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03.07.2014 - humanitäre Grund wiege nicht schwer genug, um einen Verstoß ... Beurteilung" wird Art. 15 Dublin II-VO (Humanitäre Klause) zwar als Norm.
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03.07.2014

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 03.07.2014

Geschäftszahl W149 2001851-1

Spruch W149 2001851-1/7E IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Rita-Maria Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Ägypten, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.02.2014, Zl. IFA 831763801, Verf. 1558816, zu Recht erkannt: A) Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 BFA-VG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang 1. Behördliches Verfahren Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ägyptens, stellte am 01.12.2013 vor Beamten der Polizeiinspektion St. Georgen i.A. - EAST den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (AS 19). Eine EURODAC-Abfrage vom selben Tag ergab keinen Treffer (AS 3). Am 02.12.2013 wurde die Erstbefragung durch ein Organ der besagten Dienststelle unter Beteiligung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch durchgeführt, im Rahmen derer der Beschwerdeführer unter Vorlage seines ägyptischen Personalausweises seine Identität belegte und angab, nach einer höheren Schulbildung fünf Jahre lang eine näher bezeichnete Universität besucht zu haben, um danach als selbstständiger Unternehmer (Möbelhandel) zu arbeiten. Der Beschwerdeführer gab weiters an, in XXXX lebe seine namentlich näher bezeichnete Schwester, die österreichische Staatsbürgerin sei. Er sei am 22.10.2013 von Kairo (Ägypten) aus mit einem Visum der dt. Botschaft nach München (Deutschland) geflogen, um sogleich von dort aus mit einem Taxi nach XXXX zu fahren. Dort habe er sich aufgehalten, bis er am Vortage in die EAST kam, um den gegenständlichen Antrag zu stellen. Den Reisepass mit dem Visum habe er auf Anraten vernichtet, damit er nicht nach Ägypten abgeschoben werden könne.

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Bundesverwaltungsgericht

03.07.2014

Er sei wegen näher bezeichneter politischer Aktionen gegen den früheren Staatschef Mursi und wegen seines syrisch-orthodoxen Glaubens durch die Muslimbrüderschaft verfolgt worden. Er sei geflohen aus Angst vor weiterer Verfolgung und er wolle bei seiner Schwester leben (AS 13, 17). Am 03.12.2013 stellte das damals noch zuständige Bundesasylamt an die Behörde in Deutschland ein Übernahmeansuchen gemäß Art. 9 Abs. 2 der "Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist" (in der Folge: Dublin II-VO). Zur Begründung der Zuständigkeit Deutschlands gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO wurden die Angaben des Beschwerdeführers betreffend ein für Deutschland ausgestelltes Visum angeführt. Die Existenz der Schwester in Österreich wurde nicht erwähnt (AS 29). Am selben Tag wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und zu dem Zwecke seit dem 20.12.2013 Konsultationen mit Deutschland gemäß der Dublin II-VO geführt würden (AS 65). Am 10.12.2013 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt unter Beteiligung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch erstmals einvernommen (AS 79), wobei er erneut angab, dass in Österreich seine Schwester lebe, diese habe fünf minderjährige Kinder. Auf Befragen gab er im Wesentlichen an, in einem Haus, das der Schwester gehöre, in ihrer Nähe zu wohnen. Außerdem lerne er Deutsch und verstehe schon mehr als er spreche. Auf Vorhalt, wonach sich "aus den Unterlagen im Akt", die nicht näher bezeichnet wurden, ergebe sich, dass der Beschwerdeführer ursprünglich in Österreich die besagte Schwester bei der Betreuung ihres schwer kranken Mannes habe unterstützen wollen, um anschließend in den Herkunftsstaat zurückzukehren, weil dort die kranke Mutter lebe und der Beschwerdeführer eine eigene Möbelfirma besitze, die er leiten müsse, erklärte der Beschwerdeführer, er habe in Ägypten zunächst keine Probleme gehabt habe, nun aber Angst habe in Ägypten von der Muslimbrüderschaft verfolgt zu werden. Auf Vorhalt, dass aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer von erst etwa vier Monaten nicht von einer "fortgeschrittenen Integration" und auch nicht von einem "erweiterten Naheverhältnis" zu seiner Schwester in Österreich ausgegangen werden könne, erklärte der Beschwerdeführer erneut, sein Hauptziel sei es gewesen, dass er bei seiner Schwester bleiben könne, die fünf minderjährige Kinder habe und seiner Unterstützung bei der Erziehung und Betreuung bedürfe. Aus diesem Grunde habe er den gegenständlichen Antrag in Österreich gestellt. Befragt, was einer Überführung nach Deutschland entgegenstehe, wo er sein Asylverfahren führen sowie im Übrigen auch von dort aus einen Antrag auf Familienzusammenführung gemäß dem (vom Dolmetscher übersetzten) Art. 16 (der damals noch nicht anwendbaren) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013, ABl. L 108, 31, (Dublin III-VO) stellen und seine Schwester ihn als österreichische Staatsangehörige auch besuchen könne, erklärte der Beschwerdeführer, das er das verstanden habe. Mit Fax vom 12.12.2013 langte ein Schreiben der deutschen Behörden vom Vortage ein, aus dem hervorgeht, dass die dortige Behörde die Zuständigkeit für das Verfahren des Beschwerdeführers gemäß "Art. 9 Abs. 4 Dublin II-VO" übernehme (AS 89) Am 16.12.2013 langte ein E-Mail der BH Vöcklabruck, Fremdenpolizeiliche Außenstelle, beim Bundesasylamt ein, der eine Antwort der ÖB Kairo vom 10.12.2013 in Bezug auf eine (offenbar zuvor vom Bundesasylamt erstellte, aber nicht im Akt befindliche) "Sichtvermerksversagungs-Anfrage" betreffend einen früheren Antrag des Beschwerdeführers für ein Besuchs-Visum (AS 129, 131). In der Anlage befanden sich die Kopien eines Antrages auf ein Besuchs-Visum vom 30.12.2012 betreffend den Zeitraum 20.11.2012 bis 18.05.2013 sowie eine Begründung des Beschwerdeführers von Anfang Februar 2013 (Stempel unleserlich). Aus der Begründung ergibt sich, dass der Beschwerdeführer damals seine seit 16 Jahren in Österreich lebende Schwester, die Staatsangehörige Österreichs sei, besuchen wollte, weil deren Mann an Krebs erkrankt und mittlerweile verstorben sei. Die Schwester habe fünf minderjährige Kinder und bedürfe mangels anderer Verwandter dringend der Unterstützung des Beschwerdeführers. Er hatte erklärt, dass die Schwester gänzlich für seinen Unterhalt aufkommen würde und er nicht vorhabe, länger in Österreich zu bleiben, sondern vor Ablauf des Visums wieder nach Ägypten zurück zu kehren, wo seine kranke Mutter lebe und er eine Unternehmen führe (AS 133, 143).

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Aus den Anlagen ergibt sich auch die Begründung der Verweigerung des Visums durch die ÖB Kairo vom 03.02.2013, wonach der Beschwerdeführer den Nachweis ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für die Dauer des Aufenthaltes nicht beigebracht habe und die Absicht, vor Ablauf des Visums nach Ägypten zurückzukehren nicht festgestellt werden konnte (AS 139, 147, 151). Des Weiteren findet sich dort eine Anfrage an das Hospiz, in dem der später verstorbene Schwager des Beschwerdeführers damals lag, die mit dem Vermerk vom 09.11.2013 beantwortet wurde, dass die Schwester des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer wegen der eigenen Überforderung als alleinstehende Frau mit fünf minderjährigen Kindern nach Österreich einladen wolle, damit sie den pflegebedürftigen Mann nach Hause holen könne (AS 155). Schließlich findet sich in den Anlagen eine Information der Bundespolizeidirektion XXXX (undatiert) mit Detail-Informationen zur "Verpflichtungserklärung" der Schwester, nach deren Angaben sie von Beruf Buchhalterin und derzeit in Umschulung beim AMS tätig sei. Der Information ist weiters zu entnehmen, dass die Schwester Eigentümerin eines Hauses sei und über ein beträchtliches Sparbuchguthaben verfüge sowie über näher bezeichnete Einnahmen und der (damals offenbar noch lebende) Ehemann der Schwester beziehe eine Pension (monatliche Gesamteinnahmen der Familie 4.782 €, Mietausgaben 375 €). Der Besuch des Beschwerdeführers diene der Unterstützung der Schwester bei der häuslichen Pflege ihres an einem Hirntumor erkrankten Mannes, die fünf minderjährigen Kinder gingen noch zur Schule. Der Beschwerdeführer sei Inhaber einer Möbelfirma, die während des Besuches in Österreich von einem Cousin geleitet werde, der Beschwerdeführer sei zudem in der Lage, bei Bedarf kurzfristig nach Ägypten zu fliegen, wenn das Unternehmen es erfordere (AS 157). Am 16.12.2014 gab der Beschwerdeführer über seinen mittlerweile bevollmächtigten Rechtsanwalt eine schriftliche Stellungnahme ab (AS 113), in welcher er im Wesentlichen vorbrachte, die Schwester und ihre sechs bis 16 Jahre alten Kinder, würden der Unterstützung des Beschwerdeführers dringend bedürfen, weil der Ehemann und Vater am 11.01.2013 an Krebs verstorben sei und die Schwester in Österreich keine anderen Verwandten habe, die ihr helfen könnten. Der Beschwerdeführer kenne auch die Kinder gut und habe zu ihnen einen engen Kontakt. Die Schwester und die Kinder hätten die Familie des Beschwerdeführers nämlich im Sommer 2013 in Ägypten besucht und mit ihm dort zusammen gelebt. Derzeit wohne der Beschwerdeführer in dem Haus, das der Schwester gehöre, aber derzeit noch renoviert werde, damit in Bälde alle zusammen dort leben könnten. Der Beschwerdeführer sehe die Schwester und die Kinder täglich. Der Beschwerdeführer sei mit einem deutschen Geschäfts-Visum am 22.10.2013 direkt von Kairo nach München und von dort aus nach XXXX gekommen, weil er zwischenzeitlich aus religiösen Gründen verfolgt worden sei. Seine Familie habe deshalb beschlossen, dass er zu seiner Schwester nach Österreich fliehen sollte, wo er nicht nur in Sicherheit sei, sondern der Schwester und den Kindern gleichzeitig die dringend benötigte Unterstützung gewähren könne. Der Stellungnahme waren Nachweise über das Alter der Neffen und Nichten (E-Card-Kopien), eine Todesfallaufnahme des Schwagers (verstorben am 11.01.2013 in XXXX) sowie eine Verpflichtungserklärung der Schwester vom 11.12.2013 beigefügt (AS 115, 117, 125) Am 18.12.2013 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt unter Beteiligung der Rechtsberaterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch ein zweites Mal einvernommen (AS 165), wobei der Beschwerdeführer auf Befragen zum wiederholten Male angab, er habe in Österreich eine Schwester mit fünf minderjährigen Kindern, andere Verwandte in Österreich gebe es nicht. Aufgefordert, sein Verhältnis zur Schwester seit seinem Eintreffen in Österreich "kurz" zu schildern, wiederholte der Beschwerdeführer, dass er ein sehr gutes Verhältnis zu ihr habe und ein solches auch schon gehabt habe, als sie noch beide "zu Hause" gewesen seien. Erneut nach finanzieller Unterstützung durch die Schwester und nach Kontakten in der Zeit vor der Einreise befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass man täglich telefoniert habe, er sei von der Schwester nicht finanziell unterstützt worden, da es ihm in Ägypten finanziell gut gegangen sei. In Österreich werde er jetzt jedoch von der Schwester unterstützt, er wohne im Haus der Schwester, sie kaufe die Lebensmittel und versorge ihn mit Geld, wenn er etwas benötige. Wovon die Schwester selbst lebe, seit der Mann verstorben sei, könne er nicht sagen. Sie sei jedenfalls zu Hause und gehe nicht arbeiten.

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03.07.2014

Auf Vorhalt, dass sein früherer Antrag auf ein Besuchs-Visum für Österreich von der ÖB Kairo mit Schreiben vom 2012.2012 abgelehnt worden sei, und er damals angegeben habe, in Österreich nicht längerfristig bleiben zu wollen, weil er sich um seine kranke Mutter in Ägypten kümmern müsse, erklärte der Beschwerdeführer, damals noch keine Probleme im Herkunftsstaat gehabt zu haben und deshalb erklärt zu haben, nur vorübergehend nach Österreich zu wollen. Auf Vorhalt betreffend das deutsche Geschäfts-Visum und die entsprechende Zustimmungserklärung Deutschlands, den Beschwerdeführer im Rahmen der Dublin II-VO zur Führung des Verfahrens zu übernehmen, sagte der Beschwerdeführer aus, sein eigentliches Zielland sei immer nur Österreich gewesen. Der wichtigste Grund sei dass seine Schwester hier alleine lebe, er könne sie in allen Bereichen unterstützen, sie brauche ihn va. für die Kinder. Er habe vor allem wegen ihr nach Österreich gewollt und brauche hier nichts vom Staat, weil ihn seine Schwester mit dem Nötigen unterstütze. Schließlich wurden dem Beschwerdeführer Länderinformationen zur Situation in Deutschland zur Stellungnahme (ohne Fristsetzung) übergeben und der Beschwerdeführer legte zahlreiche Dokumente (MaturaZeugnis, ägyptischer Führerschein, ägyptische Bank- und Kreditkarte usw.) vor, deren Echtheit teilweise polizeilich überprüft und die für unbedenklich erklärt worden waren (AS 127). Mit Fax vom 02.01.2014 legte der Beschwerdeführer über seinen Rechtsanwalt eine weitere Stellungnahme vor, welche denselben Inhalt hatte wie jene vom 16.12.2013 (AS 175). Mit Bescheid vom 11.02.2014, Zl. IFA 831763801, Verf. Zl. 1558816, (AS 209) wies das (mittlerweile zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 "idgF", (AsylG) als unzulässig zurück. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 9 Abs. 4 Dublin IIVO Deutschland zuständig ist (I.). Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 "idgF", (FPG) wurde die Außerlandesbringung gegen den Beschwerdeführer angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Deutschland zulässig ist. Die Begründung stützte sich im Wesentlichen darauf, dass Deutschland für die Führung des gegenständlichen Verfahrens zuständig sei, weil der Beschwerdeführer mit einem deutschen Visum in das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist sei, bevor er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt habe. Deutschland habe dem Aufnahmegesuch dementsprechend auch gemäß Art. 9 Abs. 4 Dublin II-VO zugestimmt. Die Lage in Deutschland sei, was das Asylverfahren, die Versorgung und Unterbringung von Antragstellern betreffe, in jeder Hinsicht unbedenklich. Eine Abhängigkeit oder besonders enge Beziehung zu der in Österreich lebenden Schwester des Beschwerdeführers habe nicht festgestellt werden können. Zwar sei das ursprüngliche Vorhaben des Beschwerdeführers, die Schwester bei der Pflege und Betreuung ihres schwerkranken Mannes zu unterstützen, bei der Abwägung in Bezug auf Art. 8 EMRK als humanitärer Grund mit einzubeziehen. Allerdings könne die Schwester, welche Österreicherin sei, den Beschwerdeführer in Deutschland uneingeschränkt besuchen und der humanitäre Grund wiege nicht schwer genug, um einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK zu begründen, zumal das "ursprüngliche Vorhaben [...] durch den bedauerlichen Tod (des) Schwagers weggefallen" sei. Weiters wird erklärt: "Dass eine gewisse Beziehung zu (den) nahen Angehörigen in Österreich aus humanitärem Aspekt nur allzu selbstverständlich anzusehen ist (sic), wird nicht Abrede gestellt, kann aber keine Voraussetzung für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Österreich sein." Daher werde dem Antrag auf Selbsteintritt Österreichs nicht stattgegeben, "nicht zuletzt deswegen, da ein bereits erwähntes uneingeschränktes Besuchsrecht der Angehörigen des Antragstellers zur Verfügung steht". Unter dem Punkt "Rechtliche Beurteilung" wird Art. 15 Dublin II-VO (Humanitäre Klause) zwar als Norm erwähnt, der Sachverhalt betreffend die Zuständigkeit gemäß der Dublin II-VO jedoch lediglich auf Art. 9 Abs. 4 Dublin II-VO angewendet und die Anordnung der Außerlandesbringung unter § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK geprüft.

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03.07.2014

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend das amtswegige Zurseitestellen eines näher bezeichneten Vereins als Rechtsberater (AS 269) am 14.02.2014 über seinen Rechtsanwalt zugestellt (AS 295). 2. Beschwerde Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer über seinen Rechtsanwalt mit gefaxtem Schriftsatz vom 21.02.2014 Beschwerde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (AS 299). In der Beschwerdeschrift machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe seine Eintrittsverpflichtung "gemäß Dublin III VO" verkannt, obwohl der Beschwerdeführer detailliert ausgeführt habe, dass der Beschwerdeführer seiner verwitweten Schwester und deren minderjährigen Kindern beistehen müsse. Die Behörde habe die Abklärung dieses wesentlichen Sachverhaltsaspektes verabsäumt und sei daher zu dem unrichtigen Ergebnis gelangt, dass eine Zurückweisung des Antrags und die Ausweisung des Beschwerdeführers rechtkonform seien. Zudem habe es die Behörde unterlassen, Ermittlungen im Hinblick auf eine mögliche Grundrechtsverletzung iSd. Art. 3 EMRK durch Kettenabschiebung aus Deutschland anzustellen. Der Beschwerdeführer beantragte unter einem die Behebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde. 3. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und weitere Verlauf Die Beschwerde langte am 25.02.2014 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch § 1 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF. BGBl. I Nr. 122/2013 (VwGVG), geregelt. Die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts ist im Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG) geregelt. Gemäß § 6 BVwGG und § 2 VwGVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einzelgesetzlicher Regelungen liegt für das gegenständliche Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht damit Einzelrichterzuständigkeit vor. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide einer Behörde wegen Rechtswidrigkeit (Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 1991/51, idF BGBl I Nr. 33/2013, (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Behörde in dem Verfahren vor dem dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hatte oder anzuwenden gehabt hätte. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht. Gemäß § 16 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und die mit einer aufenthalts-beendenden Maßnahme verbunden ist, die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, diese wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Überprüfung des Aktes am 25.02.2014 von der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abgesehen, da die gesetzlichen Voraussetzungen einer drohenden Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK nicht vorlagen. Gemäß § 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

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Gemäß § 21 Abs. 2 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde. Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 BFA-VG ist der Beschwerde im Zulassungsverfahren stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Da der im vorliegenden Verfahren einschlägige § 21 Abs. 2 BFA-VG vom "erkennenden" Bundesverwaltungsgericht spricht, und die gegenständliche Entscheidung auch - dem Inhalt nach - nicht vollständig einer Behebung nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG wegen fehlender Sachverhaltsermittlung entspricht, war in Erkenntnisform zu entscheiden. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung als Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 BVwGG, § 2 VwGVG und § 17 Abs. 1 Satz 1 BFA-VG. II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: 1. Materielle Rechtsgrundlagen AsylG Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Satz 1 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Nach Satz 2 ist mit der Zurückweisung auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Nach Satz 3 hat eine Zurückweisung des Antrages zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der DublinVerordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet. Dublin II-VO Mit "Dublin-Verordnung" ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 8 AsylG die Dublin II-VO gemeint. Diese ist zwar gemäß Art. 48 der Dublin III-VO (unmittelbar anwendbar und dem AsylG vorrangig) mit 31.12.2013 außer Kraft getreten. Gemäß Art. 49 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Staates für Anträge auf internationalen Schutz, welche vor dem 01.01.2014 gestellt wurden, jedoch noch nach der Dublin II-VO. Der gegenständliche Antrag wurde am 01.12.2013 gestellt, sodass insoweit diese Fassung anzuwenden ist. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Dublin II-VO bezeichnet im Sinne dieser Verordnung der Ausdruck i) "Familienangehörige" die folgenden im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaatenanwesenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat: i) den Ehegatten des Asylbewerbers oder der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, der mit diesem eine dauerhafte Beziehung führt, sofern gemäß den Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nichtverheiratete Paare nach dessen Ausländerrecht ähnlich behandelt werden wie verheiratete Paare; ii) die minderjährigen Kinder von in Ziffer i) genannten Paaren oder des Antragstellers, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, gleichgültig, ob es sich nach dem einzelstaatlichen Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt; www.ris.bka.gv.at

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iii) bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen den Vater, die Mutter oder den Vormund; Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist. Art. 4 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass das Verfahren zur Bestimmung des gemäß der Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaats eingeleitet wird, sobald ein Asylantrag erstmals in einem Mitgliedstaat gestellt wurde. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates von der Situation auszugehen, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat gegeben ist. Art. 9 Dublin II-VO lautet: (1) Besitzt der Asylbewerber einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig. (2) Besitzt der Asylbewerber ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig, es sei denn, dass das Visum in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaats erteilt wurde. In diesem Fall ist der letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Konsultiert ein Mitgliedstaat insbesondere aus Sicherheitsgründen zuvor die zentralen Behörden eines anderen Mitgliedstaats, so ist dessen Antwort auf die Konsultation nicht gleich bedeutend mit einer schriftlichen Genehmigung im Sinne dieser Bestimmung. (3) Besitzt der Asylbewerber mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Asylantrags in folgender Reihenfolge zuständig: a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat; b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt; c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat. (4) Besitzt der Asylbewerber nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Besitzt der Asylbewerber einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag gestellt wird. (5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde. Artikel 15 Dublin II-VO (Kapitel IV "Humanitäre Klausel") bestimmt wie folgt: www.ris.bka.gv.at

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03.07.2014

(1) Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen. (2) In Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten im Regelfall, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. [...] (4) Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen. 2. Zulässigkeit der Beschwerde Die Beschwerde ist fristgerecht beim damals zuständigen Bundesasylamt eingebracht worden, und es bestehen auch keine sonstigen Bedenken gegen ihre Zulässigkeit. 4. Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückweisung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Der angefochtene Bescheid ist gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 BFA-VG zu beheben und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nämlich keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen im Hinblick auf das Vorliegen etwaiger Umstände, die eine Zuständigkeit Österreichs aus humanitären Gründen gemäß Art. 15 Dublin III-VO hätte begründen können. Konkret unterließ es das Bundesasylamt, obwohl der Beschwerdeführer in den behördlichen Einvernahmen durchgehend erklärt hatte, dass seine seit 11.01.2013 verwitwete Schwester mit fünf minderjährigen Kindern als Staatsbürgerin in Österreich lebe und seiner praktischen und menschlichen Unterstützung bedürfe, zu ermitteln wie das genaue Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Schwester und den Kindern sowie deren Lebensumstände ohne den Beschwerdeführer in Österreich waren und sein würden, wenn dieser das Land zu verlassen habe. Die Behörde prüfte - in Verkennung dessen, dass die rechtlichen Voraussetzungen eines unverhältnismäßigen Eingriffs in Art. 8 EMRK nicht mit jenen der Anwendung von Art. 15 Dublin II-VO identisch sind - lediglich die von der Judikatur (VwGH, VfGH und EGMR) entwickelten und in § 9 Abs. 2 BFAVG übernommenen Kriterien für das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens iSd. Art. 8 EGMR, nicht aber die davon abweichenden bzw. deutlich darüber hinausgehenden Merkmale des Art. 15 Dublin II-VO. Dadurch kam die belangte Behörde zu der für Art. 15 Dublin II-VO nicht einschlägigen Begründung, wonach zB. die Intensität des Familienlebens des Beschwerdeführers mit der Schwester und den Kindern nicht ausreichend sei, die Schwester als EU-Staatsangehörige den Beschwerdeführer (alleinstehend und mit fünf minderjährigen Kindern) jederzeit in Deutschland besuchen könne. Der EUGH urteilte nämlich am 06.11.2012 in der Rechtssache C-245/11, dass nicht nur die Umstände in der Person des Antragstellers, sondern auch jene in der Person anderer, bereits im Antragsstaat aufhältiger, Personen zu berücksichtigen sind, wenn es um die Beurteilung der Voraussetzung einer etwaigen Zuständigkeit im Rahmen der "Humanitären Klausel" des Art. 15 Dublin II-VO geht. Zudem spielt der Verwandtschaftsgrad - je nach Schwere der Probleme - genauso wenig eine entscheidende Rolle wie die Frage eines gemeinsamen Haushaltes vor und nach der Zusammenführung oder die finanzielle Abhängigkeit der Betroffenen. Des Weiteren ist dem Urteil zu entnehmen, dass die humanitäre Klausel auch in Fällen anwendbar ist, in denen sich der Antragsteller bereits im Staatsgebiet jener Person befindet, die einer Unterstützung bedarf. Im Übrigen stellte der EUGH klar, dass es die Anwendung der Klausel in bestimmten Fällen (Abs. 2) verpflichteten sein kann. Schließlich ergibt sich aus dem Urteil, dass ein Ersuchen des nach den allgemeinen Regeln der Dublin II-VO, zu denen auch Art. 9 Dublin II-VO gehört, an sich zuständigen Staates nicht zwingend bedarf. Dadurch spielt auch das von der belangten Behörde (in einem anderen Zusammenhang) vorgebrachte Argument, der www.ris.bka.gv.at

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Bundesverwaltungsgericht

03.07.2014

Beschwerdeführer könne von Deutschland aus einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen, keine Rolle. Zudem mag darauf hingewiesen werden, dass Deutschland im gesamten behördlichen (Konsultations-)Verfahren nicht über die Existenz der Verwandten des Beschwerdeführers informiert worden war und daher auch keinen Grund gesehen haben mag, ein derartiges Ersuchen zu stellen. Die Behörde unterließ damit rechtlich relevante Sachverhaltsermittlungen, weil etwa im Falle, dass familiären oder (auch) kulturelle Gründe für eine Zusammenführung des Beschwerdeführers mit seiner Schwester und deren minderjährigen Kindern sprechen würden, eine Zuständigkeit Österreichs aus humanitären Gründen in Frage kommen könnte. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass im gegenständlichen Fall aufgrund der Antragstellung vor dem 01.01.2014 nach wie vor die (materiellen) Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin II-VO, insbesondere Art. 15 Dublin II-VO, anzuwenden sind und nach der angeführten Judikatur des EUGH die - von der belangten Behörde offenbar unterstellte - Antragspflicht aus dem Aufnahmestaat heraus keine Tatbestandsvoraussetzung darstellt. Es erscheint daher zielführend, durch genauere Ermittlungen vor allem festzustellen, welchen Bedarf die Schwester und ihre fünf minderjährigen Kinder an der vorläufigen Anwesenheit des Beschwerdeführers in Österreich während des Verfahrens haben und ob der Beschwerdeführer diesem Bedarf tatsächlich entsprechen kann und will. Weiters erscheinen Ermittlungen bezüglich der sozialen Bedingungen und der kulturellen Einstellung der Schwester in Österreich sinnvoll, um feststellen zu können, ob neben den familiären Gründen auch kulturelle Umstände (Sorge für die verwitwete Schwester nach dem Tod des Ehemannes) einen vorläufigen Verbleib des Beschwerdeführers durch Zuständigkeit Österreichs aus humanitären Gründen angezeigt sein lassen könnte. Hier erscheinen vor allem Einvernahmen der Schwester sowie sonstiger informierter Personen aus deren Umkreis der Schwester. Des Weiteren könnte eine gründliche Analyse der Unterlagen aus dem Visa-Verfahren zusätzliche Informationen über die Bedeutung der Anwesenheit des Beschwerdeführers für die Schwester und ihre Kinder hilfreich sein. Außerdem wäre ein Konsultationsverfahren mit Deutschland unter vollständiger Angabe der entscheidungsrelevanten Umstände angezeigt, weil die Zustimmung Deutschlands offenkundig auf einer unvollständigen, dh. auf die Visum-Erteilung reduzierten, Informationslage beruhte. Außerdem wäre bei entsprechenden Ergebnissen die Zustimmung der Schwester für eine Zusammenführung einzuholen und unter Beachtung der besonders prekären Situation der Frau eine angemessene Befragung durchzuführen, um ihren wahren Willen erschließen zu können. Schließlich ist der so ermittelte Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Einvernahme - ggf. nach Rückholung aus Deutschland - zu erörtern. 5. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf die grundsätzliche Bedeutung einer zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur Begründung darf auf die Ausführungen unter II.4. verwiesen werden. III. Ergebnis Die Beschwerde ist zulässig und ihr ist stattzugeben. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

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03.07.2014

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2014:W149.2001851.1.00

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