Gericht Entscheidungsdatum Geschäftszahl Spruch Text - RIS

16.11.2016 - 72 Stunden inhaftieren, danach kann ein Gericht die Haftdauer um jeweils 30 ... Haft nur noch auf jene Folgeantragsteller angewendet werden, ...
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16.11.2016

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 16.11.2016

Geschäftszahl W125 2136124-1

Spruch W125 2136124-1/15E IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2016, Zl. 1105934407-160259179, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.10.2016, zu Recht erkannt: A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 erster Satz stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben. B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang: 1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, eigenen Angaben zufolge ein volljähriger Staatsangehöriger Somalias, stellte am 17.2.2016 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Anlässlich seiner am darauffolgenden Tag durch ein Organ der Landespolizeidirektion Niederösterreich abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zusammenfassend zu Protokoll, aus Mogadischu zu stammen, wo sich nach wie vor enge Angehörige, insbesondere seine Frau und seine minderjährigen Kinder aufhielten; zwei seiner Geschwister würden in Norwegen leben. Hinsichtlich seiner Reisebewegung brachte der Beschwerdeführer vor, von Somalia in den Iran geflogen und von dort aus über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt zu sein. Um Asyl habe er lediglich in Österreich angesucht. Nach näheren Angaben zu den durchreisten Ländern befragt, erklärte der Beschwerdeführer, in diesen schlecht behandelt worden zu sein. Zum Grund seiner Flucht befragt, brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, in seiner Heimat ein Restaurant betrieben zu haben. Mitglieder der Al Shabaab hätten ihn zu einer Schließung jenes Lokals aufgefordert, da seine Kunden keine Moslems gewesen wären. Dem habe sich der Beschwerdeführer zunächst widersetzt, woraufhin ein dort tätiger Kellner durch Al Shabaab ermordet worden wäre. Daraufhin habe der Beschwerdeführer das Lokal geschlossen, seitens der Regierung sei ihm eine Wiedereröffnung desselben befohlen worden. Aus Angst um sein Leben wäre der Beschwerdeführer sodann aus seinem Herkunftsstaat geflüchtet. Eine durchgeführte EURODAC-Abfrage erzielte einen mit 10.1.2016 datierten Treffer der Kategorie 2 zu Griechenland sowie einen mit 13.2.2016 datierten Treffer der Kategorie 1 zu Ungarn.

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Dem Beschwerdeführer wurde durch die belangte Behörde am 18.2.2016 eine Mitteilung gemäß § 28 Abs 2 AsylG ausgehändigt, mittels welcher er über die Führung von Konsultationen im Rahmen des Dublin-Verfahrens informiert wurde. Am 24.3.2016 wurde seitens der österreichischen Behörde ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Artikel 18 Absatz 1 lit b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 an Ungarn gerichtet, in welchem insbesondere über die seitens des Beschwerdeführers dargestellte Reiseroute sowie den Umstand der Antragstellung auf internationalen Schutz in Ungarn am 13.02.2016 informiert wurde. Aufgrund selbiger in Zusammenschau mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Gebiet der Mitgliedstaaten in der Zwischenzeit nicht für einen über dreimonatigen Zeitraum verlassen hätte, werde Ungarn als der zuständige Mitgliedstaat im Sinne des Artikels 18 der Dublin IIIVerordnung erachtet. Mit Eingaben vom 29.2.2016 und vom 4.4.2016 hat der Beschwerdeführer Unterlagen hinsichtlich eines stationären Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Landesklinikum XXXX in Vorlage gebracht, aus welchen zusammenfassend ersichtlich ist, dass im Falle des Beschwerdeführers keine aktive Tuberkuloseerkrankung nachweisbar wäre. Mit Schreiben vom 25.4.2016 teilten die österreichischen Dublin-Behörden den ungarischen Behörden mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Artikel 22 Absatz 7 / Artikel 25 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung Verfristung eingetreten und Ungarn mit dem 09.04.2016 zuständig für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens auf internationalen Schutz geworden sei. Der Transfer müsse aber "verschoben" werden. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 AsylG bzw § 15a AsylG vom 28.04.2016 wurde der Beschwerdeführer über die seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beabsichtigte Vorgehensweise im Sinne einer Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz aufgrund einer angenommenen Zuständigkeit Ungarns informiert. Am 31.8.2016 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somali sowie einer Rechtsberaterin zu seiner Unterstützung niederschriftlich in der Regionaldirektion Vorarlberg des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, sich gut mit dem anwesenden Dolmetscher verständigen zu können und sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung durchzuführen. Nach der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung in Österreich gefragt, erklärte der Beschwerdeführer, mit der Notaufnahme ins Krankenhaus gebracht worden zu sein, er habe jedoch nicht genau verstanden, was dort festgestellt worden wäre, doch sollte er operiert werden. Am Folgetag habe er einen Termin beim Zahnarzt, es sollen ihm alle Zähne gezogen werden. Außerdem nehme er regelmäßig Medikamente ein, deren Name ihm jedoch nicht erinnerlich wäre. Nach dem Grund, weshalb er in Österreich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hätte gefragt, gab der Beschwerdeführer an, Blut im Stuhl gehabt zu haben und deshalb behandelt worden zu sein, seitdem ginge es ihm besser. Außerdem leide er an Zahnschmerzen, er könne nichts essen und trage eine Zahnprothese. Diese Probleme hätten, nachgefragt, bereits vor seiner Auseise aus Somalia bestanden, auch dort sei er in ärztlicher Behandlung gestanden. Man habe ihm mitgeteilt, dass er Probleme mit der Leber sowie Malaria gehabt hätte. Die Medikamente in Somalia seien nutzlos. Auf weitere Befragung hin gab der Beschwerdeführer an, über keine identitätsbezeugenden Dokumente zu verfügen; nach Verwandten in Österreich oder im Bereich der EU, Norwegen oder Island, zu welchen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Bindung bestünde, gefragt, erklärte der Beschwerdeführer, seine Geschwister würden sich in Norwegen aufhalten. Seine anlässlich der Erstbefragung dargelegte Reisebewegung erwiese sich als korrekt und habe er diesbezüglich keine Ergänzungen zu tätigen. Wie dargelegt, sei er über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt. Auf Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz aufgrund einer angenommenen Verfahrenszuständigkeit Ungarns und befragt nach einer diesbezüglichen Stellungnahme, führte der Beschwerdeführer aus, nicht nach Ungarn zu wollen, er habe dort Schwierigkeiten gehabt. Nach konkreten einer Rückkehr entgegenstehenden Gründen gefragt, brachte der Beschwerdeführer vor, als er an die ungarische Grenze gelangt sei, wäre ihm, ebenso wie anderen Flüchtlingen, die Stellung eines Asylantrages verweigert worden, ebenso wie eine irreguläre Einreise nach Ungarn. Durch Schlepper sei sodann ein illegales Passieren der Landesgrenze organisiert worden. Anschließend wären sie von der dortigen Polizei aufgegriffen, festgenommen und inhaftiert worden. Sie hätten unmenschliche Behandlung erfahren. Sie hätten sie geschlagen, die Festnahme sei wie eine "Festnahme von Kämpfern", nicht wie eine solche von Flüchtlingen, abgelaufen. Man habe ihnen nichts zu essen gegeben, für drei Tage hätten sie sich in Haft befunden. Kurz bevor man sie habe gehen lassen, seien ihnen

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Wasser und harte Kekse gebracht worden, welche der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zähne nicht habe zu sich nehmen können. Ihnen sei mitgeteilt worden, dass sie ihre Fingerabdrücke abgeben müssten. Der Beschwerdeführer habe dies nicht gewollt, da er in Ungarn keinen Antrag auf internationalen Schutz habe stellen wollen. Man habe ihm erklärt, dass dies kein Problem wäre, man würde die Daten in Europa, außerhalb Ungarns, nicht sehen; man würde ihnen die Fingerabdrücke abnehmen, folglich könnten sie weiterreisen. Sie seien sodann zu einem Gericht gebracht worden, dieses Gericht habe entschieden, dass sie entlassen und in ein Flüchtlingsheim gebracht würden. Der Beschwerdeführer wäre daraufhin frei gewesen und habe seine Reise fortgesetzt. Der Beschwerdeführer verzichtete unter Rücksprache mit der anwesenden Rechtsberaterin auf eine Einsichtnahme in die vorliegenden Quellen zur aktuellen Situation in Ungarn. Auf die Frage, ob er ergänzende Angaben gegenüber jenen in der Erstbefragungen getätigten zu Protokoll geben wolle, bat der Beschwerdeführer darum, in Österreich bleiben zu dürfen und nicht abgeschoben zu werden. Auf Frage der Rechtsberaterin nach der Behandlung des Beschwerdeführers, "als er weggelaufen sei", brachte der Beschwerdeführer vor, die Polizei hätte ihn geschlagen, sie seien gefoltert worden. Man habe sie "unmenschlich festgenommen" und inhaftiert. Sie hätten ihn auf den Boden gedrückt und seien auf seinem Rücken gestanden. Er sei nach Europa gekommen, um Frieden zu haben. In Österreich habe er Frieden, dort aber nicht. Die anwesende Rechtsberaterin verwies sodann auf das Vorliegen erheblicher systemischer Mängel in Ungarn, die Länderberichte erwiesen sich als mangelhaft. Abschließend bestätigte der Beschwerdeführer, den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme verstanden zu haben. Nach Rückübersetzung seiner Angaben ergänzte er, dass er sich in Österreich für neun Tage im Krankenhaus befunden hätte. Ob er operiert worden sei oder nicht, könne er nicht mit Sicherheit sagen. Wie er es damals verstanden habe, sei seine Operation bereits erfolgt. Weiters wolle er ergänzen, dass er, infolge der ungarischen Gerichtsentscheidung bezüglich einer Entlassung seiner Person, in ein Flüchtlingsheim gebracht worden sei. Man habe ihn auch über eine bevorstehende Einvernahme informiert, doch habe er diese nicht abgewartet. 2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 6.9.2016 den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs 1 lit b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Ungarn zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde in Spruchpunkt II. gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Ungarn zulässig. In der Entscheidungsbegründung wurde zunächst von einem Nichtfeststehen der Identität des Beschwerdeführers ausgegangen. Nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden würde. In Österreich sei er wegen Hämorrhoiden und Zahnschmerzen in Behandlung gestanden. In Österreich verfüge der Beschwerdeführer über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte, eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person liege nicht vor. In Hinblick auf die Lage im Mitgliedstaat wurden die folgenden (wörtlich wiedergegebenen) Feststellungen getroffen: 1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen KI vom 26.8.2016, Ergänzende Fragen zum LIB (relevant für Abschnitt 5/Dublin-Rückkehrer) Zur Möglichkeit in Ungarn Verfahren in Abwesenheit des Antragstellers zu entscheiden: Wie oft kommt dies in der Praxis vor und ist in solchen Fällen innerhalb von 9 Monaten eine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich? Wenn BAH (ungarisches Büro für Immigration und Nationalität) genug Informationen zur Verfügung hat, kann die Behörde auf dieser Basis in Abwesenheit entscheiden. Meistens ist das aber nicht der Fall, da die Antragsteller sich zu früh, oft sogar vor dem inhaltlichen Interview, absetzen. Im Falle einer Entscheidung in

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Abwesenheit ist keine Beschwerde binnen 9 Monaten, sondern lediglich ein neuer Antrag möglich (BAH 25.7.2016). Bei Weigerung Serbiens, Drittstaatsangehörige aus Ungarn zurückzunehmen: Wie lange dauert es bis zur Entscheidung Ungarns ein inhaltliches Verfahren zu führen? Wenn ein Antrag aufgrund der Einreise durch Serbien als unzulässig entschieden wird und Serbien sich nicht bereit erklärt, den Rückkehrer zu übernehmen, wird der Antrag in Ungarn inhaltlich geprüft (BFA 24.6.2016). UNHCR hat in seinem Bericht vom Mai 2016 kritisiert, dass nicht bekannt sei, wie lange Antragsteller, denen Ungarn wegen Drittstaatsicherheit ein inhaltliches Verfahren verwehrt und welche nach Serbien zurückgeschoben werden sollen, zu warten haben, bevor Ungarn ihren Antrag inhaltlich prüft (UNHCR 5.2016). BAH erklärt dazu, dass gem. Art. 51A des ungarischen Asylgesetzes BAH seine Unzulässigkeitsentscheidung zurückzunehmen und das Verfahren fortzusetzen hat, wo ein sicherer Dritt- oder Herkunftsstaat den Antragsteller faktisch nicht übernimmt. BAH informiert ohne Verzögerung die Fremdenpolizei über eine Unzulässigkeitsentscheidung, damit sie eine Außerlandesbringung effektuieren kann. Wenn die Fremdenpolizei BAH informiert, dass z.B. Serbien einen Betroffenen nicht zurücknimmt, hat BAH ohne Verzögerung ein inhaltliches Verfahren zu beginnen. Zahlen zur Untermauerung konnte BAH leider nicht zur Verfügung stellen (VB 9.6.2016). Quellen: - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (25.7.2016): Auskunft BAH, per E-Mail - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (5.2016): Hungary as a country of asylum. Observations on restrictive legal measures and subsequent practice implemented between July 2015 and March 2016, http://www.refworld.org/docid/57319d514.html, Zugriff 26.8.2016 - VB des BM.I in Serbien (9.6.2016): Auskunft BAH, per E-Mail 2. Statistisches

Antragsteller 2014 Ungarn

42.770

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 19.3.2015)

Erstinstanzliche Entscheidungen 2014

Gesamt

Flüchtlingsstatus

Subsidiärer Schutz

Humanitäre Gründe

NEGATIV

5.445

240

250

20

4.935

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 19.3.2015)

Antragsteller 1.Qu. 2015 Antragsteller 2.Qu. 2015 Antragsteller 3.Qu. 2015 Antragsteller 4.Qu. 2015 www.ris.bka.gv.at

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Ungarn 33.545

33.240

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109.175

1.170

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 26.11.2015; vgl. Eurostat 10.2.2016)

Erstinstanzliche Entscheidungen

Gesamt

Flüchtlingsstatus

Subsidiärer Schutz

Humanitäre Gründe

NEGATIV

1. Qu. 2015

1.255

30

95

5

1.130

2. Qu. 2015

690

40

65

0

585

3. Qu. 2015

530

35

75

0

420

4. Qu. 2015

940

40

120

0

785

GESAMT

3.415

145

355

5

2.920

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet. (Eurostat 18.9.2015a; Eurostat 18.9.2015b; Eurostat 10.12.2015; Eurostat 3.3.2016b) Von den über 390.000 illegalen Grenzgängern 2015 stellten über 176.000 einen Asylantrag, von denen rund die Hälfte bis 1.11.2015 bearbeitet wurde. Mehr als 95% wurden wegen Abwesenheit eingestellt (VB 4.11.2015a; vgl. VB 24.11.2015). 2015 war somit die Anzahl der illegalen Grenzübertritte wesentlich höher, als die Anzahl der registrierten Asylwerber. Zwischen 1.1.2016 und 12.6.2016 erfolgten weniger illegale Grenzübertritte als registrierte Asylantragstellungen. Diese Tendenz erklärt sich mit der Möglichkeit der Asylantragsstellung in der Transitzone. Doch auch von den legal eingereisten Antragstellern tauchen viele nach der Antragsstellung unter (BFA 24.6.2016).

Anträge

2016 (Stand 29.6.) 22.092

(VB 29.6.2016) 2016 wurde bis 13.6.2016 in 87 Fällen Asylstatus gewährt (6 davon über den Beschwerdeweg), in 154 Fällen subsidiärer Schutz, 5 Personen erhielten eine Duldung. Weiters wurden 1.622 Asylanträge abgelehnt und 38.059 Verfahren wurden eingestellt. Die hohe Anzahl der eingestellten Fälle deutet darauf hin, dass die meisten Antragssteller während des Verfahrens untertauchen (BFA 24.6.2016). 2015 gab es 42.919 Anfragen auf Dublin-Überstellung aus anderen Staaten, davon konnten 1.402 Transfers erfolgreich durchgeführt werden, 2.152 angekündigte Transfers scheiterten weil der Betreffende entweder untergetaucht ist oder eine Beschwerdeinstanz entschied, dass das Asylverfahren vor Ort zu führen sei (BFA 24.6.2016). 2016 gab es bis 9.6.2016 12.579 Anfragen auf Überstellung aus anderen Staaten, davon konnten 315 Transfers erfolgreich durchgeführt werden, 1.058 angekündigte Transfers scheiterten weil der Betreffende entweder untergetaucht ist oder aufgrund einer dahingehenden Entscheidung einer Beschwerdeinstanz (BFA 24.6.2016). Quellen: - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 www.ris.bka.gv.at

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- Eurostat (19.3.2015): Data in focus 3/2015, http://ec.europa.eu/eurostat/documents/4168041/6742650/KS-QA-15-003-EN-N.pdf/b7786ec9-1ad64720-8a1d-430fcfc55018, Zugriff 30.6.2016 - Eurostat (26.11.2015): Asylbewerber und erstmalige Asylbewerber - monatliche Daten, http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/web/_download/Eurostat_Table_tps00189PDFDesc_0d6d51e1-d1ea-46b3bc6b-92f94becdd36.pdf, Zugriff 30.6.2016 - Eurostat (10.2.2016): Asylwerber und erstmalige Asylwerber - monatliche Daten, http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/web/_download/Eurostat_Table_tps00189PDFDesc_1c74bfb4-53f4-449e-ae9da8fbb71b5261.pdf, Zugriff 30.6.2016 - Eurostat (18.9.2015a): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 1st quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_1st_quarter_20 15.png, Zugriff 11.2.2016 - Eurostat (18.9.2015b): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 2nd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_2nd_quarter_2 015.png, Zugriff 11.2.2016 - Eurostat (10.12.2015): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 3rd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_3rd_quarter_20 15.png, Zugriff 22.2.2016 - Eurostat (3.3.2016b): Statistics explained, File: First instance decisions by outcome and recognition rates, 4th quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_4th_quarter_20 15.png, Zugriff 31.3.2016 - VB des BM.I in Ungarn (4.11.2015a): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (24.11.2015): Statistik des BAH, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (29.6.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail 2. Allgemeines zum Asylverfahren Das Büro für Immigration und Nationalität (Office of Immigration and Nationality, OIN; ungarisch: Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal, BAH) hat die Verantwortung für Entscheidungen in Asylverfahren und das Management der Unterbringungszentren und der Asylhaftzentren. Es untersteht dem ungarischen Innenministerium (AIDA 11.2015). Die Europäische Kommission hat am 10.12.2015 an Ungarn ein Aufforderungsschreiben (formal notice) übermittelt, das die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen der kürzlich verabschiedeten ungarischen Asylrechtsvorschriften darstellt. Die ungarischen Behörden haben nach dem Aufforderungsschreiben zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Europäischen Kommission zu reagieren. Erhält die Kommission keine zufriedenstellende Antwort, kann sie die nächste Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens einleiten und Ungarn eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln. Erforderlichenfalls kann die Kommission anschließend beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage einreichen (EK 10.12.2015). Asylverfahren Das ungarische Parlament hat im Juli 2015 eine Reihe von Änderungen des Asylgesetzes beschlossen. Wichtigste Neuerungen sind u.a. umfassende Mitwirkungspflichten; klarere Formulierung der Asylhaftgründe; Verbesserungen bei der Bestellung eines Vormunds für UM; Aufhebung der aufschiebenden Wirkung bei Folgeanträgen; Unzulässigkeit des Antrags bei Einreise aus sicherem Drittstaat usw. (VB 2.7.2015). Seit

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1.8.2015 ist das neue Asylgesetz in Kraft. Weitere Änderungen vom 15.9.2015 regeln die Einrichtung der sogenannten Transitzonen an den Grenzen (BAH 16.9.2015; HHC 18.9.2015). Ein Antrag soll binnen 15 Tagen auf Zulässigkeit, Dublin-Relevanz oder Eignung für das beschleunigte Verfahren geprüft werden. Das beschleunigte Verfahren soll binnen 15 Tagen abgeschlossen sein, das ordentliche Verfahren binnen 60 Tagen. Das beschleunigte Verfahren ist anwendbar, wenn der Antrag offensichtlich unbegründet ist (Antragsteller ist EU-Bürger oder hat einen Schutzstatus in einem EU-Staat; ist anerkannter Flüchtling in einem Drittstaat; bei Folgeantrag ohne neue Elemente; bei Drittstaatsicherheit); wenn der Antragsteller keine asylrelevanten Informationen preisgibt; aus einem Land kommt das auf der EU-Liste der sicheren Herkunftsstaaten steht; seine Identität verschleiert; falsche Informationen oder Dokumente vorlegt; seinen Reisepass zerstört oder weggeworfen hat; bei Verweigerung der Daktyloskopie; wenn der Antragsteller eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt; bei illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt in Ungarn ohne Asylantragstellung (wobei letzteres nicht als alleiniger Grund für eine Zurückweisung ausreicht) und bei Folgeanträgen mit neuen Elementen. Wenn dem ASt. mitgeteilt wird, dass geplant ist, seinen Antrag wegen Drittstaatsicherheit oder illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt in Ungarn ohne Asylantragstellung zurückzuweisen, hat der Antragsteller 3 Tage Zeit, um darzulegen, warum der betreffende Staat in seinem spezifischen Fall nicht sicher ist. Nehmen der sichere Dritt- oder Herkunftsstaat den Antragsteller nicht zurück, ist die Entscheidung zurückzunehmen und das Verfahren zu führen (Act LXXX 14.9.2015, §47, 51, 51/A). Wird ein Fremder in Ungarn aufgegriffen, führt die Polizei wegen illegaler Einreise eine Ersteinvernahme durch. Sie informiert und registriert die Betroffenen und legt eine Unterkunft fest. Ein Asylantrag während der ersten 48 Stunden wird durch die Polizei registriert, zuständig für dessen Bearbeitung ist BAH. Die meisten Antragsteller entziehen sich aber bereits vor dem inhaltlichen Interview dem Verfahren, womit keine inhaltliche Entscheidung möglich ist. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit einer Entscheidung in Abwesenheit, wenn genügend Informationen vorliegen, dies wird aber nur sehr selten angewandt (BAH 16.9.2015). Mit 1.7.2016 werden Gesetzesänderungen in Kraft treten, denen zufolge illegal eingereiste Migranten, die in einer 8 km von der Staatsgrenze ins Landesinnere reichenden Kontrollzone betreten werden, Asylanträge nicht im Landesinneren stellen können, sondern durch das nächstgelegene Tor des Grenzzauns zurückgeführt und aufgefordert werden, offiziell durch die nächstgelegene Transitzone einzureisen und dort ihren Antrag zu stellen (VB 23.5.2016; vgl. VB 28.6.2016; vgl. ECRE 17.6.2016). Die Behörde kann ein Verfahren einstellen oder aufgrund bereits vorhandener Informationen entscheiden, u.a. wenn der Antragsteller nicht zum Interview erscheint oder die festgelegte Unterkunft ohne Genehmigung für mehr als 48 Stunden verlässt. Der ASt. kann in diesen Fällen aber bis zu 9 Monate nach Beendigung die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen (Act LXXX 14.9.2015, §66). (Weitere Informationen in Kap. 5 "Dublin-Rückkehrer") Anträge nach abschließender beendender oder zurückweisender Entscheidung gelten als Folgeantrag. Hier ist zu prüfen, ob neue Elemente vorliegen. Neue Elemente sind Bedingung für die Zulässigkeit. Zulässige Folgeanträge werden im beschleunigten Verfahren geprüft. Für den dritten und weitere Folgeanträge besteht kein Recht auf Aufenthalt und Unterbringung in Ungarn. Beschwerde gegen Zurückweisung von Folgeanträgen hat aufschiebende Wirkung, außer der Folgeantrag wurde direkt vor einer Abschiebung gestellt und enthält keine neuen Elemente. In jenem Fall besteht kein Recht auf Aufenthalt und Unterbringung in Ungarn (AIDA 11.2015; vgl. Act LXXX 14.9.2015, §54). Beschwerde Im beschleunigten Verfahren gilt eine Rechtsmittelfrist von 7 Tagen. (Für zwischen 1.8. und 15.9.2015 gestellte Anträge gilt weiterhin die später geänderte Beschwerdefrist von 3 Tagen) Dieses Rechtsmittel besitzt nur in bestimmten Fällen aufschiebende Wirkung (u.a. bei Unzulässigkeit wegen Drittstaatsicherheit) (ECRE/HHC 1.10.2015; vgl. BAH 23.11.2015). Das Gericht soll binnen 8 Tagen inhaltlich entscheiden, wenn nötig mit Anhörung des Beschwerdeführers. Das Gericht kann die erstinstanzliche Entscheidung aufheben und ein erneutes Verfahren anordnen, aber es kann die erstinstanzliche Entscheidung nicht abändern. Weitere Rechtsmittel sind nicht vorgesehen. Nehmen der sichere Dritt- oder Herkunftsstaat den Antragsteller nicht zurück, ist die Entscheidung zurückzunehmen und das Verfahren zu führen (Act LXXX 14.9.2015, §53). Beschwerdefrist im ordentlichen Verfahren sind 8 Tage und das zuständige Gericht soll binnen 60 Tagen darüber entscheiden, wenn nötig mit Anhörung des Beschwerdeführers. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Ist der Bf. in Haft soll das Gericht prioritär entscheiden. Ist der Bf. in Asylhaft, ist seine Anhörung vor Gericht www.ris.bka.gv.at

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verpflichtend. Das Gericht kann die erstinstanzliche Entscheidung aufheben und ein erneutes Verfahren anordnen, aber es kann die erstinstanzliche Entscheidung nicht abändern. Weitere Rechtsmittel sind nicht vorgesehen (Act LXXX 14.9.2015, §68; vgl. AIDA 11.2015). Antragsteller haben im Rahmen des Gesetzes über die Rechtshilfe (wenn sie bedürftig sind) während des erstinstanzlichen Verfahrens das Recht auf kostenlose Rechtsberatung, nicht aber auf kostenlose Vertretung. Im Beschwerdeverfahren haben bedürftige ASt. das Recht auf kostenlose Rechtsberatung und -vertretung. Trotzdem haben bisher nur wenige ASt. freie Rechtshilfe in Anspruch genommen. Zum einen, weil die ASt. kaum etwas darüber wissen, zum anderen, weil das ungarische Rechtshilfesystem keine Übersetzerkosten abdeckt und die wenigen Asylanwälte die relevanten Fremdsprachen nicht sprechen. HHC bietet weiterhin Rechtsberatung in den Unterbringungszentren und Hafteinrichtungen an (AIDA 11.2015; vgl. HHC 18.9.2015). Quellen: - Act LXXX of 2007 on Asylum (14.9.2015), per E-Mail - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (16.9.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (23.11.2015): Auskunft BAH, per E-Mail - ECRE - European Council on Refugees and Exiles (17.6.2016): ECRE Weekly Bulletin, per E-Mail - ECRE/HHC - European Council on Refugees and Exiles/Hungarian Helsinki Committee (1.10.2015): Crossing Boundaries. The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056, Zugriff 30.6.2016 - EK Europäische Kommission (10.12.2015): Kommission leitet gegen Ungarn Vertragsverletzungsverfahren wegen asylrechtlicher Verstöße ein, http://europa.eu/rapid/pressrelease_IP-15-6228_de.htm, Zugriff 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (18.9.2015): No Country for Refugees. New asylum rules deny protection to refugees and lead to unprecedented human rights violations in Hungary, http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC_Hungary_Info_Note_Sept_2015_No_country_for_refugees.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (2.7.2015): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (23.5.2016): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (28.6.2016): Bericht des VB, per E-Mail Grenzverfahren / Transitzonen Das Grenzverfahren in den neugeschaffenen Transitzonen betrifft nur dort aufgegriffene Fremde. DublinRückkehrer sind davon nicht betroffen (BAH 16.9.2015). Dublin-Rückkehrer sind somit auch nicht vom Grenzverfahren betroffen. Kapazitäten und andere Bedingungen der Transitzonen - auch allfällige Sonderverfahrensbestimmungen - sind für Dublin-Rückkehrer nicht relevant. Dazu sind auch im jüngst beschlossenen Gesetz zur Rückführung illegaler Migranten keine Änderungen vorgesehen (BFA 24.6.2016), gemäß dem, illegal eingereiste Migranten, die in einer 8 km ins Landesinnere reichenden Kontrollzone betreten werden, Asylanträge nicht im Landesinneren stellen können, sondern durch das nächstgelegene Tor des Grenzzauns zurückgeführt und aufgefordert werden, offiziell durch die nächstgelegene Transitzone einzureisen und dort ihren Antrag zu stellen. Dies wird mit 5.7.2016 in Kraft treten (VB 23.5. 2016; vgl. VB 28.6.2016; vgl. ECRE 17.6.2016). Zwischen 15.9.2015 und 29.5.2016 wurden 4.772 Asylwerber, davon

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3.824 Vulnerable, in den Transitzonen registriert. Vulnerable (Familien, Schwangere, UMA, ...) werden sofort zum Asylverfahren zugelassen und aus den Transitzonen in offene Unterbringungszentren bzw. Kinderheime verlegt und ihre Asylanträge im Inland bearbeitet. Alleinstehende Männer bleiben hingegen bisweilen einige Wochen in den Zonen. Sie werden in der Regel nur dann ins Landesinnere verlegt, wenn ihr Verfahren nicht binnen eines Monats abgeschlossen werden kann (inklusive etwaige gerichtliche Überprüfung). 80% der Verfahren werden also im Land durchgeführt. Viele nützen dies, um ihre Reise fortzusetzen. Eine asylrechtliche Haft im Anschluss an den Aufenthalt in der Zone wäre zwar möglich, wird jedoch nicht angewandt, da es ein negatives Signal senden und einen Anreiz zur illegalen Einreise unter Vermeidung der Transitzonen setzen würde (BFA 24.6.2016; vgl. FRA 6.2016). Im Mai 2016 haben 92 Personen vor dem zuständigen Gericht in Szeged gegen Zurückweisung ihres Asylantrags in den Transitzonen Beschwerde eingelegt. In 77 anhängigen derartigen Fällen hat das Gericht die erstinstanzliche Entscheidung gestützt, in weiteren 78 Fällen wurde der Beschwerde stattgegeben und BAH angewiesen den Fall neu zu beurteilen anstatt die Drittstaatsicherheit automatisch anzunehmen. 9 Fälle wurden eingestellt, weil der Beschwerdeführer das Land verlassen hatte. In der Praxis übernimmt Serbien von Ungarn im Rahmen des Rückübernahmeabkommens aber nur eigene Staatsbürger (FRA 6.2016). Im Juni 2016 stellt die ungarische Regierung den in und um die Transitzonen tätigen NGOs HUF 250 Mio. für ihre humanitäre Arbeit zur Verfügung. 5 Organisationen (Ungarischer Malteser Hilfedienst, Ökumenische Hilfsorganisation, Ungarisches Rotes Kreuz, Caritas, Mission der Reformierten Kirche) erhalten eine finanzielle Unterstützung (BFA 24.6.2016). (Zur praktischen Durchführbarkeit von Rücküberstellungen nach Serbien siehe Kap. 5.1. "Dublin-Rückkehrer und die Drittstaatsicherheit Serbiens".) Quellen: - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (16.9.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - ECRE - European Council on Refugees and Exiles (17.6.2016): ECRE Weekly Bulletin, per E-Mail - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (6.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. June 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-june-2016-monthly-migration-gender-basedviolence_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (28.9.2015): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (23.5.2016): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (28.6.2016): Bericht des VB, per E-Mail 3. Drittstaatsicherheit Serbiens Die im neuen Asylgesetz umrissene Einführung von sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten wird durch Regierungsdekret 191/2015 vom 21.7.2015 und Regierungsdekret 63/2016 umgesetzt. Damit sind seit 1.8.2015 Serbien, Albanien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Kosovo sowie Australien, Kanada, Neuseeland, die Schweiz und jene US-Bundesstaaten, die keine Todesstrafe verhängen und darüber hinaus seit 1.4.2016 auch die Türkei sichere Dritt- und Herkunftsstaaten. Das heißt„ in der Praxis sind von BAH Asylanträge als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragssteller aus einem dieser Länder stammt, durch ein solches gereist ist und dort die Möglichkeit zur Stellung eines Asylantrags hatte oder in einem dieser Länder Verwandte hat (VB 3.8.2015, VB 4.4.2016). Die Verantwortung Serbiens, im Rahmen der Drittstaatsicherheit Personen von Ungarn zurückzunehmen, endet nach 12 Monaten. Rechtliche Grundlage ist entweder das bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Serbien und Ungarn, oder jenes der EU mit Serbien (2007/819/EG). Wenn bei einem nach Ungarn Zurückkehrenden diese 12 Monate verstrichen sind, ist die Entscheidung zurückzunehmen und das Verfahren zu führen (BAH 16.9.2015; vgl. Act LXXX 14.9.2015, §51/A, VB 4.11.2015b, ECRE/HHC 1.10.2015, AIDA 11.2015). www.ris.bka.gv.at

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Ungarn betrachtet Serbien zwar grundsätzlich als sicheres Drittland, dies ist aber eine im Einzelfall widerlegbare Vermutung und wird durch die Gerichte geprüft. Asylwerber haben die Möglichkeit innerhalb von drei Tagen Beweise vorzulegen oder Aussagen zu machen, wonach Serbien in ihrem Fall kein sicherer Drittstaat ist. Für die Gerichte gibt es 2 Hauptbehebungsgründe: entweder weitere Ermittlungsaufträge oder die fehlende Zustimmung der serbischen Behörden zur Übernahme. Es gibt noch keine finale und abschließende Beurteilung zu dieser Frage durch ein ungarisches Höchstgericht (VB 17.2.2016; vgl. BFA 24.6.2016). Es gibt viele Beispiele dass z.B. das Gericht in Szeged Entscheidungen der ersten Instanz behoben und BAH angewiesen hat, ein neues Verfahrens zu führen, anstatt automatisch die Drittstaatsicherheit Serbiens anzunehmen (FRA 12.2015; vgl. FRA 2.2016, FRA 6.2016). Zwischen 1.8.2015 und 31.3.2016 wies BAH 1.184 Asylanträge (im ganzen Land einschließlich Transitzonen) als unzulässig zurück (wobei nicht klar ist, ob immer Drittstaatsicherheit der Grund war). Im selben Zeitraum erhoben 387 ASt. dagegen Beschwerde (davon 114 in den Transitzonen). Ungarische Gerichte hoben in 246 Fällen die erstinstanzlichen Entscheidungen auf und ordneten die Neubewertung an. Die Begründung der Gerichte ist meist, dass Serbien kein sicherer Drittstaat sei, oder, dass die Behörde ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sich zu vergewissern, ob Serbien den ASt. auch wirklich zurücknehmen würde (UNHCR 5.2016). Personen, die Ungarn verlassen sollen, werden von der Fremdenpolizei übernommen, welche dann versucht die Bedingungen für die Außerlandesbringung zu schaffen. Eine Außerlandesbringung kann entweder ins Herkunftsland oder in ein für den Fremden zuständiges Drittland (z.B. Serbien) erfolgen. Für alle Fälle, in welchen die Rückübernahme nach Serbien faktisch nicht funktioniert und wenn der Herkunftsstaat den Fremden nicht übernimmt, ist eine Abschiebung nicht möglich. In diesem Fall bleibt die Person in Ungarn, das Asylverfahren wird automatisch fortgesetzt und der Asylantrag inhaltlich geprüft (BFA 24.6.2016). (Für mehr Informationen hierzu siehe Kap. 5.1. "Dublin-Rückkehrer und die Drittstaatsicherheit Serbiens".) Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - Act LXXX of 2007 (14.9.2015), per E-Mail - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (16.9.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - ECRE/HHC - European Council on Refugees and Exiles/Hungarian Helsinki Committee (1.10.2015): Crossing Boundaries. The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056, Zugriff 30.6.2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (12.2015): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. December 2015 monthly report, per E-Mail - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (2.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. February 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2016-monthly-compilation-com-update-3_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (6.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. June 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-june-2016-monthly-migration-gender-basedviolence_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (5.2016):

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Hungary as a country of asylum. Observations on restrictive legal measures and subsequent practice implemented between July 2015 and March 2016, http://www.refworld.org/docid/57319d514.html, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (3.8.2015): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (4.11.2015b): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (17.2.2016): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (4.4.2016): Bericht des VB, per E-Mail 4. Dublin-Rückkehrer Ein Asylverfahren wird, unabhängig vom Verfahrensstand, 30 Tage nachdem sich der Antragsteller dem Verfahren entzogen hat (z.B. durch Verlassen des Landes), eingestellt (BAH 29.10.2015). Entzieht sich also ein Antragsteller, der seinen Antrag nach dem 1.8.2015 (also nach neuer Rechtslage) gestellt hat, dem Verfahren, wird dieses eingestellt. Innerhalb von 9 Monaten kann er (einmalig) die Wiedereröffnung des Verfahrens beantragen. Der Antrag auf Wiedereröffnung des eingestellten Verfahrens ist z.B. bei der Registrierung durch die Polizei nach Dublin-Rücküberstellung möglich (BAH 16.9.2015). * Verweigerte ein Antragsteller im Erstverfahren in Ungarn inhaltliche Angaben und behinderte damit die Prüfung des Antrags, ist innerhalb der 9-Monats-Frist eine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich. * Entzog sich der Antragsteller seinem Erstverfahren in Ungarn vor dem inhaltlichen Interview, ist innerhalb der 9-Monats-Frist eine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich. * Verließ ein Antragsteller die für ihn festgelegte Unterkunft während des Erstverfahrens in Ungarn für mehr als 48 Stunden ohne Erklärung, ist innerhalb der 9-Monats-Frist eine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich (BAH 18.9.2015). * Hat ein Antragsteller seinen Erstantrag in Ungarn schriftlich zurückgezogen, ist auch innerhalb der 9-MonatsFrist keine Wiedereröffnung des Verfahrens mehr möglich. * Wenn ein Antragsteller die Abgabe seiner Fingerabdrücke oder das Fotografieren verweigerte, ist innerhalb der 9-Monats-Frist keine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich. * Nach erfolgreicher Dublin-OUT- Überstellung aus Ungarn ist keine Wiedereröffnung des Verfahrens möglich. * Bei rechtskräftig negativ abgeschlossenem Verfahren ist keine Wiedereröffnung, sondern nur ein neuer Antrag möglich - enthält der keine neuen Elemente, gilt er als unzulässiger Folgeantrag. (BAH 16.9.2015; vgl. AIDA 11.2015) Ist die 9-Monats-Frist verstrichen und der Rückkehrer hatte in seinem Erstverfahren bereits eine inhaltliche Entscheidung, kann er nur einen neuen Antrag stellen, der neue Elemente enthalten muss, um nicht als unzulässiger Folgeantrag zu gelten. Gab es im früheren Verfahren aber keine inhaltliche Entscheidung, müssen keine neuen Elemente vorgebracht werden damit der Antrag zulässig ist (BAH 22.6.2016; vgl Act LXXX 14.9.2015, § 51 (2)d, § 51 (3), § 53 (1); vgl. BFA 24.6.2016). (Für mehr Informationen zu Folgeanträgen siehe Kap. 3. "Allgemeines zum Asylverfahren") Wurde der Antrag vor dem 1.8.2015 gestellt und ist noch offen (was sehr unwahrscheinlich ist), wird das Verfahren nach der alten Gesetzeslage weitergeführt. Wurde das Verfahren beendet (weil der ASt. sich abgesetzt hat oder in Abwesenheit entschieden wurde), wird bei Rückkehr ein neues Verfahren gemäß neuer Rechtslage geführt (BAH 13.11.2015). Nach der neuen Rechtslage gilt ein Folgeantrag der keine neuen Elemente enthält, als unzulässig. Wird kein Antrag gestellt, beginnt ein fremdenpolizeiliches Verfahren (BAH 16.9.2015). In der Regionaldirektion Gyor des BAH kommen alle Dublin-Rückkehrer an, die von Österreich in Nickelsdorf an die ungarischen Behörden übergeben werden. Auch die ungarische Fremdenpolizei ist dort vertreten. In Gyor www.ris.bka.gv.at

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werden Rückkehrer durch die Polizei erfasst und es wird geprüft, ob der Betreffende bereits ein Verfahren in Ungarn hatte und welchen Stand dieses hat, ob der Rückkehrer spezielle Bedürfnisse hat usw. Gegebenenfalls kann ein Asylantrag gestellt werden. Danach wird den Rückkehrern entsprechend ihrem Verfahrensstand eine Unterbringung zugewiesen (offene Unterbringung oder Asylhaft etc.). Asylhaft ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung. Kranke Rückkehrer werden, bei entsprechender Ankündigung, an der Grenze bereits mit einem Ambulanzwagen abgeholt. Die Versorgung der Rückkehrer in Gyor ist dieselbe wie in anderen Unterbringungseinrichtungen und entspricht den ungarischen Gesetzen. Wenn die Rückkehrer länger als 5 Stunden in der Einrichtung in Gyor verbringen müssen, besteht die gesetzliche Verpflichtung, ihnen Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen. In der Regel sind die Rückkehrer aber nur 1-2 Stunden dort, wenn offene Unterbringung geboten ist, bzw. bis zu einen Arbeitstag lang, wenn Asylhaft nötig ist (weil hier mit dem Transport zugewartet wird, ob noch Fälle hinzukommen). Die Führung eines etwaigen Asylverfahrens geht nach dem Transfer auf jene Regionaldirektion über, in deren Zuständigkeitsbereich der Betreffende untergebracht bzw. inhaftiert wird. Übersetzerleistungen sind laut BAH während der Abwicklung in Gyor dauernd verfügbar. Gängige Sprachen sind Afghanisch, Arabisch etc. Sollte für eine Sprache kein Dolmetscher vor Ort sein, wird per Computer eine Fernübersetzung zugeschaltet (BAH 16.9.2015; vgl. BFA 24.6.2016). Die Entscheidung zur Verhängung der Asylhaft ist eine Einzelfallentscheidung. Untertauchen ist ein möglicher Grund für ihre Verhängung und da Dublin-Rückkehrer sich per se dem Verfahren entzogen haben, ist es grundsätzlich möglich, sie in Asylhaft zu nehmen. BAH erläuterte zwar es würden auch noch andere Gründe geprüft, es wurde aber auch nicht dezidiert gesagt, dass Untertauchen alleine als Haftgrund nicht ausreicht. Es wurde viel Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Haft eine Einzelfallentscheidung sei. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass BAH die Haft nur für die ersten 72 Stunden verhängen kann und danach eine richterliche Überprüfung stattfinde (BAH 16.9.2015; vgl. BFA 24.6.2016). Dublin-Rückkehrer haben Zugang zu Unterbringung und Versorgung solange ihr Verfahren nicht abgeschlossen ist. In jeder Einrichtung gibt es eine medizinische Versorgung. Falls nötig ist, werden Personen von einem Facharzt untersucht. Kinder bekommen eine besondere Versorgung (BFA 24.6.2016). Quellen: - Act LXXX of 2007 on Asylum (14.9.2015), per E-Mail - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (16.9.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (18.9.2015): Auskunft des BAH, per E-Mail - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (29.10.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (13.11.2015): Auskunft des BAH, per E-Mail - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (22.6.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 4.1. Dublin-Rückkehrer und die Drittstaatsicherheit Serbiens Die von Ungarn angenommene Drittstaatssicherheit Serbiens widerspricht der Position des ungarischen Höchstgerichts (Kuria) und einer Empfehlung von UNHCR (beide 2012), die nie zurückgenommen wurden (und welche von UNHCR im Mai 2016 bekräftigt wurde (UNHCR 5.2016)). Dies und die Anwendbarkeit der Drittstaatsicherheit auf Dublin-Rückkehrer hat ECRE/HHC zu der Empfehlung bewogen, von DublinÜberstellungen nach Ungarn Abstand zu nehmen. BAH steht auf dem Standpunkt, dass die Drittstaatsicherheit Serbiens so oder so auf ältere Fälle (Antragstellung vor dem 1.8.2015) anwendbar wäre, da die Rechtsgrundlage dafür auch schon zuvor bestanden habe (ECRE/HHC 1.10.2015; vgl. BAH 23.11.2015). NGOs behaupten bereits seit längerem, dass Dublin-Rückkehrer akut von Rückschiebungen nach Serbien bedroht seien (vgl. ECRE/HHC 1.10.2015). Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Berichte, dass Serbien nur bestimmte Staatsangehörige (türkische und kosovarische Staatsbürger mit entsprechenden Ausweisdokumenten www.ris.bka.gv.at

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bzw. Durchbeförderung abgelehnter Kosovaren) (VB 4.11.2015b), bzw. nur eigene Staatsangehörige zurücknimmt (FRA 6.2016). Gemäß UNHCR wurden zwischen 15.9.2015 und 31.3.2016 298 Personen im Rahmen des Rückübernahmeabkommens nach Serbien rücküberstellt (78 Serben, 72 Türken, 34 Albaner, 5 Mazedonier und 31 Kosovaren, sowie 31 Syrer, 31 Afghanen, 14 Iraker, 2 Somalier und 6 Andere). Es ist aber unklar, wie viele davon aus den Transitzonen zurückgewiesen wurden und wie viele aus dem Inland bzw. ob Dublin-Rückkehrer darunter waren (UNHCR 5.2016). Die serbischen Behörden selbst bestätigen, dass aufgrund des bilateralen Rückübernahmeabkommens mit Ungarn nur serbische Staatsbürger, Staatenlose und Drittstaatsangehörige zurückgenommen werden, bei denen die Identität geklärt ist und die Tatsache geklärt ist, dass sie zuvor aus Serbien kommend nach Ungarn eingereist sind (VB 29.3.2016). Um die praktischen Auswirkungen der ungarischen Gesetzesänderungen seit 1.8.2015 auf Dublin-Rückkehrer einschätzen zu können, wurde mit BAH ein Monitoring einiger Fälle vereinbart. Von Interesse waren bei diesem Monitoring insbesondere folgende Punkte: • Zeitpunkt der Asylantragstellung (vor oder nach 1.8.) • davon abhängig: besteht Zugang zum Asylverfahren nach Dublin-Transfer? • Klärung der Frage: werden Dublin-Rückkehrer nach Serbien rücküberstellt? Dem Monitoring unterzogen wurden die letzten 41 Fälle, die zwischen 1. und 24. September 2015 von Ö nach HU überstellt worden sind, sowie 25 Personen, die zwischen 12.10.2015 und 28.1.2016 aus DE, SE, UK, SK, CZ, CH nach HU überstellt worden sind. Bei den von Ö nach HU Überstellten handelt es sich um 24 erwachsene Männer, 4 erwachsene Frauen und 13 Minderjährige. Gemäß dem Monitoring konnte kein Fall einer Rücküberstellung eines Dublin-Rückkehrers von Ungarn nach Serbien festgestellt werden (BFA 23.3.2016). Mitte Juni 2016 fand ein Expertentreffen zwischen BFA und BAH in Budapest statt, um offene Fragen zu klären. Es konnte im Zuge dessen klargestellt werden, dass Serbien zwischen 1.1. und 13.6.2016 113 Personen zurückgenommen hat, darunter befanden sich keine Dublin-Rückkehrer (Staatsangehörige Serbiens, Kosovos, Albaniens, usw.). Serbien steht (wie auch weiter oben bereits dargestellt) auf dem Standunkt, dass das Rückübernahmeabkommen nur für serbische und ehemalige jugoslawische Staatsbürger anwendbar sei (BFA 24.6.2016; vgl. TT 14.6.2016, FRA 6.2016). Die Ergebnisse des Monitorings von Februar 2016, wonach kein Fall einer Rücküberstellung eines Dublin-Rückkehrers von Ungarn nach Serbien festgestellt werden konnte, wurden damit bestätigt. Es wurde vereinbart, dass es bald ein weiteres Monitoring von aus Österreich nach Ungarn überstellten Dublin-Fällen geben soll, um die weitere Entwicklung beobachten zu können (BFA 24.6.2016). Nach der Rückübernahme von Dublin-Rückkehrern hängt das weitere Verfahren davon ab, ob der Rückkehrer bereits einen Asylantrag gestellt hat, der inhaltlich behandelt wurde und, ob er sich innerhalb der 9-monatigen Frist für eine Wiedereröffnung des Verfahrens befindet. Wenn der Antrag aufgrund der Einreise durch Serbien als unzulässig entschieden wird und Serbien sich nicht bereit erklärt, den Rückkehrer zu übernehmen, wird der Antrag inhaltlich geprüft (BFA 24.6.2016; vgl. Act LXXX 14.9.2015, §51/A). Der EuGH hat am 17.3.2016 in der Rechtssache C-695/15 PPU (Shiraz Baig Mirza) entschieden, dass Ungarn einen Asylwerber ohne inhaltliche Prüfung des Antrags in einen sicheren Drittstaat (hier Serbien) zurückweisen kann. Dies gilt auch dann, wenn Ungarn zuständiger Mitgliedstatt gemäß Dublin-III-VO ist. HU muss den überstellenden MS nicht über diese Regelung informieren oder den ersten Asylantrag in einem gewissen Verfahrensstadium weiterführen. Der Asylwerber hat das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dass über seinen Antrag abschließend entschieden wird - das hindert Ungarn aber nicht daran, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Der EuGH wurde nicht gefragt, ob Serbien als sicherer Drittstaat gelten kann, daher wurde darüber auch nicht ausdrücklich entschieden. Andererseits hat der EuGH aber auch keine Zweifel an Serbiens Drittstaatsicherheit im Urteil angesprochen und auch die Rückweisung nicht untersagt (EuGH 17.3.2016). Quellen: - Act LXXX of 2007 (14.9.2015), per E-Mail - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (23.11.2015): Auskunft BAH, per E-Mail - BFA Monitoringbericht (23.3.2016): Die Auswirkungen der jüngsten Gesetzesänderungen auf DublinRückkehrer in Ungarn

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- BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - ECRE/HHC - European Council on Refugees and Exiles/Hungarian Helsinki Committee (1.10.2015): Crossing Boundaries. The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056, Zugriff 30.6.2016 - EuGH - Gerichtshof der Europäischen Union (17.3.2016): PRESSEMITTEILUNG Nr. 32/16, http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2016-03/cp160032de.pdf, Zugriff 30.6.2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (6.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. June 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-june-2016-monthly-migration-gender-basedviolence_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - TT - Tiroler Tageszeitung (14.6.2016): Flüchtlinge - Serbien will aus Ungarn Abgeschobene nicht aufnehmen, http://www.tt.com/home/11629771-91/fl%C3%BCchtlinge---serbien-will-aus-ungarnabgeschobene-nicht-aufnehmen.csp, Zugriff 30.6.2016 - UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (5.2016): Hungary as a country of asylum. Observations on restrictive legal measures and subsequent practice implemented between July 2015 and March 2016, http://www.refworld.org/docid/57319d514.html, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (4.11.2015a): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Serbien (29.3.2016): Auskunft des serb. Innenministeriums, per E-Mail 5. Haft 5.1. Fremdenpolizeiliche Haft Für fremdenpolizeiliche Maßnahmen (Aufgriff und Verhaftung illegaler Migranten, Rückführungen) ist in Ungarn die Aliens Policing Unit der ungarischen Polizei zuständig. Die Polizei kann einen Ausländer für bis zu 72 Stunden inhaftieren, danach kann ein Gericht die Haftdauer um jeweils 30 Tage bis zu insgesamt einem Jahr verlängern (Info Stdok 05.2012). Aufgrund der 2013 neu eingeführten Asylhaft nahm die fremdenpolizeiliche Haft ab. Einige ihrer Hafteinrichtungen wurden geschlossen, oder dem BAH übergeben. Seit Jänner 2014 kann fremdenpolizeiliche Haft nur noch auf jene Folgeantragsteller angewendet werden, deren Folgeanträge keine aufschiebende Wirkung haben. Ansonsten ist nur Asylhaft anwendbar (AIDA 17.2.2015). Die Polizei verfügt über fremdenpolizeiliche Haftzentren in Gyor, Budapest Airport, Nyírbátor und Kishkunhalas mit zusammen 268 Plätzen. Es sind Sozialarbeiter und Psychologen der NGO Menedék verfügbar und es gibt damit gute Erfahrungen (HHC 5.2014; vgl. AIDA 17.2.2015). Von 1.1.2016 bis 13.6.2016 befanden sich 682 Personen in fremdenpolizeilicher Haft, 10 Personen in Haft vor Ausweisung und 1 Person in Haft vor Abschiebung (BFA 24.6.2016). Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (17.2.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida__hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf, Zugriff 30.6.2016 - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2014): Information Note on Asylum-seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary, http://www.refworld.org/docid/539164814.html, Zugriff 30.6.2016 www.ris.bka.gv.at

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- Info der Staatendokumentation (05.2012): Ungarn: Ergebnisse der Konferenz über das ungarische Asylund Fremdenpolizeiwesen, 28.2.-2.3.2012 - 5.2. Asylrechtliche Haft Das ungarische Parlament hat im Juli 2015 eine Reihe von Änderungen des Asylgesetzes beschlossen. Unter anderem wurden die Asylhaftgründe (eingeführt 1.7.2013) klarer formuliert. Die asylrechtliche Haft erlaubt demnach die Inhaftierung von AW in folgenden Fällen: a) bei ungeklärter Identität oder Nationalität. b) wenn ein Ausweisungsverfahren gegen den Antragsteller läuft und aufgrund objektiver Kriterien nachgewiesen werden kann, dass es dem Antragsteller im Vorfeld möglich gewesen wäre, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen - oder es liegen triftige Gründe für die Annahme vor, dass der Antrag nur gestellt wurde, um den Vollzug der Ausweisung zu verhindern. c) wenn weitere Fakten erhoben werden müssen und das ohne Haft nicht möglich ist und angenommen werden muss, dass sich der ASt. dem Asylverfahren entziehen wird. d) wenn die Haft notwendig ist zum Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung. e) bei einem Antrag am Flughafen. f) um das Dublin-Verfahren zu sichern, wenn ernste Absetzgefahr besteht. (VB 2.7.2015; vgl. Act LXXX 14.9.2015, §§31/A ff.). Die Verhängung der Asylhaft ist in jedem Einzelfall abzuwägen und nur anzuwenden, wenn der Zweck nicht anders erreicht werden kann (z.B. Kaution). Die Haft kann von BAH für max. 72 Stunden verhängt werden. Binnen der ersten 24 Stunden kann BAH die Verlängerung der Haft beim zuständigen Bezirksgericht beantragen. Das Gericht kann dem Antrag folgen und die Haft um max. 60 Tage verlängern, bis zu einer Maximaldauer von 6 Monaten. BAH muss alle Verlängerungsanträge begründen. Haft von unbegleiteten Minderjährigen darf nicht angeordnet werden. Die asylrechtliche Haft für Familien mit Kindern (als letztes Mittel unter Bedachtnahme auf das beste Interesse des Kindes) ist grundsätzlich für max. 30 Tage erlaubt. Rechtsmittel gegen die Anordnung der Asylhaft sind nicht vorgesehen, der ASt. kann aber Einspruch erheben (may file an objection), über den das Gericht binnen 8 Tagen entscheiden soll. Eine persönliche Anhörung des Inhaftierten hat bei der ersten Verlängerung oder im Falle eines Einspruchs zwingend zu erfolgen. Bei weiteren Verlängerungen der Haft kann eine Anhörung erfolgen, wenn der Betroffene das beantragt. Gegen Bedingungen der Haft ist Beschwerde an den Leiter der Asylhafteinrichtung bzw. in weiterer Folge an die Leitung des BAH möglich. Wenn die Antragszahlen außergewöhnlich hoch sind und die Kapazitäten der Asylhaftzentren entsprechend ausgereizt sind, ist Asylhaft auch in nicht dafür vorgesehenen Einrichtungen möglich. Alle anderen Vorkehrungen, wie Geschlechtertrennung und Unterbringungsbedingungen, sind einzuhalten (Act LXXX 14.9.2015, §31/A, §31/B, 31/G, 31/H, 31/I). Es gibt Asylhaftzentren in Békéscsaba, Debrecen und Nyírbátor mit zusammen 456 Plätzen (VB 13.10.2015b) und 500 Asylhaftplätze in Kiskunhalas (VB 25.5.2016). Für Antragsteller in Asylhaft haben dieselben materiellen Bedingungen zu gelten wie in der offenen Unterbringung (Act LXXX 14.9.2015, §28). Die medizinische Betreuung in den Asylhaftzentren stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: o Békéscsaba: 2 PA abwechselnd für 2 Stunden wochentags, 6 PflegerInnen abwechselnd die ganze Woche/24 Std. Am Wochenende werden die PA auf Abruf tätig. Psychologische Hilfe erfolgt durch die CF nach Bedarf (VB 7.9.2015). o Debrecen: 5x pro Woche 2 PA, 6 PflegerInnen abwechselnd die ganze Woche/24 Std., PA am Wochenende auf Abruf, ebenso ein psychologischer Dienst bei Bedarf (VB 7.9.2015).

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16.11.2016

o Nyírbátor: 1 PA für 2 Stunden an Werktagen, am Wochenende auf Abruf, medizinische Pflege wird von der Bezirkspolizei bereitgestellt, psychologische Hilfe von einer örtlichen Klinik (VB 7.9.2015). o Kiskunhalas: Der Gesundheitsdienst arbeitet rund um die Uhr. Es kommen regelmäßig Ärzte. An Arbeitstagen gibt es eine Sprechstunde (3-4 Stunden). Die gesundheitliche Grundversorgung erfolgt vor Ort, eine entsprechende Fachversorgung ist im Krankenhaus Kiskunhalas möglich. Mitarbeiter der Cordelia Foundation kommen für psychologische Betreuung, wofür Ihnen das Ärztezimmer zur Verfügung gestellt wird (VB 25.5.2016). Darüber hinausgehende ärztliche Versorgung ist in den Krankenhäusern der Umgebung möglich (VB 7.9.2015). Vulnerable sind von der Asylhaft auszunehmen. Das umfasst UM, Schwangere, Familien mit Kindern unter 5 Jahren und AW, die unter PTBS leiden. Die Ausnahme der UM ist im Gesetz festgeschrieben, die restlichen Ausnahmen sind Verwaltungspraxis. Die Identifizierung der Personen mit PTBS übernimmt die NGO Cordelia, welche die Asylhafteinrichtungen einmal die Woche besucht. Am 30.9.2015 waren in Békéscsaba 24 von 65 Personen Teil einer Familie, darunter 8 Kinder (ECRE/HHC 1.10.2015). Es gibt Alternativen zur Haft, wie festgelegten Aufenthaltsort und Kaution. Ersteres wird offenbar nicht angewendet, da sich 89-90% der AW in offener Unterbringung ohnehin absetzen. Kaution wurde seit 1.7.2014 in 143 Fällen verhängt (in Höhe von EUR 500 - 5.000). In 113 Fällen setzten sich die Betroffenen ab. Ihre Kautionen fielen in 104 Fällen an den Staat, in 9 Fällen konnte die Kaution rückerstattet werden (EASO 03.2015). Gegen Zahlung der Kaution in og. Höhe kann die Asylhaft im Wege einer Einzelfallentscheidung ausgesetzt werden. Die Kaution kann in jeder Phase des Asylverfahrens beantragt werden. Die Genehmigung erfolgt gegebenenfalls durch das BAH. Die Kaution verfällt, wenn der Antragsteller die ihm zugewiesene offene Aufnahmeeinrichtung und in weiterer Folge Ungarn verlässt, bevor eine Entscheidung über seinen Antrag ergangen ist. Das geschieht in einem Großteil der Fälle (VB 25.5.2016). Von 1.1.2016 bis 13.6.2016 befanden sich 1.536 Personen in asylrechtlicher Haft. Dies stellt lediglich einen geringen Anteil von bislang rund 20.000 gestellten Asylanträgen im Jahr 2016 dar. Es wird immer überprüft, ob eine Alternative zu asylrechtlicher Haft (z.B. Kaution oder gelinderes Mittel) möglich ist. Die Maximaldauer der asylrechtlichen Haft beträgt 6 Monate, die Durchschnittsdauer liegt jedoch bei 39 Tagen. Die Haftzeit hängt immer vom Verfahren und vom Einzelfall ab. Die Abschiebung kann auch mit anderen Mitteln als Haft gesichert werden (z.B. gelinderes Mittel oder Kaution). Unter den 1.536 Personen in asylrechtlicher Haft sind auch Dublin-Rückkehrer. Genaue Zahlen konnte BAH nicht nennen, es sind aber jedenfalls unter 10%. DublinRelevanz alleine bedeutet keinen Haftgrund. Hauptgrund für Haft in Dublin-Fällen ist u.a. mangelnde Mitwirkung am Verfahren bzw. Sicherungshaft für Dublin-Out-Fälle. Ein Strafverfahren gegen DublinRückkehrer wird nur dann eingeleitet, wenn sie in Ungarn eine Straftat begehen. Strafverfahren wegen etwaiger früherer Verletzung des Grenzzauns werden nicht eingeleitet (BFA 24.6.2016). Mit Stand 29.6.2016 befinden sich 738 Personen in geschlossener Unterbringung (VB 29.6.2016). Im Mai 2016 befanden sich in ganz Ungarn nur alleinstehende Männer in Asylhaft (VB 25.5.2016). Quellen: - Act LXXX of 2007 on Asylum (14.9.2015), per E-Mail - BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - EASO - European Asylum Support Office (03.2015): Description of the Hungarian asylum system following a mapping mission to Hungary on 16-20 March 2015, per E-Mail - ECRE/HHC - European Council on Refugees and Exiles/Hungarian Helsinki Committee (1.10.2015): Crossing Boundaries. The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (2.7.2015): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (7.9.2015): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (29.6.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (25.5.2016): Bericht des VB, per E-Mail www.ris.bka.gv.at

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5.3. Illegaler Grenzübertritt / Beschädigung des Grenzzauns Die Änderungen des ungarischen Asylgesetzes von August/September 2015 enthalten auch Bestimmungen für den Fall, dass Migranten den Grenzzaun illegal überqueren bzw. beschädigen. Illegale Überwindung des Zauns ist mit Haft in Höhe von bis zu 3 Jahren strafbar. Geschieht die Überwindung bewaffnet oder als Teil einer Ausschreitung beträgt das Strafausmaß 1-5 Jahre Haft. Geschieht die Überwindung bewaffnet und als Teil einer Ausschreitung sind 2-8 Jahre Haft möglich; kommt jemand zu Tode drohen 2-10 Jahre. Wird der Grenzzaun beschädigt ist das mit Haft in Höhe von bis zu 5 Jahren strafbar. Geschieht die Beschädigung bewaffnet oder als Teil einer Ausschreitung beträgt das Strafmaß 2-8 Jahre Haft. Geschieht die Beschädigung bewaffnet und als Teil einer Ausschreitung sind 5-10 Jahre Haft möglich; kommt jemand zu Tode drohen 20 Jahre bis lebenslange Haft. Im Zusammenhang mit Vergehen betreffend illegalen Grenzübertritt und Beschädigung des Grenzzauns sind bis zu einem Strafmaß von 5 Jahren Bewährungsstrafen möglich (anstatt bis 2 Jahre wie sonst üblich) und die Länge der Bewährung kann 2-10 Jahre betragen. Eine Ausweisung muss in jedem den Grenzzaun betreffenden Fall ausgesprochen werden, wenn eine Haftstrafe verhängt wird. Die NGO HHC meint, dass einige der Bestimmungen gegen internationale Verpflichtungen Ungarns verstoßen (HHC 16.9.2015; vgl. HHC 18.9.2015). Zwischen 15. September und 31. Dezember 2015 wurden insgesamt 1.064 Strafverfahren gegen Migranten eröffnet, die alle schnell zu Ende gebracht werden konnten. Die Strafe ist meist ein ein- oder mehrjähriges Einreiseverbot, dessen Höhe sich nach Geschlecht, und Alter des Angeklagten richtet. Frauen und junge Erwachsene erhalten in der Regel nur ein Jahr. Die wenigen Haftstrafen für Wiederholungstäter wurden zur Bewährung ausgesetzt. Die meisten akzeptieren die Strafe. (FRA 12.2015). Im Februar 2016 gab es wieder mehr illegale Grenzübertritte. Daraus resultierten 775 Strafverfahren, von denen 771 mit Verurteilungen zur Ausweisung und endeten. Die wenigen Haftstrafen für Wiederholungstäter wurden zur Bewährung ausgesetzt (FRA 2.2016). Laut Bericht des VB von Ende Februar ist die Kriminalisierung des illegalen Grenzübertritts strafrechtlich eher unbedeutend: Bei der großen Mehrheit der Verfahren wurden lediglich Aufenthaltsverbote verhängt, eine strafrechtliche Verurteilung gab es in nur knapp 1% aller Fälle, in der Regel dann, wenn eine Zerstörung des Grenzzauns auch mit Widerstand gegen die Staatsgewalt etc. einherging (VB 22.2.2016). Quellen: - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (12.2015): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. December 2015 monthly report, per E-Mail - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (2.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. February 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2016-monthly-compilation-com-update-3_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (16.9.2015): The Hungarian Helsinki Committee's opinion on the Governments amendments to criminal law related to the sealed border, http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/modification-of-criminal-laws-16092015.pdf, Zugriff 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (18.9.2015): No Country for Refugees. New asylum rules deny protection to refugees and lead to unprecedented human rights violations in Hungary, http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC_Hungary_Info_Note_Sept_2015_No_country_for_refugees.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (22.2.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail 6. Non-Refoulement Die NGO Hungarian Helsinki Committee betrachtet die ungarischen Gesetzesänderungen vom August und September 2015 als Verletzung mehrerer internationaler Verpflichtungen Ungarns, unter anderem auch des NonRefoulement-Prinzips durch die angenommene Drittstaatsicherheit Serbiens (HHC 18.9.2015; vgl. USDOS 13.4.2016).

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BAH hat zu prüfen, ob ein ASt. aufgrund von Non-Refoulement-Erwägungen für internationalen Schutz, subsidiären Schutz oder geduldeten Aufenthalt infrage kommt (AIDA 11.2015). (Näheres dazu in Kap. 4. "Drittstaatsicherheit Serbiens") Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (18.9.2015): No Country for Refugees. New asylum rules deny protection to refugees and lead to unprecedented human rights violations in Hungary, http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC_Hungary_Info_Note_Sept_2015_No_country_for_refugees.pdf, Zugriff 30.6.2016 - USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 Hungary, http://www.ecoi.net/local_link/322588/462069_de.html, Zugriff 30.6.2016 7. Versorgung Bedürftige Erstantragsteller sind während des gesamten Asylverfahrens, ab Antragstellung bis zum Vorliegen einer endgültigen Entscheidung, zu materieller Unterstützung berechtigt. Diese umfasst Unterbringung und Verpflegung. Die Bedürftigkeit ist mittels Eigendeklaration nachzuweisen (AIDA 11.2015). BAH kann eine private Unterbringung oder ein Unterbringungszentrum, oder eine andere geeignete Unterbringung als Ort des verpflichtenden Aufenthalts eines Antragstellers festlegen. Offene Unterbringungseinrichtungen können nur mit Genehmigung für mehr als 24 Stunden verlassen werden (Act LXXX 14.9.2015, §48). Die Versorgung von Asylwerbern umfasst neben den gesetzlich garantierten Rechten, Krankenversorgung, soziale Versorgung und Bildung. Dabei ist auf die Bedürfnisse Vulnerabler Rücksicht zu nehmen. Die Unterbringungsbedingungen können in Einzelfällen reduziert oder ganz gestrichen werden (unangemeldete Abwesenheit für mehr als 15 Tage; Folgeanträge ohne neue Elemente; mangelnde Mitarbeit am Verfahren; Verschweigen von Geldmitteln), das Recht auf medizinische Nothilfe bleibt aber bestehen (Act LXXX 14.9.2015, §§26-30; vgl. AIDA 11.2015). In Unterbringungszentren untergebrachte AW erhalten 3 Mahlzeiten am Tag (AIDA 11.2015). Das monatliche Taschengeld für Asylwerber wurde mit 1.4.2015 abgeschafft, genauso wie die Sonderzulage für Schulungsmaßnahmen (z.B. für Spracherwerb) und die Sonderzulage für Wohnraumbeschaffung (VB 4.4.2016; vgl. HHC 15.6.2016). Quellen: - Act LXXX of 2007 on Asylum (14.9.2015), per E-Mail - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (15.6.2016): Hungary: Recent legal amendments further destroy access to protection, April-June 2016, http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-Hungary-asylum-legal-amendments-Apr-June-2016.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (4.4.2016): Bericht des VB, per E-Mail 7.1. Unterbringung www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

In 1. Instanz haben alle bedürftigen AW Zugang zu Unterbringung und Versorgung. Folgeantragssteller bekommen Unterbringung und Versorgung bis in ihrem Fall eine nicht mehr anfechtbare rechtskräftige Entscheidung getroffen ist (BFA 24.6.2016). Momentan gibt es in Ungarn 4 offene Unterbringungszentren für AW mit zusammen etwa 1.000 Unterbringungsplätzen: 1. Unterbringungszentrum Bicske. 2. Gemeinschaftsunterkunft Balassagyarmat: für Folgeantragsteller, Geduldete, Personen im fremdenrechtlichen Verfahren, usw. 3. Unterbringungszentrum Vámosszabadi. 4. Temporäres Unterbringungszentrum Körmend (Zeltlager) (HHC 6.2016) Die Kinderheime in Fót und Hódmezovásárhely beherbergten im März 2016 etwa 10-15 Kinder, bei eine Kapazität von insgesamt 88 Plätzen. Die Fluktuation ist sehr hoch, 95% der Jugendlichen verlassen die Einrichtungen bereits nach einigen Tagen (FRA 4.2016). Außerdem sind folgende Einrichtungen geplant: * Temporäres Unterbringungszentrum Szentgotthárd (Zeltlager) bis auf weiteres nicht in Betrieb * Temporäres Unterbringungszentrum Kiskunhalas: voraussichtlich ab 1.7.2016 in Betrieb * Temporäres Unterbringungszentrum Kapuvár: Eröffnung im Laufe des Jahres geplant (BFA 24.6.2016) Geplant sind weiterhin die Schließung von Bicske und Vámosszabadi, aber es liegt diesbezüglich derzeit noch keine konkrete Entscheidung seitens der Regierung vor. Die Schließung von Unterbringungszentren hängt von der aktuellen Migrationslage und der jeweiligen Gesetzeslage ab. Die Entscheidung der Regierung über die Schließung eines Zentrums wird laut Aussage von BAH stark von der Stimmung in der Bevölkerung geprägt. Nach der Schließung der Aufnahmestelle in Debrecen wurden mehrere temporäre Stellen als Ersatz eröffnet (BFA 24.6.2016). Die Ausgaben für Asylwerber steigen seit Jahren (2013: EUR 6,1 Mio., 2014: EUR 8,8 Mio., 2015: EUR 18,1 Mio., 2016: EUR 13.3 Mio.). In den Transitzonen wurden von März bis Mai Essenspakete für über HUF 18 Mio. ausgegeben (BFA 24.6.2016). Die Zentren unterstehen BAH. NGOs, die mit BAH kooperieren und Dienstleistungen in den Zentren anbieten, werden von BAH koordiniert. Es ist noch nicht vorgekommen, dass AW wegen Platzmangel obdachlos geworden wären. Vulnerable werden nach Möglichkeit gesondert untergebracht (VB 4.3.2016; vgl. AIDA 11.2015; ÖB 9.9.2015, VB 25.5.2016). Alleinstehende Frauen werden üblicherweise zusammen mit Familien auf eigenen Stockwerken untergebracht. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. AW mit speziellen Bedürfnissen sollen getrennt untergebracht werden (AIDA 11.2015). Mit Stand 29.6.2016 sind in Ungarn 1.132 Personen in offener Unterbringung (VB 29.6.2016). Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

- BFA (24.6.2016): Ergebnisprotokoll zum Expertentreffen BFA-BAH, 14./15.Juni 2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (4.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. April 2016 monthly report - HHC - Hungarian Helsinki Committee (6.2016): The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary, http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/Hungary-asylum-reception-infrastructure.pdf, Zugriff 30.6.2016 - ÖB - Österreichische Botschaft (9.9.2015): Bericht der ÖB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (4.3.2016): Bericht des VB, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (29.6.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (25.5.2016): Bericht des VB, per E-Mail 7.2. Medizinische Versorgung Die Versorgung von Asylwerbern umfasst auch Krankenversorgung. Dabei ist auf die Bedürfnisse Vulnerabler Rücksicht zu nehmen. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, Leistungen reduziert oder gestrichen werden, bleibt das Recht auf medizinische Notversorgung bestehen (Act LXXX 14.9.2015, §§26-30; vgl. AIDA 11.2015). AW haben mehrmals die Woche Zugang zu Allgemeinmedizinern und täglichen Zugang zum Krankenpflegepersonal in den Unterbringungszentren. Der Zugang wird allerdings durch die Sprachbarriere geschmälert. Übersetzer sind nicht immer verfügbar. Medizinische Spezialbehandlung wird in den umliegenden Spitälern gewährleistet. Aber auch dort gibt es Verständigungsprobleme (AIDA 11.2015). Da EASO und der aktuelle AIDA-Bericht im Februar bzw. März des 2015 zu dem Schluss kamen, dass die psychologische Betreuung (Folteropfer, PTBS, geistig stark Behinderte und Suchtkranke) in ungarischen Zentren nicht abgedeckt werden könne (AIDA 17.2.2015; EASO 03.2015), wurde dieser Punkt im Zuge eines Arbeitsgespräch mit BAH am 16.9.2015 gezielt nachgefragt. Laut BAH ist in allen Unterbringungszentren medizinische Basisversorgung gegeben. Wenn kein Psychologe im Zentrum anwesend sein sollte, hätten die Ärzte des Zentrums die Möglichkeit den Betreffenden zu einem Spezialisten zu überweisen. Auch NGOs hätten Zugang zu den Zentren und böten psychologische und soziale Hilfe. Dies sei in eigenen Kooperationsabkommen niedergelegt. Sozialarbeiter gebe es in jedem Zentrum und diese seien sehr engagiert (BAH 16.9.2015). Der AIDA-Bericht von November 2015 besagt, dass ein Mangel an spezialisierten Diensten bestehe und nur wenige Experten die relevanten Sprachen sprächen oder Erfahrung mit Folteropfern hätten. Die NGO Cordelia sei die einzige Organisation mit der notwendigen Erfahrung in der psychologischen Betreuung von Folteropfern in den Unterbringungszentren. Ihre Kapazität sei jedoch begrenzt und ihre Finanzierung von Projekten abhängig. Die medizinische Betreuung ernsthaft psychisch Kranker wird weiterhin als ungelöstes Problem beschrieben. Suchtkranke haben angeblich keinen Zugang zu relevanten Behandlungen (AIDA 11.2015). Notwendige Medikamente erhält ein Patient ebenfalls kostenfrei. Zahnarztbehandlungen werden in Notfällen gewährt. (BT 2.3.2012) Die EU-Grundrechtsagentur FRA bezeichnet Ende Februar 2016 die Krankenversorgung in den Unterbringungszentren als zufriedenstellend und nennt keine Beschwerden über Verfügbarkeit bzw. Professionalität von Behandlung und Medikation. Sogar die ernstesten medizinischen Probleme seien in naheliegenden Spitälern behandelt worden. FRA zitiert NGOs, welche sich über die medizinische Versorgung in Hafteinrichtungen beschwerten, die nur sehr grundlegender Natur und schwerfällig sei, wovon auch Kinder betroffen seien (FRA 2.2016). Quellen: - Act LXXX of 2007 on Asylum (14.9.2015), per E-Mail - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (17.2.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida__hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf, Zugriff 30.6.2016 - BAH - ungarisches Büro für Immigration und Nationalität (16.9.2015): Arbeitsgespräch mit BAH - BT - Deutscher Bundestag (2.3.2012): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE; Drucksache 17/8653; Überstellung von Asylsuchenden im Dublin-Verfahren nach Ungarn trotz drohender Inhaftierung und Abschiebung vor Ende des Asylverfahrens - Cordelia Foundation for the Rehabilitation of Torture Victims (31.5.2010): Report on Public Interest, 1 January 2009 - 31 December 2009, http://www.cordelia.hu/documents/PUBLIC%20INTEREST%20REPORT_CORDELIA_2009.pdf, Zugriff 30.6.2016 - EASO - European Asylum Support Office (03.2015): Description of the Hungarian asylum system following a mapping mission to Hungary on 16-20 March 2015, per E-Mail - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (2.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. February 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2016-monthly-compilation-com-update-3_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 8. Schutzberechtigte Im März 2016 wurde ein Paket von Änderungen zum ungarischen Asylgesetz präsentiert, dessen Ziel es war, Verschärfungen bei der Versorgung von AW und Schutzberechtigten durchzusetzen. Zentraler Punkt ist dabei der Aspekt, dass Schutzberechtigte zwar ein Recht auf dieselben sozialen Leistungen haben sollen, wie ungarische Staatsbürger, jedoch darüber hinaus nicht bessergestellt werden sollen. Demgemäß sollen weder Asylwerber noch Inhaber eines Schutzstatus ein Recht auf jedwede Art von Barzuschüssen haben. Die Änderungen traten am 1.4.2016 in Kraft und sind ab 1.6.2016 umzusetzen. Relevante Punkte der sogenannten "Integration Care" sind die Abschaffung des Integrationsvertrages (d.h. keine Mehrzahlungen für Integration, Spracherwerb etc.) und Einführung automatischer Kontrolle des Schutzstatus (subsidiärer wie auch internationaler Schutz (Fortbestehen der Asylgründe und Überprüfung von Integrationsfortschritten) alle 3 Jahre. Bedürftige Schutzberechtigte dürfen 30 Tage nach Statuszuerkennung im Aufnahmezentrum bleiben (bisher 60 Tage). Nicht sozialversicherte Schutzberechtigte sollen hinkünftig für 6 Monate das Recht auf medizinische Versorgung haben (bisher 12 Monate). Wohnkostenzuschuss und Ausbildungszuschuss für Schutzberechtigte werden gestrichen, ebenso Streichung der finanziellen Unterstützung für Geduldete. Die ungarische Regierung sieht dies lediglich als Anpassung an Regelungen, wie sie in Westeuropa bereits gelten. In Ungarn gibt es diverse NGOs, Sozialzentren etc., die kostenlos Leistungen anbieten (z.B. Sprachkurse), aber es besteht auf solche Unterstützung kein Rechtsanspruch (VB 11.3.2016; VB 4.4.2016; vgl. FRA 6.2016; HHC 15.6.2016). Geduldete können in der Gemeinschaftsunterkunft Balassagyarmat untergebracht werden (AIDA 11.2015). Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (6.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. June 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-june-2016-monthly-migration-gender-basedviolence_en.pdf, Zugriff 30.6.2016

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- HHC - Hungarian Helsinki Committee (15.6.2016): Hungary: Recent legal amendments further destroy access to protection, April-June 2016, http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-Hungary-asylum-legal-amendments-Apr-June-2016.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (11.3.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (4.4.2016): Auskunft des VB, per E-Mail Beweiswürdigend wurde seitens der belangten Behörde zusammenfassend festgehalten, dass die Identität des Beschwerdeführers in Ermangelung der Vorlage identitätsbezeugender Dokumente nicht habe festgestellt werden können. Dass dieser an einer schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung litte, sei weder aus dessen Angaben noch aus der Aktenlage ersichtlich. Es könne demgemäß nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einer Überstellung seiner Person nach Ungarn entgegenstünde. Die Feststellungen zum zuständigkeitsbegründenden Sachverhalt ergäben sich aus der unbedenklichen Aktenlage, die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Reiseroute erwiesen sich als plausibel nachvollziehbar, widerspruchsfrei und in Einklang mit den amtswegigen Ermittlungsergebnissen. Bezüglich der Schilderung des Beschwerdeführers, Misshandlungen durch ungarische Polizeiorgane ausgesetzt gewesen zu sein, stünde es dem Beschwerdeführer offen, diese "mit Nachdruck" auf- und anzuzeigen. Ihm stünden in Ungarn dieselben in einer Demokratie vorhandenen Rechtschutzmöglichkeiten gegen Übergriffe der Polizei zur Verfügung, wie jedem anderen ungarischen Staatsbürger. Auch lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die ungarischen Behörden nicht willens wären, gegenüber Asylwerbern stattgefundene Polizeiübergriffe zu verfolgen. Den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich einer unmenschlichen Behandlung seiner Person sei entgegenzuhalten, dass es sich hierbei um reine Mutmaßungen spekulativer Natur handle. Der Beschwerdeführer stelle lediglich Behauptungen in den Raum, ohne diese belegen zu können. Er habe sohin nicht glaubhaft gemacht, in Ungarn Misshandlung, Verfolgung oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt (gewesen) zu sein. In rechtlicher Hinsicht wurde insbesondere festgehalten, dass sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers die formelle Erfüllung des Artikel 18 Absatz 1 lit b Dublin III-VO ergebe. Im Falle des Beschwerdeführers liege kein Familienbezug zu einer in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Person vor. Eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers würde sohin nicht zu einer Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art 7 GRC bzw Art 8 EMRK führen. Des Weiteren finden sich die folgenden rechtlichen Erwägungen im angefochtenen Bescheid: "(...) Der im Spruch genannte Staat ist bereit, Sie einreisen zu lassen und Ihren Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen bzw. die sonstigen ihn aus der Dublin III-VO und anderen einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsakten treffenden Verpflichtungen Ihnen gegenüber zu erfüllen. Es ist festzustellen, dass in Ungarn, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union als einer Rechts- und Wertegemeinschaft und des Europarates, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung der EMRK im gegenständlichen Zusammenhang nicht eintreten wird. Auch aus der Rechtsprechung des EGMR oder aus sonstigem Amtswissen lässt sich eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Ungarn keinesfalls erkennen. Gem. Art. 16 (3) und (4) der Aufnahmerichtlinie können die Mitgliedstaaten Sanktionen für grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und grob gewalttätiges Verhalten festlegen. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall Zugang zur medizinischen Notversorgung. Gegen Italien hat die Europäische Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 des EG-Vertrages wegen Verletzung der Status-, Verfahrens-, oder Aufnahmerichtlinie eingeleitet. Zusammengefasst ist daher festzustellen, dass in Ungarn von einer unbedenklichen asylrechtlichen Praxis, der Beachtung des Non-Refoulements-Schutzes, der Existenz einer Grund- und Gesundheitsversorgung, sowie einer unbedenklichen Sicherheitslage ausgegangen werden kann.

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Im gegenständlichen Fall wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich Ungarn aufgrund der Dublin III Verordnung zur Übernahme bereit erklärte und somit europarechtlich zur Prüfung des Asylantrages verpflichtet ist. Ebenso hat Ungarn die Statusrichtlinie, die Verfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie anzuwenden, ein den dort genannten Anforderungen entsprechendes Asylverfahren zu führen, beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Schutz zu gewähren und für die Dauer des Verfahrens eine entsprechende Grundversorgung zu bieten. Sie konnten nicht konkret und substantiiert vorbringen, warum Ungarn in Ihrem Fall Ihren Asylantrag nicht unter Einhaltung der innerstaatlichen, völker- und europarechtlichen Bestimmungen prüfen und eine entsprechende Entscheidung treffen sollte, weshalb die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall nicht erschüttert werden konnte. Ein von Ihnen im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Art. 4 Grundrechtecharta, beziehungsweise von Art. 3 EMRK, im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG trifft daher zu. (...)" Der angeführte Bescheid wurde vom Beschwerdeführer mitsamt einer Verfahrensanordnung über die amtswegige Beigebung einer Rechtsberatungsorganisation für eine allfällige Beschwerdeerhebung am 7.9.2016 übernommen. 3. Gegen den dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde am 21.09.2016 (Datum des Poststempels), unter gleichzeitiger Bekanntgabe des im Spruch bezeichneten Vollmachtsverhältnisses, fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher die Erledigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vollumfänglich aufgrund unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurde. Dies wurde im Einzelnen zusammenfassend damit begründet, dass die Behörde eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der möglichen Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung im Falle der Gefahr einer Artikel 3 EMRK bzw Artikel 4 GRC widersprechenden Behandlung unterlassen habe. Vielmehr habe die Behörde eine, nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unzulässige, vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen. Diesbezüglich werde auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 17.6.2005, B 336/05, hingewiesen, welche die Behörde unberücksichtigt lassen habe. Ungarn könne demgemäß keinesfalls zweifelsfrei als sicher angesehen werden. Die Vermutung, wonach in Bezug auf am Dublin-System teilnehmende Staaten von einer Achtung der durch die MRK garantierten Grundrechte ausgegangen werden könne, erwiese sich unter Anführung entsprechender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und europäischer Gerichte nicht als unwiderlegbar. Eine solche Widerlegung könne dann erfolgen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht würden, dass die betreffende Person im Falle einer Überstellung tatsächlich Gefahr einer gegen die oben angeführten Bestimmungen verstoßenden Behandlung liefe. In diesem Zusammenhang werde auf die Bestimmungen der Artikel 3 Absatz 2 zweiter Satz sowie Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-Verordnung verwiesen. Im Falle der Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsgefahren, insbesondere der ordnungsgemäßen Würdigung der vorliegenden Länderberichte in Zusammenschau mit medialer Berichterstattung, hätte die Behörde zur Feststellung gelangen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Ungarn ein reales Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Ungarn selbst sowie die Gefahr einer Kettenabschiebung nach Serbien, einem Land, in welchem er einer Gefährdung seiner Rechte nach Artikel 3 EMRK bzw Artikel 4 GRC ausgesetzt wäre, bestünde und Österreich sohin fallgegenständlich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts verpflichtet wäre. Die seitens der Behörde herangezogenen Feststellungen zur aktuellen Lage in Ungarn erwiesen sich als unvollständig und zum Teil einseitig und könne mangels darin ersichtlicher Kritik am ungarischen Asylwesen nicht von einer Ausgewogenheit der Quellen gesprochen werden. Aktuellere Erkenntnisquellen seien unberücksichtigt geblieben, auch ziehe die belangte Behörde ihre eigenen Quellen nicht in die vorgenommene Beweiswürdigung mit ein. Zudem werde auf eine in Ungarn drohende willkürliche Inhaftierung hingewiesen, wobei auf einen auf Bordermonitoring.eu abrufbaren Bericht aus Juli 2016 sowie die kürzlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinsichtlich einer in Verletzung des Artikel 5 EMRK erfolgten Inhaftierung einer Asylsuchenden in Ungarn (Rechtssache O.M. v. HUNGARY, appl no 9912/17 vom 5.7.2016) verwiesen werde. Zudem würden in Ungarn unmenschliche Haftbedingungen in Abschiebegefängnissen herrschen, welche im vergangenen Jahr etwa durch Human Rights Watch sowie den ungarischen Ombudsmann kritisiert worden wären. Human Rights Watch berichte desweiteren, dass Flüchtlinge, welche die ungarische Grenze überqueren wollten, durch ungarische Polizeiorgane geschlagen und misshandelt würden, diesbezüglich werde zur Veranschaulichung auf einen am 11.5.2016 dokumentierten besonders brutalen Vorfall einer Zurückschiebung nach Serbien hingewiesen. Im Übrigen wird die Gefahr einer Kettenabschiebung nach Serbien, Griechenland oder in die Türkei ins Treffen www.ris.bka.gv.at

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geführt. Aufgrund der geltenden ungarischen Rechtslage bestünde jedenfalls die Möglichkeit, auch DublinRückkehrerInnen nach Serbien zu überstellen; dass dies in einigen, dem im Bescheid angeführten Monitoring zugrundeliegenden, Fällen nicht der Fall gewesen wäre, stelle keinen hinreichenden Schutz vor einer derartigen Abschiebung dar. Dem Beschwerdeführer stünde in Ungarn aufgrund seiner Einreise über Serbien zufolge der im Bescheid angeführten Länderbeichte lediglich die Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens offen, zumal sein Antrag dadurch als offenbar unbegründet gelten würde. Zudem würden in Ungarn im Rahmen des Beschwerdeverfahrens keine kostenlosen Dolmetscher zur Verfügung gestellt, weshalb in der Praxis keine Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsberatung und Einbringung einer durch einen Rechtsberater unterstützen Beschwerde bestünde. Im Übrigen werde auch Griechenland seitens Ungarns als sicheres Land für Flüchtlinge erachtet. Hingewiesen werde des Weiteren auf eine rezente Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Schubhaftverfahren vom 22.07.2016, W117 2129888-1, in welchem vor dem Hintergrund medialer Berichterstattung keine Verbesserung der Situation von Flüchtlingen in Ungarn erkennbar gewesen wäre. Die Allgegenwärtigkeit systemischer Mängel im ungarischen Asylverfahren sei auch seitens diverser deutscher Gerichte bestätigt worden, diesbezüglich werde auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27.05.2016, VG 6 L 276.16 A, sowie des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5.7.2016, A 11 S 974/16, hingewiesen. In letzterer Entscheidung werde insbesondere festgehalten, dass es aufgrund des Umstandes, dass Ungarn niemanden zurücknehme, zu einer faktischen Nichtüberstellbarkeit käme und daher aufgrund des der Dublin-Verordnung zugrundeliegenden Beschleunigungsgebotes von einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts Gebrauch zu machen wäre. Letztlich sei auch auf eine rezente Entscheidung des UK High Court vom 5.8.2016 hinzuweisen, im Rahmen derer davon ausgegangen worden sei, dass eine Überstellung nach Ungarn ein signifikantes Risiko einer Verletzung des Non-Refoulemt-Prinzips begründe. Desweiteren wäre das Bundesamt vor dem Hintergrund der EGMR-Entscheidung in der Rechtssache Tarakhel zur Einholung einer individuellen Zusicherung der ungarischen Behörden in Hinblick auf eine angemessene Unterbringung und Versorgung des Beschwerdeführers angehalten gewesen. Letztlich entspreche die seitens der Behörde vorgenommene Beweiswürdigung nicht den Erfordernissen einer schlüssigen Entscheidungsbegründung und ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens, zumal das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der in Ungarn erlittenen Misshandlung weitgehend unberücksichtigt geblieben worden sei. Die Behörde habe es unterlassen, diesen Sachverhaltsaspekt im Rahmen einer ergänzenden Befragung näher zu klären. Da jedoch das diesbezügliche Vorbringen mit jenem anderer über Ungarn eingereister Flüchtlinge sowie den Beobachtungen unabhängiger Menschenrechtsorganisationen im Einklang stünde, könne nicht vorweg von einer Unglaubwürdigkeit desselben ausgegangen. Auch seien dem Bescheid keine hinreichenden Feststellungen hinsichtlich einer in Bezug auf die im Falle des Beschwerdeführers vorliegenden Erkrankungen tatsächlich gegebenen Behandlungsmöglichkeit in Ungarn zu entnehmen. Die seitens der Behörde ins Treffen geführte Möglichkeit, die erlittenen Übergriffe in Ungarn zur Anzeige zu bringen, stelle im Übrigen eher eine theoretische dar, welche sich in der Praxis für eine sprach- und ortsunkundige Person als schwierig erweisen dürfte. Auch aufgrund der bereits erfahrenen schlechten Behandlung durch Polizeiorgane erwiese sich eine Anzeigeerstattung bei ebensolchen als nicht erwartbar. Im Ergebnis drohe dem Beschwerdeführer aufgrund der als systematisch zu betrachtenden Mängeln im ungarischen Asylsystem, der maßgeblichen Gefahr einer (Ketten-)Abschiebung nach Serbien sowie der unzureichenden medizinischen Behandlung im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine Verletzung seiner durch Artikel 3 EMRK und 4 GRC garantierten Rechte. Es würden daher die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) der Beschwerde gemäß § 17 Abs 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aufgrund der befürchteten Verletzung der Artikel 3 EMRK und 4 GRC zuerkennen, 2.) der Beschwerde stattgegeben, den angefochtenen Bescheid beheben, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz für zulässig erklären und zur Führung eines inhaltlichen Verfahrens an das Bundesamt verweisen, 3.) die dauerhafte Unzulässigkeit der gemäß § 61 FPG angeordneten Außerlandesbringung feststellen, in eventu 4.) der Beschwerde stattgeben, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an die Behörde zurückzuverweisen, in eventu 5.) die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage, ob eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn eine Verletzung seiner durch Artikel 3 EMRK und 4 GRC garantierten Rechte darstelle und Österreich sohin hinsichtlich eines Selbsteintritts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO verpflichtet sei, zuzulassen. 4. Die hiergerichtliche Beschwerdevorlage im Sinne des § 16 Abs. 4 BFA-VG an die zuständige Gerichtsabteilung W125 erfolgte am 3.10.2016.

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5. Mit hiergerichtlichem Beschluss vom 07.10.2016 wurde der verfahrensgegenständlichen Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG mit näherer Begründung die aufschiebende Wirkung zuerkannt und in der Folge eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 24.10.2016 anberaumt. Im Vorfeld der Verhandlung wurde die belangte Behörde mit Schreiben vom 18.10.2016, unter gleichzeitiger Übermittlung des UNHCR-Berichts zur "Situation von Asylsuchenden nach einer Rücküberstellung nach Ungarn gemäß der Dublin-Verordnung" vom 9.9.2016 (darin findet sich am Ende die Passage, dass die ungarische Regierung die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten am 27.4.2016 informiert hätte, dass Ungarn keinen weiteren Übernahmeersuchen nach der Dublin-Verordnung zustimmen werde; bisher durchgeführte Dublin-Überstellungen seien vor diesem Datum genehmigt worden) ersucht, spätestens anlässlich der Verhandlung zur Frage Stellung zu beziehen, ob im zu beurteilenden Fall aus Sicht der Behörde objektive, zuverlässige und aktuelle Anhaltspunkte vorlägen, wonach Ungarn eine Überstellung des Beschwerdeführers im Sinne der Dublin III-Verordnung tatsächlich akzeptieren werde und eine solche - im Falle der Durchführbarkeit der angefochtenen Entscheidung - zeitnah erfolgen könnte. Mit E-Mail des BFA vom 20.10.2016 teilte die Direktion des BFA mit, dass an der Verhandlung zwei Behördenvertreter teilnehmen würden. Mit Schreiben vom 21.10.2016 wurde seitens der (verfahrensführenden) Regionaldirektion Vorarlberg des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (gleichzeitig mit einer Entschuldigung für das Nichterscheinen bei der Verhandlung) mitgeteilt, dass laut neuesten Informationen des Dublin-Büros der Erstaufnahmestelle West im vorliegenden Fall "eine zeitnahe Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn nicht absehbar sei" (OZ 7 und 8 des Gerichtsaktes). 6. Am 24.10.2016 fand am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes statt. An dieser Verhandlung nahmen neben dem erkennenden Einzelrichter (ER) als Vorsitzenden, einer juristischen Mitarbeiterin und der Schriftführerin des Bundesverwaltungsgerichtes der Beschwerdeführer (BF), dessen Rechtsberater als Vertreter (BFV), ein Dolmetscher für die somalische Sprache sowie zwei Organe der Direktion des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als Vertreter der (Direktion der) belangten Behörde (BEhV1 und BehV2-Staatendokumentation) teil. Die Verhandlung nahm in ihren gegenständlich relevanten Teilen den folgenden Verlauf: "(...) Verlesen werden insbesondere auch OZ 7 und OZ 8, sowie die hg. Verfügung, vom 18.10.2016 und der hg. Beschluss über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Zu OZ 7 und OZ 8 nimmt BehV1 wie folgt Stellung: In diesem Fall handelt es sich um ein Missverständnis. Die RD Vorarlberg wollte ihr eigenes Nichterscheinen entschuldigen. Wir sind natürlich als Behördenvertreter hier und vertreten in diesem Fall das Amt. Es handelt sich bezüglich der weiteren Ausführung hinsichtlich der Unmöglichkeit einer zeitnahen Überstellung um ein weiteres Missverständnis: Hier wurde auf das Element der aufschiebenden Wirkung Bezug genommen und dass aus diesem Grunde eine Überstellung nicht stattfinden könne, solange die aufschiebende Wirkung besteht. OZ 7 und OZ 8 werden auf dessen Ersuchen dem BFV ebenso zur Stellungnahme ausgefolgt: Dieser verzichtet auf eine Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt. (...) ER: Können Sie sich an Ihre im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Erstbefragung am 18.02.2016, Einvernahme vor dem BFA am 31.08.2016) getätigten Angaben erinnern? BF: Ja. Ich kann mich an alles erinnern und ich habe damals auch die Wahrheit gesagt. ER: Haben Sie bisher im Verfahren, vor dem BFA, immer die Wahrheit angegeben oder wollen Sie irgendetwas korrigieren? BF: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt. Ich will auch nichts korrigieren.

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VR: Verfügen Sie über identitätsbezeugende Dokumente? BF: Nein. ER: Haben Sie familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich oder im Raum der Europäischen Union, Norwegen, Liechtenstein oder der Schweiz? BF: Ja. Zwei meiner Geschwister leben in Norwegen. Sie haben schon die norwegische Staatsbürgerschaft. ER: Stehen Sie in Kontakt zu diesen Geschwistern und wie? BF: Ja. Telefonischer Kontakt. ER: Wo wohnen diese Geschwister in Norwegen, zu welchen Sie in Kontakt stehen? BF: Mein älterer Bruder lebt in Oslo. Meine Schwester lebt in einem Dorf außerhalb von Oslo. Wie dieses heißt, weiß ich nicht. ER: Wann haben Sie Ihre Geschwister letztmalig gesehen? BF: Vor zehn Jahren. Wir hatten jedoch ständig telefonischen Kontakt. ER: Bitte beschreiben Sie das Verhältnis zu den genannten Angehörigen etwas näher, insbesondere wie oft und in welcher Form (persönlich/telefonisch) Sie zu diesen Kontakt haben und ob eventuell ein finanzielles oder sonstiges persönliches Abhängigkeitsverhältnis zu den genannten Angehörigen besteht. BF: Als ich in Somalia war, haben sie mir mehrmals Geld geschickt. Seit ich in Europa bin, schicken sie mir kein Geld. Sie sagten, dass ich keine Unterstützung von ihnen brauche, da ich in einem europäischen Land bin. Ich telefoniere mit meiner Schwester selten, weil sie verheiratet ist. Mein Bruder und ich telefonieren fast jeden Tag. ER: Haben Sie noch weitere Geschwister? BF: Nein, nur die zwei leben in Europa. ER: Stehen Sie aktuell in ärztlicher Behandlung in Österreich? Nehmen Sie Medikamente ein? (AS 121: BF trage eine Zahnprothese und leide an Hämorrhoiden) BF: Ja. Ich nehme Medikamente ein. BF: Für die Nerven nehme ich "Nervenruh Forte". Wegen der Zahnschmerzen nehme ich Voltaren Rapid 50 mg und Dalacin C, 300mg Kapseln (BF verweist auf die im Akt ersichtliche Behandlung wegen Zahnprothesen). In Zusammenhang mit meinen Schmerzen wegen der Hämorrhoiden nehme ich ferner Hädensa, 6 Zäpfchen und Daflon 500 mg und Scheriproct. Die Medikamentenschachteln werden in Augenschein genommen. Der BF legt ferner eine Visitenkarte seines Zahnarztes vor, aus der hervorgeht, dass er am 01. und 02. September 2016 in Behandlung war und am 15. November 2016 den nächsten Termin hat. BFV ergänzt, dass es sich nicht um "normale Zahnschmerzen" handle, sondern um ein erhebliches Zahnproblem, wie schon aus den im Akt befindlichen Heilkostenplänen vom 27.06.2016 hervorgehe und werden Kopien dieser Pläne neuerlich vorgelegt. ER: Sind diese Zahnbehandlungen im Prinzip abgeschlossen, oder sind die Behandlungen, bezüglich derer die Heilkostenpläne vorgelegt wurden, immer noch offen?

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BF: Die Behandlung ist noch immer nicht abgeschlossen. ER: Ist das nicht eher nur ein Kontrollbesuch, weil die Prothesen haben Sie schon? BF: Diese Zahnprothese ist nur zum Hineingeben. Wenn ich etwas esse, muss das gut gekocht sein, damit ich wenig kauen muss. Am 15. November 2016 ist dann geplant, dass alles herausgenommen wird und dass ich neue Zähne bekomme, damit ich auch etwas essen kann. Ich habe beim Arzt auch nachgefragt, wie lange das dauern wird. 3 Monate vom 15. November 2016 weg. ER: Bitte beschreiben Sie nochmals Ihre Reiseroute aus Ihrem Herkunftsstaat Somalia nach Österreich. BF: Ich flog von Somalia über Dubai in den Iran. Von dort kam ich in die Türkei und Griechenland. Mit einem Schlauchboot kam ich nach Griechenland. Von Griechenland kam ich nach Mazedonien und zwar überquerte ich die Grenze zu Fuß. Weiter gelangte ich nach Serbien und von dort fuhr ich zunächst von Belgrad mit einem Taxi zur ungarischen Grenze. Dort wartete jemand auf uns, der mit uns zu Fuß über die Grenze ging. Nachdem wir auf der ungarischen Seite angekommen sind, wurden wir aufgegriffen. Nachdem die Grenzpolizei uns gesehen haben, kamen sie zu uns und begannen uns zu schlagen. Nachdem sie uns geschlagen haben, nahmen sie uns mit und brachten uns in ein Gefängnis. Vier Stunden haben sie uns mit einem Seil sehr stark gefesselt. Ich sagte ihnen, dass es zu fest sei und ich Schmerzen hätte, aber sie ließen mich gefesselt. Ich lag auf dem Boden, die Hände nach hinten gefesselt, der Polizist hat die Füße auf mich gestellt und mich am Boden festgehalten. Das war an der Grenze. Dort war es sehr kalt. Sie brachten uns in der Folge in ein Gefängnis. Nach zwei Tagen haben sie uns gefragt, was wir überhaupt in Ungarn wollen. Wir hatten keinen Dolmetscher. Ein Freund von uns konnte Englisch. Sie haben unsere Fingerabdrücke abgenommen. Danach brachten sie uns vor ein Gericht. Ich weiß aber nicht, wo dieses Gericht war. Es war ein kleines Zimmer. Nach ein paar Stunden Verhandlung hat der Richter uns gesagt: "Ihr seid jetzt frei. Wenn ihr wollt, könnt ihr den Asylantrag stellen. Wenn ihr weiter fahren wollt, könnt ihr weiter nach Europa fahren". Das hat so lange gedauert, weil wir fast 50 Personen waren und wir einzeln hineingehen mussten. Auf Nachfrage: Da war ein somalischer Dolmetscher. Ich habe dann auch einen Brief von ihnen bekommen, dieser war auf Ungarisch. Ich habe ihn weggeworfen, bevor ich nach Österreich kam. In dem Gefängnis war ich drei Tage lang. Ich habe nur etwas zu trinken bekommen. Biskuits haben wir zu essen bekommen und sonst nichts. ER: Was passierte nach der Entlassung aus dem Gefängnis weiter? BF: Sie haben uns in ein Lager gebracht; den Namen weiß ich nicht, aber es ist ca. 60km von der ungarischen Hauptstadt entfernt. Ich hatte aber ein bisschen Geld bei mir. Ich dachte, wenn uns die ungarischen Polizisten so behandelt haben, dann habe ich keine Chance in Ungarn zu bleiben und ich begab mich daher nach Österreich. ER: Hatten Sie also in dem Lager eine Einvernahme zu Ihrem Asylverfahren oder nicht? BF: Nein. Ich war nicht einmal eine Stunde in dem Lager. ER: Wie sind Sie nach Österreich gelangt? BF: Der Schlepper, der vor der Grenze gewartet hat, war schon in dem Lager und hat gefragt, ob ich weiterfahren will, wenn ja, wurde ich gefragt, was ich an Geld bei mir habe. Mit dem Schlepper und einem Freund kam ich dann zu einer Frau, die uns in ihrem Auto nach Österreich brachte. ER: War Österreich von Anfang an Ihr Zielland? BF: Von Anfang an wollte ich nur nach Europa und in einem europäischen Land einen Asylantrag stellen. Als ich in Ungarn angekommen bin, habe ich mich entschlossen, in Österreich einen Asylantrag zu stellen. VR: Bitte berichten Sie kurz über Ihren Aufenthalt in Griechenland. Sind Sie mit den dortigen Behörden in Kontakt getreten? Weshalb haben Sie in Griechenland nicht um Asyl angesucht?

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BF: Ich habe dort keinen Asylantrag gestellt. Ich weiß es nicht, warum ich dort keinen Asylantrag gestellt habe. ER: Sie hatten doch Kontakt mit Behörden in Griechenland? BF: Ja. Als wir auf der griechischen Seite angekommen sind, stand vor uns ein Auto. Da stand drauf "UNHCR". Sie haben uns mitgenommen. Sie brachten uns in ein Lager, wo uns Fingerabdrücke abgenommen wurden. Wir erhielten einen Zettel, auf dem stand, dass wir in Griechenland bleiben können. Wenn wir weiterfahren wollen, könnten wir aber auch wegfahren. ER: Sie haben überhaupt keine Papiere, weder aus Ungarn, noch aus Griechenland? BF: Der Schlepper fragt, bevor er dich mitnimmt, ob du irgendwelche Beweismittel bei dir hast. Wenn du es bejahst, fordert er dich auf, alles wegzuwerfen. ER: Wie viel Zeit ist in Österreich zwischen Ihrer Einreise und der Antragstellung vergangen? Am 17. Februar 2016 haben Sie einen Asylantrag gestellt, der Aktenlage nach. BF: Von diesem Lager in Ungarn bis zu meiner Antragstellung in Österreich vergingen insgesamt nur ungefähr vier Stunden. ER: Was hat aus Ihrer Sicht konkret gegen den Verbleib in der Flüchtlingsunterkunft bzw. die Führung Ihres Verfahrens auf internationalen Schutz in Ungarn gesprochen? BF: Als wir in Ungarn angekommen sind und uns die Polizisten so schlecht behandelt haben, dachte ich, ich hätte keine Chance. In Europa wollte ich in Frieden leben. In meinem Heimatland hatte ich ja Probleme und ich wollte nicht wieder Probleme haben. Ich hatte auch keine Möglichkeit gehabt, die Polizisten anzuzeigen. ER: Wollen Sie über Ihre Behandlung in Ungarn noch etwas ergänzen? BF: Ja. Während dieser drei Tage, die ich im Gefängnis war, habe ich auch zum Polizisten gesagt, dass ich Zahnschmerzen und nichts zu essen hätte. Der Polizist sagte nur, ich solle still bleiben. Manchmal, wenn wir dringend die Notdurft verrichten mussten und den Polizisten diesbezüglich gefragt haben, sagte uns der Polizist nur, wir sollen still sein oder er hat uns geschlagen. Am Anfang sagte er, du sollst still bleiben. Wenn man immer wieder fragt, fangen sie an zu schlagen, auf den Körper, egal, wohin er trifft. Ich wurde im Gefängnis nicht so geschlagen, aber andere wurden geschlagen. ER: Was befürchten Sie für den Fall einer Rückkehr nach Ungarn und dortigen Behandlung ihres Antrages auf internationalen Schutz? BF: Wenn ich wieder nach Ungarn zurückgebracht werde, werden sie mich entweder einsperren oder sie behandeln mich schlecht. Dort gibt es keine medizinischen Möglichkeiten. Fragen des Beschwerdeführervertreters: BFV: Wurde Ihnen jemals der Grund der Haft genannt? BF: Ja. Weil wir illegal in das Land eingereist sind. Als wir in diesem Gefängnis angekommen sind, hat uns das ein Polizist gesagt. BFV: In welcher Sprache? BF: Meinem Freund, der Englisch sprechen konnte, dem hat es der Polizist auf Englisch gesagt. BFV: Wann haben Sie den Asylantrag gestellt in Ungarn? BF: Ich habe dort keinen Asylantrag gestellt und ich weiß es nicht. BFV: Wann wurden Ihnen die Fingerabdrücke in Ungarn abgenommen?

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BF: Ich weiß nicht, entweder am 14. oder am 16. Februar 2016. Man sagte uns, die Fingerabdruck-Abnahme wäre nicht erfolgt im Zusammenhang mit der Stellung des Asylantrages, sondern wegen der illegalen Einreise. Das war im Gefängnis, wo die Fingerabdrücke abgenommen wurden. Ich möchte dazu noch folgendes erklären: Es war ein ehemaliger Parkplatz, der mit einem Gitter umzäunt war und kein richtiges Gefängnis. Dort waren wir drei Tage. Fragen der BFA-Vertreterin: BFA-Vertreterin: Wissen Sie, warum Sie aus der Haft entlassen wurden? BF: Der Richter hat uns gefragt, ob wir wissen, dass wir deswegen vor Gericht stehen, weil wir illegal eingereist sind. Ich sagte, ich hätte es nicht gewusst. Danach sagte er zu mir: "Du bist jetzt frei, entweder du kannst in Ungarn einen Asylantrag stellen, oder weiterfahren". Die genauen Gründe für die Haftentlassung hat er aber nicht gesagt. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass er gesagt hat, dass ich frei sei. Folgende (Medien-) Berichte werden in das Verfahren (sofern schon im Verwaltungsverfahren enthalten, neuerlich) eingeführt und erörtert. * Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Ungarn vom 30.6.2016, ergänzende Information vom 26.08.2016 * Amnesty International Bericht vom 27.09.2016, "Stranded Hope", Hungary's Sustained Attack on the Rights of Refugees and Migrants" * Pro Asyl, "Gänzlich unerwünscht"; Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen, Juli 2016, insb. Seite 28 * http://diepresse.com/home/politik/eu/5089402/Fluchtlingskrise_Nordeuropaeer-kritisieren-Ungarn * http://www.independent.co.uk/news/world/europe/sweden-threatens-legal-action-against-hungary-unless-takesrefugees-back-migration-asylum-seekers-a7350896.html * Asylmagazin 9/2016, EU-Staaten setzen Überstellungen nach Ungarn aus, Antwort der dt. BReg. auf eine Anfrage der parl. Linksfraktion (BT-Drs. 18/0505, Frage 11 und Ergänzende Asylstatistik, BT-Drs. 18/9415; demnach hat Deutschland im 1. Halbjahr 2016 145 Personen überstellt, bei 6546 ÜE an Ungarn. * http://www.vol.at/fluechtlinge-ungarn-setzt-dublin-abkommen-nicht-um/4859633 (22.8.2016) * UNHCR, Europe's Refugee Emergency Response Update 30, Seite 4 und Note vom 9.9.2016 * http://www.refworld.org/docid/57319d514.html?utm_source=Briefing+Notes++++15+July+2016&utm_medium=email&utm_term=kielmans@unhcr.org&utm_content=UN+High+Commissio ner+for+Refugees+(UNHCR)%2c+Hungary+as+a+country+of+asylum.+Observations+on+restrictive+legal * HRW, 21.9.2016, Hungary, failing to protect vulnerable refugees * http://www.nytimes.com/2016/09/29/opinion/hungarys-duty-to-refugees.html?smid=tw-share&_r=2 * http://www.nzz.ch/international/europa/umgang-mit-fluechtlingen-die-praegende-macht-der-medien-ld.121308

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Daraus ergibt sich unpräjudiziell aus Sicht des erkennenden Gerichts wie folgt: Die seinerzeit im Erkenntnis des BVwG vom 27.8.2015 zu W125 2111611-1 aufgetragenen Erhebungen sind erfolgt; die Gefahr einer Kettenabschiebung nach Serbien ist im Allgemeinen keine ernsthafte; es gibt auch keine Hinweise auf ein systematisch mangelhaftes inhaltliches Verfahren (vgl. aus der Rechtsprechung der Kammer A etwa W240 213692-1/4E vom 18.10.2016. Aufgrund (auch) schwerer Mängel im Asylwesen in einer signifikanten Zahl von Verfahren ist jedenfalls eine sorgfältige Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl etwa W233 2135667 vom 18.10.2016). Unbeschadet all dessen ergeben sich aufgrund der Quellenlage Zweifel an der Aufnahmebereitschaft Ungarns in einem potentiell verfahrensrelevanten Ausmaß. Fragen an die BFA-Vertreter: ER: Warum wurde der Aktenlage nach (AS 55) am 25.4.2016 die Information an Ungarn mit folgendem Wortlaut gesandt: "Transfer has to be postponed?" Warum wurde in weiterer Folge das Verfahren trotz der angenommenen Zuständigkeit Ungarns infolge Verfristung nicht zeitnah weitergeführt - sondern vergingen der Aktenlage folgend - Monate, bis weitere Verfahrensschritte (Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs, Bescheiderlassung) gesetzt wurden? BehV1: Warum die Information gesandt wurde, dass der Transfer verschoben werden muss, kann ich ohne Rücksprache nicht beantworten; vielleicht hängt das mit dem Untertauchen der Person zusammen. Für die Bescheide haben wir aber, genauso wie das BVwG, die neuen Länderfeststellungen heranziehen müssen und deswegen hat es auch Verzögerungen gegeben. ER: Finden derzeit Dublin-Überstellungen von Österreich nach Ungarn statt? (Seite 11 des Bescheides: Europaweit 12.579 Anfragen, 315 Transfers) BehV1: Ja. Grundsätzlich ist das Thema natürlich medial bekannt, dass es Schwierigkeiten gibt. Aber es finden Überstellungen aus Österreich nach Ungarn statt. Wir hatten vom 01.10 bis 20.10.2016 fünf Überstellungen und insgesamt seit Wiederaufnahme der Überstellungen von Österreich nach Ungarn 19 Überstellungen. Das heißt, es liegen uns Tatsachen vor, dass wir weiterhin nach Ungarn überstellen können. Es gibt einen sehr engen Austausch zwischen den Behörden und auch auf hochrangiger Ebene. Die nächsten Gespräche sind für diese Woche geplant. ER: Können Sie die Zahlen in Beziehung setzen, wenn Sie von 19 Überstellungen sprechen, wie viele Ersuchen haben Sie in derselben Zeit gestellt? BehV1: Ich kann die Zahlen nicht derart in Beziehung setzen, dass ich sagen könnte, vom 01. Juni bis 30. August wurden diese Ersuchen erstellt und von diesen Personen wurden X-Personen überstellt. Das kann ich nicht. Ich kann nur die allgemeinen Daten bekanntgeben. Vom 01.10 bis 20.10 waren es 333 Ersuchen. 77 Zustimmungen und 5 Überstellungen. ER: Welche Situation würde den Beschwerdeführer im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn erwarten? Insbesondere hinsichtlich der Behandlung seines Antrages auf internationalen Schutz, seiner Unterbringung und medizinischen Versorgung!? BehV1: Wir möchten dazu auf die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid verweisen. XXXX wird ganz kurz auf ein paar Punkte eingehen. BehV2: Alles, was den Einzelfall betrifft, können wir nicht prognostizieren. Das ist sehr abhängig vom individuellen Verfahrensstand, das müsste man abklären. Garantie kann es keine geben, welche Behandlung und Art der Unterbringung der BF bekommen würde. ER: Würde der Beschwerdeführer im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn als Folgeantragsteller gelten (Frist von 9 Monaten ab Einstellung des ungarischen Verfahrens - Seiten 18 f des Bescheides)? Im Fall des BF wäre nach meiner Lesart des Sachverhaltes und der Feststellungen, 30 Tage ab Verlassen Ungarns, also Mitte März die Einstellung zu erwarten und von dann würde sich die Neun-Monats-Frist errechnen. Würden Sie dem zustimmen?

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BehV2: Das müsste ich nachschauen. Dazu kann ich jetzt nichts sagen. BehV1: Ich sehe das so wie das Gericht. ER: Besteht für den Beschwerdeführer im Falle einer Dublin-Rücküberstellung nach Ungarn das Risiko einer neuerlichen Inhaftierung? BehV2: Laut Länderinformationsblatt ist das möglich. ER: Auf Grund anderer Quellen erscheint eine Inhaftierung bei männlichen alleinstehenden Antragstellern wahrscheinlich?! BehV2: Inhaftierungen sind möglich. Eine nähere Qualifikation kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeben. BehV1: Ich möchte das Ganze noch statistisch belegen. Nach unseren Auskünften sind es aber weniger als 10%. BehV2: Zum 24.06.2016 waren nach Auskunft der ungarischen Behörde weniger als 10% der in Asylhaft befindlichen Dublin Rücküberstellte. Das ist eine Auskunft aus dem LIB. ER: Gibt es in Ungarn rechtliche und faktische Möglichkeiten, behördliche Übergriffe, wie die oben geschilderten, zur Anzeige zu bringen und innerstaatlichen Rechtschutz zu erlangen? BehV1: Die grundsätzlichen Rechtschutzmöglichkeiten, die einer Person in Ungarn zustehen, kann auch jeder Drittstaatsangehörige rechtlich und faktisch in Anspruch nehmen. Das heißt, eine Beschwerde gegen polizeiliches Handeln ist demnach möglich, anderslautende Informationen liegen der Behörde nicht vor. ER: Besteht für den Beschwerdeführer im Falle einer Dublin-Rücküberstellung nach Ungarn das Risiko, ohne vorherige inhaltliche Behandlung seines Antrages auf internationalen Schutz nach Serbien abgeschoben zu werden? BehV2: Ich habe keine Ergänzungen zum Länderinformationsblatt. BehV1: Es ist davon auszugehen, dass keine Kettenabschiebungen oder Rückführungen nach Serbien stattfinden. Nach unseren Informationen nimmt Serbien keine Personen zurück; zusätzlich ist es so, dass, wenn nach Rücküberstellungen nach Ungarn dort nicht sofort ein inhaltliches Verfahren geführt wurde, durch die Gerichte ein inhaltliches Verfahren in Ungarn angeordnet wurde. ER: Besteht für den Beschwerdeführer die reale Möglichkeit, dass Ungarn Griechenland als den zuständigen Mitgliedstaat ansieht (vgl AI, Seite 11, FN 50)? BehV1: Ich möchte auf zwei Punkte eingehen. Die Dublin-Verordnung legt für alle Mitgliedsstaaten verbindliche Regeln fest, die von allen Mitgliedsstaaten einzuhalten sind. Darin befinden sich auch klare Fristenregeln. Das heißt, dass wenn ein Mitgliedsstaat nicht innerhalb einer bestimmten Frist an einen anderen Mitgliedsstaat herantritt, ist es nicht mehr möglich, dieses Ersuchen nachzuholen. Im vorliegenden Fall wäre bereits eine Verfristung eingetreten und kann daher Ungarn nicht mehr an Griechenland herantreten. Im allgemeinen Einvernehmen wird der bisherige Verfahrensverlauf, insbesondere die Beantwortung der Fragen des Gerichts der belangten Behörde ausgedruckt und dem BFV in der nachfolgenden Pause zur Verfügung gestellt. Unterbrechung der Verhandlung von 14.00 Uhr bis 14.25 Uhr. BFV: Der Aktenlage ist zu entnehmen, dass das BFA offenbar davon ausgeht, dass die Überstellungsfrist mit 09.04.2016 zu laufen begonnen hat, da Ungarn auf das österreichische Ersuchen nicht geantwortet hat. Warum über vier Monate nichts passiert ist, konnte das BFA meiner Meinung nach nicht klären. Meines Wissens war der BF nie flüchtig. Zu den Überstellungen allgemein führe ich aus: Wenn man sich die Zahlen anschaut, kann Deutschland etwa 3% der angefragten Überstellungen durchführen. Sieht man sich die heutigen Aussagen des BFA an, liegt der Prozentsatz in Österreich gerade bei 1 1/2%. Dazu möchte ich hinzufügen, dass meiner Erfahrung nach, www.ris.bka.gv.at

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insbesondere aus einigen Schubhaftfällen, bekannt ist, dass Ungarn nur solche Personen zurücknimmt, für die eine Übernahme ausdrücklich akzeptiert wurde. Gegenteiliges hat das BFA heute nicht vorgebracht. Weiters möchte ich ausführen, dass der BF, schon in Ungarn, aber auch während des Verfahrens in Österreich von massiven gesundheitlichen Problemen gesprochen hat und diese insbesondere bei der Anfrage hinsichtlich einer Rückübernahme nicht berücksichtigt wurden. Ich gehe davon aus, dass gerade im Fall von schwerer, schmerzhafter Krankheit, die einer langen Behandlung bedarf, eine Einzelfallzusicherung, dass die Behandlung möglich und auch gewährleistet ist, erforderlich ist. Ich verweise dazu auf Entscheidungen des EGMR zu Ungarn aus dem Vorjahr; siehe Beschwerde und zwar z.B. S.O. gegen Österreich, Nr. 448205/15. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Behörde zwischen der Möglichkeit der Überstellung und weiteren Tätigkeiten über vier Monate nicht gehandelt hat, wäre eine solche Einzelfallzusage jedenfalls zumutbar gewesen. Dass es tatsächlich für eine adäquate Behandlung und Unterbringung im gegenständlichen Fall keine Gewissheit gibt, entnehme ich auch den heutigen Äußerungen der Behördenvertreter. Weiters möchte ich darauf hinweisen, dass der Asylantrag in Ungarn, folgt man der Aktenlage, am 13.02.2016 gestellt wurde, was für mich bedeutet, dass das Verfahren mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit eingestellt ist. Eine nicht zeitgerechte Fortsetzung würde dazu führen, dass der BF einen Folgeantrag stellen müsste, wodurch für mich nicht mit Sicherheit gewährleistet ist, dass es überhaupt zu einer inhaltlichen Prüfung seines Vorbringens kommt. Zu einer möglichen Inhaftierung des BF und erneuter erniedrigender unmenschlicher Behandlung verweise ich auf den schon erwähnten Bericht von Amnesty International und sehe zu diesem in den heutigen Aussagen des BFA keinen Widerspruch, zumal die BehV1 bekanntgab, dass laut Informationen des BFA weniger als 10% der inhaftierten Asylantragsteller Dublin-Rückkehrer sind, was für mich nicht bedeutet, dass nicht die restlichen 90% nicht Dublin-Rückkehrer sind. Zum möglichen Rechtschutz gegen die erniedrigende Behandlung und Inhaftierung, möchte ich angeben, dass hier auch der Bericht von Amnesty den heutigen Aussagen des BFA widerspricht und möchte noch hinzufügen, dass, wie der BF heute ausgesagt hat, während seiner Haft es ihm nicht möglich war, in seiner Sprache mit der Polizei zu kommunizieren und halte ich daher eine Anzeige, sollte sie theoretisch möglich sein, für praktisch unmöglich. Zu Griechenland: Wir haben heute gehört, dass Ungarn durchaus Dublin-Anfragen in hoher Zahl an Griechenland stellt und ist nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit geklärt, ob Ungarn dies nicht auch im Fall des BF getan hat. Zur Aussage des BFA, dass eine mögliche Überstellung nach Griechenland schon allein auf Grund von Verfristung unmöglich ist, möchte ich darlegen, dass, wenn Ungarn nach der Antragstellung eine Anfrage stellte und es zu einer möglichen Zuständigkeit Griechenlands gekommen wäre, Ungarn noch ausreichend Zeit hätte, den BF zu überstellen, zumal davon ausgegangen werden kann, dass sich der BF durch seine Ausreise nach Österreich dem Dublin-Verfahren in Ungarn entzogen hat und die Fristen dementsprechend verlängert wären. Abschließend möchte ich noch ergänzen, dass der BF im Fall einer Rücküberstellung nach Ungarn jedenfalls ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren zu durchlaufen hätte, dies schon alleine auf Grund des illegalen Grenzübertritts und hege ich Zweifel, ob dieses Verfahren den rechtlichen Standards eines Verfahrens überhaupt entspricht. ER ersucht belangte Behörde zunächst um Replik zur Frage der relativ geringen Zahl tatsächlicher Überstellungen; ER: Ist Ihnen bekannt, ob die von Österreich nach Ungarn "erfolgreich" überstellten Drittstaatsangehörigen gewissen Kategorien zuzuordnen sind; z.B. wie der BFV ausgeführt hat, Personen, bei denen eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt oder zum Beispiel auch, Personen, die über ein ungarisches Visum verfügen oder die z.B. von der Ukraine direkt nach Ungarn eingereist sind? BehV1: Hierzu müsste ich mir die 19 Fälle ausheben und sichten. Ich kann zur gegebenen Zeit keine Auskunft auf diese Frage geben. ER gibt der belangten Behörde nunmehr auch neuerlich und ausdrücklich Gelegenheit auf die Verfahrensanordnung vom 18. Oktober 2016 zu replizieren. BehV1: Als Behörde sind wir an die Bestimmungen, die in der Dublin-Verordnung festgelegt sind, gebunden. Es liegt im konkreten Fall eine Zustimmung Ungarns, wenn auch durch Verfristung, vor. Das heißt für das BFA, dass wir nicht der zuständige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sind und

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demnach aus operativer Sicht einer Überstellung nichts im Wege steht. Ich verweise auf den allgemeinen Teil, dass Überstellungen möglich sind. ER: Hätten Sie auch nicht auch angesichts der von Ihnen angesprochenen engen Beziehungen der ungarischen Behörden nach Erhalt der Verfahrensanordnung des BVwG der als allgemein gesehenen Übernahmebereitschaft Ungarns durch eine konkrete Anfrage versichern können!? Dann wäre ja die Frage des Gerichtes beantwortet und Sie müssten sich hier nicht auf allgemeine Erörterungen beschränken!? BehV1: Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen die Vorschriften umsetzen. Es gibt grundsätzlich kein einseitiges Abgehen davon. Demnach muss davon ausgegangen werden, dass bei Vorliegen und Zustimmung auch eine Übernahme erfolgt. ER: Versteht Sie das Gericht aber richtig, seitens der Behörde wurden auf Reaktion auf die hg. Verfahrensanordnung keine konkreten Anfragen im Einzelfall an die ungarischen Behörden gerichtet? BehV1: Nein. Es finden diese Woche hochrangige Gespräche statt. ER: Meinen Sie, dass in diesen hochrangigen Gesprächen, der konkrete Fall, den wir heute verhandeln, angesprochen wird? BehV1: Ich kann noch nicht sagen, was in diesen im Detail diskutiert werden wird. ER: Was meinen Sie mit hochrangigen Gesprächen? BehV1: Auf Behördenleiterbene und auf Ministerebene. ER gibt Behördenvertreter Gelegenheit, auf die weiteren Ausführungen des BFV zu replizieren. BehV1: Zu den vorgebrachten Punkten verweist das BFA auf das aktuelle LIB, das auch bereits Teil des Bescheides ist und die vorgebrachten Punkte abdeckt. BehV2: Alles was darüber hinaus offen wäre, müsste man einzelfallbezogen abklären; das meine ich aus allgemeiner länderkundlicher Sicht; was im LIB nicht enthalten ist, müsste man einzelfallbezogen abklären. BehV1: Im Anlassfall sehe ich hierzu aber keinen Anlass. ER an BF: Zum Gesundheitszustand: Sie stehen ja seit einiger Zeit in Österreich in zahnärztlicher Behandlung. Hat sich Ihr diesbezüglicher Gesundheitszustand seit Ihrer Ankunft in Österreich verbessert? BF: Mir geht es wirklich besser, als zum Zeitpunkt, als ich in Österreich angekommen bin. Bevor ich nach Österreich gekommen bin, habe ich noch psychische Probleme gehabt, aber mir geht es jetzt besser. ER: Zu Ihren Zahnproblemen aktuell: Vorhin haben Sie gesagt, Sie können nichts Festes essen. Wie bewerkstelligen Sie das tägliche Leben unter diesem Gesichtspunkt? BF: Ich esse auch Fleisch. Ich kaue das Fleisch nicht. Ich schlucke es einfach. Mit den jetzigen Zähnen kann ich auch keinen Kuchen essen, ich muss diese zuvor herausnehmen und kann auch nur kleine Teile schlucken. ER: Haben Sie ständig Zahnschmerzen, nehmen Sie diese vorgelegten Medikamente täglich? BF: Ja. Ich muss die Medikamente einnehmen. Wenn das Wetter kalt ist, habe ich Schmerzen, auch, wenn ich etwas Kaltes trinke, muss ich die Medikamente einnehmen. Ich muss immer wieder aufpassen. ER: Und in Zusammenhang mit den Beschwerden wegen der Hämorrhoiden, nehmen Sie hier auch ständig Medikamente ein? BF: Ich nehme manchmal diese Medikamente ein, wenn es mir schlecht geht. ER: Meinen Sie damit, wenn Sie Schmerzen haben? www.ris.bka.gv.at

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BF: Ja. Wenn ich Schmerzen habe. ER: Zuvor haben Sie noch psychische Probleme erwähnt, die Sie hatten, bevor Sie nach Österreich gekommen sind. Was meinen Sie damit? BF: Während ich unterwegs nach Europa war, konnte ich nicht sehr gut schlafen. Wir mussten längere Zeit zu Fuß gehen. Diese Probleme habe ich dem Arzt gesagt. Er gab mir diese Medikamente, "Nervenruhe". Ich sollte das Medikament einnehmen, bevor ich schlafen gehe. ER: Das ist jetzt kein akutes Problem, oder doch? BF: Jetzt gibt es kein akutes Problem. ER: Ihr Vater und Ihre Ehefrau und Ihre drei Kinder und offenbar auch zwei weitere Brüder leben in Somalia? BF: Ja, richtig. ER: Sie sind ja seit einiger Zeit in Vorarlberg aufhältig. Was machen Sie tagsüber im Regelfall, besuchen Sie Kurse, gehen Sie gemeinnützigen Beschäftigungen nach? BF: Ich besuche einen Deutschkurs. Ich darf nicht arbeiten. Der Deutschkurs findet in meiner Unterkunft statt, dreimal in der Woche besuche ich diesen Sprachkurs. Ich habe versucht, Arbeit zu bekommen. Mit der Flüchtlingskarte durfte ich nicht arbeiten. ER: Haben Sie irgendwelche näheren Bezugspunkte zu Menschen in Österreich? BF: Ich spiele manchmal mit ein paar Österreichern zusammen Fußball. Seit ich in Österreich bin, habe ich auch keine Fehler begangen. Ich meine, dass ich nichts Schlimmes getan habe. ER: Haben Sie noch Bezüge zu irgendjemandem in Ungarn? BF: Nein. Ich habe die Leute, mit denen ich nach Österreich gekommen bin, nur auf dem Weg kennengelernt. ER: Zu den Geschehnissen in Ungarn: Sie wurden Ihren Einlassungen zufolge von der Polizei an der Grenze misshandelt. Der Polizist ist etwa auf Sie "hinaufgestiegen". Hat das nur Sie betroffen? Wurden alle aus Ihrer Gruppe so systematisch misshandelt? BF: Es hat uns alle betroffen. Manche wurden verletzt. Sie haben uns so behandelt, als ob wir eine Straftat begangen hätten. Ich habe noch vergessen: Von den Schnüren, mit denen man mich gefesselt hat, habe ich noch 20 Tage lang Spuren davongetragen. ER an BFV: Möchten Sie noch auf die Ausführungen der Behördenvertreter replizieren? BFV: Warum die Behördenvertreterin heute sagt, eine Einzelfallprüfung wäre nicht notwendig und sich auf Allgemeinplätze zurückzieht, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich möchte noch zur langen Verfahrensdauer sagen, dass für mich auch nicht nachvollziehbar ist, warum monatelang kein Kontakt mit den ungarischen Behörden zwecks Überstellung aufgenommen wurde und dies auch nach Aufforderung des Gerichts nicht geschehen ist. Dies widerspricht nicht nur den allgemeinen Grundsätzen der Dublin-III-Verordnung, der Raschheit und Klarheit, sondern auch den Rechten der Antragsteller rasch Klarheit über den zuständigen Mitgliedsstaat zu haben. Sonst verweise ich auf das Vorbringen. Keine weiteren Anträge, auch nicht auf zeugenschaftliche Aussagen der Vertreter der belangten Behörde. BehV1: Das BFA möchte ergänzende Punkte nachreichen, insbesondere zur Fragestellung der Verfahrensdauer: www.ris.bka.gv.at

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Behördenkontakte haben laufend stattgefunden, um Informationen, die für die Fertigstellung des LIB notwendig waren, zu beschaffen. Ich möchte hier auf die festgelegte Methodologie der Staatendokumentation verweisen, die lediglich objektive, gut recherchierte, neutrale usw. Quellen verwenden darf. Weiters wird ein Ergebnis des hochrangigen Gesprächs, wenn dies für die Verhandlung relevant ist, nachgereicht. Weitergehende Anfragen zur medizinischen Versorgung könnten ebenso nachgereicht werden. VR fragt den BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will. BF: Wenn die österreichische Behörde mich nach Ungarn überstellen würde, würde man mich sicher ins Gefängnis bringen. Ich bitte darum, in Österreich bleiben zu können. VR fragt den BF, ob er den Dolmetscher gut verstanden habe; dies wird bejaht. Heute war es auch besser, als bei den früheren Einvernahmen vor der Behörde, weil da der Dolmetsch nicht denselben Dialekt wie ich gesprochen hat und Fragen mehrfach gestellt werden mussten. ER unterbricht um 15.30 Uhr die Verhandlung. Die Verhandlung wird um 15.49 Uhr fortgesetzt. Der ER erteilt den Verfahrensparteien eine Frist bis Freitag, 28.10.2016 (einlangend), zur Erstattung allfälligen ergänzenden Vorbringens bzw. der Vorlage ergänzenden Beweismaterials; insbesondere hinsichtlich einer näheren Aufschlüsselung der den von der Behördenvertreterin erörterten Dublin-Rücküberstellungen nach Ungarn zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellationen. Ein allfälliges ergänzendes Vorbringen wird der jeweiligen anderen Verfahrenspartei unverzüglich zugestellt werden, mit einer Frist bis voraussichtlich 3.11.2016 (einlangend); im Anschluss daran ist - unter Beachtung davon, dass es sich hier um ein Fristverfahren handelt - die Erlassung der verfahrenserledigenden Entscheidung vorgesehen. Alle Parteien erklären sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden, insbesondere allenfalls auch mit Übermittlungen per E-Mail, ausgenommen Enderledigungen. ER: Gibt es seitens der Parteien noch konkrete Beweisanträge zu bestimmten Aspekten des Verfahrens? BFV: Nein. Behörde: Nein. (...)" 7. Mit Eingabe vom 28.10.2016 wurde eine schriftliche Stellungnahme durch die belangte Behörde erstattet, im Rahmen derer zusammenfassend zunächst ausgeführt wurde, dass vorab auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.6.2016 samt den ergänzenden Kurzinformationen zu diesem hingewiesen werde. Ergänzend wurde auf eine beiliegend übermittelte Information der Staatendokumentation verwiesen, welche fallbezogen relevante Informationen hinsichtlich der Themen Inhaftierung und medizinischer Versorgung in Ungarn enthalte. Hinsichtlich der gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers sei zu berücksichtigen, dass in selbigen keine außergewöhnlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erblicken wären, vielmehr handle es sich um Krankheiten, welche grundsätzlich überall, und insbesondere in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, behandelbar seien. Bei den seitens des Beschwerdeführers benötigten Medikamenten handle es sich um Standard-Medikamente. Zum Aspekt tatsächlicher Überstellungen nach Ungarn in der letzten Zeit wurde ergänzend vorgebracht, dass sich die zuletzt von Österreich nach Ungarn überstellten Personen unterschiedlichen Fallkonstellationen zuordnen ließen; es habe sich hierbei einerseits um Personen gehandelt, bezüglich derer Ungarn einem Aufnahmeersuchen gemäß Art 12 Dublin III-Verordnung zugstimmt hätte, andererseits aber auch Fälle einer www.ris.bka.gv.at

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Zustimmung zu Wiederaufnahmeersuchen im Sinne des Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-Verordnung. Die Zustimmungen wären teils explizit, teils stillschweigend durch Nichtbeantwortung der Übernahmegesuche erfolgt. Bei den betroffenen Personen habe es sich um Staatsangehörige Ägyptens, Algeriens, der Ukraine und anderer Staaten gehandelt. Insgesamt seien im Jahr 2015 von über 40.000 Ersuchen, welche seitens anderer Staaten an Ungarn gerichtet worden wären, knapp 1.400 Personen tatsächlich überstellt worden. Im Jahr 2016 stelle sich die Lage ähnlich dar: Bis Oktober 2016 seien über 24.200 Ersuchen von anderen Mitgliedsstaaten an Ungarn gestellt und zirka 440 Personen tatsächlich überstellt worden. Dabei würde der Umstand der erheblichen Differenzen zwischen der Anzahl an Konsultationen und sodann tatsächlichen Überstellungen seitens des Bundesamtes nicht verkannt, wozu auch auf den EASO-Jahresbericht 2015 ("Annual Report on the Situation of Asylum in the European Union 2015", abrufbar unter https://www.easo.europa.eu/information-analysis/annual-report) verwiesen werde. Hierfür würden jedoch mannigfaltige Ursachen bestehen, wie etwa unterschiedliche Auslegungen, Anlauf von Überstellungsfristen, Selbsteintritt aus unterschiedlichen Gründen oder das Untertauchen von Antragstellern. Gerade um derartige Unterschiede in der Auslegung und Praxis zu klären, sei es in jüngster Vergangenheit mehrfach zur Führung bilateraler Gespräche mit Ungarn gekommen. So sei etwa mit Ungarn im Rahmen des in der Verhandlung angekündigten hochrangigen Gesprächs am 25.10.2016 vereinbart worden, einen bilateralen Modus zur Beisetzung aktueller unterschiedlicher Auslegung und Praxis in Dublin-Fällen zu finden und habe sich Ungarn zur diesbezüglichen Abstimmung mit Österreich bereiterklärt. Des Weiteren wurde seitens der belangten Behörde in Aussicht gestellt, eine zusätzliche Bestätigung Ungarns, eine Überstellung des Beschwerdeführers zu akzeptieren, nachzureichen, sobald diese bei der Behörde einlange. Hinsichtlich der Lage in Ungarn und zur Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs 3 AsylG 2005 (objektive Gründe) wurde sodann zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.6.2015, Ra 2015/18/0113 (gemeint wohl: Erkenntnis vom 08.09.2015 mit eben dieser Aktenzahl), verwiesen, in welchem dargelegt worden wäre, dass aufgrund der notorischen Lageänderung in Ungarn in Verbindung mit entsprechenden Vorbringen der revisionswerbenden Parteien die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs 3 AsylG 2005 als widerlegt zu erachten sei. Für eine Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG 2005 brauche es aktuelle Feststellungen zur aktuellen Lage in Ungarn. Das Höchstgericht sei jedoch nicht zum Ergebnis gelangt, dass in Ungarn systemische Mängel im Asyl- und Versorgungssystem bestünden oder Überstellungen generell aufgrund des Art 3 EMRK bzw Art 4 GRC unzulässig wären, sondern wären die jeweiligen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften unter Aufforderung zu zusätzlichen Ermittlungen aufgehoben worden. Da jedoch nun, insbesondere durch die im Länderinformationsblatt vom 30.6.2016 samt den ergänzenden Kurzinformationen, entsprechende Ermittlungsergebnisse vorliegen würden, könne nach Ansicht der Behörde kein Zweifel bestehen, dass die Anforderungen für die Prüfung der Zulässigkeit einer Überstellung nach Ungarn nach der objektiven Lage im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zulässig seien und keinesfalls die reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK bzw Art 4 GRC bestünde. Den im Rahmen der Staatendokumentation gesammelten und nach wissenschaftlichen Kriterien aufbereiteten länderspezifischen Tatsachen sei ein hoher Stellenwert einzuräumen. Zu den im Verhandlungsprotokoll ergänzend angeführten Berichten sei anzuführen, dass "diese teils von fragwürdiger Qualität wären": In den angeführten Medienberichten werde etwa nicht unterschieden, ob Ungarn (Wieder-)Aufnahmegesuche ablehne oder Überstellungen verweigere. Zum Bericht der Organisation "Pro Asyl" sei darauf hinzuweisen, dass dieser unter anderem die Agenda verfolge, das Dublin-Zuständigkeitssystem abzuschaffen. Weiters scheine diese Organisation davon auszugehen, dass der Mitgliedsstaat, den ein Asylwerber als erstes betreten hat, zuständig wäre; hierbei verkenne sie die Rangfolge der Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO (Art 7) sowie den Unterschied zwischen Aufnahmeund Wiederaufnahmegesuch. Da einer im Asylwesen tätigen NGO diese Unterschiede durchaus bewusst sein müssten, liege insofern ein sorgloser Umgang mit Informationen und eine einseitige Information der

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Öffentlichkeit vor, sodass sich durchaus die Frage stelle, inwiefern dem Bericht dieser Organisation überhaupt vertraut werden könnte. Hinsichtlich des Berichts von Amnesty International sei anzumerken, dass dieser in erster Linie auf Gesprächen mit betroffenen Asylwerbern beruhen würde. Bezüglich der UNHCR-Berichte sei darauf hinzuweisen, dass diese standardmäßig in den Länderinformationsblättern der Staatendokumentation im Sinne der vom Beirat beschlossenen Methodologie berücksichtigt würden und in das aktuelle Länderinformationsblatt Eingang gefunden hätten. Zur nicht vorhandenen Vulnerabilität des Beschwerdeführers im Sinne subjektiver Gründe wurde seitens der belangten Behörde des Weiteren ausgeführt, dass Art 3 Abs 2 Dublin III-VO zwar unzweifelhaft dann den Selbsteintritt gebiete, wenn es im Rahmen einer Überstellung zur Verletzung des Art 3 EMRK oder auch des Art 8 EMRK käme. Im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers, welche auch in Ungarn problemlos behandelt werden könnten, sei die Eingriffsschwelle des Art 3 EMRK fallgegenständlich klar nicht erreicht. Auch eine Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK im Hinblick auf die körperliche Integrität könne fallbezogen zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Krankheiten des Beschwerdeführers in Ungarn ebenso gut wie in Österreich behandelt werden könnten. Daher sei im Fall des Beschwerdeführers keine besondere Vulnerabilität zu erkennen, zumal es sich bei diesem um einen jungen, derzeit faktisch alleinstehenden, Mann handle. Es bestünden daher auch keine subjektive Gründe, wonach eine Überstellung nach Ungarn eine reale Gefahr der Verletzung des Art 3 EMRK (bzw Art 4 GRC) oder eine Verletzung des Art 8 EMRK bedeuten könnte. Zur Frage der Verfahrensbeschleunigung und der Zulässigkeit der Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz im Hinblick auf eine behauptete faktische Unmöglichkeit der Überstellung sei in rechtlicher Hinsicht auszuführen, dass das Unionsrecht eine eigenständige Rechtsordnung darstelle, die von allen Mitgliedsstaaten vorrangig gegenüber dem innerstaatlichen Recht einzuhalten sei (Anwendungsvorrang, vgl EuGH 15.7.1964, Rs 6/64, Costa). Dementsprechend sehe Art 4 Abs 3 EUV auch die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur loyalen Zusammenarbeit vor. Weiters sei dem Unionsrecht das Effektivitätsgebot (effet utile) inhärent: Rechtsvorschriften seien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet würde (VwGH 24.5.2012, 2008/03/0173; iZm Dublin II/III-VO zB VwGH 11.11.2010, 2007/20/0369: 15.12.2015, Ra 2015/18/0192; vgl auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO (2014), Art 17 K 2 (S. 157) und K 20 (S. 164) zur Berücksichtigung bei der Frage eines Selbsteintritts und der Ermessensklauseln). Die Dublin III-VO verfolge das Ziel der Verfahrensbeschleunigung, indem der zuständige Mitgliedstaat rasch bestimmt werde (Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO (2014), S. 24 zu den Zielen der Dublin III-VO), um den effektiven Zugang zum und die rasche Bearbeitung der Asylverfahren zu gewährleisten (Erwägung Nr 5; vgl zB EuGH 7.6.2016, C63/15, Ghezelbash, Rz 56; 29.1.2009, C-19/08, Petrosian). Dieser Grundsatz der raschen Bestimmung des Mitgliedstaats und der zügigen Bearbeitung von Verfahren ließe sich als "Effizienzgebot" bezeichnen, auch wenn dies kein feststehender rechtlicher Ausdruck sei. Weiters habe der EuGH festgehalten, dass die Unmöglichkeit der Überstellung in den als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als solche nicht automatisch zur Folge hätte, dass der Aufenthaltsstaat jedenfalls zuständig sei oder in das Verfahren selbst eintreten müsse (EuGH 14.11.2013, C-4/11, Puid; in der Beschwerde des Bf auf S. 11 über Verweis auf die Rsp des VG Baden-Württemberg [5.7.2016, A 11 S 974/16] angeführt). Fallgegenständlich mache der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerde unter anderem geltend, dass Ungarn keine Überstellung von Drittstaatsangehörigen akzeptiere und daher Österreich das Verfahren führen müsse. Abgesehen davon, dass diese Grundannahme nicht zuträfe, würde dies nicht dazu führen, dass bereits eine Entscheidung iSd § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG (Nichtprüfungs- und Überstellungsentscheidung iSd Art 26 Dublin III-VO) jedenfalls zu unterbleiben hätte: Nach Art 18 Abs 1 Dublin III-VO sei der zuständige Mitgliedsstaat nach expliziter oder stillschweigender Annahme eines Aufnahme- bzw Wiederaufnahmegesuchs verpflichtet, den betroffenen Drittstaatsangehörigen zu übernehmen, dh eine Überstellung tatsächlich zuzulassen. Wie ausgeführt, seien die Mitgliedsstaaten zur Einhaltung des Unionsrechts und zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet (Art 4 Abs 3 EUV). Dementsprechend sei durch die zuständigen Stellen der Republik Österreich davon auszugehen, dass Ungarn seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachkomme und Überstellungen nach expliziter oder - wie im vorliegenden Fall - stillschweigender Annahme eines Übernahmegesuchs nachkomme. www.ris.bka.gv.at

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Allerdings handle es sich hierbei auch um eine Sachverhaltsfrage, welche die Rechtsanwendung in einem anderen Staat betreffe. Daher sei hierbei neben § 5 Abs 3 AsylG 2005 insbesondere auf § 45 Abs 1 2. Fall AVG hinzuweisen: Die tatsächliche Anwendung des Unionsrechts in Ungarn stelle eine gesetzliche Vermutung dar. Diese bedürfe keines Beweises, auch wenn sie widerlegbar wäre. Umgekehrt wäre zur Widerlegung einer gesetzlichen Vermutung der volle Beweis und das Treffen entsprechender umfangreicher Feststellungen erforderlich. Der Beschwerdeführer habe jedoch außer Behauptungen und verkürzten Medienberichten nichts vorgebracht, was die Annahme, dass Ungarn seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkomme, ernsthaft stützen würde. Im Übrigen sei zwischen der Frage, ob Ungarn im Rahmen eines Konsultationsverfahrens eine Übernahme ablehne oder ob nach Zustimmung (explizit oder stillschweigend) eine tatsächliche Überstellung abgelehnt würde, zu unterscheiden. Daher sei auch iSd § 45 Abs 1 AVG davon auszugehen, dass Ungarn die tatsächliche Überstellung des Beschwerdeführers zulasse, sobald sich selbige als rechtlich zulässig erweise. Eine andere Auslegung, etwa, dass es eines Beweises bedürfte, um die faktische Möglichkeit der Überstellung festzustellen, würde im Widerspruch zum Effektivitätsgebot des Unionsrechts, zur Pflicht der Mitgliedsstaaten zur loyalen Zusammenarbeit und zu Art 18 Abs 1 und Art 29 Dublin III-VO stehen. Hieran ändere auch das Ziel der Dublin III-Verordnung, einer raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaat, nichts: Die Dublin III-Verordnung sehe eine entsprechende Überstellungsfrist (idR 6 Monate) vor, welche im vorliegenden Fall mit der Abweisung der Beschwerde des Beschwerdeführers zu laufen beginnen würde. Eine ersatzlose Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes (negative Sachentscheidung) wegen einer behaupteten Nichtannahme Ungarns der Überstellung würde eine vorausgreifende Würdigung darstellen, welche in den Tatsachen keinen Bestand habe, und würde darüber hinaus dem Effektivitätsgebot widersprechen und zu einer Beweislastumkehr im Zusammenhang mit der Anwendung des Unionsrechts führen. Daher sei die vom Beschwerdeführer getroffene Behauptung, dass eine Überstellung nach Ungarn faktisch nicht möglich wäre, als "nicht weiter relevant" zu erachten. Das BFA ginge daher davon aus, dass weder objektive noch subjektive Gründe eine Unzulässigkeit der Überstellung nach Ungarn aufgrund der Rechte des Beschwerdeführers iSd Art 3 EMRK bzw Art 4 GRC bewirkten. Weiters sei vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots und des Prinzips der loyalen Zusammenarbeit die Frage, ob Ungarn überhaupt Überstellungen zulässt nicht weiter relevant, zumal die entsprechenden gesetzlichen Vermutungen nicht widerlegt worden wären. Im Übrigen bestünden keine Gründe für die Annahme, dass ausgerechnet der Beschwerdeführer faktisch nicht überstellt werden könne, da es keine Gründe für die Annahme gebe, dass Ungarn seine unionsrechtlichen Verpflichtungen aus der Dublin III-Verordnung nicht einhalte und Überstellungen auch faktisch zulasse. Aus diesen Gründen werde der Antrag gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge die vorliegende Beschwerde als unbegründet abweisen. Angeschlossen ist eine "Information der Staatendokumentation zu Haft und medizinische Versorgung für Asylwerber in HU auf Basis des aktuellen LIB Ungarns" mit Stand 26.8.2016; diese entspricht dem im angefochtenen Bescheid in den Länderfeststellungen enthaltenen Passagen. Jene Stellungnahme wurde dem gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs noch am selben Tag übermittelt und eine Frist zur Abgabe einer (Gegen-)Stellungnahme/Replik bis zum 3.11.2016 gewährt. 8. Fristgemäß langte eine Bezug habende Stellungnahme der Vertretung des Beschwerdeführers ein, im Rahmen derer zunächst ausgeführt wurde, dass der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wonach es sich bei den Erkrankungen des Beschwerdeführers um keine außergewöhnlichen Umstände handle, und selbige überall behandelbar wären, zu entgegnen sei, dass der Beschwerdeführer bereits seit langer Zeit an starken Zahnschmerzen leide und er aus diesem Grund in Österreich auch für neun Tage im Krankenhaus aufhältig gewesen wäre. Als er in der Haft in Ungarn über starke Schmerzen geklagt hätte, sei ihm keine medizinische Hilfe gewährt worden. Dem Beschwerdeführer müssten beinahe alle Zähne entfernt werden, zurzeit lebe er mit einer provisorischen Prothese. Eine weitere Nichtbehandlung würde für diesen einen qualvollen, chronischen Schmerz verursachen, weshalb eine "Einzelfallzusicherung" im Hinblick auf die medizinisch notwendige Zahnbehandlung dringend erforderlich wäre. Bezüglich der Ausführungen des Bundesamtes zur Frage tatsächlicher Überstellungen nach Ungarn sei anzumerken, dass durch die Behörde in keiner Weise dargelegt worden wäre, ob Rücküberstellungen (laut den

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bekanntgegebenen Zahlen im Jahr 2016 1,8 % aller Anfragen) auch Personen anderer Kategorien betreffen würden, als jene, die mit Visum oder direkt über die Ukraine nach Ungarn eingereist seien. Insbesondere würden keine Ausführungen zur Frage getroffen, ob auch Personen, welche - wie auch der Beschwerdeführer - über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedsstaaten eingereist wären und bezüglich derer mangels anderer Zuständigkeitskriterien die illegale Einreise gemäß Art. 13 Dublin III-Verordnung zuständigkeitsbegründend sei, von Ungarn rückübernommen würden. Aufgrund zahlreicher Medienberichte sei nach wie vor offenkundig (iSd § 45 AVG, vgl dazu VwGH 8.9.2015, Ra 2015/18/0113), dass Ungarn keine Personen rückübernehme, welche nicht auf ungarischem Boden erstmals die EU betreten hätten bzw mit einem ungarischen Visum eingereist wären. Die Ausführungen der belangten Behörde bezüglich der Führung hochrangiger Gespräche würden sich lediglich als Absichtserklärungen lesen und nichts darüber aussagen, ob es tatsächlich zu Rückübernahmen kommen werde. Zudem werde nicht ersichtlich, ob diese Gespräche zu dem Ergebnis geführt hätten, dass der Beschwerdeführer in personam rückübernommen werden würde. Wenn diesbezüglich von Seiten der Behörde auf eine "nachzureichende Einzelfallzusicherung" verwiesen werde, erwiese es sich als verwundernswert, weshalb zunächst monatelang keinerlei Handlungen im gegenständlichen Verfahren durchgeführt worden wären. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebotes hätte die Behörde im Falle von Zweifeln an der Überstellungsmöglichkeit von Beginn an eine derartige Einzelfallzusicherung einzuholen gehabt, wie dies nunmehr offenkundig der Fall sei. Der Umstand, dass neben Fällen des Art. 12 der Dublin III-Verordnung auch Fälle einer Zustimmung zu Wiederaufnahmegesuchen iSd Art 18 Abs 1 lit b leg cit rücküberstellt werden hätten können, liefere keinen Aufschluss darüber, welche Sachverhaltskonstellationen diesen Verfahren zu Grunde gelegen hätten. In diesem Zusammenhang werde auf ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen (VfGH 22.11.2013, U1800/2013, VfGH 27.6.2012, U462/12), wonach es sich bei Art 18 Dublin III-Verordnung nicht um eine zuständigkeitsbegründende Norm handle, sondern um eine Bestimmung, welche die Wiederaufnahme eines Asylwerbers regle, und nach dieser Bestimmung jedenfalls keine Zuständigkeit eines Mitgliedstaats zur inhaltlichen Asylantragsprüfung begründet werden könne. Die Frage, nach welchem Kriterium der Dublin-IIIVerordnung Ungarn als zuständiger Mitgliedstaat in Betracht komme, lasse das Bundesamt zudem unbeantwortet. Von Seiten des Beschwerdeführers werde zudem eine Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 13 Dublin IIIVerordnung ausdrücklich bestritten. Gegenständlich bestünde nach der Dublin III-Verordnung aufgrund der dort erfolgten erstmaligen illegalen Einreise im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung eine Zuständigkeit Griechenlands. Aufgrund der in jenem Mitgliedstaat weiter bestehenden systemischen Mängeln falle die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung demnach Österreich zu. Das [insofern einen vergleichbaren Grundsachverhalt betreffende] Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2016 zu Ra 2016/20/0069, in welchem ausgeführt werde, auf Basis von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin III-Verordnung könnte die Zuständigkeit Kroatiens angenommen werden, erwiese sich als unionsrechtswidrig und sei somit vom BVwG unangewendet zu lassen, beziehungsweise hätte bei Zweifeln an der Interpretation eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung zu erfolgen. Der VwGH habe im zitierten Erkenntnis vor allem die Frage zu beantworten gehabt, inwieweit die angenommene zweifache Erfüllung des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung die Anwendung der Klausel des Art. 3 Abs. 2 leg cit zulasse. Im Wesentlichen argumentiere der Gerichtshof auf zwei Ebenen, jener des Wortlauts sowie jener der Ziele der Verordnung. Was den Wortlaut betreffe, enthalte dieser nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs keine "Einschränkung auf bestimmte Kriterien des Kapitels III". Wie auch im Erkenntnis ausgeführt, müsse hinsichtlich der Interpretation des Wortlauts dieser Bestimmung jedenfalls deren Entstehungsgeschichte betrachtet werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof richtig feststelle, sei die letztlich beschlossene Fassung von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung als eine Reaktion des Unionsgesetzgebers auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache N.S. u.a., C-411/10 und C-493/10 vom 21. Dezember 2011 zu verstehen. Das EuGH-Urteil spreche ausdrücklich davon, dass im Falle der Fortsetzung der Kriterienprüfung (nur) "eines der nachrangigen Kriterien" zur Anwendung gelangen könne, sehe also entgegen der Rechtsmeinung des VwGH explizit eine Einschränkung vor. Alle Kriterien, die im Katalog des dritten Kapitels der Verordnung vor- oder gleichrangig wären, würden für die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 zweiter Unterabsatz somit ausscheiden. Auch weitere Sprachfassungen der im Deutschen verwendeten Formulierungen "nachrangige" oder "weitere Kriterien", wie die englische ("following criteria") und französische ("critères ultérieurs"), seien diesbezüglich eindeutig. In den Schlussanträgen (Rn. 71) zur Rechtssache Abdullahi werde der vom EuGH verwendete Begriff "weitere" entsprechend der Rangfolge der Kriterien erläutert: Das Wort www.ris.bka.gv.at

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"weitere" sei hier sinntragend, da Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 vorschreibe, dass "[d]ie Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ... in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung [finden]." Um die Argumente des VwGH trotz dieses klaren Wortlauts nachvollziehen zu können, müsse angenommen werden - obgleich derartiges im Erkenntnis nicht explizit ausgeführt werde -, dass er der Ansicht sei, der Unionsgesetzgeber wäre in seiner Reaktion bewusst vom Inhalt des genannten EuGH-Urteils abgewichen, um auch die Prüfung sonstiger Kriterien - sowohl vor- als auch gleichrangiger - unter Art. 3 Abs. 2 zu ermöglichen. Dass eine derartige Sicht jedoch unzutreffend wäre, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Abweichung der veröffentlichten Fassung vom Wortlaut des EuGH-Judikats offensichtlich ausschließlich redaktionellen Gründen geschuldet sei und eine bloße sprachliche Vereinfachung darstellen solle. So könne dem I/A-PunktVermerk des Generalsekretariats des Rates vom 21. November 2012 (Dok. 16332/12) noch die alte Formulierung des EuGH-Urteils - in der deutschen Fassung des Dokuments diesmal mit der Formulierung "folgende Kriterien" - entnommen werden. Nach dieser Übereinkunft sei der Text der Verordnung vor ihrer Veröffentlichung nur mehr von den Rechts- und Sprachsachverständigen ("lawyer-linguists") sprachlich adaptiert worden. Somit sei offensichtlich, dass der Unionsgesetzgeber nie die Absicht gehabt habe, vom klaren Wortlaut des EuGH in N.S. u.a. abzuweichen. Aus der Systematik der Verordnung, wie untenstehend dargestellt, welche eine hierarchische Ordnung vorsehe, bei der jedes Kriterium ausschließlich einen Mitgliedstaat für zuständig bestimme, könne zudem abgeleitet werden, dass die sprachlich vereinfachte und die ursprüngliche Version zum selben Ergebnis führen würden. Was das Argument hinsichtlich der Ziele der Verordnung betreffe, übersehe das Gericht, dass die Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 die zuständigkeitsbegründende Verantwortung für den illegalen Eintritt in das Unionsgebiet weiterhin dem Staat zuspreche, in dem diese zum ersten Mal erfolgt wäre, und für diese Staaten somit den Anreiz aufrechterhalte, Grenzkontrollen durchzuführen. Bei genauerer Betrachtung sei es vielmehr die vom VwGH vertretene Sicht, jedes Kriterium könne bei Anwendung von Art. 3 Abs. 2 herangezogen werden, die mit der Folge behaftet wäre, dass der erste Mitgliedstaat - hier Griechenland - der zu verantworten hätte, dass der ursprüngliche illegale Eintritt in das Gebiet der Mitgliedstaaten erfolgen habe können, und somit jenen Personen, die zum Ziel haben, Mitteleuropa zu erreichen, der weitere Weg geöffnet wird, von ebendieser Verantwortung freigesprochen werde. Letztlich stehe die Argumentation des VwGH auch in Widerspruch zur Systematik der Verordnung. Zu dieser erläutere wiederum der Generalanwalt des EuGH in den Schlussanträgen (hier Rn. 73) zur Rechtssache Abdullahi: "Grundsätzlich erschöpft sich jedes der Kriterien mit seiner Anwendung, denn ihnen allen ist gemeinsam, dass mit jedem von ihnen ein einziger zuständiger Mitgliedstaat bestimmt wird. Darum ergibt es keinen Sinn, erneut das Kriterium anzuwenden, das zu der Bestimmung des Mitgliedstaats führt, an den der Asylbewerber letztlich nicht überstellt werden darf, weil diese Anwendung wiederum unausweichlich zu dem ausgeschlossenen Mitgliedstaat führte. Ebenso erschiene die Anwendung eines der vorangegangenen Kriterien undenkbar, da sie bereits mit der Feststellung außer Anwendung gelassen wurden, dass das anzuwendende Kriterium eines der nachrangigen sei." Entsprechend diesem Verständnis sei Art. 13 Abs. 1 (bzw dessen Vorgänger) in der Judikatur des EuGH auch als Kriterium der ersten illegalen Einreise bezeichnet worden. Schon allein aus diesem Grund sollte die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 auf Sachverhalte wie den vorliegenden ausscheiden. Diese Sicht sei zudem insoweit geboten, als die Verordnung selbst jene Sachverhalte regle, in denen eine Zuständigkeit auf Basis der Erfüllung des Tatbestands der illegalen Einreise nicht mehr angenommen werden dürfe. Dass vorrangige Kriterien im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 keine Anwendung finden könnten, ließe sich zudem bereits aus dem Umstand ableiten, dass es in solchen Fällen erst gar nicht zur Annahme der Zuständigkeit jenes Mitgliedstaats kommen dürfte, bei dem systemische Schwachstellen vorliegen. Im hier zitierten Erkenntnis begnüge sich der VwGH in Antwort auf dieses Vorbringen mit der Anmerkung, darauf hinzuweisen, dass einerseits die Ausführungen des Generalanwalts keinen Eingang in das EuGH-Urteil gefunden und sich andererseits mit der Vorgängerbestimmung der Dublin III-Verordnung befasst hätten. Dabei übersehe der VwGH jedoch einerseits, dass der EuGH in der Rechtssache Abdullahi der Beantwortung dieser Frage gänzlich ausgewichen wäre, indem er den Umfang des Rechtsmittels nach der Dublin IIVerordnung "äußerst limitiert" interpretiert hätte, weshalb die Sicht des Generalanwalts für das Verfahren nicht weiter relevant gewesen wäre; andererseits, dass das Urteil in N.S. u.a. und die dortigen Ausführungen zu der Fortsetzung der Kriterienprüfung bereits vor dem Abdullahi-Urteil vorgelegen wären und somit dem Generalanwalt dieselbe rechtliche Basis zu Verfügung gestanden hätte, zumal, wie dargelegt, die Abweichung vom Wortlaut des EuGH in N.S. u.a. nicht inhaltlich, sondern rein sprachlich-redaktionell begründet wäre. In diesem Sinne gelange auch einschlägige Literatur zum selben Ergebnis.

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Somit sei in einem ersten Schritt festzuhalten, dass der VwGH im hier besprochenen Erkenntnis einer Interpretation des Art. 3 Abs. 2 folge, welche weder vom Wortlaut noch von den Zielen oder der Systematik der Verordnung gedeckt wäre. Nach Ansicht des VwGH sei die von ihm vorgenommene Auslegung unzweifelhaft, da er andernfalls zur Vorlage an den EuGH verpflichtet gewesen wäre. Diese Vorlagepflicht sei für Höchstgerichte nur in jenen Fällen nicht gegeben, in welchen die unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof gewesen oder die richtige Anwendung des Gesetzes derart offenkundig wäre, als dass keinerlei Raum für vernünftigen Zweifel bliebe (sog. "acte claire-Doktrin"). Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfe das innerstaatliche Gericht jedoch nur dann davon ausgehen, dass "acte claire" vorliege, wenn es überzeugt sei, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH selbst die gleiche Gewissheit bestünde. Es sei demnach zu betonen, dass - vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen, wonach sowohl Wortlaut als auch Ziele und Systematik der Verordnung den Argumenten des VwGH, die vom Generalanwalt des EuGH als "undenkbar" bezeichnet worden wäre, entgegenstehen -, keinesfalls nachvollzogen werden könne, dass die vom VwGH vertretene Rechtsauffassung derart offenkundig wäre, als dass keinerlei Raum für vernünftigen Zweifel an dieser Lesart der Bestimmung des Art. 3 Abs 2 Dublin III-Verordnung bliebe. Der Vorlagepflicht durch den VwGH wäre umso mehr Bedeutung zugekommen, wenn man in diesem Zusammenhang die einschlägige Rechtsprechung des VfGH sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) berücksichtigte: Nach Ansicht des VfGH seien die Verwaltungsgerichte nicht als letztinstanzliche Gerichte iSd Art 267 Abs. 3 AEUV anzusehen, weshalb die Nichtvorlage durch die Verwaltungsgerichte keine Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter darstelle, vielmehr ergebe sich bei Fragen betreffend die Auslegung von Unionsrecht eine Verpflichtung, eine Revision zuzulassen, um dem EuGH eine entscheidungsrelevante unionsrechtliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dabei bleibe jedoch unberücksichtigt, dass die Nichtvorlage des VwGH in keinem weiteren Verfahren bekämpft werden könne, was ein Rechtsschutzdefizit mit sich bringe. Dies wiege in europarechtlichen Fragen des Asylrechts umso schwerer, als diese nicht beim EGMR bekämpfbar seien. Entspreche die Beurteilung eines nationalen Gerichts nicht dem Unionsrecht, sei ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden wäre, nach dem Unionsrecht verpflichtet, aus eigener Entscheidungsbefugnis die innerstaatliche Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten. Auch wenn sich die Entscheidung des EuGH auf nationale Bestimmungen beziehe, welche im vermeintlichen Widerspruch zum Unionsrecht stünden, könne für Auslegungsfragen des Unionsrechts nichts anderes gelten, da die Mitgliedsstaaten - sowie sämtliche innerstaatlichen Organe - nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten verpflichtet wären, sämtliche rechtswidrige Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben. Das BVwG habe demnach trotz der Entscheidung des VwGH die Verordnung unionsrechtskonform anzuwenden bzw sei es bei Zweifeln hinsichtlich der Unionsrechtskonformität trotz der Rechtsprechung des VfGH zur Vorlage an den EuGH verpflichtet. Zur Lage in Ungarn sei auszuführen, dass der Umstand "allgegenwärtiger systemischer Mängel" im ungarischen Asylverfahren von diversen deutschen Gerichten erkannt worden sei (etwa VG Berlin, 27.5.2016, VG 6 L 276.16 A). Auch durch den High Court des Vereinigten Königreichs seien systemische Mängel im ungarischen Asylverfahren angenommen worden (Ibrahimi & Anor v The Secretary of State for the Home Department [2016] EWHC 2049, 05 August 2016). Einschlägige Länderberichte, die ein Bild von den systemischen Schwachstellen zeichneten, seien bereits in der Beschwerde übermittelt worden. Insofern die vom BVwG von Amts wegen herangezogenen Quellen seitens der Behörde in Zweifel gezogen würden, sei diesbezüglich darauf hinzuweisen, dass seitens des Gerichtes auch unabhängige Quellen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen würden, um ein ausgewogenes Bild von der Lage in Ungarn gewinnen zu können. Zu den Ausführungen des BFA, wonach "Pro Asyl" das Ziel verfolge, das Dublin-System abzuschaffen, sei angemerkt, dass dies eine verkürzte Wiedergabe der "Dublin-Kampagne" von Pro Asyl darstelle. Dass der Bericht von Amnesty International in erster Linie auf Gesprächen mit betroffenen AsylwerberInnen beruhe, sei darauf zurückzuführen, dass die Organisation im Rahmen ihrer Feldforschung ein tatsächliches Bild von der Lage in Ungarn zeichnen wollte. Die Ausführungen der Behörde erwiesen sich insgesamt somit zu unsubstantiiert, um die Qualität der herangezogenen Berichte in Zweifel zu ziehen.

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Daher werde beantragt, der Beschwerde stattzugeben und den bekämpften Bescheid zur Gänze beheben, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz für zulässig zu erklären und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu verweisen, um ein inhaltliches Verfahren durchzuführen sowie festzustellen, dass die gemäß § 61 FPG angeordnete Außerlandesbringung auf Dauer unzulässig ist. 9. Mit Eingabe vom 4.11.2016 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergänzend zur Stellungnahme vom 28.10.2016 bekannt geben, dass "in Bezug auf den konkreten Einzelfall nach informeller Rücksprache mit Ungarn eine Übernahme entgegen der Annahme des BFA nun doch nicht zugesagt werden hätte können". Die diesbezüglichen Gründe seien "für das BFA nicht nachvollziehbar, und könne hierzu keine Auskunft gegeben werden, da in ähnlich gelagerten Konstellationen in den letzten Monaten einige positive Überstellungen stattgefunden hätten". Jedenfalls sei dem BFA bekannt, dass Ungarn bei "Visa-Fällen! Überstellungen tatsächlich zustimme. Da Ungarn gemäß der Dublin III-Verordnung nach wie vor der zuständige Mitgliedstaat wäre, könne erst nach Abschluss des Verfahrens eine "offizielle Transferankündigung" nach den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung vorgenommen werden. Die Behörde verweise daher auf die Ausführungen im Rahmen ihrer vorherigen Stellungnahme und halte den Antrag auf Abweisung der Beschwerde aufrecht. 10. Wie einer, öffentlich im Internet zugänglichen, Information des Hungarian Helsinki Commitee vom 10.11.2016, mit Stand 1.11.2016, zu entnehmen ist, sind in Ungarn im Jahr 2016 bisher 28075 Asylanträge gestellt worden, 380 Antragstellern haben 2016 internationalen Schutz erhalten. Mit Stand 17.10.2016 waren 318 Antragsteller in offenen Empfangszentren, 211 in "asylum jails". Im Zeitraum Jänner bis Oktober 2016 sind 452 Antragsteller nach der Dublin III VO aus anderen Mitgliedstaaten (zumeist Deutschland und Schweiz) rücküberstellt worden. Rücküberstellungen nach Serbien (nicht solche aus Transitzentren und jene in Folge unmittelbarer Zurückschiebungen an der Grenze seit 5.7.2016) hätten größtenteils serbische, kosovarische und albanische Staatsbürger betroffen, unter anderem (aber) keine somalischen. 11. Am 3.11.2016 veröffentlichte der Europarat den Bericht des "European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment" (CPT) des Europarates über einen Besuch in ungarischen Haftanstalten im Oktober 2015 mit der Stellungname der ungarischen Regierung (beide Dokumente im Internet öffentlich einsehbar; CPT/Inf (2016) 27 & 28); während in der "executive summary" die Bedingungen insgesamt als unterschiedlich (jedenfalls aber dem Anschein nach nicht als systematisch schwer mangelhaft) dargestellt werden, ist von häufigen Vorwürfen hinsichtlich körperlicher Misshandlungen durch Polizeibeamte die Rede; die medizinische Versorgung sei grundsätzlich gut; offensichtlich ungenügend jedoch psychologische und psychiatrische Versorgung (dieser Vorwurf wurde von ungarischer Seite in deren Stellungnahme bestritten (Punkt 24)). In letzt genannten Kontext hatte der (ebenfalls öffentlich zugängliche) Bericht der Cordelia Foundation des Hungarian Helsinki Committee aus März 2016 "From Torture to Detention; Access of Torture Survivor and Traumatised Asylum-Seekers to Rights and Care in Detention" betreffend Ungarn darauf hingewiesen, dass die Identifizierung Vulnerabler/Traumatisierter in ungarischen Hafteinrichtungen schwere Mängel aufweist (Seite 6 und 17 oben). II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: 1. Feststellungen 1.1. Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Somalias, dessen präzise Identität nicht zweifelsfrei feststeht. Er hat in Österreich wegen ernster Zahnprobleme eine provisorische Zahnprothese erhalten, die Mitte November 2016 gegen eine endgültige ausgetauscht werden soll und nimmt sonst wegen minderschwerer Beschwerden gängige Medikamente ein; (jedenfalls) im Rahmen seiner Flucht aus Somalia und dem Weg bis Österreich zeigte sich der Beschwerdeführer als psychisch belastet. 1.2. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine verwandtschaftlichen oder sonstigen engen sozialen Anknüpfungspunkte. Hinweise auf seitens des Beschwerdeführers gesetzte Integrationsschritte liegen ebenfalls nicht vor. In Norwegen leben zwei Geschwister des Beschwerdeführers, zu welchen jedoch keine besondere Nahebeziehung, insbesondere auch kein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis, festzustellen war. 1.3. Er reiste aus Somalia über XXXX den Iran und die Türkei nach Griechenland, wo er am 10.1.2016 erkennungsdienstlich behandelt wurde (Eurodac Treffer, Kategorie 2; keine Antragstellung auf internationalen Schutz). Von dort aus reiste er illegal auf dem Landweg über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 17.2.2016 um internationalen Schutz ansuchte. In Ungarn hatte er am 13.2.2016 in XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt (entsprechender EURODAC-Treffer der Kategorie 1).

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1.4. Im zuständigen Mitgliedstaat Ungarn herrschen keine systemischen Mängel in Verfahren wegen internationalen Schutzes, auch nicht hinsichtlich Versorgung; es besteht auch insbesondere keine reale Gefahr einer Zurückschiebung nach Serbien oder Griechenland, ohne Möglichkeit, Rechtsschutz zu erlangen. 1.5. Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens glaubhaft vorgebracht, im Zuge des Aufgriffs durch ungarische Behördenorgane nach illegalem Passieren der serbisch-ungarischen Grenze schweren Misshandlungen ausgesetzt und anschließend für einen dreitägigen Zeitraum, behördlich, unter mangelhaften Versorgungsbedingungen, angehalten worden zu sein. In der Folge wurde er nach einem gerichtlichen Verfahren auf freien Fuß gesetzt, hat jedoch kein Interesse gezeigt, das Asylverfahren in Ungarn zu führen. 1.6. Mit Schreiben vom 24.3.2016 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Artikel 18 Absatz 1 lit b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 an Ungarn. Mit Schreiben vom 25.4.2016 teilte die österreichische Dublin-Behörde Ungarn mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Artikel 22 Absatz 7 der Dublin III-Verordnung Verfristung eingetreten und Ungarn nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens auf internationalen Schutz zuständig sei. Ungarn hat zwischen dem 24.10.2016 und dem 4.11.2016 der Verwaltungsbehörde mitgeteilt, dass einer Übernahme des Beschwerdeführers nicht zugestimmt wird. Insgesamt konnten nach Ungarn im Jahre 2016 (seitens aller Mitgliedstaaten der EU) in einer geringen, aber nicht unerheblichen, Zahl von Verfahren Überstellungen nach der Dublin III VO tatsächlich durchgeführt werden. Zum hiergerichtlichen Entscheidungszeitpunkt wäre die 9-monatige Frist zur regulären Fortführung des Verfahrens des Beschwerdeführers in Ungarn nicht abgelaufen. 2. Beweiswürdigung 2.1. Der dargelegte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes. Mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes im Original konnte die präzise Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Die Feststellung seiner somalischen Staatsangehörigkeit beruht auf dessen insofern nicht anzuzweifelnder Angabe sowie dem Umstand, dass er über entsprechende Sprach- und Ortskenntnisse verfügt. Die festgestellten persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen eigenen Angaben. Der Beschwerdeführer brachte insbesondere kein besonderes Naheverhältnis, etwa in Form eines persönlichen oder finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses, zu seinen beiden bereits seit mehreren Jahren in Norwegen aufhältigen Geschwistern vor. Die Feststellungen zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen eigenen Angaben im Verfahrensverlauf, insbesondere im Rahmen der zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung, in Zusammenschau mit den vorgelegten ärztlichen Unterlagen. Bei den vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen physischer Natur (Zähne, Hämorrhoiden) handelt es sich ihrer Art und Schwere nach nicht um Erkrankungen, welche für sich genommen einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat Ungarn entgegenstehen würden; insbesondere ist zu ersterer Thematik auch schon eine erfolgreiche Zahnbehandlung durchgeführt worden und ist nicht ersichtlich, dass diese nicht auch in Ungarn abgeschlossen (beziehungsweise die Heilung überwacht) werden könnte. Insofern der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung vom 24.10.2016 auch auf eine psychische Belastungssituation hingewiesen hat (die sich in Österreich, unterstützt durch die Einnahme einfacher Beruhigungsmedikamente, verbessert hätte), käme diesem Umstand (diesfalls allenfalls auch kombiniert/kulminiert mit den für sich genommen nicht die Schwelle des Art 3 EMRK überschreitenden, körperlichen Beschwerden), allenfalls bei einer Rückkehr nach Ungarn und einer Inhaftierung dort Relevanz zu. Im konkreten Einzelfall haben sich in einer Zusammenschau der Umstände - und dies erst in der Beschwerdeverhandlung - Hinweise auf eine erhöhte Vulnerabilität des Beschwerdeführers ergeben (zu den potentiellen rechtlichen Konsequenzen siehe unten unter Punkt 5 der rechtlichen Erwägungen): Der Beschwerdeführer brachte anlässlich der Beschwerdeverhandlung in glaubhafter und lebensnaher Schilderung vor, infolge seines irregulären Grenzübertritts an der serbisch-ungarischen Grenze durch ungarische Fremdenpolizeiorgane aufgegriffen und unter Anwendung physischer Gewalt festgenommen und gefesselt worden zu sein. Er wurde sodann für einen dreitägigen Zeitraum in einer (provisorischen) Hafteinrichtung nahe der Grenze festgehalten und war in diesem Zeitraum mangelhaften Versorgungsbedingungen ausgesetzt. Jene im Verfahrensverlauf widerspruchsfrei erstatteten Angaben des Beschwerdeführers wurden von Seiten der www.ris.bka.gv.at

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belangten Behörde (insbesondere in der Beschwerdeverhandlung und der nachfolgenden Stellungnahme) nicht substantiiert bestritten und finden auch Deckung in der sonstigen Berichtslage. 2.2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen eigenen, insofern nicht zu bezweifelnden, Angaben und den vorliegenden Eurodac-Treffermeldungen zu Griechenland vom 10.1.2016 sowie zu Ungarn vom 13.2.2016. Die Antragstellung auf internationalen Schutz in Ungarn ist durch den EURODAC-Treffer hinreichend objektiviert; der Beschwerdeführer hatte noch anlässlich seiner verwaltungsbehördlichen Einvernahme am 31.8.2016 (AS. 123 des verwaltungsbehördlichen Aktes) selbst ausgeführt, ursprünglich hätte er an der serbisch-ungarischen Grenze keinen Antrag stellen "dürfen". Dass er also, wie später vorgetragen, zu einer Antragstellung gegen seinen Willen in Ungarn gezwungen wurde, kann nicht als glaubhaft angesehen werden. 2.3. Die Feststellung über das Wiederaufnahmeersuchen seitens der österreichischen Dublin-Behörde und den erfolgten Eintritt der Verantwortung Ungarns zur Prüfung des vorliegenden Antrags auf internationalen Schutz wegen Unterlassung einer Beantwortung dieses Ersuchens beruht auf dem - im Verwaltungsakt dokumentierten durchgeführten Konsultationsverfahren, aus welchem auch die Einhaltung der durch die Dublin III-VO normierten Fristen ersichtlich wird; einschließlich der Überstellungsfrist zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt unter Beachtung der hiergerichtlichen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 6.10.2016. 2.4. Hinsichtlich der prinzipiellen Zuständigkeitsbegründung Ungarns gemäß Art 13 Abs 1 der VO 604/2013 ergeben sich fallgegenständlich sohin keine Bedenken (vgl auch rechtlich unten Punkt 3.2.). Aus der Aktenlage ergibt sich zudem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer zwischen seiner Ausreise aus Ungarn und seiner Ankunft in Österreich das Gebiet der EU nicht verlassen hat, auch mangels entsprechenden Vorbringens in dieser Hinsicht. 2.5. Da der Beschwerdeführer aus Ungarn vor einer Einvernahme in seinem Asylverfahren ausgereist ist, muss nach den dem hiergerichtlichen Verfahren zugrundeliegenden Quellenmaterial - davon ausgegangen werden, dass das Verfahren in seiner Abwesenheit nicht inhaltlich entschieden, sondern 30 Tage nach Verlassen des Landes eingestellt wurde (vgl Seite 18 unten des angefochtenen Bescheides und die entsprechende Erörterung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung); diesfalls frühestens ab etwa Mitte März 2016, weshalb die 9 Monatsfrist erst Mitte Dezember abliefe und daher das Verfahren des Beschwerdeführers wegen internationalen Schutzes in Ungarn auf Antrag (einmal) als fortgesetzt und nicht als Folgeverfahren (mit damit allenfalls in Verbindung stehenden Problemen) gälte. Die Wahrscheinlichkeit einer Rückschiebung nach Serbien hat sich als sehr gering herausgestellt; jedenfalls bestünde auch in Bezug auf Versuche Ungarns, Griechenland als zuständigen Mitgliedstaat anzusehen, gerichtlicher Rechtsschutz im ungarischen Verfahren; insofern die entsprechenden Feststellungen oben zu treffen waren; siehe zu all dem auch die rechtlichen Ausführungen unter 3.4.4. des gegenständlichen Erkenntnisses. 2.5.1. Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheids (Länderinformation der Staatendokumentation vom 30.6.2016 sowie ergänzende Kurzinformationen vom 26.8.2016) in Zusammenschau mit dem im Rahmen der Beschwerdeverhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht zusätzlich in das Verfahren eingeführten Berichtsmaterial (die nachfolgenden unter 10. und 11. der Verfahrenserzählung angeführten ergänzenden Berichte sind notorisch, respektive stehen damit inhaltlich in Einklang). Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Ungarn auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen. Der Beschwerdeführer hat die Richtigkeit dieser Feststellungen in einer Gesamtschau nicht hinreichend in Zweifel gezogen und auch keine dem (tatsächlichen) Inhalt dieser Quellen (fundamental) entgegenstehenden Berichte zitiert oder bezeichnet. Auch der Behörde ist es andererseits nicht gelungen, vom erkennenden Gericht oder dem Beschwerdeführer verwendete tatsächliche Informationen konkret als unrichtig darzutun. Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen in Zusammenschau mit laufender Medienbeobachtung ergeben sich somit (bei einer Vielzahl einzelner Kritikpunkte) keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das ungarische Asylwesen für Personen, die dort in einem Asylverfahren stehen (allenfalls zu unterscheiden von Vorgängen an der serbisch-ungarischen Grenze, von denen auch der Beschwerdeführe seinerzeit massiv persönlich betroffen war), insgesamt grobe systemische Mängel aufweisen würde. Dies zeigt sich, worauf der Vollständigkeit hinzuweisen war, auch aus den unter Punkt 10 der Verfahrenserzählung erörterten letzten statistischen Daten des Hungarian Helsinki Committee: Geht man angesichts der viel geringeren Zahl von in Unterbringung oder "Asylhaft" befindlichen Menschen davon aus, dass ein erheblicher Zahl der Antragsteller (wie der Beschwerdeführer) Ungarn sofort/zeitnah nach Antragstellung wieder verlassen, erweist sich die Zahl jener, deren Anträge positiv erledigt werden, zwar www.ris.bka.gv.at

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weiterhin als gering, aber nicht mehr als so, dass sich bereits daraus ein Hinweis auf eine Dysfunktionalität des Asylwesens in Ungarns (wie seinerzeit in Bezug auf Griechenland) erschließen würde. 2.6. Aus den, durch entsprechende Zahlen untermauerten, Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 24.10.2016 sowie der Stellungnahme vom 28.10.2016 ergibt sich, im Einklang mit der sonstigen Berichtslage (vgl zuletzt die in Punkt 10 der Verfahrenserzählung referierte aktuelle Information des Hungarian Helsinki Committee vom 10.11.2016 über Überstellungen, insbesondere aus Deutschland und der Schweiz) keine generelle Verweigerung Ungarns, Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Regimes zu akzeptieren. Vielmehr lassen die Ausführungen erkennen, dass Überstellungen während der letzten Monate - wenn auch in beschränktem Ausmaß vorgenommen worden sind; insofern auch das in der Note von UNHCR vom 9.9.2016 relevierte Schreiben der ungarischen Behörden vom 29.4.2016 relativierend. So berichtete die Vertreterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezogen auf den Zeitraum 1.10. bis 20.10.2016 von 333 Ersuchen, 77 Zustimmungen sowie 5 erfolgten Überstellungen (wobei sich jene Zahlen nicht zueinander in Relation setzen ließen). Insgesamt sei es seit Wiederaufnahme der Überstellungen nach Ungarn im vergangenen Sommer zu 19 Überstellungen gekommen. 2.6.1. Gleichwohl war auf Tatsachenebene (wie auch von der Behördenvertreterin in der Beschwerdeverhandlung vom 24.10.2016 selbst einbekannt) offenkundig nicht zu übersehen (siehe auch die in der Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingeführte Vielzahl von Quellen, wobei die pauschale Kritik des BFA an renommierten Organisationen wie Pro Asyl und Amnesty International in der Stellungnahme vom 28.10.2016, auch wenn sie zum Teil berechtigt sein sollte, nicht dazu führen kann, deren Berichte von vorneherein zu negieren, wie das die Behörde offenbar vermeint), dass Überstellungen nur in einem geringen Ausmaß akzeptiert zu werden scheinen. Im konkret hier zu entscheidenden Einzelfall war es eingedenk dessen und aus einer Kumulation verschiedener Faktoren (Einreise via Griechenland; keine ausdrückliche Zustimmung Ungarns; das BFA hat selbst Ungarn Ende April 2016 begründungslos mitgeteilt, dass der Transfer verschoben werden werden müsse [As. 55 des Verwaltungsaktes, vgl dazu auch die unklare Äußerung der Behördenvertreterin in der Beschwerdeverhandlung vom 24.10.2016: Seite 11 oben der Verhandlungsschrift]; Bescheiderlassung erst kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist; ausdrücklicher Verweis auf die faktische "Nichtüberstellbarkeit" als Grund für einen Selbsteintritt in der Beschwerdeschrift] für das erkennende Gericht angebracht, im Sinne der vom EuGH im Urteil vom 5.4.2016 zu C-404/15 & C-659/15 (Aranyosi und Caldararu) verwendeten (und hier sinngemäß herangezogenen) Terminologie, die Verwaltungsbehörde (schon vor der Beschwerdeverhandlung) um "objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte" Angaben zu ersuchen, ob Ungarn die Zuständigkeit aktuell anerkennt. 2.6.2. Die in diesem Konnex nun erfolgte Feststellung ergibt sich insbesondere aus der zuletzt durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelten ergänzenden Stellungnahme vom 4.11.2016, im Rahmen derer mitgeteilt wurde, dass in Bezug auf den konkreten Einzelfall nach informeller Rücksprache mit Ungarn eine Übernahme entgegen der Annahme des BFA nun doch nicht zugesagt werden hätte können. Die diesbezüglichen Gründe erwiesen sich aus Sicht der Behörde als nicht nachvollziehbar. Insoweit liegen fallgegenständlich - über den Umstand der allgemein gering zu erachtenden Überstellungsquote in Zusammenschau mit medialen Äußerungen auf Regierungsebene Ungarns hinausgehende - konkrete Indizien dafür vor, dass im individuellen Einzelfall eine Effektuierung der Rücküberstellung nach Ungarn (dauerhaft) nicht möglich sein wird und es sohin zu einem ungenutzten Verlaufen der Überstellungsfrist käme. Dass die ungarische "Ablehnung" quasi eine Momentaufnahme sei oder nur erfolgt wäre, da das Verfahren in Österreich nicht (durchführbar) abgeschlossen war, kann ausgeschlossen werden, da wohl anzunehmen ist (insbesondere unter Beachtung eines schon aufgetretenen Missverständnisses hinsichtlich der - inhaltlich ähnlichen - Auskunft vom 21.10.2016; siehe die Erörterung zu OZ 7 und OZ 8 zu Beginn der Beschwerdeverhandlung mit den Parteien), dass das BFA der ungarischen Behörde den Sachverhalt umfassend dargetan hat und die Formulierungen in der Stellungnahme vom 4.11.2016 nicht einmal andeutungsweise einen Hinweis darauf enthalten, dass eine Änderung der ungarischen Haltung absehbar wäre. Das Bundesverwaltungsgericht war, entgegen den insofern unschlüssigen Ausführungen der Behörde in ihrer Stellungnahme vom 28.10.2016, sohin gehalten, eine entsprechende Feststellung zu treffen, da entscheidungsrelevant; insofern wird auf die rechtlichen Erwägungen unter 4.3. verwiesen. 3. Rechtliche Beurteilung: Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. www.ris.bka.gv.at

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Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 24.10.2016 - welche im konkreten Einzelfall insbesondere zur Eruierung der faktischen Überstellungswahrscheinlichkeit im Allgemeinen bezogen auf den Mitgliedstaat Ungarn, wie auch im individuellen Fall des Beschwerdeführers, anberaumt worden war - in Zusammenschau mit den anschließend durch die beschwerdeführenden Parteien erstatteten ergänzenden Stellungnahmen als geklärt. Die vorliegende stattgebende Entscheidung gemäß § 21 Abs 3 erster Satz BFA-VG stellt eine solche in der Sache dar und hat daher in der Form eines Erkenntnisses zu ergehen (vgl VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208). Zu A) Stattgabe der Beschwerde: 3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten: "§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde. ... (3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet. ... § 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn 1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, 2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird, ... und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt." § 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet: "§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privatwww.ris.bka.gv.at

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oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist." § 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet: "§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn 1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder 2. ... (2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht. (3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. (4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird. (5) Eine Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung ist binnen einer Woche einzubringen." Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) lauten: "Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz (1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. www.ris.bka.gv.at

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(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EUGrundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat. (3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen. Art. 7 Rangfolge der Kriterien (1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung. (2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. (3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist. Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt (1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. (2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Art. 16 Abhängige Personen (1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung www.ris.bka.gv.at

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des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben. (2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen. (3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen. (4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen. Art. 17 Ermessensklauseln (1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde. Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt. (2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen. Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen. Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen. Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

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Gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin-III-VO ist der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat verpflichtet einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Art. 21, 22 und 29 aufzunehmen. Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Dublin-III-VO prüft der zuständige Mitgliedstaat in allen dem Anwendungsbereich des Abs. 1 lit. a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab." Art. 21 Dublin-III-VO lautet auszugsweise: "(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen. Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig." (2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern. In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche. ..." Art. 22 Dublin-III-VO lautet auszugsweise: "(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs. ... (6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen. ... (7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen." § 29 Abs. 2 Dublin-III-VO lautet: "Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist" www.ris.bka.gv.at

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3.2. Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht der Verwaltungsbehörde bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Ungarns zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers aus Ungarn nach dortiger Antragstellung auf internationalen Schutz ergibt. Es war hierbei eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.6.2012, U462/12); dies freilich, sofern maßgeblich, unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande sowie vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-155/15, Karim. Im Rahmen der Entscheidung C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande, wurde insbesondere ausgesprochen, dass Art 27 Abs 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass ein Antragsteller auf internationalen Schutz im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Zuständigkeitskriteriums sowie einen Verstoß gegen die Regelung des Art 19 Abs 2 UAbs 2 Dublin III-VO geltend machen könne und sich die korrekte Anwendbarkeit der Kriterien der Dublin III-VO sohin als im Rechtsweg überprüfbar erweise (siehe auch VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069, Rz 17). Der EuGH erwog, dass die Kontrolle der richtigen Anwendung der Zuständigkeitskriterien in dem Rahmen vorzunehmen ist, der durch Art. 22 Abs. 4 und 5 vorgegeben ist. Diese Bestimmung sieht vor, dass das Beweiserfordernis nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung erforderliche Maß hinausgehen sollte und in Ermangelung förmlicher Beweismittel der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit anerkennt, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um seine Zuständigkeit zu begründen. Im gegenständlichen Fall liegt tatbestandsmäßig die Zuständigkeit Ungarns zunächst im Art 13 Abs 1 der VO 604/2013 begründet (wegen der Einreise aus Serbien in Ungarn als dem ersten Mitgliedstaat, zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich im Sinne des Art 3 Abs 1 Dublin III-VO). Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer zuvor illegal nach Griechenland eingereist war, schadet der Zuständigkeit Ungarns nicht. Zwar könnte sich aufgrund der Einreise von der Türkei aus nach Griechenland nach Art 13 Abs. 1 Dublin III-VO zunächst eine Zuständigkeit Griechenlands ergeben haben. Diese hat sich aber infolge nachfolgender Ausreise aus der EU nach Mazedonien ohne Asylantragstellung in Griechenland nie materialisiert (insofern nach wie vor zutreffend die Argumentation des AsylGH im Vorlagebeschluss an den EuGH vom 21.8.2012 zu S7 422194-2/2012/19E in der Rechtssache Abdullahi (Randziffern 31-40); vgl auch VwGH 15.5.2003, 2000/01/0144). Eine Überstellung nach Griechenland kommt aber jedenfalls (selbst wenn man von einer fortdauernden Zuständigkeit Griechenlands ausginge) aufgrund der amtsbekannten systemischen Mängel im dortigen Asylwesen (nach wie vor) nicht in Betracht (so zuletzt VwGH Ra 2016/20/0069-8 vom 23.6.2016). Insofern normiert Art 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO, dass die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortzusetzen ist, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des VwGH kann Art 3 Abs 2 der Dublin III-Verordnung nur so verstanden werden, dass das in Art 13 Abs 1 Dublin III-Verordnung enthaltene Kriterium bei der weiteren Prüfung, ob eine anderer Mitgliedstaat als zuständig anzusehen ist, zu berücksichtigen ist, wobei am Inhalt dieser Norm kein Zweifel verbleibt und einer Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH nicht näher zu treten wäre (VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069); insofern käme in Bezug auf Ungarn wieder (quasi ein zweites Mal) Art 13 Abs 1 Dublin III VO in Betracht. Wenn der Beschwerdeführervertreter in seiner Stellungnahme vom 3.11.2016 das eben zitierte Judikat des VwGH, mit der in der Verfahrenserzählung referierten Begründung, nun als klar unionrechtswidrig und daher auch für das Bundesverwaltungsgericht als unbeachtlich ansieht, ist zunächst zu erwidern, dass aus Sicht des BVwG, wie eben erwähnt, eine (schwebende) Zuständigkeit Griechenlands bei rechtsrichtiger Interpretation der Dublin III-Verordnung bereits zum Zeitpunkt der Ausreise nach Mazedonien überhaupt untergegangen war, wodurch die Argumentation des Beschwerdeführervertreters an der Sache vorbeigeht, da es eben keines Rückgriffs auf das Konstrukt einer "doppelten" Anwendung des Art 13 Abs 1 Dublin III VO bedarf. Diese Rechtsansicht des BVwG brauchte nicht im Sinne eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH herangetragen zu werden, da das BVwG zum einen kein letztinstanzliches Gericht ist, zum anderen, folgte man ihr nicht, sich am Verfahrensergebnis nichts ändert, wollte man nicht, wie vom Beschwerdeführer insinuiert, das mehrfach zitierte Judikat des VwGH als offenkundig (unions-)rechtswidrig ansehen, wofür es aber keine Anhaltspunkte gibt. www.ris.bka.gv.at

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Zusammengefasst ist festzuhalten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 18 Abs. 1 lit b und Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO (nachdem der Beschwerdeführer in Ungarn einen Asylantrag gestellt hat und die ungarischen Behörden das Wiederaufnahmegesuch des BFA nicht fristgerecht beantwortet haben) ergibt. 3.3. Hinweise auf die Notwendigkeit der Anwendung des Art 16 (abhängige Personen) oder Art 17 Abs 2 Dublin III VO (humanitäre Klausel) sind mangels familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und mangels entsprechender Bedürftigkeit nicht erkennbar. Im Hinblick auf die in Norwegen aufhältigen Geschwister der Beschwerdeführers bleibt nochmals festzuhalten, dass sich im Verfahrensverlauf keinerlei Indizien auf ein besonderes Nahe- bzw Abhängigkeitsverhältnis zwischen selbigen ergeben haben (seit 10 Jahren nur telefonischer Kontakt; in letzter Zeit auch keine finanziellen Zuwendungen mehr). Auch von diesen Bestimmungen ausnahmsweise nicht direkt erfasste drohende Verletzungen von Art 7 GRC bzw 8 EMRK waren zunächst nicht zu erkennen: Der Beschwerdeführer gab an, in Österreich über keine familiären oder sonstigen engen soziale Bezugspunkte zu verfügen und brachte auch darüber hinaus keine besonderen Bindungen zu Österreich vor. Des Weiteren kann schon aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer ein schützenswertes Privatleben, wie beispielsweise wegen einer bereits erfolgten außergewöhnlichen Integration in Österreich etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer (vgl. VfGH 26.2.2007, Zl. 1802, 1803/06-11), nicht angenommen werden und brachte auch der Beschwerdeführer selbst keine Aspekte vor, welche auf bereits gesetzte Integrationsschritte hinweisen würden. Auch das Interesse des Beschwerdeführers, in Österreich eine weitere medizinische Betreuung seiner gesundheitlichen Leiden zu erfahren, vermag in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung herbeizuführen, zumal es sich bei den vorliegenden Beeinträchtigungen wie dargelegt um keine außergewöhnlichen Umstände handelt und keine Hinweise darauf vorliegen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Ungarn eine allenfalls benötigte ärztliche Behandlung nicht zu Teil würde bzw von diesem benötigte (gängige) Medikamente nicht erhältlich wären. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat, im Zuge des irregulären Grenzübertritts Misshandlungen durch ungarische Behördenorgane ausgesetzt gewesen zu sein, vermag dessen private Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht entscheidend zu verstärken, zumal dieser eine gleichgelagerte Situation im Falle einer hypothetischen Rücküberstellung nicht zu erwarten hätte. Der nunmehrige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in der Dauer von einigen Monaten war nur ein vorläufig berechtigter. Gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ist dieser Zeitraum als kein ausreichend langer zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des VwGH ergibt sich, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen überwiegen können (9.5.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (5.7.2005, 2004/21/0124). Der durch die normierte Außerlandesbringung der beschwerdeführenden Partei aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in ihr Privatleben wäre durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu ihrem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt. 3.4. In der Folge war zu prüfen, ob Überstellungen nach Ungarn generell wegen systemischer Mängel zu unterbleiben hätten (Art 3 Abs 2 Unterabsatz 2 Dublin III VO): Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art 3 Abs 2 Dublin II-Verordnung (nunmehr Art 17 Abs 1 Dublin III-Verordnung) auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, (zu vergleichbaren Bestimmungen der Dublin II-VO) befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Entscheidung vom 2.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung des EGMR vom 21.1.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat, sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn 86). An dieser Stelle ist auch auf das damit in Einklang stehende Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 14.11.2013 in der Rechtssache C-4/11, Bundesrepublik Deutschland/Kaveh Puid zu verweisen (Rn 36, 37).

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16.11.2016

3.4.1. Der Verwaltungsgerichtshof ist im seinem behebenden Erkenntnis vom 8.9.2015, Ra 2015/18/0113 davon ausgegangen, dass sich die Lage in Ungarn zumindest seit Oktober 2014 schon deshalb deutlich verändert habe, weil in jüngerer Zeit ein massiver Zustrom von Asylwerbern stattgefunden habe, der in hohem Maße auch Ungarn betroffen habe. Deshalb sei ein konkretes Vorbringen, mit dem Asylwerber eine angemessene Unterbringung und Versorgung ihrer Grundbedürfnisse in Ungarn vor dem Hintergrund dieser notorischen Entwicklungen in Frage gestellt haben, einer weitergehenden Prüfung der Lage zu unterziehen. Dazu ergibt sich aufgrund der inhaltlich nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides, dass sowohl die Anzahl der illegalen Grenzübertritte nach Ungarn wie auch jene der gestellten Asylanträge im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zum Jahr 2015 deutlich zurückgegangen ist, jene der gestellten Asylanträge von 176.000 im Gesamtjahr 2015 auf 22.093 im ersten Halbjahr 2016. Weiters erfolgten 2015 und 2016 eine hohe Anzahl von Einstellungen der Verfahren, was drauf hindeutet, dass die meisten Antragsteller während des Verfahrens untergetaucht sind. Der vom Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis vom 8.9.2015 als notorische Lageänderung umschriebene massive Zustrom von Asylwerbern insbesondere über Ungarn findet daher nach den aktuellen Länderfeststellungen gegenwärtig nicht mehr statt; siehe dazu auch die unter Punkt 10 der Verfahrenserzählung angeführte aktuelle (statistische) Information des Hungarian Helsinki Committee, welche diese Ausführungen bestätigt. Folgerichtig ergibt sich aus den aktuellen Feststellungen des angefochtenen Bescheides auch kein Hinweis darauf, dass die Kapazitäten der ungarischen Behörden zur Unterbringung von Asylwerbern nicht ausreichend wären. 3.4.2. Auch aus den dem Beschwerdeführer bei seiner Einreise nach Ungarn widerfahrenen Geschehnissen lassen sich keine systemischen Mängel ableiten, die Dublin-Überstellungen aus Österreich generell als rechtswidrig erscheinen ließen: Der Umstand, dass sich derartige Ereignisse tatsächlich zugetragen haben, kann zwar eines von vielen Indizien für die Behandlung von Asylwerbern sein, lässt aber keinen (alleinigen) Rückschluss darauf zu, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn als Dublin-Rückkehrer Gleiches widerfahren würde. Entscheidend ist vielmehr eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat (VwGH 8.9.2015, Ra 2015/18/0113-0120). Diesbezüglich ergibt sich aus den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung, dass die ungarischen Sicherheitskräfte im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sorgen und bei Vorliegen strafbarer Handlungen Polizei und Gerichte der ungarischen Rechtsordnung entsprechend vorgehen. Sohin liegt kein ausreichend konkreter Anhaltspunkt dafür vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Ungarn vor dem Hintergrund jenes Vorbringens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche Behandlung bzw neuerliche körperliche Misshandlungen drohen würden, zumal eine solche Überstellung in Zusammenarbeit der Behörden organisiert erfolgt. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben beim Voraufenthalt in Ungarn geschlagen worden sei, bildet keinen Beleg dafür, dass dieser im Falle einer Rücküberstellung dem realen Risiko entsprechender Übergriffe ausgesetzt sein sollte. Nach der Darstellung des Beschwerdeführers sei der entsprechende - wenn auch keinesfalls zu verharmlosende - Übergriff im Zusammenhang mit seinem Aufgriff nach seiner illegalen Einreise über die serbisch-ungarische Grenze erfolgt. Da bei einer Rücküberstellung des Beschwerdeführers im Rahmen des Dublin-Verfahrens eine geordnete Übergabe an die ungarischen Behörden erfolgen würde, wobei auch Belege für seine Identität vorliegen, ist davon auszugehen, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass der Beschwerdeführer neuerlich entsprechenden Übergriffen ausgesetzt sein sollte (VwGH 25.7.2016, Ra 2016/18/0131). 3.4.3. Der Beschwerdeführer brachte weiters in glaubhafter Weise vor, in Folge seines Aufgriffs durch fremdenpolizeiliche Organe für die Dauer von drei Tagen in einem umzäunten Teil eines ehemaligen Parkplatzes nahe der serbischen Grenze angehalten worden zu sein. Auch im Hinblick auf diesen Vorbringensaspekt ist zunächst auf obige Ausführungen zu verweisen und festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Falle einer behördlichen Rücküberstellung nach dem Regime der Dublin III-Verordnung eine gleichgelagerte Situation nicht zu erwarten hätte. Für fremdenpolizeiliche Maßnahmen (Aufgriff und Verhaftung illegaler Migranten, Rückführungen) ist in Ungarn die Aliens Policing Unit der ungarischen Polizei zuständig. Die Polizei kann einen Ausländer für bis zu 72 Stunden inhaftieren, danach kann ein Gericht die Haftdauer um jeweils 30 Tage bis zu insgesamt einem Jahr verlängern. Diesbezüglich ist zudem festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge in Ungarn innerstaatlicher Rechtschutz im Hinblick auf seine Inhaftierung infolge illegalen Grenzübertritts zu Teil geworden ist. So brachte der Beschwerdeführer in anschaulicher Weise vor, infolge einer dreitägigen Anhaltung einem Richter vorgeführt worden zu sein, welcher dessen Enthaftung verfügt und diesen über die Möglichkeit einer Antragstellung auf internationalen Schutz in Ungarn belehrt hätte. Der Beschwerdeführer sei infolge seiner

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16.11.2016

Freilassung in eine Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge gebracht worden, habe diese jedoch aus eigenem Entschluss sogleich wieder verlassen und sich zu einer Weiterreise nach Österreich entschieden. Allgemein ist im Hinblick auf das Risiko einer möglichen Inhaftierung nach erfolgter Rücküberstellung aufgrund der Dublin III-Verordnung Folgendes auszuführen: Auf Grundlage der im aktuellen Länderinformationsblatt Ungarn enthaltenen Informationen sind für DublinRückkehrer mehrere Szenarien denkbar. Der Rückkehrer kann entweder offen untergebracht werden, in Asylhaft genommen werden, oder in fremdenpolizeiliche Haft kommen (wenn er in keinem Asylverfahren in Ungarn ist und dies auch nicht wünscht). In der Regionaldirektion Gyor des BAH kommen alle Dublin-Rückkehrer an, die von Österreich in Nickelsdorf an die ungarischen Behörden übergeben werden. Auch die ungarische Fremdenpolizei ist dort vertreten. In Gyor werden Rückkehrer durch die Polizei erfasst und es wird geprüft, ob der Betreffende bereits ein Verfahren in Ungarn hatte und welchen Stand dieses hat, ob der Rückkehrer spezielle Bedürfnisse hat usw. Gegebenenfalls kann ein Asylantrag gestellt werden. Danach wird den Rückkehrern entsprechend ihrem Verfahrensstand eine Unterbringung zugewiesen (offene Unterbringung oder Asylhaft etc.). Asylhaft ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung. Aus einem ergänzend herangezogenen Bericht von UNHCR zur Situation von im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Ungarn rücküberstellten Personen vom 9.9.2016 ergibt sich, dass alleinstehende Asylsuchende, welche nach der Dublin-Verordnung rücküberstellt werden, in Ungarn häufig inhaftiert würden, da sie zuvor untergetaucht seien und das Land auf irreguläre Weise verlassen hätten. Auch diese mögliche Verhängung von asylrechtlicher Haft gegen den Beschwerdeführer ist nach den Länderfeststellungen der angefochtenen Entscheidung jedoch für sich genommen kein Indiz für eine Grundrechtsverletzung gegenüber dem Beschwerdeführer. Unbestritten ist in einer Gesamtschau der Berichtslage, dass (im europäischen Vergleich) sich relativ viele Antragsteller in Ungarn in Haft befinden (aber nicht die Mehrheit, vgl auch die entsprechenden unter Punkt 10 der Verfahrenserzählung referierten letzten Daten); daraus ergeben sich aber keine substantiierten Zweifel, dass die Verhängung der asylrechtlichen Haft nach den entsprechenden ungarischen gesetzlichen Vorschriften in jedem einzelnen Fall abgewogen werde und nur anzuwenden sei, wenn der Zweck nicht anders erreicht werden könne. Dass Dublin-Rückkehrer in größerem Ausmaß inhaftiert würden, kann mit der (nicht widerlegten) Aussage der Behördenvertreterin in der mündlichen Verhandlung, wonach unter 10 % der Inhaftierten Dublin-Rückkehrer gewesen wären, nicht als bestätigt gelten. Die Haftbedingungen betreffend kann - abstrakt betrachtet - ebenfalls nicht gesagt werden, dass sie allgemein menschenrechtswidrig wären (so die Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides und zuletzt die unter Punkt 11 der Verfahrenserzählung referierte Quelle). Im Übrigen bleibt anzumerken, dass der Umstand, dass ein Asylantragsteller infolge einer Dublin-Rückstellung in Haft genommen werden könnte, für sich genommen nicht als ausreichend angesehen werden kann, um eine Überstellung nach der Dublin-VO für unzulässig zu erklären (vgl VwGH 31.5.2005, 2005/20/0095). In diesem Zusammenhang ist ferner festzuhalten, dass laut UNHCR Bericht vom 9.9.2016 keine Fälle bekannt seien, in welchen infolge einer Rücküberstellung Strafverfahren gegen Dublin-RückkehrerInnen aufgrund des unerlaubten Grenzübertritts eingeleitet worden wären und lassen sich auch den eigenen Angaben des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte in diese Richtung entnehmen, zumal dieser davon berichtete, in Ungarn einem Richter vorgeführt worden zu sein, welcher komplikationslos dessen Freilassung aus der fremdenpolizeilichen Anhaltung angeordnet hätte, ohne dabei ein etwaiges Strafverfahren in Aussicht zu stellen, sondern ihn vielmehr über "die Möglichkeit der Weiterreise in einen anderen Mitgliedstaat" informiert hätte. 3.4.4. Weiters hat das Verfahren auch keine Hinweise ergeben, dass wegen systemischer Mängel in Ungarn nach Rücküberstellung dem Beschwerdeführer die Geltendmachung seiner Gründe für die Verweigerung internationalen Schutzes verunmöglicht würde, insofern auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27.8.2015, W125 2111611-1 gestellten Ermittlungsaufträge als im Allgemeinen erfüllt gelten können (vgl aus der rezenten Rechtsprechung der zuständigen Gerichtsabteilungen des BVwG nur W240 213692-1/4E vom 18.10.2016; aufgrund (auch) schwerer Mängel im Asylwesen in einer signifikanten Zahl von Verfahren ist jedenfalls eine sorgfältige Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl etwa W233 2135667 vom 18.10.2016)). Ernsthaft zu befürchtende systemische Mängel in dieser Hinsicht ergeben sich auch nicht mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des EGMR, insbesondere wurde aktuell nur in sehr wenigen (potentiell vulnerable Antragsteller betreffenden) Verfahren einstweiliger Rechtsschutz gewährt. Die vom Beschwerdeführer zitierten gegenteiligen Entscheidungen deutscher und eines britischen Gerichts sind keine obergerichtlichen, gehen zum Teil von weniger aktuellen Quellen aus und vermögen insgesamt zu keiner anderen Einschätzung zu führen. Konkretes detailliertes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Ungarn in Hinblick auf Asylwerber aus Somalia unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden (Statistiken des Hungarian Helsinki Committee; www.asylumineurope.org/reports/country/hungary/statistics zeigen sowohl Gewährungen von Asyl als auch von subsidiärem Schutz für somalische Staatsbürger). www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

Wie schon in der Beweiswürdigung dargelegt stünde dem Beschwerdeführer jedenfalls bis Mitte Dezember 2016 ein Antrag auf Wiedereröffnung seines Verfahrens auf internationalen Schutz in Ungarn offen. Eine Weiterführung des Verfahrens und erfolgte Entscheidung in Abwesenheit des Beschwerdeführers (diesfalls bestünde die dargelegte Möglichkeit der Beantragung einer Wiederaufnahme des Verfahrens nicht) erweist sich in Einklang mit den vorliegenden Länderinformationen - insbesondere auch aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer Ungarn verlassen hat, noch bevor er erstmalig zu seinem Ersuchen um internationalen Schutz einvernommen wurde und sohin die Sachverhaltsbasis für einen Abspruch über seinen Antrag in Abwesenheit fehlte, demgegenüber als unwahrscheinlich. In der Rechtssache Mirza vom 17.3.2016, C 695/15, sprach der Gerichtshof der Europäischen Union schließlich unter anderem aus, dass Art 18 Abs 2 Dublin III-Verordnung dem zuständigen Mitgliedstaat nicht vorschreibe, die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz in einem bestimmten Verfahrensstadium wiederaufzunehmen oder diesem das Recht zu nehmen, einen Antrag für unzulässig zu erklären. Auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um eine aus Serbien, ein durch Ungarn entgegen der Position UNHCRs (vgl. den Bericht aus Mai 2016) - als sicherer Drittstaat erachtetes Land, nach Ungarn eingereiste Person handelt, kann kein signifikantes Risiko einer Verweigerung eines inhaltlichen Verfahrens in Ungarn respektive einer Kettenabschiebung nach Serbien ohne vorhergehende individuelle Antragsprüfung erkannt werden, zumal sich aus den durch die Behörde getroffenen Länderfeststellungen in schlüssiger Weise ein - nicht zuletzt aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten - überaus geringes Risiko einer Abschiebung nach Serbien ergibt. So seien zufolge der vorliegenden Informationen zwischen 1.1. und 13.6.2016 insgesamt 113 Personen von Ungarn nach Serbien überstellt worden (Staatsangehörige Serbiens, Kosovos, Albaniens, u.a.), unter welchen sich keine Dublin-Rückkehrer befunden hätten. Serbien vertrete den Standpunkt, dass das Rücknahmeübereinkommen nur auf serbische und ehemalige jugoslawische Staatsangehörige Anwendung fände. In diesem Sinne sei auch ein durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Basis der durch das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheidung vom 27.8.2015 erteilten Ermittlungsaufträge durchgeführtes Monitoring von 41 nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens rücküberstellten Personen ausgefallen, im Zuge dessen ebenfalls kein Fall einer Abschiebung von Ungarn nach Serbien in diesem Kontext bekannt geworden wäre. Den Länderinformationen lässt sich des Weiteren entnehmen, dass in Fällen, in welchen ein Antrag aufgrund der Einreise über Serbien seitens Ungarns als unzulässig erachtet wird, Serbien sich jedoch hinsichtlich einer Rückübernahme nicht bereit erklärt, eine inhaltliche Prüfung des Antrags in Ungarn erfolgt. Wird das ungarische Büro für Immigration und Nationalität durch die ungarische Fremdenpolizei informiert, dass eine - unverzüglich durchzuführende - Unzulässigkeitsentscheidung faktisch nicht effektuiert werden könne, so habe die ungarische Behörde ohne Verzögerung ein inhaltliches Verfahren zu beginnen. Diesbezüglich wurde durch die Vertreterin der belangten Behörde anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergänzend ausgeführt, dass in Fällen, in welchen infolge einer Rücküberstellung nach Ungarn nicht sogleich ein inhaltliches Verfahren geführt worden wäre, es zur Anordnung eines inhaltlichen Verfahrens durch ungarische Gerichte gekommen sei, wodurch auch von innerstaatlichen Rechtschutzmöglichkeiten in Ungarn ausgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang ist wieder auch auf die Ausführungen im in der schon oben erwähnten Rechtssache Mirza, C-695/15, ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union hinzuweisen, in welchem unter anderem festgehalten wird, dass "die Dublin III-Verordnung im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens den zuständigen Mitgliedstaat nicht verpflichtet, den überstellenden Mitgliedstaat über den Inhalt seiner nationalen Regelungen im Bereich der Zurück- oder Abweisung von Antragstellern in sichere Drittstaaten oder über seine Verwaltungspraxis in diesem Bereich zu unterrichten. Insoweit ist festzustellen, dass die nationale Regelung und Praxis in Bezug auf das Konzept des sicheren Drittstaats keinen Einfluss auf die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die Überstellung des betreffenden Antragstellers in diesen Mitgliedstaat haben. (...) Zudem verfügt der Antragsteller hinsichtlich der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz im zuständigen Mitgliedstaat nach Art 46 der Richtlinie 2013/32 über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht dieses Mitgliedstaates, der es ihm ermöglicht, die Entscheidung anzufechten, die auf den nationalen Rechtsvorschriften über sichere Drittstaaten beruht, auf der Grundlage, je nach seiner individuellen Situation, von Art 38 oder 39 der Richtlinie." Hinsichtlich der (allfälligen) Problematik einer dem Beschwerdeführer im Falle einer hypothetischen Rücküberstellung nach Ungarn drohenden Überstellung nach Griechenland als über dieses Land eingereister Antragsteller (vgl etwa den Bericht von ECRE vom 13.5.2016, demzufolge ungarische Entscheidungen hinsichtlich der Anordnung eines Transfers nach Griechenland trotz der dort bestehenden systemischen Mängel ergangen wären), ist den Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu folgen, demzufolge eine solche Konstellation bereits vor dem Hintergrund der durch die Dublin-Verordnung normierten Fristen scheitere, zumal die Frist für die Stellung eines Aufnahmeersuchens Ungarns an Griechenland bereits abgelaufen ist und eine Zuständigkeit Griechenlands vor diesem Hintergrund durch Ungarn nicht argumentiert werden könnte. Im Übrigen erweisen sich die oben zitierten Überlegungen des EuGH in der Rechtssache Mirza und der darin enthaltene Verweis auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme innerstaatlichen Rechtschutzes im zuständigen Mitgliedstaat in Bezug auf eine durch diesen Staat getroffene Unzuständigkeitsentscheidung auch auf die mögliche Annahme Ungarns, Griechenland als den zuständigen www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

Mitgliedstaat zu erachten, als übertragbar. Der Beschwerdeführer wäre demnach gehalten, eine entsprechende Entscheidung Ungarns im dortigen innerstaatlichen Rechtsmittelweg anzufechten. 4. Aus dem bisher Gesagten zeigen sich insgesamt keine Bedenken an der Rechtsrichtigkeit der verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Wie schon in der Beweiswürdigung unter 2.6. dargelegt und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 24.10.2016 erörtert, traten im Laufe des Verfahrens jedoch verstärkt Zweifel an der Aufnahmebereitschaft Ungarns in einem potentiell verfahrensrelevanten Ausmaß an das Licht. 4.1. Im Allgemeinen ist die Frage der Maßgeblichkeit der Aufnahmebereitschaft, respektive faktischen Möglichkeit einer tatsächlichen Effektuierung einer Unzulässigkeitsentscheidung im Rahmen des DublinRegimes - im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Erlassung ebenjener zurückweisenden Entscheidung - nach Ansicht des erkennenden Gerichts wie folgt zu behandeln: Generell als notorisch anzusehen sind wiederholte mediale Äußerungen auf ungarischer Regierungsebene betreffend eine nicht vorhandene Bereitschaft, Personen im Rahmen des Dublin III-Regimes aus Österreich (im Allgemeinen bzw im Falle einer vorhergehenden Einreise über Griechenland) rückzuübernehmen (siehe dazu die in der Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingeführten Quellen). Auch die seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bekanntgegebenen, insofern nicht anzuzweifelnden, Zahlen belegen den Umstand einer lediglich sehr geringen Anzahl an Überstellungen, verglichen mit den an Ungarn gerichteten Übernahmeersuchen. Gleichzeitig wird jedoch ersichtlich, dass Überstellungen während der letzten Monate, wenn auch in geringem Ausmaß, tatsächlich stattgefunden haben, sohin keine Situation einer absoluten Weigerung eines Mitgliedstaates, Dublin-Rücküberstellungen zu akzeptieren, vorliegt, welche sich allenfalls per se bereits auf eine Rechtmäßigkeit der Erlassung von Unzuständigkeitsentscheidungen im Dublin-Verfahren auswirken würde, in dem Sinne, als selbige vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgebotes und der daraus abzuleitenden Zielsetzung der Dublin III-Verordnung einer Verfahrensbeschleunigung unzulässig erschienen: In diesem Sinne argumentierte der Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg in seiner Entscheidung vom 5.7.2016, Zl. 104/16/ F10 F/Pf, in welcher die Frage der Maßgeblichkeit der Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Effektuierung selbiger bereits für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Titelentscheidung als beachtlich erachtet wurde. So ging das genannte deutsche Obergericht in der angeführten Entscheidung bezogen auf Ungarn von einer "verschwindend geringen Überstellungsquote" aus und erachtete die verfügte Abschiebungsanordnung unter anderem deshalb als rechtswidrig, da eine zeitnahe Überstellung des Betroffenen (auch) aufgrund Ungarns Weigerung, Schutzsuchende zu übernehmen, nicht möglich gewesen sei. Aufgrund des der Dublin III-Verordnung zugrundeliegenden Beschleunigungsprinzips, so die weiteren Ausführungen im zitierten Urteil, sei bereits prognostisch davon auszugehen, dass die Zuständigkeit auf Deutschland überginge, wenn absehbar sei, dass eine Überstellung nicht innerhalb der unionsrechtlichen Überstellungsfrist erfolgen könne, wodurch auch die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrages als unzulässig berührt würde. Zur Vermeidung weiterer, dem Beschleunigungsprinzip und dem Effektivitätsprinzip des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen, wäre die Behörde im Falle einer solchen Sachlage verpflichtet, ohne Ermessenspielraum sofort vom Selbsteintritt nach Art 17 Abs 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen, ohne den sich abzuzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art 29 Abs 2 Dublin IIIVerordnung abwarten zu dürfen. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht führte in seiner Entscheidung vom 9.8.2016 (BVerwG 1 C 6.16, OVG 13 A 59/15.A, Rz 23), wenn auch in einem nicht unmitttelbar vergleichbaren Kontext, aus, dass der nach den Dublin-Bestimmungen zuständige Mitgliedstaat einen Schutzsuchenden dann nicht auf die Prüfung durch einen anderen (unzuständigen) Mitgliedstaat verweisen dürfe, wenn dessen (Wieder-)Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststehe. 4.2. Zur unionsrechtlichen/menschenrechtskonformen Auslegung der Frage des Umfangs der Ermittlungspflichten der Behörde/Gerichte in diesem Zusammenhang lassen sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts aus den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Rechtssache Avotins v. Lativa vom 23.5.2016, appl. nr. 17052/07, sowie jenen des EuGH vom 5.4.2016, zu den verbundenen Rechtssachen C404/15 (Aranyosi) und C-659/15 PPU (Caldararu) gewisse Leitlinien erkennen. In der Rechtssache Avotins v. Latvia vom 23.5.2016, appl. nr. 17052/07, argumentierte der EGMR unter anderem (neuerlich) im Sinne einer generellen Vermutung eines menschenrechtskonformen Agierens der Behörden eines Mitgliedstaates, sofern zwingendes Unionsrecht (einschließlich des dort vorgesehenen Rechtsschutzes) angewendet wird (vgl etwa Rz 105: "The Court reiterates that the application of the presumption of equivalent protection in the legal system of the European Union is subject to two conditions, which it set forth in the Michaud judgment, cited above. These are the absence of any margin of manoeuvre on the part of the domestic authorities and the deployment of the full potential of the supervisory mechanism provided for by European Union law (...)"; sowie Rz 115: "Moreover, the Court observes that where the domestic authorities www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

give effect to European Union law and have no discretion in that regard, the presumption of equivalent protection set forth in the Bosphorus judgment is applicable. This is the case where the mutual recognition mechanisms require the court to presume that the observance of fundamental rights by another Member State has been sufficient (...)". Der EGMR hob zudem das legitime Prinzip des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht hervor, welches die gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten einschränkt: "The Court has repeatedly asserted its commitment to international and European cooperation (see, among other authorities, Waite and Kennedy v. Germany [GC], no. 26083/94, §§ 63 and 72, ECHR 1999-I, and Bosphorus, cited above, § 150). Hence, it considers the creation of an area of freedom, security and justice in Europe, and the adoption of the means necessary to achieve it, to be wholly legitimate in principle from the standpoint of the Convention. 114. Nevertheless, the methods used to create that area must not infringe the fundamental rights of the persons affected by the resulting mechanisms, as indeed confirmed by Article 67(1) of the TFEU. However, it is apparent that the aim of effectiveness pursued by some of the methods used results in the review of the observance of fundamental rights being tightly regulated or even limited. Hence, the CJEU stated recently in Opinion 2/13 that "when implementing EU law, the Member States may, under EU law, be required to presume that fundamental rights have been observed by the other Member States, so that ..., save in exceptional cases, they may not check whether that other Member State has actually, in a specific case, observed the fundamental rights guaranteed by the EU" (see paragraph 49 above). Limiting to exceptional cases the power of the State in which recognition is sought to review the observance of fundamental rights by the State of origin of the judgment could, in practice, run counter to the requirement imposed by the Convention according to which the court in the State addressed must at least be empowered to conduct a review commensurate with the gravity of any serious allegation of a violation of fundamental rights in the State of origin, in order to ensure that the protection of those rights is not manifestly deficient." Vgl dazu ferner Rz 116: "In this spirit, where the courts of the State which is both a Contracting Party to the Convention and a Member State of the European Union are called upon to apply a mutual recognition mechanism established by EU law, they must give full effect to that mechanism where the protection of Convention rights cannot be considered manifestly deficient. However if a serious and substantiated complaint is raised before them to the effect that the protection of a Convention right has been manifestly deficient and this situation cannot be remedied by European Union law, they cannot refrain from examining that complaint on the sole ground that they are applying EU law". Im weiteren Sinn auf die vorliegende Konstellation übertragen lässt sich sohin argumentieren, dass österreichische Behörden im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung im Dublin-Verfahren grundsätzlich im Sinne einer dahingehenden gesetzlichen Vermutung davon ausgehen können und müssen (und hier - nach Begründung einer von Österreich geltend gemachten Zuständigkeit durch Verfristung - im Allgemeinen auch keinen Spielraum mehr hätten, danach das Selbsteintrittsrecht auszuüben), dass Behörden eines anderen Mitgliedstaates die Überstellung von Beschwerdeführern, für deren Verfahren auf internationalen Schutz eine unionsrechtliche Zuständigkeit nach der Dublin III VO besteht/entstanden ist, tatsächlich akzeptieren. Dem entgegenstehende tatsächliche Umstände werden nur insoweit zu berücksichtigen sein, als sich diese für die Behörde als geradezu augenscheinlich darstellen, von einer spezifischen Ermittlungspflicht der Behörden ist jedoch nicht auszugehen. Dem weiter folgend wäre die Möglichkeit der faktischen Effektuierung einer Unzuständigkeitsentscheidung im Rahmen der Dublin III-Verordnung durch eine auf dieser Basis erfolgende Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedschaft - und sohin die Frage der diesbezüglich notwendigen Aufnahmebereitschaft des betreffenden Staates - prinzipiell für die Frage der Rechtmäßigkeit jener Entscheidung nicht Voraussetzung, es sei denn, es wäre aufgrund offenkundiger Tatsachen davon auszugehen, dass eine solche nicht besteht. Diesem Verständnis entsprechend erwog der EuGH in seinem Urteil vom 5.4.2016, C404/15 (Aranyosi) und C-659/15 PPU (Caldararu), Rz 78, dass sowohl dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Unionsrecht fundamentale Bedeutung zukommt, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl in diesem Sinne Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191). In jenem - bezogen auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls im Falle von Hinweisen auf eine im Zielstaat mögliche Art 3 EMRK widersprechende Behandlung ergangenen - Urteil wird in Bezug auf solche die Behörden des Aufenthaltsstaates treffenden Ermittlungspflichten des Weiteren festgehalten (vgl Rz 92 f): "Hat die vollstreckende Justizbehörde das Vorliegen einer solchen Gefahr festgestellt, muss sie nämlich sodann noch konkret und genau prüfen, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Betroffene aufgrund der Bedingungen seiner beabsichtigten Inhaftierung im Ausstellungsmitgliedstaat einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird. Das bloße Vorliegen von Anhaltspunkten für systemische oder allgemeine, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel bei den Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat bedeutet nämlich nicht zwingend, dass in einem konkreten Fall der Betroffene einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, sofern er den Behörden dieses Mitgliedstaats übergeben wird. Um die Beachtung von Art. 4 der Charta im individuellen Fall der Person, gegen die sich der Europäische Haftbefehl richtet, sicherzustellen, ist infolgedessen die vollstreckende Justizbehörde, www.ris.bka.gv.at

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16.11.2016

die über objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Belege für das Vorliegen solcher Mängel verfügt, zu der Prüfung verpflichtet, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass diese Person im Anschluss an ihre Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in diesem Mitgliedstaat ausgesetzt sein wird." Die Dublin III-VO verfolgt unter anderem das Ziel der Verfahrensbeschleunigung, im Sinne einer raschen Bestimmung des für die Führung des Verfahrens auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats (Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO S. 24 zu deren Zielen), um den effektiven Zugang zum und die rasche Bearbeitung der Asylverfahren zu gewährleisten. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass die in Artikel 29 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung normierte Überstellungsfrist in Fällen (zeitweise) faktisch nicht möglicher Überstellungen hinreichenden Rechtschutz bewirken soll. Dennoch muss es im Falle exzeptioneller Fälle, in welchen eine Überstellung von vorneherein als praktisch ausgeschlossen erachtet werden muss, als nicht mit den Zielen der Dublin III-Verordnung vereinbar erachtet werden, in solchen Fällen dennoch die Unzuständigkeitsentscheidung zu treffen, wenn sich ein künftiger Zuständigkeitsübergang infolge eines ungenutzten Verstreichens der Überstellungsfrist bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung als (nahezu) gewiss erweist. Als Konsequenz der dargelegten Erwägungen ist die aufgeworfene Rechtsfrage nach Ansicht des erkennenden Gerichtes daher im Ergebnis so zu bewerten, als dass der Gesichtspunkt der tatsächlichen Effektuierbarkeit der getroffenen Entscheidung im Sinne einer prognostischen Beurteilung nicht gänzlich außer Acht gelassen werden kann und im Falle augenscheinlicher massiver und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dauerhafter Hindernisse an einer tatsächlichen Überstellung in einem über die sechsmonatige Überstellungsfrist hinausgehenden Zeitraum (etwa völlig unterbleibender Überstellungen über einen gewissen Zeitraum ohne Hinweise auf eine künftige Änderung der Sachlage) aus Effizienzerwägungen die Souveränitätsklausel des Art 17 Abs 1 Dublin III-Verordnung und das dort normierte Selbsteintrittsrecht (vorher) von der zuständigen Verwaltungsbehörde anzuwenden wären. Auf Basis der zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Sachlage kann eine solche notorische gänzliche Negierung der Aufnahmebereitschaft Ungarns jedoch nicht angenommen werden und ist eine solche auch im seitens des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen, zumal es, wie beweiswürdigend dargelegt, auch innerhalb der letzten Monate zu Überstellungen - wenn auch in geringem Ausmaß und möglicherweise unter Differenzierung zwischen verschiedenen "Fallkonstellationen" [zu letzterem Punkt ließ sich im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens keine abschließende, belastbare Feststellung treffen] - gekommen ist und sohin nicht generell ex ante davon ausgegangen werden kann, dass eine Überstellung nach Ungarn binnen der sechsmonatigen Überstellungsfrist nicht möglich sein wird. Im Verfahrensverlauf haben sich insbesondere auch keine ausdrücklichen Hinweise darauf ergeben, dass in der Praxis überhaupt keine Überstellungen von über Griechenland nach Ungarn eingereisten Personen erfolgen würden, respektive keiner der durchgeführten Überstellungen eine derartige Sachverhaltskonstellation zugrunde gelegen hat (obzwar diesbezüglich auch keine positive Feststellung erfolgen konnte). 4.3. Im vorliegenden Einzelfall hat die belangte Behörde nun aber - in Erledigung der (da dort - siehe 2.6.1. eine Art Zweifelsschwelle betreffend die konkrete Aufnahmebereitschaft im Einzelfall überschritten war, erfolgten) Anfrage des BVwG - die seitens der Behörde im Übrigen zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt oder als nicht erfüllbar erachtet wurde - eine Mitteilung Ungarns erhalten (vgl oben zu deren Bewertung und Auslegung in der Beweiswürdung unter 2.6.2.), wonach die Überstellung des Beschwerdeführers von Ungarn nicht akzeptiert werde. Dies muss einer (ursprünglichen) Ablehnung eines Gesuchs auf Wiederaufnahme gleichgehalten werden, für welche das System der Dublin III VO (durch die zeitlich limitierten Überstellungsfristen) aber keine (systeminhärente) Lösung vorsehen kann. Dass für eine (auch gerichtlich) haltbare Annahme einer Zuständigkeit eines Mitgliedstaates immer auch dessen Zustimmung/Billigung (mag auch eine Verweigerung rechtswidrig erfolgen) vorliegen muss, ist eine (auch von Gerichten zu beachtende) Besonderheit des Konsultationsverfahrens zwischen nach wie vor souveränen Mitgliedstaaten (so Filzwieser/Sprung, Dublin III VO, K2 zu Art 18). Es kann im vorliegenden individuellen Fall nun nicht angehen, den Beschwerdeführer mit den Folgen eines solchen Handelns Ungarns zu belasten und ihm ein inhaltliches Verfahren über weitere Monate zu verweigern. Hier muss im Sinne des von Art 27 Dublin III VO geforderten (im Sinne der rezenten Rechtsprechung des EuGH dazu, erweiterten) Rechtsschutzes seitens der Rechtsschutzinstanz Abhilfe geleistet werden. Art 17 Abs 1 Dublin III-Verordnung ermöglicht einem nach den Kriterien der Dublin III-Verordnung nicht zuständigen Mitgliedstaat, von sich aus einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Da Art. 17 Abs 1 leg cit keine inhaltlichen Vorgaben bietet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im www.ris.bka.gv.at

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Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein Selbsteintritt in die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz erfolgt. (...) Es liegt auf der Hand, dass es sich hier um exzeptionelle Fälle handeln muss, da ja nach Absicht des Verordnungsgesetzgebers bereits die Zuständigkeitskriterien der Verordnung ein EMRK-konformes Ergebnis liefern sollen. Nichtsdestotrotz bietet eben Art 17 Abs 1 Dublin IIIVO die notwendige Flexibilität, um diese EMRK-Konformität auch in von der Verordnung nicht ex ante vorhersehbaren besonderen Fällen zu garantieren (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Art 17, K1 f und siehe auch das oben zitierte Urteil des EGMR in Avotins, Rz 107). Im Ergebnis war daher aufgrund der konkreten Sachlage des Einzelfalls in (zwingender) Ausübung des in Art 17 Abs 1 Dublin III-Verordnung normierten Selbsteintrittsrechts mit einer Behebung des angefochtenen Bescheides nach § 21 Abs 3 erster Satz BFA-VG vorzugehen, wodurch das Verfahren auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zugelassen und von der Behörde inhaltlich zu prüfen sein wird. 5. Nur vollständigkeitshalber wird darauf hingewiesen, dass fallgegenständlich - unbeschadet der oben dargelegten Erwägungen, denen zufolge aufgrund der im Verfahren getroffenen Ermittlungsergebnisse aktuell keine systemischen Mängel innerhalb des ungarischen Asylwesens erkannt werden können und sich Rücküberstellungen in diesen Mitgliedstaat grundsätzlich als tatsächlich möglich erweisen - anlässlich der durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung, in Bezug auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers, die Kumulation mehrerer Aspekte ersichtlich wurde, welche potentiell (in einer Zusammenschau) zur Annahme einer besonderen Vulnerabilität geeignet wären; während dessen verschiedenen Krankheitszustände (wie auch in der Beweiswürdigung ausgeführt) für sich genommen die Schwelle des Art 3 EMRK und Art 4 GRC eindeutig nicht überschreiten. Dem korrelierend ergibt sich aus einer Gesamtschau der herangezogenen Berichtslage, dass im Falle des Beschwerdeführers als alleinstehendem Mann, welcher sich dem Verfahren in Ungarn zuvor entzogen hatte, durchaus nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieser im Falle einer Rücküberstellung in Asylhaft genommen würde. Wie erwähnt, würde dieser Aspekt für sich genommen einer Überstellung nicht im Wege stehen, doch kommt im Falle des Beschwerdeführers hinzu, dass dieser im Rahmen seines vorangehenden Aufenthalts in Ungarn - wie er in der Verhandlung in anschaulicher Weise schilderte - Misshandlung und erniedrigender Behandlung durch staatliche Organe ausgesetzt gewesen ist. Auch dessen gesundheitliche Probleme - der Beschwerdeführer leidet (ohne entsprechende Medikation) an schwerwiegenden Zahnschmerzen und trägt eine Zahnprothese - würden sich im Rahmen einer Haftsituation potentiell gravierender auswirken. Sohin wäre, wie sich erst in der Beschwerdeverhandlung herausgestellt hat, im Einzelfall - im Lichte des (auch und zunächst für die Behörde maßgeblichen) zuletzt ergangenen VfGH-Erkenntnisses zu Zl E 850-855/2016-17 vom 22.9.2016 - näher zu erheben gewesen, ob eine mögliche Haft grundrechtsrelevante Auswirkungen auf die individuelle (psychische und physische Gesundheits-) Situation des Beschwerdeführers entfalten würde, dies vor allem unter folgendem Hintergrund: Wie unter Punkt 11 der Verfahrenserzählung referiert gab und gibt es notorische Hinweise aus der Berichtslage, wonach vulnerable Antragsteller, gerade im Kontext der Asylhaft, in Ungarn als solche oftmals nicht identifiziert werden. In diesem Sinne hat nun auch der Behördenvertreter (der Staatendokumentation) anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung zugestanden, dass es noch offene Punkte gebe, welcher einer weiteren Klärung zugänglich wären, wobei aber darauf hinzuweisen ist, dass diesfalls eine solche Klärung schon von der Verwaltungsbehörde hätte erfolgen müssen, andernfalls eine unzulässige Verlagerung von Ermittlungspflichten auf die Gerichtsebene zu konstatieren wäre. Sohin wären also (wie sich nunmehr herausgestellt hat, schon durch die Behörde) eine weitergehende Klärung des Gesundheitszustandes vorzunehmen sowie damit in Beziehung gesetzt die Erhebung der Umstände einer möglichen Haft in Rücksichtnahme auf die potentiell erhöhte Vulnerabilität des Beschwerdeführers erforderlich gewesen. Dies könnte im Rahmen der achtwöchigen Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichts (respektive deren verbleibendem Rest) nicht in effizienter Weise vorgenommen werden, insbesondere auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Staatendokumentation auf Ebene der Behörde angesiedelt ist. 6. Es war insgesamt spruchgemäß zu entscheiden. Zu B) Zulässigkeit der Revision:

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Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Eine Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht oder es an einer solchen Rechtsprechung fehlt oder die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Sofern es im vorliegenden Verfahren um die Bewertung der Asyl-und Aufnahmesituation im zuständigen Mitgliedstaat sowie die individuellen Umstände des Beschwerdeführers geht, liegen die tragenden Elemente der Entscheidung in Tatbestandsfragen, welche unter Heranziehung umfassenden und aktuellen Quellenmaterials zur Lage in Ungarn beurteilt wurden. Hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die zitierte Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EuGH/EGMR, respektive auf eine ohnehin klare europarechtliche Rechtslage stützen; insofern geht das Bundesverwaltungsgericht von "acte claire" aus, unbeschadet dessen, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (siehe EuGH 4.6.2002, Rs C99/00, Lyckeskog, und 16.12.2008, Rs C-210/06, Cartesio) die Verwaltungsgerichte nicht als letztinstanzliche Gerichte iSd Art 267 Abs 3 AEUV anzusehen sind, weil deren Entscheidungen noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts beim VwGH angefochten werden können (VfGH 26.9.2014, E304/2014). Zur letztlich entscheidungsrelevanten Frage, ob die (substantiiert in Zweifel gezogenen) Aufnahmebereitschaft eines Mitgliedstaates im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens nach Art 27 Dublin III VO überhaupt Bedeutung zukommen kann (nach Überzeugung des erkennenden Gerichtes im stark eingeschränkten Ausmaß, bei einer völligen Verweigerung von Überstellungen über einen längeren Zeitraum, zu bejahen, siehe 4.2. der rechtlichen Erwägungen; hier aber in der Folge wegen Nichtvorliegens dieser tatbestandsmäßigen Voraussetzung im Ergebnis nicht ausschlaggebend) und darüber hinausgehend/davon zu differenzieren, ob eine ausdrückliche (endgültig erscheinende) Weigerung im Einzelfall sofort zur zwingenden Ausübung des Selbsteintrittsrechts (alternativ allenfalls zu einem sofortigen Rückübergang der Zuständigkeit) führen muss (wie unter 4.3. der rechtlichen Erwägungen bejaht), fehlt es jedenfalls an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, weshalb sich die ordentliche Revision vor diesem Hintergrund diesbezüglich als zulässig erweist. Da diese Frage(n) sich auch in zukünftigen Fällen stellen könnten, ist auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage(n) zu bejahen.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2016:W125.2136124.1.01

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