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18.12.2016 - schiffbau. Immer wieder ist von einer notwendigen Umstrukturierung die Rede. ... Das Unternehmen, das diesen „Riesenfehler“ beging, war der ...
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Das Forum

17.12.2016 /19.20-19.50 Uhr

STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN

18.12.2016 /12.30-13.00 Uhr

Andreas Flocken

E-Mail: [email protected] www.ndr.de/streitkraefte

Inhalt:    

Der Fall von Aleppo – Wendepunkt im Syrienkrieg? Russische Iskander-Raketen in Kaliningrad – Neue Bedrohung für NATO-Staaten? Korvetten- und U-Boot-Aufträge – Rettungsprogramm für den deutschen Marineschiffbau? Fünf Jahre Militärhistorisches Museum – Kulturgeschichte der Gewalt statt Waffenschau

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Willkommen zu einer neuen Ausgabe unserer Sendereihe, im Studio begrüßt Sie Andreas Flocken.

Ein Blick auf unsere Themen:

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Russische Iskander-Raketen in Kaliningrad - Neue Bedrohung für NATO-Staaten?

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Korvetten- und U-Boot-Aufträge – Rettungsprogramm für den deutschen Marineschiffbau? Und:

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Fünf Jahre Militärhistorisches Museum – Kulturgeschichte der Gewalt statt Waffenschau

Zunächst jedoch zur Lage in Syrien. Nach vier Jahren ist Aleppo aufgrund russischer und iranischer Militärhilfe wieder unter Kontrolle von Machthaber Assad. Der Fall von Aleppo hat die ganze Ohnmacht und Hilflosigkeit der Staatengemeinschaft deutlich gemacht. Trotzdem: Eine politische Lösung ist auf Dauer nicht ausgeschlossen, allerdings würde es sie jetzt unter ganz neuen

Vorzeichen geben. André Bank vom Hamburger GIGA-Institut für NahostStudien:

O-Ton Bank „Diskussionen, die wir in der Vergangenheit bei den anderen Verhandlungsrunden hatten, von einer Übergangsregierung, an der die Opposition gleichermaßen mit der Regierung beteiligt ist, im sechsmonatigen Prozess, nach dem Assad abtreten wird usw., diese Diskussionen sind, denke ich, komplett vom Tisch. Es wird - und da sagen viele ein leider - es wird wohl leider eine Zukunft mit diesem Präsidenten geben - zumindest kurz und mittelfristig." Möglicherweise verständigen sich der neue US-Präsident Trump und Waldimir Putin auf eine Verhandlungslösung für Syrien. Ein Ende des Krieges würde das aber nicht bedeuten, sagt der Nahostexperte Michael Lüders:

O-Ton Lüders „Er wird ohnehin weitergehen, weil nicht nur die USA und Russland einen Stellvertreterkrieg auf syrischem Boden austragen, sondern auch der Iran und Saudi-Arabien. Und auch die Türkei ist sehr daran interessiert, Teile Syriens zu kontrollieren.“ Der Fall von Aleppo ist auch eine Niederlage der westlichen Syrienpolitik. Sie beruhte auf vielen Fehleinschätzungen. Grundfehler war die Annahme, die Zeit von Machthaber Assad sei abgelaufen. Der Syrienexperte André Bank:

O-Ton Bank „Diesen Irrglauben gab es in der Tat. Und er hängt sicherlich sehr viel damit zusammen, dass der syrische Aufstand 2011 Teil des arabischen Frühlings war, wo innerhalb kürzester Zeit die Präsidenten in Ägypten, Mubarak, in Tunesien, Ben Ali, und etwas später auch in Jemen, Saleh, und in Libyen, Gadaffi, gestürzt wurden. Man hatte vermutet, dass in Syrien eine ähnliche Dynamik entstehen könnte (...) Syrienkenner allerdings haben von Anfang an gewarnt, dass das Verhältnis des Regimes und insbesondere des Präsidenten zu den Sicherheitsapparaten und zum Militär im Falle Syriens viel enger als in diesen anderen arabischen Ländern ist, so dass hier wirklich direkt und massiv repressiv gekämpft werden wird, und wir eine wesentlich blutigere Variante erleben würden.“ Als es dann nicht zum erwarteten Assad-Sturz kam, hat der Westen, insbesondere Europa, lange untätig abseits gestanden, und tatenlos dem grausamen Krieg von außen zugeschaut. Chancen wurden verpasst:

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O-Ton Bank „Die westliche Politik hat einige Möglichkeiten versäumt. Z.B. hätte man im Spätsommer und Herbst 2011, als das Assad-Regime schon erheblich unter Druck geraten war, viel stärker auf eine Verhandlungsregelung im Format Arabische Liga, UN setzen können. Die dritte Zäsur war im Grunde im August 2013 der Chemiewaffen-Einsatz und die berühmte rote Linie. Also, zu verschiedenen Zeitpunkten seit 2011 hätte es diese Möglichkeiten gegeben, mit einer entschlosseneren Diplomatie, vielleicht auch im Hintergrund mit einer militärischen Drohung, das Assad-Regime zu deutlichen Verhandlungen und Konzession zu zwingen.“ Sagt André Bank vom Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien. Das Interview mit dem Syrien-Experten können Sie nachhören auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte.

Zu unserem nächsten Thema.

Seit der Annexion der Krim sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen gespannt. Die Rüstungsspirale dreht sich immer schneller. Reagiert wird jeweils auf militärische Maßnahmen der anderen Seite. In Kaliningrad unterhält Russland einen wichtigen Militärstützpunkt. Das frühere Königsberg ist eine Enklave, liegt eingeschlossen zwischen Litauen und Polen. In den vergangenen Jahren sind regelmäßig mobile Iskander-Raketen, die auf Lastwagen montiert sind, für Übungen nach Kaliningrad verlegt worden – zuletzt im Oktober. Offenbar werden sie jetzt dauerhaft dort stationiert. Es heißt, auf Satellitenbildern sei der Bau der hierfür notwendigen Hallen und Einrichtungen zu sehen. Ist die Stationierung eine weitere Eskalation? Jerry Sommer ist dieser Frage nachgegangen:

Manuskript Jerry Sommer Die „Bild“-Zeitung titelte im Oktober: „Putin verlagert Atom-Raketen an EUGrenze“. Die Iskander-Stationierung „destabilisiere die Sicherheit in Europa“, hieß es aus dem US-Außenministerium und der estnische Außenminister behauptete, mit der Verlegung verletzte Russland den Mittelstreckenraketenvertrag zwischen den USA und der Sowjetunion von 1987, der jegliche landgestützten Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 km verbietet. Denn die Iskander könnten 700 Kilometer weit fliegen und somit sogar Berlin treffen. 3

Kritische

Militärexperten

wie

Hans

Kristensen

von

der

US-

Wissenschaftlerorganisation „Federation of American Scientists“ warnen allerdings vor Hysterie und Übertreibungen:

O-Ton Kristensen „People also have not to get to hysterical about the Iskander-system.“

Die Iskander sind punktzielgenaue Kurzstreckenraketen. Es gibt zwei Varianten: eine ballistische Rakete und einen Marschflugkörper. Besonders der Marschflugkörper ist wegen seiner geringen Flughöhe nur sehr schwer abzufangen. Mit den Iskander-Raketen ersetzt Russland im ganzen Land die noch aus den 1980er Jahren stammenden Kurzstreckenraketen vom Typ SS-21. Bis 2020 soll diese Umrüstung abgeschlossen sein. Dann wird es circa 120 Iskander-Raketenabschussvorrichtungen in zehn Stationierungsorten an den östlichen, südlichen und westlichen Grenzen Russlands geben. Die wichtigste Aufgabe der Iskander ist, im Falle eines Krieges militärische Ziele wie Flughäfen und Kommandozentralen mit konventionellen Sprengköpfen zu zerstören. Die Iskander kann aber auch mit einem nuklearen Gefechtskopf bestückt werden. Der Rüstungsexperte Hans Kristensen:

O-Ton Kristensen (overvoice) „Man muss beachten, dass die SS-21, die jetzt in Kaliningrad stationiert ist, ebenfalls nuklearfähig ist. Es ist also nicht so, dass mit der Iskander zum ersten Mal eine Kurzstreckenrakete mit nuklearen Fähigkeiten in Kaliningrad stationiert wird.“ Der in Genf lebende unabhängige russische Militärexperte Pavel Podvig ist nicht so sicher, dass die Iskander Atombomben transportieren kann:

O-Ton Podvig (overvoice) „Vermutlich kann sie es. Aber wir wissen nicht genau, ob es wirklich einen nuklearen Sprengkopf für sie gibt. Allerdings: wir wissen, dass alle russischen Nuklearsprengköpfe, die für Kurzstreckenraketen bestimmt sind, in zentralen Lagern aufbewahrt werden. Wir können deshalb ziemlich sicher sein, dass die stationierten Iskander-Raketen keine nuklearen Sprengköpfe bei sich haben.“

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Und in Kaliningrad soll es auch keine solche zentrale Atomwaffenlagerstätte geben.

Die SS-21 hat eine Reichweite von maximal 120 Kilometern. Die Iskander ist zielgenauer, schwerer abzufangen und hat eine größeren Aktionsradius: Nach Aussagen der US-Luftwaffe kann sie 280 bis 300 Kilometer weit fliegen. Der Militärexperte Wolfgang Richter von der Berliner „Stiftung Wissenschaft und Politik“ vermutet eine etwas größere Reichweite.

O-Ton Richter „Wenn es um die Entfernung geht, dann sind wir im Bereich von 280 und 420 Km Reichweite. Das hängt vom exakten Typ ab. Sie bleibt eine Kurzstreckenrakete.“ Die Annahme, die Iskander verletze den Mittelstreckenraketenvertrag, den sogenannten INF-Vertrag, und könne von Kaliningrad aus selbst Berlin erreichen, hält Wolfgang Richter für an den Haaren herbeigezogen. Der USRüstungsexperte Hans Kristensen sieht das genauso:

O-Ton Kristensen (overvoice) „Wenn die Iskander eine Reichweite von 500 oder 700 Kilometern hätte, würde das US-Außenministerium sie als eine Verletzung des Mittelstreckenraketenvertrages eingestuft haben. Das hat es aber nicht.“ Die USA und Russland werfen sich zwar gegenseitig vor, durch Tests und Stationierung von Waffensystemen den Mittelstreckenraketenvertrag zu verletzen. Aber die US-Regierung hat wiederholt klargemacht, dass ihre Vorwürfe eine andere Waffe beträfen. Die damals im US-Außenministerium für Rüstungskontrolle zuständige Staatsekretärin Rose Gottemoeller sagte 2014 auf einer Veranstaltung in Washington: O-Ton Gottemoeller (overvoice) „Unsere Vorwürfe beziehen sich auf einen landgestützten Marschflugkörper, den Russland getestet hat und entwickelt. Aber es geht nicht um die Iskander.“ Russland wird mit in Kaliningrad stationierten Iskander-Raketen sein militärisches Bedrohungspotenzial erhöhen. Allerdings ändert sich dadurch nichts an der generellen militärischen Überlegenheit der NATO gegenüber Russland. 5

Außerdem schaffen diese Raketen für Moskau auch keine grundsätzlich neuen Militäroptionen, glaubt der Russlandkenner Pavel Podvig:

O-Ton Podvig (overvoice) „Sie verhelfen Russland nicht zu irgendwelchen bahnbrechenden neuen Fähigkeiten, die sie nicht auch vorher schon besaßen. Russland kann zum Beispiel schon jetzt mit seinen seegestützten Marschflugkörpern noch weit größere Teile von Polen, Deutschland und Europa erreichen als mit der Iskander.“ Diese Einschätzung teilt der Berliner Rüstungsexperte und Oberst a.D. Wolfgang Richter. Zugleich weist er daraufhin, dass auch NATO-Staaten ihre konventionellen

Fähigkeiten

modernisieren.

In

Europa

stationierte

US-

Kampfflugzeuge könnten mit weitreichenden luftgestützten Marschflugkörpern ausgerüstet werden. Und:

O-Ton Richter „Wir haben entsprechende Waffen, die von See aus gestartet werden. Ich denke da an Zerstörer wie Donald Cook, die auch seegestützte Cruise Missiles an Bord haben. Hier reden wir über Reichweiten zwischen 1.000 und 2.000 Kilometern.“ Das sind Reichweiten, mit denen man von Polen, aus der Ostsee und dem Schwarzen Meer auch Moskau erreichen könnte. Kürzlich hat die USRegierung zudem dem Verkauf von 70 luftgestützten Marschflugkörpern mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern an Polen zugestimmt. Auch mit diesem System könnte noch vom polnischen Luftraum aus Moskau bedroht werden. Die gegenwärtige Aufrüstung zwischen Russland und der NATO wird mit der jeweils von der anderen Seite ausgehenden Bedrohung gerechtfertigt. Dieser Prozess müsse gestoppt werden, sagt der US-Wissenschaftler Hans Kristensen: O-Ton Kristensen (overvoice) „Sie müssen miteinander reden. Sie müssen darüber verhandeln, wie offensive Waffensysteme in Europa durch Rüstungskontrollvereinbarungen begrenzt werden können.“ Russland begründet die geplante Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad seit vielen Jahren mit der vorgesehenen Stationierung von USRaketenabwehrsystemen im polnischen Redzikowo. Russische Streitkräfte 6

müssten in der Lage sein, diese Stellungen im Falle eines US-Angriffs auszuschalten, um die eigene nukleare Zweitschlagsfähigkeit zu erhalten, lautet die Moskauer Rechtfertigung. Die Bautätigkeiten für den US-Stützpunkt in Polen haben im Frühjahr begonnen. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Vorbereitungen für die Iskander-Stationierung in Kaliningrad ein halbes Jahr später angefangen haben. Denn im Unterschied zu den bisher dort stationierten SS-21 sind die Iskander-Raketen in der Lage, von Kaliningrad das rund 300 Kilometer entfernte Redzikowo zu erreichen.

In der NATO aber auch in Russland werden gegenwärtig viele Waffensysteme modernisiert. Das macht eine Deeskalation und Rüstungskontrolle nicht ganz einfach. Bei dem Streit um die Iskander-Raketen wäre es möglicherweise hilfreich, wenn die NATO Russland beim Wort nähme: Sie könnte anbieten, auf die US-Raketenabwehrstellung in Polen zu verzichten oder ihre 2018 geplante Indienstnahme zumindest zu verschieben. Denn die ursprüngliche Begründung für das System, die Abwehr von iranischen Atomraketen, ist durch den Atomdeal mit Teheran entfallen. Im Gegenzug könnte Russland auf die Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad verzichten. Wolfgang Richter:

O-Ton Richter „Das wäre sicherlich ein Gesprächsangebot, das man mal ausprobieren könnte. Ich vermute, dass es in der gegenwärtigen amerikanischen Regierung keine Option war oder ist, dass man auf ein zugesagten Projekt verzichtet.“ Ob Russland auf eine solche Initiative überhaupt eingehen würde, ist allerdings ebenfalls nicht abzusehen. Sicher ist nur: Ohne ein solches Verhandlungsangebot wird man das auch niemals erfahren. Klar ist aber auch: Ohne Verhandlungen wird die gegenseitige Aufrüstung weitergehen.

***

Flocken Ein Bericht von Jerry Sommer.

Die deutschen Werften haben Probleme. Sie sind nicht richtig ausgelastet, haben zu wenig Aufträge. Besonders schwierig ist die Lage beim Marine7

schiffbau. Immer wieder ist von einer notwendigen Umstrukturierung die Rede. Doch bisher ist nicht viel passiert. Wie schwierig die Lage inzwischen ist, zeigt der

vor kurzem völlig überraschend angekündigte Kauf weiterer Marine-

Einheiten durch die Bundeswehr. Einzelheiten von Otfried Nassauer:

Manuskript Otfried Nassauer Die Bundeswehr soll in den nächsten Jahren fünf zusätzliche Korvetten des Typs K130 bekommen. Mehr als 1,5 Milliarden Euro hat der Haushaltsausschuss im vergangenen Monat dafür zusätzlich bereit gestellt. Es sollen Nachbauten sein, damit das für einen Neubau erforderliche, zeitaufwändige Ausschreibungsverfahren vermieden werden kann.

Angestoßen haben das Vorhaben die norddeutschen Abgeordneten Johannes Kahrs, SPD, und Eckhardt Rehberg, CDU, beide Mitglieder des Haushaltausschusses. Ist dieser Vorstoß ein politischer Eingriff in die Rüstungsplanung des zuständigen Verteidigungsministeriums? Oder gar das Werk der berüchtigten sogenannten „Küstenmafia“? Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wies das in der Bundespressekonferenz am 17. Oktober zurück:

O-Ton Nannt „Wir kennen die Initiative und wir unterstützen sie. Die Initiative wurde mit uns in enger Abstimmung auf den Weg gebracht.“ Hinter der Initiative steckt wohl mehr als der Wunsch zweier Abgeordneter, heimische Arbeitsplätze zu sichern. Im Kern geht es um Industriepolitik und um die weitere Umstrukturierung der Werftindustrie in Deutschland und Europa. Neue Aufträge sollen die deutschen Werften stärken.

Der ursprüngliche Plan, mit dem dieses Ziel erreicht werden sollte, hat sich verzögert. Die Beschaffung von vier großen Mehrzweckkampfschiffen des Typs MKS 180 ist europaweit ausgeschrieben worden und wird bis zur Bundestagswahl 2017 nicht mehr in einen Vertrag münden. Zudem sind die deutschen Werften dabei auf drei Anbieterkonsortien verteilt. Susanne Wiegand, die Geschäftsführerin der German Naval Yards in Kiel, hat diese Situation in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ im September beklagt - Zitat: 8

Zitat „Meiner Meinung nach war die Zerschlagung des deutschen Militärschiffbaus ein Riesenfehler. Durch die Entscheidung eines Unternehmens sind die beiden Bereiche Entwicklung und Schiffbau voneinander getrennt worden und in verschiedenen Unternehmen gelandet. (...) Für die Schiffsindustrie im Land bedeutete dies eine Schwächung. Ich halte einen starken Verbund für wesentlich besser geeignet, national und international erfolgreich zu sein.“ Das Unternehmen, das diesen „Riesenfehler“ beging, war der ThyssenKruppKonzern. Er hat seinen Überwasserschiffbau in Hamburg und Kiel-Gaarden vor einigen Jahren zu Geld gemacht, aber die Entwicklungsabteilung und die Rechte an den erfolgreichen MEKO-Schiffen von Blohm & Voss behalten. Seither kann ThyssenKrupp Marine Systems, kurz TKMS, zwar noch Marineschiffe konzipieren. Gebaut werden sie aber mit Hilfe von Unterauftragnehmern wie German Naval Yards in Kiel. Dort werden zum Beispiel die Fregatten für Algerien und vier Korvetten für Israel hergestellt.

Die Folgen wurden sichtbar, als die Bundeswehr ihren Auftrag für das Mehrzweckkampfschiff 180 ausschrieb. TKMS bot zusammen mit der Lürssen-Werft an. Die ehemalige TKMS-Werft in Kiel-Gaarden, die German Naval Yards, reichte ihr Angebot gemeinsam mit dem britischen BAE-Konzern ein und der Schiffbau von Blohm & Voss holte sich als Partner für Design und Entwicklung Niederländer ins Boot.

Bleibt es bei dieser Konstellation? Nicht unbedingt. Die Lürssen-Gruppe hat in diesem Jahr den Schiffbau von Blohm & Voss übernommen. Damit hat Lürssen jetzt bei zwei Angeboten die Finger im Spiel. Die Organisation eines fairen Wettbewerbs ist also schwieriger geworden. Die Entscheidungsfindung könnte sich weiter verzögern.

Kann es sein, dass sich die Struktur der deutschen Marineindustrie bis zu einem Vertragsabschluss noch einmal ändert? Auch das ist möglich. Wieder liegt der Schlüssel anscheinend bei ThyssenKrupp. Bei TKMS wurde gerade ein Führungswechsel vollzogen und der Marinebereich soll sich neu aufstellen. Weitere Verkäufe sind nicht ausgeschlossen. Wenn der Preis stimmt, sei Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger bereit, auch über einen Verkauf der Marinesparte nachzudenken, so ist zu hören. 9

Dem verschuldeten Großkonzern gehören derzeit noch zwei Bereiche der deutschen Marineindustrie. Das Entwicklungs- und Design-Büro für Überwasserkriegsschiffe in Hamburg und der U-Boot-Bereich in Kiel, der von der Konzeption bis zur Auslieferung alle Arbeiten durchführen kann.

Das U-Boot-Geschäft von TKMS hat in diesem Jahr eine schwere Niederlage erlitten. Der französische Konkurrent DCNS gewann eine Ausschreibung Australiens für 12 U-Boote. Bei TKMS in Kiel hatte dies zur Folge, dass die Designund Entwicklungsabteilung für U-Boote nicht mehr voll ausgelastet werden kann. Hinzu kommt erschwerend: Im U-Boot-Bau entfallen die meisten Arbeitsstunden auf Entwicklung und Design, nicht auf den reinen Bootsbau.

Der Bau von U-Booten ist in Kiel noch für einige Jahre ausgelastet. Aber für das nächste Jahrzehnt fehlen noch Aufträge. In Norwegen und Polen soll in absehbarer Zeit über den Kauf neuer U-Boote entschieden werden. Auch die Niederlande und die Deutsche Marine könnten weitere U-Boote kaufen. Aber vor neuen Aufträgen wird jetzt meist ein harter Wettbewerb mit den erstarkten Franzosen von DCNS stehen. Mehr noch: In Frankreich liebäugelt man aus der derzeitigen Position der Stärke heraus wieder mit der Idee eines europäischen Marinekonzerns mit französisch-deutschem Kern, also einem Airbus der Meere. Der deutschen Marineindustrie ist diese Perspektive dagegen ein Graus. In Frankreich habe der Staat zu viel Einfluss auf die Industrie. Die Kritik an den Pariser Verhältnissen verhindert auch in Deutschland nicht den hilfesuchenden Blick nach Berlin. Von Aufträgen, die aus dem Staatshaushalt finanziert oder unterstützt werden, erhoffen sich die deutschen Werften mehr Handlungsspielraum.

Aussichtslos ist das nicht. Denn Berlin fördert die Werften nicht nur mit Aufträgen der Deutschen Marine. Etabliert hat sich mittlerweile auch ein zweiter Weg, die Werften aus Steuergeldern zu unterstützen: Der Bau von Schiffen und UBooten für die israelische Marine.

Derzeit fördert die Bundesregierung den Bau eines U-Bootes für Israel mit 135 Mio. Euro und den Bau von vier Korvetten mit einem Betrag von 115 Mio. Euro. 10

In Vorbereitung ist der Verkauf von drei weiteren U-Booten an Israel. Er soll noch vor der Bundestagswahl zwischen beiden Staaten vereinbart werden. Israel möchte, dass Deutschland etwa ein Drittel der Kosten übernimmt, also 500 bis 600 Millionen Euro. Für die deutschen Werften bedeutet jedes dieser Geschäfte mit Israel einen Umsatz, der etwa dreimal so groß ist wie der deutsche Kostenbeitrag. Die Militärhilfe für Israel trägt also inzwischen kontinuierlich zur Grundauslastung der deutschen Werften bei und subventioniert diese. Allerdings gibt es bei dem angestrebten U-Boot-Geschäft den Verdacht von Unregelmäßigkeiten in Israel. Regierungschef Netanjahu soll ein Geschäft durchgesetzt haben, bei dem Korruption eine Rolle gespielt haben könne, so der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft prüft die Vorwürfe. Der U-Boot-Deal könnte dadurch gefährdet werden.

Noch einmal zurück zu den neuen Korvetten. Am politischen Willen zur finanziellen Unterstützung der Marineindustrie bei der anstehenden Umstrukturierung der Industrie fehlt es offenbar nicht. Der Haushaltsausschuss hat das Geld für die Schiffe problemlos bereitgestellt. Der Obmann der Grünen im Haushaltausschuss, Tobias Lindner, warnt aber vor den Folgen einer überhasteten Korvetten-Beschaffung:

O-Ton-Lindner „Ich kann mir das nur durch Zeitdruck erklären, dass man vor der Bundestagswahl Nägel mit Köpfen machen will. Was auf der Strecke bleibt, ist der Wettbewerb und die Frage, ob man am Ende des Tages die beste Korvette zum besten Preis bekommen wird.“ Auch Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, zweifelt am Zeitplan und glaubt nicht, dass ein Vertragsabschluss noch vor der Bundestagswahl machbar und sinnvoll ist:

O-Ton Arnold „Ich hab schon die Einschätzung, dass die Bundeswehr und die Beschaffer Zeit brauchen, um all unsere Fragen seriös beantworten zu können, das heißt: Vor der Bundestagswahl wird keine konkrete Beschlussfassung anstehen.“ Damit könnte er recht behalten. Und einen Vorteil hätte dies vermutlich auch. Die Auftragsvergabe könnte dann zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem klar 11

oder klarer ist, wie der Marineschiffbau in Deutschland künftig strukturiert sein wird.

*** Flocken Soweit Otfried Nassauer.

Vor fünf Jahren ist das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden neu eröffnet worden - mit einem grundlegend veränderten Konzept, das den Menschen und nicht das Kriegsgerät ins Zentrum der Betrachtung stellt. Zuvor war das Gebäude aufwendig umgebaut worden. Für Furore sorgte die Architektur von Daniel Libeskind – ein riesiger Keil aus Glas und Metall durchschneidet das Gebäude:

Manuskript Dr. Regina König

O-Ton Böll „Dieser Architekt, der berühmte Daniel Libeskind aus Amerika, wollte damit ein Zeichen setzen, er wollte das Gebäude an sich zerstören, weil es im Krieg immer um Zerstörung geht – von Häusern, von Gewaltanwendung. Gleichzeitig machen wir damit aber auch klar: wir sind kein Armeemuseum mehr, sondern wir sind ein Militärhistorisches Museum, d.h. wir legen den Aspekt auf die Kulturgeschichte der Gewalt und nicht auf die Technik. Es steht immer der Mensch im Mittelpunkt, der Mensch ist immer derjenige, der die Gewalt anwendet, zumindest bislang.“

Die Historikerin Verena Böll führt eine internationale Gruppe durch das Militärhistorische Museum – Studenten und Lehrer aus Mexiko, Neuseeland, den USA und Deutschland. Die spektakuläre Architektur, der Keil, der den Altbau zu durchschneiden scheint, polarisiert und lässt keinen Besucher gleichgültig.

O-Ton-Collage „Das Gebäude, meinen Sie? Das war schon sehr futuristisch, sehr imposant.“/ „Oh, I like it, it´s gorgeous architecture.“/ „Einiges gefällt mir sehr gut, z.B. der Bau von Daniel Libeskind. Das finde ich gelungen.“/ „Ich find´s eher deplatziert, weil es ja klassische Architektur hier ist in Dresden. Gut – ist Geschmackssache. Also mir gefällt es nicht.“

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Der architektonische Keil, der auch für die gewaltverdichtete deutsche Geschichte steht, treibt die Meinungen auf die Spitze. Vieles im Militärhistorischen Museum ist umstritten. 11.500 Exponate auf 19.000 Quadratmetern – ist das nicht viel zu viel? Ist der preußische Militarismus angemessen dargestellt? Welchen Platz finden die Shoa und der deutsche Widerstand? Museumsdirektor Oberst Matthias Rogg hört solche Fragen gelassen:

O-Ton Rogg „Bei so einem komplexen Thema kann man es wahrscheinlich nicht jedem Recht machen. Aber was wir haben: Wir haben eine Position und die ist klar, nämlich Geschichte nicht eindimensional darzustellen und den Menschen das Denken nicht abzunehmen. Es gibt Besucher, die würden gern klarere Antworten von uns haben, so eine Masterstory. Die gibt es aber in der Geschichte selten. Und trotzdem kann man bei diesen unterschiedlichen Betrachtungsweisen eine Position finden, z.B. dass Krieg und Gewalt nicht sein muss und dass es Möglichkeiten gibt, Krieg und Gewalt zu vermeiden oder zu überwinden oder zu kanalisieren. Damit sind wir noch lange kein Friedensmuseum, aber wir sagen nicht, Krieg ist etwas Selbstverständliches, mit dem man sich einfach abfinden muss.“ Oberstleutnant a.D. Jürgen Rose vom Darmstädter Signal, ein Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Soldaten, die die Bundeswehr kritisch begleiten, kann dem Museum viel abgewinnen. Die Architektur sei gelungen, die Ausstellung bis 1945 ebenso. Allerdings wird der Kalte Krieg nach Ansicht von Rose extrem verkürzt dargestellt. Seine Kritik geht sogar noch weiter:

O-Ton Rose „Ein klares Feindbild wird produziert und auch zur Schau gestellt und das Feindbild ist klar: Im Osten sitzt der Feind, der alte Kommunismus, der Sowjetkommunismus, die Sowjetunion, und wir hier im Westen und die Deutschen gehören ja dann mal dazu – endlich! – da stehen sie auf der richtigen Seite. Und genau so wird das auch im Museum zelebriert. Schuld am Kalten Krieg ist die Sowjetunion, sind die Kommunisten sowohl in Russland als auch vor allem in der DDR natürlich, in der SBZ, wie das so schön hieß. Und das ist mir natürlich zu undifferenziert, wenn man sich z.B. den Entstehungskontext des Kalten Krieges anschaut. Der harte Kern des Kalten Krieges - das ist die Auseinandersetzung, den eigenen Vorteil im internationalen System zu bewahren gegenüber allen, die eben irgendwie eine gerechtere Weltordnung anstreben wollen. Und das wird überhaupt nicht thematisiert, sondern es wird sozusagen ein Eindruck vermittelt, dass der friedliebende Westen bedroht war und vor allen Dingen die friedliebend gewordenen Deutschen in der BRD, dass die bedroht worden waren von den bösen Kommunisten, die alles wollten, nur keine friedliche Koexistenz.“

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Museumsdirektor Rogg kann diese Vorwürfe nicht nachvollziehen und lädt den ehemaligen Oberstleutnant ein, mit ihm gemeinsam diesen Teil des Museums noch einmal genau anzuschauen:

O-Ton Rogg „Wir zeigen, dass die Wiederbewaffnung die Gesellschaft in Deutschland fast zerrissen hat, in Westdeutschland. Und wir zeigen, wie schwer sich die Bundeswehr gerade in ihrer Anfangsphase tat. Wir zeigen die ganzen Skandale der Bundeswehr, gerade in der Anfangsphase und zwar ganz offen und schonungslos. Wir zeigen aber auch, dass es doch ein großer Unterschied ist, ob man Soldat, noch gerade Wehrpflichtiger in einer Diktatur war oder in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.“ Der freiheitlich demokratische Rechtsstaat ist ein gutes Stichwort, um Besucher ins Grübeln kommen zu lassen. Z.B. vor der Vitrine, in der ein zerstörter Geländewagen der Bundeswehr steht. Das Fahrzeug vom Typ „Wolf“ war 2004 in Afghanistan während einer Patrouille in eine Sprengfalle geraten, drei Bundeswehrsoldaten wurden zum Teil schwer verletzt. Direkt daneben sind die Bundestags-Abstimmungskarten des damaligen Bundeskanzlers Schröder und der Oppositionsführerin Merkel ausgestellt.

O-Ton Rogg „Und mit diesen Original-Abstimmungskarten haben sie wenige Wochen, bevor den Männern in diesem Fahrzeug das passierte, über die Verlängerung des Mandats in Afghanistan abgestimmt. Und wir sehen, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen einer politischen Verantwortung, einer politischen Legitimation und diesem Einsatz in Afghanistan. Aber, und das ist mir immer wichtig: Es gibt ja meistens diese Dreiecksbeziehung von Tätern, von Opfern und von Zuschauern, von Bystandern: Wir, die wir vor der Vitrine stehen, wir stehen auch in der Verantwortung, wir wählen die Politiker. Und das zeigt, wir alle stehen in der Verantwortung, da kann sich niemand ´rausreden. Und es zeigt wie vielleicht keine andere Installation, dass wir Teil dieses politischen Prozesses sind, als Wähler und als Bürger dieses Landes. Und deshalb ist das eine Installation – dieses Fahrzeug in der Vitrine mit den Abstimmungskarten -, die uns sehr nachdenklich macht und zu der wir uns am Ende verhalten müssen.“ In der Dauerausstellung in Dresden finden sich natürlich auch Gefechtsfahrzeuge und Truppen-Fahnen, Uniformen und Karten, Kanonen aus dem Mittelalter und Multimediastationen. Zugleich überrascht das Museum mit originellen Ansätzen und Fragen, z.B. wie riecht der Krieg? Was machen Tiere beim Militär? Oder welche Rolle spielen Mode, Sprache und Musik? Man könnte sich 14

tagelang mit den chronologischen Teilen oder dem Themenparcours befassen. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Ehemalige DDR-Soldaten beklagen z.B., die Rolle der Nationalen Volksarmee NVA sei nur unzureichend dargestellt. In der Ausstellung wird der in der Bundeswehr inzwischen übliche Begriff „Armee der Einheit“ kritiklos übernommen. Für viele betroffene NVA-Soldaten eine falsche und beschönigende Bezeichnung, die mit der Realität wenig zu tun hat. Denn die DDR-Streitkräfte wurden im Zuge der Wiedervereinigung abgewickelt und aufgelöst. Nur wenige Soldaten sind in die Bundeswehr übernommen worden. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Bundeswehr und kein alternativer Träger das Museum führt. Direktor Rogg pariert:

O-Ton Rogg „Ich glaube, dass wir im Gegenteil einerseits zeigen, wie offen die Bundeswehr ist, was wir meinen unter Innerer Führung, nämlich auch die offene Diskussion mit der zivilen Gesellschaft, also außerhalb der Bundeswehr, aber durchaus auch diese gesellschaftlichen Kräfte in die Bundeswehr wirken lassen, um zu zeigen, das ist kein Staat im Staate, um Gottes Willen! Es ist genau das Gegenteil. Und ich frage mich, ob es wirklich besser, wirklich kritischer, wirklich wissenschaftlicher und multiperspektivischer wäre, wenn´s jemand anders machen würde. In Wahrheit sind doch viele nur überrascht, dass die Bundeswehr dieses Museum hat.“ ***

Flocken Ein Bericht von Regina König über das Militärhistorische Museum in Dresden. Das Konzept der Ausstellung erläutert Direktor Matthias Rogg in unserer Reihe Der Talk, morgen um 16.05 Uhr, hier auf NDR Info. Mehr zum Militärhistorischen Museum auch auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Das war’s für heute. Die Sendung können Sie sich als Podcast herunterladen, ebenfalls unter ndr.de/streitkraefte. Dort können Sie auch den Newsletter der Sendereihe abonnieren. Wir schicken Ihnen dann das aktuelle Manuskript der Sendung per E-Mail zu. Am Mikrofon verabschiedet sich Andreas Flocken.

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