Die zehn Fallen des Multichannel-Marketings - Homburg & Partner

MCM gilt als Ansatz, um Kosten zu spa- ren. Nicht selten ... Weil die hohen Setup-Kosten dabei un- terschätzt ... Definition einer Strategie bleibt, wird oft auch die ...
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Die zehn Fallen des Multichannel-Marketings Die Mehrheit der Pharmaunternehmen will in den kommenden zwei Jahren in Multichannel-Marketing (MCM) investieren. Allerdings gehen die Unternehmen dabei unterschiedlich professionell vor. Bei der Implementierung von MCM treten immer wieder typische Probleme auf. Autoren: Thorsten Mintel, Pfizer, und Dr. Matthias Staritz, Homburg & Partner

86 Prozent der Arzneimittelhersteller wollen in den kommenden zwei Jahren verstärkt in digitale Angebote investieren und so ihr Multichannel-Marketing (MCM) ausbauen. Gleichzeitig gibt es in den Fachbereichen sehr heterogene Einstellungen zum MCM sowie zum optimalen Mix und dem möglichen Return. Dabei unterscheiden sich die Unternehmen stark in ihrer Investitionsbereitschaft. Auf Basis einer Projektarbeit und dem Austausch mit Kollegen von 14 der 15 größten Pharmahersteller haben die Autoren immer wieder die gleichen typischen Fallstricke erkannt. Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Implementierung

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von MCM gilt es, die folgenden Herausforderungen zu beachten:

1. Keine Strategie vorhanden Der verhängnisvollste Fallstrick ist, keine Strategie zu haben. Häufig wird beim MCM zu schnell vorangegangen. Dabei hängen Umfang und Ausgestaltung des MCM eng mit dem Kern des Commercial Models zusammen. Erfolgreiche Unternehmen geben dem Thema Raum auf Top Management Ebene und betrachten dieses umfassend, um eine tragfähige MC-Strategie abzuleiten. Hier sollten Fragen des aktuellen und künftigen Geschäftsmodells, aber

auch zu Zielen und Zielgruppen, Positionierung von Produkten und dem Channel-Mix bis hin zur Struktur und dem Controlling/KPI-System beantwortet werden.

2. Multichannel als „Retter in der Not“ sehen Zur fehlenden Strategie passt, dass Unternehmen MC oft als „Retter in der Not“ sehen. Das ist ein Trugschluss. MC braucht Zeit – erfolgreiche Unternehmen investieren seit Jahren systematisch in Markt- und Kundenverständnis und haben ihre Erfahrungen in Piloten gesammelt.

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Vertriebskanalstrategien

Märkte 3. Initiativen anstoßen, um Kosten zu sparen

7. Analoge Inhalte digital kommunizieren

MCM gilt als Ansatz, um Kosten zu sparen. Nicht selten versuchen Hersteller, auf den MCM-Zug aufzuspringen mit dem primären Ziel der Kostensenkung. Weil die hohen Setup-Kosten dabei unterschätzt werden und kein ausreichendes Budget eingestellt wird, ist das Scheitern der halbherzigen Initiativen häufig vorprogrammiert.

Wenn zu wenig Zeit und Geld für das Aufsetzen von MCM vorhanden ist, wird oft versucht, bereits vorhandene Inhalte auf neuem Weg zu transportieren. Oft wird dabei bereits der Einsatz von iPads für den Außendienst als MCM gefeiert. Doch die Präsentation von klassischen Materialien auf dem iPad ist kein MC. Es gelingt erst, wenn neue Inhalte kreiert werden, die tatsächlichen Mehrwert schaffen und der Außendienst aktiv über iPad in das vernetzte MCM eingebunden ist.

4. Know-how wird unterschätzt Oft heißt es: „MC kann ja das Marketing mitmachen“. MCM braucht aber spezielles Wissen: Sowohl in Bezug auf Konzeption und Inhalt als auch bei den Fertigkeiten, und das eben nicht nur im Marketing. Neue Inhalte müssen entwickelt und Kanalpräferenzen erkannt werden. Es gilt zentrale Rechtsfragen zu klären und auch in der Kundenansprache werden zuweilen neue Fertigkeiten benötigt. Wer gut im persönlichen Gespräch ist, ist noch lange nicht selbstsicher bei Video-Calls: Aus Hunderten guter Außendienstmitarbeiter werden oft nur sehr wenige virtuelle Sales Reps rekrutiert.

5. Einsatz und Messung der Kanäle wird zu wenig abgestimmt Erfolgreiches Vertriebsmarketing hängt vom richtigen Mix ab, denn verschiedene Kanäle entfalten erst in der Kombination ihre volle Wirksamkeit. Voraussetzung dafür ist, dass sie entsprechend vernetzt, das heißt, Inhalte und das Timing von Botschaften müssen aufeinander abgestimmt werden.

8. Aus Aktionismus handeln Aktionismus ist ein häufiger Treiber von MCM. Eine Vielzahl von Initiativen wird aufgesetzt, weil „es die anderen auch so machen“. In solcher Eile sind meist nur Me-Too-Lösungen möglich, ohne klare Ziele und sinnvoll Einbindung in den Kanalmix, die dann auch keinen Mehrwert bieten können.

9. Zu wenig Mut, Offenheit und Risikobereitschaft Das Geschäftsmodel von Big Pharma ist im Vergleich zu anderen Branchen sicher eines der professionellsten. Tatsächlich gab es im Vertrieb und Marketing, insbesondere in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren, gravierende Einschnitte, aber keine grundlegenden Disruptionen. Mit MCM ändert sich das. Man verlässt auf breiter Basis die sicheren Gefilde. Hier ist Vertrauen in die eigenen unternehmerischen Entscheidungen nötig. Dabei hilft es, wenn Unternehmen bereits eine

6. Das Thema MultichannelMarketing willkürlich aufhängen

10. Die Bereitschaft der Hersteller wird überschätzt Der Außendienst ist immer noch der beliebteste Kanal im Pharmavertrieb, und viele der ‚neuen‘ oder nunmehr verstärkt genutzten Kanäle werden im Vergleich als „störend“ wahrgenommen. Der Markt lässt sich (noch) nicht komplett über neue Kanäle abdecken. Ein deutliches Indiz dafür sind beispielsweise die sogenannten E-Permissions. 30 Prozent Abdeckung bedeutet je nach Zielgruppe bereits einen Top-Wert. Dieser Anteil setzt gleichzeitig den Filter für vollumfängliches MCM.

Ausblick Fast jeder Marketing- und Vertriebsverantwortliche wird sich beim ein oder anderen dieser zehn Punkte an ein Beispiel im eigenen Haus erinnern. Sei es, weil es möglich war, einen Fallstrick vorherzusehen oder aber, weil man selbst in die Situation kam, etwas dazu zu lernen. Alle zehn Punkte sind sicher leichter aufgezählt als gelöst – die Gemeinsamkeit ist, dass es jeweils keine Patentlösung gibt. Im MCM gibt es keine Quick Wins, sondern es gelten bewährte Managementprinzipen: Saubere Analysen, eine klare Strategie sowie Geduld und Persistenz in der Umsetzung zahlen sich aus. Auf dem Weg braucht es eine gewisse Frustrationstoleranz und vielleicht auch den Mut zum Abbruch bestimmter Experimente.

Quelle: Pfizer

Thorsten Mintel zeichnet seit 2011 als Director Customer Marketing & Digital Marketing bei der Pfizer Pharma GmbH, Berlin. Der Betriebswirt hat eine Fortbildung zum Pharmareferenten in Hamburg absolviert und mehrere Jahre lang im Außendienst gearbeitet. Zu Pfizer kam er 1999 zunächst als Verkaufsleiter. ) Kontakt: [email protected]

Dr. Matthias Staritz Quelle: Maik Kern

Gerade in Fällen, in denen wenig Zeit zur Definition einer Strategie bleibt, wird oft auch die Organisation des Themas ad hoc entschieden. MCM wird dann einfach „irgendwo“ in einer bestehenden Abteilung aufgehängt, wo gerade Kapazität zu sein scheint. Da das MCM aber gerade von der Verzahnung und Vernetzung der Menschen lebt, vergibt man sich damit einen wesentlichen Treiber für Erfolg. Die ideale Struktur umfasst daher eine zentrale Abteilung für MCM mit engen Schnittstellen und regelmäßigen Austauschplattformen der jeweiligen Business Units.

Fehler- und Lernkultur etabliert haben, damit erste Misserfolge und Anlaufschwierigkeiten nicht zu schnell zur Entmutigung führen.

ist Partner im Kompetenzzentrum Healthcare bei Homburg & Partner in Mannheim. Er berät dort Kunden aus der Pharmaund Medizintechnikbranche im Marketing, Vertrieb, Pricing und Marktforschung. Staritz promovierte an der Universität Mannheim zum Thema Produktdifferenzierung. ) Kontakt: [email protected]

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