Die Monatszeitschrift - Juris

03.03.2015 - Braun, Medienberichterstattung über Strafverfahren im deutschen und englischen ..... Band 2.2: Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Uni-.
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

03 Die Monatszeitschrift

MÄRZ

2015

Topthema:

In dieser Ausgabe:

Court-TV? – Zum Stand der Diskussion um § 169 Satz 2 GVG

Widerrufsbelehrungs- und Informationspflicht der Reiseveranstalter, Beförderer, Hoteliers sowie Vermieter von Ferienhäusern und Pkws bei Fernabsatzverträgen

RA Prof. Dr. Guido Britz

Prof. Dr. Ansgar Staudinger

Es lebe der kleine Unterschied – Zur Renaissance der tariflichen Differenzierungsklausel VPräsLAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb

Die Folgen der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft beim privaten Anteilsinhaber im Steuerrecht NotAss Dr. Philipp Aigner

Die

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Expertengremium:

Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

INHALT

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MÄRZ

2015

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Zivil- und Wirtschaftsrecht

Arbeitsrecht

Sozialrecht

Widerrufsbelehrungs- und Informationspflicht der Reiseveranstalter, Beförderer, Hoteliers sowie Vermieter von Ferienhäusern und Pkws bei Fernabsatzverträgen Prof. Dr. Ansgar Staudinger

S. 90

Unternehmerische Gesellschaftsbeteiligungen als Gegenstand der Testamentsvollstreckung BGH, Urt. v. 13.05.2014 - II ZR 250/12 PD Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur.

S. 99

Pflicht der Wohnungseigentümer zur sofortigen Vornahme einer zwingend erforderlichen Instandsetzung BGH, Urt. v. 17.10.2014 - V ZR 9/14 RiLG Dr. Christoph Lafontaine

S. 102

Es lebe der kleine Unterschied – Zur Renaissance der tariflichen Differenzierungsklausel VPräsLAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb

S. 107

„Spesen“ des Berufskraftfahrers – ein Wechselbalg LSG München, Urt. 29.04.2014 - L 3 U 619/11 RiBSG a.D. Dirk H. Dau S. 113 Der EuGH und der Sozialtourismus – Also doch ein vollständiger Leistungsausschluss von EU-Bürgern von „Hartz-IV“-Leistungen? EuGH, Urt. v. 11.11.2014 - C-333/13 - Dano RiSG Dr. Christiane Padé

S. 116

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INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Steuerrecht

Strafrecht

BÜCHERSCHAU

X

Die Folgen der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft beim privaten Anteilsinhaber im Steuerrecht NotAss Dr. Philipp Aigner

S. 119

Verzinsung von Genussrechten als Arbeitslohn BFH, Urt. v. 21.10.2014 - VIII R 44/11 RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth

S. 125

Court-TV? – Zum Stand der Diskussion um § 169 Satz 2 GVG RA Prof. Dr. Guido Britz

S. 127

juris PraxisKommentar UWG VRiLG Dr. Holger Kircher

S. 131

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EDITORIAL

MÄRZ

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Recht als Reaktion auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Realitäten fe leistet, legt Christiane Padé in ihrer Anmerkung zur Entscheidung der EuGH im Fall Dano dar (S. 116). Buchung im Internet und Reisen, beides aus unserer modernen Gesellschaft nicht hinwegzudenken, erzeugt ein Schutzbedürfnis des sog. Verbrauchers. Er ist in besonderer Weise auf Informationen seines Geschäftspartners angewiesen. Ansgar Staudinger legt im Einzelnen die Widerrufsbelehrungs- und Informationspflicht der Reiseveranstalter, Beförderer, Hoteliers sowie Vermieter von Ferienhäusern und Pkws bei Fernabsatzverträgen dar (S. 90).

Prof. Dr. Monika Jachmann Richterin am Bundesfinanzhof

Recht fungiert als zentrale Organisationsstruktur von Wirtschaft und Gesellschaft. Ändern sich die hier vorherrschenden tatsächlichen Rahmenbedingungen oder wurden sie verkannt bzw. bislang noch nicht gesehen, hat das Recht zu reagieren. Wesentlich für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahrensrecht ist der Öffentlichkeitsgrundsatz. Ausgehend von einem modernen Öffentlichkeitsverständnis wird die Berechtigung des in § 169 Satz 2 GVG kodifizierten Film- und Aufnahmeverbots zunehmend in Frage gestellt. Unter dem von Guido Britz aufgegriffenen Topthema „Court-TV“ steht die Anpassung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Verhandlung an veränderte Realitäten und Rahmenbedingungen in Richtung einer erweiterten Medienöffentlichkeit zur Diskussion (S. 127). Ein tradierter Grundsatz soll an gewandelte Erwartungen angepasst werden. Eine parallele Entwicklung greift Heinz-Jürgen Kalb mit seinem Beitrag zur Renaissance der tariflichen Differenzierungsklausel auf (S. 107). Mit schwindendem Organisationsgrad der Gewerkschaften bleibt zwar der Grundsatz unangetastet, dass niemand sozialinadäquaten Druck hinzunehmen braucht, jedoch sind Bestrebungen in Gange, ihn mit neuen Wertvorstellungen zu füllen. Das Stichwort „Abwehr von Sozialtourismus“ steht für das Anliegen, eine Zweckentfremdung von sog. Hartz IV-Leistungen zulasten der sozialstaatlichen Gemeinschaft zu verhindern. Dass und inwieweit der EuGH hierbei Schützenhil-

An Komplexität zunehmende wirtschaftliche Sachverhalte machen ein ebenso komplexes Steuerrecht erforderlich, so die Rechtfertigung für manche schwer zugängliche Steuernormen. Jedoch produziert der Steuergesetzgeber nicht selten durch wenig stringente, lückenhafte Normen Unsicherheiten und zwingt den Rechtsanwender zu juristisch schwierigen Lösungen. Ein Beispiel hierfür – aus dem Bereich der angeblich alles vereinfachenden Abgeltungsteuer – greift Philipp Aigner auf. Er geht der Frage nach, wie der Verlust, den der Anteilsinhaber im Rahmen der Insolvenz seiner Kapitalgesellschaft erleidet, geltend gemacht werden kann, wenngleich die einschlägige Norm nur den Veräußerungsfall regelt, nicht aber den der Auflösung der Gesellschaft im Rahmen einer Insolvenz (S. 119). Neues aus der höchstrichterlichen zivilrechtlichen Rechtsprechung stellt Sebastian Omlor zu Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolgen vor (S. 99). Es geht dabei um die Grenzen der Befugnisse des Testamentsvollstreckers. Christoph Lafontaine beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein einzelner Wohnungseigentümer eine Sanierung erzwingen kann und wer haftet, wenn eine gebotene Sanierung unterblieben ist (S. 102). Spesen abhängig beschäftigter Kraftfahrer können verdecktes Arbeitsentgelt oder Kostenersatz sein. Die sozial (versicherungs)rechtlichen Folgen sind Thema der Anmerkung von Dirk H. Dau zur neueren Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (S. 113). Erwirbt ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber Beteiligungen in der Form von Genussrechten und erzielt er hieraus Einnahmen, so kann es sich dabei um Arbeitslohn handeln mit der Folge, dass etwa der Abgeltungsteuersatz von 25% nicht zur Anwendung kommt, so in dem von Franceska Werth besprochenen Fall des BFH (S. 125). Das Märzheft der jM lädt zu einer spannenden Lektüre von Reaktionen des Rechts auf moderne Realitäten ein. Prof. Dr. Monika Jachmann

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AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Widerrufsbelehrungs- und Informationspflicht der Reiseveranstalter, Beförderer, Hoteliers sowie Vermieter von Ferienhäusern und Pkws bei Fernabsatzverträgen Prof. Dr. Ansgar Staudinger A. Einleitung Die Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie1 hat zu einer tiefgreifenden Änderung beim Widerrufsrecht in den §§ 312 ff. BGB geführt. Erfasst werden intertemporal allein Verträge, die nach dem 13.06.2014 geschlossen wurden.2 Im Zentrum der nachfolgenden Abhandlung stehen Fernabsatzverträge im Sinne von Art. 2 Nr. 7 des Rechtsakts bzw. § 312c BGB. Dabei kommt im Rahmen der vielfältigen Fernkommunikationsmittel der Buchung im Internet zweifelsohne besondere Praxisrelevanz zu. Untersucht wird anhand ausgewählter Vertragsgegenstände, ob und inwieweit Unternehmer und Pauschalreiseveranstalter die Pflicht trifft, Verbraucher über ein bestehendes Widerrufsrecht zu belehren bzw. sie darüber zu informieren, dass ein derartiges Lösungsrecht ausscheidet.3 Einbezogen wird ebenso die Frage, welche Sanktionen Unternehmer in der zweiten Fallgruppe, mithin bei einer Missachtung der Informationspflicht zu gewärtigen haben. B. Buchung einer „echten“ Pauschalreise beim Veranstalter Ob und inwieweit den Reiseveranstalter beim Fernabsatz von Pauschalreisen gegenüber Verbrauchern eine Belehrungs- bzw. Informationspflicht trifft, ist zunächst im Lichte der Verbraucherrechterichtlinie zu prüfen. Nach ihrem Art. 4 handelt es sich um einen vollharmonisierenden Rechtsakt. Innerhalb seines Regelungsbereichs sind folglich weder Unterschreitungen des Schutzstandards noch strengere Vorgaben auf nationaler Ebene zulässig. Dies gilt gleichermaßen für den jeweiligen Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten wie die dortige Justiz. Laut Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verbraucherrechterichtlinie werden sämtliche Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern im Sinne der Legaldefinitionen in Art. 2 Nr. 1 und 2 des Rechtsaktes erfasst. Nach Art. 3 Abs. 3 lit. g) gilt die Richtlinie indes nicht für Verträge, „die in den Geltungsbereich der Richtlinie 90/314/EWG4 des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen“ fallen. Der europäische Gesetzgeber sieht demzufolge ausdrücklich einen Ausnahmetatbestand für die in der besagten Richtlinie vertypten Pauschalreisen

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vor.5 Nach Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie wird dieser Begriff wiederum definiert. Erforderlich ist eine „im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt: a) Beförderung, b) Unterbringung, c) andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen“. Aus Art. 2 Nr. 1 Satz 1 der Pauschalreiserichtlinie folgt damit zweifelsohne, dass eine Pauschalreise im europarechtlichen Sinne eine Kombination von zumindest zwei gleichwertigen Bestandteilen voraussetzt. Im Einklang hiermit legt § 312 Abs. 1 BGB zunächst den allgemeinen Geltungsbereich fest, der sich in persönlicher Hinsicht im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB auf Verbraucherverträge beschränkt. § 312 Abs. 2 Nr. 4 a) BGB bestimmt dann, dass sämtliche im Fernabsatz geschlossenen Verträge über Reiseleistungen nach „§ 651a“ BGB6 von den Vorschriften der Kapitel 1 und 2 des Untertitels ausgespart bleiben und lediglich § 312a Abs. 1, 3, 4 und 6 BGB Platz greifen.7 Diese grundsätzliche Freistellung8 mit den besag-

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Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25.10.2011, Amtsblatt EU Nr. L 304/64 vom 22.11.2011; BGBl I 2013, 3642. Vgl. Art. 28 Abs. 2 der Verbraucherrechterichtlinie. Nachfolgend als „negative“ Belehrung bezeichnet. Richtlinie des Rates über Pauschalreisen (90/314/EWG) vom 13.06.1990, ABl. Nr. L 158, S. 59 v. 23.06.1990. Im Lichte des Erwägungsgrundes 32 Satz 1 der Verbraucherrechterichtlinie mag ein Motiv des europäischen Gesetzgebers gewesen sein, der Novellierung der Pauschalreiserichtlinie nicht vorzugreifen. Unerfindlich bleibt, weshalb der deutsche Gesetzgeber den Verweis nicht auf § 651a Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt hat. Denn dort findet sich die Definition der „Reise“ als Gesamtheit von Reiseleistungen. Hierzu BT-Drs. 17/13951, S. 62. In der Vergangenheit war umstritten, ob § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB a.F. Pauschalreisen im Sinne des § 651a Abs. 1 BGB einschloss oder nicht (Staudinger in: Staudinger, § 651a BGB Rn. 71). Diese Streitfrage ist nun durch § 312 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) BGB entschieden.

JM 03 | ten Ausnahmen gilt gleichermaßen über § 312 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Pauschalreisen im Sinne des „§ 651a“ BGB, wenn die mündlichen Verhandlungen, auf denen der Vertragsschluss beruht, „auf vorhergehende Bestellung des Verbrauchers geführt worden sind“. Andernfalls gewährt der deutsche Gesetzgeber im Lichte von § 312g Abs. 2 Satz 2 BGB9 ein Widerrufsrecht.10 Die inländische Legislative hat damit sämtliche Pauschalreisen nach Maßgabe des § 651a BGB im Fernabsatz weithin von den Vorgaben in den Kapiteln 1 und 2 und jedenfalls im Ergebnis von einem Widerrufsrecht ausgenommen. Dies ist jedenfalls insofern europarechtskonform, als die im Internet vom Verbraucher beim Veranstalter gebuchte Pauschalreise nach Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechte- in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 Satz 1 der Pauschalreiserichtlinie ein Paket darstellt. Damit ergibt sich ein erster Befund: Bei echten Pauschalreisen im Sinne des § 651a Abs. 1 Satz 1 BGB trifft den Veranstalter einem Verbraucher11 gegenüber bei seiner Buchung im Internet seit dem 13.06.2014 weder eine positive Belehrungspflicht über ein etwaiges Widerrufsrecht noch aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine Pflicht, ihn über das Nichtbestehen eines solchen Gestaltungsrechts zu informieren.

Hinsichtlich der Anmietung eines Pkws bzw. Campingmobils vom Verbraucher mit Fernkommunikationsmitteln findet sich in Art. 3 Abs. 3 der Verbraucherrechterichtlinie kein allgemeiner Ausnahmetatbestand. Vielmehr folgt im Wege systematischer Auslegung unter Beachtung des Erwägungsgrundes Nr. 27 Satz 4 aus Art. 16 lit. l) des Rechtsakts, dass etwa die Internetbuchung eines Mietwagens seinem Regelungsbereich unterliegen muss. Andernfalls wäre kaum verständlich, weshalb der europäische Gesetzgeber eine Ausnahme vom Widerrufsrecht statuiert. Voraussetzung ist hierfür laut Art. 16 lit. l) der Verbraucherrechterichtlinie, dass der Fernabsatzvertrag „Dienstleistungen in den Bereichen … Mietwagen … erbracht werden und der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht“. Die Vermietung

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I. Personenbeförderung

Dies gilt gleichermaßen zugunsten von Reiseveranstaltern, wenn der Verbraucher bei ihnen lediglich eine einzelne Beförderungskomponente wie ein Flugticket im Internet erwirbt. Auf die Frage, ob der Vertrag zwischen Veranstalter und Verbraucher auf nationaler Ebene §§ 651a ff. BGB analog oder dogmatisch zutreffend §§ 631 ff. BGB unterliegt, kommt es nicht an.

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II. Anmietung eines Pkws/Campingmobils von einem Unternehmer, der kein Reiseveranstalter ist

C. Buchung einzelner Komponenten

Zunächst bleibt auf europarechtlicher Ebene der Art. 3 Abs. 3 lit. k) der Verbraucherrechterichtlinie zu beachten. Danach sind Rechtsgeschäfte zwischen Verbraucher und Unternehmer über die Beförderung von Personen mit bestimmten Einschränkungen a priori vom Geltungsbereich des Rechtsakts ausgenommen.12 Im Einklang hiermit sieht § 312 Abs. 2 Nr. 5 BGB vor, dass derartige unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossene Beförderungsverträge abgesehen von § 312a Abs. 1, 3, 4 und 6 BGB nicht den Vorgaben in Kapitel 1 und 2 unter Einschluss des Widerrufsrechts unterliegen. Demzufolge trifft beispielsweise ein Luftfahrtunternehmen Verbrauchern gegenüber auch keine „negative“ Belehrungspflicht nach Maßgabe der § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB.

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Hierzu Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, jM 2014, 222, 223; kritisch Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 3, 5; Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 251; beachte auch Tonner, VuR 2014, 23, 25. Dass die hiesige Legislative für bestimmte Sonderfälle von Vertragsabschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen dem Verbraucher ein Widerrufsrecht einräumt, erscheint europarechtlich unbedenklich. Da echte Pauschalreisen nach Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechteim Zusammenspiel mit Art. 2 Nr. 1 Satz 1 Pauschalreiserichtlinie a priori vom Regelungsbereich des zuerst genannten Rechtsakts ausgespart sind, darf ein innerstaatlicher Gesetzgeber ein derartiges Gestaltungsrecht aus dem Blickwinkel der Verbraucherrechterichtlinie vorsehen. Eine solche Entscheidung fällt in seine alleinige Kompetenz. Für die Pauschalreiserichtlinie folgt dann aus ihrem Art. 8 für „echte“ Pauschalreisen als Bündel von mindestens zwei gleichwertigen Leistungen die Zulässigkeit, ein solches Gestaltungsrecht zu verankern. Im Fortgang bleibt diese Fallgruppe indes ausgespart, da der Fokus auf Fernabsatzverträgen liegt. Dass § 651a BGB auch Incentive-Reisen von Unternehmern bei Buchung im Internet einschließt (Staudinger in: Staudinger, § 651a BGB Rn. 50), hat für den vorliegenden Kontext keine Bedeutung. Die Verbraucherrechterichtlinie ist nach ihrem Art. 3 Abs. 1 vom Geltungsbereich auf Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern beschränkt. Dies gilt gleichermaßen kraft § 312 Abs. 1 BGB für die nationale Umsetzung. Demzufolge besteht auch für mit Fernkommunikationsmitteln bei Veranstaltern gebuchte Incentive-Reisen weder eine positive noch „negative“ Belehrungspflicht. Laut Erwägungsgrund 27 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie verweist der europäische Gesetzgeber darauf, dass die Personenbeförderung bereits spezifischen Unionsrechtsakten unterfällt. Zu nennen sind beispielsweise die Flug- und Fahrgastrechteverordnung (Verordnung [EG] Nr. 261/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung [EWG] Nr. 295/91 vom 11.02.2004, Verordnung [EG] Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr vom 23.10.2007).

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von Kraftfahrzeugen bzw. Campingmobilen muss hiernach Dienstleistungscharakter gem. Art. 2 Nr. 6 des Rechtsakts haben. Der Unternehmer hat dann nach Art. 8 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie allerdings die Pflicht, bestimmte in ihrem Art. 6 Abs. 1 Satz 1 vorgeschriebene Informationen dem Verbraucher „in klarer und verständlicher Sprache in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise“ zu erteilen bzw. zur Verfügung zu stellen. Dies gilt ebenso nach Art. 6 Abs. 1 lit. k) der Verbraucherrechterichtlinie für den Hinweis gegenüber dem Kunden, dass ihm im konkreten Fall nach Maßgabe des Art. 16 lit. l) des Rechtsakts kein Widerrufsrecht zusteht. Den Unternehmer trifft diesbezüglich eine „negative“ Belehrungspflicht. Dies gilt gleichermaßen für die Buchung eines Campingmobils mit Fernkommunikationsmitteln, da auch insofern im Sinne des Erwägungsgrundes Nr. 27 Satz 4 und Art. 16 lit. l) des Rechtsakts eine Vermietung „von Kraftfahrzeugen“ bzw. „Mietwagen“ vorliegt. Der deutsche Gesetzgeber ist diesen Vorgaben in § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB nachgekommen.13 Auch auf nationaler Ebene hat der Unternehmer den Verbraucher bei Buchung eines Mietwagens bzw. Campingmobils etwa im Internet nicht positiv über das Bestehen eines Widerrufsrechtes zu belehren.14 Allerdings muss der Unternehmer den Verbraucher nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB darüber informieren, dass ihm im spezifischen Fall kein Widerrufsrecht zur Verfügung steht. III. Buchung eines Hotelzimmers/Ferienhauses durch Fernkommunikationsmittel vom Unternehmer, der kein Reiseveranstalter ist Laut Art. 3 Abs. 3 lit. f) der Verbraucherrechterichtlinie nimmt der supranationale Gesetzgeber die „Vermietung von Wohnraum“ vom Geltungsbereich des Rechtsakts aus.15 Hiervon zu unterscheiden sind jedoch Reservierungen von Hotelzimmern oder Ferienhäusern. Dies belegen erneut Art. 16 lit. l) sowie Erwägungsgründe16 26 Satz 5, 49 Satz 6 der Verbraucherrechterichtlinie. An dieser Stelle sieht die europäische Legislative eine Privilegierung bestimmter Vertragstypen im Fernabsatz vor, wenn „Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken“ erbracht wird. Derartige Fallgestaltungen unterliegen denklogisch dem Regelungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie. Der Unternehmer muss dem Verbraucher lediglich kein Widerrufsrecht einräumen. Folge ist dann allerdings wiederum, dass jenen nach Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. k) des Rechtsakts Privatkunden gegenüber eine Informationspflicht im Sinne einer „negativen“ Belehrung trifft. Der Unternehmer muss den Verbraucher nämlich darauf hinweisen, dass ihm kein Widerrufsrecht zusteht.

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Der inländische Gesetzgeber hat zum einen in § 312 Abs. 4 BGB eine Vorgabe für die „Vermietung von Wohnraum“ getroffen. Sie basiert auf der nationalen Regelungskompetenz, da die Verbraucherrechterichtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 3 lit. f) derartige Verträge a priori ausspart.17 Für die hier relevante Fallgruppe der Buchung eines Hotelzimmers18 bzw. Ferienhauses im Internet durch den Verbraucher beim Unternehmer sind die Richtlinienvorgaben in § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB19 sowie Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 BGB umgesetzt. Bei Fernkommunikationsverträgen über die „Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung“ besteht zwar kein Widerrufsrecht des Kunden, wohl aber eine Informationspflicht hierüber zulasten des Unternehmers. IV. Buchung einzelner Komponenten (Mietwagen/ Campingmobil, Hotelzimmer/Ferienhaus) durch den Verbraucher beim Reiseveranstalter Nachfolgend ist zu klären, ob die dargelegten Grundsätze auf europäischer wie nationaler Ebene gleichermaßen gelten, wenn auf Seiten der Unternehmer ein Reiseveranstalter den Fernabsatzvertrag mit dem Verbraucher schließt. Dies wäre lediglich dann nicht der Fall, wenn Art. 3 Abs. 3 lit. f) der Verbraucherrechterichtlinie durch den Verweis auf die Pauschalreiserichtlinie zugleich die Buchung einer einzelnen Komponente beim Reiseveranstalter von vorn-

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Beachte zur früheren Rechtslage in § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB a.F. auch EuGH, Urt. v. 10.03.2005 - C-336/03 - Rn. 23; im Ergebnis unterfiel der Vorgängerregelung ebenfalls die Autovermietung; Thüsing in: Staudinger, BGB, 16. Aufl. 2012, § 312b BGB a.F. Rn. 82. So Grüneberg in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 312g BGB Rn.12; R. Koch in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 312g BGB Rn. 16. Beachte Erwägungsgrund 26 Satz 1 der Verbraucherrechterichtlinie. Nimmt man die Erwägungsgründe 27 Satz 2 sowie 26 Sätze 1 und 5 sowie 49 Satz 6 der Verbraucherrechterichtlinie, so erhellt der Gesamtkontext, dass die „Anmietung“ von Hotelzimmern, vor allem aber Ferienwohnungen und -häusern bislang weder spezifischen europäischen Rechtsakten unterliegt, noch ungeachtet etwaiger nationaler Regelungen ein Schutzbedürfnis der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen gänzlich in Abrede gestellt werden kann. Angesichts dessen wäre ein vollkommener Ausschluss dieser Fallgestaltungen aus dem Geltungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie verfehlt gewesen. Auch insoweit handelt es sich um eine „überschießende“ Umsetzung: Gsell, WuM 2014, 375, 377, 383; Mediger, NZM 2015, Heft 6 unter I.2.c); zum verbraucherprivatrechtlichen Widerrufsrecht im Wohnraummietrecht beachte Artz/Brinkmann/Pielsticker, ZAP 2015, Heft 4. Beachte auch BT-Drs. 17/12637, S. 57. Ebenso Grüneberg in: Palandt, § 312g BGB Rn. 12; R. Koch in: Erman, § 312g BGB Rn. 16. Auch § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB a.F. erstreckte sich im Einklang mit Art. 3 Abs. 1, 4. Spiegelstrich der früheren Fernabsatzrichtlinie auf die Unterbringung wie etwa in einem Hotelzimmer; vgl. Thüsing in: Staudinger, § 312b BGB a.F. Rn. 82.

JM 03 | herein dem Geltungsbereich des Rechtsakts entzogen hätte. Nur insofern bestünde eine nationale Regelungskompetenz für die Frage, ob der Veranstalter einem Verbraucher im Fernabsatz ein Widerrufsrecht gewähren oder ihn über dessen Nichtbestehen informieren muss. Sollte Art. 3 Abs. 3 lit. f) der Verbraucherrechterichtlinie indes nicht eingreifen, verbleibt es bei den laut Art. 4 vollharmonisierenden Vorgaben, von denen weder der hiesige Gesetzgeber noch die inländische Judikatur abweichen darf. Nun erfasst der klare Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 lit. f) der Verbraucherrechte- allein die Pauschalreise im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie. Wie zuvor dargelegt, setzt der Begriff der „europäischen“ Pauschalreise ein Paket von mindestens zwei gleichwertigen Leistungen voraus. Hieran fehlt es offensichtlich, wenn sich der Gegenstand des Fernkommunikationsvertrages zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Überlassung eines Mietwagens/Campingmobils oder etwa eines gebuchten Hotelzimmers/Ferienhauses erschöpft. Nun könnte sich auf den ersten Blick aus Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie eine abweichende Beurteilung ergeben. Er lautet: „Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich strengere Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers erlassen oder aufrechterhalten“. Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie erhellt, dass es sich anders als bei der Verbraucherrechterichtlinie um einen minimalharmonisierenden Rechtsakt handelt. Der europäische Gesetzgeber erlaubt daher der nationalen Legislative wie Judikative, strengere Vorgaben zum Wohl der Kunden festzulegen. Allerdings darf der Wortlaut von Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie nicht verkannt werden. Schutzverstärkungen können auf diese Vorschrift nur gestützt werden, wenn es sich um den „Bereich“ handelt, welcher „unter diese Richtlinie“ fällt. Die Mitgliedstaaten dürfen sich daher nur auf Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie berufen, um strengere Vorschriften zu erlassen oder richterrechtlich zu schaffen, sofern der Regelungsbereich in Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie betroffen ist, also ein Bündel von zumindest zwei gleichwertigen Leistungen. Geht es demgegenüber lediglich um eine einzelne Komponente, ist die Pauschalreiserichtlinie schon von ihrem Anwendungsbereich nicht einschlägig und kann denklogisch auch ihr Art. 8 nicht bemüht werden. Sofern also ein nationaler Gesetzgeber im Segment einer „echten“ Pauschalreise als Arrangement von mehreren Komponenten strengere Gewährleistungsregeln oder weitergehende Lösungsrechte als den Mindeststandard der Pauschalreiserichtlinie vorsieht, so ist ihm dies im Lichte ihres Art. 8 als „strengere“ Umsetzung erlaubt. Stellt allerdings die Legislative in einem Mitgliedstaat oder die dortige Richterschaft einen Vertrag, der sich auf die Gewährung lediglich einer einzel-

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nen Leistung begrenzt, einer Pauschalreise gleich, so liegt dieses von vornherein außerhalb der Pauschalreiserichtlinie nach ihrem Art. 2 Nr. 1 und ist konsequenterweise ebenso wenig Ausfluss der Mindeststandardklausel in Art. 8. Eine derartige Rechtsetzung bzw. ein solches Richterrecht basiert vielmehr auf der rein nationalen Regelungskompetenz. Vielmehr erstreckt dann ein Mitgliedstaat den seitens der Richtlinie vorgeschriebenen Rechtszustand auf Fallgestaltungen, bei denen der Rechtsakt seinerseits keine Anwendung beansprucht. Ein solches Handeln eines Mitgliedstaates wird als „überschießende“ Umsetzung bezeichnet.20 Hieraus folgt: Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie nimmt lediglich solche Pauschalreisen vom Anwendungsbereich aus, die nach Art. 2 Nr. 1 Satz 1 der Pauschalreiserichtlinie ein Bündel von mindestens zwei gleichwertigen Dienstleistungen umfassen. Ist Gegenstand des Fernabsatzvertrages zwischen Reiseveranstalter und Verbraucher nur eine einzige Komponente, greift der Ausschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie nicht. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Pauschalreiserichtlinie laut ihrem Art. 8 strengere Schutzstandards zum Wohle des Verbrauchers zulässt. Anders formuliert, was auf deutscher Ebene analog §§ 651a ff. BGB einer Pauschalreise gleichgestellt ist, wird damit noch lange keine Pauschalreise im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Satz 1 der Pauschalreiserichtlinie und fällt ebenso wenig unter deren Art. 8 sowie den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie. Hierfür lassen sich eine Reihe weiterer europarechtlicher Argumente anführen. Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie ist ein Ausnahmetatbestand und folglich eng auszulegen. Dies gilt umso mehr, da andernfalls Sinn und Zweck des Rechtsakts, nämlich den Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten, konterkariert würden. Vor allem darf nicht verkannt werden, dass Art. 2 Nr. 2 der Verbraucherrechterichtlinie eine allgemeine Legaldefinition des Unternehmers vorsieht. Eine Privilegierung von Reiseveranstaltern sieht der Rechtsakt an dieser Stelle wie auch im gesamten übrigen Text nicht vor. Nun ist aber auch kein Sachgrund ersichtlich, weshalb „reguläre“ Unternehmer bei der Überlassung von Kfz/Campingmobilen oder Hotelzimmern/Ferienhäusern etwa nach Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. k) der Verbraucherrechte20

Vgl. hierzu Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 53. EL., Art. 288 AEUV Rn. 131 m.w.N.; jüngst auch Staudinger/Röben, JA 2015, erscheint demnächst. Als Anwendungsbeispiel für eine solche überschießende Umsetzung mag § 312 Abs. 3 BGB dienen: Schulte-Nölke in: Hk-BGB, 8. Aufl. 2014, § 312 BGB Rn. 23.

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richtlinie bei Fernabsatzverträgen eine Pflicht treffen soll, den Verbraucher über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts zu informieren, nicht aber den Reiseveranstalter. Dies bedeutete nicht nur eine wettbewerbswidrige Ungleichbehandlung zwischen Unternehmergruppen. Vor allem ist aus dem Blickwinkel der Verbraucher als Schutzadressaten nicht einzusehen, weshalb sie bei einer Buchung im Internet schlechter gestellt werden sollen, wenn sie mit einem Reiseveranstalter kontrahieren. Schließlich drohte auch, dass die gerade von der Verbraucherrechterichtlinie durch ihren Ansatz der Vollharmonisierung angestrebte Rechtseinheit im Binnenmarkt konterkariert würde. Dürfte nämlich ein Mitgliedstaat legislativ oder richterrechtlich nicht nur die Buchung einer einzelnen Leistungskomponente einer echten „Pauschalreise“ gleichstellen, sondern hierdurch zugleich die Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie aushebeln, wäre der Rechtszersplitterung Vorschub geleistet. Dies ist mit dem Grundsatz der Effektivität (effet utile) des Europarechts unvereinbar. Summa summarum gilt: Der klare Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 lit. g der Verbraucherrechte- wie auch des Art. 2 Nr. 1 und Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie, das Gebot restriktiver Interpretation von Ausnahmetatbeständen, dasjenige der Gleichbehandlung sämtlicher in Art. 2 Nr. 1 der Verbraucherrechterichtlinie legaldefinierten Unternehmer sowie Sinn und Zweck eines effektiven Verbraucherschutzes sowie der angestrebten Rechtseinheit in der EU lassen allein eine Lesart zu. Hiernach trifft den Reiseveranstalter einem Verbraucher gegenüber bei der Buchung einer einzelnen Komponente genauso wie jeden anderen Unternehmer bei einem Fernabsatzvertrag die Informationspflicht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. k) der Verbraucherrechterichtlinie. Von dieser Vorgabe darf im Lichte ihres Art. 4 weder der innerstaatliche Gesetzgeber noch die dortige Justiz abweichen, da andernfalls ein Richtlinienverstoß droht. Besieht man sich die nationale Ebene in Deutschland, bleibt zunächst der Befund, dass nach immer noch vorherrschender – wenn auch wenig überzeugender21 – Ansicht22 die §§ 651a ff. BGB analog auch auf Verträge zwischen Reiseveranstalter und Verbraucher herangezogen werden, wenn es etwa um die Überlassung eines Ferienhauses/Hotelzimmers oder Campingmobils23 geht. Wie zuvor dargelegt, steht dem die Pauschalreiserichtlinie nicht entgegen. Vielmehr verhält sie sich hierzu überhaupt nicht, so dass die Rechtsfortbildung durch die Judikative aber eben auch nicht auf Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie fußt. Es handelt sich um nicht mehr und weniger als deutsches Richterrecht, welches als „überschießende“ Umsetzung europarechtlich auf die Pauschalreiserichtlinie bezogen zulässig und aus dem Blickwinkel deutscher Methodik in hohem

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Maße kritikwürdig erscheint. Nun fällt bereits auf, dass die hiesige Legislative in § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB von Verträgen über „Reiseleistungen nach § 651a“ im Plural spricht. Daher streitet schon nach rein nationaler Methodik der Wortlaut dafür, dass der Ausschlusstatbestand in § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB nicht bei einer Buchung etwa eines Mietwagens/Campingmobils oder Hotelzimmers/Ferienhauses durch den Verbraucher beim Reiseveranstalter eingreift. Ebenso wenig ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, § 312 Abs. 4 lit. a) BGB sei dahin zu verstehen, ihm unterfielen gleichermaßen Fernabsatzverträge über eine einzelne Komponente. Auch das Gebot der restriktiven Interpretation solcher Ausnahmen sowie Sinn und Zweck des Verbraucherschutzes untermauern dieses Ergebnis. Demzufolge bliebe allein der dogmatische Ansatz, § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB analog anzuwenden und letztlich die Rechtsfortbildung der §§ 651a ff. BGB auf den Widerruf im Fernabsatz zu erstrecken. Losgelöst von der Frage, ob denn tatsächlich eine unbewusste Regelungslücke besteht, verfolgte der BGH wohl in der Vergangenheit das Ziel, Verbrauchern auch bei einer einzelnen Leistung den Vorzug des § 651f Abs. 2 BGB etwa oder § 651k BGB in entsprechender Anwendung zu gewähren. Die Rechtsfortbildung dürfte aber sicherlich nicht mit dem Motiv betrieben worden sein, bei Fernabsatzverträgen ein „negatives“ Belehrungserfordernis wie die Information über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts zum Nachteil des Verbrauchers zu unterlaufen. Dies mag aber offen bleiben. Denn entscheidend ist ohnehin allein das zwingende Konzept der Verbraucherrechterichtlinie sowie deren Umsetzung in den §§ 312 ff. BGB. Die eindeutigen Vorgaben dieses Rechtsakts verbieten es jedenfalls24 § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB entsprechend heranzuziehen. Wer demnach § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB analog anwendet, um auch Fernabsatzverträge im Sinne der §§ 651a ff. BGB bei einer Einzelleistung zu privilegieren, handelt europarechtswidrig. 21

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Schmid in: Erman, Vor § 651a Rn. 20; Staudinger in: Staudinger, § 651a BGB Rn. 30 ff. Zum Internationalen Gerichtsstand bei Ferienhausmietverträgen vgl. Staudinger, RRa 2013, 1. BGH, Versäumnisurt. v. 20.05.2014 - X ZR 134/13; BGH, Urt. v. 23.10.2012 - X ZR 157/11; BGH, Urt. v. 09.07.1992 - VII ZR 7/92; BGH, Urt. v. 17.01.1985 - VII ZR 163/84. Zustimmend Führich, Reiserecht, 6. Aufl. 2010, Rn. 85, 93; Sprau in Palandt, Einf. v. § 651a BGB Rn. 5; Tonner in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 651a BGB Rn. 28 ff. OLG Düsseldorf, Urt. 24.04.1997 - 18 U 135/96 - RRa 1997, 222; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.03.1988 - 14 U 313/86. Daher kann offen bleiben, ob § 312 Abs. 2 Nr. 4 BGB – gerade erst erlassen – nach nationaler Methodik eine unbewusste Regelungslücke enthält. Überdies drohte wohl auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Unternehmern.

JM 03 | Festzuhalten ist damit: Schließt ein Verbraucher mit einem Reiseveranstalter einen Fernabsatzvertrag, der sich von seinem Gegenstand auf die Überlassung eines Mietwagens/Campingmobils oder Hotelzimmers/Ferienhauses beschränkt, wird der Veranstalter dadurch wie jeder andere Unternehmer behandelt, sodass zu seinen Gunsten § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB eingreift. Spiegelbildlich trifft ihn allerdings ebenso wie etwa einen Mietwagenunternehmen oder Hotelbetreiber die Informationspflicht aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. In der Gesamtschau ist damit streng zu unterscheiden zwischen der Analogie der §§ 651a ff. BGB auf die Überlassung etwa von Ferienhäusern oder Hotelzimmern durch den Reiseveranstalter auf der einen Seite und der „negativen“ Belehrung gegenüber dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen auf der anderen Seite.25 Über Letzteres entscheiden allein die Verbraucherrechterichtlinie und in der Umsetzung die §§ 312 Abs. 2 Nr. 4 lit. a), 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB sowie § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Damit zeigt sich an dieser Stelle, dass die letztlich kaum überzeugende Analogie der §§ 651a ff. BGB des BGH zu Systembrüchen und Folgeschwierigkeiten führt. Wer einmal den dogmatischen Pfad verlässt, provoziert letztendlich Ungereimtheiten, auch wenn dem BGH26 bei seiner Rechtsfortbildung der Konflikt mit der Transformation der Verbraucherrechterichtlinie27 selbst in seiner jüngsten Entscheidung vom 20.05.2014 nicht vor Augen gestanden haben mag. Aus Gründen der Praktikabilität bietet es sich für Reiseveranstalter an, bei der Information über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts nicht zwischen echten Pauschalreisen im Sinne des § 651a Abs. 1 BGB und Fernabsatzverträgen über die Einzelkomponente zu differenzieren. Dieser Hinweis ist zwar in der ersten Fallgruppe weder nach der Verbraucherrechterichtlinie noch dem (EG)BGB zwingend. Letztlich erweist sich eine solche freiwillige Information aber als kundenfreundlich und zumindest rechtlich neutral.28

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reiserichtlinie vor. Denn die Auswahl einer Schule durch die Veranstalter diene speziell der Bildung und eben nicht touristischen Zwecken. Dies gelte ebenso für die Auswahl der Gastfamilie, die nicht von Art. 2 Nr. 1 lit. b) erfasst werde, da sie als Nebenleistung im Sinne von Art. 2 Nr. 1 lit. c) zu qualifizieren sei. Daraus folgt, dass derartige Gastschulaufenthalte nicht dem Anwendungsbereich des Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie unterfallen. Ein solches Produkt liegt vielmehr außerhalb des Regelungsbereichs dieses Rechtsakts. Demzufolge lässt sich auch nicht Art. 8 der Pauschalreiserichtlinie heranziehen. Es handelt sich gerade nicht um eine Schutzverstärkung als strengere Umsetzung auf dem Gebiet der echten „europäischen“ Pauschalreise. Daher greift ebenso wenig der Ausnahmetatbestand in Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie bei derartigen Gastschulaufenthalten ein. Für dieses Argument streiten wie schon für den Fall der Buchung einer einzelnen Komponente bei Veranstaltern viele weitere europarechtliche Argumente, sei es die kraft der Systematik gebotene restriktive Auslegung von Art. 3 Abs. 3 lit. g) der Verbraucherrechterichtlinie, der Sinn und Zweck des Verbraucherschutzes sowie die Rechtseinheit im Sinne der Effektivität des Unionsrechts. Dies löst die Folgefrage aus, wie ein Fernabsatzvertrag über einen Gastschulaufenthalt als besonderes Bündel aus verschiedenen Leistungen einzugruppieren ist. Zu klären ist, ob Art. 16 lit. l) des Rechtsakts gilt. Nun bliebe innerhalb des Gastschulaufenthalts als Paket die Beförderungsleistung isoliert betrachtet an sich durch Art. 3 Abs. 3 lit. k) der Verbraucherrechterichtlinie von vornherein ausgespart, wenn auch mit Einschränkungen. Der Aufenthalt in der Gastfamilie, deren Auswahl und mithin diesbezügliche Dienstleistungen unterfielen wohl für sich genommen wiederum Art. 16 lit. l) des Rechtsakts. Doch insbesondere der Gastschulaufenthalt als zentraler und prägender Baustein bezieht sich im Sinne der vorgenannten Vorschrift und auch im Lichte der oben angeführten EuGH-Judikatur eben nicht auf eine Freizeitbetätigung. Die hierauf bezoge-

D. Gastschulaufenthalt und Fernabsatzvertrag Der europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 11.02.199929 klargestellt, dass zwar die Organisation der Beförderung mit Linienflügen das Tatbestandsmerkmal der „Beförderung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 lit. a) der Pauschalreiserichtlinie erfülle. Der Aufenthalt eines Schülers in einer Gastfamilie, in welcher er wie ein Familienmitglied behandelt werde, sei indes nicht als „Unterbringung“ gemäß Art. 2 Nr. 1 lit. b) der Pauschalreiserichtlinie einzustufen. Es liege ferner keine „andere touristische Dienstleistung“ nach Maßgabe des Art. 2 Nr. 1 lit. c) der Pauschal-

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Daher geht im Ergebnis auch die Kritik im Schrifttum fehl, wie etwa von Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 3, 5. BGH, Versäumnisurt. v. 20.05.2014 - X ZR 134/13. Nur zur Klarstellung sei angemerkt, dass die Verbraucherrechterichtlinie einem Festhalten an der Analogie der §§ 651a ff. BGB insoweit nicht entgegensteht. Ob hiermit eine negative Werbung verbunden ist, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls beugt es einer Fehlvorstellung auf Seiten der Kunden vor, die womöglich fälschlicherweise bei Fernabsatzverträgen ganz allgemein davon ausgehen, ein Widerrufsrecht nutzen zu können. EuGH, Urt. v. 11.02.1999 - C-237/97 - EuZW 1999, 219.

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nen Dienstleistungen des Veranstalters dienen vielmehr einem Bildungszweck.30 Im Lichte systematischer, nämlich enger Auslegung, in Anbetracht von Sinn und Zweck sowie unter Beachtung des effet utile-Prinzips erscheint zweifelhaft, den mit Fernkommunikationsmitteln gebuchten Gastschulaufenthalt beim Reiseveranstalter vom Widerrufsrecht auszunehmen. Denn letztlich darf keine getrennte Betrachtung einzelner Komponenten erfolgen. Es geht vielmehr um die Frage, ob der einheitliche Fernabsatzvertrag über den Gastschulaufenthalt in toto widerruflich ist. Dies kann letztlich nur der EuGH klären. Sollte allerdings Art. 16 lit. l) der Verbraucherrechterichtlinie Platz greifen, bleibt es bei der in Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. k) und Art. 4 der Verbraucherrechterichtlinie zwingenden Pflicht des Veranstalters, den Verbraucher über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts zu informieren. In Bezug auf die nationale Regelungsebene erweist sich § 651l BGB im Lichte des Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie unter Einschluss der EuGH-Judikatur nicht als Pauschalreise nach Maßgabe des Art. 2 Nr. 1 der Pauschalreiserichtlinie und ebenso wenig als Schutzverstärkung auf der Grundlage ihres Art. 8.31 Vielmehr handelt es sich auch an dieser Stelle um eine „überschießende“ Umsetzung, nunmehr der heimischen Legislative. Scheinbar „passt“ § 312 Abs. 4 lit. a) BGB von seiner Formulierung her, da ein Gastschulaufenthalt „Reiseleistungen“ im Plural umfasst und der nationale Gesetzgeber § 651l BGB innerhalb des Abschnitts der Reiseverträge als Sonderfall des § 651a Abs. 1 Satz 1 BGB ausgestaltet hat. § 312 Abs. 4 lit. a) BGB ist allerdings im Lichte der zwingenden Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie auszulegen. Dies schließt nach ganz herrschender Ansicht32 auch eine richtlinienkonforme Reduktion ein. Demzufolge bleiben Gastschulaufenthalte im Sinne des § 651l BGB von § 312 Abs. 4 lit. a) BGB ausgenommen. Eine solche richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erweist sich als methodisch zulässig33, da auch keine Art. 20 Abs. 3 GG widersprechende Reduktion auf Null vorliegt. Im Raum steht daher entweder die Pflicht, ein echtes Widerrufsrecht einzuräumen, oder lediglich die Anwendbarkeit des eng auszulegenden34 § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB mit der Konsequenz der „negativen“ Belehrung anhand der § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Dies hängt letztlich vom Ausgang der Vorabentscheidung des Gerichtshofs ab.

EGBGB verletzt, stellt sich die Frage, ob hieran etwaige Folgerungen geknüpft sind. Ausgangspunkt bildet wiederum die Verbraucherrechterichtlinie. Ihr Art. 6 spricht in der Überschrift ganz allgemein von Informationspflichten. Gleichermaßen differenziert die europäische Legislative in Art. 6 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie weder zwischen der positiven Belehrung in lit. h) noch der Information über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts in lit. k) des Rechtsakts. Allerdings legt der supranationale Gesetzgeber nur bei der ersten Fallgruppe in Art. 10 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie unmittelbar eine Sanktion in Form einer verlängerten Höchstfrist für die Ausübung des Gestaltungsrechts fest. Nun darf aber auch im Lichte von Art. 4 des Rechtsakts hieraus nicht der Schluss gezogen werden, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 lit. k) dürfe keine rechtlichen Nachteile für den Unternehmer auslösen. Genau das Gegenteil ist richtig, wie Art. 23 und 24 der Verbraucherrechterichtlinie belegen.35 Gerade ihr Art. 24 Abs. 1 Satz 2 spricht insofern von innerstaatlichen Sanktionen, die „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein müssen. Gleichermaßen behandelt der deutsche Gesetzgeber in § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 und 3 Nr. 1 EGBGB ganz allgemein die Informationspflichten des Unternehmers. Nun lassen sich neben der Abmahnung sicherlich Unterlassungsansprüche etwa von Konkurrenten, Verbraucherschutzverbänden, Wettbewerbsvereinen oder Industrie- und Handwerkskammer andenken. Bei einer schuldhaften Verletzung der Informationspflicht aus Art. 246 § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB durch den Unternehmer kommt aber überdies eine Schadensersatzforderung des Verbrauchers nach Maßgabe der §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Betracht, welche laut 30

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E. Sanktion bei unterbliebener Information nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Sofern der Unternehmer, sei es ein Mietwagenunternehmer, Hotelier oder Reiseveranstalter, seine Pflicht aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1

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Beachte in diesem Zusammenhang – wenn auch zu § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB a.F. – das Urteil des OLG Hamm vom 21.02.2013 (4 U 135/12, I-4 U 135/12) zur Widerruflichkeit eines Online-Kurses zur Vorbereitung auf die theoretische Sportbootführerscheinprüfung. Das Gericht betont, es handele sich um ein Kursprogramm an der Volkshochschule bezogen auf die Gestaltung der Freizeit und nicht mit Blick auf eine spätere Berufstätigkeit. Vgl. hierzu auch Staudinger in: Staudinger, § 651l BGB Rn. 3 m.w.N. Vgl. hierzu die Angaben bei Staudinger in: Staudinger, § 651k BGB Rn. 5 und 5a. Es kann auch offen bleiben, ob die nationale Legislative durch die Inbezugnahme von „§ 651a“ BGB in § 312 Abs. 4 lit. a) BGB die Gastschulaufenthalte im Sinne des § 651l BGB hat aussparen wollen. Jedenfalls ist an keiner Stelle der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass jene die zwingenden Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie hat missachten und sekundärrechtswidrig handeln wollen. Daher ist eine dahingehende richtlinienkonforme Reduktion europaund verfassungsrechtlich zulässig und geboten. R. Koch in: Erman, § 312g BGB Rn. 5. Beachte auch Erwägungsgrund 14 der Verbraucherrechterichtlinie.

JM 03 | § 249 Abs. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution auf Vertragsaufhebung abzielt.36 Die beiden ersten Tatbestandserfordernisse, nämlich das Vorliegen eines Schuldverhältnisses sowie die Pflichtverletzung sind offenkundig zu bejahen. Auch das zu Lasten des Unternehmers vermutete Verschulden wird dieser nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wohl nicht widerlegen können. Vor allem dürfte kein Rechtsirrtum anzunehmen sein, der den Schuldvorwurf auf Seiten des Unternehmers entfallen lässt. In Bezug auf die Kausalität wird sich der Verbraucher in Anlehnung an den BGH37 wohl nicht auf die so genannte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens stützen können. Denn dann müsste es im Falle der ordnungsgemäßen Information über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts für den Verbraucher denklogisch nur eine bestimmte Reaktionsmöglichkeit gegeben haben. Vielmehr kann der Verbraucher darauf verweisen, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB schreibe vor, er müsse vorab darüber informiert werden, dass er in bestimmten Konstellationen seine Willenserklärung nicht widerrufen könne. Demzufolge beuge Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB einer Fehlvorstellung vor.38 Der Kunde mag demnach in Bezug auf die Kausalität vortragen, wegen der unterbliebenen „negativen“ Belehrung sei er in unzutreffender Weise von dem Bestehen eines etwaigen Lösungsrechtes ausgegangen. Hätte der Unternehmer ihn pflichtgemäß darüber informiert, dass ein derartiges Reuerecht ausscheide, hätte er – so der Verbraucher – den Fernabsatzvertrag zum damaligen Zeitpunkt gar nicht bzw. nicht zu den betreffenden Konditionen abgeschlossen. Unterstellt, sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB liegen vor, könnte der Kunde somit im Gewande eines Schadensersatzanspruchs auf der Rechtsfolgenseite aus § 249 Abs. 1 BGB die Aufhebung des Rechtsgeschäfts verlangen. Dies wird man im Ausgangspunkt sicherlich vor dem Hintergrund des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie als zugleich „angemessen“ wie auch „abschreckend“ einstufen müssen. Im Zentrum steht allerdings die Frage, bis wann sich der Verbraucher auf diesem Weg vom Fernabsatzvertrag lösen kann. Im Ausgangspunkt richtet sich der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB nach der regelmäßigen Verjährung in §§ 195, 199 BGB. Nun führt die Missachtung der positiven Belehrung laut Art. 10 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie lediglich dazu, dass etwa beim Prototypen des Dienstleistungsvertrages im Sinne des Art. 2 Nr. 6 die laut Art. 9 Abs. 2 lit. a) des Rechtsakts bestehende Widerrufsfrist auf maximal 12 Monate nach Ablauf von 14 Tagen seit Vertragsschluss verlängert wird. Dem entspricht auf nationaler Ebene § 356 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nur scheint auf den ersten Blick Folgendes ungereimt: Für den Fall eines bestehenden Widerrufsrechts führt die unterblie-

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bene positive Belehrung lediglich zu der Sanktion einer Höchstfrist für die Ausübung des Gestaltungsrechts von 12 Monaten und vierzehn Tagen nach Zustandekommen des Rechtsgeschäfts. Demgegenüber kommt bei einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 lit. k) der Verbraucherrechterichtlinie bzw. § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ein Schadensersatzanspruch in Betracht, welcher der dreijährigen Verjährung in §§ 195, 199 BGB unterfällt. Allerdings darf im Ausgangspunkt nicht der Blick dafür verstellt werden, dass es hier um den unzulässigen Vergleich eines Gestaltungsrechts auf der einen und einer Schadensersatzforderung auf der anderen Seite geht. Die Tatbestandserfordernisse divergieren im hohen Maße. So muss der Unternehmer für § 280 Abs. 1 BGB schuldhaft gegen seine Pflicht aus Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGFB verstoßen und hierdurch kausal beim Verbraucher einen Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB verursacht haben. Dass demnach die Ausübungsfrist des Gestaltungsrechts von der Verjährungsfrist eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB abweicht, bedeutet zunächst nicht per se einen Wertungswiderspruch. Allerdings sind die Vorgaben des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie zu beachten. Als Einfallstor hierfür mag im Ergebnis § 242 BGB dienen, welcher als Verwirkungstatbestand und Einwand neben der Verjährungsfrist der Durchsetzbarkeit einer Forderung entgegenstehen kann. Nun erscheint in der Tat zweifelhaft, ob der Verstoß gegen die lediglich „negative“ Belehrung noch „angemessen“ sanktioniert wird, wenn §§ 195, 199 BGB ohne Einschränkung zur Anwendung gelangen. Allerdings darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass gerade im Hinblick auf Hotelzimmer oder Ferienobjekte der Kunde oftmals Monate im Vorfeld den Fernabsatzvertrag abschließt. Vor diesem Hintergrund erscheint der Fristlauf von 14 Tagen ab Vertragsschluss aus Art. 9 Abs. 2 lit. a) der Verbraucherrechterichtlinie bzw. § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB als 36

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R. Koch in: Erman, § 312d BGB Rn. 68. Das aufgezeigte Arsenal etwaiger Reaktionen Dritter bzw. Sanktionen ist nicht neu. Schon zuvor bestand in Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB eine Informationspflicht über das Nichtbestehen des Widerrufrechts in bestimmten Fallgestaltungen; zu wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die „negative“ Belehrungspflicht vgl. BGH, Urt. v. 09.06.2011 - I ZR 17/10; zu einem Schadensersatzanspruch bezieht Stellung, wenn auch nur als obiter dictum: LG Düsseldorf, Urt. v. 12.02.2014 23 S 111/13 - Rn. 16. Dass wiederum bei einer „positiven“ Belehrungspflicht eine Missachtung wettbewerbsrechtliche Folgerungen zeitigt, belegt BGH, Urt. v. 09.11.2011 - I ZR 123/10. Für diese Fallgestaltung ist auch ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss allgemein anerkannt: BGH, Urt. v. 19.09.2006 - XI ZR 204/04 - Rn. 43; vgl. zum früheren Recht ebenso Wendehorst in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 312c BGB Rn. 139. BGH, Urt. v. 19.09.2006 - XI ZR 204/04 - Rn. 43. R. Koch in: Erman, § 312d BGB Rn. 27.

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Wertungsgesichtspunkt für eine mögliche Verwirkung nach § 242 BGB viel zu kurz bemessen. Laut Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie handelte es sich offensichtlich um keine „angemessene“ bzw. hinreichend „abschreckende“ Maßnahme. Vor dem Hintergrund dieser Parameter mag man andenken, einen richtlinienkonform aufgeladenen Rechtsmissbrauchseinwand auf die Höchstfrist aus Art. 10 Abs. 1 in Kombination mit Art. 9 Abs. 2 lit. a) der Verbraucherrechterichtlinie (bzw. § 356 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB) zu stützen. Den Aufhänger bildete insofern der Dienstleistungsvertrag nach Maßgabe des Art. 2 Nr. 6 des Rechtsakts, welcher als Auffangtatbestand einschlägig wäre, wenn es um die Vermietung von Pkws/Campingmobilen oder die Überlassung von Hotelzimmern/Ferienhäusern oder -wohnungen geht. Dies beträfe gleichermaßen reguläre Unternehmer wie den Sonderfall des Reiseveranstalters als Vertragspartner. Diesem Ansatz muss man jedoch entgegenhalten, dass zwar im Ausgangspunkt der Schadensersatzanspruch den eigenständigen Regeln der Verjährung in den §§ 195, 199 BGB unterworfen bleibt, dann über den Einwand des § 242 BGB letztlich doch wieder eine Korrektur erreicht wird, welche zwar auf Wertungen des Unionsrechts basiert, allerdings im Ergebnis Höchstfristen eines Gestaltungsrechts auf eine Schadensersatzforderung überträgt. Daher soll abschließend eine hiervon abweichende Lösung aufgezeigt werden, welche nicht nur diesen Bedenken Rechnung trägt, sondern mit Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie im Einklang stehen dürfte und gleichermaßen die Schutzbelange der Verbraucher sowie die Unternehmerinteressen beachtet. Zunächst bleibt es bei §§ 195 und 199 BGB als Verjährungsregime, ohne dass über § 242 BGB eine generelle Kappung bei maximal 12 Monaten nach Ablauf von 14 Tagen seit Vertragsschluss erfolgt. Art. 2 Nr. 6 und Art. 9 Abs. 2 lit. a) sowie Art. 10 des Rechtsakts bzw. § 356 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB schlagen daher als Wertungsgesichtspunkte nicht auf die Verjährung des Schadensersatzanspruchs durch, auch nicht über § 242 BGB. Dies erweist sich im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie sicherlich als „abschreckend“. Um aber auch die „Angemessenheit“ zu gewährleisten, erscheint es geboten, dem Unternehmer vor dem Hintergrund von Art. 10 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 lit. a) des Rechtsakts (bzw. 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) die Möglichkeit zu eröffnen, binnen 12 Monaten vom Vertragsschluss die Information nachzuholen. Dann verbleibt dem Verbraucher nunmehr ein Zeitraum von 14 Tagen, gerechnet von dem Tag, an dem er die Information erhalten hat, um den Schadensersatz-

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anspruch nach § 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Nach Verstreichen dieser Frist erweist sich die Geltendmachung der Forderung nach § 242 BGB im Lichte des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie nicht mehr als „angemessen“, sondern vielmehr in richtlinienkonform ausgelegter Weise als rechtsmissbräuchlich. Dieser Ansatz trägt zugleich dem Schutzbedürfnis der Verbraucher Rechnung, hält die Unternehmer zur Rechtstreue an, blendet allerdings auch deren Interessen nicht aus. Weist somit der Unternehmer (Vermieter, Hotelier oder Reiseveranstalter) den Verbraucher nach Abschluss des Fernabsatzvertrages innerhalb von 12 Monaten seit dem Vertragsschluss auf das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts hin, so kann der Kunde nunmehr innerhalb von 14 Tagen nach den §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB und unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast die Aufhebung des Vertrages verlangen. Nach Ablauf dieser Frist steht dem fortan § 242 BGB in richtlinienkonformer Auslegung entgegen. F. Ergebnisse • Bei echten Pauschalreisen im Sinne des § 651a Abs. 1 Satz 1 BGB trifft den Veranstalter Verbrauchern gegenüber bei einem Fernabsatzvertrag wie der Buchung im Internet seit dem 13.06.2014 weder eine positive Belehrung über ein etwaiges Widerrufsrecht noch aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine Pflicht, jene über das Nichtbestehen eines solchen Gestaltungsrechts zu informieren. • Aus § 312 Abs. 2 Nr. 5 BGB folgt, dass auch mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossene Beförderungsverträge nicht widerruflich sind. Bucht der Verbraucher beispielsweise einen Nur-Flug trifft den vertraglichen Luftbeförderer ihm gegenüber ebenso wenig eine „negative“ Belehrungspflicht aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Dies gilt gleichermaßen zugunsten von Reiseveranstaltern, wenn der Verbraucher bei ihnen lediglich eine einzelne Beförderungskomponente wie ein Flugticket im Internet erwirbt. • Schließt indes ein Verbraucher mit einem Unternehmer einen Fernabsatzvertrag, der sich von seinem Gegenstand her auf die Überlassung eines Mietwagens/Campingmobils oder Hotelzimmers/Ferienwohnung bzw. -hauses beschränkt, scheidet zwar nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB ein Widerrufsrecht aus. Allerdings hat der Unternehmer die Informationspflicht aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu beachten. Dies gilt nicht nur für Mietwagenunternehmen und Hotelbetreiber, sondern ohne Einschränkung auch für Reiseveranstalter. Es muss streng zwischen der Analogie der §§ 651a ff. BGB etwa für die Überlassung

JM 03 | von Ferienhäusern oder Hotelzimmern durch den Reiseveranstalter und der „negativen“ Belehrung gegenüber Verbrauchern bei Fernabsatzverträgen unterschieden werden. Die vom BGH befürwortete entsprechende Anwendung der §§ 651a ff. BGB ist eine „überschießende“ Umsetzung zur Pauschalreiserichtlinie und hat mit deren Art. 8 nichts zu tun. Für die Frage der Widerruflichkeit von Fernabsatzverträgen über Einzelkomponenten wie Pkws/Campingmobile sowie Hotelzimmer/Ferienobjekt entscheidet allein die vollharmonisierende Verbraucherrechterichtlinie, so dass die §§ 312 Abs. 2 Nr. 4 lit. a), 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB sowie § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch Reiseveranstaltern wie jedem Unternehmer gegenüber eingreifen. • Der Ausnahmetatbestand in § 312 Abs. 4 lit. a) BGB erfasst gleichermaßen keine Fernabsatzverträge über Gastschulaufenthalte im Sinne des § 651l BGB. Dem steht die Verbraucherrechterichtlinie entgegen. Gastschulaufenthalten nach Maßgabe des § 651l BGB unterfallen nämlich nicht der Pauschalreiserichtlinie und sind auch nicht Ausfluss ihres Art. 8. Es handelt sich auch an dieser Stelle schlichtweg um eine überschießende Umsetzung der deutschen Legislative. Im Ergebnis ist § 312 Abs. 4 lit. a) BGB im Einklang mit der Verbraucherrechterichtlinie nicht auf Gastschulaufenthalte anwendbar. Eine solche richtlinienkonforme Auslegung bzw. Reduktion ist sekundärrechtlich geboten, methodisch zulässig und auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Ob der Reiseveranstalter sich zumindest auf § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BGB berufen kann oder nicht, ist offen und bedarf der Klärung durch den EuGH. Selbst wenn die zuvor genannte Vorschrift Platz greift, bleibt es bei der Informationspflicht aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. • Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie verlangt innerstaatliche Sanktionen, die „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein müssen. Verstößt ein Reiseveranstalter wie jeder andere Unternehmer (Mietwagenunternehmen, Hotelier, etc.) gegen § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 und 3 Nr. 1 EGBGB, droht neben Abmahnung und Unterlassungsansprüchen von Verbraucherschutzverbänden und Wettbewerbsvereinen den Verbrauchern gegenüber eine Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Diese Schadensersatzforderung zielt laut § 249 Abs. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution auf Vertragsaufhebung ab. Für die zeitliche Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs sind die §§ 195 und 199 BGB zu beachten. Im Lichte der Art. 24 Abs. 1 Satz 2, Art. 10 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 lit. a) der Verbraucherrechterichtlinie (bzw. 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) ist den

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Unternehmern wie Reiseveranstaltern allerdings die Möglichkeit zu gewähren, binnen 12 Monaten vom Vertragsschluss die Information über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts nachzuholen. Dann steht es dem Verbraucher frei, innerhalb von 14 Tagen nach den §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB und unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast Schadensersatz in Form der Aufhebung des Fernabsatzvertrages zu verlangen. Danach schließt § 242 BGB in richtlinienkonformer Auslegung die Geltendmachung der Forderung aus.

Unternehmerische Gesellschaftsbeteiligungen als Gegenstand der Testamentsvollstreckung BGH, Urt. v. 13.05.2014 - II ZR 250/12 PD Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur. A. Problemstellung I. Unternehmensnachfolge und Erbrecht Durch den Tod des Gründers oder Teilhabers können Bestand und Fortführung eines Unternehmens gefährdet werden. Ist Trägerin des Unternehmens eine GmbH, so fallen die Geschäftsanteile als vererbliche Rechtsobjekte (§ 15 Abs. 1 GmbHG) in den Nachlass; eine privatautonome Abweichung von § 15 Abs. 1 GmbHG ist unzulässig.1 Auch die Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft als Kommanditist ist ausweislich von § 177 HGB – vorbehaltlich abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen – vererblich.2 Die Gesellschaftsanteile stehen kraft der erbrechtlichen Universalsukzession allen Erben in ihrer gesamthänderischen Bindung gemeinsam zu. Um Konflikte unter den Erben von der unternehmerischen Ebene wirksam abzuschotten, bietet sich eine – auch zeitlich begrenzte – Testamentsvollstreckung an. Einer Zustimmung der Erben bedarf es hierzu nicht.3 Infolge einer die Gesellschaftsanteile umfassenden Testamentsvollstreckung ändert sich zwar nicht die dingliche Zugehörigkeit zum Nachlass bzw. zum Vermögen der Erben. Aber der Testamentsvollstrecker vermag in Unabhängigkeit vom Willen der Erben kraft eigenen Rechts die aus dem Gesellschaftsanteil erwachsenden

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J. Mayer, ZEV 2002, 209. Zu einzelkaufmännischen Unternehmen vgl. Weidlich, NJW 2011, 641 ff. sowie zu Anteilen an einer OHG, (Außen-)GbR und KG, die mit einer persönlichen Gesellschafterhaftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten verbunden sind, vgl. Reimann in: Staudinger, 2012, § 2205 Rn. 106 ff. J. Mayer, ZEV 2002, 209, 210.

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Verwaltungs- und Vermögensrechte wahrzunehmen.4 Die Erben können nicht durch Weisungen auf die Amtsführung des Testamentsvollstreckers einzuwirken.5 Gesellschaftsrechtlich bestehen keine Hinderungsgründe für eine solche Testamentsvollstreckung in Bezug auf Geschäftsanteile einer GmbH oder Kommanditanteile einer KG. In der GmbH kann die Satzung entsprechende Einschränkungen aufstellen6 und dabei auch nur einen Teil der Mitgliedschaftsrechte für eine Wahrnehmung durch den Testamentsvollstrecker öffnen.7 Demgegenüber setzt eine Testamentsvollstreckung an einem Kommanditanteil die Zustimmung der übrigen Gesellschafter – sei es antizipiert im Gesellschaftsvertrag, sei es einzelfallbezogen – voraus.8 Das Verbot der Stimmrechtsabspaltung9 wird nicht verletzt, da nicht nur das Stimmrecht, sondern sämtliche Mitgliedschaftsrechte von einem Dritten ausgeübt werden.10 II. Kompetenzgrenzen des Testamentsvollstreckers In der höchstrichterlichen Rechtsprechung in einem zentralen Bereich noch unbehandelt war bislang der gesetzliche Umfang der Befugnisse des Testamentsvollstreckers bei der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte. Dabei ging es im Kern um die Reichweite eines den Testamentsvollstrecker treffenden Stimmverbots aus § 47 Abs. 4 GmbHG, das auch im Personengesellschaftsrecht Geltung beansprucht.11 Schon 1989 befand der Bundesgerichtshof, dass dieses Verbot, Richter in eigener Sache zu sein, auch die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers beschneide.12 Welche Maßnahmen aber konkret von diesem Ausschlusstatbestand umfasst sind, war Gegenstand der für die amtliche Entscheidungssammlung vorgesehenen Entscheidung des II. Zivilsenats vom 13.05.2014.

Anhaltspunkte. Die Erben fassten dennoch mehrere Beschlüsse sowohl innerhalb der KG als auch der Komplementär-GmbH: Der Sache nach ging es um die Ermächtigung der Erben zur Geltendmachung der behaupteten Schadensersatzansprüche gegen den Testamentsvollstrecker. Teilweise wurde dabei in der KG Beschluss gefasst, ohne die Geschäftsführung der Komplementär-GmbH einbezogen zu haben. II. Vorinstanzliche Urteile Der Testamentsvollstrecker begehrt nunmehr gerichtlich die Feststellung, dass diese Beschlüsse nichtig sind. Die Vorinstanzen13 hatten dem Testamentsvollstrecker bereits die Prozessführungsbefugnis (so das LG Hamburg) oder zumindest das materiell-rechtliche Anfechtungsrecht (so das OLG Hamburg) abgesprochen. Da der Testamentsvollstrecker bei der Beschlussfassung einem Stimmverbot unterlegen hätte, dürfe er auch nicht gegen Einberufungsmängel vorgehen, die diesen Beschlüssen vorhergingen. III. Gründe der Revisionsentscheidung Der erkennende Senat hat demgegenüber die Nichtigkeit sämtlicher vom Testamentsvollstrecker angegriffener Beschlüsse festgestellt. Das den Testamentsvollstrecker treffende Stimmverbot führe nicht dazu, dass auch sonstige Gesellschafterrechte nicht von ihm ausgeübt werden könnten. Allein seine Stimmabgabe sei ausgeschlossen, nicht aber die Einberufung oder die Teilnahme an einer entsprechenden Gesellschafterversammlung. Weiterhin sei der

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B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Sachverhalt der Revisionsentscheidung Die Erblasserin hatte in ihrem Testament ihren langjährigen Vermögensverwalter und Generalbevollmächtigten zum Testamentsvollstrecker für die Dauer von zehn Jahren ernannt. Ihm sollten auch hinsichtlich ihrer Beteiligung an einer GmbH & Co. KG die „weitestgehenden Befugnisse“ zustehen. In der GmbH & Co. KG fungierte sie sowohl als Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH als auch als alleinige Kommanditistin. Der eingesetzte Testamentsvollstrecker war zugleich auch nach dem Erbfall bis 2009 Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Die Erben warfen dem Testamentsvollstrecker vor, seine Pflichten als Geschäftsführer verletzt zu haben und daher der KG zum Schadensersatz verpflichtet zu sein. Ein Gutachten eines unabhängigen Dritten, das nach 2009 von der neuen Geschäftsführung eingeholt wurde, fand hierfür jedoch keine

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BGH, Urt. v. 09.12.1968 - II ZR 57/67 - BGHZ 51, 209, 216 f.; Einzelheiten zur GmbH bei Reichert/Weller in: MünchKomm-GmbHG, 2010, § 15 Rn. 487 ff. BGH, Urt. v. 29.04.1959 - V ZR 11/58 - BGHZ 30, 67, 73; Lange, Erbrecht, 2011, § 63 Rn. 40. Michalski/Ebbing, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 15 Rn. 49, 53; Reimann, ZEV 2014, 521, 522 f., jeweils m.w.N. OLG Frankfurt, Urt. v. 16.09.2008 - 5 U 187/07; Reichert/Weller in: MünchKomm-GmbHG, 2010, § 15 Rn. 486, jeweils m.w.N. J. Mayer in: BeckOK BGB, 2014 (Edition 32), § 2205 Rn. 49 f.; Reimann in: Staudinger, 2012, § 2205 Rn. 126; zu den Rechtsfolgen einer fehlenden Zustimmung vgl. Hübner/Hammes, BB 2013, 2307, 2310 f. m.w.N. Dazu BGH, Urt. v. 10.11.1951 - II ZR 111/50 - BGHZ 3, 354; BGH, Urt. v. 14.05.1956 - II ZR 229/54 - BGHZ 20, 363, 365; BGH, Urt. v. 25.02.1965 - II ZR 287/63 - BGHZ 43, 261, 267; Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 47 Rn. 10 m.w.N. BGH, Beschl. v. 03.07.1989 - II ZB 1/89 - BGHZ 108, 187, 199. Vgl. zur Kommanditgesellschaft BGH, Urt. v. 07.02.2012 - II ZR 230/ 09 - NZG 2012, 625 Rn. 16 m.w.N. BGH, Urt. v. 12.06.1989 - II ZR 246/88 - BGHZ 108, 21, 25. LG Hamburg, Urt. v. 04.10.2010 - 415 HKO 71/10; OLG Hamburg, Urt. v. 04.07.2012 - 11 U 187/10.

JM 03 | Testamentsvollstrecker bei seiner Amtsführung nicht gehalten, die subjektiven Interessen der Erben zu beachten. Ihm komme nach dem Wesen der Testamentsvollstreckung eine „freie Stellung“ (Rn. 26 des Urteils) zu. Die Erben könnten nicht gesellschaftsrechtlich, sondern lediglich über das erbrechtliche Innenverhältnis gegen den Testamentsvollstrecker vorgehen. Hierzu stünde ihnen die Möglichkeit offen, durch Klage oder Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses (vgl. § 2216 Abs. 1 BGB) zu erzwingen. Zu diesen Verwaltungsmaßnahmen zähle auch die Einberufung einer Gesellschafterversammlung auf der Grundlage einer Minderheitenschutzklausel des Gesellschaftsvertrags. C. Bewertung Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist sowohl im Ergebnis als auch in den Leitlinien der Begründung zuzustimmen.14 I. Generelle Stellung des Testamentsvollstreckers Allgemein unterstreicht der erkennende Senat nochmals die machtvolle Stellung des Testamentsvollstreckers, der die Erben von der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in einer Gesellschaft weitgehend15 ausschließt, obwohl ihnen nach den §§ 1922, 2032 ff. BGB die Mitgliedschaft selbst zusteht. Insofern bestätigt das Urteil lediglich die allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur.16 Auch die Annahme eines Verbots, als Testamentsvollstrecker Richter in eigener Sache zu sein, mit Geltung sowohl für die GmbH (§ 47 Abs. 4 GmbHG) als auch für die Personengesellschaften wie die KG stellt kein Neuland dar. Insofern bestätigt der Senat lediglich seine frühere Judikatur aus BGHZ 108, 21 und 187. II. Reichweite des Stimmverbots Weiterhin kommt – wie der BGH zutreffend nunmehr ausführt – dem Stimmverbot aus § 47 Abs. 4 GmbHG keine Fernwirkung solcher Art zu, dass ein Mitwirkungsverbot über die isolierte Stimmabgabe hinaus bestünde. Dem betroffenen Gesellschafter bleibt es insbesondere unbenommen, an der betroffenen Gesellschafterversammlung teilzunehmen17 und somit auf die gesellschaftsinterne Willensbildung einzuwirken. Auch darf der GesellschafterGeschäftsführer zu einer Gesellschafterversammlung einladen, bei der Beschlüsse gefasst werden sollen, an denen er wegen eines Stimmverbots nicht mitwirken darf. Anstelle des von der Abstimmung ausgeschlossenen Testamentsvollstreckers nehmen das Stimmrecht dann ausnahmsweise die Erben wahr.18 Ihre Wahrnehmungsbefugnis für die Mitgliedschaftsrechte lebt damit partiell wieder auf. Das Ziel der Testamentsvollstreckung, den Erben Eingriffe in

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die Unternehmensführung zu verwehren, wird auf diese Weise allerdings in Teilen gefährdet. III. Eine itio in partes von Erb- und Gesellschaftsrecht Als ratio decidendi scheint in den Urteilsgründen deutlich eine Trennung der erbrechtlichen von der gesellschaftsrechtlichen Ebene durch. Die gesellschaftsrechtlichen Befugnisse hatte die Erblasserin zum Wohle des Unternehmens dem Testamentsvollstrecker zur Ausübung zuerkannt. Den Erben sollen insofern nach dem durch die grundrechtliche Testierfreiheit geschützten Willen der Erblasserin gerade keine Zugriffsrechte auf die vererbte unternehmerische Beteiligung zukommen. Die Rechtsposition der Erben beschränkt sich für die Dauer der Testamentsvollstreckung auf ein erbrechtliches, nicht jedoch gesellschaftsrechtliches „Wächteramt“. Gegenüber dem Testamentsvollstrecker können sie im erbrechtlichen Innenverhältnis, nicht aber im gesellschaftsrechtlichen (Außen-) Verhältnis vorgehen. Nur mit dieser eingeschränkten Rechtsstellung hatte sie die Erblasserin bedacht. Primär können sie den Testamentsvollstrecker zur ordnungsgemäßen Verwaltung gerichtlich verpflichten lassen. Sekundär greift eine Schadensersatzpflicht des Testamentsvollstreckers ein. Die Erben und den Testamentsvollstrecker verbindet ein Schuldverhältnis eigener Art;19 darauf basiert die Haftungsanordnung in § 2219 BGB bei schuldhafter Verletzung einer dem Testamentsvollstrecker obliegenden Pflicht. Diese itio in partes von Erb- und Gesellschaftsrecht sichert die Umsetzung des Erblasserwillens ab, der auf eine reibungslose Fortführung des betroffenen Unternehmens gerichtet ist. D. Auswirkungen für die Praxis Der weitgehende Verweis der Erben auf das erbrechtliche Innenverhältnis dürfte zu einer Häufung von Prozessen zwischen Testamentsvollstrecker und Erben über die Ausgestaltung der Nachlassverwaltung führen.20 Diese Verlagerung von Streitigkeiten aus der Gesellschaft heraus in die erbrechtlichen Rechtsverhältnisse liegt jedoch in der Natur der Testamentsvollstreckung und zugleich in der In-

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Ebenso Heckschen/Strnad, NZG 2014, 1201, 1208. Vgl. zu den Grenzen unter anderem §§ 2205 Satz 3, 2206 BGB. Vgl. die Nachweise in Rn. 22 des Urteils. Statt vieler Bayer in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 47 Rn. 28. BGH, Urt. v. 12.06.1989 - II ZR 246/88 - BGHZ 108, 21, 28. BGH, Urt. v. 06.07.1977 - IV ZR 17/76 - BGHZ 69, 235, 238; Lange, Erbrecht, 2011, § 67 Rn. 177. Liebscher/Steinbrück, LMK 2014, 361985.

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tention des eine solche anordnenden Erblassers. Im Ausgangsfall hätte die Erblasserin ihre Erben noch effektiver von der Verwaltung ihrer Unternehmensbeteiligung ausschließen können, wenn sie für den Fall eines Stimmverbots zulasten des Testamentsvollstreckers einen (oder mehrere) Ersatz-Testamentsvollstrecker vorgesehen hätte.21 Hierauf ist bei der Testamentsgestaltung gerade im Lichte dieser BGH-Entscheidung ein Augenmerk zu richten.

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Pflicht der Wohnungseigentümer zur sofortigen Vornahme einer zwingend erforderlichen Instandsetzung BGH, Urt. v. 17.10.2014 - V ZR 9/14 RiLG Dr. Christoph Lafontaine A. Problemstellung Kaum ist ein Haus errichtet, nagen Wasser, Wind und Abnutzung an ihm. Insbesondere, wenn Feuchtigkeit eindringt, entsteht rasch Sanierungsbedarf mit erheblichen Kostenfolgen. Ob, wann und wie dem drohenden Verfall Einhalt geboten wird, entscheidet der Alleineigentümer grundsätzlich nach Belieben (§ 903 BGB). Kommt es in einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu einem Sanierungsbedarf, fallen die Interessen der Wohnungseigentümer nicht selten auseinander, weil manche Wohnungseigentümer weniger leistungsfähig oder anspruchsvoll sind als andere oder weil die einzelnen Einheiten von dem Sanierungsbedarf unterschiedlich stark betroffen sind. Es stellt sich dann die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein einzelner Wohnungseigentümer eine Sanierung erzwingen kann und wer haftet, wenn eine gebotene Sanierung unterblieben ist. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Der Sachverhalt Die Klägerin und die Beklagten bildeten eine Dreier-WEG. In der Kellergeschosswohnung der Klägerin waren Feuchtigkeitsschäden aufgetreten, die zur Unbewohnbarkeit der Wohnung führten. Ursache dafür waren Baumängel am gemeinschaftlichen Eigentum, die entstanden waren, als der Rechtsvorgänger der Klägerin die Kellerräume zulässigerweise in Wohnräume umgebaut hatte. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zustimmung zur Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer an den Kos-

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ten für die Sanierung der Kellergeschosswohnung nach Maßgabe der jeweiligen Miteigentumsanteile sowie zur Bildung einer Sonderumlage. Ferner beanspruchte sie Schadensersatz, weil die Beklagten die Renovierung verzögert hätten. Das Berufungsgericht verneinte diese Ansprüche. Die Belastung mit Kosten von rund 17.500 € bzw. 24.000 € übersteige die Opfergrenze der betagten und finanzschwachen Beklagten, denen teilweise die Zwangsversteigerung drohe. Sie könnten den Schadensverursacher nicht mehr in Regress nehmen und hätten von der Sanierung derzeit keinen Nutzen. II. Die Lösung des Bundesgerichtshofs Der BGH bejaht demgegenüber einen Anspruch auf Durchführung der Sanierung aus § 21 Abs. 4, 5 Nr. 2 WEG. Er führt aus, die Wohnungseigentümer hätten bei Entscheidungen über die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum, bei dessen Wahrnehmung sie das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und im Grundsatz auf die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer Rücksicht nehmen müssten. Der Wohnungseigentümer habe jedoch einen Anspruch auf Durchführung einer sofortigen Instandsetzung gemäß § 21 Abs. 4 WEG, wenn diese zwingend erforderlich sei, also nur ihre Vornahme billigem Ermessen entspreche. Nach Auffassung des Senats spricht schon ein drohendes Übergreifen der Feuchtigkeitsschäden auf den übrigen Kellerbereich dafür, dass die Sanierung durchgeführt werden muss. Jedenfalls ergebe sich eine zwingende Pflicht zum Handeln aus der andauernden Unbewohnbarkeit des Sondereigentums. Für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten (oder des Alters) einzelner Wohnungseigentümer sei kein Raum, wenn nur die sofortige Vornahme der zur Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlichen Sanierungsmaßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Die Beklagten könnten die Kosten auch nicht nach § 16 Abs. 4 WEG auf die Klägerin abwälzen. Sie müssten auch der Bildung einer Sonderumlage zustimmen. Gerade wenn finanzielle Schwierigkeiten bestehen, sei es ein Gebot ordnungsgemäßer Verwaltung, die Mittel im Vorwege sicherzustellen. Nach Auffassung des Senats machen sich diejenigen Wohnungseigentümer, die schuldhaft entweder untätig geblieben sind oder gegen die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich enthalten haben, gemäß § 280 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. § 286 BGB, § 21 Abs. 4 WEG schadensersatzpflichtig. Aus der gegenseitigen Treuepflicht könne sich ausnahmsweise die Pflicht zur Teilnahme an der Eigentü-

JM 03 | merversammlung und zur Mitwirkung an der Willensbildung ergeben, wenn nur die sofortige Vornahme einer bestimmten Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht und diese von einem Wohnungseigentümer verlangt wird. Die bislang offen gelassene1 Frage, ob bei verzögerter Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums die säumigen Wohnungseigentümer,2 der Verband3 oder beide4 haften, entscheidet der Senat im ersteren Sinn. Die verletzte Mitwirkungspflicht sei nicht gemeinschaftsbezogen i.S.v. von § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG, sondern betreffe ausschließlich die interne Willensbildung und sei individuell, nicht gemeinschaftlich zu erfüllen. C. Kontext der Entscheidung

Maßstab für die Instandsetzungspflichten der Wohnungseigentümer ist die ordnungsgemäße Verwaltung (§ 21 Abs. 3, 4, 5 Nr. 2 WEG). Sie richtet sich nach der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 21 Abs. 3 WEG) und dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer (§ 21 Abs. 4 WEG).5 Danach entspricht eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn sie sich bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls als nützlich erweist, d.h. wenn sie nach einer an den konkreten Bedürfnissen und Möglichkeiten der Gemeinschaft ausgerichteten Kosten-Nutzen-Analyse und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft vertretbar ist.6 Bei der Ausfüllung dieser Kriterien kommt den Wohnungseigentümern ein Ermessen zu.7 Wenn der Senat betont, dass im Rahmen der Abwägung auch auf die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer Rücksicht zu nehmen ist, entspricht das gefestigter Rechtsprechung.8 Ebenso ist im Grundsatz anerkannt, dass sich das Ermessen auf Null reduziert, wenn nur die sofortige Vornahme einer zwingend erforderlichen Instandsetzung billigem Ermessen entspricht.9 Solches ist etwa in Fällen angenommen, in denen eine Sanierung angesichts einer fortschreitenden Verschlechterung des Bauzustandes unaufschiebbar war,10 eine öffentlich-rechtliche11 Pflicht zum Tätigwerden bestand12 oder eine Maßnahme zur erstmaligen Herstellung des planmäßigen Zustandes erforderlich war.13 2. Ermessensreduktion bei Beeinträchtigung des Eigentums Dass der Senat im vorliegenden Fall, in dem eine Wohneinheit seit geraumer Zeit vollständig unbewohnbar war, eine Ermessensreduzierung angenommen hat, überrascht nicht. Eine Sanierungspflicht zu verneinen, wäre hier faktisch darauf hinausgelaufen, das Eigentum14 der Klägerin

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vollständig zu entwerten. § 21 Abs. 4 WEG soll den Wohnungseigentümer vor einer solchen Willkür der Mehrheit schützen.15 Wie aber wäre zu entscheiden, wenn die Nutzungsmöglichkeit des Wohnungseigentums – wie häufig – nicht vollständig aufgehoben wäre, sondern nur einzelne Räume ganz oder hinsichtlich bestimmter Nutzungen unbrauchbar wären? Hätte die individuelle Leistungs(un)fähigkeit der Wohnungseigentümer dann im Rahmen einer Abwägung gegenüber der (geringeren) Schwere der Beeinträchtigungen den Ausschlag geben können?

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I. Die Pflicht zur Instandsetzung 1. Grundsätze des Gestaltungsermessens

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Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11. So etwa LG Hamburg, Urt. v. 31.08.2011 - 318 S 258/10; LG Saarbrücken, Urt. v. 07.09.2012 - 5 S 23/11; AG Oberhausen, Urt. v. 14.05.2013 - 34 C 9/13. So Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 10. Aufl., § 10 Rn. 87; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 21 Rn. 183; Abramenko, ZMR 2013, 174, 175. So etwa OLG München, Beschl. v. 26.10.2010 - 32 Wx 26/10; Merle in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 21 Rn. 61. Vgl. Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 21 Rn. 72; vgl. auch KG, Beschl. v. 16.04.2009 - 24 W 93/08; BayObLG, Beschl. v. 23.12.2003 - 2Z BR 236/03; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.03.2000 - 2 W 140/99; LG München, Urt. v. 10.01.2013 - 36 S 8058/12. Vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 30.10.2008 - 3 W 845/08; OLG München, Beschl. v. 25.01.2006 - 34 Wx 114/05; BayObLG, Beschl. v. 10.04.2002 - 2Z BR 70/01. Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11; BGH, Urt. v. 08.07.2011 V ZR 176/10; BGH, Urt. v. 09.03.2012 - V ZR 161/11; OLG München, Beschl. v. 27.09.2006 - 34 Wx 59/06; OLG Hamm, Beschl. v. 18.09.2006 - 15 W 99/2006; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.07.2003 20 W 342/2000; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.01.1999 - 3 Wx 394/ 98. Vgl. OLG München, Beschl. v. 25.01.2006 - 34 Wx 114/05; BayObLG, Beschl. v. 31.03.2004 - 2Z BR 241/03; BayObLG, Beschl. v. 31.03.2004 - 2Z BR 241/03; OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.12.2003 20 W 297/01; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.07.2003 - 20 W 342/ 2000; LG Hamburg, Urt. v. 10.04.2013 - 318 S 87/12; LG Dortmund, Urt. v. 31.01.2013 - 17 S 103/12; LG Bielefeld, Beschl. v. 15.06.2011 - 23 T 442/10; LG Bremen, Urt. v. 25.03.2011 - 4 S 75/10; LG Köln, Beschl. v. 12.04.2010 - 29 T 72/09. Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11; BGH, Urt. v. 09.03.2012 V ZR 161/11; LG Berlin, Urt. v. 01.11.2013 - 55 S 184/11.WEG; LG Hamburg, Urt. v. 10.04.2013 - 318 S 91/12. Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.12.2005 - 20 W 441/03; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.03.2003 - 20 W 283/01; BayObLG, Beschl. v. 10.04.2002 - 2Z BR 70/01; LG Hamburg, Urt. v. 10.04.2013 - 318 S 91/12. Denkbar erscheint Gleiches für privatrechtliche Pflichten, zu Beispielen vgl. Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 21 WEG Rn. 176 ff. Vgl. OLG München, Beschl. v. 25.01.2006 - 34 Wx 114/05. Vgl. LG Hamburg, Urt. v. 25.04.2012 - 318 S 109/11; einschränkend aber BayObLG, Beschl. v. 20.03.2002 - 2Z BR 178/01; OLG Hamburg, Beschl. v. 25.02.2002 - 2 Wx 94/01; BayObLG, Beschl. v. 09.05.1996 - 2 Z BR 18/96. Es handelt sich immerhin um echtes Eigentum, vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1991 - V ZB 27/90; BGH, Beschl. v. 17.01.1968 - V ZB 9/67. Vgl. Heinemann in: Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 41.

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Die Entscheidung gibt hierauf keine ausdrückliche Antwort. Der Senat hat zwar entschieden, dass für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten kein Raum ist, wenn die sofortige Vornahme einer Maßnahme zwingend geboten ist. Das ist aber selbstverständlich. Denn die Ermessensreduktion tritt schon mit der vorgelagerten Frage ein, ob die sofortige Vornahme der Maßnahme zwingend geboten ist. Für die Entscheidung dieser Vorfrage stellt der Senat indes – wohl angesichts der massiven Betroffenheit der Klägerin – keine allgemeinen Grundsätze auf. Soweit der Senat in den nicht tragenden Gründen auf ein drohendes Übergreifen der Feuchtigkeitsschäden verweist, billigt er im Ansatz stillschweigend die Rechtsprechung16, wonach eine sofortige Sanierung wegen einer fortschreitenden Verschlechterung des Bauzustandes unaufschiebbar sein kann. Soweit der Senat das tragende Argument für die Ermessensreduktion in der anhaltenden Unbewohnbarkeit sieht, die nur durch eine Sanierung behoben werden kann, bleibt allerdings offen, ob die Nutzungsbeeinträchtigung einer Abwägung mit der individuellen Leistungsfähigkeit grundsätzlich zugänglich war. Unproblematisch kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein bestehendes Ermessen zwischen mehreren sonst ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechenden Optionen reduzieren. So können etwa existenzielle wirtschaftliche Schwierigkeiten der Wohnungseigentümer dazu führen, dass ein eigentlich vertretbarer Neuanstrich der Fassade zurückgestellt werden muss, wenn diese nur mäßig verschmutzt ist. Manche Belange sind indes gegenüber dem Aspekt der Leistungsfähigkeit abwägungsfest und reduzieren ihrerseits das Gestaltungsermessen. Der im Außenverhältnis sinngemäß geltende Grundsatz „Geld hat man zu haben“17 duldet etwa nicht, dass die Gemeinschaft öffentlich-rechtliche Pflichten mit Rücksicht auf finanzielle Schwierigkeiten im Innenverhältnis schuldig bleibt. Gleiches gilt grundsätzlich aber auch dann, wenn ein Wohnungseigentümer die Beseitigung einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung seiner ihm dinglich gewährleisteten Nutzungsmöglichkeiten verlangt.18 Die sachenrechtliche Zuordnung des Eigentums und der wesentliche Inhalt der von der Teilungserklärung vorgesehenen Nutzung des Wohnungseigentums sind einem Eingriff durch Mehrheitsbeschluss unzugänglich.19 Das gilt nicht nur für nutzungsregelnde Beschlüsse, sondern im Sinne der verfassungskonformen Effektivierung des Eigentumsschutzes auch für Beschlüsse, die die Nutzung faktisch einschränken. Bei dem „Wann“ und „Wie“ der Sanierung zeigt sich die Praxis allerdings recht flexibel. So wird formuliert, die Sanierung müsse „in einem angemessenen zeitlichen Rahmen“20 erfolgen. Dabei wird es als zulässig erachtet, im Rahmen eines Gesamtsanierungskonzepts eine fortlaufend

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überprüfte Prioritätenliste aufzustellen und sukzessive abzuarbeiten.21 Auch dürfen die mit einem – gutachtlich dokumentierten – Schaden konfrontierten Wohnungseigentümer zunächst ein weiteres Gutachten einholen, um sich über den Befund zu vergewissern und zweckmäßige Maßnahmen zu ermitteln.22 Daraus ergeben sich faktisch vielfältige Verzögerungsmöglichkeiten. Der Anspruch aus § 21 Abs. 4 WEG ist indes sofort fällig. Der beeinträchtigte Wohnungseigentümer kann deshalb auch bei einem solchen Vorgehen verlangen, dass vermeidbare Verzögerungen unterbleiben. 3. Einschränkungen aus Treu und Glauben Der Anspruch aus § 21 Abs. 4 WEG kann allerdings nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eingeschränkt sein.23 Solches wurde anerkannt, wenn die Herstellung eines dem Aufteilungsplan entsprechenden Zustandes nur durch tiefgreifende Eingriffe in das Bauwerk verwirklicht werden kann.24 M.E. ist das auf den Fall übertragbar, dass der Sanierungsaufwand ganz außer Verhältnis zu der Beeinträchtigung liegt, selbst wenn es sich um eine Beeinträchtigung

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Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.12.2005 - 20 W 441/03; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.03.2003 - 20 W 283/01; BayObLG, Beschl. v. 10.04.2002 - 2Z BR 70/01; LG Hamburg, Urt. v. 10.04.2013 - 318 S 91/12. Er beschreibt im Kern allerdings nur die Einstandspflicht für die finanzielle Leistungsfähigkeit hinsichtlich eingegangener Geldverbindlichkeiten, vgl. Huber in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Neubearb. 2014, D Rn. 106. Anders in der Sache aber noch BGH, Urt. v. 20.07.2005 - VIII ZR 3428/03; LG Köln, Beschl. v. 12.04.2010 - 29 T 7/09; Heinemann in: Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 76; wohl auch Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 21 WEG Rn. 294. Vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2012 - V ZR 189/11; BGH, Urt. v. 04.04.2003 - V ZR 322/02; BGH, Beschl. v. 22.01.2004 - V ZB 51/03; BGH, Beschl. v. 20.09.2000 - V ZB 58/99; BGH, Beschl. v. 04.05.1995 V ZB 5/95. Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 04.12.20009 - 2 Wx 34/09; OLG München, Beschl. v. 18.02.2009 - 32 Wx 120/08; BayObLG, Beschl. v. 02.05.2002 - 2Z BR 27/02; ähnlich OLG Braunschweig, Beschl. v. 29.08.1989 - 3 W 27/89. Vgl. BGH, Urt. v. 09.03.2012 - V ZR 161/11; OLG Hamburg, Beschl. v. 07.10.2009 - 2 Wx 58/09; KG, Beschl. v. 01.10.1990 - 24 W 2161/90; LG Düsseldorf, Urt. v. 14.03.2013 - 19 S 88/12; Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 21 WEG Rn. 82; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl. 2012, § 21 Rn. 23; Heinemann in: Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 76. Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11. Vgl. BayObLG, Beschl. v. 20.03.2002 - 2Z BR 178/01; BayObLG, Beschl. v. 23.05.2001 - 2Z BR 99/00; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 21 Rn. 119; Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 21 WEG Rn. 99. Vgl. BayObLG, Beschl. v. 18.09.2002 - 2Z BR 39/02; BayObLG, Beschl. v. 26.08.1999 - 2Z BR 66/99; BayObLG, Beschl. v. 09.05.1996 - 2Z BR 18/96; BayObLG, Beschl. v. 15.12.1989 - BReg 2 Z 130/89.

JM 03 | von einigem Gewicht handelt. Ist der Bestand der Bausubstanz nicht gefährdet, können sich Fälle ergeben, in denen ein verständiger Alleineigentümer an der Stelle der Gemeinschaft nach einer entsprechenden Kosten-NutzenAnalyse die Nutzung der betroffenen Räume verständigerweise eher einstellen als sie aufwendig sanieren würde. Dass das Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer (§ 21 Abs. 4 WEG) weiterreichende Sanierungspflichten begründen sollte als es dem verständigen Interesse eines Alleineigentümers entspräche, ist wertungsmäßig nicht ohne weiteres einsichtig. § 21 Abs. 4 WEG soll zwar das Eigentum des Einzelnen gegen die Willkür der Mehrheit schützen, nicht aber das Eigentum der Übrigen der Willkür des Einzelnen unterwerfen. Eine Lösung des Interessenkonflikts könnte in diesen Fällen u.U. darin bestehen, den Sanierungsanspruch nach § 242 BGB zu verwehren, dem betroffenen Sondereigentümer aber den dadurch entstehenden Nachteil auszugleichen. Solches ist in Fällen, in denen die erstmalige Herstellung eines plangemäßen Zustandes unverhältnismäßigen Aufwand erfordert hätte, angenommen worden.25 Diese „Liquidationslösung“ muss aber auf extreme Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Denn sie erfordert von dem zufällig betroffenen Wohnungseigentümer ein Sonderopfer in seinem verfassungsmäßig geschützten Eigentum. 4. Pflicht zur ewigen Instandsetzung? Die angerissenen Probleme lassen die Schwierigkeiten erahnen, die in alternden Gemeinschaften zunehmend zu erwarten sind. Die Instandsetzungspflicht nach § 21 WEG sichert den Investitionsschutz und das Eigentum des Einzelnen bis zur äußersten Schmerzgrenze der Gemeinschaft. In Verbindung mit der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft (§ 11 Abs. 1 WEG) perpetuiert sie den Immobilienbestand allerdings auch zeitlich unbegrenzt. Indes haben auch Immobilien eine natürliche Lebenserwartung. Ihre künstliche Verlängerung ist zwar technisch möglich, erfordert aber einen Aufwand, der – auch unter Berücksichtigung sich wandelnder Bedürfnisse – außer Verhältnis zu dem damit verbunden Ertrag stehen kann. Das gemessen an der Lebenserwartung massiver Gebäude noch recht junge WEG26 hält keine wirklich praktikable Lösung für den Fall bereit, dass einzelne Wohnungseigentümer auf einen solch unvernünftigen Erhalt pochen. Möglicherweise wird man deshalb eines Tages für solche Konstellationen einen Bedarf für die Einführung eines gesetzlichen „Squeeze-out“27 erkennen. II. Die Schadensersatzpflicht Dass die schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Mitwirkung an einer ordnungsgemäßen Verwaltung nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB, § 21 Abs. 4 WEG schadensersatzpflich-

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tig macht, ist im Grundsatz anerkannt.28 Umstritten und vom Bundesgerichtshof zuletzt dezidiert offen gelassen worden29 war die Frage, ob der Verband selbst zur ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet ist. Da der Verband rechtsfähig ist, kann er selbst originärer Schuldner einer Pflicht sein. Daneben sieht § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG die Wahrnehmung der Pflichten der Wohnungseigentümer – also fremder Pflichten – durch den Verband vor, wenn es sich um „gemeinschaftsbezogene Pflichten“ handelt.30 Da es an einer ausdrücklich bestimmten (vgl. § 10 Abs. 1 WEG) Pflicht des Verbandes in § 21 Abs. 1 WEG gerade fehlt, konnte hier allenfalls die Wahrnehmung fremder Pflichten durch den Verband in Frage stehen. Eine „gemeinschaftliche“ Pflicht liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn eine Verpflichtung, die im Außenverhältnis alle Wohnungseigentümer gleichermaßen trifft, nach der Interessenlage ein gemeinsames Vorgehen erfordert.31 Solches hat der BGH etwa für die Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten32, die Erfüllung von öffentlichrechtlichen Pflichten33 oder von Abgabenverbindlichkeiten, die an das gemeinschaftliche Eigentum anknüpfen,34 angenommen. Dass der Senat die gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern bestehende Pflicht zur Mitwirkung an einer Sanierung nicht als gemeinschaftsbezogen ansieht, liegt in der Konsequenz der Rechtsprechung, die § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG ausschließlich auf das Außenverhältnis bezieht.35 Sie überzeugt. Die Teilnahme des Wohnungseigentümers an der Verwaltung des gemeinschaftlichen

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Vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 05.08.2003 - 2 W 144/02; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.02.2003 - 3 Wx 325/02; BayObLG, Beschl. v. 15.12.1989 - BReg 2 Z 130/89; OLG Celle, Urt. v. 15.06.1979 - 4 U 30/79; LG München, Beschl. v. 21.08.2009 - 36 T 11136/08. Vgl. Lafontaine in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 10 WEG Rn. 3 ff. Vgl. die Literatur zu § 327a ff. AktG, etwa Hüffer, AktG, 11. Aufl. 2014, § 327a Rn. 1 ff.; zu den Voraussetzungen einer verfassungskonformen Ausgestaltung vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 23.08.2000 1 BvR 68/95; BVerfG, Beschl. v. 27.04.1999 - 1 BvR 1613/94; BVerfG, Urt. v. 07.08.1962 - 1 BvL 16/60. Vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 06.01.2010 - 2 U 781/09; OLG München, Beschl. v. 18.02.2009 - 32 Wx 120/08; OLG München, Beschl. v. 28.11.2008 - 34 Wx 24/07. Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11. Da diese Wahrnehmungsbefugnis über eine prozessrechtliche Prozessführungsbefugnis hinausgeht, kann man sich fragen, ob sie damit nicht auch eigene materiellrechtliche Pflichten des Verbandes begründet. Vgl. BGH, Urt. v. 14.02.2014 - V ZR 100/13; BGH, Urt. v. 08.02.2013 - V ZR 238/11; BGH, Urt. v. 17.12.2010 - V ZR 125/10. Vgl. BGH, Urt. v. 09.03.2012 - V ZR 161/11; BGH, Urt. v. 08.02.2013 - V ZR 238/11. Vgl. BGH, Urt. v. 08.02.2013 - V ZR 238/11 (Rauchmelder). Vgl. BGH, Urt. v. 14.02.2014 - V ZR 100/13. So auch schon die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/887, S. 61.

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Eigentums ist Ausdruck der aus dem Eigentum fließenden Mitbestimmungsrechte, die allein das Innenverhältnis betreffen. Dass der Anspruchsteller in der Konsequenz die übrigen Wohnungseigentümer einzeln in Anspruch nehmen muss, ist mühsam,36 aber notwendige Folge der gesetzlichen Konstruktion, die die Verwaltung nicht in die Hände eines Geschäftsführers, sondern in die der Wohnungseigentümer legt. D. Auswirkungen für die Praxis I. Folgen für den Erwerb von Wohnungseigentum Ein gewisser Schutz vor einem unkalkulierbaren Sanierungsrisiko kann erreicht werden, wenn schon bei der Begründung des Wohnungseigentums klar und eindeutig37 vereinbart wird, dass einzelne Wohnungseigentümer bestimmte Teile des gemeinschaftlichen Eigentums instand zu halten oder jedenfalls die Kosten dafür zu tragen haben.38 Hält man § 27 Abs. 4 WEG für dispositiv,39 können Instandhaltungspflichten auch abbedungen werden, etwa Mindestfristen für Schönheitsreparaturen vereinbart werden. Einschränkungen, die den Kernbestand der Nutzungsbefugnisse berühren, sind jedoch mit Blick auf die Vereinbarungskompetenz problematisch und überdies selten zweckmäßig. Je nach beabsichtigter Nutzung kann u.U. sogar die Vereinbarung einer gesteigerten Instandhaltungspflicht sinnvoll sein. Weiter zeigt der Fall, dass schon bei der Vereinbarung von Ausbau- und Aufteilungsrechten für Keller, Spitzböden u. dgl. zu prüfen ist, ob sich diese nach ihrer Beschaffenheit für die eröffnete Nutzung eignen. Der erwerbende Wohnungseigentümer sollte zur Vermeidung seiner Haftung die Mangelfreiheit des gemeinschaftlichen Eigentums auch insoweit prüfen, als er dieses selbst nicht nutzt. Neuralgische Punkte sind z.B. Dach, Balkone und Keller. Ferner ist darauf zu achten, dass Mängel (auch gegenüber einem Ausbauberechtigten)40 rechtzeitig erkannt und gegenüber Bauunternehmern geltend gemacht werden. Denn die mangelnde Durchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen entlastet den Wohnungseigentümer nicht. Allgemeine Vorsicht ist schließlich beim Erwerb alter oder schlechterhaltener Bausubstanz oder bei einer wenig leistungsfähigen oder investitionsbereiten Gemeinschaft geboten.

wäre.41 In einigermaßen dringlichen Fällen kann der Wohnungseigentümer den Verwalter auffordern, die zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlichen Notmaßnahmen selbst zu beauftragen (§ 27 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 3 WEG). Ansonsten fordert er den Verwalter unter Übersendung der Schadensdokumentation auf, die Wohnungseigentümer zu informieren und eine Eigentümerversammlung zur Beschlussfassung über die gebotene Sanierung42 einzuberufen. Zwar erreicht der Einzelne meist nicht das Einberufungsquorum (§ 24 Abs. 2 WEG). Aber bei dringendem Beschlussbedarf hat er einen Anspruch darauf, dass der Verwalter im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung eine Versammlung einberuft.43 Weigert sich der Verwalter, kann der Wohnungseigentümer, anstatt diesen Anspruch einzuklagen, die übrigen Wohnungseigentümer unmittelbar (und nachweisbar) auffordern, eine Eigentümerversammlung einzuberufen und über die Sanierung zu beschließen. Beschließen die Wohnungseigentümer daraufhin, keine Sanierung vorzunehmen, oder fassen sie einen ungenügenden Beschluss, muss der Wohnungseigentümer diesen Beschluss nach h.M. anfechten, um nicht mit Schadensersatzansprüchen ausgeschlossen zu sein.44 Fassen die 36

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II. Folgen für den Geschädigten Der beeinträchtigte Wohnungseigentümer sollte den Schaden dokumentieren und ggf. begutachten lassen. Zur Selbstvornahme von Notmaßnahmen (§ 21 Abs. 1 WEG) ist er nur berechtigt, wenn ausnahmsweise selbst ein Zuwarten auf das Tätigwerden des Verwalters oder die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer unzumutbar

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Kritisch deshalb etwa Elzer, ZMR 2006, 625, 629; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 21 WEG Rn. 182 ff. Zu diesem Erfordernis etwa BGH, Beschl. v. 22.11.2013 - V ZR 46/13; BGH, Beschl. v. 02.03.2012 - V ZR 174/11; KG, Beschl. v. 22.09.2008 - 24 W 83/07; weitere Beispiele etwa bei BayObLG, Beschl. v. 23.02.1995 - 2Z BR 129/94; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.05.2000 3 Wx 80/00. So etwa bei OLG München, Beschl. v. 27.09.2006 - 34 Wx 59/06; OLG Hamm, Beschl. v. 13.08.1996 - 15 W 115/96. So etwa Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 10. Aufl. 2013, § 21 Rn. 50; Merle in: Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 21 Rn. 51; Heinemann in: Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 41; Spielbauer/Then WEG, 2. Aufl. 2012, § 21 Rn. 1; einschränkend Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 21 WEG Rn. 18. Seine baulichen Pflichten gehen nicht auf den Einzelrechtsnachfolger über, vgl. KG, Beschl. v. 28.02.2000 - 24 W 8820/98. Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 04.09.2008 - 20 W 347/05; OLG Hamburg, Beschl. v. 16.11.2006 - 2 Wx 35/05; OLG Celle, Beschl. v. 20.12.2001 - 4 W 286/01. Die Maßnahme wird dabei nicht konkret ausformuliert, da Ermessen bestehen kann. Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.08.2008 - 20 W 426/05; OLG Köln, Beschl. v. 15.03.2004 - 16 Wx 245/03; LG Hamburg, Urt. v. 27.06.2012 - 318 S 196/11; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 24 Rn. 67; kritisch aber Elzer in: Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 24 Rn. 31. So BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11; BGH, Urt. v. 03.02.2012 V ZR 83/11; BGH, Urt. v. 13.05.2011 - V ZR 202/10; kritisch hierzu OLG München, Beschl. v. 18.02.2009 - 32 Wx 120/08; Elzer, NZM 2012, 718, 719; Vandenhouten in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 10. Aufl. 2013, § 21 Rn. 79; Derleder, NJW 2012, 3132, 3133.

JM 03 | Wohnungseigentümer gar keinen Beschluss, kann der Wohnungseigentümer seinen Anspruch nach § 21 Abs. 4 WEG gegen die untätigen Wohnungseigentümer klageweise45 geltend machen.46 Freilich begründet i.d.R. erst die erfolglose Vorbefassung der Eigentümerversammlung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Etwas anderes gilt nur, wenn die Befassung eine unnötige Förmelei wäre, weil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit finden wird.47 Das ist aber nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Einberufung einer außerordentlichen Versammlung am erforderlichen Quorum scheitert. Der Wohnungseigentümer sollte deshalb in jedem Fall sein Anliegen zur nächsten turnusgemäßen Versammlung anmelden. Für die Klage nach § 21 Abs. 4 WEG wie auch für die Schadensersatzklage muss der Kläger wissen, welche Wohnungseigentümer sein Anliegen nicht in der gebotenen Weise unterstützt haben. Die Versammlungsniederschrift (§ 24 Abs. 4 WEG) ist ihm dabei keine Hilfe, da sie das Abstimmungsergebnis nicht namentlich festhält.48 Der Wohnungseigentümer sollte zumindest versuchen, unter Hinweis auf die Beweissicherungsfunktion der Niederschrift49 eine namentliche Protokollierung zu erwirken. Aber selbst dann ergibt sich aus der Niederschrift nicht, ob ein abwesender Wohnungseigentümer ausnahmsweise entschuldigt ist. Der Geschädigte wird die Wohnungseigentümer vor einer Klage deshalb auffordern, sich zu erklären.

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III. Folgen für Verwalter und übrige Wohnungseigentümer Der Verwalter muss einen gemeldeten Sanierungsbedarf überprüfen, ggf. die Wohnungseigentümer informieren, eine Eigentümerversammlung einberufen und einen Beschluss vorbereiten. Auch der zur Mitwirkung aufgeforderte Wohnungseigentümer darf nicht untätig bleiben, sondern muss den Sanierungsbedarf überprüfen. Kann er ihn selbst nicht beurteilen oder bestätigt sich der Sanierungsbedarf, muss er die Einberufung einer Eigentümerversammlung beantragen, hieran teilnehmen und für die gebotenen Maßnahmen stimmen. Der Verwalter muss einen Sanierungsbeschluss zügig umsetzen. Ansonsten macht er sich gegenüber den Wohnungseigentümern und dem Verband schadensersatzpflichtig.50

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Eine Leistungsverfügung ist nur ganz ausnahmsweise möglich, vgl. OLG Hamm, Urt. v. 06.06.2013 - 2 W 11/13; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.05.2012 - 4 U 246/11; OLG München, Beschl. v. 24.02.2010 14 W 14/10. Dazu schon Elzer, NZM 2012, 718, 718 f. Vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2014 - V ZR 9/14; BGH, Urt. v. 27.04.2012 V ZR 177/11; BGH, Urt. v. 15.01.2010 - V ZR 114/09. Vgl. zu dem Mindestinhalt etwa Bub in: Staudinger, BGB, 2005, § 24 WEG Rn. 114; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 24 WEG Rn. 168 ff. Vgl. BayObLG, Beschl. v. 12.07.2001 - 2Z BR 139/00. Vgl. Elzer, NZM 2012, 718, 720; Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 21 WEG Rn. 319 ff.

Arbeitsrecht

Es lebe der kleine Unterschied – Zur Renaissance der tariflichen Differenzierungsklausel VPräsLAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb A. Einleitung Das Problem der Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in Tarifverträgen ist so alt wie das Tarifrecht selbst.1 Mit der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BAG vom 29.11.19672 war das Thema bis auf weiteres in dem Sinne erledigt, dass zwischen den bei der vertragsschließenden Gewerkschaft organisierten und anders oder nicht organisierten Arbeitnehmern nicht unterschieden werden durfte. Im historischen Ausgangsfall ging es darum, die Gewerkschaftsmitglieder beim tariflichen Urlaubsgeld zu bevorzugen. Zur Absicherung dieses Sondervorteils sollte dem Arbeitgeber verboten werden, die Differenz

durch zusätzliche Leistungen an die Nichtorganisierten auszugleichen. In der Vorenthaltung des vollen Urlaubsgeldes sah das BAG – unabhängig von der Höhe der Differenz – einen unzulässigen Druck zum Gewerkschaftsbeitritt, der gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter verstoße. Eine solche Differenzierung sei der tariflichen Regelungsmacht entzogen.

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Vgl. grundlegend Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, Berlin 1966. BAG, Beschl. v. 29.11.1967 - GS 1/67.

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Die Monatszeitschrift

Neues Leben hat die Debatte um die Möglichkeit oder sogar Notwendigkeit von Sondervorteilen für Gewerkschaftsmitglieder seit der vielfach beklagten Erosion des Tarifvertrags und der damit einhergehenden Schwächung der Verbände bekommen.3 Der Organisationsgrad der Gewerkschaften ist deutlich zurückgegangen und daher die Mitgliederwerbung wichtiger denn je. Es überrascht somit nicht, dass sich die Versuche mehren, durch bestimmte Regelungen in Tarifverträgen Belohnungen für Mitglieder sicherzustellen und damit gleichzeitig einen Anreiz für Beitritte zu schaffen. Not macht erfinderisch und setzt kreative Kräfte frei. Fraglich ist, welche Differenzierungen – noch – zulässig sind. Der Große Senat hat bekanntlich den Satz geprägt, niemand brauche sozialinadäquaten Druck hinzunehmen. Das Gerechtigkeitsempfinden werde gröblich verletzt, wenn die Gewährung des Urlaubs, Urlaubsentgelts und zusätzlichen Urlaubsgeldes und ähnlicher tariflicher Leistungen von Fragen der Organisationszugehörigkeit abhängig gemacht werde. Deshalb übten derartige Differenzierungsklauseln einen sozialinadäquaten Druck aus, den anders und nicht Organisierte ebenso wenig hinzunehmen bräuchten, wie Organisierte es nicht hinzunehmen bräuchten, wenn ein Arbeitgeber Nichtorganisierte generell besser bezahlen würde als Organisierte.4 Hat sich das Gerechtigkeitsempfinden und das Verständnis von sozialer Adäquanz möglicherweise seit 1967 verändert? B. Die neuen Erscheinungsformen I. Der Umweg über gewerkschaftsnahe Vereine 1. Sonderzuwendungen für Härtefälle Die Entscheidung des LAG Köln vom 17.01.20085 betraf den Fall, dass Arbeitgeber und Gewerkschaft im Rahmen eines Beschäftigungsbündnisses zunächst einen Härtefallfonds gründeten, aus dem Arbeitnehmer des Unternehmens zur Milderung von Härtefällen Zahlungen erhalten sollten. Einige Zeit später kam dann eine „schuldrechtliche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien zur Verwendung des Härtefallfonds“ zustande, die u.a. Folgendes beinhaltete: „Im Rahmen des Beschäftigungsbündnisses im Jahre 2004 haben die Tarifvertragsparteien gemeinsam festgelegt, dass über die nicht verwendeten Mittel aus dem Härtefallfonds gemeinsam zu entscheiden ist. Diese nicht verbrauchten Mittel in Höhe von 9,3 Mio. € sollen weiterhin einer sozialen Zweckbindung zugeführt werden. Sie werden hierzu einem von ver.di neu zu gründenden Verein oder einem von ver.di zu benennenden gemeinnützigen Verein als Spende überwiesen. Ver.di-Mitglieder können Mittel aus dem Fonds auf Antrag erhalten. Diese Mittel werden verwendet, um ausschließlich aktive oder ehemali-

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ge Beschäftigte …, die ver.di-Mitglieder sind, zweckgebunden zu unterstützen bei finanziellen und sozialen Notlagen, für Erholungs- oder Bildungszwecke.“ Die auf Unterlassung der Auszahlung klagende Konkurrenzgewerkschaft sah hierdurch ihre Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt und meinte, die Vereinbarung, wonach ausschließlich ver.di-Mitglieder in den Genuss der 9,3 Mio. € kommen würden, stelle eine unzulässige Differenzierungsklausel dar. Das LAG Köln hat das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts bestätigt, weil die Voraussetzungen eines gewerkschaftlichen Unterlassungsanspruchs nicht erfüllt waren. Da der Koalitionspluralismus in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet sei, müsse die Mitgliederwerbung einer konkurrierenden Gewerkschaft im gewerkschaftlichen Konkurrenzkampf hingenommen werden, solange sie nicht mit unlauteren Mitteln erfolge oder auf die Existenzvernichtung der gegnerischen Koalition gerichtet sei6, was im Streitfall nicht anzunehmen sei. Das LAG Köln hat ausdrücklich offen gelassen, ob die schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Mehrheitsgewerkschaft und Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats zur Unzulässigkeit von tariflichen Differenzierungsklauseln unwirksam sei, weil auch daraus kein Unterlassungsanspruch der Minderheitsgewerkschaft folge.7 Diese behalte im Übrigen die Möglichkeit, ihre Mitglieder bei der Durchsetzung etwaiger arbeitsvertraglicher Gleichstellungsansprüche gegen den Arbeitgeber zu unterstützen. Die vom Landesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision wurde nicht eingelegt. 2. Erholungsbeihilfe durch einen Förderverein Eine ähnliche Konstruktion lag dem Urteil des BAG vom 21.05.20148 zugrunde. Aufgrund mehrerer Vereinbarungen der Tarifparteien zur Beschäftigungssicherung in einem „Master Agreement“ und einem „Side Letter zum Master Agreement vom 27.05.2010 – Regelung für IG-Metall-Mitglieder“ schloss der Arbeitgeber mit dem Verein zur Förderung von Gesundheit und Erholung der saarländischen Arbeitnehmer e.V. eine Beitrittsvereinbarung, wonach ein einmaliger Mitgliedsbeitrag von mindestens 8 Mio. € gezahlt werden sollte, der satzungsgemäß mit der Maßgabe zu verwenden war, dass Erholungsbeihilfen aus dem Mit-

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Vgl. Ulber/Strauß, DB 2008, 1970; Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1; Kalb, FS f. Hanau, 1999, 19, 34 f. Vgl. BAG, Beschl. v. 29.11.1967 - GS 1/67 - Rn. 180, 181. LAG Köln, Urt. v. 17.01.2008 - 6 Sa 1354/07. Vgl. BAG, Urt. v. 31.05.2005 - 1 AZR 141/04. Zust. Ulber/Strauß, DB 2008, 1970 ff. BAG, Urt. v. 21.05.2014 - 4 AZR 50/13.

JM 03 | gliedsbeitrag ausschließlich an Beschäftigte des Arbeitgebers gewährt würden. Aus der beigefügten Vereinssatzung ergab sich, dass nur in der IG Metall organisierte Arbeitnehmer leistungsberechtigt waren bzw. Leistungsempfänger sein konnten. Das BAG hat einen auf Gleichbehandlungsgesichtspunkte gestützten Anspruch des nicht organisierten Arbeitnehmers auf Zahlung einer Erholungsbeihilfe in Höhe von 200 € verneint. Denn der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sei nicht eröffnet, weil die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen die Vermutung der Angemessenheit für sich hätten. Das gelte nicht nur für nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltende Tarifverträge, sondern auch für schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen tariffähigen Vertragsparteien. Daher unterliege ein Koalitionsvertrag zwischen einem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft, in dem zugunsten Dritter, hier der Gewerkschaftsmitglieder, ein Leistungsanspruch begründet werde, nicht dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Das BAG stellt schließlich klar, dass die Vereinbarungen und ihr Vollzug durch den Arbeitgeber auch nicht gegen höherrangiges Recht verstießen. So sei insbesondere die Tatsache, dass die IG Metall für den Abschluss der Sanierungstarifverträge eine „Besserstellung“ ihrer Mitglieder an anderer Stelle verlangt habe, nicht zu beanstanden. Eine Tarifvertragspartei könne frei entscheiden, zu welchen Bedingungen sie Tarifverträge abschließe.9 II. Die unmittelbare tarifliche Regelung 1. Tarifliche Ersatzleistung ausschließlich für Mitglieder der Gewerkschaft Mit einer unmittelbaren tariflichen Sonderregelung für Gewerkschaftsmitglieder hatte sich das BAG im Urteil vom 18.03.200910 zu beschäftigen: Dort war wiederum im Zuge von Restrukturierungs- und Arbeitsplatzsicherungsmaßnahmen der nach dem Haustarifvertrag grundsätzlich bestehende Anspruch auf eine Jahressonderzahlung durch einen „Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe …“ außer Kraft gesetzt worden. Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen nach dem Haustarifvertrag sollten die ver.di-Mitglieder allerdings in jedem Geschäftsjahr zum 31.07. eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 € brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit erhalten. Die nicht bei ver.di organisierte und im streitbefangenen Jahr leer ausgegangene Klägerin verlangte vom Arbeitgeber ebenfalls die Ausgleichszahlung aus Gründen der Gleichbehandlung und rügte die Unzulässigkeit der tariflichen Differenzierungsklausel, im Ergebnis ohne Erfolg.

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Das BAG führt aus, dass der Sanierungstarifvertrag aufgrund der Inbezugnahme durch den Arbeitsvertrag zwar Anwendung auf das Arbeitsverhältnis finde, die Klägerin jedoch nicht die für die Ausgleichszahlung normierte Anspruchsvoraussetzung einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di erfülle.11 Diese Tarifregelung sei weder verfassungsrechtlich noch tarifrechtlich zu beanstanden. Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich um eine sog. einfache Differenzierungsklausel handelt, die dadurch gekennzeichnet sei, dass die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft ausdrücklich zu einer anspruchsbegründenden Voraussetzung in einer einzelnen Tarifnorm erhoben werde. Eine solche einfache Differenzierungsklausel sei bereits wegen ihrer Stellung im rechtlichen Gefüge zwischen nicht organisiertem und organisiertem Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Gewerkschaft nicht geeignet, die Rechte von nicht organisierten Arbeitnehmern rechtswidrig zu beeinträchtigen. Jedenfalls übe sie in ihrer konkreten Ausgestaltung keinen unzulässigen, gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter verstoßenden Druck zum Gewerkschaftsbeitritt aus. Sie verstoße auch nicht gegen die vom Großen Senat im Jahre 1967 aufgestellten Grundsätze, weil die Regelung nicht sozialinadäquat sei. Das BAG hebt insoweit hervor, dass der Begriff der Sozialadäquanz im Jahre 2007 anders auszufüllen sei als im Jahre 1967. Bei der Abwägung sei besonders zu beachten, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften deutlich zurückgegangen, ihre sozialpolitische Bedeutung jedoch noch wichtiger geworden sei. Auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Pluralität und Konkurrenz von Gewerkschaften müsse im Hinblick auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie die Möglichkeit einer effizienten Werbung von Mitgliedern durch das Erzielen von Verhandlungserfolgen als Bewertungsfaktor anerkannt werden. Schließlich sei die den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltene Ausgleichszahlung auch quantitativ unbedenklich. Sie entspreche etwa einem Viertel einer Monatsvergütung und mache nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträge aus. Ein verständiger Arbeitnehmer wird nach Ansicht des BAG allein deswegen keinen mit Zwang vergleichbaren Druck verspüren, von seiner Entscheidung gegen eine Gewerkschaftszugehörigkeit Abstand zu nehmen.12

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Vgl. BAG, Urt. v. 25.09.2013 - 4 AZR 173/12; BAG, Urt. v. 09.12.2009 - 4 AZR 190/08. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08. Kritiker rügen insoweit bereits eine fehlerhafte Auslegung der arbeitsvertraglichen Gleichstellungsklausel: vgl. Lobinger/Hartmann, RdA 2010, 235 ff.; Bauer/Arnold, NZA 2011, 945, 948; Giesen, RdA 2014, 78, 82 f. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 82.

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2. Sonderzahlung und ein zusätzlicher Urlaubstag nur für Gewerkschaftsmitglieder

C. Die Grenze zwischen unzulässigem Druck und noch zulässigem Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt

Das BAG hat seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit einfacher Differenzierungsklauseln mit zwei weiteren Entscheidungen vom 22.09.201013 und vom 21.08.201314 bekräftigt. In dem ersten Fall ging es nach Aussetzung eines tariflichen Zuwendungsanspruchs für ein Jahr um einen „stattdessen“ zu zahlenden Festbetrag von 250 € brutto und einen zusätzlichen Urlaubstag für Arbeitnehmer, die „nachweislich Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind“. Durch diese Regelung wird nach Ansicht des Vierten Senats die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter nicht beeinträchtigt, weil sich die Normsetzungsmacht der Tarifparteien von Verfassungs und von Gesetzes wegen ausschließlich auf ihre Mitglieder beschränke. Eine solche Regelung schränke auch die Handlungs- und insbesondere Vertragsfreiheit des Arbeitgebers nicht ein, weil es ihm unbenommen bleibe, seine vertraglichen Beziehungen zu nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern frei zu gestalten und durchzuführen. Schließlich übe die Klausel auch nach Art und Umfang der geregelten Differenzierung keinen unverhältnismäßigen Druck aus, das Recht auf Fernbleiben von einer Koalition aufzugeben.

I. Der Maßstab der negativen Koalitionsfreiheit

Der dem Urteil vom 21.08.2013 zugrunde liegende Sachverhalt betraf die für Gewerkschaftsmitglieder garantierte jeweils höhere Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 bis 2009. Die Zahlungsklage wurde abgewiesen, weil die Klägerin nicht an den tariflich geregelten Stichtagen Mitglied einer der genannten Gewerkschaften ver.di oder NGG gewesen war. Besonders kreativ und werbewirksam erscheint die im Tarifvertrag formulierte Stichtagsregelung: „Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens am 06.03.2007 in die Gewerkschaft eingetreten ist und dessen Mitgliedschaft am 30.11. des jeweiligen Wirtschaftsjahres noch besteht und im Anspruchsjahr die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gekündigt wurde. Für die Jahre 2008 und folgende gilt jeweils der 01.01. des Jahres als spätestes Eintrittsdatum.“ Der Senat hält diese Differenzierung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsmitgliedern für ohne weiteres zulässig, weil die Tarifparteien bei der Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung der Höhe einer jährlichen Sonderzahlung weitgehend frei seien. Mit der differenzierenden Höhe der Sonderzahlung werde auch kein „unerträglicher Druck“ zum Gewerkschaftsbeitritt erzeugt. Der darin liegende Anreiz zum Beitritt einer Koalition sei unerheblich. Etwas überraschend und von der bisherigen Rechtsprechungslinie abweichend meint der Senat abschließend, für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es weder auf die Höhe der Differenz der Sonderzahlungen noch auf eine Gegenüberstellung mit der Höhe von Gewerkschaftsbeiträgen an.15

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Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln ist die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Koalitionsfreiheit, insbesondere in ihrer Ausprägung als sog. negative Koalitionsfreiheit.16 Der Wortlaut der Vorschrift lässt zunächst keinen Zweifel daran, dass primär die individuelle (positive) Koalitionsfreiheit garantiert wird. Als notwendiges Gegenstück nimmt aber auch die negative Koalitionsfreiheit, also die Freiheit des Fernbleibens von der Koalition, am Grundrechtsschutz teil, ohne dass dies ausdrücklich geregelt wäre.17 Verfassungsrechtlich garantiert ist jedenfalls die uneingeschränkte Freiheit, einer Koalition fernzubleiben oder sie wieder zu verlassen. Allerdings darf die negative Koalitionsfreiheit auch nicht verabsolutiert werden. Denn Art. 9 Abs. 3 GG ist im Interesse der positiven individuellen wie kollektiven Koalitionsfreiheit geschaffen worden und will in seiner funktionalen Ausrichtung sowohl die Bildung als auch den Bestand der Koalitionen im Hinblick auf eine „autonome Ordnung des Arbeitslebens“ schützen.18 Die negative Koalitionsfreiheit ist also nicht um ihrer selbst willen, sondern als Voraussetzung der freien Koalitionsbildung gewährleistet. Eben deshalb kann sie, auch wenn man sie wechselseitig durch Art. 9 Abs. 3 GG mit geschützt ansieht, keinen absoluten Schutz beanspruchen, sondern muss im Lichte der Bedeutung vor allem der positiven kollektiven Koalitionsfreiheit relativiert werden. Nicht jede negative Auswirkung der Koalitionstätigkeit oder des Tarifrechts stellt eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit des Außenseiters dar.19 Das Grundrecht schützt den Nicht-Organisierten vor Zwang oder Druck, einer Organisation beizutreten. „Ein von einer Regelung oder Maßnahme ausgehender bloßer Anreiz erfüllt diese Voraussetzung nicht.“20 Es ist also stets zu prüfen, ob die Reizschwelle überschritten und erheblicher Druck oder gar ein faktischer Zwang

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BAG, Urt. v. 22.09.2010 - 4 AZR 117/09. BAG, Urt. v. 21.08.2013 - 4 AZR 861/11. BAG, Urt. v. 21.08.2013 - 4 AZR 861/11 - Rn. 26. Vgl. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 34 ff.; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 149 f. Vgl. BAG, Beschl. v. 29.11.1967 - GS 1/67 - Rn 142 ff.; BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 - 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78; ferner BVerfG, Beschl. v. 10.09.2004 -1 BvR 1191/03; Hergenröder in: HWK, Art. 9 GG Rn. 66 m.w.N. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.05.1977 - 2 BvL 11/74. Vgl. Hergenröder in: HWK, Art. 9 GG Rn. 67. BVerfG, Beschl. v. 11.07.2006 - 1 BvL 4/00.

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zum Beitritt ausgeübt wird. Das ist vom BVerfG zum Beispiel für die Auswirkung einer gesetzlichen Tariftreueverpflichtung verneint worden.21 Anerkannt ist insbesondere auch, dass die Einbeziehung der Außenseiter in den Arbeitskampf keinen unzulässigen Eingriff in deren negative Koalitions- und Arbeitskampffreiheit bedeutet. Außenseiter dürfen wie ihre Arbeitskollegen streiken oder ausgesperrt werden und sind wie diese mit dem Lohnrisiko bei kampfbedingtem Arbeitsausfall belastet. Ein wirtschaftlicher Zwang zum Beitritt ist mit dieser Belastung offenbar nicht verbunden. Obwohl bis heute unterschiedslos alle Arbeitnehmer mit dem Aussperrungs- bzw. Lohnrisiko belastet werden, hat die Organisationsquote nach jahrzehntelanger Stagnation bei ca. 30 % auf zuletzt deutlich unter 25 % abgenommen.22 Allem Anschein nach wird also die Kampfbelastung der Außenseiter durch deren faktische Gleichstellung mit den Organisierten weitgehend kompensiert, so dass die Freiheit zum Nicht-Beitritt erhalten bleibt. Andererseits würde eine Schonung der Nichtorganisierten trotz deren zumindest faktischer Teilhabe am Kampferfolg nicht nur die Attraktivität des Gewerkschaftsbeitritts vermindern, sondern einen gewichtigen Grund für das Fernbleiben und einen starken Anreiz zum Austritt erzeugen. Eine erhebliche Schwächung der Verbände bis hin zur Bestandsgefährdung wäre die Folge, wodurch letztlich die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie überhaupt in Frage gestellt würde. Bei dieser Kollision der Freiheitssphären hat das Interesse des Außenseiters, von der Verbandstätigkeit unberührt zu bleiben, hinter dem Bestands- und Funktionsschutzinteresse der Gewerkschaften zurückzutreten. Für die Abwägung ist wesentlich, dass einerseits die Substanz des individuellen Abwehrrechts nicht angetastet wird, andererseits aber elementare Koalitionsinteressen betroffen sind. Die reflexive Betroffenheit der Außenseiter im Arbeitskampf rechtfertigt sich aus der Ordnungsaufgabe der Koalitionen und der Teilhabe am Kampfergebnis.23

oder Umfang der geregelten Differenzierung ein „unverhältnismäßiger Zwang“ zum Beitritt ausgeübt wird.26 Ein mimosenhafter Schutz des Außenseiters ist ebenso wenig wie im Arbeitskampfrecht geboten.27

Um den angemessenen Ausgleich der grundrechtlich geschützten Interessen geht es auch in dem vorliegenden Zusammenhang. Festzustellen ist zunächst, dass durch die einfache Differenzierungsklausel die Handlungs- und Vertragsfreiheit des Arbeitgebers anders als bei sog. Tarifausschluss- oder Abstandsklauseln24 nicht eingeschränkt wird, weil es ihm unbenommen bleibt, mit den nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern autonome Regelungen zu treffen. Dem BAG ist daher zuzustimmen, wenn es annimmt, dass allein in der Vereinbarung einer einfachen Differenzierungsklausel noch keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit eines Außenseiters liegt.25 Dies kann sich erst aus ihrer inhaltlichen Ausgestaltung ergeben. Die Grenze des Zulässigen ist überschritten, wenn nach Art

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II. Die Art der Differenzierung Eine erste Schranke für mögliche Differenzierungen betrifft den Regelungsgegenstand. Das BAG lässt sich insoweit mit Recht davon leiten, dass die Gewerkschaften nicht nur Mitgliederverband, sondern in gewisser Weise auch Berufsorgan sind und ihnen eine „umfassende Regelungsaufgabe“ zukommt, die sich auf die Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer ihres sachlichen Zuständigkeitsbereichs richtet.28 Gesetzliche Anknüpfungspunkte für ein solches Verständnis einer allgemeinen Regelungszuständigkeit können vor allem in § 5 TVG mit der Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, in § 310 Abs. 4 BGB mit der Herausnahme von Tarifverträgen aus der Inhaltskontrolle und in den zahlreichen Tariföffnungsklauseln (z.B. § 622 Abs. 4 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, § 13 Abs. 1 BUrlG) gesehen werden. Auch die bereits angesprochene Einbeziehung der Außenseiter in den Arbeitskampf spricht für eine über die jeweilige Mitgliedschaft hinausgehende Zuständigkeit der Verbände. Damit korrespondiert die Tatsache, dass die am Arbeitskampf beteiligten Außenseiter in der Regel nicht nur faktisch, sondern über die verbreiteten arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln auch rechtlich in den Genuss der Früchte der Gewerkschaftsarbeit kommen. Auch wenn die Mitgliederinteressen, also die Interessen der nach den §§ 3 und 4 TVG unmittelbar Normunterworfenen im Vordergrund stehen, so müssen wegen der regelmäßig allgemeinen Anwendung des Tarifrechts auch die Interessen der nicht Tarifgebunde-

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Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.07.2006 - 1 BvL 4/00. Vgl. zu dieser Entwicklung näher Kittner, Arbeitskampf, S. 715 ff.; WSI-Tarifarchiv, Tarifbindung – www.boeckler.de. Zum Ganzen näher Kalb, Rechtsgrundlage und Reichweite der Betriebsrisikolehre, 1977, S. 119 ff. m.w.N.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 946 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1996, S. 51 ff. Vgl. zur Unwirksamkeit einer sog. Spannenklausel BAG v. 23.03.2011 - 4 AZR 366/09, m. krit. Anm. v. Neumann, AP Nr. 147 zu Art. 9 GG; zu den Begriffen Henssler in: HWK, 6. Aufl., § 1 TVG Rn. 110. Vgl. BAG, Urt. v. 22.09.2010 - 4 AZR 117/09 - Rn. 27. Vgl. auch Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 516; Neumann, Tarifboni für Gewerkschaftsmitglieder, 2012, S. 168 ff., die einen „evident unentrinnbaren Beitrittsdruck“ verlangen. Vgl. Gamillscheg, NZA 2005, 146, 147; Hergenröder in: HWK, Art. 9 GG Rn. 67. Vgl. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 60 ff.; grundlegend Gamillscheg, Differenzierung, S. 39 ff.; Wiedemann, RdA 1969, 321 ff.; ferner Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 120 ff. Waltermann, Arbeitsrecht, 16. Aufl., Rn. 546.

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nen angemessen berücksichtigt werden. Die Differenzierungsklausel selbst ist im Grunde eine Bestätigung dieses Ansatzes, weil ja damit nur für einen kleinen Ausschnitt des Geregelten eine Sonderbehandlung der Mitglieder erreicht werden soll.29 Es sprechen daher gute Gründe dafür, dass etwaige Differenzierungen jedenfalls nicht im Kernbereich der Lohnfindung bei der Bestimmung eines gerechten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung vorgenommen werden dürfen.30 Würden Arbeitnehmer bei der Vergütung, die Grundlage des laufenden Lebensunterhalts ist, Monat für Monat ungleich behandelt, so wäre dies in der Tat ein massiver Druck zum Gewerkschaftsbeitritt. Eher hinnehmbar sind Differenzierungen im Randbereich der Entlohnung, insbesondere bei den jährlichen Einmalzahlungen oder Zusatzleistungen mit Beihilfecharakter. Generell wird man sagen können, dass alle Sonderleistungen außerhalb des laufenden Austauschverhältnisses von Arbeit und Lohn als Gegenstand für eine differenzierende Regelung in Betracht kommen.31 III. Der Umfang der Differenzierung Auch und besonders die Höhe des den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltenen Wertvorteils kann einen unzulässigen Beitrittsdruck erzeugen. Die vom BAG32 gebilligte Sonderzahlung von 535 € entsprach etwa einem Viertel einer Monatsvergütung und nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträgen. Ein verständiger Arbeitnehmer werde allein deswegen keinen zwanghaften Druck verspüren, seine Entscheidung gegen eine Gewerkschaftszugehörigkeit zu revidieren. Die Anknüpfung an den Mitgliedsbeitrag ist nur vordergründig überzeugend, weil es nicht darum gehen kann, dass der Arbeitgeber mittelbar die Kosten der Mitgliedschaft finanziert.33 Übersehen wird dabei auch, dass der befristeten Sonderbehandlung während einer Sanierung oder bei Zuwendungen aus einem Härtefallfonds oft jahrelang gezahlte Mitgliedsbeiträge gegenüberstehen. Eine nur am Mitgliedsbeitrag orientierte Betrachtungsweise wird auch dem ideellen Aspekt einer Mitgliedschaft nicht gerecht. Richtiger erscheint ein generalisierender Ansatz mit der Frage, wann ein „verständiger Arbeitnehmer“ ernsthaft unter Druck gerät, unabhängig von seiner Überzeugung lieber der Gewerkschaft beizutreten als weiter finanzielle Nachteile hinzunehmen.34 Unter diesem Blickwinkel dürfte eine Differenzierung wertmäßig bis zu einem durchschnittlichen Monatsgehalt pro Jahr vertretbar sein.35 In diese Richtung tendiert wohl auch das BAG, wenn es zuletzt eine jährliche Sonderzahlung von etwas mehr als 75 % des Bruttogehalts für unbedenklich erklärt und festgestellt hat, davon gehe kein „unerträglicher Druck“ zum Gewerkschaftseintritt aus.36

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IV. Die Unzulässigkeit übermäßiger Vorteile für Mitglieder Legt man die zuvor entwickelten Kriterien für eine sachlich vertretbare Differenzierung zugrunde, dann zeigt sich das unzulässige Übermaß in einer Fallgestaltung, die derzeit von Kammern des LAG München unterschiedlich beurteilt wird.37 Dort waren in einem Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag zu einem Transfer- und Sozialtarifvertrag vom gleichen Tag für Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft zu einem bestimmten Stichtag ein um 10 % höheres Bruttomonatseinkommen bei der Transfergesellschaft sowie eine um 10.000 € erhöhte Abfindung vereinbart worden. Nach der einen vom LAG München formulierten Ansicht38 geht von diesen Regelungen kein unzulässiger Zwang oder Druck zum Gewerkschaftsbeitritt aus, weil der Druck wegen des in der Vergangenheit liegenden Stichtags gar nicht entstehen konnte, die Leistungen im Rahmen der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zeitlich limitiert seien und die Höhe der Leistungen „kein maßgebliches Kriterium“ sein könne; es müsse vielmehr den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, für Gewerkschaftsmitglieder Vorteile zu vereinbaren. Demgegenüber verstoßen nach anderer Ansicht39 des LAG München die Sonderregelungen gegen die individuelle positive und negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Es handele sich nach Maßgabe der bisherigen Rechtsprechung des BAG um überproportionale Vorteile, weil die Gewerkschaftsmitglieder Mehrvergütungen von ca. 20.000–30.000 € über die 24 Monate des Bestehens der Transfergesellschaft erwarten könnten. Diese Vorteile könn29 30

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Vgl. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 70. A.A. Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1, 5; Deinert, RdA 2014, 129, 134. Vgl. Steffan in: HMB, Der Tarifvertrag, Teil 5 (8), Rn. 13. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 82. Vgl. Henssler in: HWK, § 1 TVG Rn. 111. So wohl auch LAG Hamm, Urt. v. 12.06.2012 - 14 Sa 1275/11 Rn. 152. Weitergehend Deinert, RdA 2014, 129, 134, der in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit untertariflicher Löhne eine Differenzierung um 1/3 für gerechtfertigt hält; ferner Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1, 5 f., die keine Umfangsbeschränkung sehen; wohl auch Bauer/Arnold, NZA 2011, 945, 949; ohne abschließende Festlegung Franzen in: ErfK, § 1 TVG Rn. 62a; krit. auch Henssler in: HWK, § 1 TVG Rn. 111. BAG, Urt. v. 21.08.2013 - 4 AZR 861/11 - Rn. 25. Vgl. LAG München, Urt. v. 25.07.2013 - 4 Sa 166/13; LAG München, Urt. v. 25.08.2013 - 10 Sa 135/13; LAG München, Urt. v. 16.10.2013 - 11 Sa 384/13; LAG München, Urt. v. 17.12.2013 - 6 Sa 586/13. Vgl. insb. LAG München, Urt. v. 25.07.2013 - 4 Sa 166/13 - Rn. 53 ff. Vgl. LAG München, Urt. v. 28.08.2013 - 10 Sa 135/13 - Rn. 142 ff.

JM 03 | ten weder aus dem Verzicht auf Rechte noch aus jahrelangen Beitragszahlungen an die Gewerkschaft gerechtfertigt werden. Falls diese Regelungen als zulässig eingestuft würden, wäre nach Auffassung des Gerichts künftig eine massive Verschiebung in Tarifverhandlungen bei Sanierungsvorhaben ohne sachliche Rechtfertigung zu Lasten von nichtorganisierten Arbeitnehmern zu erwarten. Das stelle einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit dar.40 Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Bei den laufenden monatlichen Zahlungen der Transfergesellschaft handelt es sich schon nicht um Sonderleistungen des Arbeitgebers, die einer Differenzierung zugänglich sind. Die zusätzliche Abfindung in Höhe von 10.000 € lag deutlich über einem durchschnittlichen Monatsgehalt. Damit erweisen sich die Differenzierungsklauseln wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG als unwirksam, so dass keinem Arbeitnehmer, unabhängig von seiner Gewerkschaftszugehörigkeit, Ansprüche auf die höheren Leistungen zustehen. Auch eine „Anpassung nach oben“ kommt nicht in Betracht, schon weil nicht feststeht, ob die bisher Begünstigten ihre Leistungen behalten dürfen.41 Schutzwürdiges Vertrauen darauf konnte sich angesichts der bekannten Problematik solcher Regelungen nicht bilden.

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zeugt. Bei einer generalisierenden Betrachtungsweise kann die Druckschwelle bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt pro Kalenderjahr angesetzt werden. Was jenseits dieser Schwelle liegt, stellt eine übermäßige Begünstigung der Mitglieder und eine unverhältnismäßige Benachteiligung der Nichtorganisierten dar. Mit der grundsätzlichen Anerkennung der einfachen Differenzierungsklausel hat der Tarifsenat des BAG für eine zeitgemäße „Begradigung“ des großen Senatsbeschlusses vom 29.11.1967 gesorgt.43 Es bleibt Aufgabe der Rechtsprechung, den neuen Rahmen behutsam auszufüllen. „Alles kommt auf das Maß an“!44 Letztlich geht es auch fast ein halbes Jahrhundert später um die Frage, welche Differenzierung noch sozialadäquat oder verhältnismäßig ist. Dabei ist das BAG allen Kritikern zum Trotz auf einem guten Weg. 40

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D. Fazit Im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit muss den Koalitionen auch das Recht eingeräumt werden, durch maßvoll differenzierende Regelungen in besonderer Weise auf die Interessen von Koalitionsmitgliedern zu reagieren und um Mitglieder zu werben. Die tarifschließende Gewerkschaft darf sich auch von einer konkurrierenden Gewerkschaft durch einen Verhandlungserfolg abgrenzen, indem sie mit einer einfachen Differenzierungsklausel dafür sorgt, dass der Sondervorteil normativ nur den eigenen Mitgliedern und nicht ohne weiteres auch den Nichtorganisierten oder den Mitgliedern konkurrierender Gewerkschaften zugutekommt. Diese Möglichkeit besteht aber wegen der über die Mitglieder hinausgehenden Regelungsaufgabe der Gewerkschaft nicht unbegrenzt, sondern ist nach Art und Umfang der Differenzierung beschränkt. Der Kernbereich des tariflichen Lohngefüges, der im Arbeitsleben die angemessenen und allgemein üblichen Arbeitsbedingungen markiert, auf die vielfach Bezug genommen wird, ist einer Differenzierung entzogen. Dagegen können im Randbereich der Sonderund Zusatzleistungen den Mitgliedern Vorteile vorbehalten werden, um die Attraktivität der Mitgliedschaft zu erhalten und einen Anreiz zum Beitritt zu geben. Damit wird den Außenseitern nichts genommen, worauf sie ansonsten Anspruch hätten.42 Der Sondervorteil darf andererseits keine Höhe erreichen, die einen zwanghaften Beitrittsdruck er-

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Vgl. ähnlich LAG Hamm, Urt. v. 12.06.2012 - 14 Sa 1275/11 Rn. 152. Vgl. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 127 m.w.N.; anders dagegen LAG Hamm, Urt. v. 12.06.2012 - 14 Sa 1275/11 - Rn 163 ff. Vgl. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08; Gamillscheg, NZA 2005, 146, 148; Hanau, JuS 1969, 213, 219. Vgl. Wiedemann, BB 2013, 1397. Gamillscheg, NZA 2005, 146, 150.

Sozialrecht

„Spesen“ des Berufskraftfahrers – ein Wechselbalg LSG München, Urt. 29.04.2014 - L 3 U 619/111 RiBSG a.D. Dirk H. Dau A. Problemstellung Viele abhängig beschäftigte Kraftfahrer sind vorwiegend auswärts tätig. Deshalb zahlen ihre Arbeitgeber neben dem Arbeitsentgelt regelmäßig „Spesen“ oder „Auslösungen“. Dabei kann es sich um den Ersatz tatsächlich entstandener Kosten etwa für Übernachtungen, Verpflegungsmehraufwand und Fahrten handeln. Zumindest teilweise kann sich dahinter aber auch „verdecktes“ Arbeitsentgelt verbergen, das zum Vorteil von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern in der Sozialversicherung beitrags- und für letztere zudem lohnsteuerfrei bleiben soll.2 So kann es etwa 1 2

Revision anhängig unter B 2 U 9/14 R. Demselben Ziel kann die Zahlung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht(SFN) und Mehrarbeitszuschlägen dienen. Das Urteil des BSG v. 07.05.2014 - B 12 R 18/11 R zeigt, welche Blüten ein vom Arbeitgeber befürchtetes „Wettrennen“ der Arbeitnehmer um steuerbegünstigte SFN-Zeiten treiben kann. Einer außerordentlich komplizierten

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liegen, wenn Spesenvereinbarungen sich ohne Rücksicht auf tatsächlichen Aufwand des Arbeitnehmers an steuerlichen und – davon abgeleitet – beitragsrechtlichen Pauschsätzen orientieren. Für Ansprüche im sozialen und sozialversicherungsrechtlichen Leistungsrecht kann dagegen statt dieser Pauschbeträge durchaus der tatsächliche Mehraufwand maßgeblich sein. Er ist auch im Pfändungs-, im Schadensersatz- und im Unterhaltsrecht bedeutsam. Je nach Interessenlage neigen Kraftfahrer mit Speseneinkünften wegen Auswärtstätigkeit dazu, ihre Aufwendungen übertrieben hoch darzustellen oder jeglichen Aufwand zu bestreiten. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger wurde bei einem Unfall als LKW-Kraftfahrer erheblich verletzt. Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) gewährte ihm Verletztenrente nach einem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 29.836,56 €. Bei dessen Berechnung ließ sie vom Arbeitgeber zunächst als „Auslöse“ und dann als „Verpflegungszuschuss“ bezeichnete Spesen unberücksichtigt, sowohl den an den Kläger steuerfrei gezahlten Betrag von 3.705 € als auch weitere, vom Arbeitgeber pauschal versteuerte 1.173,50 €. Den Widerspruch des Klägers wies die BG zurück. Es handele sich um Auslagenersatz, der das Vermögen nicht gemehrt habe und deshalb nicht Arbeitsentgelt sei. Mit seiner Klage machte der Kläger das Gegenteil geltend. Spesen und Auslagen hätten sein Vermögen gemehrt, weil er gar nichts aufgewendet habe. Auf seinen Fahrten habe er sich ausschließlich von selbst bereiteten Broten und mitgenommenen Getränken ernährt, aufbewahrt in einem Kühlschrank an Bord des LKW. Übernachtet habe er in der Schlafkabine des Lastzuges. Zum Duschen sei er Tankstellen mit kostenlos zu nutzenden Sanitäreinrichtungen angefahren. Die Spesen seien in voller Höhe zusätzliches Arbeitsentgelt gewesen, das er für seine Abzahlungsverpflichtungen einkalkuliert habe. Das SG hat die Beklagte verurteilt, Verletztenrente nach einem um den pauschal versteuerten Spesenanteil von 1.173,50 € erhöhten JAV zu zahlen. Nach § 14 Abs. 1 SGB IV zählten zum Arbeitsentgelt sämtliche laufenden Einnahmen aus einer Beschäftigung, ohne Rücksicht auf ihre Steuerpflicht. Einschränkungen der nach § 17 SGB IV ergangenen Sozialversicherungsentgelt-Verordnung (SvEV) trügen beitragsrechtlichen Besonderheiten Rechnung, die in der allein von den Arbeitgebern finanzierten Unfallversicherung keine Rolle spielten. In Höhe der steuerfrei gezahlten Pauschbeträge (3.705 €) seien die Spesen allerdings als pauschaler Auslagenersatz anzusehen und deshalb dem JAV nicht hinzuzurechnen.

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Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat das LSG die Beklagte verurteilt, nochmals erhöhte Verletztenrente zu gewähren. Beim JAV seien die „Spesen“ in voller Höhe zu berücksichtigen, also auch der vom Arbeitgeber unter den Bezeichnungen Verpflegungszuschuss, Reisekosten oder als Erstattung von Mehraufwendungen steuerfrei gezahlte Teil von 3.705 €. Denn diese lediglich „theoretischen“ Mehraufwand abgeltenden Beträge hätten das Vermögen des Klägers in voller Höhe gemehrt. Er habe überzeugend dargelegt, als Fernfahrer tatsächlich überhaupt keinen Mehraufwand gehabt zu haben. Sein Arbeitgeber habe die Ausstattung der LKW mit Kühlschrank, Kaffeemaschine und Wasserkocher bestätigt und erklärt, seinen Fahrern trotz kompletter Selbstversorgung Spesen zu zahlen, weil es vom Gesetzgeber so vorgesehen sei. Zwar unterstelle das Steuerrecht, bei Auswärtstätigkeit entstehe Verpflegungsmehraufwand in Höhe der in § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 2 EStG angegebenen Pauschsätze.3 Solche lohnsteuerfreien Einnahmen gehörten deshalb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV auch nicht zum sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt. Daraus folge aber lediglich Beitragsfreiheit. Für die Bestimmung des JAV im Leistungsrecht der Unfallversicherung ergäben sich keine Konsequenzen. Hier herrsche allein der Arbeitsentgeltbegriff des § 14 SGB IV mit der Folge, dass der Entgeltanteil an Spesen unter Berücksichtigung tatsächlichen Mehraufwandes analog § 287 ZPO zu schätzen sei. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung stimmt mit höchstrichterlicher Rechtsprechung und der unfallversicherungsrechtlichen Literatur überein.4 Anders als in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gibt es in der Unfallversicherung keine Wechselwirkung zwischen Beitrag und (Geld-)Leistung. Die Versicherten entrichten keine Beiträge, haben deshalb keinen Vorteil von Beitragsfreiheit bestimmter Teile des Arbeitsentgelts, müssen folglich auch keine Nachteile auf der Leistungsseite hinnehmen. Das Urteil ist aber bemerkens-

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Lohnvereinbarung – zu deren Wirkungen bereits mehrere Gutachten namhafter Wissenschaftler vorliegen – lassen sich nach Auffassung des Gerichts ohne umfangreiche weitere Ermittlungen weder das geschuldete Arbeitsentgelt noch der davon auf SFN-Zuschläge entfallende Anteil entnehmen. Bei Abwesenheit von mindestens 8 Stunden 6 €, von mindestens 14 Stunden 12 € und bei 24 Stunden 24 € pro Tag; seit 01.01.2014 nach § 9 Abs. 4a EStG: bei Abwesenheit von mindestens 8 Stunden 12 €, bei 24 Stunden 24 €. Vgl. außer den im Urteil angegebenen Belegen: BSG, Urt. v. 23.11.1971 - 7/2 RU 225/68 - Rn. 19 - BSGE 33, 205 und BSG, Urt. v. 14.02.1982 - 2 RU 39/81 - Rn. 20 - BSGE 53, 133; Mehrtens in: Eichenhofer/Wenner, Kommentar zum SGB VII, § 82 Rn. 11.

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wert, weil es den Verpflegungsmehraufwand des – offenbar durchgängig auswärts tätigen – Klägers auf 0 € schätzt. Das Hessische LArbG hat dem Kläger in einem Parallelfall (Schlafkabine, Kühlbox, Lebensmittelvorrat) nicht geglaubt.5 Es erschien ihm „unvollstellbar“, dass Kraftfahrer eine ganze Woche lang auf warme Mahlzeiten verzichten. Deshalb hat es – tatsächlichen – Mehraufwand für warmes Essen in Lokalen mit 15 % der Auslösung angenommen. Auf der anderen Seite hatte das SG Chemnitz keinen Zweifel, dass der Fernfahrer eines „weder mit Küche und Bad“ ausgestatteten LKW konkreten Mehraufwand von monatlich bis zu 546 € hat; Spesenzahlungen in dieser Höhe seien im Fernfahrergewerbe gerichtsbekannt üblich.6

Elterngeld

Der Verpflegungsmehraufwand ersetzende Anteil an „Spesen/Auslösungen“ wird im Lohnsteuerrecht und – davon abgeleitet – im sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht normativ bestimmt. Die dort genannten Pauschbeträge sind ungeprüft anzusetzen, auch wenn sie offensichtlich nicht zutreffen. An diese festen Vorgaben knüpfen auch verschiedene nicht beitragsfinanzierte einkommensabhängige Sozialleistungen an. Fehlen solche Regeln, ist der konkrete Mehraufwand zu ermitteln und notfalls zu schätzen. Im Einzelnen:

§ 14 Abs. 1 Satz 1 WoGG und § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG stellen jeweils i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG wie das BEEG auf positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ab. Auslösungen bis zum steuerfreien Höchstbetrag erhöhen das maßgebliche Einkommen von Antragstellern nicht.

Entgeltfortzahlung Die Höhe fortzuzahlenden Arbeitsentgelts richtet sich nach dem in § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG konkretisierten Lohnausfallprinzip. „Auslösung“ wegen Verpflegungsmehraufwandes ist danach fortzuzahlen, wenn der Anspruch bei tatsächlicher Arbeitsleistung nicht davon abhängt, ob und in welchem Umfang dem Arbeitnehmer tatsächlich Aufwendungen entstanden sind; handelt es sich dagegen um Ersatz konkreter Mehraufwendungen, gehören „Auslösungen“ nicht zum fortzuzahlenden Entgelt.7 Zuschuss zum Mutterschaftsgeld/Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverbot Hier gelten dieselben Regeln wie bei Entgeltfortzahlung: zum „Durchschnittsverdienst“ (§ 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG) und zum „durchschnittlichen Arbeitsentgelt“ (§ 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG) zählt vom Arbeitgeber geschuldete „Auslösung“ nur, wenn sie nicht davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin tatsächlich mehr für Verpflegung aufwendet.8 Schadensersatz Pauschal gezahlte Spesen sind bei Berechnung schädigungsbedingten Verdienstausfalls zu berücksichtigen, wenn und soweit sie das Vermögen des Arbeitnehmers mehren, weil er sie für Mehraufwand nicht verbraucht.9

Das Elterngeld ersetzt – abgesehen vom 300 €-Mindestbetrag – lediglich den Verlust steuerpflichtigen Einkommens.10 Nur soweit Spesen/Auslösungen die steuerfreien Pauschbeträge übersteigen, zählen sie zum Einkommen im zwölfmonatigen Bemessungszeitraum vor Geburt des Kindes und erhöhen damit die Leistung; im Bezugszeitraum wirken sie leistungsmindernd. Vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 EStG pauschal versteuerte Vergütung für Verpflegungsmehraufwand rechnet zum Einkommen.11 Daran ändert sich nichts, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer zivilrechtlich auf die Arbeitnehmerin abwälzt.12 Wohngeld/Ausbildungsförderung

Arbeitslosengeld II Als Einkommen von Hilfebedürftigen sind deren Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der mit der Einkommenserzielung verbundenen notwendigen Ausgaben zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 11b Abs 1. Nr. 5 SGB II). Danach zählt eine „Auslösung“ zum Einkommen. Nach § 6 Abs. 3 Alg II-V lässt sich davon für Verpflegungsmehraufwand erst bei wenigstens zwölfstündiger Abwesenheit ein Pauschbetrag von lediglich 6 € pro Tag abziehen. Das ist ohne Öffnungsklausel für nachgewiesene höhere Verpflegungskosten nicht ermächtigungskonform.13 Unterhaltsrecht Die OLG schlagen in ihren Leitlinien zum Unterhaltsrecht – im Wesentlichen übereinstimmend – vor, den maßgeblichen Einkommensanteil an pauschal gezahlten Spesen 5 6

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LArbG Frankfurt, Urt. v. 19.05.2009 - 12 Sa 399/05 - Rn. 55. SG Chemnitz, Urt. v. 28.01.2010 - S 6 AS 2054/09; Dau, jurisPR-SozR 7/2010, Anm. 4. BAG, Urt. v. 01.02.1995 - 5 AZR 847/93 - Rn. 20. LArbG Kiel, Urt. v. 19.03.2014 - 3 Sa 388/13 - Rn. 26; Göhle-Sander, jurisPR-ArbR 32/2014, Anm. 3. BGH, Urt. v. 24.07.1979 - VI ZR 204/76 - Rn. 24 - BGHZ 74, 221; LArbG Frankfurt, Urt. v. 19.05.2009 - 12 Sa 399/05 - Rn. 55. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BEEG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Der Gesetzgeber hat das Vorhaben, „pauschal besteuerte Einnahmen“ auszuschließen (BT-Drs. 17/3030, S. 19, 48), nicht realisiert (BT-Drs. 17/3046, S. 27). BMFSFJ, Richtlinien zum Elterngeld, Nr. 2.1.4.1 (2). BSG, Urt. v. 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - Rn. 27 - SozR 4-4225 § 6 Nr. 2.

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und Auslösungen mit einem Drittel des Nettobetrages anzusetzen.14 Lohnpfändung Nach § 850a Nr. 3 ZPO sind u.a. „Auslösungsgelder“ unpfändbar, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Arbeitsentgelt soll in Höhe der als steuerfrei anerkannten Pauschbeträge unpfändbar sein. Diese beruhten auf Erfahrungswerten und besagten, Arbeitnehmern erwüchsen allgemein tatsächlich Unkosten in der jeweiligen Höhe. Anders nur bei offensichtlicher Lohnverschleierung, etwa Aufwendungsersatz neben einem unverhältnismäßig niedrigen Einkommen.15 Auch ohne solches Missverhältnis dürfte nach den im Besprechungsurteil geschilderten Verhältnissen bei Fernfahrern regelmäßig Lohnverschleierung zu prüfen sein. 14

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Vgl. etwa Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Stand: 01.01.2013) Nr. 1.4: Ersatz für Spesen und Reisekosten sowie Auslösungen gelten in der Regel als Einkommen. Damit zusammenhängende Aufwendungen, vermindert um häusliche Ersparnis, sind jedoch abzuziehen. Bei Aufwendungspauschalen (außer Kilometergeld) kann in der Regel 1/3 als Einkommen geschätzt werden. BAG, Urt. v. 30.06.1971 - 3 AZR 8/71 - Rn. 20; LArbG Rostock, Urt. v. 30.08.2011 - 5 Sa 11/11 - Rn. 36; Brehm in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2013, § 850a Rn. 16; Stöber in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 850a Rn. 7; Ahrens in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl. 2014, § 850a Rn. 13; Smid in: Krüger/Rauscher, Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2012, § 850a Rn. 10.

Der EuGH und der Sozialtourismus – Also doch ein vollständiger Leistungsausschluss von EU-Bürgern von „Hartz-IV“Leistungen? EuGH, Urt. v. 11.11.2014 - C-333/13 - Dano RiSG Dr. Christiane Padé A. Problemstellung: Ausgangsfall Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 11.11.20141 zur Frage des Ausschlusses von EU-Bürgern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – im Volksmund „Hartz IV“ – hat unter dem Stichwort „Sozialtourismus“ ein breites Medienecho hervorgerufen. Aber wie weit geht dieses Urteil wirklich? Das Urteil geht auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts (SG) Leipzig2 zurück. Frau Dano und ihr 2009 in Deutschland geborener Sohn sind rumänische

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Staatsangehörige und klagen auf Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Frau Dano war wiederholt nach Deutschland eingereist, zuletzt spätestens im Juli 2011. Die Ausländerbehörde stellte Ende 2011 eine Freizügigkeitsbescheinigung aus. Mutter und Sohn lebten bei der Schwester und wurden von ihr „durchgefüttert“. Kindergeld und Unterhaltsvorschuss für den Sohn wurden von den zuständigen Stellen in gesetzlicher Höhe (also 184 € Kindergeld, 133 € Unterhaltsvorschuss) gezahlt. Die Mutter war weder in Rumänien noch in Deutschland jemals erwerbstätig. Anfang 2012 stellten die Kläger einen Antrag auf Leistungen, der mit Bescheid und Widerspruchsbescheid gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II abgelehnt wurde. Danach sind Ausländer/innen, die weder Arbeitnehmer/innen oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und Ausländer/innen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen vom Anspruch auf Leistungen zeitlich unbefristet ausgeschlossen. Das Aufenthaltsrecht/EU haben nach § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU insbesondere Personen, die Arbeit haben oder eine selbständige Tätigkeit ausüben oder auf Arbeitssuche sind. Ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger hat – außer zeitlich befristet zum Zweck der Arbeitssuche – ein Recht auf Aufenthalt, wenn er oder sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügt (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 4 Freizügigkeitsgesetz/EU) – also keinen Bedarf an Grundsicherungsleistungen hat. Die Kläger beriefen sich auf das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit, Art. 18 AEUV, und auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Mutter aus Art. 45 AEUV. Das SG kommt – m.E. zu Recht – zu dem Ergebnis, dass den Klägern nach deutschem Recht kein Aufenthaltsrecht wegen Freizügigkeit zusteht, weil die Voraussetzungen des Freizügigkeitsgesetz/EU offensichtlich nicht vorliegen. Die Klägerin (Mutter) erfüllt die Voraussetzungen nicht, weil sie nicht arbeitet oder selbständig ist oder war und auch keine Arbeit sucht. Allein ein Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis, über den im Zeitpunkt der Vorlageentscheidung noch nicht einmal entschieden war, dürfte wohl nicht als Hinweis auf eine Arbeitssuche reichen. Außerdem besteht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU ein Aufenthaltsrecht wegen Arbeitssuche längstens sechs Monate, danach nur bei Nachweis der weiteren Arbeitssuche.

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EuGH, Urt. v. 11.11.2014 - C-333/13 - Dano. SG Leipzig, Beschl. v. 03.06.2013 - S 17 AS 2198/12.

JM 03 | Diesen hatte die Klägerin nicht geführt. Der Sohn konnte allenfalls ein abgeleitetes Recht von seiner Mutter geltend machen, das aber mangels Aufenthaltsberechtigung der Mutter nicht bestand. Das SG Leipzig sah deshalb die Rechtsgrundlage für eine Aufenthaltsberechtigung allein in einer unmittelbaren Anwendung des Art. 20 Abs. 1 Satz 2 lit. a) AEUV, im Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger. Dieser Fall ist allerdings vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht unmittelbar erfasst, weil der Ausschluss nach Nr. 1 nur die ersten drei Monate des Aufenthalts erfasst und Nr. 2 nicht einschlägig ist, weil die Klägerin ja gerade nicht auf Arbeitssuche war. Ohne es explizit zu sagen, wendet das SG Leipzig § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II analog an. Es geht davon aus, dass hier eine planwidrige Lücke besteht, weil der Gesetzgeber nicht gesehen habe, dass es Unionsbürger gebe, die unmittelbar aus Unionsrecht freizügigkeitsberechtigt sind und deshalb nicht unter Nr. 1 fallen, gleichzeitig aber keine Arbeit suchten und deshalb vom Leistungsausschluss der Nr. 2 nicht erfasst seien. Es sei aber offensichtlich nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, Personen, die nicht Arbeit suchen, besser zu stellen als diejenigen, die sich durch Arbeitssuche in Deutschland zu integrieren versuchten (Stichwort: Abwehr von Sozialtourismus). Das SG Leipzig ist damit zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin und ihr Sohn von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen sind. B. Die Entscheidung des EuGH Der EuGH schließt sich zunächst der Meinung des SG Leipzig an, dass Leistungen nach dem SGB II solche im Sinne des Art. 70 EGV 883/2004, also beitragsunabhängige Sozialleistungen sind3, und stellt fest, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der Verordnung grundsätzlich auch für diese Art von Leistungen gilt. Außerdem finde auch auf das Recht der Sozialleistungen zunächst mal das Antidiskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und die Unionsbürgerfreizügigkeit des Art. 20 AEUV Anwendung, nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 AEUV allerdings nur in den Grenzen der nach dem AEUV erlassenen Maßnahmen, also im Rahmen des europarechtlichen Sekundärrechts, sprich der Verordnungen, Richtlinien usw. Das bedeutet, dass die EU selbst die Grenzen der Unionbürgerfreizügigkeit u.a. in Richtlinien bestimmen kann. Das ist in der Einreise- und Aufenthaltsrichtlinie 2004/38/EG geschehen, die die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Unionsbürgerfreizügigkeit aus Art. 20 AEUV und damit letztlich auch das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV im Rahmen der Unionsbürgerfreizügigkeit konkretisiert. Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG regelt ein Gleichbehandlungsgebot. Nach Abs. 2 ist der Aufnahmemitgliedsstaat – in unserem Fall also Deutschland – nicht verpflichtet anderen Personen als

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Arbeitnehmern, Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts sowie Arbeitsuchenden Sozialhilfe zu gewähren. Das entspricht im Wesentlichen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II. Der EuGH stellt zunächst fest, dass Sozialhilfeleistungen nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG und beitragsunabhängige Leistungen nach Art. 70 EGV 883/2004 zwei Seiten derselben Medaille sind, und kommt zu dem Schluss, dass die Kläger die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG nicht erfüllen, also eigentlich nicht unter die Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz fallen. Er prüft dann weiter, ob den Klägern ein Aufenthaltsrecht zusteht, stößt auf Art. 6 RL 2004/38/EG, der in den ersten drei Monaten des Aufenthalts das Aufenthaltsrecht ausschließlich vom Vorhandensein eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses abhängig macht. Dieses Recht auf Aufenthalt bleibt solange erhalten, wie der Unionsbürger Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaates (hier: Deutschlands) nicht unangemessen in Anspruch nimmt, Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Art. 7 Abs. 1 lit. b) RL 2004/38/EG setzt für das Recht auf Aufenthalt in einem Staat von mehr als drei Monaten außerhalb von Arbeit bzw. Ausbildung und Selbständigkeit das Vorhandensein von Existenzmitteln und ausreichendem Krankenversicherungsschutz voraus, so dass die betroffenen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Der EuGH schließt aus diesen Vorschriften und Nr. 10 der der Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründe, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger jedenfalls dann keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen im Aufnahmemitgliedstaat haben, wenn sie sich allein zu dem Zweck dorthin begeben, Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, und über keine ausreichenden Existenzmittel verfügen. Art. 4 EGV 883/2004 ist insofern im Lichte der RL 2004/38/ EG auszulegen.4 Wer also nur zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe oder „Hartz IV“ nach Deutschland einreist, kann sich auf das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot nicht berufen. C. Kontext der Entscheidung Was bedeutet dieses Urteil aber nun für andere Fälle? Der EuGH betont in der Entscheidung vom 11.11.2014, dass

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Dazu allerdings sehr viel ausführlicher und mit detaillierter Begründung der Generalanwalt Wathelet in seinem Schlussantrag vom 20.05.2014 - C-333/13 - Rn. 57 und 73. Ein Umstand, der in der Rechtsprechung und Literatur bis dahin durchaus diskutiert wurde: vgl. z.B. Kinggreen, SGb 2013, 132, 136 f. m.w.N.

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ein Leistungsausschluss möglich ist, wenn sich ein EU-Bürger nur zum Zweck der Inanspruchnahme der Sozialleistung in einen anderen EU-Staat begibt. Er beschränkt sich – anders als der Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen5 – ausdrücklich auf diesen Fall, geht er doch mit dem vorlegenden SG Leipzig davon aus, dass die Klägerin keine Arbeit suchen wollte. Anders ausgedrückt, betrifft das Urteil zunächst mal nur „wirtschaftlich inaktive“ Personen, die sich mit dem alleinigen Ziel der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in einen anderen Staat begeben. Der EuGH will offensichtlich „Sozialtourismus“ ausschließen und sieht sich dazu in der Lage, weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht betroffen ist. Er setzt sich damit allerdings in einen gewissen Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung. Der EuGH hat nämlich in der jüngeren Vergangenheit eine individuelle Prüfung der Situation für EU-Bürger gefordert, die als nicht mehr erwerbstätige Rentner in einem anderen EU-Staat ergänzende Sozialleistungen (ungefähr entsprechend den Leistungen zur Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII) beantragen.6 Schon im Jahr 2001 hat er Belgien ins Stammbuch geschrieben, dass Studenten das Existenzminimum nicht verweigert werden kann, wenn sie vorübergehend in einer prekären Situation sind. Das hat er aus dem Status als Unionsbürger (und dem damit verbundenen Diskriminierungsverbot) abgeleitet und dargelegt, dass insofern nicht nur auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer abgestellt werden dürfe.7 Wie sich dieser Widerspruch auflösen lässt, wird aus dem Urteil nicht klar. Im Hinblick auf das Fehlen der Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung kann man jedenfalls nicht schließen, dass der EuGH nunmehr restriktiver urteilen wird. Der gemeinsame Nenner der Entscheidungen scheint der Aspekt der Integration in den Aufnahmestaat zu sein. Daran fehlte es im Fall der Familie Dano offensichtlich, denn sie lebten nicht nur von der Schwester, sondern die Klägerin war auch mehrfach strafrechtlich aufgefallen – ein Umstand, den der EuGH nicht erwähnt, der aber die Annahme einer fehlenden Integration in Deutschland gestützt haben dürfte. Wer zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen in einen anderen Staat einreist, kann jedenfalls noch nicht in diesen Staat integriert sein. Eine Betonung dieses Aspekts findet sich auch in anderen Urteilen des EuGH: Personen, die eine nationalstaatliche Aufenthaltserlaubnis (ggf. aus anderen Gründen) besitzen, können europarechtlich jedenfalls ab diesem Zeitpunkt Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums beanspruchen, auch wenn sie „wirtschaftlich“ nicht „aktiv“ sind.8 Entsprechend steht das Europarecht dem Erfordernis eines gewöhnlichen Aufenthalts im Aufnahmestaat nicht entgegen.9

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D. Auswirkungen für die Praxis Spannend ist aber die Frage, was mit Personen geschieht, die sich (allein) zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Hier könnte zu differenzieren sein: Wer sich allein zur Arbeitssuche in einen anderen Staat begibt, kann keine Hilfe verlangen, denn er ist noch nicht in den neuen Staat integriert.10 Entsprechend geht der Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen in der Sache Dano11 davon aus, dass Personen ausgeschlossen werden dürfen, die sich allein zur Arbeitssuche in einen anderen EU-Staat begeben. Auf der anderen Seite ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass (fast) jegliche Arbeitnehmertätigkeit12 reicht, um einen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt herzustellen und damit die Voraussetzungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV zu schaffen und entsprechend das Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Abs. 1 lit. a RL 2004/38/EG zu erwerben. Einzige Ausnahme ist der Fall, dass die Tätigkeit völlig untergeordnet ist und unwesentlich ist.13 Da dieses Aufenthaltsrecht nicht an das Vorhandensein von Existenzsicherungsmitteln anknüpft, haben diese Personen einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, auch wenn sie die Arbeit unfreiwillig schon wieder verloren haben (Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG). Der EuGH legt Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG insofern im Lichte des Art. 39 EG (jetzt Art. 45 Abs. 2 AEUV) einschränkend aus und stellt auf eine tatsächliche Verbindung zum (hier: deutschen) Arbeitsmarkt ab, die die Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und ihnen folgend die Gerichte festzustellen haben.

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Vom 20.05.2014 - C-333/13. EuGH, Urt. v. 19.09.2013 - C-140/12 - Brey und dazu die Ausführungen des Generalanwalts Wathelet in der Sache Dano C-333/13 v. 20.05.2014 - Rn. 120 ff. zur Abgrenzung von dieser Entscheidung. EuGH, Urt. v. 20.09.2001 - C-184/99 - Slg. 2001, I-6193 - Grzelczyk. EuGH, Urt. v. 07.09.2004 - C-456/02 - Slg. 2004, I-7473 - Trojani, i.E. ebenso für das deutsche Recht: BSG, Urt. v. 30.01.2013 - B 4 AS 54/ 12 R - BSGE 113,60 zum Leistungsanspruch nach dem SGB II einer Schwangeren. EuGH, Urt. v. 23.03.2004 - C-138/04 - Slg. 2004, I-2733 - Collins. Das gilt auch wohl, wenn der Betroffene sich in ferner Vergangenheit mal für einige Zeit in dem betreffenden Staat aufgehalten hat, vgl. den Fall von EuGH, Urt. v. 07.09.2004 - C-456/02 - Slg. 2004, I-7473 - Trojani, und EuGH, Urt. v. 23.03.2004 - C-138/04 - Slg. 2004, I-2733 - Collins. Vom 20.05.2014, Rn. 118. Zum Begriff der Arbeitnehmertätigkeit insbesondere im Hinblick auf berufliche Rehabilitation und Werkstätten für behinderte Menschen: EuGH, Urt. v. 07.09.2004 - C-456/02 - Slg. 2004, I-7473 - Trojani. EuGH, Urt. v. 04.06.2009 - C-22/08 und C-23/08 - Slg. 2009 I 4585 Vatsouras und Koupatantze.

JM 03 | Was geschieht aber in dem Fall, dass der EU-Bürger durch Arbeitstätigkeit eine Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt aufgebaut hat, seine Arbeit nach weniger als einem Jahr aber wieder verloren hat und deshalb seine EU-rechtliche Aufenthaltsberechtigung nach sechs Monaten wieder verliert (vgl. Art. 7 Abs. 3 lit. c) RL 2004/38/EG) oder die Arbeit selbst gekündigt und sie entsprechend nicht „unfreiwillig“ verloren hat (Art. 7 Abs. 3 lit. b und c) RL 2004/ 38/EG)? Das Bundessozialgericht hatte diese Fälle bisher über das europäische Fürsorgeabkommen gelöst.14 Dieser Weg ist nunmehr durch den inzwischen seitens der Bundesrepublik Deutschland erklärten Vorbehalt versperrt15 und ohnehin für die Staatsangehörigen der meisten mitteleuropäischen EU-Staaten mangels Ratifizierung des Fürsorgeabkommens nicht einschlägig.16 Hier wird es darauf ankommen, ob der EuGH weiterhin das Kriterium der Integration in den inländischen Arbeitsmarkt betont und wie er diese Integration abgrenzt. Dabei dürfte auch die Frage eine Rolle spielen, welche Bedeutung der EuGH der in den genannten Entscheidungen immer mal wieder ins Spiel gebrachten Überforderung von Mitgliedstaaten durch Sozialhilfeleistungen an fremde Staatsangehörige in diesem Zu-

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sammenhang beimisst. Auch die Überlegung, dass die Leistungen nach dem SGB II im Anschluss an das Arbeitslosengeld nicht nur der Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne einer Sozialhilfeleistung, sondern auch der Integration der Betroffenen in den deutschen Arbeitsmarkt dienen, sollte nicht vernachlässigt werden.17 Es steht zu hoffen, dass ein Teil dieser Fragen auf die Vorlage des BSG vom 12.12.201318 vom EuGH beantwortet wird. Es spricht aber derzeit Einiges dafür, die Umsetzung der Entscheidung Dano auf die Fälle des „Sozialtourismus“ also die Einreise ausschließlich zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beschränken. 14 15

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BSG, Urt. v. 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66. Das hat das BSG inzwischen bestätigt: EuGH-Vorlage v. 12.12.2013 B 4 AS 9/13 R - Rn. 23 und Orientierungssatz II. Vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.05.2012 - L 3 AS 1477/11 Rn. 77. Vgl. EuGH, Urt. v. 04.06.2009 - C-22/08 und C-23/08 - Slg. 2009, I-4585 - Vatsouras und Koupatantze, dazu Wollenschläger, NVwZ 2014, 1628, 1631. BSG, EuGH-Vorlage v. 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R, beim EuGH geführt und C-67/14.

Steuerrecht

Die Folgen der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft beim privaten Anteilsinhaber im Steuerrecht1 NotAss Dr. Philipp Aigner A. Einführung und Problemstellung Im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetz (UntStRefG) 20082 reformierte der Gesetzgeber umfassend die Besteuerung der Kapitaleinkünfte durch eine Neufassung des § 20 EStG, die u.a. die Einführung der sog. „Abgeltungsteuer“ mit sich brachte. Dabei handelt es sich nicht – wie der Name zunächst vermuten lässt – um eine bloße Neugestaltung der Art der Steuererhebung. Vielmehr führte sie auch zu umfangreichen materiell-rechtlichen Änderungen: Die Neuregelung sieht einen proportionalen Tarif von 25 % für Kapitaleinkünfte vor, schließt Werbungskosten vom Abzug aus (§ 20 Abs. 9 EStG) und unterwirft Veräußerungsgewinne der Besteuerung (§ 20 Abs. 2 EStG). Die Finanzverwaltung3 behandelt trotz dieser weitgehenden Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen den Verlust, den ein Anteilseigner im Falle der Liquidation und des Erlöschens der Kapitalgesellschaft4 – z.B. infolge einer Insolvenz – erleidet, rechtlich nicht anders als vor Einführung der Abgeltungsteuer: Er bleibt steuerlich unbe-

achtlich. Der Auffassung des BMF liegt ein in der Rechtslage vor dem UntStRefG 2008 verankertes Prinzip zugrunde, wonach zwischen Kapitalerträgen und Kapitalstamm zu trennen ist. Nur Kapitalerträge, die im Wege der Fruchtziehung erwirtschaftet werden, waren vor 2009 steuerbar. Wertveränderungen im privaten Kapitalvermögen waren hingegen, wie bei Überschusseinkünften generell üblich, unbeachtlich. Deshalb war auch der Verlust einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung steuerlich ohne Folgen. Der vorliegende Beitrag untersucht, ob ein Festhalten an diesen Grundsätzen im Lichte der nunmehr geltenden Rechtslage

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Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte und stark verkürzte Darstellung der Ergebnisse der Dissertation des Verfassers: Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), Boorberg Verlag, 2013. 14.08.2007, BGBl I 2007, 1912. BMF v. 09.10.2012, BStBl I 2012, 953, Tz. 63. Vgl. § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, § 273 Abs. 1 Satz 2 AktG.

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noch gerechtfertigt ist. Der Bundesfinanzhof5 hat diese Frage in nächster Zeit für den Fall der entschädigungslosen Einziehung von Aktien im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nach US-amerikanischem Recht zu entscheiden. B. Besteuerung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung im Privatvermögen Anteilseigner von Kapitalgesellschaften werden seit 2009 wie folgt besteuert: Laufende Erträge aus Anteilen an Kapitalgesellschaften (z.B. Dividenden) unterfallen § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, Bezüge, die nach der Auflösung anfallen, § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Rückzahlung von Nennkapital und Auszahlungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG sind nicht steuerbar. Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen wird nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG versteuert, es sei denn § 17 EStG ist vorrangig, weil der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Sind die Anschaffungskosten für die Beteiligung höher als der Betrag, den der Steuerpflichtige bei Liquidation erhält, dann findet dieser Verlust im Rahmen des veräußerungsgleichen Tatbestands des § 17 Abs. 4 EStG Berücksichtigung, der die Auflösung der Gesellschaft einer Veräußerung gleichstellt. Die entsprechende Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG hingegen sieht dies nicht vor. C. Verlustberücksichtigung in unmittelbarer Gesetzesanwendung Gleichwohl soll geklärt werden, ob der Verlust des Anteilsinhabers im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft auch im Rahmen des § 20 EStG berücksichtigt werden kann. Dabei kommen folgende Möglichkeiten in Betracht: I. Insolvenz als „Veräußerung“ 1. Insolvenz nach deutschem Recht Zunächst stellt die Insolvenz einer Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht keine Anteilsveräußerung (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) dar, welche eine Berücksichtigung der Anschaffungskosten der Beteiligung ermöglichen würde. Eine Veräußerung setzt nämlich nach dem natürlichen Wortsinn die Übertragung der Beteiligung auf einen anderen Rechtsträger voraus. Andernfalls hätte der Gesetzgeber nicht den Begriff der „Veräußerung“, sondern der „Entäußerung“ gewählt; diese setzt eine Übertragung nicht voraus.6 Eine historische Auslegung anhand der Gesetzesbegründung zum UntStRefG 2008 bestätigt dieses Ergebnis: Als „Veräußerung“ ist danach die entgeltliche „Übertragung des − zumindest wirtschaftlichen – Eigentums“ am Kapitalgesellschaftsanteil zu betrachten.7 Der bloße Verlust genügt nicht. Gleiches folgt aus einem systematischen Vergleich mit § 17 EStG: Wäre der Gewinn/Ver-

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lust im Rahmen der Auflösung bereits als „Veräußerung“ (§ 17 Abs. 1 EStG) berücksichtigungsfähig, dann bedürfte es auch nicht mehr der Regelung in § 17 Abs. 4 EStG: Danach „gilt“ als Veräußerung auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. Diese gesetzgeberische Fiktion bedeutet aber, dass eine „Auflösung“ gerade keine „Veräußerung“ ist. Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Rechtsprechung des BGH zum zivilrechtlichen Veräußerungsbegriff,8 ferner durch die des BFH zum Veräußerungsbegriff in § 23 EStG: Eine Veräußerung erfordert danach stets die Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten. Die Kündigung einer stillen Beteiligung9 oder der bloße Verfall einer Option10 erfüllen nicht den Tatbestand des § 23 EStG. Da der Veräußerungstatbestand in § 20 EStG an den des § 23 EStG angelehnt ist,11 kann auch bei den Kapitaleinkünften der bloße Untergang eines Wirtschaftsgutes nicht unter den Veräußerungsbegriff subsumiert werden.12 2. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 - 2 K 2096/11 Anders mag dies im vom BFH zu entscheidenden Fall zu beurteilen sein: Nach den leider etwas knappen Feststellungen des FG wurden gemäß dem nach amerikanischem Insolvenzrecht vereinbarten Insolvenzplan die Aktien des Unternehmens von den bisherigen Aktionären auf die Gläubiger übertragen, gingen also nicht unter. Das FG sah folglich die Voraussetzungen einer Veräußerung als gegeben.13 Sollte sich aber – gegebenenfalls nach einer Zurückverweisung – herausstellen, dass der Sachverhalt wie nach deutschem Recht zu beurteilen ist, gilt das oben Gesagte. II. Insolvenz als „Rückzahlung“ Auch lässt sich die Auflösung einer Kapitalgesellschaft im Rahmen der Insolvenz aus Sicht des Anteilseigners schwerlich als veräußerungsgleicher Tatbestand der „Rückzahlung“ (§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG) seiner Anschaffungskosten in Höhe von 0 € qualifizieren: Für Bezüge, die nicht in einer 5

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Az. IX R 57/13 (vormals VIII R 69/13); Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 - 2 K 2096/11. Vgl. dazu http://www.duden.de/rechtschreibung/veraeuszern; http:// www.duden.de/rechtschreibung/entaeuszern. BR-Drs. 220/07, S. 90. Dazu Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, S. 37. BFH, Urt. v. 18.10.2006 - IX R 7/04 - DStR 2006, 2206, 2207. BFH, Urt. v. 19.12.2007 - IX R 11/06 - BStBl. II 2008, 519. BR-Drs. 220/07, S. 91. Für den Streitstand in der Lit. vgl. Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, Fn. 92. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 - 2 K 2096/11 - DStRE 2014, 1487, 1488 f.

JM 03 | Rückzahlung des Nennkapitals bestehen, greift § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG als Spezialvorschrift. Diese liefe leer, wenn man den Liquidationsverlust als Rückzahlung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG behandelte. Wurde die Beteiligung von einem Dritten – nicht von der Gesellschaft – erworben, passt der Wortsinn einer „Rückzahlung“ i.S.e. „Rückerstattung einer früher erfolgten Zahlung“14 ohnehin nicht. III. Insolvenz als Teilwertabschreibung Ferner kommt eine Teilwertabschreibung auf eine Beteiligung, die im Privatvermögen – also im Bereich der nichtgewerblichen Vermögensverwaltung – gehalten wird, nicht in Betracht:15 § 6 EStG gilt grundsätzlich nur bei Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG), nicht jedoch für Überschusseinkünfte wie die des § 20 EStG.16 Das ergibt sich aus der systematischen Stellung des § 6 EStG innerhalb der Vorschriften für Gewinnermittlung (§§ 4 ff. EStG). IV. Insolvenz als Werbungskosten Schließlich scheidet die Berücksichtigung des Liquidationsverlusts als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften wegen des Abzugsverbots jedenfalls in unmittelbarer Gesetzesanwendung aus (§ 20 Abs. 9 Satz 1 HS. 2 EStG). Zusammenfassend ist in unmittelbarer Anwendung der gesetzlichen Vorschriften daher eine Berücksichtigung des Beteiligungsverlustes im Insolvenzfall einer Kapitalgesellschaft nicht möglich. D. Der Quellenwegfall als Werbungskosten Im weiteren Verlauf wird untersucht, ob es sich beim Beteiligungsverlust möglicherweise um Werbungskosten handelt, die vom Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG nicht erfasst werden, da sie nicht in verfassungskonformer Weise typisiert wurden (dazu ausführlich unter E). Vorrangige Voraussetzung dafür ist, dass der Beteiligungsverlust überhaupt als Werbungskosten qualifiziert werden kann (dazu sogleich). Für die Berücksichtigung von Aufwendungen als Werbungskosten müssen diese objektiv mit der Erwerbsleistung in § 20 EStG zusammenhängen und subjektiv zu deren Förderung getätigt werden.17 Die Ausweitung der steuerbaren Tätigkeit in § 20 EStG durch das UntStRefG 2008 hat danach folgende Auswirkungen auf die Reichweite des Veranlassungszusammenhangs:

Nach der Rechtslage vor 2009 bestand die Erwerbsleistung in der Überlassung von Geld gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen.18 Die Rechtsprechung19 verneinte den Veranlassungszusammenhang bei Verlust der Einlage

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durch Konkurs oder Liquidation, da jene ihren Rechtsgrund nicht im gesellschaftsrechtlichen Verhältnis, sondern im steuerlich irrelevanten Vermögensbereich haben. Ferner konnten die Anschaffungs- und Anschaffungsnebenkosten einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung nicht als Werbungskosten bei den laufenden Erträgen berücksichtigt werden. Grund hierfür war die Tatsache, dass auch „der Gewinn aus der Veräußerung einer nicht zum Betriebsvermögen gehörenden Kapitalanlage nicht zu steuerpflichtigen Einkünften im Sinne von § 20 EStG“20 gehört. Die Rechtsprechung versagte einen Abzug bei Verlust der Kapitalanlage somit deshalb, weil dieser nicht durch die steuerbare Tätigkeit in § 20 EStG a.F. veranlasst war.21 2. Übertragung auf neue Rechtslage Zwar ist seit 2009 neben der Überlassung von Kapital gegen Gewährung von Anteilsrechten auch der Verkauf der Kapitalanlage selbst als letzte Form ihrer Nutzung steuerbare Tätigkeit in § 20 EStG.22 Doch ist die Rückzahlung von Nennkapital und Einlagen – wie bereits nach altem Recht – steuerlich unbeachtlich (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, Nr. 2 EStG). Spiegelbildlich, so könnte man anführen, soll ihr Ausbleiben im Rahmen der Insolvenz die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht mindern. Würde man für die steuerliche Berücksichtigung des Liquidationsverlustes die vollständige steuerliche Verstrickung der Beteiligung verlangen, müsste man diese – wenigstens bis zur Höhe des Nennkapitals und der Einlagen – versagen. Die Rechtsprechung23 hat jedoch in der Vergangenheit zu erkennen gegeben, dass die für den Werbungskostenabzug entschei-

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I. Veranlassungszusammenhang 1. Rechtsprechung zur Rechtslage vor 2009

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Gabler, Wirtschaftslexikon, „Rückzahlung“, http://wirtschaftslexikon. gabler.de/Archiv/8496/rueckzahlung-v6.html. Gleicher Ansicht z.B. Harle/Geiger, BB 2011, 735, 736; Heuermann, DB 2009, 2173. Kulosa in: Schmidt, EStG, 33.Aufl. 2014, § 6 Rn. 2. St. Rspr. z.B. BFH, Urt. v. 27.08.2014 - VIII R 60/13 - DStR 2015, 162, 163. Harenberg in: H/H/R, EStG Stand 02/14, § 20 Rn. 40. FG München, Urt. v. 09.07.1991 - 13 K 3687/90 - EFG 1992, 15, 16; ähnlich RFH, Urt. v. 23.11.1927 - VI A 670/27 - RStBl. 1928, 27 f., der Aufwendungen eines GmbH Gesellschafters für den Ausgleich der durch die GmbH erwirtschafteten Verluste nicht mit der steuerbaren Tätigkeit bloßer Fruchtziehung im Veranlassungszusammenhang sah. BFH, Urt. v. 27.06.1989 - VIII R 30/88 - BStBl. II 1989, 934, 935; BFH, Urt. 17.04.1997 - VIII R 47/95 - DStRE 1998, 117, 118. Gleicher Ansicht Stuhrmann in: Blümich, EStG, § 20 Rn. 379 (85. Auflage 2004), der den Verlust des Stammrechts nicht mit der Einnahmeerzielung im Zusammenhang sieht. Harenberg in: H/H/R, EStG Stand 02/14, § 20 Rn. 40. Z.B. BFH, Urt. v. 27.06.1989 - VIII R 30/88 - BStBl. II 1989, 934, 935. Vgl. dazu im Detail: Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), S. 103 ff.

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dende Veranlassung in der Steuerbarkeit des Veräußerungserlöses und nicht der vollständigen steuerlichen Verstrickung des Kapitalstamms liege. Dies entspricht dem Charakter des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG als bloße Bewertungsvorschrift,24 die nichts über den Umfang der steuerbaren Tätigkeit aussagen kann, und folgt auch aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip, das in der Form des objektiven Nettoprinzips in § 9 EStG niedergelegt ist.25 Der Liquidations- oder Veräußerungsverlust einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung war deshalb nach § 20 EStG a.F. durch keine steuerlich relevante Tätigkeit veranlasst: Wer Vermögensgewinne steuerfrei genoss, erfuhr trotz gesteigerter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eine steuerlich privilegierte Behandlung. Deshalb waren auch korrespondierende Vermögensverluste steuerneutral in Kauf zu nehmen.26 Das Umgekehrte muss jedoch für § 20 EStG n.F. gerade wegen der neu eingeführten Veräußerungsgewinnbesteuerung gelten. Die Ansicht des FG Rheinland-Pfalz,27 wonach Anschaffungskosten bei den Kapitaleinkünften keine Werbungskosten sein könnten, verkennt diesen seit 2009 zu bejahenden Veranlassungszusammenhang. Das Gericht beruft sich dabei auf Rechtsprechung des BFH, die zur alten Rechtslage ergangen ist. Private Veräußerungsgewinne waren damals nämlich nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, etwa einer bestimmten Haltedauer (wie in § 23 EStG) oder einer bestimmten Beteiligungshöhe (wie in § 17 EStG) der Besteuerung unterworfen. Der BFH betonte deshalb den „Ausnahmecharakter“28 dieser Vorschriften, der eine Berücksichtigung von Anschaffungskosten als Werbungskosten im Rahmen des § 20 EStG a.F. entgegenstünde. Seit 2009 sind Veräußerungsgewinne im Rahmen des § 20 EStG generell, also ohne weitere Voraussetzungen, steuerbar, so dass die damals berechtigten Einwände des BFH heute nicht mehr tragen. Daher steht seit dem UntStRefG 2008 der Verlust, den ein Anteilseigner bei Liquidation seiner Kapitalgesellschaft erleidet, im Veranlassungszusammenhang zu Erwerbsleistung bei den Kapitaleinkünften. II. Vergleich mit Veräußerungsgewinnbesteuerung Zeichnet sich die Insolvenz der Kapitalgesellschaft ab, kann der Steuerpflichtige grundsätzlich seinen Anteil gegen ein auch noch so geringes Entgelt auf eine andere Person übertragen und dadurch einen steuerbaren Verlust erzielen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Anteilseigners hängt aber nicht davon ab, ob er die Beteiligung verkauft oder die Auflösung der Gesellschaft abwartet.29 Die Liquidation gilt zwar nicht als veräußerungsgleicher Tatbestand,30 die wirtschaftliche Vergleichbarkeit beider Sachverhalte spricht jedoch dafür,

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dass nicht nur der Veräußerungs-, sondern auch der Auflösungsverlust durch die steuerbare Tätigkeit in § 20 EStG veranlasst ist. III. Vergleich mit § 17 Abs. 4 EStG Auch ein Vergleich mit § 17 EStG gebietet die Berücksichtigung des Liquidationsverlustes. Seit des Absenkens der Beteiligungsschwelle in § 17 EStG von 25 % auf 1 % dient die Norm u.a. dazu, den Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit zu erfassen, der beim Verkauf der Beteiligung eintritt,31 verfolgt also denselben Zweck wie § 20 EStG.32 Bei beiden Normen ist die Beteiligung dem Privatvermögen zuzurechnen. Sie sind auch im Umfang der Einkünftebesteuerung sowohl bei laufenden Erträgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 EStG) wie auch beim Veräußerungsgewinn (§ 17 Abs. 2 EStG bzw. § 20 Abs. 4 EStG) vergleichbar. Daher ist die Wertung des Gesetzgebers, wonach der Liquidationsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG berücksichtigungsfähiger Aufwand ist, auf § 20 EStG übertragbar. IV. Vergleich mit dem Einnahmenüberschussrechner (§ 4 Abs. 3 EStG). Der Einnahmenüberschussrechner darf nach der Rechtsprechung des BFH die Anschaffungskosten einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung dann als Betriebsausgaben ansetzen, wenn deren Untergang endgültig feststeht,33 obwohl es sich bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 – wie bei § 20 EStG – um eine Geldflussrechnung handelt, Teilwertabschreibungen unzulässig sind und deshalb – nach der Technik der Gewinnermittlung – eine bloße Vermögensminderung ohne Geldfluss, wie der Beteiligungsverlust sie darstellt, eigentlich ebenfalls unbeachtlich sein sollte.

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Die dadurch bewirkte Änderung des Anschaffungskostenbegriffs soll gewährleisten, dass nur die stillen Reserven, die sich in der Beteiligung gebildet haben, steuerlich erfasst werden (BFH, Urt. v. 20.04.1999 - VIII R 44/96 - BStBl. II 1999, 698, 701 für § 17 EStG). Ähnlich Jochum/Wassermeyer in: K/S/M, EStG Stand 02/10, § 20 Rn. A 40. Jakob/Wittmann, FR 1988, 540, 553. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 - 2 K 2096/11 - DStRE 2014, 1487, 1488. BFH, Urt. v. 17.04.1997 - VIII R 47/95 - DStRE 1998, 117, 118. Gleicher Ansicht Kleinmanns, DStR 2009, 2359, 2361. C. I. 1. BFH, Urt. v. 16.05.1995 - VIII R 33/94 - BStBl. II 1995, 870, 872; gleicher Ansicht Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, 2000, S. 125. Vgl. BR-Drs. 220/07, S .90. Z.B. BFH, Urt. v. 23.11.1978 - IV R 146/75 - BStBl. II 1979, 109, 111; für weitere Nachweise vgl., Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, Fn. 670.

JM 03 | Der Umfang der Erwerbsleistung in § 20 EStG ist ferner in zweierlei Hinsicht mit den Gewinneinkünften vergleichbar: Zum einen ist das Erzielen sowohl laufender Einkünfte wie auch solcher aus Veräußerungsgeschäften steuerbare Tätigkeit. Zum anderen ist das System dieser Besteuerung in § 20 EStG ebenso unbedingt wie bei den Gewinneinkünften: Es kommt für die individuelle Steuerpflicht weder auf eine Haltedauer (wie in § 23 EStG) noch eine Beteiligungshöhe (wie in § 17 EStG) an. Dabei ist nicht entscheidend, dass § 20 EStG – im Unterschied zu § 4 Abs. 3 EStG – kein steuerbares Betriebsvermögen kennt. Entscheidend ist, dass der Kapitalgesellschaftsanteil „wie Betriebsvermögen dem Besteuerungszugriff unterliegt“34, weil Wertsteigerungen im Privatvermögen erfasst werden.35 Hat die steuerbare Tätigkeit, die die Reichweite des wirtschaftlichen Zusammenhangs in § 9 EStG bestimmt, bei den Kapitaleinkünften den gleichen Umfang wie bei den Gewinneinkünften, dann ist auch in § 20 EStG der Liquidationsverlust einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung durch sie veranlasst. Zusammenfassend ist der Liquidationsverlust bei einer Kapitalgesellschaft daher durch die steuerbare Tätigkeit des § 20 EStG n.F. veranlasst. E. Die Nichtberücksichtigung des Verlustes bei Insolvenz als Werbungskosten als Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG Gleichwohl scheitert die Berücksichtigung des Verlusts der Beteiligung zunächst am Wortlaut des Werbungskostenabzugsverbots. Deshalb ist zu klären, ob dieses den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Steuergesetze entspricht. I. Keine folgerichtige Ausgestaltung der Abgeltungsteuer Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gewährt dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar bei der Festlegung des Steuergegenstandes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Eine einmal getroffene Belastungsentscheidung muss der Gesetzgeber aber folgerichtig ausgestalten:36

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(§ 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG), der Verlust des Gesellschaftsanteils ohne Verwirklichung eines veräußerungsähnlichen Tatbestands aber unbeachtlich ist, hat der Gesetzgeber die Abgeltungsteuer insoweit nicht folgerichtig ausgestaltet. 2. Keine folgerichtige Ausgestaltung im Vergleich zu anderen Einkunftsarten Wie erläutert, wird der Liquidationsverlust bei den Einkünften aus §§ 4 Abs. 3 und 17 EStG steuermindernd berücksichtigt. Da bei den anderen Einkunftsarten die Berücksichtigung des Liquidationsverlusts eine Ausprägung des Nettoprinzips darstellt und dieses auch § 20 EStG zugrunde liegt,37 hat der Gesetzgeber die Abgeltungsteuer insoweit ebenso wenig folgerichtig ausgestaltet. II. Rechtfertigung nach den Grundsätzen der Typisierung Durchbrechungen der folgerichtigen Beachtung dieses Nettoprinzips können jedoch durch das Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes gerechtfertigt werden.38 Dazu zählt auch die Befugnis des Gesetzgebers zur realitätsgerechten Typisierung von Aufwendungen.39 Der Sparer-Pauschbetrag soll nach dem Willen des Gesetzgebers Werbungskosten für niedrige Einkommen abgelten.40 Er erfasst jedoch nicht einmal bei Kleinverdienern Aufwendungen durch den Verlust des eingesetzten Kapitals bei Insolvenz der Kapitalgesellschaft in realitätsgerechter Weise. Deshalb lässt der Gesetzgeber für den Veräußerungsfall die Abziehbarkeit der Anschaffungskosten in § 20 Abs. 4 EStG zu, und zwar sogar dann, wenn der Steuerpflichtige diese nicht nachweist (§ 43a Abs. 2 Satz 7 EStG). Bei den oberen Einkommensgruppen vermag auch der Proportionalsteuersatz von 25 % den Verlust des Gesellschafters im Fall der Insolvenz nicht zu berücksichtigen, weil dann meist ohnehin keine positiven Einkünfte anfallen, die von einem niedrigeren Steuersatz profitieren könnten. Ferner sind Aufwendungen im Zusammenhang 34

1. Keine folgerichtige Ausgestaltung innerhalb des § 20 EStG Wie in Kapitel D. II. gezeigt wurde, ist der liquidationsnahe Verkauf eines Gesellschaftsanteils (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) mit dem Festhalten am Anteil bis zu dessen Untergang vergleichbar. In beiden Fällen wird der Steuerpflichtige den in der Vergangenheit eingetretenen Wertverlust wirtschaftlich zu tragen haben, sei es, indem er nur einen niedrigen Verkaufserlös erzielen kann, sei es, indem er den Auflösungsverlust der Gesellschaft selbst hinnimmt. Da der Verkaufsverlust steuermindernd berücksichtigt wird

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BFH, Urt. v. 16.03.2010 - VIII R 20/08 - BStBl. II 2010, 787, 790 zur Abziehbarkeit nachträglicher Schuldzinsen für die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung i.S. von § 17 EStG. Zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf § 20 EStG vgl. Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, S. 140 ff. BFH, Urt. v. 16.03.2010 - VIII R 20/08 - BStBl. II 2010, 787, 789. BVerfG, Urt. v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89 - BVerfGE 84, 239, 271. Vgl. Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, S. 41 ff. BVerfG, Beschl. v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99 - BVerfGE 116, 164, 180 f. Z.B. BVerfG, Beschl. v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99 - BVerfGE 116, 164, 182 f. BR-Drs. S. 220/07, S. 92.

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mit der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft generell nicht typisierungsfähig, weil sie in proportionaler Weise vom investierten Betrag abhängen. Die Durchbrechung des Nettoprinzips ist also nicht gerechtfertigt. F. Verfassungskonforme Gesetzesinterpretation

II. „Veräußerung“ (§ 20 Abs. 2 EStG) analog

Deshalb ist zu klären, ob die andernfalls drohende Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Gesetzesinterpretation abgewendet werden kann.

Der Verlust des Anteilseigners bei Insolvenz der Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht kann in direkter Anwendung des Gesetzes nicht als „Veräußerung“ gesehen werden.47 Fraglich ist aber, ob wenigstens durch Analogie zum Veräußerungsbegriff oder den veräußerungsgleichen Tatbeständen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG) eine Berücksichtigung dieses Verlustes erreicht werden kann. Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz ein Rechtsprinzip enthält, das der Wortlaut des Gesetzes nicht umsetzt, und es sich hierbei um keine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt. Die Regelungslücke muss also planwidrig sein.48

I. Teleologische Reduktion des Werbungskostenabzugsverbots Divergieren Gesetzeswortlaut und -zweck, ist der Wortlaut der Norm zweckentsprechend einzuschränken (sog. teleologische Reduktion), sofern sich das Gesetz – gemessen an seinem Zweck – als planwidrig zu weit darstellt.41 Die Einführung des Werbungskostenabzugsverbots durch das UntStRefG 2008 sollte lediglich der Senkung von Bürokratiekosten durch Vermeidung des Veranlagungsverfahrens dienen,42 nicht der Versagung der Berücksichtigung von Anschaffungskosten. Eine teleologische Reduktion des Werbungskostenabzugsverbots kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn der weit gefasste Gesetzeswortlaut Ergebnis einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers ist.43 Zwar wollte der Gesetzgeber in der Tat alle Werbungskosten vom Abzug ausschließen. Jedoch geht aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht hervor, dass die Auswirkung einer Ausweitung des Steuerzugriffs auf den Umfang der abziehbaren Erwerbsaufwendungen bedacht wurde: Der Liquidationsverlust war vor dem UntStRefG 2008 nicht durch die Erwerbsleistung in § 20 EStG a.F. veranlasst.44 Deshalb liegen der Bemessung des typischen Aufwands lediglich die Ausgaben zugrunde, die zur Zeit der Gesetzesentstehung als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften anerkannt waren, also z.B. Beratungs- und Verwaltungskosten sowie Schuldzinsen. Diese betrugen im Durchschnitt 445 €45 was den Pauschbetrag in Höhe von 801 € zusammen mit dem niedrigen Proportionalsteuersatz als realitätsgerechte Typisierung erscheinen lässt. Dies legt die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber übersehen hat, dass eine Ausweitung der Erwerbsleistung bei den Kapitaleinkünften auch ein Mehr an Aufwendungen nach sich zieht, die im Veranlassungszusammenhang zu diesen Einkünften stehen. Der Aufwand, der im Verlust der Gesellschaftsbeteiligung liegt, wurde daher nicht durch eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers von der Berücksichtigung als Werbungskosten ausgeschlossen.

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Die verfassungskonforme Auslegung gebietet, dass die in Frage stehende Regelung – soweit dies nach der Verfassung möglich ist – aufrechterhalten wird.46 Deshalb ist der Werbungskostenausschluss nur im Fall eines Liquidationsverlusts bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nicht anwendbar.

Dieses Prinzip könnte darin gesehen werden, dass – wie im Fall des Betriebsvermögens – sämtliche Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen in § 20 EStG n.F. erfasst werden sollen.49 Zunächst führt die umfassende Veräußerungsgewinnbesteuerung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG) nicht dazu, dass Kapitalanlagen nun in betriebsvermögensähnlicher Weise verbunden wären. Dies zeigt ein Blick auf § 17 EStG und § 23 EStG: Beide Normen sahen bereits vor 2009 eine Veräußerungsgewinnbesteuerung vor, ohne dass diese zu einer Art Betriebsvermögen geführt hätte.50 Ferner sind in § 20 EStG die Kapitalanlagen einzeln zu beurteilen und Steuertatbestände punktuell und nicht als Generalnorm wie etwa bei den gewerblichen Einkünften (§ 15 Abs. 2 EStG) aufgelistet. Außerdem fehlt es an einer Aufzeichnungspflicht für Wirtschaftsgüter, die dem steuer-

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BFH, Urt. v. 04.12.2001 - III R 47/00 - BStBl. II 2002, 195, 196. BR-Drs. 220/07, S. 61 ff., 102. BFH, Urt. v. 04.12.2001 - III R 47/00 - BStBl. II 2002, 195, 196. Vgl. D. I. 1. Wenzel, DStR 2009, 1182, 1183 mit Hinweis auf eine Publikation des Statistischen Bundesamtes. Z.B. BVerfG, Beschl. v. 03.06.1992 - 2 BvR 78/89 - BVerfGE 86, 288, 320 f. Vgl. C. I. 1. Vgl. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 5 Rn. 56. Ähnlich die Gesetzesbegründung BR-Drs. Drs. 220/07, S. 89. BFH, Urt. v. 19.01.1993 - VIII R 74/91 - BFH/NV 1993, 714, 715 für § 17 EStG.

JM 03 | verstrickten Vermögen zugeordnet wären, wie es sie beim Einnahmenüberschussrechner gibt (§ 4 Abs. 3 Satz 5 EStG). Deshalb und wegen des Fehlens von Einlage- und Entnahmetatbeständen ist in § 20 EStG keine hinreichende Abgrenzung zur steuerlich irrelevanten Privatsphäre gewährleistet; im Umkehrschluss gibt es bei den Kapitaleinkünften auch kein steuerverhaftetes Betriebsvermögen, das als analogiefähiges Rechtsprinzip der Erfassung sämtlicher Wertveränderungen dienen könnte. Ferner orientiert sich ausweislich der Gesetzesbegründung51 die Besteuerung des Veräußerungsgewinns in § 20 EStG an der Regelung des § 17 EStG; deshalb ist es schwer vorstellbar, dass der Gesetzgeber lediglich übersehen hat, die „Liquidation“, die in § 17 Abs. 4 EStG ausdrücklich genannt ist, in den Katalog der veräußerungsgleichen Tatbestände bei den Kapitaleinkünften (§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG) mit aufzunehmen. Daher bleibt der Verlust, der dem Steuerpflichtigen bei Auflösung einer Kapitalgesellschaft erwächst, durch eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers unberücksichtigt. Dies steht einem Analogieschluss entgegen. Eine analoge Anwendung der Veräußerungsgewinnbesteuerung (§ 20 Abs. 2 EStG) zur Berücksichtigung von Verlusten beim Anteilseigner im Rahmen einer Insolvenz der Kapitalgesellschaft scheidet daher aus.52 G. Ergebnis und Ausblick Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Verlust, den der Anteilsinhaber im Rahmen der Insolvenz seiner Kapitalgesellschaft erleidet, zwar im Wege der verfassungskonformen Auslegung als Werbungskosten berücksichtigt werden. Gleichwohl wäre eine ausdrückliche Verankerung im Gesetz wünschenswert. Aus systematischen Gründen sollte die Liquidation bei den veräußerungsgleichen Tatbeständen normiert werden. So wären sämtliche Einkünfte aus der Beendigung der Kapitalanlage in § 20 Abs. 2 EStG zusammengefasst und § 17 EStG könnte abgeschafft werden.53

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BR-Drs. 220/07, S. 91. Gleicher Ansicht Kleinmanns, DStR 2009, 2359, 2360; anderer Ansicht FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 - 2 K 2096/11 - DStRE 2014, 1487, 1489 f.; Harenberg, in: H/H/R, EStG Stand 02/14, § 20 Rn. 531; Hensel, NWB 2010, 966, 969; Kellersmann, FR 2012, 57, 67; Moritz/Strohm in: Frotscher, EStG Stand 01/12, § 20 Rn. 268; Niemeyer/Stock, DStR 2011, 445, 446; Schlotter in: Littmann/Bitz/Pust, EStG Stand 05/11, § 20 Rn. 1546. Gleicher Ansicht Weber-Grellet, DStR 2013, 1357, 1361; dazu im Detail Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften (§ 20 EStG n.F.), 2013, S. 215 ff.

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Verzinsung von Genussrechten als Arbeitslohn BFH, Urt. v. 21.10.2014 - VIII R 44/11 RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth A. Problemstellung Erwirbt der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber Beteiligungen in der Form von Genussrechten und erzielt er hieraus Einnahmen, stellt sich die Frage, ob es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) oder um Kapitaleinkünfte (§ 20 EStG) handelt. Die Qualifizierung der Erträge als Kapitaleinkünfte kann nicht nur wegen des ab dem 01.01.2009 geltenden gesonderten Steuersatzes für Kapitaleinkünfte in Höhe von 25 % (§ 32d Abs. 1 EStG), sondern auch im Hinblick auf den Sparer-Pauschbetrag gemäß § 20 Abs. 9 EStG Auswirkung auf die Höhe der Steuer haben. Mangels einer Subsidiaritätsklausel ist das Rangverhältnis zwischen den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG und aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG gesetzlich nicht geregelt. Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, welche dieser beiden Einkunftsarten im Vordergrund steht und dadurch die andere Einkunftsart verdrängt.1 Zu beachten ist, dass der BFH zwar verschiedene Gesichtspunkte aufgezeigt hat, die bei Zuwendungen des Arbeitgebers die Annahme rechtfertigen können, dass der betreffende Vorteil durch das Dienstverhältnis veranlasst ist. Da die berufliche Veranlassung aber stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist, sind diese Umstände nur Beweisanzeichen (Indizien) für die im Einzelfall maßgebliche Veranlassung.2 Danach schließt allein der Umstand, dass die Genussrechte nur Arbeitnehmern zum Erwerb angeboten werden, es nicht aus, dass der mit diesen erzielte Überschuss seine Ursache allein in der Kapitalbegebung hat und damit als ein nicht aus dem Arbeitsverhältnis resultierender Vorteil zu qualifizieren ist. Denn jede Form der Mitarbeiterbeteiligung ist naturgemäß auf den Arbeitnehmer bezogen, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber nur einen Teil seiner Arbeitnehmer an seinem Unternehmen beteiligen möchte. Auch eine Verfallklausel, nach der die Genussrechte bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitgeber zwingend zurück zu verkaufen sind, ist lediglich ein Indiz für die enge wirt-

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Z.B. BFH, Beschl. v. 28.06.2007 - VI B 23/07 - BFH/NV 2007, 1870; BFH, Urt. v. 31.10.1989 - VIII R 210/83 - BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532. BFH, Urt. v. 20.11.2008 - VI R 25/05 - BFHE 223, 419.

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Die Monatszeitschrift

schaftliche Verknüpfung zwischen dem Dienstverhältnis und dem Kauf und Rückkauf der Genussrechte.3 Erforderlich ist vielmehr, dass bei einer solchen Form der Mitarbeiterbeteiligung ein Sonderrechtsverhältnis begründet wird, das unabhängig vom Arbeitsverhältnis besteht und den gesamten Leistungsaustausch der Vertragspartner abbildet, ohne dass daneben noch dem Arbeitsverhältnis zuzuordnende, lohnsteuerrechtlich erhebliche Leistungen vorliegen.4 B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Im Streitfall erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Arbeitnehmer einer GmbH. Als Arbeitslohn erhielt er neben einem festen Gehalt eine Erfolgsbeteiligung. Darüberhinaus räumte die GmbH ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit ein, unverbriefte Genussrechte der Form A und B an ihrem Unternehmen zu erwerben. Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass die Höhe der Verzinsung der Genussrechte nicht von vornherein bestimmt war, sondern von einem Gremium, das sich aus Arbeitnehmern, Gesellschaftern und Geschäftsführern der Arbeitgeberin zusammensetzte, jährlich festgelegt wurde. Die Genussrechte waren entsprechend ihrem Verhältnis zum Gesellschafterkapital auch am Verlust der Gesellschaft beteiligt, wobei sich die Verlustbeteiligung auf die Einlage beschränkte. Im Fall der Liquidation erfolgte die Rückzahlung des Genussrechtskapitals zum Nennwert, abzüglich einer etwaigen Verlustbeteiligung nach Befriedigung der übrigen Gläubiger. Eine Beleihung, Verpfändung und der Verkauf des Genussrechts waren für die gesamte Laufzeit ausgeschlossen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses führte bei den Genussrechten der Form B automatisch zur Kündigung der Genussrechtsbeteiligung. Der Kläger erwarb Genussrechte der Form A und B. Das Genussrechtskapital wurde in Höhe von 2.036,05 € verzinst und an den Kläger ausgezahlt. Das FA berücksichtigte diese Einnahmen zunächst erklärungsgemäß als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es die Einnahmen des Klägers aus der Verzinsung der Genussrechte als Arbeitslohn der Besteuerung zugrunde legte, so dass sich der Sparerfreibetrag nicht mehr in voller Höhe steuermindernd auswirkte. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Der BFH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das FG war aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedingun-

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gen, zu denen der Erwerb und die Verzinsung der Genussrechte der Form A und B erfolgten, zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einnahmen des Klägers aus den Erträgen der Genussrechte durch das Arbeitsverhältnis veranlasst waren, da eine untrennbare Beziehung zwischen dem Arbeitsverhältnis und den Genussrechten bestand. Es hat dies nicht nur daraus geschlossen, dass die Genussrechte nur von Arbeitnehmern der GmbH erworben werden konnten und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei den Genussrechten der Form B automatisch zur Kündigung der Genussrechtsbeteiligung führte, sondern auch daraus, dass die Verzinsung der Genussrechte nicht zu marktüblichen Konditionen erfolgte, da sich ein fremder Kapitalgeber auf eine nur als „angemessen“ bezeichnete und damit völlig unbestimmte Verzinsung nicht eingelassen hätte. Nach Ansicht des BFH war diese Würdigung möglich und in sich schlüssig, so dass er an die zu den tatsächlichen Feststellungen gehörende Gesamtwürdigung des FG gebunden war (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). C. Auswirkungen für die Praxis Der VIII. Senat des BFH ist der Rechtsprechung des VI. Senats gefolgt, wonach allein der Umstand, dass eine Beteiligung am Unternehmenserfolg nur Mitarbeitern angeboten wird, und eine Verfallsklausel bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen, um die Erträge aus der Mitarbeiterbeteiligung als Arbeitseinkünfte im Sinne des § 19 EStG zu qualifizieren. Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG liegen jedoch nur dann vor, wenn durch den Erwerb der Mitarbeiterbeteiligung ein Sonderrechtsverhältnis begründet wird, das unabhängig vom Arbeitsverhältnis besteht und den gesamten Leistungsaustausch der Vertragspartner abbildet. So darf weder die Höhe des Rückkaufspreises vom „Wohlverhalten“ des Arbeitnehmers abhängig sein5, noch – wie im vorliegenden Fall – die Höhe der Verzinsung so unbestimmt sein, dass sich ein fremder Kapitalgeber auf die Regelung nicht eingelassen hätte. Zu beachten ist, dass zur Beurteilung dieser Frage eine Gesamtbewertung des Vertragsverhältnisses vorzunehmen ist, die von dem BFH nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Würdigung des FG möglich und in sich schlüssig ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt.

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BFH, Urt. v. 05.11.2013 - VIII R 20/11 - BFHE 243, 481. BFH, Urt. v. 17.06.2009 - VI R 69/06 - BFHE 226, 47. BFH, Urt. v. 05.11.2013 - VIII R 20/11 - BFHE 243, 481.

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Strafrecht

Court-TV? – Zum Stand der Diskussion um § 169 Satz 2 GVG RA Prof. Dr. Guido Britz A. Einleitung

B. Zum Aufnahmeverbot des § 169 Satz 2 GVG

In das Jahr 2014 fiel der 25. Jahrestag des sog. Mauerfalls. Zweifelsohne handelt es sich um ein prägnantes Datum in der jüngeren deutschen Geschichte. Zu Recht wurde der Jahrestag am 09.11.2014 feierlich begangen. In die Zeit des damit in Erinnerung gerufenen Umbruchs fallen bekanntermaßen auch diverse strafrechtliche Problemstellungen und Entscheidungen von zumindest damals weitreichender Bedeutung. Von sicherlich überdauernder Relevanz aus dieser Zeit ist hingegen die Wiederbelebung der Diskussion um das in § 169 Satz 2 GVG kodifizierte Filmund Aufnahmeverbot, welches mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des GVG (StPÄG) vom 19.12.19641 in die Vorschrift des § 169 GVG eingefügt wurde.

Bevor mit der Vorschrift des § 169 Satz 2 GVG – in verklausuliert anmutendem Amtsdeutsch4 – Ton- und FernsehRundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts für unzulässig erklärt wurden, war es Aufgabe des Vorsitzenden, die audiovisuelle Medienöffentlichkeit zu regeln. Im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Zuständigkeit nach § 176 GVG stand die Entscheidung über audiovisuelle Aufnahmen in seinem pflichtgemäßen Ermessen.5 Flankierend wirkten die Richtlinien für das Strafverfahren (RiStV).6 Soweit sich dies heute in Ermangelung entsprechender spezifischer Untersuchungen rekonstruieren lässt, stand vor allem die Strafjustiz den audiovisuellen Medien in ihren damaligen Erscheinungsformen wohl eher aufgeschlossen gegenüber. Verschiedene Autoren berichten nämlich von Fernsehsendungen mit sog. Originalaufnahmen aus (Straf-)Gerichten.7 Eine in der Tendenz offene Praxis der Strafjustiz im Umgang mit der Medienöffentlichkeit kann zudem aus einigen höchstrichterlichen Entschei-

Neben Berichten in deutschen Medien über aufsehenerregende Strafverfahren in den U.S.A.2, wie nicht zuletzt der „Trial of Century“ gegen O.J. Simpson3 und dem in diesem Zusammenhang stärker aufkommenden Courtroom-Television, drückte vor allem das BVerfG der aufkommenden Debatte seinen Stempel auf. Zum einen handelte es sich hierbei um die Entscheidungen in zwei zeitgeschichtlich bedeutsamen Strafverfahren, nämlich im sog. HoneckerVerfahren sowie im sog. Politbüro-Prozess. Zum anderen ging es um den vom höchsten deutschen Gericht selbst praktizierten Umgang mit der Medienöffentlichkeit, welcher 1998 in eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes mündete. Seitdem wird mit wechselnder Intensität um die Berechtigung von § 169 Satz 2 GVG gestritten. Schließlich geriet im Jahre 2013 die Norm wieder in den Fokus des Gesetzgebers. Von der Kodifikation des Film- und Aufnahmeverbots in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts über die Wendejahre bis heute lässt sich daher eine äußerst kontroverse Diskussion um eine durchaus ambivalente Form der Medienöffentlichkeit mit ihrem Auf und Ab skizzieren. Die Frage ist zudem, wie weit das vor kurzem angestoßene Reformvorhaben gediehen ist. Die relevanten Gesichtspunkte zusammenzustellen und die maßgeblichen Entwicklungslinien pointiert zusammenzufassen, ist das Anliegen des Beitrags.

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BGBl I 1964, 1067. Hierzu zählen die Verfahren gegen William Kennedy Smith, einem Neffen von John F. Kennedy, sowie das Verfahren gegen Oliver North; vgl.: Wolf, ZRP 1994, 189 m.w.N.; Braun, Medienberichterstattung über Strafverfahren im deutschen und englischen Recht, Freiburg i.Br. 1998, S. 245 f. Vgl. hierzu: Alan M. Dershowitz, Reasonables Doubts, The O.J. Simpson Case an the Criminal Justice System, 1996; Robert L. Shapiro, The Search for Justice: A Defense Attorny’s Brief on the O.J. Simpson Case, 1996; Christopher A. Darden/Jess Walter, In Contempt, 1996; O.J. Simpson, I Want To Tell You, 1996. Zur deutschen Presse hierüber: ZEIT Nr. 7 vom 10.02.1995 (Ein lehrreiches Spektakel); ZEIT Nr. 8 vom 17.02.1995 (Hundert Millionen und zwölf Geschworene); FAZ vom 20.01.1995 (Justiz als Show); FAZ-Magazin vom 31.03.1995 (Heraus mit der Sensation: O.J. Simpson vor Gericht). Britz, Das Fernsehen gehört in die Hauptverhandlung – Kritische Anmerkungen zur Vorschrift des § 169 S. 2 GVG, in: FS für Wolf Schiller (Lüderssen/Volk/Wahle, Hrsg.), Baden-Baden 2014, S. 81 ff. (S. 85). Schäfer, in: LR (20. Aufl. 1956), GVG § 176 Nr. 2c; Schorn, LZ Bd. 26 (1932), Sp. 1410; Sarstedt, JR 1956, 125. Ausführlich hierzu: Britz Das Fernsehen gehört in die Hauptverhandlung – Kritische Anmerkungen zur Vorschrift des § 169 S. 2 GVG, in: FS für Wolf Schiller (Lüderssen/Volk/Wahle, Hrsg.), Baden-Baden 2014, S. 88 f. Sarstedt, JR 1954, 121; Lang, Ton- und Bildträger. Materielle und prozessuale Grundfragen in persönlichkeitsrechtlicher Sicht, Bielefeld 1960, S. 70.

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Die Monatszeitschrift

dungen8 zur Thematik hergeleitet werden. Angesichts dessen wird zuweilen in atmosphärischer Verdichtung formuliert, dass in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts „Rundfunkreporter mit ihren Mikrophonen in den Schwurgerichtssaal eingedrungen“ seien.9

dies, obwohl sich die Medienlandschaft rasant zu verändern begann. In die Wende- bzw. Nachwendejahre fällt schließlich die Renaissance der Diskussion um die Zulässigkeit von audiovisuellen Aufnahmen hauptsächlich aus der strafgerichtlichen Hauptverhandlung.

Ohne dass freilich Missbräuche oder gar Exzesse hätten festgestellt werden können, formierte sich in diesem liberalen Klima alsbald der Widerstand. Die Thematik wurde anlässlich des 30. Deutschen Anwaltstages in Stuttgart im Mai 1959 – „Der Anwalt im Strafprozeß“ – aufgegriffen.10 Als Referent menetekelte Dahs mit dem „technischen Pranger“ und forderte angesichts „der schwersten Übelstände“ ein Aufnahmeverbot.11 Dem schlossen sich kurz darauf der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und schließlich der Deutsche Richterbund an.12 Argumentiert wurde mit etwaigen Gefahren für die Wahrheitsfindung, mit möglichen Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der am Verfahren Beteiligten sowie mit einer Beeinträchtigung der Würde des Gerichts. In der leidenschaftlichen Debatte, wie sie in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts um die Zulässigkeit der audiovisuellen Berichterstattung vornehmlich aus dem Strafgerichtssaal geführt wurde, hatte sich somit binnen kurzem wegen der eindeutigen Voten der damaligen Opinion Leaders – es handelt sich um Eb. Schmidt, Dahs, Sarstedt, Bockelmann sowie Schorn13 – eine herrschende Meinung mit einem unnachgiebigen Standpunkt herausgebildet. „Kein Wechsel vom Tribunal zur Szene!“14, war die unmissverständliche Parole der Stunde. Mit einer unerklärlichen Medienphobie verbarrikadierte man sich hinter der Saalöffentlichkeit als dem überkommenen Interpretationskern des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Hinzu kam die auf Feuerbach zurückgehende15, jedoch artifizielle16 Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Öffentlichkeit.

Auslöser war die strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. So begann am 12.11.1992 vor dem LG Berlin das Verfahren gegen Erich Honecker und andere22, denen vorgeworfen wurde, als Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates für Todesschüsse an der früheren innerdeutschen Grenze verantwortlich gewesen zu sein.23 Das Interesse der Öffentlichkeit wie der Medien war – national wie international – erheblich; es wurde mit einem regelrechten Ansturm gerechnet. Obwohl sich das ZDF bereits im Vorfeld mit der ARD sowie RTL plus und SAT 1 auf eine sog. Poollösung zur Vermeidung nachteiliger Folgen für das Verfahren verständigt und hiervon den Vorsitzenden des

Der Gesetzgeber übernahm den von der Justizpraxis goutierten Standpunkt der herrschenden Meinung. Über zwei Legislaturperioden hinweg wurden in dem Zeitraum 1960 bis 1962 in drei nahezu identischen Entwürfen zum StPÄG die kardinalen Punkte wiederholt.17 Während im Gesetzgebungsverfahren noch Ausnahmen vom Aufnahmeverbot vorgesehen worden waren18, kristallisierte sich auch wegen der Haltung des Bundesrates19 ein striktes Verbot heraus. Die heutige Fassung des Aufnahmeverbots lässt sich somit direkt auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages20 zurückführen. Das Gesetz trat am 01.01.1964 in Kraft.

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C. Das Aufnahmeverbot in den (Nach-)Wendejahren Nach 1964 war es – von vereinzelten Stimmen abgesehen21 – erstaunlich ruhig um das in § 169 Satz 2 GVG geregelte Verbot der audiovisuellen Berichterstattung;

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BayObLG v. 18.01.1956 - BReg 3 St 175/55; BGH, Urt. v. 08.02.1957 - 1 StR 375/56 - BGHSt 10, 202 ff. (sog. Rundfunkentscheidung); BGH, Urt. v, 13.06.1961 - 1 StR 179/61 - BGHSt 16, 111 ff. (sog. Fernsehentscheidung). Braun, Medienberichterstattung über Strafverfahren im deutschen und englischen Recht, Freiburg i.Br. 1998, S. 264. Hierzu: AnwBl. 1959, 159 ff.; NJW 1959, 1169. Dahs, AnwBl. 1959, 181. Arndt, NJW 1960, 424; Dahs, NJW 1961, 1757; Mitteilungen, in: DRiZ 1960, 196 f. Eb. Schmidt, JZ 1956, 206 ff.; ders., Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil I, Rn. 345b – 345d; Dahs, AnwBl. 1959, 171 ff.; Sarstedt, JR 1956, 121 ff.; Schorn, Der Strafrichter. Ein Handbuch für das Strafverfahren, Frankfurt a.M., 1960, S. 202 ff. Zu den vorsichtigen Stimmen: Becker, DRiZ 1960, 218; Arndt, NJW 1960, 424; Schneider, JuS 1963, 350. Bockelmann, NJW 1960, 219. v. Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Bd. 1, Giessen 1821 (Neudruck Aalen 1969), S. 25. Burballa, Die Fernsehöffentlichkeit als Bestandteil des Öffentlichkeitsgrundsatzes, Frankfurt a.M. 1998, S. 41 ff., 54; Rohde, Die Öffentlichkeit im Strafprozeß, Bochum 1972, S. 17 f. BT-Dr. III/2037, S. 12; BT-Dr. IV/63, S. 12; BT-Dr. IV/178, S. 12. Zur Gesetzgebungsgeschichte: Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, Baden-Baden 1999, S. 108 f. Hiergegen: Eb. Schmidt, Die Sache der Justiz, Heidelberg 1961, S. 28; ders., JZ 1962, 221. Vgl.: BT-Dr. III/2037, Anlage 2, S. 49; BT-Dr. IV/178, Anlage 2, S. 49. BT-Dr. IV/1020, S. 34. Gerhardt, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verbots von Rundfunk- und Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal (§ 169 S. 2 GVG), Frankfurt a.M. 1968. Angeklagt waren ferner: Erich Mielke, Willi Stoph, Heinz Keßler, Fritz Streletz und Hans Albrecht. Hierzu: Wesel, Der Honecker-Prozeß. Ein Staat vor Gericht, Frankfurt a.M. 1994, S. 28. Die Anklageschrift vom 12. Mai 1992 wies fast 800 Seiten auf. Es ging zunächst um 68 Todesfälle. Im Laufe des Verfahrens reduzierte sich dies auf zehn Fälle.

JM 03 | Gerichts in Kenntnis gesetzt hatte, kam es gleichwohl zu einer zwar zwischenzeitlich nachgebesserten, aber noch immer sehr restriktiven sitzungspolizeilichen Regelung. Weil es danach fast ausgeschlossen war, Aufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der eigentlichen Verhandlung zu machen, wodurch es insbesondere ausgeschlossen war, von den Angeklagten aktuelle Aufnahmen zu erhalten, legte das ZDF gegen die gerichtliche Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dem Verfahren schlossen sich die übrigen erwähnten Sendeanstalten an. Die Verfassungsbeschwerden hatten vollumfänglich und die Anträge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz überwiegend Erfolg. Mithin stellten sich die umfassenden Restriktionen der audiovisuellen Berichterstattung über das aufsehenerregende Strafverfahren bezogen auf Aufnahmen vor dem Beginn und nach dem Ende der Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen als verfassungswidrig heraus. Zwar war § 169 Satz 2 GVG nicht unmittelbar betroffen, jedoch war die Diskussion hierüber (wieder) eröffnet. Unmittelbar auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand kam das in § 169 Satz 2 GVG kodifizierte Aufnahmeverbot sodann anlässlich des sog. Politbüro-Prozesses, der im November 1995 vor dem LG Berlin begann. Es ging in inhaltlicher Anlehnung an das sog. Honecker-Verfahren um die Verantwortlichkeit von Mitgliedern des SED-Politbüros wegen des Vorwurfs des Totschlags an der früheren innerdeutschen Grenze. Wiederum war das öffentliche und mediale Interesse enorm. Der Privatsender n-tv beabsichtigte nunmehr allerdings, unmittelbar während der Verhandlung als solcher (Fernseh-)Aufnahmen im Sitzungssaal anzufertigen. Ein entsprechender Antrag ging in abgestufter Form beim Vorsitzenden ein.24 Wie freilich absehbar, wurde der – vielleicht auch provokativ gemeinte – Vorstoß wegen der eindeutigen Vorgaben von § 169 Satz 2 GVG abgelehnt25, sodass der Weg zum BVerfG eröffnet war; wiederum mit einer Verfassungsbeschwerde und einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dem Rechtsbehelf blieb der Erfolg versagt. Das BVerfG bewertete den Persönlichkeitsschutz und den Schutz der Wahrheits- und Rechtsfindung höher.26 Zugleich wurde auf die Möglichkeiten verwiesen, bei diesem Strafverfahren mit zweifellos historischer Bedeutung in bestimmtem Umfang außerhalb der eigentlichen Verhandlung – also vor Beginn und nach dem Ende der Verhandlung sowie in den Sitzungspausen – audiovisuelle Aufnahmen anzufertigen. Nach einer weiteren Entscheidung des BVerfG27 dürfte nunmehr geklärt sein, dass die Norm des § 169 Satz 2 GVG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die beiden erwähnten Entscheidungen des BVerfG anlässlich des sog. Honecker-Verfahrens und des sog. Politbüro-

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Prozesses können nur zutreffend eingeordnet werden, wenn der eigene Umgang des höchsten deutschen Gerichts mit den audiovisuellen Medien Berücksichtigung findet; unabhängig von weiteren themenbezogenen Entscheidungen vor allem mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.28 Denn obwohl das Gericht über die Norm des § 17 BVerfGG an die Vorgaben von § 169 Satz 2 GVG gebunden war, erlaubte es etwa seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass von Teilen der mündlichen Verhandlung und hauptsächlich von der Urteilsverkündung Fernseh-Rundfunkaufnahmen angefertigt werden.29 Nachdem es anlässlich des Awacs-Verfahrens zu einem Eklat gekommen war30, wurde die Medienöffentlichkeit im Jahre 1993 zunächst über „Einstweilige Rahmenbedingungen“ bzw. „Vorläufige Rahmenbedingungen“ geregelt. Über eine Modifikation der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts, die freilich nie Geltung erlangte, kam es schließlich im Jahre 1998 zu der Sonderregelung in § 17a BVerfGG. Demzufolge ist festzuhalten, dass das BVerfG einen liberalen Umgang mit den audiovisuellen Medien seit langem pflegte und nach wie vor pflegt. Dies führte dazu, dass neben der Vorschrift des § 169 Satz 2 GVG mit § 17a BVerfGG eine konkurrierende wie auch funktionierende Ausnahmeregelung geschaffen wurde. D. Die aktuelle Diskussion um § 169 Satz 2 GVG Nachdem insbesondere die Verfassungskonformität des Aufnahmeverbots durch das BVerfG attestiert worden war, war es wiederum längere Zeit ruhig um die Thematik; vielleicht auch deshalb, weil mit der Entscheidung im sog. Honecker-Verfahren ebenso valide wie praktikable Kriterien für die audiovisuelle Berichterstattung in dem durch § 169 Satz 2 GVG nicht erfassten Bereich statuiert wurden. Erst das OLG München sorgte mit seiner eher unglücklichen 24

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Der Sender beantragte beim Vorsitzenden, einem Kamerateam zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen während der Verhandlungszeiten Zugang zum Gerichtssaal zu gewähren, oder: die Aufzeichung der Verlesung der Anklageschrift, des Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Plädoyers der Verteidiger und der Urteilsverkündung zuzulassen, oder: die Zulassung des Kamerateams für einzelne dieser Verfahrensabschnitte zuzulassen. Vgl.: BverfG, Kammerbeschl. v. 11.01.1996 - 1 BvR 2623/95. BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.01.1996 - 1 BvR 2623/95. BVerfG, Urt. v. 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99 - BVerfGE 103, 44 ff. Zur verfassungsrechtlichen Problematik: Ranft, Jura 1995, 377 ff.; Zuck, NJW 1995, 2082; Weiler, ZRP 1995, 133, 134 f.; Siebrasse, StV 2001, 661; Hamm, NJW 1995, 760 f.; ders., NJW 2001, 1622. BVerfG, Beschl. v. 06.02.1979 - 2 BvR 154/78 - BVerfGE 50, 234 ff.; BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.05.1994 - 1 BvR 733/94. Wolf, ZRP 1994, 681; Gerhardt, ZRP 1993, 381 ff. Der Sender n-tv übertrug entgegen der Gepflogenheiten und Vorgaben die sog. Awacs-Entscheidung (BVerfG, Urt. v. 12.07.1994 - 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 - BVerfGE 90, 286 ff.) live. Ein Kamerateam filmte von außerhalb des Sitzungssaals durch eine Glasscheibe die Vorgänge in der Verhandlung.

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Die Monatszeitschrift

Anordnung zur Regelung hauptsächlich der Medienöffentlichkeit im sog. NSU-Verfahren dafür, dass das Verhältnis von „Justiz und Medien“ erneut fokussiert wurde. Dies erfasst auch und gerade das rigide Aufnahmeverbot. Denn der fernsehöffentliche Prozess „Breivik“ in Norwegen vermochte wiederum die Gedanken um ein – indessen geordnetes – „Court-TV“ zu beflügeln. Vor diesem Hintergrund hat sich die 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 12./13.06.2013 im Saarland mit den Möglichkeiten einer Neufassung von § 169 Satz 2 GVG befasst. Unter TOP II.18 wurde hinterfragt, ob und inwiefern unter Berücksichtigung entsprechender Erfahrungen in europäischen Nachbarstaaten, dem technischen Wandel und dem Bedeutungszuwachs der audiovisuellen Medien das Aufnahmeverbot noch zeitgemäß erscheint. Während einer völligen Abschaffung von § 169 Satz 2 GVG entgegengetreten wurde, bestand Einigkeit, dass Modifikationen zu prüfen seien. Schließlich wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe initiiert, um auch unter Einbeziehung rechtsvergleichender Erkenntnisse Chancen einer Relativierung des Verbots von Ton- und FernsehRundfunkaufnahmen auszuloten. Wiewohl der im GVG kodifizierte Öffentlichkeitsgrundsatz einschließlich des Aufnahmeverbots insofern nicht limitiert ist, steht – wie seit jeher – der Strafprozess deutlich im Vordergrund. Im Rahmen seiner kontinuierlichen Tätigkeit hat die Arbeitsgruppe Experten aus der Praxis angehört. Zudem liegt auch ein Zwischenbericht vor, der freilich bislang nicht publiziert ist. Tendenzen abzuleiten, ist daher schwierig. Soweit es um die angedachte Zulassung einer gerichtsinternen audio-visuellen Übertragung in Nebenräume des Gebäudes, in welchem die Verhandlung stattfindet, geht, könnten entsprechende Vorhaben an der latent angespannten Haushaltslage der insofern zuständigen Länder scheitern. Denn bei Diskussionsveranstaltungen wurden bereits Einwände in diese Richtung formuliert. Auf die erst zu schaffenden technischen Voraussetzungen und den erforderlichen Aufwand wurde hingewiesen. Chancen für Lockerungen des Aufnahmeverbots könnten sich – in Anlehnung an die französische Regelung31 – im Bereich zunächst zu archivierender audiovisueller Aufnahmen ergeben. Mithin geht es um die Aufzeichnung historisch bzw. zeitgeschichtlich bedeutsamer (Straf-)Verfahren mit einer zeitlich versetzten oder späteren Ausstrahlung; wobei die Einzelheiten noch der Klärung bedürfen. In der Tat stellte und stellt sich bei verschiedenen Strafverfahren die Frage, ob diese wegen ihrer Relevanz nicht in Gänze audiovisuell zumindest konserviert hätten werden müssen, damit das Zeitgeschehen nicht unwiederbringlich verloren ist. Aus neuerer Zeit könnten ohne Anspruch auf Vollstän-

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digkeit beispielhaft die Verfahren „Hoeneß“, „Ackermann“, „Eccelstone“ oder „NSU“ genannt werden. Neben der archivarisch intendierten audiovisuellen Aufzeichnung des Geschehens im Sitzungssaal lässt sich aber auch konkret darüber nachdenken, verschiedene Teile der Hauptverhandlung grundsätzlich einschränkungslos dem Öffentlichkeitsgrundsatz zu unterwerfen. Dies betrifft die Verlesung der Anklageschrift, aber auch die mündliche Urteilsverkündung.32 Letzteres ist – wie dargelegt – vor dem BVerfG seit Langem Praxis. Denkbar wäre es darüber hinaus, die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung vom Aufnahmeverbot auszunehmen. Denn den professionellen Verfahrensbeteiligten haben die mit der Medienöffentlichkeit einhergehenden Belastungen zu tolerieren. Ein vorsichtiges Resumee könnte angesichts der Agenda und der Möglichkeiten lauten, dass Änderungen im Bereich des § 169 Satz 2 GVG sicherlich erfolgen werden. Freilich werden sie wegen der notwendigen Akzeptanz zurückhaltend ausfallen, da die Vorbehalte gegen eine Öffnung vor allem in den Reihen der Justiz aus den unterschiedlichsten Gründen heraus stark ausgeprägt sind. E. Ausblick Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist das notwendige Attribut eines modernen Verfahrensrechts.33 Seit Langem wird die Maxime zudem als Medienöffentlichkeit interpretiert.34 Ferner ist eine Akzentverschiebung von der überkommenen Kontroll- hin zur Informationsfunktion zu verzeichnen; wobei anzumerken ist, dass Kontrolle auf Information basiert, so dass beide Funktionen eine wechselbezügliche Einheit bilden. Berücksichtigt man des Weiteren die veränderten gesellschaftlichen Realitäten und Rahmenbedingungen, geht es bei der Diskussion um das Aufnahmeverbot nach § 169 Satz 2 GVG nicht zuletzt auch um eine aktuelle Reformulierung der Öffentlichkeitsmaxime. Lockerungen des rigiden Verbots erscheinen deshalb unter Berücksichtigung von unzweifelhaft vorhandenen kontraindiktorischen verfahrens- und verfassungsrechtlichen Interessen, namentlich der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten und der Wahrheitsfindung, notwendig, aber auch möglich. 31

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Ausführlich hierzu: Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, BadenBaden 1999, S. 150 ff.; ders., Das Fernsehen gehört in die Hauptverhandlung – Kritische Anmerkungen zur Vorschrift des § 169 S. 2 GVG, in: FS für Wolf Schiller (Lüderssen/Volk/Wahle, Hrsg.), BadenBaden 2014, S. 93 ff. Befürwortend: Gündisch/Dany, NJW 1999, 256. Britz, Das Fernsehen gehört in die Hauptverhandlung – Kritische Anmerkungen zur Vorschrift des § 169 S. 2 GVG, in: FS für Wolf Schiller (Lüderssen/Volk/Wahle, Hrsg.), Baden-Baden 2014, S. 84; ders., Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, Baden-Baden 1999, S. 15. Scherer, Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit, Königstein/ Ts., 1979, S. 4; Wettstein, Der Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafprozess, Zürich 1966, S. 65 f.; Wyss, EGRZ 1996, 9, 14 ff.

BÜCHERSCHAU juris PraxisKommentar UWG

3. Auflage 2013 Herausgeber: Prof. Dr. Eike Ullmann

VRiLG Dr. Holger Kircher Bekanntlich soll man keine Eulen nach Athen, kein Wasser in den Rhein und auch kein Holz in den Wald tragen. Und mindestens ebenso überflüssig wäre es, die Leser der jurisMonatszeitschrift über die Vorzüge eines Online-Kommentars zu belehren. Namentlich dann, wenn das kommentierte Gesetz – wie das UWG – häufig Opfer der Änderungswut des Gesetzgebers ist. Während das UWG in den ersten knapp hundert Jahren ein beschauliches Dasein fristen durfte, gleicht die Entwicklung seit dem Jahr 2004 einem tosenden Gebirgsbach (so Ohly, GRUR 2014, 1138). So musste das UWG nach der Novelle im Jahr 2004 bereits vier Jahre später aufgrund der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken erneut einen tiefen Eingriff hinnehmen. Allerdings noch nicht tief genug. Nachdem nämlich die Europäische Kommission die Umsetzung der EU-Richtlinie für ungenügend hält, ist in diesem Jahr bereits die nächste Änderung des UWG zu erwarten. Allein dieser kurzatmige „Aktionismus“ des Gesetzgebers ist aus Verlagssicht Grund genug, den im Wettbewerbsrecht bereits in respektabler Anzahl vorhandenen PrintKommentaren ein weiteres Werk in Gestalt eines OnlineKommentars hinzuzufügen. Ein zusätzliches Verkaufsargument bildet das erlesene achtköpfige Autorenteam. Sämtliche Autoren sind als erstrangige Kenner der Materie bekannt. Besonderen Wert hat der Herausgeber, der frühere Vorsitzende ersten Zivilsenats des BGH Ullmann, auf die Zusammensetzung des Teams gelegt. Es besteht – quasi paritätisch – aus vier Rechtsanwälten und vier Richtern. Nach den ersten Erfahrungen mit dem Werk in der täglichen gerichtlichen Praxis stimmt diese Mischung. Dies wird besonders deutlich bei der Kommentierung des § 4 UWG, bei der es sich um ein Gemeinschaftswerk der Rechtsanwälte Link und Müller-Bidinger sowie der Richter Seichter und Ullmann handelt. Diese allein schon wegen ihres enormen Umfangs von insgesamt rund 420 Seiten beeindruckende Darstellung der Regelbeispiele unlauteren Handelns lässt keine Frage offen. Nichts anderes gilt auch für die Erörterungen der weiteren Gesetzesnormen. So ist beispielsweise das Verfahrensrecht der §§ 12 bis 14 UWG bei Hess in besten Händen. Als langjähriges Mitglied des Wettbewerbssenats des Kammergerichts berücksichtigt er

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bei der Darstellung des Verfahrensrechts neben der höchstrichterlichen Rechtsprechung in besonderer Weise auch die Spruchpraxis der Oberlandesgerichte, der namentlich beim einstweiligen Rechtsschutz besondere Bedeutung zukommt. Auch für die Darstellung des in § 15 UWG geregelten Verfahrens vor den Einigungsstellen hat man eine Bearbeiterin gefunden, die das Metier aufgrund eigener praktischer Erfahrungen kennt. So war die heutige Rechtsanwältin Bär früher als Referatsleiterin bei der IHK Region Stuttgart tätig. Last not least sind die Kommentierungen der wettbewerbsrechtlichen Straf- und Bußgeldvorschriften in den §§ 16 bis 20 UWG durch Ernst und des in § 9 UWG geregelten Schadensersatzrechts durch Koch hervorzuheben. Beide Autoren verstehen es in bewundernswerter Weise, die dogmatisch anspruchsvolle Materie dem ratsuchenden Praktiker in verständlicher Weise nahezubringen. Trotz der heterogenen Zusammensetzung der Autoren vermittelt der Kommentar den Eindruck eines einheitlichen Werks. Mehrere Bearbeitungsgrundsätze ziehen sich wie ein roter Faden durch sämtliche Beiträge. Exemplarisch seien nur die zwei hervorstechendsten Grundsätze genannt. So fällt zunächst die konsequente Orientierung des Werks an den Bedürfnissen des Praktikers auf, der weniger an wissenschaftlichen Disputen als vielmehr an der einschlägigen Rechtsprechung interessiert ist. Diesem werden in einem ausführlichen Fußnotenapparat zahlreiche Nachweise aus der Rechtsprechung mit Entscheidungsdatum und Aktenzeichen mitgeteilt. Sämtliche Entscheidungen sind außerdem am Ende des Kommentars nochmals in einem Fälleverzeichnis zusammengefasst. Das zweite Grundprinzip des Werks ist dessen ausgeprägter europarechtlicher Ansatz. Diesem Leitbild entsprechend ist die Darstellung der Judikatur des EuGH ein besonderer Schwerpunkt innerhalb jeder Kommentierung. Darüber hinaus sind im Anhang zum Erläuterungsteil noch mehrere europäische Verordnungen und Richtlinien wiedergegeben. Bleibt die Frage: Warum muss der Online-Kommentar auch als Printversion angeboten werden? Die Antwort ist einfach. Es wäre schlicht schade, wenn dieses gelungene Werk nicht auch den Weg zu solchen Nutzern finden könnte, die (noch) Berührungsängste mit der digitalen Welt haben. Dass dort ein Bedarf besteht, wird dadurch belegt, dass die Printversion bereits ihre dritte Auflage erlebt hat. Und die bevorstehende Änderung des UWG sollte zeitnah Anlass für die vierte Auflage sein.

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Die Monatszeitschrift

Prof. Dr. Ansgar Staudinger

DIE AUTOREN

Prof. Dr. Guido Britz

Professor an der Universität Bielefeld

Rechtsanwalt und Professor an der Universität des Saarlandes

Seit 2003 Univ.-Prof. für Bürgerliches Recht, internationales Privat-, Verfahrens- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bielefeld. Zudem Direktor der Forschungsstelle für Reiserecht sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht e.V. Von 2005 bis 2008 war Prof. Staudinger Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Von Januar bis Dezember 2008 war er Richter am OLG Hamm.

Neben der Tätigkeit als Strafverteidiger ferner Direktor des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht sowie Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht. Er ist zudem Mitautor in dem renommierten Münchener Anwaltshandbuch „Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen“ sowie in Radtke/Hohmann „StPO - Kommentar zur Strafprozessordnung“. IMPRESSUM

Dr. Heinz-Jürgen Kalb Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb war bis vor kurzem Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Köln. Bekannt geworden ist er auch als Referent und Autor arbeitsrechtlicher Publikationen. Er ist u.a. Mitherausgeber des HWK, eines der großen Standardkommentare zum Arbeitsrecht. Von 1990 bis 2008 war er neben seinem Richteramt Geschäftsführer des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes e.V. Seit einigen Jahren ist er auch Lehrbeauftragter an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Der jM ist er als Mitglied des Expertengremiums verbunden.

Dr. Philipp Aigner Notarassessor Studium der Rechtswissenschaft in München und der Wirtschaftswissenschaften in Oxford sowie Promotion am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München über die Besteuerung von Kapitaleinkünften. Im Anschluss daran Rechtsreferendariat am OLG München. Seit 2014 Notarassessor in Würzburg.

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Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Richterin am BFH Prof. Dr. Monika Jachmann, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: Rechtsanwalt Dennis Reschke Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung online oder offline ohne zusätzliche Vergütung. Urheber- und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Neustädter Str. 1-4, 99947 Bad Langensalza Druck: L.N. Schaffrath GmbH & Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

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NEUES VON juris juris PraxisKommentar BGB Band 2 Schuldrecht

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reiche Änderungen und Erweiterungen erfahren. Berücksichtigt wurden insbesondere ■ die Vorschriften zum Behandlungsvertrag §§ 630a-h BGB mit Ausführungen zum ■ Arzthaftungsrecht und die durch das ■ Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 mit Wirkung zum 13.06.2014 im BGB verursachten Änderungen. Außerdem wurde bereits berücksichtigt das ■ Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr und zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 22.07.2014, mit dem § 271a BGB neu in das BGB eingefügt wurde. Neu in der 7. Auflage kommentiert werden nun auch zahlreiche Nebengesetze: ■ Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); siehe Band 2.2 ■ Preisklauselgesetz (PrKG); online bereits in der Vorauflage verfügbar; siehe Band 2.1 ■ Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG); online bereits in der Vorauflage verfügbar; siehe Band 2.3 ■ Unterlassungsklagengesetz (UKlaG); vgl. Band 2.1 ■ Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG); vgl. Band 2.2

Bandherausgeber: Band 2.1: Dr. Markus Junker, Rechtsanwalt, München Band 2.2: Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Band 2.3: Prof. Dr. Dr. h. c. Helmut Rüßmann, Universität des Saarlandes, Saarbrücken ISBN 978-3-86330-076-0 Der juris PraxisKommentar BGB umfasst in der 7. Auflage alle Bücher des BGB sowie das Internationale Privatrecht. Die komplette, achtbändige Buchausgabe mit mehr als 20.000 Druckseiten wird ergänzt durch E-Books sowie die tagesaktuelle Online-Datenbank und bietet ein ideales Instrument für die praktische Arbeit.

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24.03.2015,

04.03.2015,

Personalisierungswebinar 14:00 – 15:00 Uhr

10:00 – 12:00 Uhr und

Normenwebinar

13:30 – 15:30 Uhr

11.03.2015,

14:00 – 15:00 Uhr

Halle (Saale) 04.03.2015,

10:00 – 12:00 Uhr

Frankfurt (Main) 10.03.2015,

10:00 – 12:00 Uhr

Cottbus 11.03.2015,

10:00 – 12:00 Uhr

Veranstaltungen Treffen Sie uns vor Ort, wir freuen uns auf Ihren Besuch! Aktuelle Termine finden Sie auch unter: www. juris.de/veranstaltungen DAV Anwaltforum, Frankfurt 20.03.2015 LAT Nordrhein-Westfalen 20.03.2015 6. Stuttgarter Anwaltstag 23.03.2015

XII

juris PartnerModul Strafverteidigung digung

Mit diesem Modul haben Sie das Themengebiet der Strafverteidigung nicht nur aus Sicht aller Beteiligten im Blick, sondern auch eine kompetente Unterstützung in allen Stufen des Strafprozesses. Neben der Verteidigung im Ermittlungsverfahren werden auch für die Hauptverhandlung sowohl strafprozessuale Kenntnisse als auch verfahrenstaktische und psychologische Aspekte der Verteidigertätigkeit von erfahrenen Praktikern kompetent dargelegt. Recherchieren Sie in unverzichtbaren Titeln, aufbereitet in der bewährten juris Qualität und professionell verlinkt mit der juris Rechtsprechung, dem juris Bundesrecht sowie den einzigartigen juris Abstracts aus der Fachliteratur. Die intuitiv bedienbare juris Suchoberfläche liefert in Sekundenschnelle alle relevanten Informationen. Inhalt AnwaltFormulare Strafrecht, Breyer/Endler Die Revision in Strafsachen, Hamm Jugendgerichtsgesetz, Brunner/Dölling juris PraxisReport Strafrecht, Janssen Maßregelvollzugsrecht, Kammeier OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, Beck/Berr (Begr.) Strafprozessordnung, Gercke/Julius/Temming/Zöller (Hrsg.) Strafverteidiger Forum, StraFo Strafvollzugsgesetz, Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.) Verteidigung in der Hauptverhandlung, Malek Verteidigung in Mord- und Totschlagverfahren, Stern Zeuge und Aussagepsychologie, Jansen und viele weitere bedeutende Titel Rechtsprechung, Gesetze und Literaturnachweise von juris

Mehr Informationen unter: www.juris.de/pmstrafv

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