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07.05.2017 - Karriere, obwohl es frühzeitig Hinweise auf seine rechtsextremistische Gesin- nung gegeben hat. ..... Juli treffen sich in Hamburg. Staats- und ...
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NDR Info

Das Forum

06.05.2017 /19.20-19.50 Uhr

STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN

07.05.2017 /12.30-13.00 Uhr

Andreas Flocken

E-Mail: [email protected] www.ndr.de/streitkraefte

Inhalt:   

Rechtsextremismus – Das Krisenmanagement der Verteidigungsministerin Keine Einzelfälle – Wie die Bundeswehr mit den jüngsten Misshandlungs-Skandalen umgeht Iranische Rüstung – Gefahr für die Region?

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Willkommen zu einer neuen Ausgabe unserer Sendereihe, am Mikrofon begrüßt Sie Andreas Flocken.

Das sind unsere Themen:

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Rechtsextremismus – Das Krisenmanagement der Verteidigungsministerin

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Keine Einzelfälle - Wie die Bundeswehr mit den jüngsten Misshandlungs-Skandalen umgeht. Und:

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Iranische Rüstung – Gefahr für die Region?

Ein Oberleutnant der Bundeswehr führt ein Doppelleben, er gibt sich als syrischer Flüchtling aus. Der 28-jährige Offizier fliegt schließlich auf, nachdem er eine versteckte Pistole wieder an sich nehmen will. Nun ermittelt die Bundesanwaltschaft. Möglicherweise plante der Berufssoldat einen Terror-Anschlag. Die Bundeswehr – ein Rückzugsraum für Rechtsextremisten? Es stellen sich viele Fragen. Und die Verteidigungsministerin gibt sich als Chefaufklärerin. Doch die Art ihres Vorgehens hat in der Truppe Befremden ausgelöst. Andreas Dawidzinski mit Einzelheiten:

Manuskript Andreas Dawidzinski Wie konnte das passieren? Da macht ein junger Offizier in der Bundeswehr Karriere, obwohl es frühzeitig Hinweise auf seine rechtsextremistische Gesinnung gegeben hat. Doch diese werden von seinen Vorgesetzten nicht ernst genommen. Der Offizier darf weitermachen, wird sogar Berufssoldat. Für die Verteidigungsministerin ein Beleg dafür, dass die Bundeswehr ein grundsätzliches Problem hat. Denn zuvor war bereits bekannt geworden, dass es an mehreren Standorten zu Misshandlungen und Demütigungen von Soldatinnen und Soldaten gekommen war. Am vergangenen Sonntag ging Ursula von der Leyen daher in die Offensive. Im ZDF zeigte sie sich empört:

O-Ton von der Leyen „Das sind alles unterschiedliche Fälle. Aber sie gehören für mich inzwischen zusammen zu einem Muster, dass ich heute sage: Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem. Und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen. Und da müssen wir konsequent drangehen.“ Der zuletzt im französischen Illkirch stationierte terrorverdächtige Soldat Franco A. war bereits 2013 mit seiner Masterarbeit aufgefallen, weil sie rechtsextremistisches Gedankengut und völkische Ideen enthielt. Die an der französischen Militärakademie Saint-Syr eingereichte Arbeit wurde wegen schwerer Mängel abgelehnt. Der Offizier wurde nicht zur Prüfung zugelassen. Stattdessen informierte der französische Schulkommandeur die deutsche Dienststelle über die Arbeit. Zugleich teilt er mit:

Zitat „Wenn es ein französischer Lehrgangsteilnehmer wäre, würden wir ihn ablösen.“ Doch das geschah nicht. Franco A. konnte offenbar seine Vorgesetzten überzeugen, dass er keine extremistischen Ideen verfolge und bekam eine zweite Chance. Für die Verteidigungsministerin eine nicht nachvollziehbare Entscheidung:

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O-Ton von der Leyen „Es ist nicht in seiner Personalakte gelandet, ist nicht beim MAD gelandet. Das heißt, wenn die Vorgesetzten-Ebene die Führung nicht wahrnimmt und die Verantwortung nicht wahrnimmt, wie sie müssen, dann werden Dinge eben aus falsch verstandenem Korpsgeist schöngeredet, es wird weggeschaut. Und das gärt dann, bis es zum Eklat kommt. Und das ist nicht in Ordnung.“ Es hat zwar zunächst vordisziplinare Ermittlungen gegen den jungen Offizier gegeben. Diese wurden aber schließlich eingestellt. Dabei war ein Gutachten über die Qualität der Masterarbeit eingeholt worden. Es viel vernichtend aus. In der Stellungnahme war von einer pseudo-wissenschaftlichen Arbeit die Rede und es wurde auf den radikalnationalistischen und rassistischen Inhalt verwiesen. Trotzdem wurde keine Disziplinarmaßnahme gegen den Soldaten verhängt. Die Begründung: Sie hätte die bereits bestehende Zusage für seine Übernahme als Berufssoldat hinfällig gemacht.

Eine Disziplinarmaßnahme

hielten die zuständigen Stellen vor diesem Hintergrund für nicht angemessen. Man wollte Franco A. eine Bundeswehr-Karriere nicht verbauen. Eine falsche Entscheidung, findet der oberste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Volker Wieker:

O-Ton Wieker „Das hat mich außerordentlich überrascht. Denn die Vorwürfe in diesem wissenschaftlichen Gutachten sind derart gravierend, dass es nach meiner Einschätzung sofort einer Weiterung der Untersuchung bedurft hätte." Die Bundeswehr, also ein Tummelplatz für Rechtsextremisten? Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Studien lassen diesen Schluss nicht zu. Das ergibt sich auch aus den Berichten des Wehrbeauftragten. Allerdings bearbeitet der Militärische Abschirmdienst MAD derzeit 280 Verdachtsfälle, knapp 100 davon stammen aus dem vergangenen Jahr.

Ursula von der Leyen nutzte das ZDF-Interview am vergangenen Sonntag, um ihren Aufklärungswillen unter Beweis zu stellen.

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O-Ton von der Leyen „Wir müssen eine breitere, eine offene Debatte in den Bundeswehr führen: Wo stehen wir, was ist unsere Haltung. Vieles kann toleriert werden, aber nicht toleriert werden kann politischer Extremismus, Rechtsextremismus und religionsbedingter Extremismus. Dazu gehört eben auch die Herabwürdigung, die wir sehen.“ Ursula von Leyen ist durch das Interview allerdings selbst mächtig unter Druck geraten. Ihr pauschaler Vorwurf mangelnder Führung und Haltungslosigkeit bei der Bundeswehr hat in der Truppe für Empörung gesorgt. Schließlich trägt die CDU-Politikerin seit knapp vier Jahren die politische Verantwortung für die Bundeswehr. Die Schuld für Fehlentwicklungen allein bei den militärischen Vorgesetzten zu suchen, ist bei den Soldaten ganz schlecht angekommen. André Wüstner, der Chef des Bundeswehrverbandes, also der Interessenvertretung der Soldaten, beklagte daher den rüden Umgang der Ministerin mit den Uniformträger und vor allem ihre Art der Kommunikation:

O-Ton Wüstner „Das hängt ja elementar mit Vertrauen und auch mit Führung und Haltung zusammen. Und dahingehend muss von der Leyen jetzt die Faktenlage präsentieren, auf Grundlage derer sie zu so einem derart harten Urteil kommt. Generalverdacht allein ist nie gut, wenn ich Menschen mitnehmen möchte für eine Veränderung, die teilweise vielleicht in einzelnen Bereichen auch tatsächlich notwendig ist." Die CDU-Politikerin hatte rasch erkannt, dass sie mit ihrem schnellen Urteil zu weit gegangen ist. Sie veröffentlichte einen Tag später in ihrem Ministerium einen offenen Brief. Ein ungewöhnliches Verfahren. Darin ruderte sie zurück, räumte ein, dass die übergroße Mehrheit der Soldaten anständig und tadellos einen wichtigen Dienst für Deutschland leiste.

In ihrem offenen Brief wird allerdings das Konzept der Inneren Führung mit keinem Wort erwähnt. Dabei soll genau dieses Konzept zusammen mit dem Prinzip vom Staatsbürger in Uniform sicherstellen, dass die Soldaten demokratische Werte verinnerlichen und immer auf der Grundlage der Verfassung handeln.

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Für den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, ist das Konzept in den vergangenen Jahren viel zu stark vernachlässigt worden. Das rächt sich jetzt möglicherweise:

O-Ton Arnold „Mein Eindruck ist, dass in den letzten Jahren aufgrund der de-Maizièreschen Bundeswehrreform mit der Ausdünnung der Personalstruktur, mit dem Eindampfen des MAD und gleichzeitig unserer gesellschaftlichen Veränderung, wo manche rassistischen Sprüche von einer Partei zumindest hoffähig gemacht werden sollen, in der Bundeswehr sich auch was verändert. Und da muss man genau reinschauen. Die vermeintlich weichen Themen wurden in den letzten Jahren vernachlässigt. Wenn Druck da ist auf die Führung, dann streichen die lieber die Politische Bildung als das Übungsschießen. Es wird nicht mehr über Innere Führung in ausreichendem Maß gesprochen. Das ist ein andauernder Prozess und nicht nur eine Lerneinheit. Und diese Themen kommen aufgrund der Arbeitsaufträge in der Bundeswehr zu kurz (...). Da muss die Ministerin sofort gegensteuern. Ich habe den Eindruck, dass sie dieses Thema nicht wahrgenommen hat. Wir haben einen Beirat für Innere Führung, wir haben ein Zentrum für Innere Führung, wir haben ein sozialwissenschaftliches Institut, das auch reinleuchten kann in die Truppe. Und erst jetzt nimmt sie diese Gruppen wahr.“ Von Versäumnissen der Verteidigungsministerin sprechen auch die Oppositionsparteien. Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin der Grünen-Fraktion, kritisiert mangelnde Transparenz und eine unzureichende Fehlerkultur in der Bundeswehr. Dem Deutschlandfunk sagte Brugger:

O-Ton Brugger „Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Auch bei der ganzen Affäre um das G36 ging es ja um diese andere Fehlerkultur. Und zum Beispiel aus der G36-Affäre wollte die Ministerin ein besseres Compliance ermöglichen. Ein Ergebnis davon war der Entwurf, der scheint auch jetzt abgeräumt zu sein, der nicht zu Unrecht mit dem Stichwort Maulkorberlass versehen wurde, wo man auch den Eindruck hatte, nein, so unbequeme Sachen, so viel Kritik möchte die Ministerin auch selbst gar nicht hören.“ Ursula von der Leyen ist diesmal aber fest entschlossen zu handeln. Nach dem Skandal um den offenbar rechtsextremistisch eingestellten BundeswehrOffizier strebt die Verteidigungsministerin weitere Kontroll-Mechanismen an. Für die CDU-Politiker haben die Disziplinarvorgesetzten und verantwortlichen Dienststellen damals eine falsche Entscheidung getroffen.

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O-Ton von der Leyen „Auch werden wir in diesem längeren Prozess einen genauen Blick auf die Disziplinarordnung werfen müssen. Die Frage nämlich: Wo gibt es Bruchstellen? Wo gibt es Lücken? Wo gibt es Möglichkeiten, dass Vorfälle, die gemeldet werden müssen, nicht weitergeleitet werden? Weil das System in sich nicht stimmig ist. Das wird eine Arbeit der nächsten Wochen und Monate sein, der wir uns aber auch in diesem großen Prozess widmen werden.“ Das wird vermutlich aber zugleich noch mehr Bürokratie und noch weniger Dienstaufsicht durch die Vorgesetzten bedeuten. An letzterem mangelt es den Streitkräften immer mehr. Militärische Führer verbringen inzwischen immer mehr Zeit am Schreibtisch als bei den ihnen unterstellten Soldaten.

Bei ihrem Kurzbesuch der Kaserne in Illkirch, dem Stationierungsort des terrorverdächtigen Oberleutnants, warf die Verteidigungsministerin in dieser Woche auch einen Blick in den Aufenthaltsraum der Soldaten. Und sie zeigte sich überrascht:

O-Ton von der Leyen „Ich habe mir das Zimmer zeigen lassen, in dem die Wehrmachtsexponate sind. Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahmen sind einige herausragende Einzeltaten im Widerstand. Aber sonst hat die Bundeswehr nichts mit der Wehrmacht gemein. Und das ist nichts Neues. Das ist eine Selbstverständlichkeit in der Bundeswehr, das ist Allgemeinwissen, das von allen getragen werden muss. Umso fragwürdiger ist, dass in diesem Raum, diese Wehrmachtsexponate sind, insbesondere da das Jägerbataillon hier erst seit 2010 aufgebaut worden ist.“ Fragwürdig ist dann allerdings auch, dass in der Bundeswehr weiterhin noch mehrere Kasernen den Namen von Wehrmachts-Soldaten tragen, zum Beispiel die Marseille-Kaserne im schleswig-holsteinischen Appen. Ein anderes Beispiel ist die Aula der Marineschule Mürwik. Dort ist Anfang des Jahres die Büste von Admiral Johannesson aufgestellt worden. Und obwohl inzwischen nachgewiesen wurde, dass der Admiral in den letzten Kriegstagen Todesurteile bestätigt hatte, will die Marineführung an der Büste festhalten. Wegen seiner Verdienste beim Aufbau der Bundesmarine.

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Flocken Andreas Dawidzinski berichtete.

Wir bleiben bei der Bundeswehr. Der Rechtsextremismus und der Fall des Oberleutnants aus Illkirch ist nur ein Problem, das die Bundeswehr in Aufruhr versetzt. In den vergangenen Monaten haben immer wieder Misshandlungsskandale für Aufsehen gesorgt. Stichworte sind die Kasernen in Pfullendorf, Bad Reichenhall und Sondershausen. Immer wieder ist von bedauerlichen Einzelfällen die Rede. Doch das sind sie offenbar nicht. In der vergangenen Woche wurde der Chef-Ausbilder des Heeres abgelöst. Der Zwei-Sterne-General soll die Aufklärung verschleppt haben. In welchem Zustand befindet sich die Bundeswehr?

Christian Thiels über die Streitkräfte, die sich nach außen immer wieder als attraktiver Arbeitgeber darstellen:

Manuskript Christian Thiels

Atmo Bundeswehr-Werbung „Mach dich bereit, deine Stärken zu finden. Mach dich bereit, an dein Limit zu gehen. Mach dich bereit für echte Verantwortung. Mach, was wirklich zählt.“ Beruf als Berufung – so macht die Bundeswehr Werbung für sich selbst. Auch Stefanie B. meldete sich mit reichlich Enthusiasmus zur Truppe. Die junge Frau hatte gerade ihr Studium hinter sich. Ihren richtigen Namen und auch ihre Stimme will sie nicht im Radio hören, denn sie ist immer noch an die Streitkräfte gebunden. Doch von denen ist sie massiv enttäuscht.

O-Ton Stefanie B. (nachgesprochen) „Also es gibt oftmals - gerade auch unter den Mannschaftsdienstgraden - bestimmte Riten so unter dem Banner Kameradschaft, die so eigentlich nicht in die Bundeswehr gehören und so auch nicht mit der Inneren Führung vereinbar sind. Auch unter den Offizieren und Stabsoffizieren kam es oft genug vor, dass sich betrunken worden ist, dass dann auch Untergebene angeflirtet oder angepöbelt worden sind und andere Kameraden haben auch mitbekommen, dass da körperliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben.“ 7

Ernüchternde Erfahrungen hat auch Marion Glück gemacht. Zwölf Jahre war sie in der Marine, zuletzt als Oberleutnant zur See. Sie erlebte sexuelle Belästigungen, Führungsversagen und Mobbing. Das wollte sie sich nicht gefallen lassen.

O-Ton Glück „Im Endeffekt ist man dann, wenn man so etwas meldet, auch der Böse. Also man ist ein Nestbeschmutzer, so wird das wahrgenommen, wenn man als Offizier an den Wehrbeauftragten schreibt, dann geht das gar nicht und dann ist man von einem top-beurteilten Soldaten auf einmal ganz unten." Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages, kennt solche Fälle. Er glaubt nicht an die These vom bedauerlichen Einzelfall, die das Verteidigungsministerium jahrelang bemühte, wenn Fälle von Missbrauch, Mobbing oder schlechter Führung ans Tageslicht kamen.

O-Ton Bartels „Also die Bundeswehr ist wie andere Organisationen, wo besondere Gewaltverhältnisse gelten - Befehl und Gehorsam - besonders anfällig auch für den Missbrauch von Befugnissen. Und da man das weiß, muss man bei Organisation und Ausbildung von vorneherein darauf achten, dass solche negativen Effekte nicht eintreten.“ Das treibt offenbar auch die Verteidigungsministerin um. Jüngst wurden diverse Fälle von Missbrauch, Schikane, sexueller Belästigung bis hin zum Rechtsterrorismus-Verdacht gegen einen Oberleutnant publik. Ungewöhnlich scharf attestiert Ursula von der Leyen ihrer eigenen Truppe Führungsschwäche. Eine Kritik, die viele Soldaten zu pauschal und schlicht ungerecht finden - vor allem angesichts ihres täglichen Ringens mit marodem Material in oft lebensgefährlichen Auslandseinsätzen. Auch politisch gab es heftigen Gegenwind - wenig verwunderlich in Wahlkampfzeiten. Die Ministerin ruderte vielleicht auch deshalb zurück - allerdings nur ein bisschen.

O-Ton von der Leyen „Die ganz große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten macht einen tadellosen, hervorragenden Dienst, gar keine Frage, aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass wir genauer hinschauen müssen. Da haben wir ein echtes Problem und zwar haben wir ein Problem der Haltung und der Führung vor Ort, denn sonst hätten diese Fälle, die ganz unterschiedlich sind, von sexu-

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eller Herabwürdigung über Schikane, bis hin zu Rechtsextremismus, sonst hätten diese Fälle nicht so lange unter der Oberfläche gehalten werden können.“ Von der Leyen hat den renommierten früheren Chef des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, Christian Pfeiffer, nun mit der Untersuchung der Inneren Lage der Streitkräfte beauftragt. Pfeiffer will sich das Personal in der Bundeswehr genau ansehen, er plant 20.000 Soldatinnen und Soldaten zu befragen und erhofft sich dadurch ein detailliertes Bild.

O-Ton Pfeiffer „Was sind die Besonderheiten der Menschen, die sich für die Bundeswehr entschieden haben? Haben wir da beispielsweise eine erhöhte Macho-Kultur im Vergleich zur Normalbevölkerung, also so ein männliches Dominanzgehabe und auch so eine Kräftemesserei und Kultur der Ehre und so weiter? Das sind Verfremdungsaspekte, die in einer Organisation wie der Bundeswehr schon sehr problematische Folgen auslösen können." Pfeiffer hat bereits über viele männlich geprägte Gesellschaftsgruppen geforscht und hat eine gewisse Vorstellung davon, was ihn in den Streitkräften erwarten könnte.

O-Ton Pfeiffer „Ich habe Befürchtungen, es könnte sich in der Bundeswehr doch ein gewisser Prozentsatz von Menschen befinden, die selber in ihrem bisherigen Leben nicht so viel Selbstvertrauen tanken konnten und daraus entsteht dann leider der Wunsch, andere zu unterdrücken, um sich auf die Weise das Ego zu stabilisieren. Das erleben wir überall als ein Grundmuster.“ Doch ist es immer nur das Versagen einzelner Vorgesetzter, die Exzesse in den Streitkräften ermöglichen? Warum bemerken Kompaniechefs oder Bataillonskommandeure nicht oder zu spät, wenn etwas schief läuft? Offenbar liegt es auch an der Arbeitsbelastung in der Bundeswehr und den Verhältnissen vor Ort, hat der Wehrbeauftragte beobachtet.

O-Ton Bartels „Mir sagen Vorgesetzte bei den Truppenbesuchen, sie haben zum Einen viele andere Aufgaben und im Zweifel unbesetzte Dienstposten, also sie machen die Arbeit für andere Kameraden mit. Die Soldatenarbeitszeitverordnung beschränkt die einsetzbare Zeit, so wird es jedenfalls empfunden von vielen, die verantwortlich sind, und sie haben drittens gar nicht mehr die räumliche Nähe zu den Unterkünften der unterkunftspflichtigen Soldaten." 9

Denn während die Vorgesetzten früher oft im gleichen Gebäude mit ihren Soldaten wohnten, also häufig mitbekamen, was auf den Fluren und in den Stuben nach Dienst so vor sich ging, ist inzwischen die Regel, dass Zugführer oder Kompaniechefs nicht mehr in der Kaserne übernachten.

O-Ton Bartels „Das kommt daher, dass aus dem Grundsatz, die unter 25-Jährigen sind kasernenpflichtig, die über 25-Jährigen müssen nicht in der Kaserne wohnen, ein neuer Grundsatz in der Bundeswehr geboren wurde, nämlich: Wer nicht unterkunftspflichtig ist, der darf auch nicht in der Kaserne wohnen. Also damit hat man die Infrastrukturvorgaben in der Bundeswehr drastisch reduzieren können, dachte, damit Geld zu sparen. Also heute rächt sich das, man hat keinerlei informelle Kontrolle mehr." Eine bessere Kontrolle und Dienstaufsicht ist das Eine. Doch Marion Glück hat in ihrer Bundeswehr-Zeit auch die Erfahrung gemacht, dass es bei etlichen Vorgesetzen schlicht an der Eignung zum Führen von Menschen fehlt.

O-Ton Glück „Also ich glaube schon, dass das ein strukturelles Problem ist. Es geht auf jedem Dienstposten nicht nur darum, und das war eben das, was ich lernen musste, dass es manchmal nicht nach Eignung, Leistung und Befähigung geht, sondern im Fall der Personalknappheit auch um Verfügbarkeit. Und dann werden die anderen Sachen dann einfach mal weggeschoben und dann wird auch nicht so genau auf den Charakter vielleicht geguckt oder auf das eigene Führungsverhalten, was da an den Tag gelegt wird.“ Dabei bräuchte die Bundeswehr gerade jetzt besonders gutes Führungspersonal. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht hat sich das Klientel, das den Weg in die Streitkräfte wählt, deutlich verändert und die Anforderungen an einen Vorgesetzten sind damit merklich gestiegen, sagt der Wehrbeauftrage.

O-Ton Bartels „Die Mischung, wird mir heute oft bei Truppenbesuchen gesagt, wird zunehmend schwieriger zu handhaben. Also wir erleben Rekrutenkompanien mit 42Jährigen und 17-Jährigen, mit Leuten, die einen Bachelor-Abschluss haben und Leute ohne Hauptschulabschluss. Das alles sozusagen unter einem Dach - da gute Ausbildung für alle zu machen, wird schon schwierig." Für die Bundeswehr ist der Umgang mit Fehlverhalten nicht nur eine interne Angelegenheit von Disziplin und Ordnung, sondern auch eine Image- und damit Zukunftsfrage. Das Klima innerhalb der Streitkräfte entscheidet über ihre 10

Attraktivität. Doch die dürfte überschaubar sein, wenn die Bundeswehr weiter mit Skandalen von sich reden macht. Noch einmal Hans-Peter Bartels:

O-Ton Bartels „Welcher junge Mensch soll sich denn für so eine Art von Gemeinschaft entscheiden, in der zunächst mal seine Frustrationstoleranz von seinen eigenen Kameraden auf die Probe gestellt wird?" So sieht das auch Stefanie B., die desillusionierte Soldatin, die einst mit so viel Engagement und Überzeugung in die Bundeswehr eingetreten war.

O-Ton Stefanie B. (nachgesprochen) „Ich denke, dass die Bundeswehr sich damit viele Chancen auf gutes Personal verbaut, einfach dadurch, dass die Leute mit zivilen Vorkenntnissen und aus anderen sozialen Umfeldern davon abgeschreckt werden können. Hätte ich es vorab gewusst, hätte ich mich nicht so entschieden.“ ***

Flocken Soweit der Bericht von Christian Thiels. Mehr über die jüngsten Misshandlungsskandale und den terrorverdächtigen Bundeswehroffizier auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Dort finden Sie u.a. die Interviews mit dem Wehrbeauftragten sowie mit Christian Pfeiffer.

In diesem Monat finden im Iran Präsidentenwahlen statt. Amtsinhaber Hassan Rohani tritt erneut an. Er gilt als Reformer und Pragmatiker. In seiner Amtszeit konnte nach jahrelangen Bemühungen die Vereinbarung über das iranische Atomprogramm unter Dach und Fach gebracht werden. Der Weg wurde damit frei für eine Lockerung der Sanktionen.

Der Iran wird in der Region aber von vielen Staaten weiterhin als eine Bedrohung wahrgenommen. Nicht nur wegen des Atomprogramms, sondern auch wegen seiner jahrelangen Rüstungsanstrengungen und Waffenlieferungen. Sind die iranischen Rüstungskapazitäten eine Gefahr für die Anlieger-Staaten? Jerry Sommer ist dieser Frage nachgegangen:

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Manuskript Jerry Sommer Bis zur Revolution von 1979 wurde der Iran mit Waffen vor allem aus den USA ausgerüstet. Anschließend kaufte die Islamische Republik Militärgüter von China und Russland. Zugleich bemühte sich das Land verstärkt darum, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen. Seit vielen Jahren sind Rüstungsexporte in den Iran durch einen UN-Beschluss verboten. Auch diese Entschließung hat dazu geführt, dass die Rüstungsindustrie nur begrenzte Fortschritte vorweisen kann, sagt Pieter Wezeman vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI:

O-Ton Wezeman (overvoice) „Gegenwärtig ist der Iran in der Lage, Kleinwaffen, Munition, Bomben und Schützenpanzer zu produzieren. Besonders wichtig ist seine Fähigkeit, ballistische Raketen mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometer zu bauen. Diese Raketen sind zwar nicht besonders modern und nicht sehr zielgenau. Aber sie können z. B. eine Stadt oder Industrieanlagen treffen und wirken somit als Abschreckungswaffen.“ Der Iran ist außerdem in der Lage, Anti-Schiffsraketen und Aufklärungsdrohnen herzustellen. Doch modernste Waffensysteme gehören bisher nicht zur Produktpalette der iranischen Rüstungsindustrie. Teheran hat zwar jüngst den Prototyp eines Tarnkappenbombers auf einem Flugplatz vorgestellt. Aber Experten halten das für ein Fake. Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice) „Diese Behauptungen sind Propaganda. Das Flugzeug sah zwar auf den ersten Blick ganz gut aus, es fuhr aber nur auf dem Flugfeld herum, es flog nicht. Und es sieht nicht so aus, als ob es überhaupt flugfähig ist. Angesichts der begrenzten technologischen Basis des Iran ist das auch nicht verwunderlich. Einen Tarnkappenbomber zu entwickeln ist selbst für ein Land wie Deutschland sehr schwierig.“ Teheran ist mit seinem Raketenpotenzial durchaus zu Militärschlägen in der Region in der Lage. Irans Militärstrategie ist im Wesentlichen allerdings eine Verteidigungsstrategie, sagt der Iranexperte Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie des österreichischen Verteidigungsministeriums:

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O-Ton Posch „Im Großen und Ganzen ist es eine sehr defensive Strategie. Das sehen wir daran, dass die Luftwaffe nicht besonders ausgebaut ist. Es gibt kaum strategische Lufttransportfähigkeiten, aber es gibt eine sehr gute Luftabwehr und sehr viele Anlagen sind unter der Erde untergebracht mit einer sehr simplen, aber immer moderneren Raketenabwehr.“ Die iranische Luftwaffe ist völlig veraltet. Andere Regionalmächte wie SaudiArabien, die Vereinigten Emirate und Israel werden dagegen von den USA und anderen westlichen Staaten mit modernsten Kampflugzeugen, Abstandswaffen und Raketenabwehrsystemen ausgerüstet. Und auch die USA selbst haben in der Region bis zu 40.000 Soldaten stationiert. Das Kräfteverhältnis sei eindeutig, sagt der Nahostexperte und ehemalige langjährige CIA-Mitarbeiter Philip Giraldi:

O-Ton Giraldi (overvoice) „Die Saudis und die anderen Golfstaaten sind der iranischen Luftwaffe und Marine weit überlegen. Und wenn man Israel noch in die Gleichung aufnimmt, ist Iran in der Region allen anderen gegenüber deutlich unterlegen.“ Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten hatten, ebenso wie die USA, in den 1980er Jahren den Krieg des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen den Iran unterstützt. Damals kam es zu dem Bündnis zwischen Teheran und Damaskus. Denn Syrien hatte den irakischen Angriffskrieg abgelehnt. Heute unterstützt die iranische Regierung den syrischen Machthaber Assad mit Waffen und Militärberatern gegen islamistische und dschihadistische Aufständische, sowie Oppositionelle, die vom Westen gestützt werden.

Seit dem Sturz von Saddam Hussein im Irak 2003 hat sich der Einfluss Irans in der Region deutlich vergrößert. Denn die Schiiten bilden im Irak die Mehrheit. Darüber hinaus sind die schiitische Hisbollah im Libanon sowie die palästinensische Hamas im Gaza-Streifen iranische Bündnispartner. In gewisser Weise werden diese Organisationen vom Iran als eine erweiterte Verteidigungslinie angesehen. Für den Fall, dass z. B. Israel den Iran angreift, könnten diese Milizen wiederum Israel bedrohen. Hisbollah und Hamas werden von den USA und Israel als „Terrororganisationen“ eingestuft. Die EU hält nur den militärischen Arm der Hisbollah für eine „Terrororganisation“, nicht jedoch die im Libanon als Partei und soziale Bewegung einflussreiche Hisbollah insgesamt. Auch die 13

Hamas ist von der EU auf die Terrorliste gesetzt worden, allerdings hat der Europäische Gerichtshof 2014 in einem erstinstanzlichen Urteil diese Maßnahme für nicht ausreichend begründet und damit nicht rechtmäßig erklärt. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Irak, Syrien sowie die Hisbollah und Hamas werden vom Iran u.a. mit Waffen beliefert, obwohl Teheran durch einen UN-Beschluss jeglicher Waffenexport verboten ist. Waffen iranischer Herkunft sollen in kleinem Umfang auch an die Rebellen im Jemen gegangen sein. Der Rüstungsexperte Pieter Wezeman von SIPRI:

O-Ton Wezeman (overvoice) „Es handelt sich dabei vor allem um leichte Waffen, Artilleriemunition, einfache Aufklärungsdrohnen, Panzerabwehrwaffen und tragbare Flugabwehrsysteme. Zumindest an die Hisbollah sollen auch einige Anti-Schiffsraketen geliefert worden sein.“ Die iranischen Waffenexporte an nicht-staatliche Akteure können den jeweiligen Staat destabilisieren. Allerdings verhalte sich Teheran da nicht anders als andere Länder in der Region, sagt Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice) „Es muss betont werden, dass viele Staaten in der Region Waffen an Rebellengruppen in andere Ländern liefern: Der Iran liefert in den Jemen und an die Hisbollah im Libanon. Und Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate liefern zum Beispiel an Rebellen in Syrien und in Libyen.“ Die Einschätzung, dass der Iran die „größte Bedrohung für die Stabilität“ im Nahen Osten sei, wie es die Trump-Administration formuliert hat, halten eine Reihe von Experten deshalb für falsch. Teheran bekämpft die Terrororganisationen Islamischer Staat und Al Nusra auch, weil es deren Vordringen in den Iran verhindern will. Zugleich wird die iranische Regierung weiterhin versuchen, ihren Einfluss im Irak, in Syrien und Libanon zu erhalten, u.a. durch die politische und militärische Unterstützung der Regierungen dort, aber auch durch Hilfen für Akteure wie Hisbollah und Hamas. Denn, so der US-Nahostexperte Philip Giraldi:

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O-Ton Giraldi (overvoice) „Die Iraner sehen sich umgeben von Feinden, bedroht von den USA, Israel und Saudi-Arabien. Sie halten es für notwendig, als Verteidigung die strategischen Verbindungen in der Region zu halten – dorthin, wo die Schiiten in der Mehrheit oder eine relevante Minderheit sind.“ Im Jemen allerdings wird der Einfluss des Iran auf die Huthi-Rebellen und den sie unterstützenden ehemaligen Präsidenten Saleh oft erheblich überschätzt, sagt Walter Posch von der österreichischen Landesverteidigungsakademie in Wien:

O-Ton Posch „Die Wurzel allen Übels bei den Iranern zu suchen, ist eine sehr verkürzte Darstellung. Die Spannungen zwischen Huthis als soziale Bewegung und anderen Gruppen gehen auch viel länger zurück. Denken Sie auch daran, dass es ja die Saudis waren, die in den Jemen mit massiven Truppen einmarschiert sind.“ Zuerst für Syrien, dann für die gesamte Region müssen Saudi-Arabien und der Iran einen Modus vivendi finden, so Walter Posch:

O-Ton Posch „Die politischen Eliten beider Staaten müssen endlich einmal lernen, dass sie eine Verantwortung dafür haben, gegenüber den vielen tausenden Menschen, die im Namen der jeweiligen Konfession umgebracht werden, und im Rahmen jener Machtspiele und Träume, wo beide Seiten davon ausgehen, dass sie den anderen in nächster Zukunft - vielleicht in der nächsten Generation - dominieren können. Das geht nicht. Die müssen erst einmal erkennen, dass sie schon längst ein strategisches und vor allem ein moralisches Patt erreicht haben.“ Die Europäer könnten dabei eine Mittlerfunktion einnehmen. Denn sie haben – im Unterschied zu den USA - relativ gute Beziehungen nicht nur zu Israel und Saudi-Arabien, sondern auch zum Iran.

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Flocken Ein Bericht von Jerry Sommer

Zum Schluss noch ein Hinweis: Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel. Aus diesem Anlass veranstaltet 15

die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr zusammen mit NDR Info eine Podiumsdiskussion. „Weltordnung im Umbruch – Recht des Stärkeren statt Völkerrecht? - so lautet der Titel. Wenn Sie am 22. Juni in Hamburg dabei sein wollen: Melden Sie sich an - auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte.

Dort können Sie sich auch diese Sendung als Podcast herunterladen. Außerdem können Sie dort den Newsletter von Streitkräfte und Strategien abonnieren. Wir schicken Ihnen dann das aktuelle Manuskript der Sendung per E-Mail zu. Am Mikrofon verabschiedet sich Andreas Flocken.

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