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20.11.2016 - Aber strebt Trump eine enge Zusammenarbeit überhaupt an? Die NATO ver- steht sich offiziell nicht nur als Verteidigungsbündnis, sondern ...
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NDR Info

Das Forum

19.11.2016 /19.20-19.50 Uhr

STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN

20.11.2016 /12.30-13.00 Uhr

Andreas Flocken

E-Mail: [email protected] www.ndr.de/streitkraefte

Inhalt:   

Donald Trump, der große Unbekannte – Zeitenwende für NATO-Verbündete? Chance oder Rückschlag? Die europäische Verteidigungspolitik nach Brexit und Präsidentenwahl Rüstungskontrolle in Europa – trotz oder wegen Donald Trump?

Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.

Willkommen zu einer neuen Ausgabe von Streitkräfte und Strategien, am Mikrofon begrüßt Sie Andreas Flocken. Ein Blick auf unsere Themen:

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Donald Trump, der große Unbekannte – Zeitenwende für NATO-Verbündete?

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Chance oder Rückschlag? Die europäische Verteidigungspolitik nach Brexit und Präsidentenwahl. Und:

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Neue Rüstungskontrolle in Europa – trotz oder wegen Donald Trump?

Wer hätte das gedacht. Donald Trump wird der 45. US-Präsident und Nachfolger von Barack Obama. Der 70-Jährige hat keinerlei politische Erfahrung. Im Wahlkampf hatte er unter anderem mit rassistischen und sexistischen Sprüchen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Auch deswegen hatten ihm Beobachter keine Chancen bei der Wahl eingeräumt. Jetzt ist die Ernüchterung groß. Denn die Wahl Trumps wird vermutlich nicht nur die transatlantischen

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Beziehungen grundlegend verändern. Was also tun? Andreas Dawidzinski über die Ratlosigkeit in Europa:

Manuskript Andreas Dawidzinski In den europäischen Hauptstädten war fest mit der Wahl von Hillary Clinton gerechnet worden. Doch dann kam alles ganz anders. Donald Trump machte das Rennen. Nicht nur Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde in der Wahlnacht auf dem falschen Fuß erwischt: O-Ton von der Leyen „Das war schon ein schwerer Schock, als ich gesehen habe, wohin die Entwicklung geht. […] Und wir müssen uns selber sagen: Auch wenn dieser Wahlkampf getränkt war von Herabwürdigung, von Spaltung - es ist eine demokratische freie Wahl, und wir müssen uns jetzt mit den Realitäten auseinandersetzen.“ Ratlos zeigte sich auch Außenminister Steinmeier. Er hatte den künftigen USPräsidenten vor einiger Zeit noch als Hassprediger bezeichnet. Jetzt aber ist Donald Trump an die Spitze der westlichen Führungsmacht gewählt worden. Der neue US-Präsident – für den deutschen Chef-Diplomaten ist er eine Blackbox. O-Ton Steinmeier „Wir wissen nicht, wie Donald Trump Amerika regieren wird. Es sind viele brennende Fragen, trotz unseres Bemühens in der Vergangenheit, auch in den letzten Tagen und Wochen, offengeblieben. Natürlich werden wir das Gespräch suchen, um diese Antworten zu bekommen.“

Denn es gibt Fragen über Fragen. Trump hat noch nie ein öffentliches Amt bekleidet. Er ist ein politischer Anfänger, ein unbeschriebenes Blatt. Trotzdem hätte das Auswärtige Amt spätestens nach dem überraschenden Brexit-Referendum für diesen Fall vorbereitet sein müssen, sagt Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

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O-Ton Ehrhart „Natürlich hätte man erwarten müssen, dass sich die hiesige politische Elite mit den Kandidaten und nicht nur mit einer Kandidatin auseinandersetzt. Und wenn das nicht geschehen ist, dann ist das in der Tat ein Armutszeugnis.“ Schließlich hat Donald Trump im Wahlkampf u.a. die NATO und die Beistandspflicht der westlichen Allianz in Frage gestellt. Kann sich Deutschland, können sich die Bündnispartner angesichts solcher Äußerungen auch künftig noch auf die USA als NATO-Führungsmacht verlassen? Außenminister Steinmeier ist sich da keineswegs sicher:

O-Ton Steinmeier „Man kann das zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöser Weise nicht beantworten. Denn auch das war ja ein Zeichen dieses Wahlkampfes, dass vieles einfach sehr widersprüchlich war. […] Hier ist es so, dass wir die außenpolitischen Linien bisher nicht kennen und auch die Berater, von denen Donald Trump sich außenpolitisch hat beraten lassen, bisher nicht in Erscheinung getreten sind. Und das ist jetzt nicht nur etwas, was mir aufgefallen ist. Vielen anderen Europäern geht es ganz genauso. Wir haben verschiedene Male zum Beispiel mit einem wirklich alten, erfahrenen amerikanischen republikanischen Außenminister wie Henry Kissinger gesprochen, der auch einigermaßen ratlos war oder jedenfalls noch nicht informiert war, wohin die außenpolitischen Vorstellungen im Detail dann gehen werden.“ Donald Trump, der große Unbekannte. Nun wird er Präsident der Supermacht USA. Dabei ist er nach Ansicht seiner Gegner charakterlich für dieses Amt nicht geeignet. Als Präsident kann der impulsive Donald Trump über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden. Da ist mancher Politiker beunruhigt. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold:

O-Ton Arnold „Wenn ich seine Sprüche im Wahlkampf höre, macht mir das natürlich Sorgen. Ich weiß nicht, wie ernst man die nehmen muss. Sein Charakter zeigt ja auch, dass es ihn nicht so sehr interessiert, was er gestern gesagt hat. Aber wenn man diese Sprüche mal analysiert und zum Beispiel die Frage, wie geht er mit der nuklearen Fähigkeit der Vereinigten Staaten um, dann muss es uns zunächst mal Sorgen machen, wenn man so achtlos in den Raum wirft: Zu was hat man Atomwaffen, wenn man sie nicht einsetzt? Wenn er glaubt: Den IS, den besiege ich jetzt mal geschwind, indem ich 30.000 Soldaten da hin schicke und den zu Tode bombe. Das sind alles naive und gefährliche Vorstellungen.“

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Genauso wie die Aussagen, Südkorea oder andere Staaten mit Atomwaffen auszustatten, um dann die US-Truppen abziehen zu können. Es gibt zahlreiche Krisen und Konflikte in der Welt. Gerade das Beispiel Syrien zeigt, wie komplex und schwierig das Krisenmanagement ist. Es gibt schon längst keine einfachen Lösungen mehr. In den Vorstellungen von Donald Trump aber offenbar schon. Der Außenpolitik-Experte Marco Overhaus im Fernsehsender Phoenix:

O-Ton Overhaus „Er hat schon so was wie ein außenpolitisches Leitbild. Und dieses Leitbild basiert sehr stark auf Schwarz-Weiß-Denken. Also wenn ein Partner in der internationalen Politik gewinnt, dann verliert automatisch der andere. Das ist so ein bisschen sein Ansatz. Das ist natürlich in den internationalen Beziehungen sehr problematisch. Es ist ein sehr konfliktorientiertes außenpolitisches Verständnis. Das kann auch die transatlantischen Beziehungen möglicherweise in den nächsten vier Jahren ganz erheblich belasten.“ Die Europäer und allen voran Bundeskanzlerin Merkel haben daher unmittelbar nach der Wahl dem neuen US-Präsident deutlich zu verstehen gegeben, dass sie das westliche Bündnis vor allem als Wertegemeinschaft verstehen. Vor dem Hintergrund von Trumps deftigen Wahlkampf-Sprüchen sah sich Angela Merkel gezwungen, den künftig mächtigsten Mann der Welt an Dinge zu erinnern, die bisher eigentlich immer selbstverständlich waren:

O-Ton Merkel „Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“

Aber strebt Trump eine enge Zusammenarbeit überhaupt an? Die NATO versteht sich offiziell nicht nur als Verteidigungsbündnis, sondern auch als Wertegemeinschaft. Im US-Wahlkampf hatte Trump aber deutlich gemacht, dass er nicht viel von diesem Bündnis hält. „America first“, „Amerika zuerst“ lautet seine Devise. Europa und auch die anderen Verbündeten würden sich ihre Verteidigung letztlich von den USA bezahlen lassen, seien „Trittbrettfahrer“ - und das wolle er ändern. 4

Trump hatte selbst den Artikel 5 des NATO-Vertrages, die Beistandspflicht, in Frage gestellt. Ob die USA den Balten bei einem eventuellen russischen Angriff zu Hilfe kommen würden – das ließ Trump im Wahlkampf offen.

Kein Wunder, dass die osteuropäischen Bündnismitglieder irritiert und verunsichert sind.

Verteidigungsministerin von der Leyen hat den künftigen US-

Präsidenten und bisherigen Unternehmer daher im ZDF dazu aufgerufen, sich an Absprachen innerhalb der NATO und Verträge zu halten:

O-Ton von der Leyen „Was ihm hoffentlich seine Berater sagen, und was er lernen wird, ist, dass das kein Geschäft ist. Das ist kein Unternehmen. Das ist nicht wo man sagt, die Vergangenheit ist mir egal. Die Werte, die wir gemeinsam vertreten, sind mir egal, sondern ich gucke, wie viel Geld kriege ich hinten raus und ob ich einen guten Deal machen kann. So regiert man kein Land und das ist auch nicht der Grundsatz der NATO. Sondern, die NATO ist eine Wertegemeinschaft, die Werte verkörpert und verteidigt, die den Amerikanern genauso wichtig sind, wie den Europäern.“

Doch Trump war bisher immer Geschäftsmann und eben kein Politiker. Er will Deals machen. Er glaubt, dass er sich mit dem russischen Präsidenten Putin gut verstehen wird. Bei den osteuropäischen Ländern geht daher die Sorge um, Washington könnte sich mit Moskau auf einen Deal verständigen, der zu ihren Lasten gehe. Osteuropa wieder eine russische Einflusszone? Das wäre eine gefährliche Entwicklung. Der Außenpolitik-Experte Marco Overhaus:

O-Ton Overhaus „Im Fall der Ukraine ist es eben tatsächlich so, dass er möglicherweise sagt, die USA sollen sich da etwas raushalten. Das ist nicht unser Kerninteressengebiet, unsere Interessen liegen woanders….Und wenn eine Putin-TrumpVerständigung einseitig zu Lasten der NATO gehen würde und zu Lasten der Rückversicherung der östlichen Bündnispartner, dann wäre das sicherlich auch aus deutscher Sicht sehr problematisch.“ Nicht ausgeschlossen, dass sich Trump und Putin auch im Syrien-Konflikt einigen werden. Für die Obama-Regierung ging die zentrale Bedrohung zuletzt von der Terror-Organisation Islamischer Staat aus, und nicht von Machthaber

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Assad, dessen Abtritt Washington lange für unabdingbar gehalten hatte. Der Hamburger Konfliktforscher Hans Georg Ehrhart:

O-Ton Ehrhart „Diesen Weg zu mehr Realismus, den wird Trump weitergehen. Er ist sozusagen unbelasteter als Obama und Clinton das waren. Von daher könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er, um das Problem sozusagen vom Tisch zu kriegen, auch zu solchen Deals, insbesondere mit den Russen bereit wäre, und mit Assad natürlich.“

Der russische Präsident sieht den Ausgang der US-Präsidentenwahl mit Wohlwollen. Sicher auch, weil er sich von Trump die Aufhebung der Sanktionen und einen politischen Neuanfang mit den USA erhofft. Wladimir Putin und Donald Trump haben in dieser Woche miteinander telefoniert. Putin hat, wie es aus Moskau heißt, einen „partnerschaftlichen Dialog“ angeboten. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, würde einen Neustart der Beziehungen zwischen den beiden Großmächten begrüßen. Für ihn wäre das auch im Interesse der Europäer:

O-Ton Ischinger „Ich finde, da haben wir überhaupt nichts zu befürchten. Zunächst mal wäre es ja erfreulich aus deutscher Sicht, wenn die Nichtkommunikation der ganzen letzten Jahre zwischen Washington und Moskau endlich durchbrochen werden könnte. Ich finde, aus deutscher Sicht ist es eines der wichtigsten programmatischen Themen für das kommende Jahr, dass es endlich mal wieder ein amerikanisch-russisches Gipfeltreffen gibt, um zu klären, ob man zusammenkommt in der Frage der Ukraine..., der Beendigung des Kriegs in Syrien... Das ist nicht etwas, was wir fürchten müssen, sondern das sollten wir befürworten.“

Die Skepsis gegenüber Trump ist allerdings vor allem in Europa weiterhin groß. Vieles spricht dafür, dass der Atlantik unter dem neuen US-Präsidenten breiter wird.

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Flocken Mehr zum Thema auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Dort finden sie auch die Langfassung des Interviews mit dem Konfliktforscher Hans-Georg Ehrhart.

Die Präsidentenwahl in den USA. Sie wird inzwischen auch als ein Weckruf für die Europäer gesehen, die immer wieder beschworene Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik endlich voranzubringen. Anfang der Woche haben die Außen- und Verteidigungsminister der EU hierüber erneut beraten. Jahrelang galt Großbritannien als Haupthindernis für eine Weiterentwicklung. Wird nun – insbesondere nach dem Brexit - alles einfacher? Dieser Frage ist Björn Müller nachgegangen:

Manuskript Björn Müller Der angekündigte

EU-Austritt Großbritanniens wird

für die gemeinsame

Sicherheitspolitik der Europäer weitreichende Folgen haben. Denn mit dem Brexit droht der Europäischen Union ein massiver Verlust militärischer Fähigkeiten, schließlich ist Großbritannien eine nicht ganz unbedeutende Militärmacht. Allerdings galten die Briten zugleich auch als die Hauptblockierer, wenn es darum ging, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterzuentwickeln, z.B. durch die Einrichtung eines EU-Hauptquartiers. Für das Vereinigte Königreich hat die NATO stets Vorrang. Verändert der Brexit die EUSicherheitspolitik nun zum Guten oder zum Schlechten? Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist die Antwort klar:

O-Ton von der Leyen „Wir haben lange Rücksicht nehmen müssen auf Großbritannien. Auch weil Großbritannien diese Themen nicht wollte. Ich bin der festen Überzeugung, dass die teilweise Frustration der Menschen mit Europa, auch damit zusammenhängt, dass Europa, das die großen Themen bewegen muss, sich in einem Thema, wo die Bevölkerung sich einig ist, dass eine gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik das Richtige ist, viel zu wenig vorangekommen ist.“

So die Verteidigungsministerin bei der Vorstellung des neuen Weißbuchs der Bundesregierung

im

Sommer.

Der

Brexit

als

Chance

für

die

EU-

Sicherheitspolitik. Diese Einstellung wird in fast allen europäischen Hauptstäd7

ten geteilt. Kein Wunder. Denn die vor allem über die Flüchtlingspolitik zerstrittenen EU-Staaten brauchen dringend ein großes Thema, um die Union wieder zusammenzuführen. Im Mittelpunkt des Reformversuches steht der kürzlich präsentierte Katalog deutsch-französischer Vorschläge, mit denen die Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangetrieben werden soll. Hauptvorhaben ist das von den Briten seit 2003 blockierte EU-Hauptquartier. Es wäre ein großer Fortschritt für die EU-Sicherheitspolitik, findet der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold:

O-Ton Arnold „Natürlich wäre ein Headquarter sinnvoll. Denn im Gegensatz zur NATO hat die EU den gesamten Baukasten der zivil-militärischen Kooperation.“

Diese zivil-militärischen Fähigkeiten könnte die EU über ein eigenes Hauptquartier besser koordinieren. Außerdem wäre die Union bei der Führung ihrer Operationen nicht mehr von den einzelnen Mitgliedsstaaten abhängig. Denn zurzeit werden die Hauptquartiere jeweils von den größeren EU-Ländern gestellt. Die Anti-Piratenmission Atalanta der EU wird z.B. von Northwood bei London aus geleitet. Für den SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold würde noch ein weiteres spezielles Hauptquartier Sinn machen:

O-Ton Arnold „Ein großes Defizit ist, dass die maritimen Verbände in Osteuropa, also auf der Ostsee, immer noch von den Nationen alleine geführt werden. Hier würden wir erhebliche Ressourcen klüger einsetzen, wenn es ein europäisches maritimes Headquarter für die Ostsee gäbe. Und daran arbeiten wir.“

Denn durch den Konflikt mit Russland ist der Ostseeraum wieder von größerem militär-strategischem Interesse für den Westen. Wären die Seestreitkräfte der dortigen EU-Länder unter Führung der Europäischen Union, würde das die EU als Sicherheitsakteur mehr auf Augenhöhe zur NATO bringen, so die Überlegung. Zumal die Militärallianz unter Donald Trump möglicherweise für die USA nicht mehr den bisherigen Stellenwert haben könnte.

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Doch es gibt weitere Vorschläge, um

nach dem

Brexit die Europäische

Sicherheits- und Verteidigungspolitik voranzubringen. Angestrebt wird, EUMissionen künftig verstärkt gemeinsam zu finanzieren. Bisher müssen die Truppensteller die Kosten für den Einsatz in der Regel selbst tragen. Ein weiterer Vorschlag ist, dass EU-Staaten, die zum Beispiel gemeinsam Rüstungsgüter beschaffen möchten, dies künftig als Gruppe tun können, ohne dass die gesamte EU mitbestimmt. Nicht zuletzt nach dem Wahlsieg von Donald Trump lautet

das Motto der

Stunde: Die in der Sicherheitspolitik dominanten Egoismen der Nationalstaaten müssen überwunden werden. Mehr gemeinsame Strategie und Ressourcenplanung sollen die EU-Sicherheitspolitik effektiver machen. Auf dem EU-Gipfel im kommenden Monat wollen die Staats- und Regierungschefs die entsprechenden Weichen stellen. Was der Öffentlichkeit als großer strategischer Aufbruch zu einer besseren EU-Sicherheitspolitik verkauft wird, sieht Christian Mölling vom German Marshall Fund in Berlin allerdings kritisch:

O-Ton Mölling „Das Problem ist, wie immer bei diesen Aktionen, dass sie natürlich sehr kurzfristig gedacht sind und erstmal überhaupt nicht mit Fähigkeiten oder Überlegungen hin - Wie kann ich das eigentlich mit militärischen Fähigkeiten hinterlegen? Das hat dabei überhaupt keine Rolle gespielt. Und das droht der EU, wie so oft, wieder auf die Füße zu fallen.“

Ein Beispiel für diesen Mangel an strategischer Planung ist der deutschfranzösische Vorschlag, ein EU-Sanitätskommando aufzubauen. Dadurch soll bei Missionen die medizinische Versorgung und ggf. die Evakuierung der Soldaten verbessert werden. Wichtige Ressource dafür wäre ein gemeinsamer Hubschrauberverband der Europäer. Den gibt es aber nicht. Der von der Bundeswehr vor zwei Jahren unternommene Versuch, zusammen mit anderen EU-Streitkräften einen solchen Truppenteil aufzubauen, kommt nicht voran. Eine wichtige Rolle bei der angestrebten Stärkung der EU-Sicherheitspolitik spielt auch das Geld. Nach Ansicht von Experten kann die EU auf diesem Gebiet auf Dauer nur effektiv sein, wenn die Mitgliedsstaaten der Union hierfür ständig entsprechende Mittel bereitstellen und der EU sogar ein eigenes Verteidigungsbudget zu billigen. Bisher werden die Missionen und Projekte von

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Fall zu Fall durch Zusagen der EU-Staaten finanziert. Und daran wird sich auch nichts ändern, glaubt der Experte für EU-Sicherheitspolitik Christian Mölling:

O-Ton Mölling „Ich glaube nicht, dass die Zeichen gut dafür stehen, dass man einen gemeinsamen Finanzierungsmechanismus für europäisches Militär bekommt; weil die nationalen Parlamente dieses Geld kontrollieren möchten. Und weil dann die Frage auftaucht, warum kaufen wir eine, weiß ich nicht was, westeuropäische Lösung, die aber fünfmal teurer ist als unsere eigene Lösung. Das werden viele Parlamentarier nicht mittragen, weil sie möglicherweise gar nicht sehen, dass das irgendeinen Effekt hat.“

Es bleibt also schwierig, die EU-Sicherheitspolitik auch ohne den Blockierer Großbritannien weiterzuentwickeln. Für Doris Wagner, Verteidigungspolitikerin der Grünen im Bundestag, überwiegen deshalb die sicherheitspolitischen Nachteile durch den Brexit:

O-Ton Wagner „Wenn man genauer hinguckt, sieht man doch, dass Großbritannien sich immer sehr massiv in den Missionen eingebracht hat. Großbritannien hat ein unglaublich großes diplomatisches Netz, auch jenseits der westlichen Staaten. Ich glaube, es wäre ein großer Verlust.“

Gerade in Afrika, das spätestens seit der Flüchtlingskrise für Europa von besonderem Interesse ist, sind die Briten neben den Franzosen stark engagiert. Die EU müsste ihre Stabilisierungsmaßnahmen in Afrika „deutlich beschneiden“, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Studie, sollte Großbritannien nicht mehr in die EU-Finanztöpfe für Afrika einzahlen. Grundsätzlich gilt: Die britischen Streitkräfte gelten nach den USA als die wohl effektivste Truppe des Westens. Die Briten geben erheblich mehr Geld für die Verteidigung aus als die anderen EU-Mitglieder. Ohne die britischen Mittel kann die EU nicht Global Player in der Außen- und Sicherheitspolitik werden davon ist Sophia Besch überzeugt, Expertin für EU-Verteidigungspolitik am Center for European Reform in London:

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O-Ton Besch „Ähnlich schwerwiegend ist auch der Effekt des Brexit auf Europas einsatzbereite Truppen. Zurzeit sind ungefähr 25 Prozent britisch. Dann geht es ja auch noch um die Beiträge zur europäischen Verteidigungspolitik, die schwierig quantifizierbar sind. Es geht zum Beispiel um die Qualität des Trainings bei militärischen Operationen und auch um die pragmatische Haltung der Briten in Bezug auf die Russland-Sanktionen. Ich glaube, dass strategische Autonomie ohne die Briten nur schwer möglich ist.“ Das Ziel der „strategischen Autonomie“ steht für den Anspruch der EU, ähnlich wie die Weltmacht USA über das volle Spektrum ziviler und militärischer Optionen zu verfügen. Erst kurz nach dem Brexit–Referendum hatte die EU diese Zielvorstellung in ihrer ersten Globalen Strategie für eine Europäische Außenund Sicherheitspolitik postuliert. Ein Anspruch, dem sie wohl nicht gerecht werden kann. Denn vieles spricht dafür, dass der EU-Austritt Großbritanniens die Union auf diesem Gebiet schwächen wird. Denn es sieht nicht danach aus, dass dieses Defizit durch die jetzt geplante Reformagenda wettgemacht werden kann. Dabei wäre nach dem Wahlsieg von Donald Trump ein sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa dringlicher denn je.

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Flocken Soweit der Bericht von Björn Müller.

Künftig sollen die Europäer also auch erheblich mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Wird sich nun nach dem Wahltriumph von Donald Trump daher die Rüstungsspirale immer schneller drehen? Ist Abrüstung ein Auslaufmodell? Außenminister Steinmeier hatte vor einigen Wochen noch eine Initiative für eine Renaissance der Rüstungskontrolle in Europa gestartet. Doch hat dieser Vorstoß heute noch Chancen? Hören Sie Jerry Sommer:

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Manuskript Jerry Sommer „Es droht eine neuartige, gefährliche Rüstungsspirale“. „Deshalb brauchen wir konkrete Sicherheitsinitiativen“ – so lauten die Kernsätze eines im August in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG veröffentlichen Artikels von Außenminister Steinmeier. Die NATO hat nach dem Vorgehen Russlands auf der Krim und in der Ostukraine konkrete Rüstungsmaßnahmen zur sogenannten Rückversicherung der östlichen Alliierten beschlossen. Die praktische Kooperation mit Moskau wurde eingestellt. Russland will mit eigenen militärischer Aufrüstungsmaßnahmen an den Grenzen antworten. Es ist daher höchste Zeit für einen neuen sicherheitspolitischen Dialog mit Moskau, sagt der Sicherheitsexperte Hans-Joachim Schmidt von der „Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“:

O-Ton Schmidt „Abschreckung allein ist nicht ausreichend, zumal wir alle wissen, Abschreckung kann auch einmal scheitern. Sie muss zugleich auch von Entspannung und von Gesprächen über Rüstungskontrolle und militärischer Vertrauensbildung begleitet werden.“ Es ist strittig, ob Russland die baltischen NATO-Staaten wirklich militärisch bedroht. Mit dem Bedrohungs-Argument rechtfertigt die NATO die Vorneverlegung von Truppen und die vermehrten Militärübungen in der Nähe der russischen Grenzen. Russland weist die NATO-Behauptung zurück. Nicht ganz zu Unrecht, findet der Rüstungsexperte Wolfgang Richter von der Berliner „Stiftung Wissenschaft und Politik“: O-Ton Richter „Russland sagt, es gebe überhaupt kein vernünftiges Rational, einen NATOStaat anzugreifen. Russland sei sich bewusst, dass solch ein Angriff einen Bündniskrieg auslösen würde. Vor dem Hintergrund der Existenz von Nuklearwaffen und der konventionellen Unterlegenheit Russlands in Gesamteuropa wäre diese Option völlig irrwitzig. Ich glaube, an dieser Begründung ist etwas dran.“ Inzwischen gibt es eine sogenannte „Gruppe von gleichgesinnten Staaten“, die die Rüstungskontrollinitiative von Steinmeier unterstützt und über Möglichkeiten nachdenkt, sie auszufüllen. Neben Deutschland beteiligen sich daran unter anderem Frankreich, Spanien, Italien sowie neutrale Staaten wie Österreich und die Schweiz. Innerhalb der NATO ist diese Initiative jedoch sehr umstritten. Po12

len und die baltischen Staaten zum Beispiel sind dagegen, sagt Hans-Joachim Schmidt: O-Ton Schmidt „Die sagen, wir setzen in erster Linie auf Aufrüstung und Stationierung amerikanischer Truppen für unsere Sicherheit. Und Rüstungskontrolle ist da weniger wichtig und könnte sogar kontraproduktiv sein und eine falsche Sicherheit vorgaukeln.“

Auch die Obama-Administration unterstützt die Steinmeier-Initiative nicht. Hans-Joachim Schmidt:

O-Ton Schmidt „Die Amerikaner sind eher zurückhaltend. Sie möchten diese Initiative so schnell wie möglich in die existierenden OSZE-Foren integrieren, wobei aus meiner Sicht dahinter ein Stück weit auch die Absicht steht, das Ganze zu verzögern, weil in den OSZE-Gremien auf Grund der Vielzahl der Staaten und der Sichtweisen es eher schwieriger ist, dieses Thema zu erörtern.“ Die NATO hat zwar Vorschläge für mehr Transparenz gemacht: So sollen auch kleinere Übungen sowie sogenannte „Alarmübungen“ in Grenznähe künftig frühzeitig angekündigt werden, um überraschende Truppenkonzentrationen zu vermeiden. Eigentlich durchaus sinnvolle Maßnahmen, sagt Oberst a. D. und Sicherheitsexperte Wolfgang Richter. Allerdings seien die NATO-Vorschläge zu einseitig:

O-Ton Richter „Der Versuch, die Transparenz zu erhöhen, bezieht sich auf die Transparenz russischer Streitkräfte. Und Russland sagt, wir wollen nicht, dass ihr mit eurer militärischen Infrastruktur näher an die russischen Grenzen und schon gar nicht in die Nähe von St. Petersburg vorrückt. Wir brauchen da konkrete Abkommen der Begrenzung. Diese beiden Pole der Transparenz und der Begrenzung bedingen sich gegenseitig.“ Verhandlungen, so Wolfgang Richter, könnten nur erfolgreich sein, wenn über Obergrenzen und Transparenz in Europa gleichzeitig gesprochen werde. Das strebt auch Außenminister Steinmeier mit seiner umfassenden Rüstungskontrollinitiative an. Doch dagegen gibt es in der NATO starken Widerstand. Dies könnte sich aber mit dem kommenden US-Präsidenten Donald Trump ändern. Er hat sich für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ausgesprochen und im Wahlkampf die NATO für überholt erklärt. Die neue US13

Administration könnte die Rüstungskontrolle wiederbeleben, glaubt Lukasz Kulesa vom „European Leadership Network“ – einem Thinktank für die gesamteuropäische Sicherheit:

O-Ton Kulesa (overvoice) „Wenn sich die US-Regierung für einen Neustart der Beziehungen zu Russland entscheidet, dann könnte die Rüstungskontrolle ein Bestandteil sein. Es könnten zum Beispiel die Nuklearwaffen und die Raketenabwehr verringert werden. Allerdings: Für US-Präsidenten, US-Außen- und Verteidigungsminister hatte die europäische Rüstungskontrolle bisher nie Priorität. Das ist natürlich schade, eröffnet aber zugleich anderen Staaten die Chance, hier kreativ initiativ zu werden.“

Daher auch das Vorgehen von Außenminister Steinmeier. Zwar ist noch offen, ob Trump zum Beispiel zu bisherigen Beschlüssen der USA und der NATO über die Vornestationierung von Soldaten in Osteuropa auf Distanz geht oder ob er zumindest weitergehende Aufrüstungen ablehnt. Eine politische Entspannung könnte jedenfalls sicherlich helfen, die durch die Steinmeier-Initiative angestrebte militärische Entspannung zu fördern. Zudem würde sie den europäischen NATO-Staaten ermöglichen, mehr Sicherheit durch Rüstungskontrolle zu erreichen statt durch weitere Aufrüstungsmaßnahmen, die Rüstungsspirale weiter anzuheizen. Neben Maßnahmen zur Transparenz müsste das Hauptziel einer Rüstungskontrollvereinbarung sein, die Lage an den Grenzen zwischen NATO-Staaten und Russland im baltischen Raum und im Gebiet des Schwarzen Meeres zu stabilisieren. Doch wie könnte das konkret erreicht werden? Hans-Joachim Schmidt:

O-Ton Schmidt „Auf beiden Seiten müsste die Stationierung neuer Streitkräfte der NATO und Russlands begrenzt werden. Auf beiden Seiten müsste man sich in Grenznähe auch Aktivitätsbeschränkungen überlegen, insbesondere für militärische Aktivitäten außerhalb militärischer Einrichtungen.“

Die NATO-Russland-Grundakte von 1997 könnte dabei nach wie vor als Grundlage dienen. Dort heißt es nämlich, dass in den neuen NATO-Staaten nicht „zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert“ werden sollen. Russland hat sich im Gegenzug verpflichtet, auch in seinen Randregio14

nen entsprechende Zurückhaltung zu üben. Allerdings ist bisher nicht definiert, was „substanzielle Kampftruppen“ sind. Dies müsste dringend geschehen, sagt die russische Sicherheitsexpertin Nadeshda Arbatova vom IMEMO-Institut in Moskau. O-Ton Arbatova (overvoice) „Russland hat der NATO vorgeschlagen, diesen Begriff zu definieren. Da NATO-Streitkräfte nun näher an unsere Grenzen heranrücken, ist das der wichtigste Punkt unserer Beziehungen zur NATO. Wir warten auf die NATOAntwort. Deshalb denke ich, liegt der Ball im Feld der NATO.“

Dort liegt er schon lange, weil unter anderem die baltischen Staaten bisher jede entsprechende Definition ablehnen. Offenbar will man den Begriff bewusst vage halten. Außenminister Steinmeier hält dagegen einen Dialog hierüber und auch über Truppenbegrenzungen für sinnvoll. In Moskau wurde Steinmeiers Initiative verhalten positiv aufgenommen. Russland sei offen für einen Dialog, werde aber erst einmal nicht initiativ werden, ließ der Kreml verlauten. Der russische Vertreter Mikhail Ulyanow ergänzte Anfang Oktober in der UN-Generalversammlung wörtlich: „Wir werden sehen, wie Deutschlands NATO-Alliierte diese Initiative beantworten.“ Diese abwartende Haltung geht nach Einschätzung des Konfliktforschers Hans-Joachim Schmidt auch auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Verteidigungs- und Außenministerium in Moskau zurück. Seine Schlussfolgerung:

O-Ton Schmidt „Ohne dass die NATO hier wirklich konstruktive Vorschläge macht, sehe ich nicht, wie man die bisherige Blockade auf der russischen Seite überwinden kann.“

Steinmeiers Rüstungskontrollinitiative hat einen Dialog angestoßen. Aber noch trifft sie vor allem bei NATO-Verbündeten auf Widerstand. Diese Vorbehalte könnten vielleicht durch eine neue Russland-Politik von Donald Trump überwunden werden. Ob es aber schon bald zu konstruktiven NATO-Vorschlägen kommen wird, ist noch völlig offen.

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Flocken Jerry Sommer berichtete. Soviel für heute in Streitkräfte und Strategien.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Im kommenden Monat treffen sich in Hamburg die Außenminister der OSZE, also der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Aus diesem Anlass veranstaltet NDR Info am 23. November mit dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik IFSH eine Podiumsdiskussion. „Zwischen Abschreckung und Dialog – Europäische Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand“, so der Titel der Veranstaltung. Wenn Sie am 23. November dabei sein wollen: Melden Sie sich an - auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Dort können Sie sich auch die Sendung als Podcast herunterladen. Außerdem können Sie den Newsletter von Streitkräfte und Strategien abonnieren. Wir schicken ihnen dann das aktuelle Manuskript der Sendung per E-Mail zu. Am Mikrofon verabschiedet sich Andreas Flocken.

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