegenüber für kurzzeitige Inlandstätigkeiten diskutiert, insbesondere Transportleistungen im Dienst ausländischer Firmen. Wie jetzt wohl auch die EU-Kommission, kommt der Kommentar zu dem Ergebnis, dass die bloße Durchquerung des Inlandes nicht mindestlohnpflichtig ist (§ 20 Rn. 17a). Dies gelte jedoch nicht für die Kabotage, bei der Fahrten zwischen zwei oder mehreren Zielen im Aufnahmestaat geführt werden, und nicht für den grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Beladung oder Entladung in Deutschland. Hier sei stets der Mindestlohn zu zahlen. I. Persönlicher Anwendungsbereich Die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Arbeitnehmer unter Ausklammerung bestimmter Praktikantenund Ausbildungsverhältnisse sowie von ehrenamtlich Tätigen und Langzeitarbeitslosen ist vor und nach Erlass des Gesetzes eingehend diskutiert worden. Zur Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs stellt der Kommentar (§ 22 Rn. 7-18) klar, dass arbeitnehmerähnliche Personen, Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende, sog. Ein-Euro-Jobber, in Werkstätten für Behinderte Tätige, Strafgefangene und Rechtsreferendare nicht vom Gesetz erfasst werden. Mit besonderer Gründlichkeit nimmt sich der Kommentar der Abgrenzung der vom Gesetz erfassten Praktikanten an (§ 22 Rn. 27-87), während er mit dem vagen Begriff des vom Gesetz ausgenommenen Ehrenamts verständlicherweise wenig anfangen kann (§ 22 Rn. 119-129). Die Ausübung von Ehrenämtern diene nicht der Sicherung oder Besserung der wirtschaftlichen Existenz, sondern sei Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber Belangen des Gemeinwohls und Sorgen und Nöten anderer Menschen. Dies gelte es im Einzelfall zu prüfen. Der Gesetzgeber hatte sich für den Sportbereich an einer ähnlichen Definition versucht und den Rechtsanwender ermuntert, bei der Abgrenzung des Ehrenamtes großzügig zu sein.11 J. Begrenzter Vorrang von Branchenmindestlöhnen Die von § 1 Abs. 3 erfassten Regelungen verdrängen das MiLoG, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohnes nicht unterschreitet. Der Kommentar stellt klar, dass dies insbesondere für die Regelungen zur Fälligkeit des Branchenmindestlohns, zur Führung mindestlohnrelevanter Arbeitszeitkonten und zu Ausschlussfristen gilt, die von den Regelungen des MiLoG abweichen. Zudem finden Dokumentation und Kontrolle der Einhaltung des Branchenmindestlohns ausschließlich nach den Vorschriften

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des AEntG bzw. des AÜG statt, die in dem Kommentar dem MiLoG gegenübergestellt werden (§ 1 Rn. 181). Dies macht freilich keinen Unterschied, da das MiLoG insoweit dem AEntG und dem AÜG gefolgt ist. Im Übrigen kommen aber branchenspezifische Regelungen in Betracht, die allerdings positiv vorliegen müssen. Fehlende Regelungen können das MiLoG nicht verdrängen (§ 1 Rn. 181, 182). Während im Fall des § 1 Abs. 3 das MiLoG mit Ausnahme der Höhe des Mindestlohnes verdrängt wird, ist es nach dem Wortlaut § 24, umgekehrt, denn dort ist nur von einer Abweichung vom Mindestlohn die Rede. Der Kommentar schließt aber aus dem Zusammenspiel mit § 1 Abs. 3, dass auch hier Abweichungen von allen Regelungen des MiLoG möglich sind (§ 24 Rn. 23). K. Die Zukunft des Mindestlohns Die Zukunft des Mindestlohnes hat der Gesetzgeber in §§ 4 ff. einer Mindestlohnkommission anvertraut, deren Vorschlag von der Bundesregierung nach § 11 MiLoG nur unverändert angenommen oder abgelehnt werden kann.12 In Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Gesetzes beschränkt der Kommentar die Kommission auf die Festsetzung der Höhe des Mindestlohnes (§ 9 Rn. 3, 4). Sie dürfe keine Differenzierungen nach Branchen, Regionen, Tätigkeiten oder Arbeitnehmergruppen vorsehen. Einen Spielraum für die Kommission sieht der Kommentar nur in Bezug auf das Inkrafttreten eines neuen Mindestlohnes. Dann sei eine zeitlich gestufte Anpassungsentscheidung zulässig, solange die gesetzliche Vorgabe der Beschlussfassung im zweijährigen Rhythmus beachtet wird (§ 9 Rn. 8, 9). Die branchenübergreifende Einheit des Mindestlohnes steht freilich im Gegensatz zu § 9 Abs. 4, nach dem die Mindestlohnkommission die Wettbewerbsbedingungen und die Beschäftigung in Bezug auf bestimmte Branchen und Regionen evaluieren soll. Dieser Gegensatz ist auch schon in der Grundnorm des § 9 Abs. 2 MiLoG angelegt, wonach der Mindestlohn u.a. faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen ermöglichen sowie Beschäftigung nicht gefährden soll. Auch soll sich die Mindestlohnkommission nachlaufend an der Tarifentwicklung orientieren. Die Wettbewerbssituation und die Beschäftigung können ebenso wie die Tarifentwicklung nach Branchen

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BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 15; dazu der Kommentar § 25 Rn. 129. Der politische Spielraum der Bundesregierung ist dadurch sehr verengt. Auch wenn sie den Vorschlag für zu niedrig hält, wird sie ihn annehmen müssen, da er sonst noch niedriger bliebe. Hält sie den Vorschlag für zu hoch, läuft sie bei einer Ablehnung Gefahr, dass er ihr danach zu niedrig ist. Vielleicht lässt die Kommission mit sich reden, doch muss dies 2016 bis zum 30.06. erfolgt sein (§ 9 Abs. 1).

JM 07 | differieren. Die Verpflichtung auf einen einheitlichen Mindestlohn versetzt die Kommission deshalb in ein Dilemma. Berücksichtigt sie die Besonderheit einzelner Branchen, muss sie den Mindestlohn so niedrig festsetzen, dass er für die schwächeren Branchen erträglich ist. Dann ist er für die bessergestellten Branchen zu niedrig. Orientiert sich die Kommission dagegen an diesen, wird der Mindestlohn für die schlechtergestellten Branchen zu hoch. Der Kommentar weist einen Ausweg, da er der Kommission das Recht gibt, das Inkrafttreten eines neuen Mindestlohnes zeitlich zu staffeln. Wenn dies generell zulässig ist, muss es erst recht für einzelne Branchen zulässig sein. In § 24 hat ja der Gesetzgeber selbst die zeitliche Staffelung des Mindestlohnes als einen Ausweg aus dem grundlegenden Dilemma eines jeden einheitlichen Mindestlohnes aufgezeigt. Insgesamt lässt der Kommentar Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Mindestlohnrechts anschaulich und durchschaubar werden. Mehr kann man nicht verlangen.

AGB-rechtliche Inhaltskontrolle bei Aufhebungsvertrag – Wirksamkeit einer Klageverzichtsklausel BAG, Urt. v. 12.03.2015 - 6 AZR 82/14 RA Dr. Gero Schneider, M.C.L. A. Problemstellung Ein Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag unterliegt als Nebenabrede einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB. Wird ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag erklärt, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt dieser Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. B. Sachverhalt Der Kläger war seit 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Am 28.12.2012 schlossen die Parteien einen schriftlichen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung mit dem 28.12.2012 endete. Zuvor hatte die Beklagte dem Kläger mit einer außerordentlichen Kündigung und Strafanzeige gedroht, weil er aus ihrem Lagerbestand 2 Fertigsuppen ohne Bezahlung entnommen und verzehrt habe. Der Vertrag enthielt u.a.

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einen Widerrufs- und Klageverzicht. Der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findende Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2008 beinhaltet in § 11 Abs. 10 bei Aufhebungsverträgen ein Widerrufsrecht innerhalb von 3 Werktagen, auf das allerdings schriftlich verzichtet werden kann. Noch am 28.12.2012 focht der Kläger den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an und begehrte im vom BAG entschiedenen Rechtsstreit die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Die Androhung einer außerordentlichen Kündigung sei angesichts des langjährigen, unbelasteten Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht vertretbar gewesen. C. Entscheidung des BAG Erstinstanzlich wurde die Klage zunächst abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hatte ihr auf die Berufung des Klägers jedoch stattgegeben. Das BAG hat nunmehr auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Gericht hielt zunächst fest, dass der Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag als Nebenabrede einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliege. Werde ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag erklärt, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen werde, benachteilige dieser Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfte. Auf die Wirksamkeit des Verzichts auf die tariflich eröffnete Widerrufsmöglichkeit komme es nicht an, weil der Kläger entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts innerhalb der Widerrufsfrist keinen Widerruf i.S.v. § 11 Abs. 10 NTV erklärt habe. Jedoch nehme der im Aufhebungsvertrag vorgesehene Klageverzicht dem Kläger im Ergebnis die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten. Dies sei mit dem gesetzlichen Leitbild nur zu vereinbaren, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war. Im Ergebnis teile damit die Klageverzichtsklausel das rechtliche Schicksal des Aufhebungsvertrags. Das Landesarbeitsgericht müsse noch aufklären, ob eine widerrechtliche Drohung vorlag. D. Kontext der Entscheidung Seit der Reform des Schuldrechts im Jahre 2002 findet auch im Arbeitsrecht eine AGB-Kontrolle statt. Das BAG äußert sich regelmäßig zur AGB-rechtlichen Vereinbarkeit von arbeitsvertraglichen Klauseln, die zu einer regen Kautelarpraxis geführt hat. Diese wird sich nun möglicher-

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weise auch auf Vereinbarungen erstrecken, die am Ende einer Arbeitsvertragsbeziehung geschlossen werden.

KVdS die Krankenkasse im Jahr 2009 nach dem 52. Hochschul- bzw. 25. Fachsemester beendet hat.

E. Auswirkungen für die Praxis

Der 1963 geborene Kläger begann 1983 ein Studium der Politikwissenschaft. Er war zunächst familienversichert, nach Vollendung des 25. Lebensjahrs als Student in der KVdS pflichtversichert und nach Ablauf von 14 Fachsemestern freiwillig bei der beklagten Krankenkasse versichert. Seit März 1996 befand er sich in Behandlung bei einem Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie (Diagnosen u.a. Asperger-Syndrom, ADHS), der ihm riet, den derzeitigen Studiengang abzubrechen. Der Kläger begann im Wintersemester 1996/97 fachwechselnd ein Jurastudium. Auf seinen Antrag bestätigte die Krankenkasse seine Mitgliedschaft wiederum in der KVdS und verlängerte diese zuletzt bis zum 30.09.2008. Im Frühjahr 2009 kündigte sie an, unter Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten die Mitgliedschaft in der KVdS letztmalig bis zum 30.09.2009 zu verlängern und stellte nach Anhörung mit Bescheid vom 09.06.2009 das Ende dieser Versicherungspflicht zum 30.09.2009 fest. Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen blieben erfolglos.

Bei der Abfassung von Aufhebungsvereinbarungen sollten daher insbesondere Verzichtsklauseln jeder Art mit größter Sorgfalt entworfen werden. Die Wertung des BAG, ein Klageverzicht sei unwirksam, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, ist zutreffend. Diese dürfte aber auch in einem Individualvertrag nicht abweichend ausfallen, da eine Person, die mit einer widerrechtlichen Drohung agiert, keinen rechtlichen Schutz verdienen darf.

Sozialrecht

Altersgrenze bei der Krankenversicherung von Studenten BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R RiLSG Dr. Steffen Luik A. Problemstellung Bislang war in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob es eine absolute Höchstgrenze (Lebensaltersgrenze) für die kostengünstige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) gibt und wie sich diese bestimmt. Das BSG hat sich jetzt festgelegt und die absolute Grenze mit 37 Jahren bestimmt. § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V bestimmt zur Versicherungspflicht Studierender, dass diese „bis zum Abschluss des vierzehnten Fachsemesters“ und „längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres“ andauert, nennt jedoch folgende Ausnahme: Jenseits dieser Grenzen liegt Versicherungspflicht vor, wenn nach objektiver Betrachtungsweise1 die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen. Solche Hinderungsgründe können z.B. sein Erkrankung, Behinderung, Schwangerschaft, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, Betreuung von behinderten oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesenen Kindern.2 Nach Vollendung des 30. Lebensjahres auftretende Hinderungsgründe können die Überschreitung der Altersgrenze nicht mehr rechtfertigen.3 B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit seiner Revision hat der Kläger u.a. geltend gemacht, dass die Pflichtmitgliedschaft in der KVdS solange bestehe, wie sich sein Studium erkrankungsbedingt verzögere. Es gebe keine generelle Höchstgrenze, sondern es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. Er habe im Vertrauen auf die kostengünstige Versicherung in der KVdS weiterstudiert. Er dürfe nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Die Beendigung der Versicherungspflicht als Student verletze Art. 25 UNBRK, weil ohne die KVdS eine angemessene Krankenversicherung für ihn nicht erschwinglich sei. Das BSG hat die Revision zurückgewiesen und Folgendes ausgeführt: Versicherungspflicht in der KVdS besteht in der Regel längstens bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters bzw. Vollendung des 30. Lebensjahres. Darüber hinaus besteht sie nach der Ausnahmeregelung nur, wenn bestimmte Hinderungsgründe die Überschreitung dieser Altersgrenze rechtfertigen. Nur vor Vollendung des 30. Lebensjahres auftretende oder noch fortbestehende Hinderungsgründe können die Verlängerung rechtfertigen.5

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In der Entscheidung des BSG vom 15.10.20144 ging es um einen 46-jährigen Studenten, dessen Mitgliedschaft in der

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BSG, Urt. v. 30.09.1992 - 12 RK 40/91 - BSGE 71, 150. BT-Drs. 11/2237, S. 159; vgl. zu Hinderungsgründen allgemein und zu einzelnen Beispielen BSG, Urt. v. 30.09.1992 - 12 RK 40/91; BSG, Urt. v. 30.09.1992 - 12 RK 50/91; BSG, Urt. v. 30.06.1993 - 12 RK 6/93. BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 1/13 R, m.w.N. BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R - für BSGE vorgesehen. So auch LSG Stuttgart, Urt. v. 29.09.2011 - L 11 KR 1015/10; LSG Saarbrücken, Urt. v. 21.11.2012 - L 2 KR 31/12.

JM 07 | Ein unbegrenztes Hinausschieben des Endes der Versicherungspflicht ist nicht möglich. Versicherungspflicht als Student über das vollendete 30. Lebensjahr hinaus kann nur für diejenige Zeit – 14 Fachsemester – fortbestehen, die das Gesetz auch vor dieser Altersgrenze bei einem planmäßigen Studium akzeptiert. Dies führt zu einer Höchstgrenze mit der Vollendung des 37. Lebensjahres. Aus Art. 25 UN-BRK ergeben sich keine Individualansprüche auf eine bestimmte Art der Durchführung der Gesundheitsversorgung.6 Dem Benachteiligungsverbot der UNBRK und auch des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hat der Gesetzgeber hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass er die Möglichkeit der Verlängerung des kostengünstigen Versicherungsschutzes für behinderte Studenten vorgesehen hat. Die Regelungen bieten aber keine Grundlage dafür, die Versicherungspflicht als Student ohne jede Zeitgrenze zu verlangen.7 C. Kontext der Entscheidung und Auswirkungen für die Praxis I. Krankenversicherung der Studierenden (KVdS) Die KVdS ist 1975 eingeführt worden8, der Versicherungspflichttatbestand ist in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V geregelt9. Neben der formellen Immatrikulation10 an einer Hochschule ist auch die tatsächliche Aufnahme und Durchführung eines Studiums erforderlich11. Ob das Studium nach dem BAföG gefördert wird, ist unerheblich.12 Doktoranden und Promotionsstudenten gehören nicht mehr zu den versicherungspflichtigen Studenten13, auch nicht Gasthörer oder Besucher von Ferien- oder Volkshochschulkursen14, hingegen ist noch Studierender, wer ein Aufbau- oder Erweiterungsstudium absolviert15, bei Urlaubssemestern ist je nach dem Grund der Beurlaubung (z.B. Auslandsstudium) zu differenzieren16. Versicherungspflicht in der KVdS kann in der Regel nicht mehr entstehen, wenn ein Studium erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen wird.17 In der KVdS besteht kein Anspruch auf Krankengeld.18 Die gesetzliche Krankenversicherung ist im Kern eine Beschäftigtenversicherung.19 Die meisten anderen Versicherungspflichttatbestände des § 5 Abs. 1 SGB V gehen der KVdS vor20, insb. Beschäftigtenversicherung21 und Familienversicherung22. Viele Studierende sind bis zum 25. Lebensjahr bei den Eltern familienversichert (§ 10 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB V) und müssen keinen Beitrag für ihre Krankenversicherung zahlen; danach müssen sie sich selbst versichern. Durch den freiwilligen Wehrdienst, den Bundesfreiwilligendienst oder einen anderen anerkannten Freiwilligendienst verschiebt sich die Altersgrenze (25 Jahre) nochmals um maximal 12 Monate. Wenn eines der bei-

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den Elternteile privat krankenversichert ist, ist eine Familienversicherung für Studierende im Regelfall nicht möglich.23 Ein Vorrang der KVdS besteht gegenüber der Versicherungspflicht als Praktikant24, einer Formalmitgliedschaft als Rentenantragsteller25 und der Auffangversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Ausnahmen von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V in der KVdS bestehen bei der Ausübung einer hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit26, bei Inanspruchnahme des Befreiungsrechts nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 SGB V und beim Vorliegen eines Tatbestandes der Versicherungsfreiheit27. Der Beitrag28 in der KVdS ist deutlich günstiger als der allgemeine Mindestbeitrag in einer freiwilligen Versicherung29. Die Beiträge trägt der versicherungspflichtige Stu6

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Grundlegend hierzu BSG, Urt. v. 06.03.2012 - B 1 KR 10/11 R - BSGE 110, 194. BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R - für BSGE vorgesehen. Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten (KVSG) v. 24.06.1975, BGBl I 1975, 1536. Ausführlich Bress, Versicherung der Studenten und Praktikanten, 2006; Kostorz, NZS 2012, 161 ff.; Felix, NZS 2000, 477 ff. § 36 Abs. 1 Satz 1 HRG. BT-Drs. 7/2993, S. 8. BSG, Urt. v. 30.09.1992 - 12 RK 3/91. BSG, Urt. v. 23.03.1993 - 12 RK 45/92; LSG Erfurt, Urt. v. 25.11.2014 - L 6 KR 1323/11; zur Heranziehung von Promotionsstipendien zur Beitragsbemessung vgl. BSG, Urt. v. 18.12.2013 - B 12 KR 3/12 R. Peters in: KassKomm-SGB, Stand 12/14, § 5 SGB V Rn. 93. BSG, Urt. v. 29.09.1992 - 12 RK 31/91 - BSGE 71, 144. Beispiele bei Peters in: KassKomm-SGB, Stand 12/14, § 5 SGB V Rn. 92; a.A. (keine Versicherungspflicht) Baier in: Krauskopf, Stand 07/11, § 5 SGB V Rn. 31; Ulmer in: BeckOK, Stand 03/15, § 5 SGB V Rn. 28. BSG, Urt. v. 30.09.1992 - 12 RK 3/91. § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V; vgl. BT-Drs. 7/2993, S. 9. BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R - für BSGE vorgesehen. § 5 Abs. 7 Satz 2 SGB V. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Zum sog. Werkstudentenprivileg, Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V bei max. 20 Wochenstunden Beschäftigung, wobei das Studium Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nehmen muss, vgl. BSG, Urt. v. 11.11.2003 B 12 KR 5/03 R; BSG, Urt. v. 11.03.2009 - B 12 KR 20/07 R; Felix, NZS 2000, 477, 481 f.; Kostorz, NZS 2012, 161, 162 ff. Ist die Beschäftigung auf die Semesterferien begrenzt, gilt die Stundenbegrenzung nicht (BSG, Urt. v. 30.01.1980 - 12 RK 45/78). Die Höhe des Verdienstes spielt in beiden Fällen keine Rolle. § 10 SGB V. § 10 Abs. 3 SGB V. § 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V. § 189 SGB V. § 5 Abs. 5 SGB V. § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 ff. SGB V. §§ 236, 245 SGB V. § 240 Abs. 4, Abs. 4a SGB V. Zum kassenindividuellen Zusatzbeitrag vgl. § 242 Abs. 1 und 2 SGB V.

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dierende allein.30 Jeweils vor Semesterbeginn muss der Beitrag an die zuständige Krankenkasse gezahlt werden.31 II. Beginn und Dauer der Mitgliedschaft in der KVdS Die Mitgliedschaft in der KVdS beginnt mit dem Semester, frühestens mit dem Tag der Einschreibung oder der Rückmeldung an der Hochschule32 und endet einen Monat nach Ablauf des Semesters, für das sich der Studierende zuletzt eingeschrieben oder zurückgemeldet hat33; im Regelfall, ohne Verlängerungstatbestand, spätestens einen Tag nach Vollendung des 30. Lebensjahres bzw. mit dem Ende des 14. Fachsemesters. Auch bei Vorliegen von Hinderungsgründen, die vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten sind, endet spätestens mit Vollendung des 37. Lebensjahres die Versicherungspflicht in der KVdS. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Begrenzungsregeln34 zwar nicht ausdrücklich eine absolute Verlängerungs- oder Höchstgrenze normiert. Eine solche Grenze – 37 Jahre – ist jedoch der gesetzlichen Regelung immanent, wie das BSG nun entschieden hat. Sie ergibt sich daraus, dass das Gesetz die Versicherungspflicht in der KVdS sowohl auf eine Höchstdauer der Fachstudienzeit als auch auf ein Höchstalter bewusst begrenzt.35 Die KVdS soll nicht allen Studierenden offenstehen, sondern für den Zeitraum möglich sein, in dem ein Studium typischerweise abgeschlossen oder endgültig aufgegeben wird; einer Tendenz, das Studium zu verlängern, soll entgegengewirkt wer-

den.36 Da nur vor Vollendung des 30. Lebensjahres auftretende oder fortbestehende Hinderungsgründe eine Verlängerung rechtfertigen, kann man nach Vollendung des 30. Lebensjahres noch für längstens 14 Fachsemester in der KVdS versichert sein. Ausnahmen sind nur noch bei atypischen Studiengängen denkbar, falls die Regelstudienzeit37 mehr als 14 Fachsemester beträgt38. Nach dem Ende der Mitgliedschaft in der KVdS sind Studierende automatisch freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, es sei denn, sie erklären innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten ihren Austritt und können das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachweisen.39

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§§ 250 Abs. 1 Nr. 3, 254 SGB V. § 254 Satz 1 SGB V. § 186 Abs. 7 SGB V. § 190 Abs. 9 SGB V. Durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) v. 20.12.1988, BGBl I 1988, 2477, m.W.v. 01.01.1989. So auch LSG Stuttgart, Urt. v. 29.09.2011 - L 11 KR 1015/10. BT-Drs. 11/2237, S. 159. § 10 Abs. 2 HRG i.V.m. der jeweiligen Studienordnung. Felix, NZS 2000, 477, 478; offengelassen von BSG, Urt. v. 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R. § 188 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB V; Felix in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 188 Rn. 18.1. ff.

Verwaltungsrecht

Zukunft der deutschen Hochschulen? – Versuch einer Antwort anhand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Prof. Dr. Rudolf Wendt und Prof. Dr. Stephan Weth A. Einleitung Wie sieht die Zukunft der deutschen Hochschulen aus? Wird sie durch Kehrtwendungen gekennzeichnet sein, wie wir sie bereits bei den Studiengebühren erlebt haben, die in einem Zeitraum von nicht einmal 10 Jahren zunächst eingeführt und dann wieder abgeschafft wurden? Wird es dem Bologna-Prozess ähnlich ergehen? Stehen wir vor einer Änderung des Bachelor/Master-Systems? Vor allem aber: Wie ist es um die Hochschulautonomie bestellt? Gibt es diese Autonomie nur noch auf dem Papier?1 Ist es Folge der eingeschlagenen Marschroute der aktuellen Hochschulpolitik, dass sich „die gefeierte Hochschulautonomie,

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zunächst verstanden als die Verlagerung von ehemals ministeriellen Kompetenzen auf die Hochschulen“ unversehens kehrt „zur Autonomie der Hochschule und ihrer Leitung gegenüber den Fakultäten und einzelnen Hochschullehrern“?2 Und wie sieht die Zukunft dieser „hierarchisch strukturierten Vorstandsuniversität“3 oder, wie sie auch genannt wird, der „unternehmerischen Hochschule“4 aus? 1 2 3 4

So Schmoll, „Für die Freiheit“, FAZ v. 28.12.2013, S. 1. Horn, Forschung und Lehre 2014, 722. Hartmer, Forschung und Lehre 2014, 744. Schmoll, „Für die Freiheit“, FAZ v. 28.12.2013, S. 1; vgl. auch Kaube, „Sie sagen Zukunft, sie meinen Steuerung“, FAZ v. 11.12.2013, S. N 5.

JM 07 | Das BVerfG akzentuiere, so Hartmer, in seiner Entscheidung vom 24.06.2014 die Universität als Körperschaft mit funktionaler Selbstverwaltung und lege dem Modell der Vorstandsuniversität deutliche Fesseln an.5 Hufen hat jüngst davon gesprochen, die Entscheidung stelle weit mehr als nur einen „Warnschuss“ des Gerichts für den Hochschulgesetzgeber dar.6 Dem ist zuzustimmen. Was aber heißt „weit mehr“? Leitet nicht die Entscheidung das Ende der sog. unternehmerischen Universität ein? B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung des BVerfG Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 24.06.2014 das hochschulordnungsrechtliche Gesamtgefüge, das die angegriffenen Regelungen der §§ 63c, 63e des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) ausgestalten, für verfassungswidrig erklärt. Die angegriffenen Vorschriften strukturieren die Verantwortung für die Leitung der Medizinischen Hochschule Hannover.7 In Niedersachsen wurde diese Leitungsverantwortung in der Universitätsmedizin vom Vertretungsorgan der Hochschulangehörigen, also dem Fachbereichs- oder Fakultätsrat bzw. dem Senat, seit 1998 zunehmend auf einen Vorstand oder ein Präsidium als Leitungsorgan verlagert. Das BVerfG sah auch unter Berücksichtigung des weiten Spielraums, der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der Hochschulorganisation zukommt, und auch unter Berücksichtigung des Auftrags, bei der Organisation der Hochschulmedizin die Aufgabe der Krankenversorgung hinreichend zu berücksichtigen, einen Verstoß gegen die Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegeben. Es erklärte, dass die dem Vorstand insgesamt und die dem für Forschung und Lehre zuständigen Vorstandsmitglied allein zugewiesenen Entscheidungsbefugnisse weder durch Mitwirkungsrechte des Vertretungsorgans akademischer Selbstverwaltung selbst noch durch die Beteiligung des Vertretungsorgans an der Wahl und Abwahl der Leitung hinreichend gegen die strukturelle Gefahr wissenschaftsinadäquater Entscheidungen gesichert seien.8 Die Entscheidung ist nicht etwa nur für Medizinische Hochschulen von Belang; sie ist von grundlegender Bedeutung für die Organisation aller Universitäten in Deutschland. Mit ihr wird die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zum Hochschulorganisationsrecht vertieft und um neue Aspekte bereichert. Die Entscheidung sollte Anlass dafür sein, die Hochschulgesetze der Länder daraufhin zu überprüfen, ob sie den aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit erwachsenden organisationsrechtlichen Anforderungen, die das BVerfG mit großer Klarheit formuliert, gerecht werden.9 Dies umso mehr, als die Verlagerung der Leitungsverantwortung vom Vertretungsorgan der Hochschulange-

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hörigen auf ein mono- oder oligokratisches Leitungsorgan wie einen Vorstand oder ein Präsidium keine niedersächsische Besonderheit, sondern seit geraumer Zeit ein verbreitetes, dem Zeitgeist entsprechendes Charakteristikum der Hochschuldgesetzgebung ist. Mit der entsprechenden organisatorischen Hierarchisierung und Ökonomisierung der Universitäten10 sollte eine straffere und effizientere Führung erreicht werden. Ob dies gelang, mag dahinstehen. Welchen Zielen auch immer aber eine Hochschulgesetzgebung sich verpflichtet sieht, den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG muss sie in jedem Fall genügen. Welche Anforderungen das sind, soll im Folgenden anhand der Kernaussagen der Entscheidung des BVerfG vom 24.06.2014 erläutert werden. C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Hochschulorganisationsrecht I. Inhalt der Wissenschaftsfreiheit Wissenschaft ist ein grundsätzlich von Fremdbestimmung freier Bereich autonomer Verantwortung. Dem Freiheitsrecht liegt auch der Gedanke zu Grunde, dass eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft die ihr zukommenden Aufgaben am besten erfüllen kann.11 Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verpflichtet daher den Staat zu Schutz und Förderung wissenschaftlicher Betätigung und garantiert den in der Wissenschaft Tätigen zugleich eine Teilhabe am Wissenschaftsbetrieb;12 diese Mitwirkung ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Schutz vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen.13

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Hartmer, Forschung und Lehre 2014, 744. Hufen, JuS 2015, 378, 380, führt dann weiter aus: „Insofern bestehen erhebliche Zweifel, ob das Gericht die teilweise noch viel weitergehenden Regelungen des Entwurfs für ein nordrhein-westfälisches Hochschulgesetz unangetastet lassen wird.“ Die verworfenen Vorschriften bleiben bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter anwendbar. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2015 eine Neuregelung zu schaffen. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 96. So auch Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1137. Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1137. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 56; vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 01.03.1978 - 1 BvR 333/75, 1 BvR 174/71, 1 BvR 178/71, 1 BvR 191/71 - BVerfGE 47, 327, 370; BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 911/00, 1 BvR 927/00, 1 BvR 928/00 - BVerfGE 111, 333, 354; BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 BVerfGE 127, 87, 115. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 56; BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 115 f. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 56; vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 115; BVerfG, Urt. v. 14.02.2012 - 2 BvL 4/10 - BVerfGE 130, 263, 299 f.

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II. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Der Gesetzgeber verfügt nach der Feststellung des BVerfG zwar über einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen verlangt aber, dass Wissenschaftler durch ihre Vertretung in Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Organisation einbringen können. Der Gesetzgeber muss für die Organisation der Wissenschaftsfreiheit ein Gesamtgefüge schaffen, in dem Entscheidungsbefugnisse und Mitwirkungsrechte, Einflussnahme, Information und Kontrolle so beschaffen sind, dass Gefahren für die Freiheit von Lehre und Forschung vermieden werden. Organisationsnormen sind dann mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar, wenn durch sie ein Gesamtgefüge geschaffen wird, das die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung strukturell gefährdet.14 Entscheidungsbefugnisse sind vielmehr so auszugestalten, dass die selbstbestimmte Grundrechtswahrnehmung und die wissenschaftsadäquater Organisation entsprechenden Mitwirkungsrechte der Wissenschaftler so weit wie möglich erhalten bleiben.15 III. Umfang der Wissenschaftsfreiheit Die mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte hinreichende Mitwirkung von Wissenschaftlern im organisatorischen Gesamtgefüge einer Hochschule erstreckt sich auf alle wissenschaftsrelevanten Entscheidungen. Dies sind nicht nur Entscheidungen über konkrete Forschungsvorhaben oder Lehrangebote, sondern auch über die Planung der weiteren Entwicklung einer Einrichtung und über die Ordnungen, die für die eigene Organisation gelten sollen.16 Wissenschaftsrelevant sind auch alle den Wissenschaftsbetrieb prägenden Entscheidungen über die Organisationsstruktur und den Haushalt,17 denn das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit liefe leer, stünden nicht auch die organisatorischen Rahmenbedingungen und die Ressourcen zur Verfügung, die Voraussetzungen für die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Freiheit sind.18 IV. Übertragung von Entscheidungen auf Organe Der Gesetzgeber darf die Art und Weise der Mitwirkung im wissenschaftsorganisatorischen Gesamtgefüge frei gestalten, solange die wissenschaftlich Tätigen an wissenschaftsrelevanten Entscheidungen hinreichend mitwirken können. Angelegenheiten, die der Selbstbestimmung der Grundrechtsträger unterliegen, dürfen allerdings ohnehin weder Vertretungs- noch Leitungsorganen zur Entscheidung zugewiesen werden. Andere wissenschaftsrelevante Angelegenheiten kann der Gesetzgeber angemessen ausgestalteten Organen zur Entscheidung zuweisen. So können

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Vertretungsorgane die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmung auch der Organisation von Wissenschaft sichern und vor wissenschaftsgefährdenden Entscheidungen schützen, sofern sie pluralistisch zusammengesetzt sind und es so ermöglichen, die auch innerhalb der Wissenschaft bestehenden Unterschiede in die Organisation sachverständig einzubringen. Kleine Leitungsorgane sind demgegenüber auf straffe Entscheidungsfindung hin angelegt und können in Distanz zu einzelnen Wissenschaftlern dynamischer agieren.19 V. Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen an Leitungsorgane und Bestellung von Leitungsorganen Aus der Bedeutung plural zusammengesetzter Vertretungsorgane für die Selbstorganisation der Wissenschaft folgt nach der Feststellung des BVerfG kein grundsätzlicher Vorrang solcher Organe gegenüber den Leitungsorganen. Die Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen an Leitungsorgane darf jedoch nur in dem Maße erfolgen, wie sie inhaltlich begrenzt und organisatorisch so abgesichert ist, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaft ausscheidet.20 Zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit kann es daher erforderlich sein, den Grundrechtsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, ihre Auffassung mit Blick auf solche Entscheidungen tatsächlich selbst durchzusetzen, und sie nicht auf die Möglichkeit bloßer Stellungnahmen zu verweisen. Aus der Wissenschaftsfreiheit ergibt sich dabei zwar kein Recht, die Personen, die eine wissenschaftliche Einrichtung leiten sollen, ausschließlich selbst zu bestimmen. Doch ist das Recht eines plural zusammengesetzten Vertretungsorgans zur Bestellung und auch zur Abberufung von Leitungspersonen ein zentrales und effektives Einfluss- und Kontrollinstrument der wissenschaftlich Tätigen auf die Organisation. 14

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BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 57; vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 115 ff. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 61; Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1135. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 58; BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 123. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 58; vgl. bereits BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 123; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1982 - 1 BvR 1470/80 - BVerfGE 61, 260, 279; BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 BVerfGE 127, 87, 124, 126. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 58; BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 114 f. Zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 59. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 60, unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 911, 927, 928/00 BVerfGE 111, 333, 357 f.;

JM 07 | Je höher Ausmaß und Gewicht der den Leitungspersonen zustehenden Befugnisse sind, desto eher muss die Möglichkeit gegeben sein, sich selbstbestimmt von diesen zu trennen. Je mehr, je grundlegender und je substantieller wissenschaftsrelevante personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse dem kollegialen Selbstverwaltungsorgan entzogen und einem Leitungsorgan zugewiesen werden, desto stärker muss im Gegenzug die Mitwirkung des Selbstverwaltungsorgans an der Bestellung und Abberufung dieses Leitungsorgans und an dessen Entscheidungen ausgestaltet sein. Der Gesetzgeber muss diesen Zusammenhang durchgängig berücksichtigen.21 Der Gesetzgeber muss insgesamt ein hinreichendes Maß an Mitwirkung der wissenschaftlich Tätigen an wissenschaftsrelevanten Entscheidungen von Leitungsorganen innerhalb der Organisation sichern.22 D. Anwendung der Vorgaben des BVerfG auf das Landeshochschulrecht am Beispiel des Universitätsgesetzes des Saarlandes (SUG) Eine Überprüfung aller oder auch nur einiger Landeshochschulgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen ist hier aus Raumgründen nicht möglich. Die Verfasser haben deshalb das für sie geltende Universitätsgesetz des Saarlandes (SUG)23 einer näheren Prüfung unterzogen. Durch die folgenden Ausführungen soll an dessen Beispiel deutlich werden, was konkret für die Verteilung der Aufgaben zwischen Leitung (Vorstand/ Präsidium/Rektorat) und Basis (Senat/Fakultäten) aus der Entscheidung des BVerfG folgt; insofern sind die Ausführungen über das Saarland hinaus für alle Bundesländer von Interesse. Das BVerfG äußert in seiner Entscheidung vom 24.06.2014 im Ausgangspunkt keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass ein Hochschulgesetzgeber die Leitung einer wissenschaftlichen Hochschule auf einen Vorstand oder ein Präsidium überträgt. Es erklärt vielmehr, dass das Grundgesetz keine hochschulpolitische Vorgabe für ein bestimmtes Leitungsmodell enthält.24 Daher ist die in § 15 Abs. 1 Satz 1 SUG getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, ein Universitätspräsidium, bestehend aus dem Universitätspräsidenten, einem hauptamtlichen Vizepräsidenten und wenigstens drei nebenamtlichen Vizepräsidenten, zum zentralen Leitungsorgan der Universität zu machen, nicht zu beanstanden. Es ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, in einer wissenschaftlichen Hochschule selbst wissenschaftsrelevante Entscheidungen nicht allein dem Senat zu überantworten, sondern die Hochschulleitung an solchen Entscheidungen zu beteiligen. Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Be-

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denken begegnet es aber, wenn weichenstellende Entscheidungen über die Entwicklung, die Organisation und die Ressourcen für Forschung und Lehre im Wesentlichen dem Gesamtvorstand zugewiesen und dem Senat entzogen sind.25 Ob eine derartige unzulässige Verschiebung der dem Senat aus Gründen der Wissenschaftsfreiheit zustehenden Entscheidungsbefugnisse von diesem auf das Universitätspräsidium auch die Lage nach dem SUG kennzeichnet, ist für die verschiedenen Entscheidungsfelder zu prüfen. Diese Prüfung erübrigt sich nicht schon deshalb, weil nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SUG der Senat zuständig ist für „Entscheidungen in Angelegenheiten der Forschung und Lehre, die die gesamte Universität oder zentrale Einrichtungen betreffen, im Rahmen der strategischen Vorgaben des Universitätspräsidiums und des Erweiterten Universitätspräsidiums“. Mit der Einräumung von Entscheidungsmacht nur innerhalb der strategischen Vorgaben der Hochschulleitung werden gerade die weichenstellenden wissenschaftsrelevanten Entscheidungen dem Senat vorenthalten. Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Selbst wenn die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SUG aber nicht verfassungswidrig wäre, wäre ihre Bedeutung äußerst gering. Denn nahezu alle substantiellen Entscheidungsbefugnisse auf der Ebene der Gesamtuniversität sind im SUG speziell geregelt und gehen der Vorschrift schon deshalb vor. Auf diese speziell zugewiesenen Entscheidungsbefugnisse, die bis auf wenige Ausnahmen – die dem Senat zugewiesene Beschlussfassung über die Grundordnung und den Erlass von Ordnungen der Universität sowie die Zustimmung zu den Ordnungen der Fakultäten (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SUG) und die Mitwirkung bei der Wahl und Abwahl des Universitätspräsidenten und bei der Bestellung der Mitglieder des Universitätsrates (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 6 und 7 SUG) – dem Universitätspräsidium zugewiesen sind (§ 15 Abs. 5 SUG), kommt es also an. Wie ergänzend festgestellt sei, ist durchgängig zu beachten, dass etwaige Einflussdefizite des Senats durch Befugnisse des Universitätsrats gemäß § 20 SUG, dessen stimm-

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BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 118; Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1135, hebt zutreffend hervor, dass die der Grundfeststellung des Gerichts nachgeschobenen Vorbehalte doch auf einen relativen, funktional abgestuften Vorrang der gewählten Kollegialorgane in solchen Angelegenheiten hinauslaufen, die Forschung und Lehre qualifiziert betreffen. Zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 60. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 61. Vom 23.06.2004 (Amtsbl. I 2004, 1782, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.10.2014, Amtsbl. I 2014, 406). BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 65. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 64 f.

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berechtigte Mitglieder sämtlich Externe sind (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SUG), nicht kompensiert werden können.26 I. Entwicklungsplanung 1. Es stößt nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken, den Beschluss über den Entwicklungsplan der Hochschulleitung zu überantworten, wenn – wie im Fall der Medizinischen Hochschule Hannover – dem Senat die Befugnis zur Entscheidung über die Grundzüge der Entwicklungsplanung zugewiesen ist; der Gesetzgeber belässt damit die Weichenstellung für die Gesamtorganisation in der Hand des akademischen Vertretungsorgans, wenn der Beschluss der Hochschulleitung über den Entwicklungsplan an den Beschluss des Senats über die Grundzüge der Entwicklungsplanung gebunden ist.27 Es ist verfassungsrechtlich zudem unbedenklich, wenn der Vorstand zum Beschluss des Senats über die Grundzüge der Entwicklungsplanung sein Einvernehmen erklären muss.28 In jedem Fall muss jedoch sichergestellt sein, dass der Senat die Befugnis zur Entscheidung über die maßgebliche Entscheidungsteilhabe an der Entwicklungsplanung tatsächlich nutzen kann; hierzu gehört, dass er dazu gegebenenfalls erforderliche vorbereitende Handlungen der Hochschulleitung notfalls auch gerichtlich erzwingen kann. Insoweit könnte das Fehlen der verfassungsrechtlich gebotenen Mitwirkung von Wissenschaftlern auch nicht durch deren Einfluss auf die Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans kompensiert werden.29 2. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SUG ist dem Universitätspräsidium die Zuständigkeit für die strategische Strukturund Entwicklungsplanung der Universität in Forschung und Lehre, insbesondere für die Entscheidung über die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Fakultäten, Studiengängen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Kompetenzzentren und anderen Organisationsformen, zugewiesen. Der Senat ist auf das Recht zu einer bloßen Stellungnahme zum Struktur- und Entwicklungsplan beschränkt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SUG). Er verfügt damit als das Vertretungsorgan akademischer Selbstverwaltung über keinerlei Gestaltungs- und Entscheidungsbefugnisse in diesen Bereichen. Nicht einmal an der Entscheidung über die Grundzüge der Struktur- und Entwicklungsplanung nimmt er teil. Das Fehlen jeglicher substantiellen Mitwirkungsbefugnis führt zu Verfassungswidrigkeit der Zuständigkeitszuweisung des § 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SUG und der defizitären Mitwirkungsvorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SUG.

§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 SUG gegenüber dem Universitätspräsidium (noch einmal) durch spezielle Regelung ausdrücklich lediglich die Möglichkeit der Stellungnahme zur Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Fakultäten, Studiengängen, zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen, Kompetenzzentren und anderen Organisationsformen eingeräumt wird. Das Fehlen der verfassungsrechtlich gebotenen Mitwirkung von Wissenschaftlern im hier in Rede stehenden Bereich der Struktur- und Entwicklungsplanung kann nicht durch den Einfluss des Senats auf die Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans kompensiert werden.30 II. Organisation der Hochschule Das gefundene Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der §§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1, 19 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 8 SUG wird durch die Feststellungen, die das BVerfG zur Zuordnung der Entscheidungsbefugnis über die Organisation einer Hochschule trifft, noch einmal eindeutig bestätigt. Wenn ein Hochschulgesetz, erklärt das BVerfG, die Entscheidungen über die Organisation der Hochschule der Hochschulleitung zuweist, eine ausschlaggebende Beteiligung des Senats mit seinem gefächerten Sachverstand an der Entscheidung jedoch nicht vorsieht, sondern nur verlangt, dass die Hochschulleitung sich mit diesem lediglich ins Benehmen setzt, dann begrenzt das Hochschulgesetz damit, selbst unter Berücksichtigung eines Einflusses des Senats auf die Bestellung und Abberufung der Hochschulleitung, die Mitwirkung des Senats an der Entscheidung über die Organisation als Weichenstellung auch für die Wissenschaft31 ausdrücklich in einer Weise, die mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar ist32. Die Möglichkeit der Kompensation einer derart unzulänglichen Beteiligung des Senats wird damit auch hier verneint. III. Wirtschaftsplan, Aufteilung der Sach-, Investitions- und Personalbudgets sowie Bereitstellung von Mitteln für zentrale Lehrund Forschungsfonds 1. Eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit kann aus nicht hinreichenden Mitwirkungsbefugnissen des 26

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Am Ergebnis der Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften ändert sich auch nichts dadurch – sondern es wird klarstellend nur noch bestärkt dadurch –, dass dem Senat nach

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Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 83; Gärditz, DVBl. 2014, 1133 (1137). BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 67, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 127; zustimmend Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1135. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 67. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 68. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 68. BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 123. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 69.

JM 07 | Senats an den Entscheidungen der Hochschulleitung über den Wirtschaftsplan und die Aufteilung der Sach-, Investitions- und Personalbudgets auf die Organisationseinheiten sowie über die Bereitstellung von Mitteln für zentrale Lehrund Forschungsfonds resultieren, wenn die damit begründeten Einflussdefizite des Senats nicht anderweitig kompensiert sind.33 Grundlegende ökonomische Entscheidungen wie diejenige über den Wirtschaftsplan einer Hochschule sind nicht etwa wissenschaftsfern, sondern angesichts der Angewiesenheit von Forschung und Lehre auf die Ausstattung mit Ressourcen wissenschaftsrelevant. Haushalts- und Budgetentscheidungen müssen daher die verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Anforderungen an den Schutz der Wissenschaftsfreiheit hinreichend beachten.34 Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ist der Gesetzgeber allerdings nicht gezwungen, die Wissenschaftsfreiheit allein durch die Ausgestaltung von Mitwirkungsrechten der wissenschaftlich tätigen Hochschulangehörigen zu sichern. Er kann auch auf gesetzliche Vorgaben zur Mittelverwendung zurückgreifen.35 Eine Rechenschaftspflicht, die dahingehend ausgestaltet ist, dass die Hochschulleitung in allen Angelegenheiten der Selbstverwaltung in ihrer Entscheidungszuständigkeit dem Senat rechenschaftspflichtig ist, genügt aber nicht, um das Fehlen eines auch auf Mitgestaltung gerichteten Teilhaberechts zu kompensieren.36 Sind mit der Befugnis zur Aufteilung des Budgets (operative Umsetzung der Vorgaben des Wirtschaftsplans: Aufteilung der Sach-, Investitions- und Personalbudgets) tiefergreifende wissenschaftsrelevante Entscheidungen verbunden, dürfen sie nicht ohne Mitwirkung des Senats als dem von gefächertem wissenschaftlichen Sachverstand geprägten Vertretungsorgan getroffen werden.37 Die Zuweisung der wissenschaftsrelevanten Befugnis zur Bereitstellung von Mitteln für zentrale Fonds für Lehre und Forschung als Entscheidung über die Aufteilung des Gesamtbudgets der Hochschule an die Hochschulleitung begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, falls der Senat an dieser Entscheidung nicht beteiligt ist. Dies kann den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit nur unter besonderen Voraussetzungen genügen, beispielsweise dann, wenn der Umfang der Mittel begrenzt ist. Eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit lässt sich weiter etwa dann vermeiden, wenn die Entscheidung über die Bereitstellung von Mitteln für zentrale Fonds für Lehre und Forschung an einen unter Mitwirkung des Senats erstellten Wirtschaftsplan gebunden wird und eine Abweichung von dieser Bindung kontrolliert und korrigiert werden kann.38

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2. Diesen vom BVerfG formulierten Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG genügt das SUG nicht. Dieses weist dem Universitätspräsidium die alleinige Zuständigkeit zu für die Festlegung von Grundsätzen für die Ausstattung und für den wirtschaftlichen und aufgabengerechten Einsatz der Mittel für Forschung und Lehre nach aufgaben- und leistungsorientierten Kriterien (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 SUG), die Erstellung des Wirtschaftsplans und die aufgaben- und leistungsorientierte Verteilung der Stellen und Mittel (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 SUG) sowie die aufgaben-, leistungs- und innovationsbezogene Zuweisung von Stellen und Mitteln an die Organisationseinheiten der Universität (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 6 SUG). All dies sind grundlegende ökonomische bzw. tiefgreifende wissenschaftsrelevante Entscheidungen, die den verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Anforderungen an den Schutz der Wissenschaftsfreiheit genügen müssen. Das SUG verweist gleichwohl den Senat lediglich auf die beschränkte Möglichkeit einer bloßen Stellungnahme zu den Wirtschaftsplänen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10) und zu den Grundsätzen für die Ausstattung und für den wirtschaftlichen und aufgabengerechten Einsatz der Mittel für Forschung und Lehre nach aufgabenund leistungsorientierten Kriterien (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12). Damit wird dem Senat eine auch auf Mitgestaltung gerichtete Teilhabe an den Entscheidungen der Hochschulleitung über den Wirtschaftsplan und die Aufteilung der Sach-, Investitions- und Personalbudgets auf die Organisationseinheiten a limine verwehrt. Dies bedeutet eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit. Das damit begründete Einflussdefizit des Senats wird auch, wie zu zeigen sein wird, nicht durch Regelungen des SUG über die Abwahl der Hochschulleitung kompensiert. IV. Organisation und Weiterentwicklung von Forschung und Lehre 1. Bei den Entscheidungen über die Organisation und Weiterentwicklung von Forschung und Lehre einschließlich der Bildung von Schwerpunkten handelt es sich um im Kern wissenschaftsrelevante Entscheidungen. Es ist nach den Feststellungen des BVerfG unzulässig, die entsprechenden Entscheidungsbefugnisse der Hochschulleitung

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BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 70. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 71; zustimmend Gärditz, DVBl. 2014, 1133, 1136; Pernice-Warnke, NdsVBl. 2014, 343, 344. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 72; BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 119 f. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 72. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 73. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 74.

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oder einem Mitglied derselben zuzuweisen und den Senat an ihnen nur bei grundsätzlicher Bedeutung und allein im Wege des Benehmens zu beteiligen. Damit würde der Gesetzgeber die verfassungsrechtliche Anforderung nicht hinreichend beachten, wonach einer – selbst abberufbaren – Hochschulleitung nur Entscheidungen zugewiesen werden dürfen, die nicht selbstbestimmt getroffen werden müssen.39 Das BVerfG spricht sich vielmehr dafür aus, den Gesetzgeber zum organisatorischen Schutz der Wissenschaftsfreiheit vor Gefährdungen im Regelfall als verpflichtet anzusehen, gerade bei den Weichenstellungen, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen, ein Einvernehmen mit dem Vertretungsorgan akademischer Selbstverwaltung zu fordern.40 Soweit bei der Zuweisung dahingehender Entscheidungsbefugnisse gegen das verfassungsrechtliche Erfordernis, nach dem einer Hochschulleitung keine Entscheidungen zugewiesen werden dürfen, die selbstbestimmt getroffen werden müssen, verstoßen wird, scheidet eine Kompensation durch einen wie auch immer gearteten Einfluss des Senats auf die Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans von vornherein aus. Dazu, ob bei unzureichender Beteiligung des Senats an den Entscheidungen über die Organisation und Weiterentwicklung von Forschung und Lehre im Übrigen eine Kompensation durch einen ausreichenden Einfluss des Senats auf die Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans in Frage kommt, äußert das BVerfG sich nicht. Es schließt daher eine Kompensation wohl nicht aus. Es liegt aber nahe, je nach dem Gewicht der Entscheidung die Frage unterschiedlich zu beantworten. 2. Nach dem SUG sind der Abschluss von Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit der Ministerpräsidentin/dem Ministerpräsidenten (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SUG), die Koordinierung der Tätigkeit der Fakultäten und zentraler wissenschaftlicher Einrichtungen (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 SUG), die aufgaben-, leistungs- und innovationsbezogene Zuweisung von Stellen und Mitteln an die Organisationseinheiten der Universität (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 6 SUG) sowie die Entscheidung über die künftige Verwendung, die Widmung und Freigabe vakanter Hochschullehrerstellen (§ 15 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7 SUG) in die alleinige Zuständigkeit des Universitätspräsidiums gestellt. Ein Recht zur Stellungnahme zu den mit der Ministerpräsidentin/dem Ministerpräsidenten abzuschließenden Ziel- und Leistungsvereinbarungen hat der Senat nicht, er ist lediglich vor allen organisatorischen Entscheidungen des Universitätspräsidiums zur Durchführung der Ziel- und Leistungsvereinbarungen zu hören (§ 19 Abs. 3 Satz 2 SUG). Auch zu allen anderen aufgezählten Entscheidungsbefugnissen verfügt der Senat nicht über ein Recht zur Stellungnahme,41 obwohl

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es sich bei ihnen in der Sache um Entscheidungen über die Organisation und Weiterentwicklung von Forschung und Lehre einschließlich der Bildung von Schwerpunkten handelt. Um den organisatorischen Schutz der Wissenschaftsfreiheit vor Gefährdungen zu gewährleisten, wäre bei diesen für Forschung und Lehre unmittelbar bedeutsamen und weichenstellenden Entscheidungen ein Einvernehmen mit dem Vertretungsorgan akademischer Selbstverwaltung vonnöten. Der Ausschluss des Senats von der eine Mitgestaltung ermöglichenden Teilhabe an den genannten Entscheidungen des Universitätspräsidiums stößt daher auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. E. Kompensation von Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit durch Regelungen über die Findung, Bestellung und Entlassung der Hochschulleitung Strukturelle Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit, die durch eine unzulängliche Beteiligung des Senats einer Hochschule an den auf der Ebene der Gesamtuniversität zu treffenden Entscheidungen entstehen, können nach der Konzeption des BVerfG zum Teil durch Regelungen über die Findung, Bestellung und Entlassung der Hochschulleitung kompensiert werden. Der Kompensation dient insbesondere die Möglichkeit für den Senat, sich selbstbestimmt von einem Leitungsorgan zu trennen, das von ihm nicht mehr akzeptiert wird. Die Versagung dieser Möglichkeit wiegt jedenfalls dann schwer, wenn dem Senat keine Kontroll- und Informationsrechte und insbesondere keine anderen Einflussbefugnisse in Gestalt von Vetorechten zustehen, sodass das Fehlen einer Befugnis zur Abwahl eine wirksame Kontrolle des Vorstands durch den Senat faktisch unmöglich macht.42 Es fragt sich, ob diejenigen erörterten verfassungsrechtlich unzulänglichen Mitwirkungsrechte des Senats der Universität des Saarlandes, die (überhaupt) einer Kompensation zugänglich sind, eine Kompensation durch die Regelungen des SUG über die Fin-

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BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 76; vgl. bereits BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79, 126 ff.; BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 118. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 76. Er verfügt lediglich über das Recht zur Stellungnahme zu den Grundsätzen für die Ausstattung und für den wirtschaftlichen und aufgabengerechten Einsatz der Mittel für Forschung und Lehre nach aufgaben- und leistungsorientierten Kriterien (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SUG). BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 62, 78; vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 20.07.2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87, 131.

JM 07 | dung, Bestellung und Entlassung des Universitätspräsidiums erfahren. Für die Beantwortung dieser Frage sind zunächst die Regelungen über die Findung und Bestellung des Universitätspräsidiums bedeutsam. Angesichts des Umstandes, dass die Hochschulen nicht nur Selbstverwaltungsaufgaben, sondern auch staatliche Aufgaben wahrnehmen und daher die Besetzung der Leitung als Kondominialangelegenheit von Staat und Hochschule ausgestaltet werden kann43, mögen die Regelungen des SUG über die Findung, Wahl und Ernennung des Universitätspräsidenten selbst hinnehmbar sein. Der Universitätspräsident wird aufgrund des Vorschlags einer durch Senat und Universitätsrat gebildeten paritätisch zusammengesetzten Findungskommission durch Senat und Universitätsrat gewählt und dem Ministerpräsidenten zur Ernennung oder Bestellung vorgeschlagen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SUG). Damit hat der Gesetzgeber sichergestellt, dass für das Amt des Universitätspräsidenten keine Person vorgeschlagen werden kann, die nicht das Vertrauen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genießt.44 Die Regelungen über die Ernennung oder Bestellung der Vizepräsidenten sind aber jedenfalls unzureichend, da das Gesetz dem Senat hier nur ein Anhörungsrecht zubilligt (§ 15 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SUG).45 Da das Universitätspräsidium im Wesentlichen als Kollegialorgan handelt (§ 15 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SUG), sind die Regelungen über die Bestellung des Universitätspräsidiums wegen des Fehlens einer adäquaten Beteiligung des Senats insgesamt schon selbst verfassungsrechtlich unzulänglich. Durch sie können diejenigen erörterten verfassungsrechtlich unzulänglichen Mitwirkungsrechte des Senats, die (überhaupt) einer Kompensation zugänglich sind, keine Kompensation erfahren. Es bleibt die Frage, ob die Regelungen des SUG über die Abwahl des Universitätspräsidiums eine Kompensation der erörterten verfassungsrechtlich unzulänglichen Mitwirkungsrechte des Senats, die grundsätzlich einer Kompensation zugänglich sind, bewirken. Die Möglichkeit für den Senat, sich selbstbestimmt von dem Leitungsorgan zu trennen, das von ihm nicht mehr akzeptiert wird, wird damit zum entscheidenden Prüfstein für die Verfassungsmäßigkeit der verbleibenden hochschulorganisatorischen Entscheidungsbereiche, in denen die defizitäre Regelung der Mitwirkung des Senats mangels einer Kompensationsfähigkeit nicht ohnehin zu einem endgültigen Verdikt der Verfassungswidrigkeit führt.

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setz überhaupt keine Abberufungsmöglichkeit (§ 15 Abs. 3 SUG). Die nebenamtlichen Vizepräsidenten können nach Anhörung des Universitätsrats durch den Universitätspräsidenten von ihrem Amt entbunden werden (§ 15 Abs. 4 Satz 2 SUG). Auch hier besteht für den Senat keinerlei Mitwirkungsmöglichkeit. Der Universitätspräsident kann mit einer Mehrheit von jeweils zwei Dritteln der Mitglieder des Senats und des Universitätsrats, dessen stimmberechtigte Mitglieder sämtlich Externe sind (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SUG), abgewählt werden (§ 17 Abs. 4 Satz 1 SUG). Der Senat allein verfügt damit nicht über die Möglichkeit, sich vom Universitätspräsidenten zu trennen.46 Das Fehlen einer wirksamen Befugnis des Senats zur Abwahl des Universitätspräsidiums oder einzelner Mitglieder desselben macht eine wirksame Kontrolle des Universitätspräsidiums durch den Senat faktisch unmöglich. Es fehlt an einer ausschlaggebenden Mitwirkung bei der Abbestellung, wie sie aus Verfassungsgründen für den Fall, dass das Universitätspräsidium das Vertrauen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verloren hat, zu fordern ist.47 Im Ergebnis zeigt sich: Die dem Universitätspräsidium nach dem SUG zugewiesenen wissenschaftsrelevanten Entscheidungsbefugnisse sind insgesamt nicht durch Mitwirkungsrechte des Vertretungsorgans akademischer Selbstverwaltung hinreichend gegen die strukturelle Gefahr wissenschaftsinadäquater Entscheidungen gesichert. Für einen erheblichen Teil dieser Entscheidungsbefugnisse, nämlich den Teil, für den wegen ihres Gewichts eine Kompensation der unzureichend ausgestalteten Mitwirkungsbefugnisse des Senats durch die Eröffnung der Möglichkeit einer selbstbestimmten Trennung vom Universitätspräsidium von vornherein ausscheidet, steht bereits mit dem Befund des Fehlens ausreichender Mitwirkungsbefugnisse des Senats endgültig fest, dass ihre Zuweisung an das Universitätspräsidium den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit nicht genügt. Für den verbleibenden Teil dieser Entscheidungsbefugnisse, für den eine Kompensation der unzureichend ausgestalteten Mitwirkungsbefugnisse des Senats durch die Eröffnung der Möglichkeit einer selbstbestimmten Trennung vom Universitätspräsidium grundsätzlich in Frage gekommen wäre, schafft das SUG mit der

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Das SUG gibt dem Senat keine Möglichkeit, sich selbstbestimmt vom Universitätspräsidium als Ganzem oder auch nur von einzelnen Mitgliedern desselben zu trennen. Für den hauptamtlichen Vizepräsidenten eröffnet das Ge-

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BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004 - 1 BvR 911, 927, 928/00 - BVerfGE 111, 333, 362 f.; BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 83. Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 85. Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 82. Dass das Universitätsgesetz die Mitwirkung eines im Wesentlichen extern besetzten Organs, wie hier diejenige des Hochschulrats, überhaupt vorsieht, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet, vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 93. BVerfG, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 BvR 3217/07 Rn. 95.

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Versagung eine solchen Möglichkeit keine solche Kompensation. Damit wird auch insoweit den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG endgültig nicht Rechnung getragen.

2. Die Entscheidung des BVerfG sollte Anlass dafür sein, alle Hochschulgesetze der Länder auf ihre Vereinbarkeit mit den vom Gericht aufgestellten Grundsätzen zu überprüfen.

F. Resümee

3. Die mit dem Leitbild der unternehmerischen Universität verbundene Organisation der Universität, die durch eine starke Stellung der Leitungsorgane einerseits und die schwachen Mitwirkungsbefugnisse von Senat und Fakultäten andererseits geprägt ist, ist mit den Anforderungen, die das BVerfG in der Entscheidung vom 24.06.2014 an eine dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entsprechende Gestaltung der Hochschulorganisation stellt, nicht vereinbar.

1. Was die hochschulinternen Organisations- und Entscheidungsstrukturen betrifft, hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 26.04.2014 den Hochschulgesetzgebern klare Grenzen aufgezeigt. Bestimmte Entscheidungen, nämlich solche, die der Selbstbestimmung der Grundrechtsträger, z.B. der wissenschaftlich tätigen Hochschullehrer, unterliegen, dürfen überhaupt nicht Vertretungsoder Leitungsorganen (Präsidium, Rektorat) zugewiesen werden. Andere Entscheidungen können zwar den Leitungsorganen übertragen werden, dem Vertretungsorgan akademischer Selbstverwaltung (z.B. Senat) muss aber zumindest ein Mitentscheidungsrecht zustehen (Bsp.: Entwicklungsplanung, wissenschaftsrelevante Strukturplanung, insbesondere Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Fakultäten, Studiengängen, zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen und Kompetenzzentren). Fehlt eine Mitentscheidungsbefugnis in den genannten Bereichen, kann dies auch nicht durch den Einfluss des Senats auf Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans kompensiert werden. Schließlich gibt es Entscheidungen, bei denen die Übertragung auf ein Leitungsorgan ohne die Einräumung einer Mitentscheidungsbefugnis des Senats zwar zu einer strukturellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit führt (z.B. Entscheidung über den Wirtschaftsplan, Aufteilung der Sach-, Investitions- und Personalbudgets sowie Bereitstellung von Mitteln für zentrale Lehr- und Forschungsfonds), die durch die fehlenden Mitentscheidungsbefugnisse begründeten Einflussdefizite des Senats allerdings durch die Mitwirkung des Vertretungsorgans an der Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans kompensiert werden.

4. Für das saarländische Universitätsgesetz gilt: Das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge, das durch die Zuordnung der Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnisse an Universitätspräsidium und Senat nach dem vom saarländischen Gesetzgeber zugrunde gelegten Präsidialmodell zur Organisation der Hochschulleitung geschaffen wird, verstößt auch unter Berücksichtigung des weiten Spielraums, der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der Hochschulorganisation zukommt, gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die dem Universitätspräsidium zugewiesenen Entscheidungsbefugnisse werden weder durch Mitwirkungsrechte des Vertretungsorgans akademischer Selbstverwaltung selbst noch durch die Einräumung der Möglichkeit für das Vertretungsorgan, sich selbstbestimmt vom Universitätspräsidium zu trennen, hinreichend gegen die strukturelle Gefahr wissenschaftsinadäquater Entscheidungen gesichert. Mitwirkungsbefugnisse des Universitätsrates, dessen stimmberechtigte Mitglieder sämtlich Externe sind, vermögen das verfassungsrechtliche Defizit nicht auszugleichen. Die organisatorische Ausgestaltung der Universität des Saarlandes durch das Saarländische Universitätsgesetz bedarf daher dringend einer grundlegenden Reform.

Steuerrecht

Private Veräußerungsgeschäfte unter aufschiebender Bedingung oder „Zustimmungsvorbehalt“ RiBFH Dr. Harald Schießl A. Einleitung Private Veräußerungsgewinne sind grundsätzlich steuerfrei. Dies gilt auch für die Wertsteigerung bei Grundstücken und einem darauf befindlichen Gebäude, solange sich

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das Objekt im Privatvermögen befindet. Eine Ausnahme (Steuerpflicht) gilt allerdings dann, wenn es sich um ein privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG handelt.

JM 07 | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nunmehr mit Urteil v. 10.02.20151 für den Bereich der privaten Veräußerungsgeschäfte erstmals entschieden, dass der aufschiebend bedingte Verkauf eines bebauten Grundstücks innerhalb der gesetzlichen Haltefrist von zehn Jahren der Besteuerung unterliegt, auch wenn der Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung außerhalb dieser Frist liegt. Ein nach § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft sei bereits mit der Abgabe der rechtsgeschäftlichen Erklärungen für die Parteien bindend. Der Beitrag stellt die Entscheidung zunächst kurz vor (B.) und geht danach den in der Rechtspraxis auftretenden, in erheblichen Teilen ungeklärten ertragsteuerrechtlichen Folgefragen unter Berücksichtigung teleologischer und systematischer Gesichtspunkte und der Rechtsprechung des BFH anhand von Fallgruppen, z.B. • bei Zustimmungsvorbehalten, • ausstehenden Genehmigungen, • bindenden Verkaufsangeboten oder • lediglich mündlich erteilten Vollmachten, nach (C.). Entscheidend für die Berechnung der maßgeblichen 10Jahres-Frist sind Anschaffung und Veräußerung der Immobilie. Für „Spekulationsgeschäfte“ mit Grundstücken stand bereits bisher fest, dass es für die Berechnung der zehnjährigen Haltefrist auf den Zeitpunkt der schuldrechtlichen Verträge und nicht auf den Zeitpunkt des Übergangs des (wirtschaftlichen) Eigentums ankommt. Beispiel: A hat mit Kaufvertrag vom 17.05.2005 eine vermietete Eigentumswohnung erworben. Der Übergang von Nutzen und Lasten erfolgte zum 01.08.2005. Mit Kaufvertrag vom 27.05.2015 veräußerte er die Eigentumswohnung. Nutzen und Lasten an der Wohnung gingen zum 01.07.2015 über. Lösung: Es liegt kein steuerpflichtiges privates Veräußerungsgeschäft vor. Denn die Kaufverträge sind nicht innerhalb des Zehnjahreszeitraums von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG abgeschlossen worden. Dass der jeweilige Übergang von Nutzen und Lasten innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vollzogen worden ist, ist unerheblich.

Dem Urteil des BFH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte mit Kaufvertrag vom 03.03.1998 ein bebautes Grundstück – Betriebsanlage einer Eisenbahn – er-

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worben und veräußerte dieses mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 30.01.2008. Der Vertrag wurde unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen, dass die zuständige Behörde dieses Grundstück von Bahnbetriebszwecken freistellt. Eine solche Freistellung erteilte die Behörde am 10.12.2008. Streitig war, ob der Gewinn aus der Veräußerung des bebauten Grundstücks zu versteuern war, weil die Bedingung in Form der Entwidmung erst nach Ablauf der zehnjährigen Veräußerungsfrist eingetreten war. II. Berechnung des Zehnjahreszeitraums bei Eintritt einer aufschiebenden Bedingung nach Fristablauf Der BFH hat entschieden, dass ein zu versteuerndes privates Veräußerungsgeschäft vorliegt. 1. Private Veräußerungsgeschäfte Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2 EStG) sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden.2 Die Berechnung der 10-Jahres-Frist richtet sich nach den § 108 Abs. 1 und 2 AO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB. 2. Vertragsabschluss muss für beide Parteien bindend sein Entsprechend dem Normzweck, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen3, kann von einer Verwirklichung des Grundstückswerts nur gesprochen werden, wenn die Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind4. Zwar hat der BFH auch ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot als Veräußerung i.S.d. § 23 EStG gewertet. Dies geschah indes in Fällen, in denen mit dem Angebot der Verkauf durch den Übergang von Besitz, Gefahr sowie Nutzungen 1 2

B. Entscheidung des BFH I. Sachverhalt

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BFH, Urt. v. 10.02.2015 - IX R 23/13. Vgl. BFH, Urt. v. 15.12.1993 - X R 49/91 - BFHE 173, 144 = BStBl II 1994, 687; BFH, Urt. v. 08.04.2003 - IX R 1/01 - BFH/NV 2003, 1171; BFH, Urt. v. 08.04.2014 - IX R 18/13 - BFHE 245, 323 = BStBl II 2014, 826. Ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urt. v. 27.08.1997 - X R 26/95 - BFHE 184, 385 = BStBl II 1998, 135; BFH, Urt. v. 02.05.2000 - IX R 73/98 - BFHE 192, 435 = BStBl II 2000, 614. BFH, Urt. v. 02.10.2001 - IX R 45/99 - BFHE 196, 567 = BStBl II 2002, 10; BFH, Beschl. v. 18.09.2006 - IX B 154/05 - BFH/NV 2007, 31; Tiedtke/Wälzholz, Stbg 2002, 209, 211.

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und Lasten wirtschaftlich bereits vollzogen war.5 Ist aber bei Abgabe des Verkaufsangebots die Gefahr noch nicht übergegangen und hat der Verkäufer dem Käufer noch kein wirtschaftliches Eigentum verschafft, so müssen beide Vertragserklärungen innerhalb der Frist abgegeben werden. Der Vertragsabschluss muss innerhalb der Veräußerungsfrist für beide Parteien bindend sein. Dem entspricht der für das Steuerrecht im Vordergrund stehende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit (Gesetzmäßigkeit) der Besteuerung: Nur ein verwirklichter Tatbestand darf nach bestimmten Zeitabschnitten zugrunde gelegt werden.6 3. Aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft hat Bindungswirkung Bei einem unbedingten und nicht genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluss gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen von dem Eintritt einer Bedingung abhängen. Aus dem Wesen der Bedingung und dem Wortlaut des § 158 Abs. 1 BGB folgt, dass das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft tatbestandlich mit seiner Vornahme vollendet und voll gültig ist – die Parteien daher fortan bindet – und seine Wirksamkeit mit dem Bedingungsfall ipso iure eintritt, ohne dass die Willenseinigung der Parteien noch bis dahin Bestand haben müsste; nur die Rechtswirkungen des bedingten Rechtsgeschäfts befinden sich bis zum Bedingungseintritt in der Schwebe.7 Die Parteien eines bedingten Rechtsgeschäfts können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treupflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 f. BGB verpflichtet.8 Der außerhalb der Veräußerungsfrist liegende Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung hindert die Besteuerung nicht. Entscheidend für den Zeitpunkt der Veräußerung ist allein die beidseitige zivilrechtliche Bindungswirkung des Rechtsgeschäfts, das den einen Vertragspartner zur Übertragung des Eigentums auf den anderen verpflichtet, und nicht der Zeitpunkt des Bedingungseintritts. Ab Vertragsschluss besteht für keinen der Vertragspartner die Möglichkeit, sich einseitig von der Vereinbarung zu lösen. Das Ergebnis wurde im Fall noch durch den bereits unmittelbar nach Abgabe der Erklärungen gezahlten Kaufpreis bestätigt. Diese für die Praxis bedeutsame Entscheidung liegt auf einer Linie mit der zivilrechtlichen Rechtsprechung9 und der bisherigen Rechtsprechung des IX. Senats10. Die Bindungswirkung stellt ein praktikables Abgrenzungskriterium dar, welches auch vermeidet, dass langanhaltende Schwe-

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bezustände einer abschließenden steuerlichen Beurteilung entgegenstehen. C. Folgefragen Es stellt sich die Frage, inwieweit die Grundsätze der dargestellten Entscheidung auf andere Fallkonstellationen übertragen werden können. Unter Anwendung des vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsatzes, dass eine Verwirklichung des Grundstückswerts und damit eine Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gegeben ist, wenn die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind, könnten sich für die weiteren in der Praxis auftretenden, größtenteils noch ungeklärten Fälle folgende Leitlinien entwickeln. I. Verkauf unter aufschiebender Bedingung innerhalb der Veräußerungsfrist und späterer Bedingungsausfall Der BFH musste mangels Entscheidungserheblichkeit nicht auf die Frage eingehen, wie ein späterer Bedingungsausfall steuerrechtlich zu behandeln gewesen wäre. Ausgefallen ist eine Bedingung, wenn feststeht, dass sie nicht mehr eintreten kann. Der Ausfall der Bedingung beseitigt den Schwebezustand und das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft wird endgültig wirkungslos. Ein Grundstücksmehrwert wird bei Bedingungsausfall nicht realisiert. Hat das Finanzamt für den Veranlagungszeitraum des Vertragsschlusses einen Veräußerungsgewinn im Einkommensteuerbescheid zugrunde gelegt, liegt es nahe, den Bedingungsausfall steuerrechtlich als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen. Steht fest, dass die

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Vgl. BFH, Urt. v. 23.09.1966 - VI 147/65 - BFHE 87, 140 = BStBl III 1967, 73; BFH, Urt. v. 07.08.1970 - VI R 166/67 - BFHE 100, 93 = BStBl II 1970, 806; BFH, Urt. v. 19.10.1971 - VIII R 84/71 - BFHE 104, 513 = BStBl II 1972, 452. Ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschl. v. 05.03.1981 - IV R 150/ 76 - BFHE 132, 563 = BStBl II 1981, 435; BFH, Urt. v. 02.10.2001 - IX R 45/99 - BFHE 196, 567 = BStBl II 2002, 10. Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 21.09.1994 - VIII ZR 257/93 - BGHZ 127, 129; Ellenberger in: Palandt, BGB, 74. Aufl., Einführung vor § 158 Rn. 8 und § 158 Rn. 2; C. Armbrüster in: Erman, BGB, 14. Aufl., § 158 Rn. 3; Armgardt in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 158 BGB Rn. 45; Leenen, Festschrift Canaris, Band I, 699, 703. Vgl. BFH, Urt. v. 08.02.2000 - II R 51/98 - BFHE 191, 411 = BStBl II 2000, 318. Vgl. BGH, Urt. v. 21.09.1994 - VIII ZR 257/93 - BGHZ 127, 129. Vgl. BFH, Urt. v. 02.10.2001 - IX R 45/99 - BFHE 196, 567 = BStBl II 2002, 10; BFH, Beschl. v. 18.09.2006 - IX B 154/05 - BFH/NV 2007, 31; vgl. auch BFH, Urt. v. 08.02.2000 - II R 51/98 - BFHE 191, 411 = BStBl II 2000, 318.

JM 07 | Bedingung nicht eintritt (z.B. bestandskräftige Ablehnung des Freistellungsbescheids durch die zuständige Behörde), handelt es sich steuerrechtlich um ein nachträgliches Ereignis, das das Zustandekommen des Veräußerungsgeschäfts beeinflusst und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückzubeziehen ist. Von dem Verkauf unter aufschiebender Bedingung innerhalb der Veräußerungsfrist sind die Fälle des rechtlich bindenden Verkaufsangebots und des Handelns durch vollmachtlosen Vertreter innerhalb der Veräußerungsfrist mit der Genehmigung durch den Vertretenen nach Fristablauf zu unterscheiden. II. Vollmachtloser Vertreter und Genehmigung nach Ablauf der Spekulationsfrist Wirkt bei einem notariellen Kaufvertrag über ein Grundstück innerhalb der Spekulationsfrist auf der Käuferseite ein vollmachtloser Vertreter mit und genehmigt der Käufer das Rechtsgeschäft außerhalb der Spekulationsfrist, so ist das private Veräußerungsgeschäft nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 steuerbar. Anders als im Zivilrecht (vgl. § 184 Abs. 1 BGB) wirkt die Genehmigung steuerrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück. Die zivilrechtliche Rückwirkung nach § 184 Abs. 1 BGB ist für die Berechnung der Spekulationsfrist unbeachtlich.11 Der BFH hat bei einem wegen vollmachtloser Vertretung auf der Erwerberseite schwebend unwirksamen – genehmigungsbedürftigen – Rechtsgeschäft (vgl. §§ 177 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB) auf den Zeitpunkt der Genehmigung und nicht auf den Zeitpunkt der zivilrechtlich rückwirkenden Wirksamkeit des Vertragsabschlusses abgestellt. Anders als im oben dargestellten Bedingungsfall lagen im Fall des vollmachtlosen Vertreters keine bindenden Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Spekulationsfrist vor. Denn die erforderliche beidseitige schuldrechtliche Bindung ist bei einem Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht gerade nicht gegeben, da der Vertretene die Genehmigung jederzeit ablehnen kann. Beispiel: Der Steuerpflichtige erwarb am 05.06.2005 eine Eigentumswohnung für 100.000 €. Mit notariellem Vertrag vom 15.05.2015 veräußerte er die Wohnung für 200.000 € an einen Erwerber. Dieser erschien jedoch nicht persönlich zum Notartermin. Er wurde vollmachtslos durch einen Notariatsangestellten vertreten. Der Erwerber genehmigte den Vertrag mit notariell beurkundeter Erklärung am 18.06.2015, mithin nach Ablauf von zehn Jahren seit der Anschaffung durch den Steuerpflichtigen.

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III. Kaufvertragsschluss aufgrund mündlich erteilter Vollmacht Wirkt bei einem notariellen Kaufvertrag über ein Grundstück innerhalb der Spekulationsfrist auf der Käuferseite ein Vertreter mit „nur“ mündlich erteilter Vollmacht durch den Käufer mit, so sind die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden und das private Veräußerungsgeschäft ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar. Die Vertretung aufgrund mündlich erteilter Vollmacht darf nicht verwechselt werden mit dem bereits oben dargestellten Handeln eines vollmachtlosen Vertreters. Gemäß § 167 Abs. 2 BGB bedarf die Erteilung der Vollmacht nicht der Form, welche für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht.12 Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB). Da die Vollmachtserteilung formfrei wirksam ist, kann der Vertreter mit mündlich erteilter Vollmacht den Vertrag für den Vertretenen bindend abschließen. Die Grundbuchvorschrift des § 29 GBO, wonach die Vollmacht aus Nachweisgründen der notariellen Form bedarf, ändert aufgrund ihres rein formellen Charakters nicht das Ergebnis. Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts wird von § 29 GBO nicht tangiert. IV. Rechtlich bindendes Verkaufsangebot als Veräußerung i.S.d. § 23 EStG Liegt nur ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot innerhalb der Haltefrist vor, kann darin lediglich unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen (besondere Umstände) auch eine Veräußerung i.S.d. § 23 EStG gesehen werden. Dies ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn bereits durch das Angebot rechtlich und tatsächlich eine Situation geschaffen wird, wie sie auch aufgrund eines Verkaufsvertrages gegeben ist. Es muss daher bereits mit dem Angebot der Verkauf durch die Eintragung einer Auflassungsvormerkung und Nebenvereinbarungen wie z.B. den Abschluss eines Miet- oder Erbvertrages, eine Darlehensgewährung in Höhe des späteren Kaufpreises und die Erteilung einer Belastungsvollmacht und damit durch den Übergang von Besitz, Gefahr sowie Nutzungen und Lasten

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BFH, Urt. v. 02.10.2001 - IX R 45/99 - BFHE 196, 567= BStBl II 2002, 10. Zu Ausnahmen vom Grundsatz der Formfreiheit siehe Schramm in: MünchKomm BGB, § 167 BGB Rn. 16-35.

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vollzogen sein.13 Demgegenüber kann beispielsweise in der Verpachtung eines Grundstücks, verbunden mit der Einräumung eines zeitlich befristeten Vorkaufsrechts an diesem Grundstück, sowie in der zur Sicherung dieses Rechts eingetragenen Auflassungsvormerkung keine so starke Bindung gesehen werden, dass dies als Veräußerung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG eingestuft werden kann.14 Ist bei Abgabe des Verkaufsangebots allerdings die Gefahr noch nicht übergegangen und hat der Verkäufer dem Käufer noch kein wirtschaftliches Eigentum verschafft, ist es für die Annahme eines Spekulationsgeschäfts erforderlich, dass beide Vertragserklärungen innerhalb der gesetzlichen Frist bindend abgegeben worden sind. V. Vormundschafts- oder familiengerichtliche Genehmigung (§ 1829 BGB) Schließt der Vormund einen Vertrag ohne die erforderliche Genehmigung des Familiengerichts, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der nachträglichen Genehmigung des Familiengerichts ab (§ 1829 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der ohne Genehmigung abgeschlossene Vertrag ist schwebend unwirksam. Nur der Dritte, nicht auch der Mündel (außer im Fall des § 1830 BGB), ist während der Schwebezeit bereits an den Vertrag gebunden.15 Da das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft während der Schwebezeit keine Bindung erzeugt, ist bis zur wirksamen Erteilung der Genehmigung eine Veräußerung nicht verwirklicht.16 An der Bindungswirkung fehlt es, wenn ein Veräußerungsvorgang der vormundschafts- oder familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1829 BGB bedarf. Die Genehmigung – und damit steuerrechtlich ein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 23 EStG – wird erst wirksam, wenn sie dem anderen Vertragsteil durch den Vormund mitgeteilt wird (§ 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB). Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass zivilrechtlich die Rechtsfolgen der Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirken. Ein Veräußerungsvorgang, der der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, ist auch dann nicht vor deren Erteilung verwirklicht, wenn die Vertragsbeteiligten den beurkundenden Notar beauftragen und ermächtigen, die Genehmigung für den Vormund (gesetzlichen Vertreter eines Mündels) entgegenzunehmen und den anderen Vertragsbeteiligten mitzuteilen sowie zugleich diese Mitteilung für die anderen Vertragsbeteiligten zu empfangen (sog. Doppelermächtigung17).

veräußert, das nahezu sein gesamtes Vermögen ausmacht, kann eine Genehmigung gemäß § 1365 BGB notwendig sein. Gemäß § 1365 Abs. 1 Satz 1 BGB kann sich ein Ehegatte nur mit Einwilligung des anderen Ehegatten verpflichten, über sein Vermögen im Ganzen zu verfügen. Ein Vertrag, den ein Ehegatte ohne die erforderliche Einwilligung des anderen Ehegatten schließt, ist wirksam, wenn dieser ihn genehmigt (§ 1366 Abs. 1 BGB). Bis zur Genehmigung kann der Dritte den Vertrag widerrufen (§ 1366 Abs. 2 Satz 1 BGB). Hat er gewusst, dass der Mann oder die Frau verheiratet ist, so kann er nur widerrufen, wenn der Mann oder die Frau wahrheitswidrig behauptet hat, der andere Ehegatte habe eingewilligt; er kann auch in diesem Falle nicht widerrufen, wenn ihm beim Abschluss des Vertrags bekannt war, dass der andere Ehegatte nicht eingewilligt hatte (§ 1366 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dementsprechend ist in dieser Fallgestaltung die Bindungswirkung abhängig vom Kenntnisstand zu beurteilen. Verträge, die der erforderlichen Einwilligung des Ehegatten ermangeln, sind zunächst schwebend unwirksam.18 Der Vertragspartner ist zum Widerruf berechtigt und damit nicht gebunden, wenn er auf die Wirksamkeit des Vertrages vertraut hat, weil ihm beim Vertragsschluss nicht positiv bekannt war, dass sein Vertragspartner verheiratet ist. Hat er dagegen gewusst, dass sein Vertragspartner verheiratet ist, besteht die Bindungswirkung zwischen den Vertragsbeteiligten, es sei denn, der gebundene Ehegatte hat wahrheitswidrig behauptet, der andere Ehegatte habe eingewilligt, und der Vertragspartner hatte keine Kenntnis von der Unrichtigkeit. VII. Genehmigungen nach dem GrStVG, nach dem BauGB (§§ 144, 145, 51) und nach dem GVO sowie Zustimmungen nach § 12 Abs. 3 WEG und § 5 Abs. 1 ErbbauRG 1. Genehmigungsbedürftigkeit durch Verwaltungsbehörde In zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen im Bau- und Grundstücksverkehrsrecht (z.B. § 2 GrdstVG) wird die zivil-

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VI. Zustimmung nach den §§ 1365, 1366 BGB 17

Bei Grundstücksgeschäften eines Ehegatten, der im gesetzlichen Güterstand verheiratet ist und ein Grundstück

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Vgl. BFH, Urt. v. 23.09.1966 - VI 147/65 - BFHE 87, 140 = BStBl III 1967, 73; BFH, Urt. v. 07.08.1970 - VI R 166/67 - BFHE 100, 93 = BStBl II 1970, 806. Vgl. BFH, Urt. v. 19.10.1971 - VIII R 84/71 - BFHE 104, 513 = BStBl II 1972, 452. Vgl. Bettin in: Bamberger/Roth, BeckOK, § 1829 BGB Rn. 3. Vgl. BFH, Urt. v. 18.05.1999 - II R 16/98 - BFHE 188, 453 = BStBl II 1999, 606; BFH, Urt. v. 08.02.2000 - II R 51/98 - BFHE 191, 411 = BStBl II 2000, 318. Vgl. BFH, Urt. v. 08.02.2000 - II R 51/98 - BFHE 191, 411 = BStBl II 2000, 318. Koch in: MünchKomm BGB, § 1366 BGB Rn. 2.

JM 07 | rechtliche Wirksamkeit eines unter Privaten abgeschlossenen Rechtsgeschäfts von der Genehmigung einer Verwaltungsbehörde abhängig gemacht. Beispiele: • Im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Gemeinde u.a. die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines Grundstücks und die Bestellung und Veräußerung eines Erbbaurechts (vgl. §§ 144, 145 BauGB). • Von der Bekanntmachung des Umlegungsbeschlusses bis zur Bekanntmachung nach § 71 BauGB dürfen im Umlegungsgebiet nur mit schriftlicher Genehmigung der Umlegungsstelle ein Grundstück geteilt oder Verfügungen über ein Grundstück und über Rechte an einem Grundstück getroffen oder Vereinbarungen abgeschlossen werden, durch die einem anderen ein Recht zum Erwerb, zur Nutzung oder Bebauung eines Grundstücks oder Grundstücksteils eingeräumt wird oder Baulasten neu begründet, geändert oder aufgehoben werden (vgl. § 51 BauGB). • Die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines landwirtschaftlich nutzbaren Grund und Bodens und der schuldrechtliche Vertrag hierüber bedürfen der Genehmigung (vgl. § 2 Abs. 1 GrdstVG). Die Genehmigungsbedürftigkeit hat nur die schwebende Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge.19 Endgültig unwirksam wird es erst mit der rechtsbeständigen Verweigerung der Genehmigung. Die Vertragsteile sind trotz der schwebenden Unwirksamkeit mit der Abgabe der Willenserklärungen gebunden; bis zur Entscheidung über die Genehmigung kann sich grundsätzlich kein Vertragsteil einseitig vom Rechtsgeschäft lösen.20 Daher liegt auch in den Fällen, in denen eine Genehmigung nach §§ 144, 145, 51 BauGB, GrStVG, GVO erforderlich ist, bereits ab Vertragsschluss eine Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vor, wenn die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind. 2. Zustimmungsbedürftigkeit durch den Wohnungseigentumsverwalter oder den Grundstückseigentümer Auch der Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung ist schwebend unwirksam, solange es an der gemäß § 12 Abs. 1 WEG vorausgesetzten Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft bzw. des Wohnungseigentumsverwalters fehlt (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 WEG21). Die Vertragsbeteiligten sind in diesem Fall gleichwohl zivilrechtlich gebunden; für keinen der Vertragspartner besteht die Möglichkeit, sich einseitig von der Vereinbarung zu lösen. Die Zustimmung darf zudem nur aus einem wichtigen Grund versagt werden.22 Liegt kein wichtiger Grund vor,

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ist eine Verwirklichung des Grundstückswerts und damit eine Veräußerung i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG – auch im Fall noch ausstehender Zustimmung – bereits ab Vertragsschluss gegeben. Vergleichbare Überlegungen gelten auch für die Zustimmung des Grundstückseigentümers bei Veräußerung eines Erbbaurechts (vgl. § 5 Abs. 1 ErbbauRG). D. Zusammenfassung Die dargestellte Rechtsprechung des BFH verdeutlicht, dass eine steuerpflichtige Veräußerung auch dann innerhalb des Zehnjahreszeitraums von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfolgt sein kann, wenn die Bedingung erst nach dem Fristablauf eintritt. Eine einseitige Bindung einer Vertragspartei, z.B. durch Einräumung eines Vorkaufsrechts, führt grundsätzlich noch nicht zum Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages im oben genannten Sinne. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Abgabe eines bindenden Angebots als Veräußerung im Sinne von § 23 Abs. 1 EStG anzusehen sein. In der Praxis ist in jedem Fall besondere Sorgfalt bei der Berechnung der maßgeblichen Frist geboten. Bis zu einer Klärung der jeweiligen Fallkonstellation durch den BFH sollte zur Erreichung von Rechtssicherheit eine verbindliche Auskunft von der zuständigen Finanzbehörde eingeholt oder von einem Vertragsabschluss innerhalb des Zehnjahreszeitraums Abstand genommen werden. 19

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Bassenge in: Palandt, BGB, Überblick Rn. 23 vor § 873; vgl. auch RG, Urt. v. 23.02.1924 - V 400/23 - RGZ 108, 91, 94; BGH, Urt. v. 13.07.1951 - III ZR 22/50; BGH, Urt. v. 06.10.1978 - V ZR 211/77. BGH, Urt. v. 15.10.1992 - IX ZR 43/92. Z.B. OLG Köln, Urt. v. 15.03.1996 - 19 U 139/95. Vgl. OLG Köln, Urt. v. 15.03.1996 - 19 U 139/95.

Geltendmachung von Verlustvorträgen für Kosten einer Erstausbildung – Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids BFH, Urt. v. 13.01.2015 - IX R 22/14 RiBFH Dr. Nils Trossen A. Problemstellung Seit Jahren wird im Steuerrecht diskutiert, ob die Kosten einer Erstausbildung als Werbungskosten steuerlich abziehbar sind oder ob dies von den Regelungen der §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 EStG ausgeschlossen und der betroffene Steuerpflichtige auf den – mangels Vorliegen von den Grundfreibetrag übersteigenden steuerbaren Einkünften regelmäßig ins Leere laufenden – Sonderausgabenabzug

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nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG verwiesen wird.1 Von dieser Diskussion ist praktisch jeder in Berufsausbildung oder im Erststudium befindliche Steuerpflichtige betroffen. Denn wer die Kosten seiner Erstausbildung steuerlich geltend machen kann, muss ggf. auf das Gehalt der ersten Berufsjahre deutlich weniger Einkommensteuer zahlen. Geht der Steuerpflichtige nach Schulabschluss direkt in die Berufsausbildung oder an die Universität und erzielt nebenher keine oder nur geringe Einkünfte (z.B. durch die Ausbildungsvergütung oder den Studentenjob), profitiert er vom Sonderausgabenabzug nicht, da dieser sich nur dann steuerlich auswirkt, wenn positive zu versteuernde Einkünfte oberhalb des Grundfreibetrags vorliegen. Anders ist dies, wenn die Aufwendungen als Werbungskosten berücksichtigt werden und damit Inhalt einer Verlustfeststellung werden können. Die Verluste werden verrechnet, sobald nach Ende der Ausbildung steuerbare Einkünfte erzielt werden. Erhebliche Ausbildungskosten haben aber nicht nur Absolventen kostenpflichtiger Ausbildungsgänge wie Piloten oder Physiotherapeuten oder Studierende an privaten Hochschulen. Auch Studenten staatlicher Hochschulen und Berufsakademien zahlen – u.a. auch beim Auslandsstudium – nicht unerhebliche Studien- und Semestergebühren und haben Aufwendungen für Arbeitsmittel, Fahrt- und Unterkunftskosten sowie Verpflegungsmehraufwendungen. Auch Kosten für ein Repetitorium oder einen Klausurenkurs zur Vorbereitung auf die erste juristische Staatsprüfung fallen darunter. Auf dieser Grundlage beantragen zahlreiche Steuerpflichtige rückwirkend für noch nicht verjährte Jahre entsprechende Verlustfeststellungen nach § 10d Abs. 4 EStG, um die Kosten ihrer Berufsausbildung oder ihres Erststudiums nutzen zu können. Dies geschieht, indem betroffene Steuerpflichtige für jedes Jahr ihrer Ausbildung, das noch nicht nach den Regeln der steuerlichen Feststellungsverjährung verjährt ist – wenn sie in der Vergangenheit keine Steuererklärung abgegeben haben –, nunmehr eine Steuererklärung abgeben, in der „Anlage N“ ihre Studienkosten als Werbungskosten angeben und gleichzeitig über das Ankreuzkästchen auf dem Mantelbogen eine Verlustfeststellung beantragen. Wurde in der Vergangenheit bereits eine Steuererklärung ohne Berücksichtigung der Ausbildungskosten abgegeben, wird meist isoliert eine „Anlage N“ abgegeben und gleichzeitig die Durchführung einer Verlustfeststellung beantragt. Diese Anträge auf Verlustfeststellung werden von der Finanzverwaltung durchgängig abgelehnt, wenn für das Verlustjahr bereits bestandskräftige Einkommensteuerbescheide vorliegen, in denen die Aufwendungen nicht berücksichtigt worden sind. Diese Auffassung stützt die Finanzverwaltung auf ihre Interpretation von § 10d Abs. 4

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Sätze 4 und 5 EStG. Danach entfaltet das Vorliegen eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides, in dem die streitigen Aufwendungen angesetzt worden sind, Bindungswirkung für das Verlustfeststellungsverfahren. Aber auch dann, wenn kein Einkommensteuerbescheid vorliegt (z.B. weil vorher keine Einkommensteuererklärung abgegeben worden war) und ein solcher wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung auch nicht mehr ergehen kann, soll das „Nichtvorhandensein“ des Bescheids Wirkung für das Verlustfeststellungsverfahren dahingehend bewirken, dass ein Verlustfeststellungsbescheid nicht mehr ergehen können soll. Über eine solche Fallkonstellation, in der für abgelaufene Feststellungszeiträume durch Abgabe von Steuererklärungen mit entsprechenden Anlagen N Verlustfeststellungen beantragt worden waren, hatte der BFH nunmehr zu entscheiden. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Die Steuerpflichtige hatte in den Jahren 2005 bis 2007 ein Erststudium absolviert. Nachdem der BFH seine Rechtsprechung zur steuerlichen Berücksichtigung von Kosten einer Erstausbildung veröffentlicht hatte,2 beantragte die Steuerpflichtige im Juli 2012 die Durchführung einer entsprechenden Feststellung des vortragsfähigen Verlusts für die streitigen Jahre 2005 bis 2007. Dies lehnte das zuständige Finanzamt ab, da kein Einkommensteuerbescheid vorliege, in dem die Aufwendungen angesetzt worden seien, und ein Einkommensteuerbescheid aufgrund des zwischenzeitlichen Eintritts der Festsetzungsverjährung auch nicht mehr ergehen könne. Die Steuerpflichtige legte zunächst Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren berief sie sich auf beim BFH unter den Az. VI 2/12 und VI R 8/12 anhängige Revisionsverfahren, in denen um die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Abzugsverbots für die Kosten einer beruflichen Erstausbildung oder eines Erststudiums gestritten wurde, und beantragte das Ruhen des Verfahrens. Das Finanzamt lehnte jedoch ein Ruhen des Verfahrens ab und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der dagegen erhobenen Klage hat das Finanzgericht mit Urteil vom 07.05.20143 stattgegeben. Das Finanzgericht hob isoliert die Einspruchsentscheidung auf und ermöglichte der Steuerpflichtigen damit, sich über ein Ruhen des Verfahrens an die beiden beim BFH anhängigen Revisionsverfahren anzuhängen. 1

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Zur Diskussion vgl. u.a. Geserich, NWB 2014, 681, m.w.N.; Trossen, FR 2015, 40. Vgl. BFH, Urt. v. 28.07.2011 - VI R 38/10 - BFHE 234, 279 = BStBl II 2012, 561 und BFH, Urt. v. 28.07.2011 - VI R 5/10 - BFHE 234, 262 = BStBl II 2012, 553. FG Düsseldorf, Urt. v. 07.05.2014 - 15 K 14/14 E, F.

JM 07 | Während des anschließend vom Finanzamt gegen die stattgebende Entscheidung eingeleiteten Revisionsverfahrens legte der VI. Senat des BFH u.a. unter den Az. VI R 2/12 und VI R 8/12 dem BVerfG die Frage vor, ob § 9 Abs. 6 EStG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium außerhalb eines Dienstverhältnisses vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind. Die insgesamt sechs Vorlageverfahren sind unter den Az. 2 BvL 22-27/14 anhängig. II. Der BFH hat die Entscheidung des Finanzgerichts – Aufhebung der Einspruchsentscheidung und damit wieder Möglichkeit zum Ruhen im Einspruchsverfahren – bestätigt. Ein verbleibender Verlustvortrag ist auch dann erstmals nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn ein Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr erlassen werden kann. Denn die durch § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG angeordnete Bindungswirkung, wonach bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen sind, wie sie der Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, zugrunde gelegt worden sind, besteht nicht, wenn keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist. Mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG wird eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. Die Besteuerungsgrundlagen sind im Feststellungsverfahren so zu berücksichtigen, wie sie der letzten bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung zu Grunde liegen. Die Verlustfeststellung ist daher nicht mehr möglich, wenn der Einkommensteuerbescheid des betroffenen Veranlagungszeitraums nicht mehr änderbar ist. Die Bindungswirkung greift aber nach dem Wortlaut des Gesetzes nur ein, wenn die streitigen Besteuerungsgrundlagen „den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums (…) zu Grunde gelegt worden sind“. Die Bindungswirkung setzt daher voraus, dass eine Einkommensteuerveranlagung (ggf. mit einer festzusetzenden Steuer von 0 €) durchgeführt worden ist. Wurde für das Verlustentstehungsjahr hingegen keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt oder wurde die durchgeführte Veranlagung wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung wieder aufgehoben, werden keine Besteuerungsgrundlagen einer Einkommensteuerveranlagung zu Grunde gelegt, mithin kann daher auch keine Bindungswirkung entstehen, so dass der Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids weiterhin möglich ist.

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C. Kontext der Entscheidung I. Die Entscheidung steht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen, in denen der BFH über die Möglichkeit einer Verlustfeststellung für vergangene Jahre entschieden hat.4 Mit der nunmehrigen Entscheidung ermöglicht der BFH Steuerpflichtigen, die bislang die Kosten ihrer beruflichen Erstausbildung noch nicht über einen Antrag auf Verlustfeststellung geltend gemacht haben, im Hinblick auf die anhängigen Normenkontrollverfahren unter den Az. 2 BvL 22-27/14 rückwirkend eine Verlustfeststellung für die Jahre zu beantragen, • in denen für die Verlustfeststellung die Feststellungsverjährung noch nicht eingetreten ist und • in denen keine bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen vorliegen (z.B. weil für die betroffenen Jahre in der Vergangenheit keine Steuererklärungen abgegeben wurden). II. Von dieser Fallgestaltung sind vor allem die Steuerpflichtigen betroffen, die in den betroffenen Jahren nicht den Regelungen zur Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1-7 EStG unterfallen waren. Insbesondere die „klassischen“ Studentinnen und Studenten, die über mehrere Veranlagungszeiträume nur vorweggenommene Werbungskosten/Betriebsausgaben für die spätere Tätigkeit geltend machen können und daneben keine weiteren Einkünfte erzielt haben, unterfallen den Regelungen für die Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Bei diesen fallen die Verjährungsfristen für die Einkommensteuerfestsetzung (vier Jahre ohne Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und die Verjährungsfristen für die Verlustfeststellung (vier Jahre zuzüglich drei Jahre Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) auseinander. Die Feststellungsfrist für die Verlustfeststellung endet bei diesen Steuerpflichtigen grundsätzlich drei Jahre nach der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerfestsetzung. Wurden hingegen in der Vergangenheit Einkommensteuererklärungen abgegeben (z.B. aufgrund einer studentischen Nebentätigkeit im Hochschulbereich) und liegt ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid für die Jahre der Erstausbildung vor, entfaltet dieser nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG Bindungswirkung. Eine Verlustfeststellung kann in diesem Fall nur erfolgen, wenn die streitigen Auf-

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Vgl. u.a. BFH, Urt. v. 15.05.2013 - IX R 5/11 - BFHE 241, 310 = BStBl II 2014, 143; BFH, Urt. v. 08.04.2014 - IX R 32/13 - BFH/NV 2014, 1206, vgl. dazu Jachmann, juris-PR 42/2014 Anm. 3, und BFH, Urt. v. 10.02.2015 - IX R 6/14; zu den verfahrensrechtlichen Folgen des Verhältnisses des Einkommensteuer- zum Verlustfeststellungsbescheid vgl. die Darstellung von Sikorski, Neue Wirtschafts-Briefe 2011, 2191.

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wendungen in diesem Bescheid angesetzt worden sind oder zumindest dieser Bescheid ebenfalls mit dem Einspruch angefochten worden ist.5 Eine Ausnahme ergibt sich nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG nur, wenn der Einkommensteuerbescheid ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht mehr geändert werden kann. D. Auswirkungen für die Praxis Ob der Mandant letztlich damit durchdringt und die Kosten seiner Erstausbildung nachträglich steuerlich nutzen kann, bleibt allerdings noch aus zwei Gründen offen, auf die der Mandant auch hinzuweisen ist: I. Zunächst bleibt abzuwarten, ob das BVerfG in den Verfahren 2 BvL 22-27/14 die Regelungen zum Abzugsverbot der Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung in den §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 EStG für verfassungswidrig erklärt. Ob dies eintritt, ist noch völlig offen6, zumal auch in der Rechtsprechung zur Frage der Verfassungswidrigkeit abweichende Auffassungen vertreten werden7. Die Verlustfeststellung kann aber letztlich nur dann erfolgen, wenn der Geltendmachung der Aufwendungen das Abzugsverbot aufgrund seiner feststehenden Verfassungswidrigkeit nicht mehr entgegensteht. II. Darüber hinaus beabsichtigt der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (ProtUmsG-ZollkodexAnpG), die Vorschrift des § 10d Abs. 4 EStG dahingehend zu ändern, dass ein Verlustfeststellungsbescheid, für den noch keine Feststellungsverjährung eingetreten ist, nicht mehr ergehen kann, wenn für das Verlustentstehungsjahr kein Einkommensteuerbescheid existiert und auch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung kein Einkommensteuerbescheid mehr erlassen werden kann.8 Damit wird die von der Finanzverwaltung zu § 10d Abs. 4 EStG vertretene Rechtsauffassung im Gesetz geregelt, so dass dann den oben erwähnten Anträgen auf Verlustfeststellung für Jahre, in denen keine Einkommensteuerfestsetzung vorliegt und wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung auch nicht mehr möglich ist, die Grundlage entzogen wird.

für ein Erststudium beschränkt als Sonderausgaben bis zu einer maximalen Höhe von 6.000 € abziehbar (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Wie bereits oben erwähnt, geht der Sonderausgabenabzug aber bei der überwiegenden Zahl der Studierenden oder in Berufsausbildung befindlichen Kinder ins Leere, weil entweder keine steuerbaren Einkünfte erzielt werden oder diese den Grundfreibetrag nicht übersteigen. Eltern studierender Kinder greifen bereits seit einiger Zeit zu einer Gestaltung, mit der in diesem Fall das Abzugsverbot der §§ 4 Abs. 9 und 9 Abs. 6 EStG umgangen werden kann. Sofern die Eltern über die vermietete (Wohn- oder Gewerbe-)Immobilie verfügen, aus der sie Vermietungsüberschüsse erzielen, räumen sie ihren Kindern – beschränkt auf die Zeit der Ausbildung – einen zeitlich befristeten Zuwendungsnießbrauch an der Immobilie ein. Den Kindern fließen in diesem Fall die Überschüsse aus der Immobilie zu. Im Gegenzug können sie aber den Sonderausgabenabzug von bis zu 6.000 € für die Ausbildungskosten geltend machen und auch ihren Grundfreibetrag sowie ihren – gegenüber den Eltern meist deutlich – niedrigeren Steuersatz nutzen.10 Eine ähnliche – allerdings nicht so gut planbare – Wirkung dürfte auch mit Hilfe der Übertragung von Wertpapierbesitz (z.B. aus einem Aktiendepot) im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zu erreichen sein. Übertragen Eltern auf Kinder z.B. Aktien, aus denen (durchschnittlich) jährliche Dividendenerträge i.H.v. ca. 14.000 € erzielt werden, und wählen die Kinder im Rahmen der Abgeltungssteuer die Veranlagungsoption nach § 32d Abs. 6 EStG, dürften sich die Ausbildungskosten ebenfalls steuerlich auswirken. Denn für die Berechnung des individuellen Steuersatzes i.S.d. § 32d Abs. 6 EStG sind der Grundfreibetrag (2015 voraussichtlich 8.472 €) und die Ausbildungskosten (max. 6.000 €) in Abzug zu bringen, sodass der individuelle Steuersatz sich auf 0% belaufen dürfte. Bei dieser Variante sind allerdings die schenkungsteuerlichen Freibeträge sowie die Tatsache zu beachten, dass das begünstige Kind dauerhaft Eigentümer der Wertpapiere wird, diese also z.B. auch veräußern oder belasten kann.

E. Beratungsempfehlungen für die Praxis Letztlich ergibt sich aber bei vorausschauender Beratung nach wie vor noch ein „Schlupfloch“, das es ermöglicht, das Abzugsverbot der §§ 4 Abs. 9 und 9 Abs. 6 EStG zu umgehen und damit auch die Kosten einer Erstausbildung für den Fall geltend machen zu können, in dem das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen bestätigt.9 Nach den gegenwärtig geltenden Regelungen sind die Kosten

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5 6 7 8 9

10

Vgl. BFH, Urt. v. 10.02.2015 - IX R 6/14. Vgl. Trossen, FR 2015, 40. Vgl. u.a. BFH, Urt. v. 05.11.2013 - VIII R 22/12. Vgl. BR-Drs. 121/1/15, S. 15 f. Vgl. dazu zutreffend den Beitrag von Herold, NWB ExpertenBlog, Beitrag v. 30.04.2015. Vgl. Herold, NWB ExpertenBlog, Beitrag v. 30.04.2015.

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DIE AUTOREN

Dirk Seichter

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Michael Drasdo Vorsitzender Richter am Landgericht

1997 Eintritt in den höheren Justizdienst, 2000–2002 Abordnung an das Staatsministerium BadenWürttemberg, 2002–2005 Abordnung an das Bundesjustizministerium. Von 2005-2008 war Herr Seichter wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesgerichtshof, 2008-2011 Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. Danach wechselte er zum Landgericht Stuttgart. Seit 2012 ist er Vorsitzender der 27. Zivilkammer am Landgericht Stuttgart (Spezialkammer für Ansprüche aus Berufstätigkeit von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, seit Anfang 2014 auch für Ansprüche aus Insolvenzanfechtung).

Rechtsanwalt und für Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Studium der Rechtswissenschaften in Köln. Erstes Staatsexamen 1983, daneben Studium der Betriebswissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf. Zweites juristisches Staatsexamen 1987 in Düsseldorf, seitdem Rechtsanwalt in Neuss. Er ist Verfasser und (Mit-)Herausgeber zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen sowie Autor eines Kommentars zur Makler- und Bauträgerverordnung und zum Teilzeit-Wohnrechtsgesetz. Daneben besteht eine Mitarbeit in unterschiedlichen wohnungswirtschaftlichen Kommentaren und Handbüchern.

Dieter Büte Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht

Karin Columbus Richterin am Landgericht Studium in Tübingen von 1980 bis 1986. Anschließend Referendarsdienst in Heilbronn mit Wahlstationen bei der Deutsch-Niederländischen Handelskammer in Den Haag und dem Finanzgericht Stuttgart. Von 1989 bis 1990 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Ab 1990 war Frau Columbus anfangs beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt und ab 1991 beim Landgericht Stuttgart Zivilrichterin. Nach der Abordnung an das Oberlandesgericht Stuttgart (9. Zivilsenat/Bankrecht) ist sie seit Juli 2003 Mitglied der 27. Zivilkammer (Spezialkammer für Ansprüche aus Berufstätigkeit von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, seit Anfang 2014 auch für Ansprüche aus Insolvenzanfechtung).

Dr. Thomas Mehring Richter am Landgericht Dr. Thomas Mehring ist Richter am Landgericht Stuttgart. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesgerichtshof und Projektbeauftragter am Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg.

Studium der Rechtswissenschaft und sechs Semester BWL in Göttingen. Richter am Landgericht Bückeburg ab 1980, Richter am OLG Celle seit 1988, Vorsitzender Richter am OLG Celle – Familiensenat – seit 9/2002. Umfangreiche Referententätigkeit in der Anwalts- und Richterfortbildung. Zahlreiche Zeitschriftenbeiträge, Autor mehrerer Fachbücher zum Familienrecht, Mitherausgeber der Zeitschrift „Familie und Recht”.

Professor Dr. Dres. h.c. Peter Hanau Em. Professor an der Universität zu Köln Promotion 1963 und Habilitation 1968 bei Prof. Dr. Gamillscheg. 1968 bis 1971 Professor für Privatrecht an der Freien Universität Berlin. Seit 1971 Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Universität zu Köln. 1986 bis 1992 Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages. 1986 bis 1989 Rektor der Universität zu Köln. 1990-1999 Präsident des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, seitdem Ehrenpräsident. 2000 Emeritierung; Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit im Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht. Arbeitsgebiete: alle Bereiche des Arbeitsrechts; Schnittstellen von Arbeits- und Sozialrecht; Reform des Arbeitsmarkts; betriebliche Altersversorgung und Arbeitszeitkonten.

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Die Monatszeitschrift

Prof. Dr. Rudolf Wendt Em. Professor an der Universität des Saarlandes Universitätsprofessor Dr. jur. Rudolf Wendt war bis vor kurzem Inhaber des Lehrstuhls für Staatsund Verwaltungsrecht, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerrecht an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in München und Köln wurde er an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln promoviert und habilitiert. Er war zunächst als Professor für Öffentliches Recht an der Universität Trier tätig, seit dem Jahre 1988 lehrt er an der Universität des Saarlandes. Er ist Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das Staatsrecht, Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht, Steuerrecht und Öffentliche Wirtschaftsrecht.

Prof. Dr. Stephan Weth Professor an der Universität des Saarlandes Promotion 1987 und Habilitation 1993 in Köln bei Prof. Dr. Hans Prütting. Lehrbefugnis für die Fächer Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Arbeitsrecht. Seit April 1995 Professor an der Universität des Saarlandes. Prof. Weth hat den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Prozess- und Arbeitsrecht sowie Bürgerliches Recht inne und ist Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht. Er war von 1982-1994 als Rechtsanwalt tätig, von 2007 bis 2010 Richter am Saarländischen Oberlandesgericht und ist seit Februar 2008 Richter am Verfassungsgerichtshof des Saarlandes. Prof. Weth ist Mitglied des Verbandsausschusses des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, Mitbegründer und stellvertretender Vorsitzender des Instituts für Anwaltsrecht Saarbrücken e.V., Leiter der Forschungsstelle Rechtsberatung und Rechtsgestaltung, Mitdirektor des Instituts für Rechtsinformatik und der Forschungsstelle Arztrecht.

Dr. Harald Schießl Richter am Bundesfinanzhof Dr. Harald Schießl ist Richter am Bundesfinanzhof. Zuvor war Herr Dr. Schießl u.a. Referent im Bundesministerium der Finanzen sowie in der Steuerabteilung des Finanzministeriums Baden-Württemberg tätig.

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IMPRESSUM Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Richterin am BFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: Rechtsanwalt Dennis Reschke, stellvertretend RAin Helene Sobotta Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung online oder offline ohne zusätzliche Vergütung. Urheber- und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Neustädter Str. 1-4, 99947 Bad Langensalza Druck: L.N. Schaffrath GmbH & Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

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