Gericht Entscheidungsdatum Geschäftszahl Spruch Text - RIS

29.04.2014 - Island habe er keine Familienangehörigen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehen ...
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29.04.2014

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 29.04.2014

Geschäftszahl W205 1438717-1

Spruch W 205 1438715-1/10E W 205 1438716-1/11E W 205 1438717-1/10E IM NAMEN DER REPUBLIK! I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka über die Beschwerden von 1.) XXXX(1.-BF), geb. XXXX, 2.)XXXX(2.-BF), geb. XXXX, StA. Syrien, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 31.10.2013, Zl. 13 10.922-EAST-West [ad 1.], Zl. 13 10.923-EAST-West [ad 2.], zu Recht erkannt: A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 1. Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka über die Beschwerde vonXXXX (3.-BF), geb. XXXX, StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.10.2013, Zl. 13 10.924-EAST-West, zu Recht erkannt: A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben. B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang: 1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: "BF") sind Staatsangehörige von Syrien, gelangten illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellten jeweils am 28.07.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der 1.-BF ist der Vater des minderjährigen 2.-BF und der Onkel des volljährigen 3.-BF. Hinsichtlich des 1.- und 3.-BF scheint jeweils eine EURODAC-Treffermeldung für Italien auf (erkennungsdienstliche Behandlung am 25.7.2013, XXXX, AS 5 im Akt des 1.-BF; AS 5 im Akt des 3.-BF). Im Verlauf seiner Erstbefragung durch Organe der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 28.07.2013 brachte der 1.-BF vor, an keinen Krankheiten oder sonstigen Beschwerden zu leiden und der Einvernahme www.ris.bka.gv.at

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problemlos folgen zu können. In Österreich oder einem anderen EU-Staat habe er keine Verwandten oder Familienangehörigen, abgesehen vom mitgereisten Sohn und dem Neffen. Sein minderjähriger Sohn würde keine eigenen Fluchtgründe haben, die von ihm geltend gemachten Gründe würden auch für diesen gelten. Seine übrige Familie, nämlich seine Ehefrau, ein weiterer minderjähriger Sohn sowie zwei minderjährige Töchter, seien derzeit in XXXX, Ägypten, aufhältig. Am 04.07.2013 habe der 1.-BF, gemeinsam mit dem Sohn und dem Neffen, sein Heimatland mit einem Fischerboot Richtung Italien verlassen. Die Überfahrt habe etwa 20 Tage, bei mehrmaligem Wechsel des Bootes, gedauert. Am 25.07.2013 seien sie inXXXX, Italien, angekommen, wo ihnen Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Sie seien vier Stunden in einem Lager untergebracht gewesen, hätten dieses jedoch sofort wieder verlassen, da es Auseinandersetzungen zwischen Somali gegeben habe. Anschließend seien sie mit verschiedenen Zügen nach Österreich weitergereist. Über den Aufenthalt in Italien könne er angeben, dass es dort schlechter gewesen sei als in Syrien. Er wolle unter keinen Umständen nach Italien zurückkehren, da sie dort "äußerst unmenschlich behandelt" worden seien (AS 7ff im Akt des 1.-BF). Der 3.-BF erstattete am 28.07.2013 vor der Landespolizeidirektion Niederösterreich hinsichtlich des Reiseweges im Wesentlichen das gleiche Vorbringen wie der 1.-BF und führte ergänzend aus, ebenfalls an keinen Krankheiten oder sonstigen gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. In Österreich oder einem anderen EU-Staat habe er, abgesehen vom mitgereisten Onkel und dem Cousin, keine Verwandten oder Familienangehörigen. Seine übrige Familie, bestehend aus Eltern, einem Bruder sowie zwei minderjährigen Schwestern, würde in Syrien leben. In Italien sei es schlimm gewesen, sie seien dort sehr schlecht behandelt worden. Er wolle keinesfalls nach Italien zurückkehren (AS 9ff im Akt des 3.-BF). Das Bundesasylamt richtete am 01.08.2013 ein auf Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien (AS 23ff im Akt des 1.-BF; AS 25ff im Akt des 3.-BF). Mit schriftlicher Benachrichtigung vom 01.08.2013 wurde den BF gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihre Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Des Weiteren wurde den Parteien zur Kenntnis gebracht, dass seit 1.8.2013 Konsultationen mit Italien geführt würden (AS 41ff im Akt des 1.-BF; AS 43ff im Akt des 3.-BF). Mit Schreiben vom 02.09.2013, beim Bundesasylamt am selben Tag eingelangt, stimmte Italien dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ausdrücklich zu und informierte darüber, dass sich diese Wiederaufnahmeentscheidung auch auf den minderjährigen Sohn des 1.-BF beziehe (AS 73 im Akt des 1.-BF; AS 73 im Akt des 3.-BF). Mit Schriftsatz vom 09.09.2013, beim Bundesasylamt am selben Tag eingelangt, beantragten die rechtsanwaltlich vertretenen - BF die Einräumung einer Frist von vier Wochen, um nachweisen zu können, dass im italienischen Asylverfahren sowie den Aufnahmebedingungen systemische Mängel vorherrschen würden. Zudem wurde vorgebracht, dass eine Ausweisung der Parteien nach Italien ihre durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte verletzen würde, weshalb Österreich verpflichtet sei, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Die BF, vor allem aber der minderjährige 2.-BF, seien traumatisierte Flüchtlinge aus Syrien, es bestehe daher eine besondere Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit. Der EGMR habe in seinem Urteil vom 02.04.2013 zu 27725/10 das Vorliegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem zwar verneint, unterdessen habe sich die Beweislage jedoch (weiterhin) verändert. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main habe demgegenüber in seiner Entscheidung vom 09.07.2013 zu 7 k 516/11 eine andere Meinung vertreten und eine Abschiebungsanordnung nach Italien aufgehoben (AS 91ff im Akt des 1.-BF; AS 91ff im Akt des 3.-BF). Am 10.09.2013 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des 1.-BF vor dem Bundesasylamt in Gegenwart einer Rechtsberaterin zu seiner Unterstützung. Der 1.-BF führte aus, dass seine Angaben auch für seinen minderjährigen Sohn (2.-BF) gelten würden und dieser keine eigenen Fluchtgründe habe. Befragt nach seinem Gesundheitszustand brachte er weiters vor, an psychischen Problemen zu leiden und deshalb auch bereits ein Gespräch mit einer Psychologin geführt zu haben. In Österreich bzw. im Bereich der EU, in Norwegen oder Island habe er keine Familienangehörigen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehen würde. Sein Schwager lebe jedoch in XXXX, ein Cousin in Griechenland. Zum Reiseweg wolle er ergänzend vorbringen, dass das Boot "eine Panne" gehabt habe und sie deshalb für zwei Tage auf einer griechischen Insel hätten verweilen müssen. In Italien seien sein Sohn, sein Neffe und er selbst etwa 24 Stunden aufhältig gewesen, ehe sie nach Österreich weitergereist seien. Dort haben sie auf der Straße "leben" müssen, zudem seien sie von der italienischen Polizei schlecht behandelt worden. Sein Sohn habe deshalb ebenfalls psychische Probleme. In Österreich befinde sich dieser in ärztlicher Behandlung und habe bereits Beruhigungsmittel verabreicht bekommen. Seine Familie sei aus Syrien geflüchtet, weil sie mit dem Tod www.ris.bka.gv.at

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bedroht worden sei. Das zweite Mal seien sie "am Meer mit dem Tod bedroht [worden] und das dritte Mal in Italien". Über Befragen der Rechtsberaterin gab der 1.-BF ferner zu Protokoll, dass sein Sohn immer wieder hysterische Anfälle erleide. In der Nacht schreie er, vermisse seine Mutter und seine Geschwister. Er selbst denke manchmal sogar an Selbstmord. Vor zwei Tagen habe er versucht, sich umzubringen, da er ohne seine Familie und seine Kinder nicht leben könne. Abschließend beantragte die Rechtsberaterin die Durchführung einer Untersuchung nach § 10 Abs. 3 AsylG sowohl beim 1.- als auch beim 2.-BF, weiters die Einräumung einer Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme sowie die Ausübung des Selbsteintrittsrechts Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund der vorliegenden unmenschlichen Bedingungen für Asylwerber in Italien (AS 101ff im Akt des 1.-BF). Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 10.09.2013, welche ebenfalls im Beisein einer Rechtsberaterin stattfand, machte der 3.-BF geltend, an keinen schwerwiegenden Krankheiten zu leiden, zuletzt jedoch hohen Blutdruck gehabt zu haben. Eine Ärztin habe ihm mitgeteilt, dass die Ursache hierfür psychische Probleme seien. In Österreich bzw. im Bereich der EU, in Norwegen oder Island habe er ebenfalls keine Familienangehörigen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehen würde. Sein Bruder sei vor kurzem in die Niederlande eingereist. Seine Angaben in der Ersteinvernahme vom 28.07.2013 wolle er dahingehend ergänzen, dass sie während der Überfahrt von Syrien nach Italien zwei Tage auf einer griechischen Insel verbracht hätten. Er könne jedoch nicht nachweisen, dass es sich tatsächlich um eine griechische Insel gehandelt habe. In Italien sei er gemeinsam mit seinem Onkel und seinem Cousin am Morgen (des 25.07.2013) angekommen, wobei sie das Land einen Tag später wieder verlassen hätten und nach Österreich gereist seien. Nach Vorhalt des geführten Konsultationsverfahrens mit Italien führte der 3.-BF weiter aus, lieber in Österreich bleiben zu wollen, da er "zu Hause so viel Gutes über Österreich gehört" habe. Er sei zwar nur 24 Stunden in Italien aufhältig gewesen, doch habe er "in dieser kurzen Zeit schlechte Behandlung gesehen". Sie seien in ein Flüchtlingslager gebracht worden, wo es Streit gegeben habe. Er sei von einem Mann geschubst worden, als er sich deshalb bei der Polizei habe beschweren wollen, habe ein Polizist zu ihm gesagt, er solle das Problem selbst lösen. Die anwesende Rechtsberaterin beantragte auch hinsichtlich des 3.-BF die Durchführung einer Untersuchung nach § 10 Abs. 3 AsylG, die Aushändigung der Länderfeststellungen zu Italien sowie die Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme dazu. Sie rege auch im Falle des 3.-BF die Ausübung des Selbsteintrittsrechts Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO an (AS 109ff im Akt des 3.-BF). In weiterer Folge legte der 1.-BF diverse identitätsbezeugende Dokumente vor, wie etwa seinen Personalausweis, die Reisepässe seiner Ehefrau sowie seiner vier Kinder, seinen Führerschein, eine Heiratsurkunde und einen Auszug aus dem Familienbuch. Alle erwähnten Dokumente liegen in Kopie im Verwaltungsakt ein. Aus zwei den 1.-BF betreffenden, von einer Allgemeinmedizinerin und einer Psychotherapeutin erstellten Klientenkarten vom 06.08. und vom 09.08.2013, beide beim Bundesasylamt eingelangt am 10.09.2013, ergibt sich ferner, dass der 1.-BF unter anderem an Albträumen, Ängsten und Schlafproblemen leide (AS 1 35f im Akt des 1.-BF). Einer den 2.-BF betreffenden, von einer Allgemeinmedizinerin und einer Psychotherapeutin erstellten Klientenkarte vom 06.08.2013, beim Bundesasylamt eingelangt am 10.09.2013, ist zu entnehmen, dass der 2.-BF ebenfalls von Alpträumen und Ängsten heimgesucht werde (AS 45f im Akt des 2.-BF). Auch der 3.-BF legte eine Kopie seines Personalausweises vor. Des Weiteren ist aus einer Klientenkarte vom 03.09.2013, beim Bundesasylamt eingelangt am 10.09.2013, ersichtlich, dass der 3.-BF an Halsweh, Husten, Schnupfen und Schlafstörungen leide (AS 117ff im Akt des 3.-BF). Mit am 12.09.2013 beim Bundesasylamt eingelangtem, handschriftlich verfasstem Schreiben, führte der 1.-BF zusammengefasst aus, dass er mit seiner Familie vor dem Krieg in Syrien geflüchtet sei. Während ihres Aufenthaltes in Italien seien sie von der örtlichen Polizei "sehr grob und hart behandelt" worden. Es sei ihnen körperlich sehr schlecht gegangen, es habe ihnen jedoch niemand geholfen. Sie hätten "unter der prallen Sonne eine Stunde lang, hintereinander wie Gefangene gehen" müssen. Des Weiteren hätten sie "zwölf Stunden in der Sonne auf dem heißen Asphalt warten" müssen. Man habe dem 1.-BF gedroht, ihm seinen Sohn wegzunehmen und ihn selbst ins Gefängnis zu bringen, sofern er nicht bereit sei, sich seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Im Flüchtlingslager habe man ihm gesagt, dass es besser sei, in einem anderen europäischen Land um Asyl anzusuchen, da Syrer "überall willkommen" seien. Er habe viele positive Meinungen über die Behandlung von Flüchtlingen in Österreich gehört, weshalb er sich entschieden habe, mit seinem Sohn und seinem Neffen hierher zu reisen. Es sei ihm auch psychisch langsam wieder besser gegangen, bis er erfahren habe, dass er mit seiner Familie nach Italien zurückkehren müsse. Auch der Gesundheitszustand seines Sohnes habe sich daraufhin wieder verschlechtert (AS 145ff im Akt des 1.-BF). www.ris.bka.gv.at

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Der 3.-BF erstatte in seinem, am 19.09.2013 beim Bundesasylamt eingelangten, handschriftlich verfassten, Schreiben im Wesentlichen dasselbe Vorbringen (AS 131ff im Akt des 3.-BF). Mit Schriftsatz vom 25.09.2013, beim Bundesasylamt am selben Tag eingelangt, machten die BF geltend, dass Italien nicht der erste Vertragsstaat gewesen sei, dessen Grenze sie überschritten hätten. Bezug nehmend auf ihre eigenen Angaben in ihren Einvernahmen sei anzunehmen, dass sie ihre Überfahrt von Syrien nach Italien auf einer griechischen Insel unterbrochen hätten. Nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO sei Italien für die Behandlung der Asylanträge jedoch nur zuständig, wenn feststehe, dass die BF direkt aus einem Drittstaat kommend die italienische Grenze überschritten haben. Aus diesem Grund scheide eine Zuständigkeit Italiens zur Behandlung der Anträge aus. Ferner werde gerügt, dass den BF seitens der erstinstanzlichen Behörde die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens mit Italien bloß mündlich mitgeteilt worden seien, ohne ihnen die Möglichkeit gegeben zu haben, in den Schriftverkehr Einsicht zu nehmen. Die wesentlichen Inhalte des Konsultationsverfahrens seien den Parteien bisher nicht zur Kenntnis gebracht worden, weshalb ein gravierender Verfahrensmangel vorliege. Es werde sohin die Übermittlung einer Kopie des Konsultationsaktes beantragt. Im italienischen Asylsystem würden systemische Mängel vorliegen, weshalb die BF im Falle einer Rücküberstellung nach Italien in den Zustand existentieller Not, Obdach- und Grundversorgungslosigkeit geraten würden. Daraus folge, dass die Parteien durch eine Abschiebung der konkreten Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt und ihre durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte verletzt würden. Eine derartige Maßnahme sei grundrechtswidrig und verpflichte Österreich, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main habe mit Urteil vom 09.07.2013 zu 7 k 560/11 bereits darauf hingewiesen, dass die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien systematische Mängel aufweisen würden. Vor allem der minderjährige 2.-BF sei besonders schutzwürdig, da er traumatisiert sei. Er bedürfe medizinischer Behandlung, welche er jedoch in Italien aufgrund der gravierenden Mängel des dortigen Gesundheitssystems nicht erhalten würde (AS 159ff im Akt des 1.-BF; AS 142ff im Akt des 3.-BF). 2. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 28.7.2013 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurden die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei (AS 243ff im Akt des 1.-BF; AS 201ff im Akt des 3.-BF). Begründend wurde ausgeführt, dass sich hinsichtlich der BF weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung ergeben habe, welche bei einer Überstellung/Abschiebung nach Italien eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde. Es würden auch keine für das Verfahren relevanten familiären oder privaten Bindungen im Bundesgebiet festgestellt werden können. Die Bescheide enthalten überdies eine ausführliche Darstellung zur Lage in Italien, insbesondere zum italienischen Asylverfahren, zum Non-Refoulement-Schutz, zu Versorgungsleistungen, wie etwa Unterbringung und medizinischer Versorgung, sowie zur Situation von sogenannten "Dublin-Rückkehrern". Es könne von einer unbedenklichen asylrechtlichen Praxis, der Existenz einer Grund- und Gesundheitsversorgung sowie einer ebenfalls unbedenklichen Sicherheitslage ausgegangen werden. Des Weiteren ergebe sich aus der Rechtsprechung des EGMR kein Vorliegen systematischer, fundamentaler Menschenrechtsverletzungen in Italien. Zudem sei auch die medizinische Grundversorgung von Asylwerbern ausreichend gegeben. 3. Gegen die Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene, beim Bundesasylamt am 08.11.2013 eingelangte, für alle BF gleichlautende, Beschwerde, in welcher geltend gemacht wurde, dass das erstinstanzliche Verfahren mit einem groben Verfahrensmangel behaftet sei, da die belangte Behörde das Vorbringen der BF hinsichtlich des Vorliegens systemischer Mängel im italienischen Asylsystem nicht beachtet habe. Des Weiteren sei den Bescheiden eine unrichtige Tatsachenfeststellung sowie eine unrichtige Beweiswürdigung zugrunde gelegt worden, da sich das Bundesasylamt nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob die BF im Falle einer Rücküberstellung nach Italien Gefahr laufen würden, in ihren durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt zu werden. Die Erstbehörde habe auf Grundlage nicht mehr aktueller Berichte "völlig falsche und [...] beschönigende Feststellungen zur einschlägigen, allgemeinen Lage in Italien getroffen". Fest stehe jedoch, dass im italienischen Asylverfahren sowie den Aufnahmebedingungen grobe und schwerwiegende systematische Mängel vorherrschen würden, weshalb Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin IIVO hätte Gebrauch machen müssen (AS 319ff im Akt des 1.-BF; AS 275ff im Akt des 3.-BF).

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4. Aus einem Bestätigungsschreiben der Volksschule XXXX vom 06.11.2013 geht hervor, dass der 2.-BF derzeit die genannte Volksschule besuche und mit Begeisterung am Unterricht teilnehme. Er mache große Fortschritte im Erlernen der deutschen Sprache und pflege guten Kontakt zu seinen Mitschülern (AS 343 im Akt des 1.-BF). 5. In seiner am 09.11.2013 beim Bundesasylamt eingelangten, handschriftlich verfassten, Stellungnahme, brachte der 1.-BF im Wesentlichen vor, dass es ihm selbst und seinem Sohn "seelisch und auch gesundheitlich viel besser gehe". Sein Sohn mache gute Fortschritte, er besuche jetzt die Schule und nehme mit Freude am Unterricht teil. Früher habe er unter Angstzuständen gelitten, im Falle einer Abschiebung werde er diese Ängste wieder bekommen. Sie haben sich in Österreich bereits gut eingelebt und würden in kein anderes Land mehr gehen wollen. Seine Frau befinde sich mit den gemeinsamen Kindern alleine in Ägypten, er mache sich große Sorgen um sie. Er wolle seine Familie in Österreich zusammenführen (AS 345ff im Akt des 1.-BF). 6. Der 3.-BF übermittelte am 09.11.2013 dem Bundesasylamt ebenfalls eine handschriftlich verfasste Stellungnahme, in welcher er zusammengefasst ausführte, dass es ihm gesundheitlich ebenfalls bereits besser gehe und er sich in Österreich sehr wohl fühle. In Italien sei die Lage sehr schlecht, da das Land von vielen Flüchtlingen heimgesucht werde. Er wünsche sich, für "immer hier bleiben zu dürfen" (AS 301 im Akt des 3.BF). 7. Mit Eingabe vom 25.11.2013, beim Asylgerichtshof am selben Tag eingelangt, beantragten die BF, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerden. Der 1.-BF sei am 22.11.2013 "psychisch zusammengebrochen" und in der Folge in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses XXXXstationär behandelt worden. Aus dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten von DDr. K., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 06.12.2013, beim Asylgerichtshof eingelangt am 17.12.2013, ergibt sich, dass das genannte Gutachten aufgrund eines Beschlusses des Bezirksgerichtes XXXX vom 26.11.2013 zur Beantwortung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 3 UbG zu erstatten gewesen sei. Der 1.-BF sei aufgrund von akuter Suizidalität und Selbstgefährdung in das Krankenhaus XXXX eingewiesen und zur Behandlung im geschlossenen Bereich untergebracht worden. Eigenen Angaben zufolge hätten sich seine Ehefrau und seine weiteren drei Kinder von Ägypten nach Griechenland begeben und seien nun seit vier Tagen auf dem Meer "verschollen". Er glaube, dass sie ums Leben gekommen seien. Beim 1.-BF würde aus neurologisch-psychiatrischer Sicht eine schwere depressive Störung im Sine einer Anpassungsstörung bei psychosozialer Belastungssituation vorliegen. Behandlungsoptionen würden sich außerhalb des Unterbringungsrahmens gegenwärtig noch nicht stellen. Aus einem Aktenvermerk des Asylgerichtshofes vom 19.12.2013, betreffend ein Telefonat mit dem Bezirksgericht XXXX vom selben Tag, resultiert, dass eine weitere Unterbringung des 1.-BF nach dem UbG bis 07.01.2014 für zulässig erklärt wurde. 8. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 19.12.2013 wurde den Beschwerden der Parteien gegen die erstinstanzlichen Bescheide die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 9. Einem Arztbrief des Krankenhauses XXXX vom 03.01.2014, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 28.01.2014, ist zu entnehmen, dass es unter laufender Therapie zu einer ausreichenden Stabilisierung des Gesundheitszustandes des 1.-BF gekommen sei und er sich auch von Suizidgedanken distanziert habe. Die letzten Tage seiner Behandlung seien komplikationslos im offenen Bereich verlaufen, sodass eine Entlassung für den 03.01.2014 habe vereinbart werden können. Im Begleitschreiben des Rechtsvertreters vom 28.01.2014 ist angeführt, dass der 1.-BF am 26.01.2014 neuerlich im KH XXXX, psychiatrische Abteilung, aufgenommen und stationär untergebracht worden sei (OZ6 im Akt des 1.-BF). 10. Mit Fax vom 27.3.2014 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht darüber, dass die Ehefrau sowie die drei weiteren minderjährigen Kinder des 1.-BF am 25.3.2014 in der EAST Ost eingetroffen seien, deren Verfahren seien seit 26.03.2014 zugelassen (OZ 8 im Akt des 1.-BF). 11. Dem aktuellen GVS-Auszug ist zu entnehmen, dass der 1.-BF am 07.02.2014 aus dem KH entlassen und sich weiters neuerlich von 12.02.2014 bis 20.02.2014 im KH XXXX aufgehalten habe. II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

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1. Feststellungen: Die BF reisten illegal in das Gebiet der Mitgliedstaaten ein, der 1.-BF und der 3.-BF wurden am 25.7.2013 in Italien (XXXX) erkennungsdienstlich behandelt. Von dort reisten die BF illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo sie jeweils am 28.7.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Dem auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO gestützten Aufnahmeersuchen an Italien wurde mit dem am 02.09.2013 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben Italiens gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO für alle BF ausdrücklich zugestimmt. Der 1.-BF befand sich aufgrund der Belastungen durch die Flucht und die Sorge um die getrennt geflohene Familie (Ehegattin und weitere drei Kinder) - nach jeweils dazwischen liegenden Phasen der Stabilisierung des Gesundheitszustand - wiederholt in stationärer Behandlung, aufgrund akuter Suizidalität und Selbstgefährdung von 22.11.2013 bis 03.01.2014 (Anordnung nach dem UbG), weiters vom 26.01.2014 bis 07.02.2014 und vom 12.02.2014 bis 20.02.2014. Es wurde eine schwere depressive Störung im Sinne einer Anpassungsstörung bei psychosozialer Belastungssituation diagnostiziert. Der 2.-BF leidet an Alpträumen und Ängsten. Für eine schwerere Erkrankung des 3.-BF liegen keine Anhaltspunkte vor. 2. Beweiswürdigung: Die Feststellungen zum Reiseweg der BF, ihrem jeweiligen Gesundheitszustand sowie den persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus ihrem eigenen Vorbringen iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage sowie den oben dargestellten aktenkundigen medizinischen Befunden. Die Feststellungen zum Konsultationsverfahren ergeben sich aus der Aktenlage. 3. Rechtliche Beurteilung: Zu I. und II. A) Stattgebung der Beschwerden: a) Mit 01.01.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten. Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 144/2013 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten: "§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde. (2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der DublinVerordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. (3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet." "§ 34 (1) Stellt ein Familienangehöriger von 1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; 2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder www.ris.bka.gv.at

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3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. (2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist; 2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7). (3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist; 2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist; 3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und 4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist. (4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. (5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht. [ ... ]" Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist im Sinne dieses Bundesgesetzes "Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt www.ris.bka.gv.at

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worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;" "§ 75 (1) ... ... (19) Alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren sind ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen. [(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz 1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, 2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes, 3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes, 4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes, 5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder 6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird, so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen.]" § 21 Abs. 3 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet: "Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint." Art 49 der VO 604/2013 (Dublin III-VO) lautet auszugsweise: Artikel 49 Inkrafttreten und Anwendbarkeit Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Die Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.

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Vor dem Hintergrund, dass die Verordnung 604/2013 am 29.06.2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, die BF ihren Antrag auf internationalen Schutz am 28.07.2013 gestellt haben, sowie das Wiederaufnahmeersuchen an Italien vor dem 01.01.2014 gestellt und beantwortet wurde, bleibt gegenständlich die Dublin II-VO maßgeblich. Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO lauten: Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann abweichend von Abs. 1 jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde. In den Art. 5ff Dublin II-VO werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts." b) Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht der Behörde bei, dass sich im Lichte des Art 10 Abs. 1 Dublin II-VO die Zuständigkeit Italiens ergibt, da die BF illegal nach Italien eingereist sind, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurden, und sich danach nach Österreich begeben haben, das sie seither nicht verlassen haben, sie weiters auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art. 7 iVm Art. 2 lit. i Dublin II-VO; Aufenthaltsrecht als Flüchtling) in Österreich haben. Italien hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme der Beschwerdeführer bereit erklärt. Die Zuständigkeit Italiens ist daher gegeben. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben. Soweit die BF im Laufe des Verfahrens behauptet haben, aufgrund einer Panne des Bootes nicht in Italien, sondern in Griechenland erstmals in den Bereich der Mitgliedstaaten eingereist und von dort nach Italien weitergereist zu sein, weswegen eine Zuständigkeit Italiens nicht gegeben sei, so würden allein diese Umstände auch im Falle ihres Zutreffens im Lichte der Judikatur des EuGH zu keiner anderen Zuständigkeitsentscheidung führen. In seinem Urteil vom 10.12.2013, C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, sprach dieser Gerichtshof nämlich aus, Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 sei dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Nun entspricht es aber der ständigen Rechtsprechung des Asylgerichtshofes und nunmehr des Bundesverwaltungsgerichts, dass aktuell systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung der Europäischen Instanzen (siehe zum Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates, ab dem zwingend das Selbsteintrittsrecht des Aufenthaltsstaates wahr zu nehmen ist: Urteil des EuGH vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, dieses ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Urteil vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland), in Italien nicht vorliegen, auch wenn der Beschwerde gegenüber einzuräumen ist, dass Italien aufgrund der großen Anzahl an Asylanträgen eine lückenlose Versorgung von Asylwerbern mit Unterkunftsplätzen nicht durchgehend gewährleisten kann, [wobei allerdings DublinRückkehrer mit einem bevorzugten Anspruch auf Unterbringung rechnen können] (vgl. aus jüngerer Zeit z.B. BVwG 25.01.2014, W212 1439044-1; BVwG 28.01.2014, W184 1438801-1; BVwG 04.02.2014, W105

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1438580-1ua; BVwG 06.03.2014, W211 2001127-1). [Zur Frage des Selbsteintrittes aus individuellen, in der Person der BF gelegenen Gründen siehe unten lit. c] c) Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (zB. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen allerdings das Selbsteintrittsrecht dann zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Das Bundesasylamt hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin IIVerordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK (GRC) zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre: Zu Spruchpunkt I.A), betreffend den 1.-BF und den 2.-BF: Im Beschwerdefall wird angesichts der psychischen Probleme des 1.-BF eine mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK für den Fall der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs geltend gemacht. Hierzu ist Folgendes auszuführen: Gemäß Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken habe im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia; EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312; 23.09.2009, 2007/01/0515). Im Beschwerdefall geht aus den getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des 1.-BF hervor, dass dieser aufgrund der fluchtauslösenden Ereignisse in seinem bürgerkriegsgeschüttelten Heimatstaat in Zusammenhalt mit der strapaziösen und pannenreichen Flucht mit einem ebenfalls in psychisch angeschlagenem Zustand befindlichen Sohn (dem 2.-BF) sowie der Sorge um Ehegattin und seine drei weiteren Kleinkinder, die getrennt geflohen sind, in einen solchen psychischen Ausnahmezustand geriet, dass er sich in den letzten Wochen in zeitlich kürzesten Intervallen in stationäre Pflege begeben musste. Somit handelt es sich beim 1.-BF zumindest aktuell um eine besonders verletzliche Person, bei der nicht davon ausgegangen werden kann, dass in so kurzer Zeit eine ausreichend gute Stabilisierung des Gesundheitszustandes eingetreten ist, dass eine Überstellung nach Italien zumutbar wäre, dies besonders auch deshalb nicht, weil er sich um einen betreuungsbedürftigen Sohn (den 2.-BF) kümmern müsste. Zieht man weiters in Betracht, dass es in Italien fallweise - ohne dass systemische Mängel vorlägen (siehe dazu bereits oben) - zu vorübergehenden Problemen bei der Unterbringung von Asylwerbern kommen kann, liegen im Beschwerdefall kumulativ betrachtet außergewöhnliche Umstände vor, die im Falle einer aktuellen Abschiebung zu einer Verletzung des 1.-BF in seinen von Art. 3 EMRK (Art. 4 GRC) geschützten Rechten führen würde. Dafür, dass eine entscheidungswesentliche Besserung dieser kumulativ vorliegenden Umstände innerhalb der in Dublinverfahren zur Verfügung stehenden kurzen Zeit eintreten könnte, bestehen indes keine Anhaltspunkte.

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Der minderjährige ledige 2.-BF ist als leiblicher Sohn des 1.-BF dessen Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG, die den 1.-BF und den 2.-BF betreffenden Verfahren stellen sich daher als Familienverfahren (im Inland) gemäß § 34 AsylG dar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies jedoch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402). Daher war den Beschwerden von 1.-und 2.-BF im Sinne des Spruchpunktes I.A) gemäß § 21 Abs. 3 1. Satz BFA-VG statt zu geben und die diese BF betreffenden angefochtenen Bescheide spruchgemäß zu beheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine gesonderte Erörterung der Frage, ob zudem dem Umstand, dass in der Zwischenzeit Ehegattin und weitere 3 Kinder des 1.-BF in Österreich eingereist sind, diese hier Asylanträge gestellt haben und diese Verfahren auch bereits zugelassen wurden (siehe oben Punkt I.10.), rechtliche Bedeutung zukommt. Zu Spruchpunkt II.A), betreffend den 3.-BF: Im Hinblick auf den volljährigen 3.-BF, der nicht Familienangehöriger im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Z 22, 34 AsylG der oben angeführten BF ist, liegen demgegenüber nach den getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte für eine schwerere Erkrankung vor. Allerdings könnte die Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs für das Verfahren des 3.-BF unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verletzung von durch Art 8 EMRK (Art. 7 GRC) geschützten Rechten relevant werden. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK (Art. 7 GRC) hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs (Kommunikation). Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen: die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, sowie die näheren Umstände der Zumutbarkeit der Übersiedlung des Partners in das Heimatland des Beschwerdeführers (EGMR 12.01.2010, 47486/06, A. W. Khan, RN 39; 24.11.2009, 1820/08, Omojudi, RN 41; VfGH 01.07.2009, U 992/08 und U 1104/08; 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 bis 0219). Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (EGMR 12.01.2010, 47486/06, A. W. Khan, RN 32; VfGH 09.06.2006, B 1277/04; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723). Im Beschwerdefall reiste der 3.-BF mit dem 1.-BF (seinem Onkel) und dem 2.-BF (seinem Cousin) in Österreich ein. Der 1.-BF befand sich nach den getroffenen Feststellungen wiederholt und längerfristig in stationärer Behandlung. Die Behörde hat bisher keine Feststellungen zu der nunmehr bedeutend werdenden Frage getroffen, www.ris.bka.gv.at

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ob im Beschwerdefall angesichts der Beeinträchtigungen des 1.-BF zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit vorliegen, die über die üblichen familiären Bindungen hinausgehen. Auch wurde das Verhältnis von 2.-BF und 3.-BF nicht näher beleuchtet. Im Fall des 3.-BF ist nunmehr sein Verhältnis zu 1.- und 2.-BF unter Berücksichtigung allenfalls bestehender besonderer Bedürfnisse aufgrund des Gesundheitszustandes der BF zu ermitteln. Weiters ist abzuklären, ob durch die Beeinträchtigungen des 1.-BF ein Pflege- bzw. Betreuungsbedarf der BF besteht und damit verbunden allenfalls ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist. Allenfalls könnte in diesem Zusammenhang dem Umstand, dass in der Zwischenzeit nahe Angehörige von 1.-und 2.-BF (Ehegattin/Mutter, Kinder/Geschwister) nach Österreich nachgereist sind, die allenfalls erforderliche Betreuungsaufgaben übernommen haben könnten, entscheidungswesentliche Bedeutung bei der Beurteilung der Frage eines allfälligen Selbsteintrittes zukommen. Um diese Fragen abschließend klären zu können, mangelt es sohin an einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage, sodass eine allfällige Verletzung des Art. 8 EMRK (Art. 7 GRC) durch eine Überstellung des Antragstellers nach Italien zum heutigen Entscheidungszeitpunkt nicht beurteilt werden kann. Der Beschwerde des 3.-BF war somit gemäß § 21 Abs. 3 2.Satz Satz BFA-VG stattzugeben. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Zu I. und II. B) Unzulässigkeit der Revision: Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2014:W205.1438717.1.00

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