Erinnerungen aus meiner Kriegsgefangenschaft 4. Heft.

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Erinnerungen aus meiner Kriegsgefangenschaft 4. Heft.

Hermann Petri

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Kriegsgefangenenlager Kansk 5.4.20 – 26.4.20.

1. 103

Kansk – Krasnojarsk

Kopie der ersten Seite:

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14.Juli 1922. Am 2. Osterfeiertag (5.4.20) nachm. kam ich von meinem mehrtägigen Ausflug nach Krasnojarsk zurück. Nach den bestehenden Bestimmungen hätte ich garnicht erst die Baracke aufsuchen dürfen, sondern zunächst 14 Tage oder 3 Wochen in die Quarantänebaracke gemußt, die damals eingerichtet war, um das Einschleppen des Flecktyphus zu verhindern. Ich war aber Egoist genug, mich an diese Bestimmung nicht zu halten, nachdem ich mich vorher mit meinen Barackenkameraden und Nachbarn darüber ausgesprochen hatte. Es war nämlich von verschiedenen bekannt geworden, daß sie erst in der Quarantänebaracke Läuse (d.h. die Verbreiter der Flecktyphuskeime) bekommen hatten. Außerdem bestand lebhafter Verkehr zwischen dem Lager und den in der Quarantänebaracke untergebrachten. So beschränkte ich mich darauf, mich gründlich abzuseifen, nach Läusen abzusuchen, 2

glücklicherweise ohne etwas zu finden, meine Wäsche einzuweichen und alles Zeug gründlich auszuklopfen und zu bürsten. Dann endlich konnte ich in die Bücherei zum festlichen Kaffee gehen und hier dann von meiner Reise berichten. Der Rest des Tages ging dann mit Erzählen bei den verschiedensten Leuten hin. Ich war doch recht froh, daß ich die Reise unternommen hatte, wenn auch ihr eigentlicher Zweck, uns in Kr. eine annehmbare Anstellung zu verschaffen, nicht erfüllt war, so hatte ich doch viel Interessantes gesehen und gehört, und vor allem hatte ich mit Erfolg versucht, allein zu reisen und mit Russen – Einzelnen und Behörden – zu verhandeln, sodaß ich mit einem größeren Gefühl der Sicherheit den kommenden Dingen entgegensehen und vor allem auch ernstlich an eine Flucht denken konnte. Zunächst allerdings erschien mir meine Reise doch reichlich leichtsinnig, denn von 2 anderen Lagerangehörigen, 3

die etwa in der selben Zeit in Kr. gewesen waren, hörte ich, daß sie sich auf der Reise Flecktyphus geholt hatten. Besonders mulmig wurde mir, als mir am 2. Nachmittag nach meiner Rückkehr recht koddrig wurde, ich hatte Kopfschmerzen und Schwindelgefühl, wohl auch Fieber. Besonders peinlich war mir die Aussicht, zum Dr. Geiß hingehen zu müssen und bei ihm infolge des Umgehens der Vorschrift betr. der Quarantäne in recht üblem Licht zu erscheinen. Und er vertrug keinen Spaß. Doch da mir am nächsten Morgen auch noch recht elend zu Mute war, mußte ich zur Revierstube, sagte ihm meine Beobachtungen, verschwieg allerdings meine Reise und sagte nur, ich sei in der letzten Zeit täglich mit Russen in Berührung gekommen und bäte daher um genaue Untersuchung. Mir fiel kein kleiner Stein vom Herzen, als er mir sagte, Flecktyphus hätte ich nicht, nur eine Frühjahrsschlappheit, 4

die ich durch viel Spazierengehen kurieren solle. Und das half dann auch. In den ersten Tagen hatte ich noch allerlei Wege im Auftrag von uns 7 Architekten, da ich für uns noch mit den Russen abrechnen mußte, außerdem gelang es uns, noch Schuhwerk für uns herauszuschlagen. Das Lager hatte nämlich (siehe Heft 3 Seite 51) 650 Paar Amerikanerschuhe an die Russische Verteilungsstelle verkauft. Die Russischen Behörden gaben nun diese Schuhe zu dem im Schleichhandel schon 3-4 x überholten Einkaufspreisen an ihre Beamten und Angestellten ab. Da wir 7 russische Angestellte waren, bewarben wir uns auch um Schuhe, und durch Hartnäckigkeit und viel Lauferei ergatterten wir zu 7 2 Paar Schuhe und Leder für ein Paar Stiefel. Aufteilen ließen sie sich nicht, außerdem waren Lebensmittel wichtiger als Schuhe, so beschlossen wir, sie nacheinander möglichst 5

vorteilhaft einzutauschen. Das gab viel Mühe und Lauferei, besonders für mich, da P.M. zu faul war und ich außer ihm der einzige russisch Sprechende war, aber es brachte doch mancherlei gute Eßwaren und außerdem Geld ein. Froh war ich aber doch, als auch diese Aufgabe beendet war, bei diesem unerlaubten 3

Handel schwebte man doch immer etwas in Besorgnis, geklappt zu werden. In Kansk war in meiner Abwesenheit auch eine recht Aufsehen erregende Verhaftung vorgenommen worden: Man hatte in einer Nacht mehrere hundert Russen verhaftet und alle in 1 oder 2 leere Baracken unseres Lagers untergebracht. Es waren alles Personen, denen man nicht recht traute, so auch fast alle Angestellte des Bauamtes, dem wir unterstanden hatten, die wohl ausnahmslos ehemalige Offiziere waren, denn andere Techniker gab es ja nicht. All die Verhafteten schwebten natürlich in großer Besorgnis, denn 6

schließlich konnte ja jedem ein Strick gedreht werden. Die Bolschewiken hatten zwar bald nach ihrem Einrücken einen Erlaß des Rates der Volkskommission veröffentlicht, in dem feierlich und mit viel Phrasen von dem Zeitalter der Menschlichkeit, das das Zeitalter der Gewalt ablöse, die Todesstrafe abgeschafft würde. Doch zu bald merkte auch der weltfremdeste Träumer, daß jetzt eine Zeit des Blutvergießens und des politischen Meuchelmordes begann, wie sie Rußland wohl noch nie erlebt hatte. Von unseren Verhafteten wurde die Mehrzahl nach einigen Tagen wieder freigelassen, doch eine ganze Anzahl wurde auch nach Krasnojarsk vor die Gubtscheka gebracht, und das war sehr bedenklich, denn von ihr kam selten jemand zurück [Gub= Gouvernements=, tscheka= Außerordentliche (чрезвычаиӥаtschreswutschainaja комѝссия Kommission zum 7

Kampfe gegen Gegenrevolution, Spekulation (Schiebung) und Spionage]. Eine Rechtspflege in unserem Sinne gab es ja nicht. Allerdings gab es die revolutionären Tribunale, in denen die Richter nach den Erlassen der Volkskammer und so weit solche nicht vorhanden waren, nach „ihrem guten revolutionären Gewissen“ urteilen sollten, aber die befaßten sich nur mit Bagatellen. Die wirkliche Macht hatten die „Außerordentlichen Kommissionen“, die sich in einem bis in jedes Dorf gegliederten Netz über das ganze Land erstreckten. Die Verhandlungen waren geheim, Verteidiger gab es nicht ebenso wurde die überwiegende Mehrzahl der Urteile geheim gehalten und geheim vollstreckt. Sie und die systematisch wiederkehrenden Verhaftungen aller nicht ganz einwandfreien Leute genügte, um das ganz Land in Schrecken zu halten und eine absolute Herrschaft auszuüben. So war das Wort Tscheka ein Schreckenswort, das man nur 8

ungern in den Mund nahm, denn schon das Sprechen darüber konnte gefährlich sein. Für die Verhaftungen, die wohl immer nachts vorgenommen wurden, bedienten sich die Russen der Internationalen, ein feiner politischer Zug, denn so wälzten sie einen Teil des Hasses der Bevölkerung auf die Ausländer ab, außerdem erwiesen sich die Internationalen als die zuverlässigste Polizei, und leider auch als brauchbare Henker. Ob sie auch Chinesen hierzu verwendeten, weiß ich nicht, halte es aber durchaus für glaubhaft, da es gut ins System paßte. Wir hatten im Jahr 1919 mit Schaudern die brutale zur Abschreckung offen gezeigte Grausamkeit miterlebt, mit der sich die weiße Regierung mit Hilfe der Kosaken durchsetzte, die heimliche Blutarbeit der Roten wirkte - ganz abgesehen von dem zahlenmäßig wesentlich höheren Ergebnis der Hinrichtungen - unvergleichlich niederdrückender und lähmender. 9

Doch das sollte sie ja auch. Der Vorsitzende der Tscheka in Kansk war ein ehemaliger Kosak, der nach Beschreibung von Herren, die bei ihm zu tun gehabt hatten, einen brutalen Eindruck gemacht hatte. Sie tagten in dem früheren Gasthof zum goldenen Löwen. Allabendlich wurde das Haus und seine Nachbarschaft von Truppen umstellt und im Keller hingerichtet. Die Namen der Hingerichteten wurden nur ganz selten veröffentlicht. Sonst erfuhren die Angehörigen günstigenfalls von der Wache, sie brauchten jetzt kein Essen mehr zu bringen für ihren Mann, usw. Das Leben im Lager nach der angenehmen Tätigkeit in der Stadt und der interessanten Reise war wieder recht wenig befriedigend. 4

16.Juli 22

Um ein einigermaßen anschauliches Bild dieser 3 Monate April bis Juni zu geben, will ich ehe ich auf meine eigenen 10

Erlebnisse eingehe, erst einmal versuchen die allgemeinen Lebensbedingungen und Zustände zu schildern. Die bolschewistische Regierung setzte sich nach der militärischen Eroberung Sibiriens im Winter jetzt im Laufe des Jahres immer mehr durch und richtete die ganze Verwaltung, das Arbeiten von Landwirtschaft und Gewerbe, alle wirtschaftlichen Vorgänge von Produkten, Verbrauch und und Verteilung nach ihren Grundsätzen ein. Durch den ungeheuren Verwaltungsapparat - in dem kleinen Kansk wurde ein Privathaus nach dem andern für irgend eine Behörde beschlagnahmt - zogen sich gewisse Richtlinien, die das Durchfinden für den Kundigen erleichterten. Alle Behörden hatten abgekürzte Bezeichnungen, und es war ein interessantes Ratespiel, hinter den Sinn dieser rätselhaften Worte zu kommen. Die obersten Behörden waren die revolutionären Komites, die von Moskau oder 11

Moskauer Bevollmächtigten überall eingerichtet wurden und dann unter sich die Verwaltung nach ihren einzelnen Zweigen organisierten. Es war eine ernannte nicht etwa gewählte Behörde. Gewählte Behörden, Sowjets, d.h. Räte, gab es zu meiner Zeit nicht in Sibirien. Aber auch die revolutionären Komitees (abgekürzt Revkoms) unterstanden erforderlichenfalls der unheimlichen Tscheka, die uneingeschränkte Herrin war. Die Zentralbehörde für Sibirien hieß nun Sibrevkom (Sitz in Omsk) dann kam der Gubrevkom (Gouvernement, für uns Jenissaigouvernement, Hauptstadt Krasnojarsk) schließlich kam das Urevkom (уездъ= Ujesd= Kreis) Kansk. Ein anderes Beispiel: мопливо=Topliwo heißt das Brennmaterial. Die Behörden, die die Verteilung von Holz, Kohle, Petroleum usw. unter sich hatte, hießen Glawtop ( глава= Glawa das Haupt) also Glawtop in Moskau, Sibtop in 12

Omsk, Gubtop in Krasnojarsk, Utop in Kansk usw.

Auf dem Papier war alles glänzend organisiert. Ich hatte später (Juni 20 ) bei einem hochgestellten Mann in Krasnokarsk zu tun, dem Vorsitzenden des Gouvernementsrates für Volkswirtschaft (совимъ=Sowjet = Rat, нароное хозяӥсмво= Volkswirtschaft, daher die Bezeichnung гудсовнархос= Gubsownarchos). Bei ihm hing eine große Tafel mit einer sehr übersichtlichen graphischen Darstellung des Gesamtenwirtschaftslebens des Gouvernement, mit den Gliederungen des Volkswirtschaftsrates in die Unterabteilungen (Metallabteilung, Lederabteilung, Textilabteilung, Bauabteilung, chemische Abteilung u.s.w.) Der Krasnojarsker Rat für Volkswirtschaft (sownarchos) zählte, wie man dort erzählte, 3000 Angestellte, wie wenig diese 3000 Angestellten mit der hervorragenden Organisation die 13

Produktion zu beleben oder auch nur in Gang zu halten vermochten, darauf komme ich später anläßlich meines Aufenthaltes dort zurück, jedenfalls erstickte das Leben im Bürokratismus. Über das, was in Sibirien, in Rußland und Europa vor sich ging, waren wir herzlich schlecht unterrichtet, da wir nur Provinzblätter zu lesen bekamen, und die waren schrecklich minderwertig. Meine Einblicke verdanke ich meiner sehr ausgedehnten Tätigkeit als Dolmetscher und Bittsteller vieler Kameraden, die mich mit vielen russischen Behörden zusammenbrachten, und dem regelmäßigen Lesen der guten Moskauer und Petersburger Zeitungen, die in Krasnojarsk in einer öffentlichen Lesehalle auslagen. Doch wir alle konnten schon von Anfang an die Auswirkungen des Systems am eigenen Leibe verspüren. Der an sich gerechtfertigte Grundsatz der russischen Behörden in jenem Sommer 1920 war nun, 14

aus Sibirien alles was dort an Lebensmittel, Rohstoffe und Vorräten aller Art vorhanden war, 5

herauszuholen, um dem ausgehungerten und erschöpften Rußland zu helfen. Nur war es sinnlos, Raubbau zu treiben, die berechtigten Interessen der sibirischen Bevölkerung zu mißachten, das Beschlagnahmte vielfach zu vergeuden und verderben zu lassen und vor allem, über der Erfassung der Vorräte eine tatkräftige und erfolgreiche Hebung der Produktion zu vergessen. Die einschneidenste Maßregel war das bei uns wohl durchgeführte Verbot des freien Handels. Die ganze sibirische Bevölkerung bekam von nun an ihren паёк= Pajok, d.h. ihre Ration an Lebensmitteln usw. Geschäfte und Markt wurden geschlossen, Schleichhandel streng verboten. Wir Gefangenen im Lager waren nun besonders schlimm dran. Unser „Pajok“(dieser aus der russischen Militärsprache schon der Zarenzeit stammende 15

Ausdruck war seit Sommer 1919 ins Gefangenendeutsch übernommen, seit wir den russischen Mannschaftspajok bekommen sollten). ( Es gab „Pajokkutscher“ d.h. Kutscher, die den Pajok aus den Magazinen holten, einen „Pajokmüller“ d.h. einen Herrn Müller, dessen Amt die Pajokverrechnung war, usw.) Die bolschewistischen Behörden gaben nun von Zeit zu Zeit bis ins Kleinste geregelte Bestimmungen bekannt, wie viel Gramm Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, Fett, Tee, Zucker usw. uns monatlich zuständen. Vergleicht man damit die von der Lagerverwaltung bekanntgegebenen Zahlen des tatsächlich Gelieferten, so war das tatsächlich nur ein Bruchteil dessen, und es war selbstverständlich gar nicht daran zu denken, daß man damit auch nur die Hälfte der Lagerbewohner notdürftig hätte ernähren können. Die Beschaffung des Fehlenden war äußerst schwierig, und es ist eine glänzende Leistung der im allgemeinen Interesse tätigen Herren der Lager- und Küchenverwaltung, daß sie es immer wieder fertigbrachten, eine allerdings sehr kümmerliche und eintönige, aber im Notfall 16

doch für einige Zeit genügende Ernährung durchzuführen. Dabei verstieß natürlich alles, was sie taten, gegen die herrschenden Bestimmungen, und konnte ihnen jederzeit übel bekommen, denn geheim halten ließ sich ihre Tätigkeit nicht. Unsere Rettung war eben, daß in Rußland von jeher schon alle Bestimmungen umgangen werden konnten, jetzt mehr denn je. Eine Möglichkeit bot der Tauschhandel. Man lieferte als Beitrag an die Küche entbehrliche Kleidungs- und Wäschestücke ab, diese wurden in weiten Reisen über Land bei Bauern gegen Lebensmittel eingetauscht, ein gefährliches Unternehmen bei der Strenge der Überwachung des ganzen Landes, aber bei der Geschicklichkeit unseres als Kutscher und Aufkäufer tätigen Kameraden meist erfolgreich. Eine 2. Möglichkeit war Betrug oder unmittelbarer Handel mit russischen Behörden. Hierüber sind naturgemäß wenig Einzelheiten an die Öffentlichkeit gedrungen. Der Leiter der Lagerbäckerei ein österreichischer Offizier, der viel für russische Behörden 17

arbeitete, hat es glänzend verstanden für uns zu wirken, und durch Umtausch oder Mischen der Mehlsorten und durch geschicktes Wiegen und Verrechnen Brot ins Lager zu bringen. Der schon erwähnte Tausch der vom roten+ gelieferten Schuhe gegen Fleisch gehört auch hierher. Die Verteilung dieser Sondergaben war natürlich nicht leicht. Für den lächerlich niedrig gehaltenen Küchenbeitrag bekam man nur die knappsten Mengen. Alles Brot damals unser Hauptnahrungsmittel - das die Kantinen und die Bäckerei außerdem auftrieben, mußte nun möglichst gleichmäßig verteilt werden, andererseits aber auch anständig bezahlt werden, damit diese Stellen Betriebskapital zum Weiterwirtschaften hatten. So mußte man bald täglich Schlange stehen, es sprach sich blitzschnell herum, wenn die Kantine irgendwelche Lebensmittel verteilte. Jeder mußte persönlich kommen, und die 18

dem einzelnen gewährte Menge abholen, an Stellvertreter wurde nichts abgegeben. Jeder 6

mußte bar und in Kleingeld zahlen, was den Einkauf sehr erschwerte, denn die Mehrzahl besaßen nur Konten bei der Lagerbank und Scheckbücher, Kleingeld war nur sehr schwer zu beschaffen. Für das Wechseln eines1000 Rubelscheines mußte man z.B. 300 Rubel zahlen. Die Russischen Behörden zahlten nur in ganz großen Scheinen. Wenn wir 7 Architekten je 500 Rubel bekamen, so gaben sie uns einen 5000 Rubelschein, dann mußten wir zunächst 1500 Rubel aufbringen zum Herausgeben, und konnten dann sehen, wie wir den Rest unter uns verteilten. Aber niemand, der etwas zu verkaufen hatte, gab dies gegen große Scheine heraus, die 1. Frage war immer „hast du auch Kleingeld?“ Und ich erinnere mich auch der mir scheußlichen Verhandlungen mit einem Russen in der Stadt, an den 19

ich das uns 7 Architekten gemeinsam gehörige Stiefelleder verhandelte, und mit dem ich 2 x mindestens je ½ Stunde verhandelt habe, bis er den von mir verlangten Kaufpreis (4 ℔Butter und 2500 Rubel in Kleingeld d.h. 250 und 500 Rubelscheine) herausrückte. Legte die Kantine großen Wert auf gangbares Kleingeld, so nahm die Küche gern Kleidungsstücke jeder Art an, die sie dann nach dem beim Tausch erzielten Wert bezahlte. Zu diesen durch öffentliche Lagerunternehmungen für die Gemeinheit beschafften Lebensmittel bemühte sich nun jeder auf eigene Faust einen Zuschuß zu bekommen. So vertauschten wir Architekten mit Erfolg unsere Schuhe. Andere gingen mit über Land und tauschten bei den Bauern ein, ein ekelhaftes Geschäft, das ich nur einmal machte, da man sich wie ein Bettler vorkam und außerdem nie das Gefühl der Unsicherheit los wurde, denn man konnte doch jede Minute verhaftet werden, da man nie wußte, 20

wen man vor sich hatte. In kleineren Mengen kamen auch Lebensmittel durch die von der Arbeit zurückkehrenden Gefangenen ins Lager. Einen guten Tausch machte ich durch Abgabe des mir gehörenden Tischlerwerkzeuges. Bei Auflösung der Tischlerei hatten wir das gesamte Werkzeug in 2 Hälften geteilt, da wir ungefähr 2 vollständige Ausrüstungen für 4 Tischler hatten, eine gehörte W. Hartmann und mir. Mit dieser Hälfte hatte W. Hartmann nun vom März bis Mai weit draußen auf dem Dorfe gearbeitet. Da in dieser Zeit die Gerüchte, daß alles Handwerkszeug nationalisiert werden sollte, sich verdichteten, auch schon Listen über das im Besitz jeden Einzelnen befindlichen Gerät aufgestellt wurden, bat ich H. unser Werkzeug, wenn er es nicht mehr brauche, gegen Lebensmittel einzutauschen, was er dann auch mit großem Erfolg tat, er bekam 20 ℔Speck dafür. Von meinen 10 ℔habe ich dann lange Wochen einen sehr wertvollen Zuschuß zu meiner Ernährung gehabt. 21

Eine sehr wesentliche Unterstützung fiel allerdings 1920 weg, der 1918 mit großem Eifer und Erfolg betriebene Gartenbau wurde 20 garnicht erst wieder begonnen, da doch jedermann mit baldiger Veränderung - sei es Abtransport oder Kommandierung auf Arbeit rechnete. Schon seit Frühjahr 1920 war das Lager in Auflösung begriffen, wenigstens bildete es nicht mehr die feste Einheit früherer Zeiten, der Bestand schwankte, ich glaube zwischen 600 und 2500 Mann. Kam eine Parole der Abtransport stehe vor der Tür, so strömten die Gefangenen von allen Seiten her zum Lager hin; überzeugte man sich hier, daß es noch nicht so eilig war, oder verschlechterten sich die Lebensbedingungen, so zogen wieder große Scharen ins Land hinaus. Das Leben wurde nomadenhafter, jeder verringerte seine bewegliche Habe. Die angestammten Plätze und die lang bewährte Gruppen ließen sich 22

nicht immer beibehalten. Es war eine Frage, die, wie andere, viel besprochen wurde, mit größter Leidenschaft von denen, die mehr redeten als handelten: sollte man grundsätzlich im Lager bleiben, und jede Arbeit, sei es privat oder in bolschewistischen Dienste ablehnen und den Standpunkt vertreten, wir sind die Ausländer, die hier nichts zu suchen haben und die 7

nach Hause gebracht werden wollen und müssen, oder sollte man in russischen Betrieben jeglicher Art mitarbeitend, seine Lebensbedingungen verbessern, auf die Gefahr hin, daß man dadurch eine geschätzte Arbeitskraft wurde, womöglich als unabkömmlich galt, und widerrechtlich länger festgehalten wurde, als nötig war. Und in Zusammenhang damit die andere Frage: War es richtig, daß viele einzelne und natürlich gerade die Unternehmenslustigen und die den russischen Verhältnissen am besten Gewachsenen - dem Lager gänzlich, nicht nur vorübergehend, den Rücken kehrten 23

und auf mehr oder weniger großen Umwegen heimwärts strebten? Noch im April 1918 auf unserer 1. mißglückten Heimfahrt war von Hauptmann Klein, ein Zeichen der damals noch sehr wirksamen Ordnungsliebe der Deutschen, der damals fast allgemein gutgeheißene Befehl ausgegeben worden,: alles bleibt zusammen, niemand geht auf eigene Faust los, so kommen wir am besten durch! Doch schon damals war dieser Grundsatz sehr schnell durchbrochen worden, und mit Recht, denn so sind wenigstens Einzelne durchgekommen. Und so stand ich auch damals auf dem Standpunkt, daß es nur zu begrüßen sei, wenn möglichst viele das Lager verließen - sei es zur Flucht, sei es zur Arbeit bei den Russen - um so einfacher war es, für die geringere Zahl der Verbleibenden zu sorgen, z.B. für Verpflegung, Abtransport usw. unentbehrlich war eben niemand, und wenn alle russischen Dolmetscher verschwanden so lernten eben die Verbleibenden Russisch. Allerdings war es wichtig, daß immer ein gewisser Stamm bestehen blieb, denn einmal mußte ja ein Zufluchtsort für die Kranken und die wirtschaftlich 24

Schwachen bestehen bleiben, und vor allem mußte eine Stelle bleiben, die auch mit einem zahlenmäßigen Gewicht immer wieder für unseren Abtransport eintrat, denn der einzelne im russischen Wirtschaftsleben war ein „Atom“, hatte keinerlei Einfluß, konnte verschwinden, ohne daß jemand sich darum kümmerte und für ihn sorgte. Insofern war es eine nicht genug anzuerkennende Leistung, daß der österreichische Dr. Heiß nie eins der verlockenden Angebote, anderswo zu praktizieren, annahm, sondern das undankbare Amt eines Lagerarztes unentwegt weiter ausübte, und daß auch andere, die sich nach Art ihrer Fähigkeiten leicht hätten „verbessern“ können, weiter in Interesse der Gemeinheit arbeiteten. Doch im großen und ganzen löste sich diese - wie auch andere - prinzipielle Frage in der Praxis sehr einfach, es erhielt sich das Getriebe, wenn auch nicht gerade durch Liebe, so doch durch Hunger, und jeder sah zu, wo er blieb, und das war zweifellos 25

die beste Lösung. Die dazu Fähigen entflohen oder gingen zu den Russen und fielen dem Lager nicht mehr zur Last, die anderen - vorwiegend solche, denen ein Aufenthalt außerhalb garnicht gelegen hätten, und die sich eben nur beim großen Haufen wohl fühlten - blieben zurück, schlugen sich recht und schlecht durch, und sorgten dafür, daß der nun einmal unbedingt notwendige Haufen weiterbestehen blieb, und so war beiden geholfen. Im Großen und Ganzen hing aber unser Abtransport weniger von unserem Verhalten und von uns beeinflußbaren Faktoren ab, als von Entscheidungen, die in Berlin, Petersburg und Moskau, allenfalls in Omsk, getroffen wurden. Die Arbeitsmöglichkeiten waren recht vielseitig. Im Lager selbst erstarb allerdings mit dem Verbot des freien Handels die Heimarbeit so gut wie vollständig. Nur die Handwerker - Schuster, Schneider, Friseure, Tischler, Schlosser- hatten tüchtig zu tun, meist 26

für's Lager, z.T. auch für Russen. Und auch für die mancherlei jetzt durchweg bezahlten Lagerbeamten gab es viel Arbeit, in der Lagerkanzlei, der Lagerbank, den Kantinen und Küchen, auch den immer mehr verelenden Kaffeehäusern, in den Bäckereien u.a. Die Mehrzahl war aber außerhalb des Lagers tätig. Eine Arbeitspflicht bestand zunächst noch nicht, doch fingen die Russen bald an, täglich Arbeiter anzufordern, bis zu 100 8

Mann, auch mehr, die sich aber bei der Not und dem Mangel freiwillig einfanden. Sie wurden schlecht bezahlt, hatten oft weite Wege und mußten oft recht unangenehme und anstrengende Arbeit verrichten, die die edelmütigen Russen gern den Kriegsgefangenen überließen. So das schon erwähnte Aufräumen und Reinemachen auf dem Bahnhof. Später aber, ich glaube Anfang Juni, wurden auch bei uns alle gesunden mobilisiert, und, so weit sie es nicht verstanden, dies zu umgehen, nach auswärts auf Arbeit unter meist sehr 27

schlechten Bedingungen geschickt. Beschwerden waren streng verboten und u.U. lebensgefährlich, eine soziale Fürsorge ist ja auch nur in kapitalistischen Ländern notwendig, nicht unter der „Diktatur des Proletariats“. Das schlimmste in dieser Hinsicht waren die Arbeiten an der Eisenbahnstrecke, zu der im Juni viele geschickt wurden, die man nach einigen Wochen kaum wiedererkannte, so waren sie - körperlich und seelisch - von Hunger, Hitze Ungeziefer und Anstrengung mitgenommen. Auf jeden Versuch, ihre Lage zu verbessern, gab es keine Antwort oder die vielsagende: Tscheka. Manche rochen den Braten, und gingen von vorneherein allem, was nach Bolschewismus aussah, weit aus dem Wege. Sie zogen weit aufs Land, und arbeiteten als Knechte bei Bauern, wo sie sehr viel zu arbeiten hatten, immer unter Schmutz und Ungeziefer, oft unter niederträchtiger Behandlung zu leiden hatten, aber im ganzen doch ziemlich ungestört und sorgenlos lebten und 28

sich satt essen konnten. Sie kamen von Zeit zu Zeit, wenn irgendwie alarmierende Nachrichten ins Land drangen, mit großen Freßvorräten ins Lager, gerüstet für die Heimkehr. Hier half man ihnen, ihre Vorräte zu vertilgen, dann sehnten sie sich aber immer sehr schnell hinaus, dorthin wo sie weder Lagerklatsch und -sorgen, noch Phrasen von der Diktatur des arbeitenden Volkes hörten und gingen wieder zu ihren Bauern, oder zu anderen, die empfohlen wurden. Denn die Schinder wurden schnell bekannt und dann gemieden. Einzelne fanden auch eine private Beschäftigung in der Stadt, und konnten dabei im Lager wohnen bleiben, meist Unterricht bei den wenigen Russen, die sich diesen Luxus noch leisten konnten, da sie etwas Landwirtschaft trieben. Bezahlt wurde etwas Geld, und vor allem genossen die betreffenden Lehrer in der Stadt irgendeine gute Mahlzeit, und bekamen so Gerichte, die man im Lager nicht mehr kannte, etwa Milch. 29

Unter den so Unterrichtenden waren auch z.B. Herr Schroling, auch mein früherer (Krasnaja Rjetschka) Nachbar Gustav Lichtenstein, vorübergehend auch der Professor. Doch die überwiegenden Mehrzahl war in öffentlichen Ämtern oder Betrieben tätig, entsprechend der Zeit, die Alles verstaatlichen wollte, teils als Gelegenheitsarbeiter - sehr vorteilhaft war das Graben von Massengräbern auf dem Friedhof, wobei im Akkord bezahlt wurde, und außerdem viele russische Weiber, die dort ihre Andacht verrichteten, den armen Kriegsgefangenen Lebensmittel brachten, und dadurch ein gutes Werk verrichteten - teils als angestellte Beamte. So waren die 7 Architekten 1 Monat tätig gewesen. Hier waren die Möglichkeiten sehr groß, nur von einigen will ich berichten. Ein besonders nahrhafter Posten war die Staatsdruckerei. Hier waren zunächst zwei ganz gerissene Gefangene tätig gewesen. Ihre Arbeit war die Vervielfältigung von Befehlen. Das Ziel ihrer, wie der meisten Arbeiten bei Behörden war das Ergattern einer „командировка“ einer Kommandierung 30

nach dem Westen, möglichst Moskau, mindestens aber Omsk. 17.7.22.

Das glückte ihnen auch, und wohl im Mai fuhren sie los, hatten es aber verstanden, dafür zu sorgen, daß 4 oder 5 andere Gefangene ihre Nachfolge antraten und daß der nahrhafte Posten nicht in russische Hände kam. Einer dieser Nachfolger war der mir gut bekannte Dipl. Ing. K., von dem ich allerlei über diese Anstellung erfuhr. Sie bekamen zunächst neue Kleidungsstücke, anständige Joppen, das war etwas noch nie dagewesenes. 9

Dann hatten sie den großen Vorzug, Kommissarspajok zu bekommen, d.h. alle die Bezüge an Lebens- und Genußmitteln, die einem Kommissar zustanden, und das war nicht wenig, u.a. auch Butter und guter Tabak, Sachen die ein gewöhnlicher Sterblicher, sei es Bourschui oder Proletarier, nie zu sehen bekam, und ein anständiges Mittagsessen aus der Kommissarsküche. 31

Damit aber nicht genug, als gerissene Gefangene wußten sie sich Nebeneinnahmen zu verschaffen, durch Verkauf des ihnen zur Verarbeitung gelieferten Papiers und durch Nebenarbeiten. So druckten sie einmal irgendwelche Drucksachen in Silber zu einem Fest der tartarischen Gemeinde im Monat Ramadan, was die Obergauner von Tartaren mit prachtvollen Lebensmitteln bezahlten. Doch das Wertvollste, Papiere nach Moskau, konnten sie nicht ergattern und mußten ihre Heimreise auf anderem Wege versuchen. Ein anderer schön ruhiger Posten wurde von 2 Herren versehen, Hahn und Alsheimer. A. war landwirtschaftlicher Fachlehrer irgendwo in Bayern, H. Regr. Baumeister bei der Eisenbahn und als russischer Dolmetscher dazu gekommen. - Es gab viele solche 2gespanne, von denen einer die nötigen fachlichen Kenntnisse besaß, und der andere als Dolmetscher mitgenommen wurde. 32

Diese beiden hatten in irgend einem Magazin und Speichergelände Getreide zur Aussaat zu sortieren, und die nötigen Versuche dazu in einem Laboratorium zu machen. Etwa 3 Monate waren sie so tätig gewesen, als eines Tages irgendein Kommissar das ganze zur Aussaat heraussortierte Getreide abholen läßt, um es mahlen und verbacken zu lassen. Den Hinweis, es sei zur Aussaat bestimmt, machte keinen Eindruck. Der Versuch eines hochgestellten Mannes - des Leiters der Verteilungsstelle und Vorbereiters des Umschwunges Weihnachten 1919, eines ehemaligen politischen Sträflings, der 1917 bei der Februarrevolution befreit, seither sehr viel in der Organisierung des Genossenschaftswesens geleistet hatte - diese Torheit zu verhindern, war gleichfalls vergeblich, der andere, wohl höher gestellte Kommissar läßt ihn als Gegenrevulotionär verhaften und vor die Tscheka bringen. Erst am nächsten Tag gelingt es seinen Bekannten, seine Freilassung zu 33

erwirken, aber die Arbeit der 2 Gefangenen von 3 Monaten war hin, und ebenso das Saatgut. Solche und ähnliche Späße kamen vor, aber dafür war man das Joch des Kapitalismus los. In der eben erwähnten Genossenschaftsbewegung waren mehrere Gefangene tätig. Diese Bewegung war in Sibirien noch neu, hatte sich aber schnell und riesig entwickelt und schon vor dem Eintreffen der Bolschewiken fast den ganzen Warenaustausch in ihren Händen. Es war ein wohlorganisiertes Netz von Einkaufsstellen (общество потревателей) und den darüber stehenden Großhandelsstellen (солоз коѵпекатававл). Diese Organisation konnte fast unverändert in den Dienst der kommunistischen Ordnung übernommen werden, und arbeitete infolgedessen ziemlich gut. Hierbei waren auf der Buchhalterei Franz Spode, Moritz Henkel u.a. tätig, auch ich sollte mal eintreten, da meine Fähigkeit leidlich russisch sprechen und schreiben zu können und das bißchen Vertrauen, das der preußische 34

Offizier trotz allem genoß, hinreichten, auch für einen derartigen kaufmännischen Posten brauchbar zu machen. Doch lehnte ich ab, da ich auch nicht in Kansk vor Anker gehen wollte, und damals schon mehrere Pläne, wegzukommen, betrieb. Franz, ein sehr tüchtiger und gewissenhafter Kaufmann, war oft ganz verzweifelt über die Art, mit der dort kaufmännische Angelegenheiten genial und schlampig behandelt wurden, wie die ganze Buchführung nur ein Schein war, den die Leute sich vormachten, nicht etwa, um zu unterschlagen, als weil ihnen Ordnung und Genauigkeit nicht lagen, und weil sie die doppelte Buchführung nicht aus innerer Notwendigkeit, sondern nur, weil man es in Europa auch so machte, übernommen hatten. Trotzdem arbeitete dieser Betrieb verhältnismäßig anständig, weil man die alten Leute übernommen hatte und verhältnismäßig wenig von 10

Moskau oder sonst woher dreinredete. 35 20.7.22.

50 – 60 Gefangene, vorwiegend Offiziere, waren als Musikanten angestellt. Eines Tages holten sich die Russen einen der österreichischen Musiker und Dirigenten der Lagerkapelle, und sagten, sie brauchten ein Orchester für ihre Zwecke - Volksbildung, Propaganda, Belustigung. - Er solle angeben, wie viel Leute, wie viel Instrumente usw., er brauche. Er machte seine Angaben, darauf wurden sofort die Musiker festangestellt, die Musikinstrumente in 24 Stunden besorgt, d.h. ohne Entschädigung russischen Privatleuten weggenommen, und die Proben konnten beginnen. Die Kapelle spielte teils geschlossen i.d. Stadt, teils in kleinen Gruppen auf dem Lande, und namentlich letzteres war sehr nahrhaft. Ob die Tätigkeit viel Freude machte, weiß ich nicht; soweit wie irgend möglich ließ sich der Dirigent jedenfalls nicht von den Russen dreinreden. Jedenfalls war der Dienst recht anstrengend. Abends die Konzerte, die in oft recht wüste Lustbarkeiten 36

und Bälle ausarteten, tagsüber Proben. Von meinen näheren Bekannten war Herr Kausch dabei, wohl der tüchtigste 1. Geiger unter den deutschen Herren. Einzelne waren bei den verschiedensten Behörden untergebracht, als kaufmännische oder technische Beamte, oder auch als geniale Nichtstuer. Da hierzu eine gewisse Sicherheit in der russischen Sprache und eine größere Anpassungsfähigkeit gehörte, waren hier die Österreicher und Ungarn am meisten vertreten. Häufig fanden sich hier Typen - bei meinen vielen Wegen zu russischen Behörden in Kansk und vor allem in Krasnojarsk lernte ich mehrere kennen - , die mitten unter Russen selber etwas zu Russen wurden, und denen man nicht ohne weiteres traute, da man den Eindruck hatte, daß sie mehr die Interessen der Russen als die der Kriegsgefangenen vertraten, während ich im Russen vom 1. 37

bis letzten Tag den Feind erblickte, von dem man sich und alle Leidensgenossen befreien mußte. Diejenige, die sich in russischer Umgebung wohlfühlten, waren mir meist verdächtig. Der Anfang zu solchen Stellen war häufig die Heirat mit einer Russin. Natürlich waren diese Stellen meist mit guter Bezahlung und anderen materiellen Vorteilen verbunden. Schließlich gab es aber auch Betriebe, die ganz ausschließlich aus Kriegsgefangenen bestanden. (So auch das schon genannte Orchester) Das waren meist Heimarbeiterfirmen, die im Ganzen nationalisiert und in die Stadt verlegt wurden, oder Arbeitstrupps, die von einzelnen Kriegsgefangenen angestellt wurden. Z.B. Rudolf Korte, unser geschickter Obergärtner (städtischer Gartendirektor aus Essen) hatte die sämtlichen vorhandenen und noch zu schaffenden Grünanlagen der Stadt Kansk unter sich, und wenn auch nur ein kleiner Teil von dem, was er und die Russen planten, ausgeführt wurde, 38

so hatte er doch ständig 20 – 30 Kriegsgefangene in Beschäftigung, und das war sehr gut, denn er konnte so vielen, die sich sonst nicht so recht zu helfen wußten, namentlich ältere und unpraktischen Herren, eine Arbeitsmöglichkeit verschaffen und sie so vor einer Kommandierung in üble Verhältnisse bewahren. Zu den Plänen, die Korte im Auftrag der Russen ausarbeitete, gehörte auch der eines Tennisplatzes. Der bisherige Heumarkt sollte dazu verwandt werden. Allein die hierzu erforderlichen Erdarbeiten hätten schon Millionen von Rubeln gekostet, die Drähte, Netze, Gebäude hätten märchenhafte Summen nötig gemacht. Das Lächerlichste war aber der Einfall, überhaupt Tennisplätze zu errichten, denn das Kansker Publikum war derart ungeschlacht, daß die Absicht, ausgerechnet Tennis hier einzuführen, lächerlich war und uns - wir mußten die Lusthäuschen und Teepavillons und 39

Liebeslauben für den Tennisplatz zeichnen - viel Vergnügen machte. Die Russen waren eben wie die Kinder, sie wußten in Europa spielt man Tennis, folglich sagten sie, das wollen 11

wir auch. (Nebenbei sei hier bemerkt, es ist ein Grundirrtum, wenn unsere deutschen Geographen lehren, Asien beginne am Ural. Die Grenze zwischen Asien und Europa läuft längs der russisch-deutschen Grenze, oder jetzt der russisch-polnischen.) Eine ähnliche Geschichte erzählte mir ein österreichischer Chemiker Dr. Kurt, der in der Sowjetapotheke angestellt war. Früher gab es mehrere Apotheken ins Kansk. Die Bolschewiken nationalisierten, d.h. nahmen sie ohne Entschädigung, und gewannen Platz dadurch, weil jetzt nur noch eine nötig war, und vor allem, weil es fast gar keine Medikamente mehr gab, denn die Quelle der Koltschak Zeit, Amerika via Japan und Charbin, war verschlossen. Nun sagt der Leiter der Apotheke, Sachkenntnis kann ja weitgehend 40

durch Gesinnungstüchtigkeit ersetzt werden, zu den für ihn arbeitenden Kriegsgefangenen: „Uns fehlen Phenacetin, Aspirin und andere -inn und -ole. Diese Sachen stellt ihr Deutschen ja aus Kohle her. Ich werde euch ein Zimmer in der leeren Apotheke geben, dazu Kohle und Retorten, dann könnt ihr uns ja die fehlenden Arzneien machen.“ Aber so sind diese Russen, ein Dünkel und eine Selbstüberhebung, die wohl noch nicht von den Franzmännern übertroffen werden kann. Mir ist es oft so gegangen, daß ich beim Lesen russischer Broschüren oder Zeitungen, oder im Gespräch mit Russen gedacht habe, was sind das für gescheite Leute, die wälzen die schwierigsten Probleme und werden mit den größten Fragen im Handumdrehen fertig. Ich hatte genug Gelegenheit, den Zwiespalt zwischen Redensart und fruchtbarer Arbeit zu beobachten. Doch mal wieder zurück zu unseren Gefangenen. 41

Andere Betriebe, die geschlossen für die Russen arbeiteten, waren z.B. eine Knopffabrik. Die auch Werkstätten und Wohnungen in der Stadt hatten. Bei ihr war Lohrberg, mein Leidensgenosse vom 23.2.15, Polierer. Sie wurden sehr schlecht bezahlt; so machten sie verbotener weise Privatarbeit. Es gab auch Tischlereien, Buchbindereien u.a. Überall das selbe Bild. Das offizielle Gehalt reichte etwa gerade, um das nötige Brot zu kaufen. Da man aber auch etwas dazu haben mußte, war man zu unerlaubtem Nebenerwerb gezwungen. Mit viel Mühe konnte man nebenbei so viel verdienen, daß man zur Not satt wurde. Ehrliche Leute, die soviel verdienten, gab es nicht, höchstens Kommissare und ihnen Gleichgestellte. Wenn aber einer soviel Geld hatte, daß er sich etwas nicht Eßbares, Blumen, Tabak, oder gar Kleidungsstücke kaufte, so konnte man fast sicher annehmen, daß er ein großer Schieber war. 42

All die eben beschriebenen Tätigkeiten übten die Betreffenden freiwillig, d.h. gezwungen durch die Not, aber nicht durch einen russischen Befehl, aus. Im Juni aber kam ein Befehl, wonach wir Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen wurden. D.h. es kam ein Militäraufgebot, trieb alle in eine bestimmte Baracke, dort wurde jeder untersucht, die für invalide oder krank befundenen wurden unter militärischer Bewachung, strenger als je im Zarenrußland, in eine andere Baracke gebracht und durften sich einzeln ihr Gepäck holen. Dann ging es zur Bahn, wo sie maßlos eng bei großer Hitze zusammengepfercht wurden und man jedem Wagen (etwa 40 Mann) einen Tausendrubelschein gab. Das im befreiten Rußland, wo der Handel mit Lebensmitteln untersagt war. Aber es war natürlich leichter, den rechtund wehrlosen Kriegsgefangenen einen wertlosen Fetzen Papier (damals = 2 – 5 Broten) 43

in die Hand zu drücken und sie zu dem streng verbotenen Versuch, etwas dafür zu kaufen, zu zwingen, als ihnen etwas zu essen zugeben. Dafür wurde ihnen aber in jeder Versammlung zugerufen: „Wir haben nichts zu verlieren, als unsere Ketten, wir haben eine Welt zu gewinnen.“ Und diese Mobilisierung kam 2 volle Monate, nachdem zwischen Deutschland und Rußland der Vertrag abgeschlossen war, daß mit dem Abtransport der Kriegsgefangenen sofort begonnen werden sollte, ein Vertrag, der bei uns im Gefangenenlager nie bekannt geworden ist, denn „Lügen und Geheimdiplomatie des kapitalistischen Systems“ war dem 12

freien Rußland der Arbeiter und Bauern unbekannt, und die III. Internationale erkämpfte zwar das Menschenrecht, aber gefangenen Deutschen konnte man ruhig die Wahrheit vorenthalten, wenn sie sich auch z.T. 5 oder 6 Jahre danach sehnten, und Verträge die mit einer bourgeoisen Regierung abgeschlossen sind, braucht die proletarische Regierung 44

nur solange zu halten, als es ihr paßt. Auf die Leute, die man körperlich und seelisch dadurch zu Grunde richtet, kommt es ja nicht an, wenn man nur ihre Arbeitskraft ausnutzen kann, Ausbeutung ist ja laut Nachweis des unfehlbaren Papstes Karl Marx eine Eigenschaft der kapitalistischen Ordnung. Erfreulicherweise besaß auch die Mehrzahl der Gefangenen dieses Transportes noch Lebensmittel genug, daß sie auch diese Viecherei mit Humor aufnahmen, und jede Minute auf eine Gelegenheit, auszureißen, lauerten, was verschiedenen glückte. Das Gros wurde nach Barnaul gebracht, wo ihnen eröffnet wurde, man habe dort keine Arbeit für sie. Sie sollten sehen, wo sie Beschäftigung fänden, aber wenn sie keine Arbeit hätten, bekämen sie auch nichts zu essen. Für solche Torheiten hatte man Wagen, Lokomotiven 45

und Holz, für den Abtransport der Kriegsgefangenen nicht. Diese Sache ereignete sich im Juni, daß es soweit kommen konnte, war eine Folge davon, daß niemand mehr selbstlos und aufrichtig für uns sorgte. Bald nach ihrem Eintreffen jagten die Bolschewiken alle Rote Kreuzvertreter, Dänen und Schweden, zum Teufel, d.h. die Mehrzahl sperrten sie ohne weiteres ein. Die Interessen der Kriegsgefangenen brauche niemand mehr wahrzunehmen, da es keine Kriegsgefangenen mehr gebe, und da das internationale Proletariat selber seine Geschicke in die Hand nehme. Damit waren wir wehrlos den Gaunern oder Schafsköpfen ausgeliefert, die man uns auf die Nase setzte, und die entweder die betrügerischen Versuche russischer Kreise, - welcher, weiß man nicht, aber jedenfalls einflußreicher, unseren Abtransport hinauszuschieben und unsere Arbeitskraft auszunutzen, unterstützten, oder, wenn sie in unserem Interesse arbeiten wollten, 46

von den Russen an der Nase herumgeführt und kaltgestellt wurden. Versprochen wurde uns der Abtransport ständig, seit die Russen in Kansk eingerückt waren. 23.8.22.

Die einzelnen Phasen dieses hin- und hergeschleudert werdens zwischen der Aussicht auf schnellen Abtransport und der unfehlbar darauf folgenden Enttäuschung sind mir nicht mehr bekannt, aber damals füllten sie unser ganzes Leben aus. Im April 1920 traute man noch den damals offiziell bekanntgemachten Befehlen. Im Mai sah es schlimm aus, wir erfuhren aus anderen Lagern, daß das uns Mitgeteilte nicht stimmt, es begann ein wildes Ausreißen, wobei 90% noch nicht einmal bis Krasnojarsk kamen. Man hoffte dann auf die Arbeitstransporte, die irgendwie westwärts gesandt werden sollten, aber auch zum 47

größtenteil nur auf dem Papier zustande kamen. So kam denn das durch die vielen Versprechungen zeitweilig erschütterte Mißtrauen des alten Gefangenen, der so leicht keine Versprechung mehr glaubt, wieder zu Ehren; wer schlau war, verließ sich nicht mehr auf das offiziell Verkündete, sondern versuchte, selbst seine Geschicke in die Hand zu nehmen. Dies führte mich dann im Juni nach Krasnojarsk, meinem Sprungbrett für die große Fahrt. Auch die vielen Gestalten, die die uns verwaltende Behörde durchmachte, habe ich nicht mehr behalten. Es waren Russen, Internationale und Gefangene, bei uns in Kansk meist einflußreiche Leute, die ihre Befehle aus Krasnojarsk bekamen. Zunächst nannten sie dieses Institut Plenbesch (Plenni= der Gefangene; Bjeschynez= der Flüchtling - die vielen Russen, die während des Krieges freiwillig oder unfreiwillig ihre Heimat verlassen hatten, 48

sollten jetzt ebenso wie wir zurückgebracht werden - ). Später hieß diese Behörde „Ewak“, weil sie uns „evakuieren“ sollte, und gliederte sie 13

in Sibewak, Gubewak und Unwak. Ihre Haupttätigkeit war das Registrieren und Aufstellen von Listen, eine Lieblingsbeschäftigung der Russen. Später kamen Invalidenuntersuchungen hinzu, wobei ich keinerlei Erfolg hatte und meine bisher 1¼ Jahr mit Gewinn ausgeübte Tätigkeit als Invalide aufgeben mußte. Vorsitzender des Kansker Unwak war zeitweise ein gewisser Kudrawzew (кудравцевъ) von dem ich nicht weiß, ob er Gauner oder Schafskopf oder beides war. Einmal war er so unvorsichtig, im Lager eine Versammlung abzuhalten. Die damals sehr gereizte Volksseele geriet bald ins Kochen und setzte ihm durch Unruhe und Schimpfen sehr zu. Er wandte das bewährte Mittel an, alles zu versprechen, womit sich der leichtgläubige Gefangenen damals (April) noch zufrieden gab. Einmal wollte er die 49

ganze Lagerverwaltung verhaften lassen, weil sie, wie er behauptete, ihn hatte betrügen wollen, denn der Lagerkassierer habe eine Quittung Einhunderttausend mit 5 Nullen geschrieben, und er wisse doch ganz genau, daß es mit 6 Nullen geschrieben werde. Nur mit Mühe gelang es, ihn zu beruhigen. Meist spielte er den wichtigen Mann und renommierte mit Geheimbefehlen aus Moskau, ich glaube, daß er nur eine sehr kleine Größe war. 24.8.22.

Welche Stelle eigentlich unsern Abtransport hintertrieb, habe ich nie einwandfrei feststellen können; jeder schob die Schuld einem andern zu, vermutlich werden böser Wille und Dummheit und Faulheit vieler zusammengewirkt haben. Daß die Internationalen grundsätzlich uns festgehalten haben, wie vielfach behauptet wurde, glaube ich nicht, 50

weil es nicht in ihrem Interesse lag. Diejenigen, die auch nach Hause wollten, - und das war die überwiegende Mehrzahl - mußten einen schnellen Abtransport aller Kriegsgefangenen selber wünschen, diejenigen, die in Rußland bleiben wollten, hatten auch kaum Vorteile, eher Nachteile von unserer Gegenwart. Einzelne Internationale haben allerdings ihr Bestes getan, um einzelne Kriegsgefangene oder ihre Gesamtheit an der Heimkehr zu verhindern. Im Frühjahr 1920, als sie die Überwachung der Eisenbahn hatten, holten sie unnachsichtig und mit sicherem Blick jeden Gefangenen, den die Russen übersehen hatten, aus den Zügen heraus. Die Ausrede, sie müßten ihre Befehle genau ausführen im Interesse des internationalen Proletariats, war lächerlich, denn in allen andern Fällen nahmen sie es gar nicht genau mit den Befehlen der Räteregierung. Die Hauptschuldigen waren aber zweifellos Russen. 51

Daß der im April mit Deutschland abgeschlossene und Anfang Mai in Kraft tretende Austauschvertrag uns nicht bekannt gegeben wurde, erwähnte ich schon. So kam es, daß Deutschland, das die ganze Arbeit leistete, die Dampfer und die Verpflegung stellte, pünktlich seine russischen Gefangenen ablieferte, daß die Schiffe aber häufig nach längerem Warten leer zurückkehren mußten, weil Rußland seine Kriegsgefangenen nicht in die Austauschhäfen brachte. (Daß unter den wirklich Ausgetauschten die Reichsdeutschen immer sehr in der Minderzahl waren, obgleich nur Deutschland, nicht aber Österreich, Ungarn und die Tschecho-Slowakei, den Austausch beschlossen hatte und durchführte, war eine Gemeinheit des Gesindels auf den Kanzleien, der Schreiberseelen aus dem ehemaligen öster. ung. Heere, die uns schon 1915 bestohlen und betrogen haben.) Von den russischen Behörden traue ich schon denen in Europäisch-Rußland 52

wenig guten Willen und Eifer zu, eine ganz üble Instanz war aber der ungekrönte König von Sibirien, Smirnow, der Vorsitzende des sib. Revolutions Komitee's in Omsk. Er tat, was er konnte, um die Kriegsgefangenen festzuhalten und das Bekanntwerden des Austauschvertrages, dessen Bestehen er noch im Juli 1920 bestritt, zu verhindern. Auch Lokalbehörden haben sich vielfach mit dem besten Willen und Erfolg bemüht, uns festzuhalten; meist, weil sie ihrem Bezirk die wertvolle Arbeitskraft der Gefangenen erhalten 14

wollten, denn es gab allerlei Betriebe, die ohne Gefangene nicht arbeiten konnten. Smirnows Widerstand war in Moskau bekannt, doch ging man gegen ihn nicht vor, da er ziemlich allmächtig war, unliebsame Delegierte aus Moskau einfach verhaftete und auf schriftliche und telegraphische Befehle nicht einging. Über all diese Vorgänge hoffe ich noch allerlei Aufklärung aus dem jetzt erscheinenden Buch von Schwester Elsa Brändström zu erhalten, 53

obgleich man nicht weiß, ob vorläufig schon die volle Wahrheit über all diese Vorgänge bekannt gegeben wird. Die Tatsache, daß man uns trotz aller Versprechen nicht los ließ, wurde dem einzelnen mehr oder minder schnell klar, und bewirkte, je nach der Unternehmungslust eines jeden, ein verschieden starkes Bestreben, auf unerlaubte Weise sich durchzuschlagen. Die ersten rissen gleich im Winter, nach dem Einrücken der roten Truppen aus. Viele wurden von Internationalen gefaßt, viele starben am Fleckfieber oder erfroren. So starb in Omsk der Hautmann Fröhlich, der von 16 – 18 in unserm Lager gewesen war (nachher in Barnaul) am Flecktyphus. Die ersten aus unserem Lager, die durchkamen, waren einige unternehmende und gut ausgerüstete Matrosen, unter ihnen mein Leidensgenosse aus dem Kansker Lazarett, die Mitte März ausrissen, als Schwarzfahrer d.h. ohne Reisepapiere, 54

sich in Güterwagen, Bremserhäuschen u.a. bis über den Ural durchschlugen und von Perm ab von den Behörden unterstützt und mit Lebensmitteln versorgt nach Petersburg weitergeschickt wurden. Dort (von Perm an) begriff man nicht, warum nicht mehr Gefangene aus Sibirien kämen, der Abtransport sei doch beschlossen und befohlen. Die genannten wurden im Mai von Petersburg aus nach Deutschland geschickt. Es ging hier wie so oft (z.B. im Februar 18 in Chabarowsk) die ersten, die den Sprung ins Ungewisse wagten, hatten Glück, als nun mehrere, von jenem Erfolg ermutigt, dasselbe versuchten, hatten sie Pech und wurden von den mittlerweile argwöhnisch gewordenen Russen gefaßt. Im großen und ganzen konnte man auf alle Fluchtversuche das bewährte Soldatenwort: „Wie man es macht, ist es verkehrt“ anwenden. Das einzig notwendige war Unverfrorenheit und Entschlußkraft. 55

Man durfte nicht lange überlegen, sondern mußte handeln, und wenn es einmal schief ging, gleich den nächsten Versuch machen. Manche waren glänzend mit Geld, Kleidung, Vorräten und Sprachkenntnissen ausgerüstet, und kamen nicht bis Krasnojarsk, andere, die kaum ja und nein sagen konnten (auf russisch) zogen sich ihren deutschen Waffenrock an, hängten einen Brotbeutel mit den dürftigen Vorräten um, und waren schon nach 4 – 6 Wochen in Petersburg. Jeder, der durchkam, oder hängen blieb, berichtete nach Möglichkeit mehr oder weniger offen an einen zurückgebliebenen Bekannten im Lager, und da die Post innerhalb Rußlands ganz gut ging, war man immer einigermaßen unterrichtet über die Zustände längs der Eisenbahn. Allerdings kam die Nachricht immer mindestens Wochen, meist Monate alt, und dafür häufig überholt. Doch auch so waren sie sehr wertvoll. Anfang Mai, als mit einem Male der im April besonders heftig versprochene Abtransport in unerreichbare Ferne 56

rückte und uns statt dessen Kommandierungen auf Arbeit in Aussicht gestellt wurden, und als gleichzeitig die ersten Nachrichten aus Perm oder Wjatka kamen und berichteten, daß man dort allen Geflohenen offiziell weiterhelfen, da begann ein mächtiges wahlloses Ausreißen. Die meisten gingen zu Fuß los, um die Bahnhofswache in Kansk zu umgehen, und stiegen irgendwo später ein, doch spätestens bei der Jenisseibrücke Krasnojarsk, die nicht zu umgehen war, wurden alle gefaßt und zurückgebracht. Einzelnen glückte es natürlich trotzdem, sobald so eine auffällige Massenflucht vorbei war, durchzukommen. Meist in Etappen, sie wurden irgendwo gefaßt, auf Arbeit geschickt, rissen wieder aus usw. Erleichtert wurde das Ausreißen dadurch, daß im Mai die Internationalen die Bahnkontrolle an Russen abgaben, mit denen man eher fertig werden konnte. 57

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Eine Komplizierung trat allerdings auch wieder ein, dadurch, daß die Gegensätze Ost oder West wieder auftauchten. Die Züge nach Westen wurden oft kontrolliert, die nach Osten kaum. Nach Westen hatte man über 4000 km durch gefährliches Gebiet (bis Petersburg) zurückzulegen. Den russischen besonders den bolschewistischen Behörden durfte man grundsätzlich nicht vertrauen, denn bei ihnen herrschte ausgesprochene Willkür. Außerdem erfuhr man, daß in Petersburg deutschen Offizieren Schwierigkeiten gemacht wurden. Auch konnte sich in den 4 Wochen, die die Reise bis Petersburg mindestens dauerte, allerlei verhängnisvolles ereignen. So mehrte sich die Zahl derer, die das Heil im Osten suchten, wo man nur 900 km auf bolschewistischem Gebiet zurückzulegen hatte (bis östl.des Baikalsees) und dann anständige Aufnahme im „Pufferstaat“ sicher war; ja man wollte sogar wissen, daß von Wladiwostok her eine deutsche Mission zu unserer Befreiung unterwegs sei. 58

Ich konnte von Glück sagen, daß ich Mitte Mai schwere Malaria hatte, denn sonst wäre ich mit La Baume mit nach Osten ausgerissen. Er kam Ende Januar 21 nach Hause, ich Anfang Oktober 20. Alle, die im Osten gut bis Tschita durchkamen, blieben dort - allerdings bei geregelten Lebensbedingungen und unter der Obhut eines Roten Kreuzes - hängen bis der 1 große Transport nach Wladiwostok und weiter in Gang kam. Neben dieser Möglichkeit, als „Schwarzfahrer“ durchzubrennen, die immer bestehen blieb und Anhänger behielt, auch erfolgreiche, kam eine andere immer mehr in den Vordergrund. 25.8.22.

Im Laufe des Frühjahrs und Sommers bemühten sich immer mehr Kameraden, unter irgend einem Vorwand eine Kommandierung nach Westen, 59

möglichst bis Moskau oder Petersburg, oder wenigstens bis in den Ural, und, glückte auch das nicht, bis Omsk, zu bekommen. Das war nicht leicht und erforderte Geschick, gute Einfälle und vor allem Glück. Hatte man die Kommandierung, so war das Weitere leicht. Einige Flieger ließen sich für die Rote Armee anwerben, wurden nach Moskau kommandiert, meldeten sich dort natürlich nicht bei ihrer Bestimmungsbehörde, sondern beim deutschen Arbeiter- und Soldatenrat, und fuhren glatt weiter nach Deutschland. All diese Einfälle glückten immer nur dem oder den ersten, wollten am andern Tage 10 oder 50 dasselbe Spiel spielen, so wurden sie natürlich von den Russen an die Luft gesetzt. Einige Lehrer kamen auf den Gedanken, sich an deutsche Schulen in den Kolonien bei Omsk schicken zu lassen, ihnen glückte es glatt, den Nachahmern natürlich nicht. 60

Den glänzendsten Einfall hatte ein Herr von Arps, der dem Vorsitzenden des Kansker Beokom [dem Genossen Jakowenko, einem richtigen Bullen, der wie ein entsprungener Häftling aussah, und wohl nicht viel mehr als seinen Namen lesen und schreiben konnte] stundenlang etwas vorerzählte, er studiere Nationalökonomie und möchte brennend gern die interessanten neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen an der Quelle kennen lernen, und bäte, zu diesem Zwecke nach Moskau kommandiert zu werden. Er hatte schließlich Erfolg, Jakowenko ließ ihm ein Papier ausstellen - eine бумада, (Bumada = Papier) damals ein viel, und immer mit Ehrfurcht gebrauchtes Wort - daß er nach Moskau fahren dürfe, um dort „Internationale Ökonomie“ zu studieren. Noch am selben Tag gondelte er los und war in 3 - 4 Wochen zu Hause. Je dämlicher, unverfrorener und unwahrscheinlicher diese Gesuche waren, desto besser glückten sie. 61 Schließlich aber schritten die Zentralbehörden gegen alle Kommandierungen ein und verboten sie ein für allemal; als ich im Juli 20 in Krasnojarsk auf dem Bauamt arbeitete, ließ mir der Chef derartige an ihn ergangene Zirkularverfügungen zu Kenntnisnahme vorlegen, glücklicherweise wußte ich, daß auch in Rußland, dort sogar besonders, nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Mit besonderer Freude las ich auch Anfang August auf 16

meiner „Schwarzfahrt“ die auf allen großen Stationen angeschlagenen Befehle, daß kein allein reisender Kriegsgefangener, unter welchen Vorwänden sie auch fahren möchten, durch zu lassen sein. Meine auch schon frühzeitig einsetzenden Bemühungen schlugen leider alle fehl; sie waren zu ehrlich und hatten zu viel Wahrscheinlichkeit in sich. Sehr oft pilgerte ich, schon im April oder Mai, mit Herrn Reuter, dem ältesten von uns 7 Architekten, in die Stadt, 62

um uns loszueisen. Wir erboten uns, in Moskau, wohin man unsere Entwürfe geschickt hatte, die köstlichsten Architekturen usw. zu entwerfen, doch hatten wir nie Erfolg. Es war auch von vornherein verkehrt, für 7 Leute ein gemeinsames Unternehmen vorzubereiten, da jeder etwas anderes wollte. Ich hätte mit einem zusammenarbeiten sollen. Ein Gedanke, auf den mich später Mitte Juni Paul Arno Müller brachte, als ich mit ihm nach Krasnojarsk kommandiert wurde, doch da war es schon zu spät, er hatte seinen Plan zu lange für sich behalten, so kam unsere Kommandierung dazwischen. Im Mai stand ein großer „Spezialistentransport“ im Vordergrund des Interesses; alle, die ein Handwerk oder technischen Beruf verstanden, sollte nach dem Westen auf Arbeit verschickt werden. Jeder, der sich noch etwas zutraute, wollte mit, (die Vorsichtigen rieten ab, da sie auf den offiziellen 63

Abtransport rechneten, und sich auf kein Risiko einlassen wollten) um unterwegs dann auf eigene Faust sein Heil zu versuchen. Große Listen wurden aufgestellt, und ich hatte mancherlei Laufereien zu den verschiedensten Behörden, um unsere Architektengruppe auch mit darauf zu bekommen. Der Transport kam nie zustande. In anderen Lagern (Irkutsk und Krasnojarsk) waren solche Transporte gegangen, und hatten mancherlei Übles erlebt, zwangsweise Arbeit, doch war es immerhin ein Sprungbrett gewesen. Ein anderes Unternehmen, zu dem ich als Teilnehmer und Dolmetscher hinzugezogen wurde, war ein Gesuch, in dem Rogge, Hitzig, Raert und ich baten, uns in Rußland ansiedeln zu dürfen, da wir nicht mehr nach Deutschland zurück wollten. Wir stammten aus besetzten Gebieten, zögen es deshalb vor, in Rußland zu bleiben, und wollten uns im Bezirk Saratow bei den Wolgadeutschen ansiedeln. Ich drang bis zum Stadtkommandanten - es war gerade mal Belagerungszustand, und nur der 64

Stadtkommandant konnte gültige Eisenbahnpapiere ausstellen - er war durchaus einverstanden. Sagte aber, er dürfe diese Reiseerlaubnis nur zu militärischen Zwecken geben, sodaß wir die Dummen waren. Das nächste Unternehmen (Anfang Juni 1920), das mich die letzten Wochen in Kansk beschäftigte und schließlich auch von dort ins Rollen brachte, war die Gründung einer Technikervereinigung. Ob sie vom Lager aus ging, oder eine Folge der für ganz Rußland befohlenen „Registrierung der technischen Arbeitskraft“ war, weiß ich nicht, jedenfalls nutzten wir diese Registrierung aus und drängten uns den russischen Behörden nachdrücklich auf. Etwa 80 Herren allermöglichen, mit Technik mehr oder weniger verwandten Berufe, meldeten sich, Leiter (und Gründer) war ein sehr rühriger österreichischer Chemiker, Dr. Kurt, Jude und daher hervorragend zu gebrauchen, er ließ nie locker. 65

Ich war sein Dolmetscher, und so zogen wir von einer Behörde zur anderen, bekamen zunächst die sehr eingehenden Registrierungsscheine (das Eintragen in Listen war in Rußland immer die wichtigste und oft einzige Arbeit, die ein neues Unternehmen leistete). Dann erkämpften wir uns die Erlaubnis, einen Vertreter nach Krasnojarsk zu senden, um mit höher gestellten Behörden, vor allem mit einem außerordentlich Bevollmächtigten des Ural Industriegebietes zu verhandeln, der sich dort Techniker und Arbeiter zusammensuchte. Natürlich kam unser Vertreter zu spät, der Uralmann war gerade abgefahren, doch gelang es ihm, wichtige Gouvernementsinstanzen zu interessieren, ja sogar unser Gesuch und unsere 17

Listen nach Omsk weiterzugeben. (Die dortige Behörde hieß сибүптес Siburteß d.h. 66

сибирскіӣ отделение учёта и распределѐния технѝческоӣ силы sibirische Abteilung der technischen Arbeitskraft). Die genaue Kenntnis all dieser Behörden, der Einblick in die Vorgänge und der Umgang mit russischen Kommissaren und Sekretären überhaupt kam mir gut zu statten, nur so konnte ich im August bei meiner Schwarzfahrt im Personenzug meine Ausreden mit täuschender Sachkenntnis vorbringen. Nach Krasnojarsk begleitete ich Dr. Kurt übrigens nicht, da ich mich für diesen immerhin verantwortungsvollen Posten, wo es die Interessen von 80 Herren wahrzunehmen galt, nicht sicher genug fühlte. Für mich ging dann ein junger 67

aktiver österreichischer Offizier, der glänzend russisch sprach, und als Entgelt irgendwie zum Techniker frisiert und in unsere Liste aufgenommen wurde. Der Erfolg der Reise war einmal die immerhin noch unsichere Aussicht, daß alle Herren der Liste nach Omsk kommen sollten. Außer dieser Aussicht aber die sichere, schon fertig ausgesprochene Kommandierung von 14 Herren nach Krasnojarsk, die sich die dortige Behörde aus der Liste herausgepickt hatte. Und hierbei war auch ich. Nun galt es, sich zu entscheiden. 26.8.22.

Eine Kommandierung nach Omsk hatte den großen Vorzug, daß man ungefährdet über die berüchtigten Kontrollen in (bezw. hinter) Krasnojarsk, Atschinsk, Taiga und Nowo Nikolajewsk hinauskam. Doch Omsk war nur versprochen, greifbare Aussicht hatten wir noch nicht. 68

Dagegen war die Kommandierung nach Krasnojarsk schon ausgesprochen. Allerdings war es nicht schwierig, das nah gelegene Krasnojarsk zu erreichen, doch war es immerhin ein Sprungbrett, man kam aus dem Lager heraus, der Stein kam ins Rollen, die große Fahrt begann. Auch betrachtete ich es als einen Wink des Schicksals, dem man nicht vorgreifen sollte. Und so war ich von vornherein entschlossen, diesem „Ruf“ zu folgen. Aber ich nahm in Rücksicht auf meine unentschlossenen Schicksalsgenossen, von denen ich der jüngste war und deshalb nicht auf eigene Faust handeln konnte und wollte, eine abwartende Haltung ein. Doch schon nach wenigen Tagen wurden wir telegraphisch unter Namensnennung von der Kansker Behörde angefordert. Einige bröckelten ab, meist unter Vorgabe von Krankheit, zu 9 ließen wir uns die Reisepapiere ausstellen und zögerten auch hierbei und bei der Festsetzung unseres Reisetages hinlänglich. 69

Ich hatte wieder als Obmann und Dolmetscher des kleinen Häufchens zu wirken, und mancherlei Scherereien mit umständlichen und unpraktischen Eigenbrödlern, die Sonderwünsche hatten, einige ältere österreichische Herren, die nicht auf ihre Bequemlichkeit verzichten wollten und gänzlich unzeitgemäße und undurchführbare Ansprüche stellten. Z.B. „Wir sind kommandiert, wir können verlangen , daß unser Gepäck zur Bahn gefahren wird, daß die Bahn uns Plätze in dem erfahrungsgemäß überfüllten Zuge anweist“ usw. Sie hatten eben noch nicht gemerkt, daß man sich in solchen Zeiten zumal in Rußland, selber helfen muß, und daß es keinen Zweck hatte, Forderungen zu stellen, auf die die Russen günstigenfalls mit Versprechungen antworteten, die sie aber bestimmt nicht erfüllten. Doch schließlich klappte es noch einigermaßen und am 24. Juni nachm. trat unser kleines Häuflein die Reise an. 70

Ich bin hier schon ganz in die Schilderung meines persönlichen Lebens geraten. Weil der Bericht über die äußere Lage des Lagers von selbst darauf führte. Ehe ich weiter von der Reise berichte, muß ich noch allerlei über mein Leben im Frühjahr und Sommer in Kansk berichten. Im Vordergrund standen von April bis Juni die Versuche, mehr oder weniger 18

offiziell aus dem Lager nach Westen zu kommen. Zu einer ruhigen und regelmäßigen Arbeit kam es nicht mehr, dazu fehlte auch die innere Ruhe. 30.8.22.

So gab es ständig, natürlich unregelmäßig, als Dolmetscher zu tun, im eigenen Interesse oder der anderen Gruppen. Auch Zeitungen hatte ich noch gelegentlich zu verlesen. Viele Wege und viel Warten machten auch die Registrierungen und Invalidenuntersuchungen notwendig. Da in Rußland, namentlich im bolschewistischen, vor allem alles auf dem 71

Papier in Ordnung gebracht werden mußte, wurde der Grundsatz aufgestellt: Kein Kriegsgefangener wird ausgetauscht, der nicht vorschriftsmäßig registriert ist. Die Formulare der Registrierscheine wechselten von Zeit zu Zeit, da man immer mehr und genauere Angaben haben wollte. An sich war es ja sicher gut, daß man versuchte, Ordnung in das ganze wüste sibirische Leben zu bringen, nur erwiesen sich die dafür verantwortlichen Gesellen als ganz erbärmliche Bürokraten, und der schöne Grundsatz: „das Publikum ist für den Beamten da“ fand immer neue Verwirklichungen. Außerdem übersahen die Genossen, die uns Kriegsgefangene mir den Registrierscheinen ganz genau kontrollieren wollten, daß sie letzten Endes doch übers Ohr gehauen wurden, dazu war man eben in Rußland. Ich bin z.B. 4 Wochen lang ohne Anstand als der Musketier Petri, der von Beruf Bauarbeiter 72

war und die Volksschule besucht hatte, gereist, und so wurden sie oft betrogen. Zu der Gefangenenregistrierung, bei der man sich übrigens in Kansk, wo man bekannt war, als Offizier ausgeben mußte, kam noch die andere, die schon erwähnte „Registrierung der technischen Arbeitskraft“, die mir viel Arbeit machte da die Formulare, die bis ins Einzelne Vorbildung und Vorleben erforschte, 4 mal in russischer Sprache ausgefüllt werden mußten, und ich diese Arbeit für einen großen Bekanntenkreis übernehmen mußte. In Kansk kam es uns darauf an, uns als möglichst fähige und brauchbare Leute hinzustellen, damit wir von den Russen angestellt wurden. So wurden alle Angaben ungeheuer phantastisch. Ein Steuerbeamter, der in Deutschland mit Branntweinversteuerung zu tun hatte und so einen Schimmer von dessen Herstellung hatte, gab sich als langjähriger Spezialist der 73

Spiritusdestillation aus. Ein Unteroffizier, der bei seinem Stabe Skizzen hatte anfertigen müssen, als Landmesser, die Vorbildung wurde irgend wie genial ergänzt. Ich hatte natürlich auch eine ungeheure Bautätigkeit angegeben. Nachher in Krasnojarsk mußten wir uns bei derselben Behörde, nur diesmal bei der Gouverneursinstanz, registrieren lassen. Da uns diesmal daran lag, als möglichst überflüssig zu erscheinen - man hatte irgendwie gehört, die bei bolschewistischen Behörden Beschäftigten würden als letzte entlassen - wurde alles nach der entgegengesetzten Seite maßlos übertrieben, ich machte mich zu einem Studenten im 1. Semester u.s.w. Im Ganzen waren natürlich alle solche Mätzchen sinnlos, selbst im bolschewistischen Rußland war doch letzten Endes nicht ein Stück Papier ausschlaggebend, sondern irgendwelche lebendigeren Kräfte. Diese Stöße von Scheinen und Listen wanderten in irgendwelche Schränke, wo sie vermutlich heute noch lagern. 74

Z.B. Anfang März kam plötzlich eine furchtbar wichtige Anfrage: In EuropäischRußland wurden Landmesser gesucht, die den Sommer über vermessen sollten, denen man versprach, sie im Herbst nach Deutschland zu entlassen. Natürlich war die Sache wie immer furchtbar wichtig und eilig. Große Formulare mit den eingehendsten Angaben über Vorbildung usw. mußten ausgefüllt werden. Etwa 40 Herren, die z.T. einen Theodolit kaum von ferne gesehen hatten, meldeten sich, in aller Eile wurde die Liste ausgefüllt, gesammelt und der Kansker Behörde abgeliefert, die sie nach Europäisch Rußland weitergeben sollte, wo man dann die geeigneten herausfinden wollte. Doch die Russen ließen nie wieder von dieser Sache hören. Als wir aber Ende Juni nach Krasnojarsk kamen, und sich herausstellte, 19

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daß man dort für die Mehrzahl der so dringend angeforderten Herren überhaupt keine Verwendung hatte und uns einfach und buchstäblich 8 Tage auf der Straße stehen ließ, zog ich von Behörde zu Behörde, um noch den einen oder anderen unterzubringen - ich hatte meine Anstellung - und fand auch ein Amt, wo man sich eine halbe Stunde lang dumm stellte, bis einem der Genossen sichtbar ein Licht aufging, er einen Stoß Papier holte und mich der Reihe nach fragte, ob einer der darauf verzeichneten bei uns wäre. Ich merkte sehr bald, daß das die auf der vorigen Seite erwähnten Papiere der Geometer waren, die auf der anstrengenden Reise nach Moskau (4000 km) zunächst in Krasnojarsk (rd 200 km westl. Kansk) einmal gründlich Station gemacht hatten. All solche Sachen waren immer 2-3 Tage furchtbar wichtig und eilig, dann hatten sie ihre Schuldigkeit getan, und machten anderen, noch wichtigeren Sachen, Platz. 76

Bei den riesig oberflächlich abgehaltenen Invaliditätsuntersuchungen hatte ich keinen Erfolg und wurde vollkommen gesund geschrieben. Andere wurden wegen lächerlicher Gebrechen nur die halbe Arbeitsfähigkeit zuerkannt. Z.B. Anton, der als 8jähriger Junge einen Bruch gehabt hatte, der aber so gut ausgeheilt war, daß er bei der Fußartillerie hatte dienen können, war auf die bloße Angabe hin 50%er Invalide geworden. Bei einer späteren Untersuchung wurde mir gesagt, für körperliche Arbeit sei ich (wegen Kniebeschädigung, die an solchen Tagen möglichst deutlich vorgeführt wurde, und Malaria) nicht geeignet, da ich aber Techniker, d.h. Büroarbeiter sei, schreibe man mich vollkommen arbeitsfähig. Die Registrierung als Techniker erwies sich immerhin als sehr wirksam, wir durften nicht auf Schwarzarbeit (ungelernte), kommandiert werden, sondern standen zur Verfügung der 77

schon früher (S. 66) genannten Behörde mit dem hoch trabenden Namen. In Kansk hat die ganze Invalidenuntersuchung wenig Sinn gehabt, Invalide und Gesunde kamen ohne Unterschied nach Hause, und auch Invalide wurden auf Arbeit kommandiert. Ich persönlich zog es vor, weder den Abtransport der Invaliden, noch der Gesunden abzuwarten. Von meinem Kansker Aufenthalt ist dann noch die Arbeit auf dem Kirchhof zu erwähnen. In jeder sibirischen Stadt befindet sich ein Friedhof für Kriegsgefangene, auf dem mindestens hunderte, meist tausende begraben sind. Wir wollten unseren Kansker Friedhof, der auf dem russisch-orthodoxen Friedhof lag, noch, soweit das möglich war, in Ordnung bringen. Lagen doch eine Menge Bekannte dort, so die 3 am 30.6.18. von den Tschechen erschossenen Kameraden (deren Leichen man im Winter 18/19 mit großer Mühe 78

von der Steppe dorthin überführt hatte, der langjährige Lagerarzt Dr. Bauer, und viele, die von 18 bis 20 gestorben oder im Kan ertrunken waren. So bildeten wir eine Gruppe von 8 – 10 Mann, zogen in den Wald, (Ende Mai 1920), wo wir eine russische Kiefernschonung wußten, holten uns 100 oder mehr Bäumchen und pflanzten sie auf dem Friedhof an; das schien uns das einzige, vielleicht wirksame Mittel zu sein, dem Gefangenen Friedhof auch nach unserer Abreise ein einigermaßen würdige Einfriedung und Begrenzung zu verleihen. Ob sie angegangen sind, weiß ich nicht, gegossen haben wir fleißig, allerdings bin ich in den letzten Wochen nicht mehr hinausgekommen. Erfreulich war, daß sich auch in dieser Zeit materieller Not immer Leute genug zu so einer nicht bezahlten Arbeit fanden. Schon vorher, Mitte Mai haschte mich die Malaria, 79

die im Sommer 20 in unserem Lager recht verbreitet war. So verbreitet, daß Malaria nicht mehr als Krankheit anerkannt wurde und die davon Befallenen in der Baracke bleiben mußten und nicht ins Lazarett aufgenommen wurden. (Worüber ich für meine Person sehr froh war.) Das Fatale war, daß nur sehr wenig Chinin im Lager war. So bekam man Chinin 20

immer erst, wenn ganz einwandfrei Malaria festgestellt war, und auch dann immer so knapp, daß manchmal ein neuer Anfall sich einschleichen konnte. Schlimm war es bei mir am 13. Mai, Himmelfahrt, an dem ich 40,5 Fieber hatte, und anfing, dummes Zeug zu reden. Meine Malaria war außerdem keine vorschriftsmäßige Malaria, da ich 2 Tage hintereinander Fieber hatte, sodaß man mich immer auf Flecktyphus untersuchte, eine Methode, die ich noch von meiner Lazarettzeit her kannte. 80

Doch muß es doch wohl Malaria gewesen sein, denn nach Chinin verschwand sie, bei Pausen im Chinin nehmen kam sie wieder. In Erinnerung aus den schlimmen Anfällen ist mir nur noch, daß an einem Abend sich La Baume von mir verabschiedete um nach Osten auszureißen und ich meine Hilflosigkeit verwünschte, ich hätte ihn (er fuhr mit einem Kohlenwagen bis Tschita) brennend gern begleitet. Gut daß ich es nicht konnte, er kam 4 Monate nach mir nach Hause. Dann erinnere ich mich noch, daß es Anton gelang, mir für teures Geld eine Flasche gekochte Milch zu besorgen, die bei der Hitze sauer geworden war und so ein ein ganz köstlich erfrischendes Getränk war. Neue Anfälle hatte ich dann in Kansk nicht mehr, da ich gerade immer soviel Chinin bekam, als unbedingt nötig war. Doch blieb eine ziemliche Schlappheit zurück, schwere körperliche Arbeit hätte ich in dem Sommer nicht übernehmen können, die ziemlich harmlose Arbeit auf dem Friedhof machte mir schwer zu schaffen. 81

Da ich auch einmal mal wieder Geld brauchte, (die Bezahlung des „kommunistischen Dorfes“ einschließl. der verschobenen Stiefel war mittlerweile so ziemlich verzehrt) mußte ich mich nach Arbeit umsehen, und zwar solcher, die schnell viel einbrachte, denn nach irgendeiner stumpfsinnigen Dauerbeschäftigung trug ich kein Verlangen. Ich fand sie bei Anton, (Anfang Juni 20.) der als Lager Bücherwart 1918 das Bücherbinden gelernt und sehr fleißig in allgemeinem Interesse ausgeübt hatte. Das trug in der Zeit der Heimarbeit gute Frucht, er konnte eine glänzend gehende Fabrik von Zigarettenpackungen auftun, in der ein paar fleißige Arbeitstage immer soviel Geld einbrachten, daß die Arbeiter ein paar Wochen davon leben konnten. 1920 nach dem Umschwung ging die Zigarettenindustrie ein, aber Anton lieferte von Zeit zu Zeit einigen galizischen oder ungarischen Juden Briefpapier und Briefumschläge, die diese mit unanständig hohem Gewinn in der Stadt verkauften. 82

Ich glaube ein Brief mit Umschlag kostete 7 - 10 Rubel, zu einer Zeit, wo ein Arbeiter oder Beamter etwa 50 - 60 Rubel am Tage bekam, und ein Brot ebenso viel kostete. Zu den Umschlägen verwandten wir irgendwelche bunte, nur einseitig bedruckte Zettel oder Formulare, die irgendwelche findigen Leute - in unserm Falle die Herren von der Staatsdruckerei - irgendwo auftrieben und „besorgten“. Die Findigkeit der alten Gefangenen fand immer noch Hilfen, wenn der Russe schon längst nicht mehr weiter konnte. Das angenehme bei dieser stumpfsinnigen Kleisterei war, daß sie einen Haufen Geld einbrachte. Was mir sonst noch am Lebensunterhalt fehlte, verschaffte ich mir durch „Angreifen der Substanz“, durch allmähliches Verkaufen und Eintauschen meiner kümmerliche Habe. Doch das gehört unter ein anderes Kapitel, die Vorbereitung zur Flucht. Ab und zu hatte man auch mal schöne Stunden und Tage, in denen man den Augenblick genoß. 83

So machte ich einmal mit Anton einen großen Spaziergang ins Ilankatal auf dem andern Ufer des Kan, einem hübschen Tal mit Wiesen, Mühlen, Wald und üppiger Vegetation, wo wir badeten, Blumen suchten und das Fernsein vom Lager genossen. Mit dem Baden in der Nähe des Lagers, im Kan, war es in dem Sommer nicht weit her. Ich erinnere mich nur, daß wir öfter in dem einen kleinen toten Arm des Kan badeten, vermutlich war es im Strom zu kalt. Dieser tote Arm war aber nicht sehr schön, etwas lau, stets voller Menschen, auch russische Rekruten. Und dann entwickelte sich im Juni eine ganz üble Landplage, die mein Verlangen 21

„Weg von Kansk!“ bedeutend verstärkte: irgendeine Raupe fraß die ganzen Faulbeerblätter auf, und verwandelte das Grün der die Flußufer und Inseln bedeckenden Faulbeerbäume in 84

ein silbriges Grau, das sich bei nahem als ein dichtes Gespinst solcher wimmelnden Raupen entpuppte. Uns ein Grund mehr zu entschwinden. Vielfach wurde das Baden auch mit der häßlichen, wie nützlichen Nebenbeschäftigung des Wäschewaschens und Bleichens verbunden. Kurz, die schönen großen Schwimmfahrten mit den sorgenlosen Pausen hinterher im „Waldaffen“, die den Sommer 1919 so verschönt hatten, waren unwiederbringlich dahin. Gern denke ich dagegen daran zurück, daß wir uns in diesen letzten Kansker Wochen mehr mit den Überbleibseln der so ziemlich aufgelösten Gruppe daher zusammentaten. Im Frühjahr, als der Wandertrieb erwachte, und die säbelrasselnden Berliner und Wiener, und Budapester und Lemberger Genossen vom internationalen Bataillon Kansk den Aufenthalt im Lager unerfreulicher machten, war die in ihren Urelementen seit 1914 fest zusammengefügte Gruppe daher so ziemlich aufgeflogen. 85

Hermann Dähn, seines Zeichens Referendar in Danzig, großer Ruderer und Flieger, als solcher schon lange vorm Kriege als Reserveoffizier ausgebildet und früh von den Russen geschnappt, Danziger, und gleich mir etwas bejahrt, ohne entsprechendes bisher erreicht zu haben, und mit wenig Freude seinem Assessorexamen entgegen sehend, hatte kurz entschlossen dem Lager und seiner theoretische Arbeit den Rücken gekehrt und war als Knecht zu einem Bauern gegangen, wo er, der kaum ein Wort russisch konnte, allerhand, meist unliebsame, aber auch scherzhafte Überraschungen erlebt hatte. Ebenso war Wilhelm Hartmann, Oskar Jantzen (der eingehend geschilderte Mathematiker und Bauer) und Köster (Schulmeister in Hamburg, einer der feinsten, tüchtigsten und fleißigsten Leute im Lager), aufs Land zu Bauern gegangen, weil ihnen der Betrieb im Lager zu sehr zuwider 86

geworden war. Oskar Jantzen mit der Absicht, bald auszureißen, die er auch ausführte, aber nur, bis ihn in Narwa der Flecktyphus unmittelbar nach dem Verlassen Rußlands sterben ließ. Die anderen kamen von Zeit zu Zeit ins Lager zurück, und Hermann Dähn war dann - wir waren mittlerweile von 25 nach 29 umgezogen - mein Nachbar, wo er sich abgesehen von seinen sonstigen Vorzügen durch einen Riesensack mit getrocknetem Weißbrot, wie es die russischen Bauern herstellen und ihren Kriegsgefangenen mitgaben, sehr beliebt machte. War der Sack leer, und hatte sich mittlerweile herausgestellt, daß die zeitweise drohende Abtransportgefahr nicht so groß war, so verzogen sich die vom Lande gekommenen wieder zu ihren Brotherren. Nur Wilhelm Hartmann blieb in der Stadt, wo er durch seinen Bauern eine eigenartige Anstellung gefunden hatte. Er kam nämlich zum Mullah Hamitow, 87

dem Oberhaupt der tartarischen Gemeinde in Kansk, zunächst um einige Arbeiten als Tischler und Zimmermann zu verrichten, dann auch als Knecht. 5.9.22.

Mohamedanische Gemeinden gibt es in ganz Rußland, auch schon im Zarenheere war die mohamedanische Religion offiziell anerkannt, ihre Feiertage wurden gefeiert (d.h.natürlich nur von den Mohamedanern), und die mohamedanischen Soldaten trugen an ihrer Mütze den Halbmond, dort wo die „rechtgläubigen“ Russen das Kreuz trugen. Zum Islam gehörten die verschiedensten Völkerschaften, so in der Omsker Gegend die Kirgisen. In Mittelsibirien (zwischen Tomsk und dem Baikalsee) waren die Mohamedaner durch die Tartaren vertreten, die keine geschlossenen Siedlungen bildeten, sondern meist mitten unter 88

den Russen lebten. Sie waren recht gerissene Handelsleute, bildeten fest zusammenhaltende Gemeinden, die u.a. sehr gut für die Kriegsgefangenen Türken sorgten. Ihre Religion war, so 22

viel ich das beurteilen konnte, fast ganz zu einem äußeren Zeremoniell geworden, dessen Vorschriften nicht so streng eingehalten wurden, wie in der Türkei, jedenfalls waren die Frauen nicht so abgeschlossen. Sprache und Schrift waren dem türkischen gleich oder ähnlich; Schweinefleisch war streng verpönt, dagegen aßen sie viel Pferdefleisch, machten auch aus Pferdemilch das sehr geschätzte und begehrte Getränk Kumys, das champagner ähnlich moussierte und im Geschmack auch ähnlich sein soll. Mir gelang es nie, davon zu trinken zu bekommen, da sie ihn als gute Geschäftsleute teuer verkauften, doch habe ich bei Mullah Hamitow ganz köstliches Frikassee vom jungen Fohlen gegessen. Das Leben im Hause des Mullah war nach 89

Wilhelm H.s Erzählungen noch viel schwieriger als beim russischen Bauern, und ich war nach allem, was ich dort sah, heilfroh, daß ich dort nicht mit der Familie an einem Tisch zu essen brauchte, sondern mit W. H. vor oder nachher aß. Abends trieben sie ihre Pferde meist in der Nähe des Lagers auf die Weide, und W. H. mußte oft die Nacht dabei wachen oder in einem primitiven Zelt schlafen. An unseren vom Winter her bewährten Sonntagsjausen hielten wir streng fest, der Kaffeevorrat war glücklicherweise groß genug. Häufig erschien dazu auch Franz Spode, Bankbeamter aus Danzig, auch vom Stamm der Gruppe Dähn, jetzt schon lange in der Stadt als Buchhalter beim союз, dem früheren großen Konsumverein und der jetzigen Warensammel- und verteilungsstelle beschäftigt. Franz hatten wir alle sehr gern, da er ein riesig hilfsbereiter, stets famos für seine Leute sorgender Mensch war, und da er als gescheiter Mensch immer viel interessantes von seiner Tätigkeit und seinen 90

Beobachtungen in der Stadt und im russischen Betriebe zu erzählen wußte. Meist saßen wir an unseren stillen, aus dem Alltag herausgehobenen Sonntagen in der Bücherei, später im Sommer bei schönem Wetter auch viel zwischen den Baracken, wo die im Vorjahre von uns angepflanzten Bäume und Sträucher gut angegangen waren und geschützte Plätze bildeten. All unser Leben in jener Zeit stand stark unter dem Eindruck des allmählichen Auflösens des Lagers, des Verschwindens eines Bekannten nach dem andern, und das ewige hin und her der Abtransportparolen. Mitte Juli kam wieder ein großer Schwung weg, die ersten zwangsweise mobilisierten, die nach Barnaul sollten. Die ziemlich ruppige Art und Weise, von der ich schon S. 42 berichtete wurden von den Betroffenen meist mit Humor, jedenfalls in der stillen Hoffnung ertragen, daß dieser zwangsweise Arbeitstransport doch 91

anders enden würde, als die Russen beabsichtigten. Und tatsächlich sind auch viele davon im Oktober nach Hause gekommen. So unser langjähriger Gruppenkommandeur Meves, damals Küchenkassenwart und rühriges Küchenleitungsmitglied, und Köster von der Gruppe Dähn, und mein Bielefelder Landsmann Wentz u.a. Einer der stillen Junisonntage, (13. Juni 20.), brachte mir eine schwere Wahl. Etwa 30 oder mehr km vom Lager war ein kleiner Trupp von etwa 15 Herren mit der Anlage von Kartoffel- und Gemüseländereien beschäftigt unter Leitung des von mir sehr geschätzten Forstmanns Grosser, der schon im Herbst 19 unsere Flößerei so fein geleitet hatte. Auch die anderen Mitarbeiter waren durchaus angenehme Leute. Grosser kam nun und suchte einen Dolmetscher für die Gruppe, der nichts weiter zu tun hatte, als notwendige Verhandlungen mit den Russen zu führen und die Lebensmittel zu besorgen, und keilte mich mächtig. Das Angebot 92

war sehr verlockend. Ich hätte nicht viel anstrengendes zu tun gehabt, und eine richtige Sommerfrische mit guter Ernährung in einem großen, schön gelegenen Dorf gehabt, hätte nichts von Politik, Lagerklatsch und Abtransport gehört, und vor allem glänzende Gelegenheit gehabt, Russisch zu lernen. Und doch lehnte ich es nach kurzer Überlegung ab, 23

denn ich sagte mir, jetzt war es unbedingt nötig, stets marschbereit zu sein und immer an der Eisenbahn zu bleiben, denn eine Gelegenheit, ab zufahren, konnte ganz unerwartet plötzlich kommen. Und da wollte ich doch lieber das abscheuliche Lagerleben und das aufregende auf dem Sprung liegen ertragen, als in meiner Sommerfrische womöglich sitzen bleiben. Und es war gut so, denn sehr bald kam die Kommandierung (19.(?) Juni 20.) nach Krasnojarsk und damit der Stein ins Rollen. (Seite 67 ff) 93 7.9.22.

Da es natürlich nicht möglich war, die 14 Beteiligten unter einen Hut zu bringen, reagierten wir zunächst überhaupt nicht auf die Kommandierung. Dann kam aber ein Telegramm, das uns mit Namen nannte und anforderte, also mußte etwas geschehen. Mir war es sehr recht, daß etwas geschah, denn ich hatte das Warten satt; was das Richtige war war sowieso unmöglich zu erraten. Dazu kam noch ein Rest von Ehrfurcht vor dem offiziellen Befehl, man sagte sich, womöglich forschen sie nach, wo wir stecken, und dann hat man doch noch Unannehmlichkeiten. Das Richtige wäre zweifellos gewesen, man hätte mit einem Minimum von Gepäck und den guten Papieren die Reise nach Krasnojarsk angetreten, und dort, ohne den Zug zu verlassen, versucht, weiter zu kommen. Die Krasnojarsker Behörden würden kaum versucht haben, uns noch zu erwischen, wenn wir nicht gekommen wären, 94

wie hätten sie es auch machen sollen! Bis auf einige Österreicher, die auf keinen Fall mitfahren wollten, und Krankheit vorschützten, ließen wir uns also unsere Reisepapiere ausstellen, und trafen unsere Vorbereitungen. Mit viel Beredsamkeit gelang es mir, den Reisetag nach etwas herauszuschieben, weil wir immer noch hofften, die große Kommandierung sämtlicher Techniker nach Omsk würde kommen. Doch vergeblich. Meine Reisevorbereitungen waren bald getroffen. Schon seit Monaten hatte ich dahin gewirkt, mein Gepäck möglichst zu verringern und von Zeit zu Zeit Sachen verkloppt, zuerst durch die bewährte und erlaubte Einrichtung, daß Herren des Lagers die Sachen in einer Bude auf dem Markt feilboten und 10% vom Erlös bekamen. Später, als der offizielle Handel verboten wurde, verwandelte sich das ganze Lager in eine Messe. Ständig kamen russische Soldaten, Bauern, Händler, die die unglaublichsten 95

Sachen aufkauften. Geld war ziemlich leicht zu bekommen, doch jeder versuchte zunächst gegen Ware (Lebensmittel und Kleidungsstücke) einzutauschen. Jetzt verkaufte ich auch meinen Holzkoffer, da die Zeiten vorüber waren, in denen man damit rechnen konnte, Wagen zum Transport des Gepäckes zur Verfügung zu haben, meinen noch gut erhaltenen Wattemantel (eine Gabe des roten Kreuzes August 18), verbrannte meine ganze Post, und übergab alle Hefte mit Ausarbeitungen, Zeichnungen, Aquarelle und Bücher an Anton, damit er nach Gutdünken darüber verfüge, sie mitbringe, wenn es ihm, der sicher bis zum offiziellen Abtransport wartete, möglich wäre, und sie vernichte, wenn sie ihm lästig würden. Was daraus geworden ist, habe ich nie erfahren, da er verschollen ist. Dann ging ich noch einmal auf ein weiter 96

entferntes Dorf, das ich 1919 auf einem der Spaziergänge kennen gelernt hatte und in das noch kaum Gefangene gekommen waren, um mir noch etwas Lebensmittel zu erwerben. Hauptmann Schimmelpfennig, stets zu solchen Unternehmungen bereit, begleitete mich. Wir ließen uns mit der großen Fähre übersetzen, und wanderten bei ziemlicher Hitze 3 Stunden lang bergauf bergab bis zu unserem Ziel, wo wir in qualvollem Gehen von Haus zu Haus unsere Sachen gegen Eier, Brot und Speck verschacherten. Mir war es furchtbar. Einmal war ich recht im Druck. Einer der Bauern wollte für 2 ℔ Butter eine tadellose Batonunterhose von S. haben. Wir gaben sie dafür nicht her. Da verfolgte er uns von Haus zu Haus, machte Redensarten, er werde uns wegen Spekulierens dem revolutionären Komitee anzeigen, 24

hetzte einen ganzen Klub junger Nichtstuer auf uns, sodaß ich heilfroh war, als irgendetwas 97

anderes seine Aufmerksamkeit von uns ablenkte, ich glaube er hatte einen Rausch. Da man vollkommen machtlos und nach dem Buchstaben im Unrecht war, hätte die Sache übel auslaufen können. Glücklicherweise fand ich noch einen älteren Bauern, der menschliches Entgegenkommen zeigte. Er tischlerte nebenbei, und nahm mir mein Tischlerwerkzeug ab, lud mich in sein Haus, machte Tee und gab uns auch irgend etwas zu essen und rauchte Zigaretten. So hatte ich nach dem ständigen an die Luft gesetzt werden doch noch einen guten Eindruck. Dann machten wir uns aber auf den Heimweg, der bei strahlender Sonne und dem Gepäck recht anstrengend war. In 2 alten Hemdsärmeln trug ich allein 40 Eier, von denen mir nur die Hälfte gehörten, dazu verschiedenes auf dem Rücken. Einmal merkte ich, daß eins angeschlagen war und auslief, mußte halten, auspacken, das Ei austrinken und 98

dann neu verpacken, was eine ziemliche Tortur war, da sofort Unmengen von Mücken, die einen nur solange ungeschoren ließen, wie man sich bewegte, auf mich stürzten und mich nicht schlecht piesakten. Und dann die klebrigen Pfoten, ohne Möglichkeit sie zu waschen. So war ich froh, als wir am Abend unbehelligt von Miliz wieder im Lager eintrafen und uns durch ein Bad im Kan nach des Tages Hitze erquickten. Der Erfolg war doch ganz schön, 10 Eier hatte ich für einen Tontopf bekommen, in dem ich mir in besseren Zeiten saure Milch ansetzte, 10 für einen gewöhnlichen weißen Steingutbecher mit Blümchen drauf. Eine weitere, schon seit Wochen betriebene Reisevorbereitung war das Brotrösten. Auch beim Lagerarzt war ich noch einmal. Meine Malaria war, seit ich regelmäßig Chinin nahm, nicht wiedergekommen. Doch sagte er (Dr. Geiß) „Chinin kann ich Ihnen nicht mitgeben, ich habe nicht einmal genug für die Lagerinsassen, sehen Sie zu, daß Ihnen von den Russen Chinin geliefert wird.“ Ein schöner Trost! 99 1.Oktober 1922 (heute vor 2 Jahren Landung in Stettin!!)

Aus allen Berichten von Kameraden, denen es gelungen war, nach Petersburg und Moskau zu entkommen, ging hervor, daß je weiter man nach Westen kam, um so schwieriger war, Lebensmittel zu bekommen, besonders von Omsk ab sollte es fast unmöglich sein, für russisches Papiergeld Brot usw. zu kaufen. So trachtete jeder danach, eine gewisse Reserve an geröstetem Brot sich zurückzulegen. Jedes bißchen Brot, das man sich absparen konnte, trug man in die Bäckerei und röstete es dort. Wenn man auch nur 14 Tage für die Reise rechnete, so mußte man schon eine gehörige Menge haben, da Brot das wichtigste, fast das einzige Nahrungsmittel war. Ich hatte schließlich einen ganz ordentlichen Sack mit etwa 15 ℔. Und nun der Abschied vom Lager. Er fiel nicht schwer, doch mußte man sich auch von allen Kameraden, mit denen man z.T. schon 5 Jahre verlebt hatte, trennen, denn daß meine Kommandierung nach Krasnojarsk nur eine möglichst kurze Etappe auf der Heimreise sein 100

sollte, das stand bei mir fest. Die alten Gruppen waren allerdings längst aufgelöst. Und fast alle, die noch da waren, lagen irgendwie auf der Lauer. La Baume war Mitte Mai nach Osten ausgerissen, und saß in Tschita fest, allerdings unter erträglichen Verhältnissen, da Tschita damals nicht zur Sowjetrepublik gehörte, sondern unter dem Einfluß des Kosakenataman Semjonoff stand. Krämer, im Sommer 1919 nach Irkutsk kommandiert, hatte von dort beim Umschwung Neujahr 1920 versucht, nach Westen zu entkommen, war aber schon in Tscheremchovo (etwa 150 km westlich von Irkutsk von Internationalen aus dem Zug geholt, und arbeitet unter den kümmerlichsten Bedingungen als Ingenieur an den dortigen Kohlebergwerken. Im Lager war noch Wilh. Hartmann. Der seine Stellung beim tartarischen Mullah aufgegeben hatte, als die Kommandierung der Ingenieure Gestalt anzunehmen schien. Anton Raadt blieb nach wie vor als Lagerbücherwart tätig, und fand durch 101

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Buchbinderei und ähnl. ein leidliches Auskommen. Seiner schwerfälligen Natur lag das Ausreißen nicht, und so wartete er auf den allgemeinen Abtransport, der ja schließlich auch einmal kommen mußte. Hitzig war am Ende seiner Geduld - die mal sehr groß gewesen war - angelangt, und beschloß, irgendwie durchzubrennen. Unsere Kommandierung war der äußere Anlaß, er beschloß, mit uns zu fahren, ich wollte versuchen, ihn bis Krasnojarsk als einen der unsrigen durchzuschummeln, von da mußte er dann versuchen, allein weiterzukommen. Von der 5 ½ jährigen Gefangenschaft, unter der er als hoch begabter und sehr empfindlicher Mensch mehr als andere gelitten hatte, und ganz besonders von den im Laufe des Jahres 1920 immer unerträglicher werdenden materiellen und seelischen Lebensbedingungen war er so zermürbt, das er sich lieber auf ein waghalsiges Unternehmen - das seiner Natur nicht lag - zumal in der Verfassung, in die er mittlerweile gekommen war - einlassen, als die ständige Quälerei durch Bolschewiken und Internationale und 102

Lagerangehörige noch länger zu ertragen. Mit ihm zusammen sollte Rogge ausreißen. Auch ihm lag zweifellos ein waghalsiges Unternehmen nicht recht, da er mehr für ein beschauliches Dasein als für aktives Handeln war. Auch war es ebenso wie bei Hitzig, nicht weit her mit den russischen Sprachkenntnissen. Doch war er bedürfnis- und anspruchslos, und vor allem unbedingt zuverlässig, und daher ein sehr brauchbarer Begleiter zu solchen Unternehmungen. So veranstalteten wir dann, als der Tag meiner Abreise feststand, in reichlich gedrückter Stimmung noch einige Abschiedsjausen, um den Rest des gemeinsamen Kaffees zu verzehren, gedrückt, weil wir doch alle einer sehr ungewissen Zukunft entgegen sahen, weil das durch 5 Jahre bewährte Zusammenleben so mit einem Male aufhören sollte, weil Anton voller Unlust und Unentschiedenheit zurückblieb und weil Hitzig in einer ungesunden und ihm unnatürlichen Stimmung des leichten Wagemutes war. 103

Und doch hätte keiner im entferntesten geahnt, daß sein Ende so traurig sein würde. Wir prägten und gegenseitig die verschiedensten Aufträge ein, die Derjenige, der zuerst nach Deutschland kam, ausrichten sollte; schriftliche Notizen zu machen oder gar Briefe mitzunehmen, war ja zwecklos. Am 24. Juni nachm. sollten wir mit dem Postzug fahren. (In jeder Richtung fuhr täglich ein Personenzug, der sogenannte Postzug, [lucus a non lucendo?] und beförderte kommandierte Soldaten oder Angestellte, und die wenigen Glücklichen, die sich irgendwie Reisepapiere erschoben hatten.) Unsere nach Krasnojarsk kommandierte Gruppe war auf 8 Mann zusammengeschrumpft. Doch hatte ich Papiere für 11 Mann, konnte also ziemlich ungefährdet H. + R. Bis Krasnojarsk mitnehmen. Da wir mit einem mehr oder weniger langen Verbleiben in Krasnojarsk rechnen mußten, hatten wir auch noch allerhand Gepäck 104

(außer Wäsche, Eßvorräten, Mantel und Decken noch Waschschüsseln, Eimer und dergl., die Österreicher reisten z.T. sogar noch mit Matratzen), das uns ein Küchenwagen zum Bahnhof brachte. Auf dem Bahnhof lagerte man sich im heißen Sonnenbrand und wartete stundenlang das Eintreffen des Zuges ab. Bestimmte Abfahrtszeiten gab es nicht, die Züge hatten bis zu 24 Stunden Verspätung. Wilhelm Hartmann und auch wohl einige andere waren zum Abschied zur Bahn gekommen. Hitzig und Rogge waren allein zur Bahn gegangen und hielten sich auf dem Bahnhof etwas von uns entfernt. Schließlich (etwa zwischen 4 und 5) kam der Zug, und nach kurzem heißen Kampf gelang es uns, mit all unseren Gepäckstücken irgendwo in dem überbesetzten Zug unterzukommen, natürlich nicht zusammen sondern jeder mußte sehen, wo er blieb. Die Kontrolle durch die Miliz war glimpflich, ich wies meine Sammelpapiere vor, auf Einzelnachprüfungen ließen sie sich nicht ein, sodaß auch H.und R. ungeschoren mit abfahren konnten. Die Fahrt in den engen, heißen Wagen war nicht 26

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sehr angenehm, selbst wenn man einen Sitzplatz erwischte, konnte man nicht aufrecht sitzen, da die Rücklehnen hochgeklappt waren, und auf ihnen Mitreisende lagen. Ein Öffnen der Fenster war unmöglich, ein Versuch von mir wurde von den russischen Soldaten deutlich und energisch zurückgewiesen, man fürchtet den Zug in Rußland genauso wie in Deutschland. Doch hatte ich Gelegenheit, mich über einen anständigen Zug zu freuen, eine Weile konnte ich irgendwo gekrümmt schlafen und verlor dabei mein schönen Taschenmesser aus der Hosentasche. Da weckte mich einer der Rotgardisten, und gab es mir wieder. Gegen Abend (es war noch taghell) kamen wir nach Klukwennaja, in der Mitte zwischen Kansk und Krasnojarsk, und konnten uns eine Weile die Beine vertreten. Hier trafen wir auch Gefangene aus unserem Lager, die auf dem Bahnhof in Güterwagen untergebracht waren und ein kümmerliches Dasein als Eisenbahnarbeiter führten, unter ihnen war der „Geheimrat“ B. ein mittlerer Beamter aus Magdeburg, der wegen seines stets würdigen und überaus 106

korrekten Benehmens zu diesem Beinamen gekommen war, früher immer recht wohlgenährt, jetzt auffallend abgemagert, und Herr Schaub, ein alter baltischer Feldwebelleutnant, den wir alle sehr schätzten, als guten Kameraden, und tüchtiger Arbeiter - er hatte uns im X.1919 geholfen, unser Floß flott zu machen - als großen Praktikus - er hatte im Südwestfeldzug viel Erfahrung gesammelt - und als Hersteller guter Zigarren. (Ich traf ihn später am 2.X.20 im Durchgangslager Hammerstein wieder). Dann ging die Fahrt weiter in die Nacht hinein auf Krasnojarsk zu. Und da geschah dann bald das Unheil. Plötzlich kam Hitzig, der mit mir und Rogge im selben Wagen fuhr, und meist außen auf der Plattformstand, wo es kühler war, zu mir, und erzählte mir, die Rotgardisten hätten immer von ihm gesprochen, auf ihn gezeigt, und gesagt er würde verhaftet werden. Mir kam die Sache merkwürdig und seltsam vor, ich versuchte ihm zuzureden, ruhig zu bleiben, keine Dummheiten zu machen und sich bei einer Revision 107

unter allen Umständen als zu uns gehörig auszugeben. Doch vergeblich, er fühlte sich beobachtet und erkannt, und war nicht davon abzubringen, für den Fall einer Kontrolle gleich offen zu sagen, er sei ohne Papiere auf der Flucht. Tatsächlich mußte er (und Rogge) irgend wie aufgefallen sein, denn plötzlich erschien ein Soldat und ein Milizmann, verlangten von ihm einen Ausweis, worauf er dann prompt sagte, „ich habe keinen, ich bin ausgerissen“. Mir blieb dann nichts weiter übrig, als auf eine Frage der Russen, ob das stimme, diese Angabe zu bestätigen und hinzuzufügen, daß ich ihm vom Lager her als deutschen Kriegsgefangenen kenne. Meine Papiere waren ja in Ordnung. Aber Rogge, der mit H. zusammen bleiben wollte, wurde ebenso wie H. verhaftet und von den beiden Russen mitgenommen. Wir sahen die beiden nur flüchtig auf dem Bahnhof Kr. wieder, wo ich ihnen nur noch zurufen konnte, sie sollten, wenn möglich ins Kriegsgefangenenlager Krasnojarsk eine Nachricht geben, was 108

aus ihm geworden wäre. Ich kann mir den ganzen Vorfall nur so erklären, daß die Russen H. für einen russischen Offizier hielten, der sich verbergen oder entfliehen wollte. Er war ganz russisch angezogen, trug auch eine russische Militärmütze, hatte mit niemand gesprochen, war merklich unruhig gewesen, und sah auch garnicht deutsch aus. Auf uns wirkte sein Anblick in jenen Tagen besonders fremdartig, weil er sich - aus unerklärlichen Gründen Haare und Bart hatte abscheren lassen. Für diese Erklärung spricht vor allem, daß man die beiden schon am nächsten Morgen, nachdem man ihre Harmlosigkeit festgestellt hatte, wieder aus der Haft entließ und in das Krasnojarsker Lager schickte. Die ganze Kontrolle in jenen Wochen hatte aber vor allem den Zweck, innenpolitisch verdächtige Leute festzuhalten, und war weniger gegen Kriegsgefangene gerichtet. Das hehre Ziel, Kriegsgefangene mit allen Mitteln und aller Schärfe an der Heimkehr zu verhindern, verfolgten mit großem Eifer und Erfolg unsere „Genossen“ von der deutschen und 27

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ungarischen Sektion der III. Internationale, die sogenannten „Internationalisten“, doch sie waren im Bahndienst schon seit dem Mai meist durch russische Milizen abgelöst worden. All das reimte ich mir erst später zusammen. Zunächst standen wir etwa um Mitternacht in Krasnojarsk auf dem Bahnhof. 2.10.22.

Da es weder Gasthöfe, noch Unterkunftsstätten irgendwelcher Art, noch Gepäckträger gab, blieb uns nichts anderes übrig, als uns mit unserem Gepäck auf den Bahnsteig zu legen, wo ich denn auch, den Sternenhimmel über mir, ganz gut geschlafen habe. Durch diese Methode, daß man selber sehen muß, wie man irgendeinen Ausweg aus irgendeiner Lebenslage findet, lösen die Bolschewiken spielend viele Schwierigkeiten mancherlei Art. Gegen Morgen fing es an zu regnen, und wir 8 suchten und fanden Unterkunft in einem leeren Güterwagen auf einem toten Gleise. Im Laufe des Vormittags - um 10 Uhr begannen die russischen Behörden zu „arbeiten“ - mußten wir nun versuchen, Arbeit, Wohnung 110

und Verpflegung zu finden. 2 Mann blieben als Wache beim Gepäck zurück, wir anderen 6 machten uns auf den angenehmen Weg von einer Behörde zur anderen. Zunächst suchten wir den „Towarischtsch“ (Genossen) Wassiljew auf, einen Kommissar beim revolutionären Komitee, der alle Anstellungen für Industrie und Gewerbe unter sich hatte und auch unsere Kommandierung vermittelt hatte. ¾ Stunde mußten wir warten, bis er kam, eine Weile wußte er von nichts, dann wühlte er in seinen Schubladen, fand schließlich die gewünschten Listen, und teilte uns den verschiedenen Stellen zu, Müller und mich beim Gouvernementbauamt, die andern 6 der chemischen und der Metallabteilung. Wir sollten uns dort melden, dort würde alles weitere besorgt werden. Bei Müller und mir klappte die Sache verhältnismäßig gut, für uns war auf dem Bauamt - dem selben, auf dem ich schon Ostern nachgefragt hatte Platz, man besorgte uns sogar eine Karte für einen in der Nähe liegenden Mittagstisch. Aber mit den anderen war es ein Leid, niemand wollte sie haben und konnte sie brauchen, 111

z.T. wurden ihnen Tätigkeiten angeboten, die sie unmöglich versehen konnten, z.T. lehnten sie auch absichtlich alles ab, um wieder wegzukommen oder weil sie kein Wort russisch verstanden. Der Erfolg von 4 heißen Tagen, in denen ich mich am liebsten gevierteilt hätte, war, daß einer auf eigene Faust ausriß, der war jedenfalls der schlauste von allen (Walther, ein Braunschweiger, der in Oberschlesien Ingenieur war) 3 verlangten Papiere zur Rückfahrt nach Kansk - was ich nie gemacht hätte - und nur 4 blieben da, Müller und ich auf dem Bauamt, Leutner in der Gas und Leimfabrik, wo er auch Wohnung angewiesen bekam, und der Österreicher Martin (Strumpffabrikant aus Wien) in der Metallabteilung. Das Schlimmste war, daß mir schon am 2. Tage, Sonnabend mittag, ganz schwummerig wurde, sodaß ich nur von 2 anderen geführt den ½ Stunde entfernten Bahnhof erreichte und mich mit einem heftigen Malariaanfall in den Wagen legte. 112

Mir war alles gleich, und die andern saßen ziemlich hilflos da. Glücklicherweise folgt bei der Malaria auf einen Anfall immer ein guter Tag, sodaß ich am Sonntag wieder einigermaßen munter war. Vorm. bestiegen wir die Berge beim Bahnhof und freuten uns an dem schönen Blick auf das herrlich gelegene Krasnojarsk und den von Dampfern belebten Jenissei. Mittags nach dem Essen versuchte ich vor allem Chinin zu bekommen. Ich ging in ein großes Krankenhaus und machte mich an einen Sanitäter heran. 3.1.22.

Er belehrte mich zunächst über den vorschriftsmäßigen Weg, zu Arznei zu kommen. Ich müsse zu dem Arzt, der für das Viertel zuständig sei, in dem ich wohne, gehen, wo ich mindestens einen Vormittag zu warten hätte, und dann bekäme ich ein Papier, auf das hin ich 28

in der zuständigen Apotheke Chinin bekommen könnte. Das war nun schwierig, da ich vorläufig überhaupt noch nicht angemeldet war. Abgesehen davon war in den Sprechstunden des Revierarztes ein gerade zu viehisches Gedränge von Kranken, daß man große 113

Aussicht hatte, gesund hin und angesteckt zurückzukommen, ohne Zutritt zu dem Arzt zu erlangen. Doch mein Sanitäter war ein Menschenfreund, er sagte, schneller käme ich zu meinem Chinin, wenn er mir welches verschaffte; worauf er mir einige Pulver brachte. Am nächsten Tage versuchte ich dasselbe in verschiedenen anderen Krankenhäusern, doch hier herrsche Ordnung, ich wurde auf den vorgeschriebenen Weg verwiesen., und der konnte mir ja nichts nützen. Sonntag abd, als wir auf dem Bahnhof lagen, packte mich die Versuchung, auszureißen. Ich fühlte mich wieder frisch, der Empfehlung durch die Russen, die einen von einer Behörde zur anderen jagten, ohne einem zu helfen, war recht abschreckend, und P.A. Müller machte mich auf eine gute Gelegenheit aufmerksam. Ein Güterzug wurde zusammengestellt aus lauter plombierten Güterwagen. Bei einigen waren die kleinen Klappenfenster oben offen. Man hätte da nachts hineinkriechen müssen, was zu zweit auch ganz gut gegangen wäre, und dann versuchen, wo man gelandet wäre. Zu essen und Trinken konnte man ja mit hineinnehmen. Die Versuchung war groß, doch war es mir ohne Chinin 114

eine zu gefährliche Geschichte, auch erschien es mir ziemlich häßlich, meine Leute im Stich zu lassen, die während des Malariaanfalls noch so gut für mich gesorgt hatten, und die ohne meine russischen Kenntnisse ziemlich ratlos waren. Am Montag ging dann das Herumlaufen weiter. Ich fand für mich persönlich auch eine Wohnung bei 2 deutschen Kriegsgefangenen, von denen einer Schuster, der andere Einjähriger und in allen möglichen Berufen tätig war. Die Wohnung verdankte ich der Vermittlung des Herrn Cibis, den ich im April 20. bei meiner ersten Reise nach Kr. kennengelernt hatte. Am Dienstag klärte sich dann die ganze Lage soweit, daß 3 Mann nach Kansk zurückfuhren, und nur 4 in Kr. verblieben. Nun mußte ich noch für 2 (P.A. Müller und den Österreicher Martin) Wohnung verschaffen, da wir anderen 2 Unterkunft hatten. Die Behörde verwies uns immer wieder ins Wohnungsamt. Hätten wir uns mit diesem Bescheide zufrieden gegeben, so hätten wir in 6 Wochen keine Wohnung gefunden, denn das Wohnungsamt hatte ein Schild ausgehängt, auf dem stand: „Das 115

Wohnungsamt ist geschlossen, da die Militärbehörden keine Angaben gemacht hatten, welche Quartiere von ihnen belegt sind, und wir nicht wissen, welche Wohnungen zur Verfügung stehen. Die Wiedereröffnung des Wohnungsamtes wird bekannt gegeben.“ Dieser Zustand dauerte die ganzen 6 Wochen an, die ich in Krasnojarsk zubrachte, ich war noch oft dort, denn mein Hauswirt trieb mich immer wieder hin, da ihm daran lag, nachträglich dafür die Genehmigung zu bekommen, daß er mich aufgenommen hatte. Regelmäßig traf ich verschlossene Türen an, konnte aber durch das Fenster feststellen, daß die sämtlichen Angestellten da waren, und sich ihre Zeit mit Lesen und Zigarettenrauchen und Schwatzen vertrieben, und sich unliebsame Störungen durch Zuschließen der Türen fernhielten. Es würde mich interessieren, ob dieser Zustand auch noch heute andauert. Da das Wohnungsamt also nicht in Frage kam, machten wir uns so auf die Suche, und zogen in einigen uns empfohlenen Straßen von Haus zu Haus. Es war ein scheußliches Betteln, niemand hatte ein Zimmer frei. Wir sahen ja selber, daß die Leute recht eng zusammen wohnten, da sie viel ans Militär und auch an Flüchtlinge (aus dem Bürgerkrieg, 116

die bei der Sperrung der Eisenbahn nicht wieder zurück konnten) abgegeben hatten. Zu einer Familie kamen wir schließlich, die noch ein Zimmer frei hatte. Doch war die Frau unschlüssig und schickte uns weiter ein Haus gegenüber. Als wir dort unverrichteter Sache herauskamen, hatten die Leute den Fall inzwischen besprochen, auch uns beobachtetet und 29

winkten uns zu sich hinein, wir könnten bei ihnen bleiben. Anscheinend war es ihnen doch lieber, Kriegsgefangene statt Rotgardisten zu nehmen, und wir waren heilfroh, als das aufreibende Suchen ein Ende hatte. Ich entschloß mich meine Wohnung aufzugeben und mit den beiden andern zusammenzuziehen. Es gelang mir, auf unsern Gouv. Bauamt den Kutscher zu erwischen. Der Chef hatte mir zwar gesagt, er können den Mann nicht kommandieren, unsere Sachen an der Bahn abzuholen, doch hatte ich Glück, es war ein Kriegsgefangener, der Verständnis für unsere Not hatte und unser Gepäck vom Bahnhof abholte. Mit unserer Wohnung hatten wir großes Glück. 117

Unsere Hauswirte waren recht ordentliche und saubere Leute. Er hieß Grigorieff - ein sehr häufiger Name bei den Russen - und war Sekretär beim Finanzamt. Vermutlich hatte er früher unter dem Zaren schon einen ähnlichen Posten gehabt. Sie hatte früher Unterricht im Nähen und Sticken gegeben. Das Haus war ein echt russisches Blockhaus, und lag an der Straße in einem größeren Hof, auf dem verschiedene Nebengebäude und untergeordnete Wohnhäuser standen. Unser Haus war mal ein herrschaftliches gewesen, und denkbar unpraktisch, zumal für die jetzigen Verhältnisse. Im Sockelgeschoß, nur wenige Stufen in die Erde hinein, war jetzt eine besondere Wohnung, früher waren es die Wirtschaftsräume der oberen herrschaftlichen Wohnung, darüber, hochparterre, (ohne irgendwelche Dachräume) wohnten wir.

Болъше каъщская (große Katschastraße) 118

Die Hauptnachteile des Hauses waren der Mangel an ausreichenden Nebenräumen wie Flur usw., denn daß von den 3 Hauptzimmern nur 1 vom Flur zugänglich war und schließlich die schlechte Heizbarkeit bei der großen Höhe der Räume und den vielen Fenstern. Unser Zimmer lag in der Ecke, und war nur durch ein anderes großes Zimmer zugänglich, in dem ein kriegsgefangener ungarischer Schuster mit seiner Frau, einer Russin mit 2 Kindern, wohnte. Im Zimmer standen ein großer Tisch, eine eiserne Militärbettstelle mit 3 Brettern darin, und eine Reihe von kleinen Tischen und Ständern, alle besetzt mit Gummibäumen, Kakteen und Palmen. Das Bett überließen wir Martin als dem Ältesten, Müller schlug sein 30

Lager, d.h. eine Wattedecke, die morgens immer zusammengerollt wurde, auf dem Fußboden auf, für mich brachte die Frau eine Riesenplatte, die früher als Tischplatte eines Schneidertisches gedient hatte, denn sie trug noch unzählige Spuren des Zahnrädchens, mit dem Schneiderinnen ihre Stoffe zeichnen. 119

Wir bauten die Tafel auf 4 oder 6 Schemeln auf und dann habe ich recht gut darauf geschlafen. Damit war die Zimmereinrichtung erschöpft. Als Waschtisch diente allen Hausbewohnern gemeinsam ein russischer Waschapparat, ein kleines Blechgefäß mit beweglichem Stöpsel, den man hochschob, damit Wasser in dünnem Strahl heraustropfte. Für die Russen genügte das, da sie sich immer erst waschen, wenn sie sich vollständig angezogen haben, wir machten uns von vornherein selbständig, holten uns abends Wasser in unseren Eimern und benützten unsere Waschschüsseln, so eine den Russen gänzlich unverständliche Wasserverschwendung treibend. Und wenn wir uns abends immer noch im Hofe die Zähne putzten, dann staunten die Kinder, die so etwas noch nie gesehen hatten. Das Wasser holten wir anfangs aus einem 5 Minuten entfernten Bach, der Katscha, später, als es wegen der Choleragefahr verboten wurde, aus einer etwa ebenso weit entfernten städtischen Wasserzapfstelle. (Krasnojarsk hat eine Wasserleitung, doch geht sie nicht in jedes Haus, 120

sondern nur in einige, in der ganzen Stadt verteilte Häuser, die es dann ausgaben.) Die Ordnung des Tagewerkes und das Leben war für uns Neulinge nicht so einfach. Allerdings angestellt waren wir, auch Karten für das Mittagessen hatten wir bekommen, durch das Entgegenkommen des Leiters des Mittagstisches, eines deutschen Kriegsgefangenen. Aber die Verpflegungskarten im vorgeschriebenen Verfahren zu erlangen, kostete eine Reihe von Tagen und viele Wege von einer Dienststelle zur anderen. Hätten die Kriegsgefangenen, die unsern Mittagstisch verwalteten, nicht unter Umgehung der bestehenden Vorschriften ausgeholfen, der russische Bürokratismus hätte uns verhungern lassen, ebenso wie er uns keine Wohnung beschaffte. Das kümmerliche Leben in Sowjetrußland ist eben nur durch Umgehung der bestehenden Bestimmungen möglich. 121 4.Oktober 1922.

Etwa am 1. Juli (am 24. Juni waren wir angekommen!) bekamen wir unsere Verpflegungskarten. Die Karten hatten in der Mitte Raum für die nötigen Eintragungen, (Name, Alter, Wohnung, Verpflegungsklasse usw.) ringsum waren etwa 60 -70 nummerierte Abschnitte, die je nach Bedarf abgeschnitten wurden. Jedesmal zu Beginn des Monats wurde bekannt gegeben, was es geben sollte, die Menge und die Nr. Dann mußte man scharf aufpassen, wenn die Verkaufsstelle die betreffenden Sachen vorrätig hatte. Von unserem großen Bauamt war meist jemand unterwegs und wenn es irgendwo etwas gab, zog alles dorthin. Merkwürdigerweise konnte jeder seine Sachen in jeder Verkaufsstelle holen, eine Einteilung nach Bezirken fand nicht statt. In den Läden war immer ein wüster Andrang, einmal mußte man anstehen, um überhaupt an den Ladentisch zu kommen, dann an der Kasse, da es ständig an Kleingeld fehlte (wer seinen Betrag abgezählt bereit hatte, wurde außer der Reihe abgefertigt) und schließlich noch an der Warenausgabestelle. Dabei war die Anzahl der ausgegebenen Artikel garnicht groß. Man bekam im Monat 1 ℔ Salz - Ein Pfund immer = 400 gr! in ganz großen schmutzigen Brocken, 1/8 ℔ Machorka (gehackte Tabakstengel und Holz) - im August 3/8 ℔, 2 Schachteln Streichhölzer, ¼ (oder 1/8) ℔ Seife. Wer nicht selber kochte, mußte drei der Abschnitte (für Kartoffeln, Gemüse und Fleisch) abgeben, und bekam dafür eine Karte für einen der öffentlichen Mittagstische, wo ihm jeden Tag eine warme Mahlzeit verabreicht wurde. Hierbei stand man sich bei weitem besser, als wenn man sich die genannten Lebensmittel in natura ausgeben ließ, denn dann 31

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bekam man weniger oder garnichts, und das Fleisch, das ausgegeben wurde, war in dem Falle, wo ich es sah, verdorben. Wer nicht selber backte, bekam für 2 Abschnitte (Mehl und Salz Nr. 2) eine Brotkarte für die man täglich im Brotladen oder dem Mittagstisch seine Ration bekam. Außer den genannten Sachen sollte es manchmal in einem Laden an Stelle von 1/8 ℔ Machorka 20 chinesisch-amerikanische Zigaretten geben, doch habe ich nie einen getroffen, dem es gelungen wäre, dieses vielbesprochene Geschäft zu machen. Zigaretten und richtiger 123

Tabak wurden auch eigentlich nur an Kommissare und Rotgardisten ausgegeben. Ferner sollte es im Monat August für jeden ein Teeglas geben, ich habe mich aber selbst durch diese glänzende Aussicht nicht halten lassen. Die meisten Angestellten bei uns bezogen ihre Produkte gemeinsam durch das Bauamt, doch schlossen wir Kriegsgefangenen uns dabei aus, weil einmal der dies vermittelnde „Vertrauensmann“ durch aus nicht unser Vertrauen genoß, und weil es dabei die Sachen immer erst am Monatsschluß gab, und darauf konnten wir natürlich nicht warten. Doch habe ich ihm einmal 2 Tage beim Austeilen geholfen, und das war ein großes Theater. Er machte überhaupt nie Dienst, sondern war ständig mit dem Besorgen der Produkte, Führen der Listen und Verpflegungskarten usw. beschäftigt. An den Tagen machte natürlich auch ich keinen Dienst, und die betreffenden die gerade daran waren, was stundenlang dauerte, standen natürlich auch herum und schwatzten. Billig waren die Sachen, z.B. für 1 ℔ Salz zahlte man 1 Rubel, im Schleichhandel kostete es 500 Rubel.

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An Brot bekamen wir (die Angestellten ) täglich 1 ¼ ℔ (500 gr.) die Arbeiter 1 ½ ℔= 600 gr. Das Brot war meist ausgezeichnet und schmeckte wie Kuchen. Ich mußte immer sehr kämpfen, daß ich zum Morgentee nicht schon 2 – 3 ℔ davon (natürlich trocken) verdrückte. Dann steckte man sich zum Frühstück auch ein Stück trockenes Brot ein, das man um 1 zu Tee oder Kaffee aß, und abends gab es wieder trockenes Brot. Glücklicherweise hatte ich noch aus Kansk etwas Schmalz, von dem Speck, den ich für das Tischlergerät bekommen hatte, sodaß ich etwas darauf zu schmieren hatte. Das Mittagessen war recht gut, allerdings hatten wir großes Glück, da es uns gelungen war, an den besten Mittagstisch der Stadt zu kommen. Er lag ganz nahe bei unserm Bauamt, an der Hauptstraße (in einem früheren Kaffee?) Er war erst Ende Juni (als 7. in der Stadt) aufgemacht worden, hatte aber eine sehr schnell zunehmende Zahl von Gästen, da sich sein guter Ruf schnell herum sprach und jeder versuchte, ihm zugeteilt zu werden. Ende Juli waren es schon 1500 - 1800 Gäste, und eine Erweiterung auf 7000 Gäste war in Arbeit. Das kam, weil er ganz in den Händen

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von Kriegsgefangenen aus dem Offizierslager Krasnojarsk war, hauptsächlich von Reichsdeutschen. Leiter war ein Kaufmann aus Hamburg; Kasse, Bedienung und Küche, alles wurde von Kriegsgefangenen besorgt, und während die anderen Mittagstische unordentlich, schmutzig und eintönig waren, war der unsere immer tadellos sauber - weiße Tischtücher, Papierservietten, peinlich sauberes Geschirr - gut eingerichtet, sodaß die Bedienung flott ging, und vor allem sehr reichhaltig. Die russischen Mittagstischleiter nahmen, was ihnen geliefert wurde, der Deutsche (sicher preußisches Erziehungsreglement: heran an den Feind, es koste was es wolle) ging von Behörde zu Behörde, von Magazin zu Magazin, und verlangte, was ihm zustand, und erreichte dadurch auch mehr. Natürlich blieb nicht aus, daß er dadurch den Russen unsympathisch wurde, und schon als ich noch dort war, erschienen eines Tages 2 Russen, die sich als Beauftragte der Tscheka (Außerordentliche Mordkommission) auswiesen, und sagten, es sei gemeldet worden, der Mittagstisch sei kontrarevolutionär! Das war der Dank, den Herr Schumacher für seine Bemühungen im 126

Interesse seiner Gäste hatte. Natürlich konnte ihm nicht das Geringste nachgewiesen werden, aber es war immerhin ein Wunder, daß man ihn nicht verhaftete und in das verseuchte 32

Gefängnis steckte. Uns machte der Gedankengang: der Mittagstisch ist vorzüglich, alles klappte, folglich stimmt etwas nicht, da muß die Gegenrevolution hinterstecken,! Natürlich viel Spaß. Die Gerichte waren recht gut zubereitet, man bekam einen Teller Suppe und dann noch einen Gang. 3 x in der Woche Fleisch, ein Stück von der Größe eines 5 Markstückes, doch halb so dick. Auch was es sonst gab (Reis, Buchweizen, Hirse, Kartoffeln u.a.) ließ sich bequem auf drei Eßlöffeln unterbringen. Infolgedessen brachte ich es zu einen Gefühl von Sättigung auch nur in den 14 Tagen, in denen ich doppelte Eßkarten hatte und 2 x hintereinander essen konnte (2. Hälfte Juli). Eine besondere Annehmlichkeit war, daß man außer Tee auch Kaffee (echten Bohnenkaffee!) trinken konnte, sogar ohne Karten, wovon wir Kriegsgefangenen recht fleißig Gebrauch machten. Man hatte wohl irgendwo größere Kaffeevorräte gefunden, und da die Russen sich nichts daraus machten, ihn dem Kriegsgefangenenmittagstisch überwiesen. 127

Die Russen tranken fast ausnahmslos Tee (wie überhaupt den ganzen Tag.) Den Kaffee gab es in wunderschönen Porzellantassen mit einem zierlichen Goldrand und einem kleinen schwarzen Adler darauf, die vermutlich irgendwo aus Privatbesitz oder einem Kasino beschlagnahmt waren. Nach einigen Wochen verschwand allerdings das hübsche Service wieder. Das Publikum war sehr verschieden, Russen, die sich anständig benahmen, und solche, die den ganzen Tisch und das Tischtuch schweinemäßig zurichteten, Ungarn, die sich aufdringlich laut in ihrer häßlichen Sprache unterhielten, und andere Kriegsgefangene; kurz, wer etwas auf sich hielt, sah zu, daß er hier essen konnte. Mir hat es immer sehr gefallen, wie unsere Offiziere hier aus dem nichts eine unter den gegebenen Verhältnissen mustergültige Anlage schufen, während die russischen Mittagstische, auch der beste, der sogenannte kommunistische, unappetitliche Lokale waren. Essenszeit war von 1 – 6. Da jedoch bald nach 4 (um 4 schlossen die Behörden) ein starker Zustrom einsetzte, aßen wir immer schon vor 4 Uhr in aller Ruhe, was den Vorzug hatte, daß der langweilige Dienst etwas 128

abgekürzt wurde. Der Dienstbetrieb war überhaupt großartig. Arbeiter mußten 8 Stunden arbeiten, von 10 – 6, wir Angestellte nur 6 Stunden, von 10 – 4. Eine Bevorzugung der Büroarbeiter, die sich die Kommunisten dort erlauben konnten, wo sie am Ruder waren, die sie aber in Deutschland nicht so leicht auf ihr Programm stellen werden. Von diesen 6 Stunden ging immer noch eine Menge ab. Wir Kriegsgefangene standen von vornherein auf dem Standpunkte, daß bei der kümmerlichen Bezahlung und bei der gemeinen Hintertreibung unserer Heimkehr keinerlei Verpflichtung zur Arbeit hatten, und daß auch 1 Stunde am Tag noch zu viel war. Trotzdem kam es vor, daß einem die Arbeit Spaß machte, (so vor allem im März in Kansk) und dann fiel man den Russen unangenehm auf, weil man die Zeit, die man nun einmal auf dem Büro war, auch zu flottem Arbeiten ausnutzte. So war ich, ohne mir etwas dabei zu denken, nie vor 11 zum Dienst erschienen, bis mir eines Tages der Chef eine eilige Sache zu zeichnen gab, die ich ihm versprach, bis zu einer bestimmten Zeit fertig zu stellen. Um das durchführen zu können, war ich am nächsten Tag um 10 Uhr 129

da, staunte aber nicht wenig, als ich bis gegen 11 Uhr warten mußte, bis die andern kamen, besonders die Sekretärin, die alles Zeichenmaterial unter Verschluß hielt. Von der verbleibenden Zeit ging nun noch ab, und zwar offiziell 1.) die Zeit des Teetrinkens. Auf jeder russischen Behörde, ebenso in jedem Geschäft ist es ein geheiligter Brauch, daß einmal im Laufe des Vormittags ein Samovar gebracht wird, und eine allgemeine Frühstückspause mit Teetrinken eingeschoben wird. Während ich in Krasnojarsk war, ging unserer Behörde der Tee aus, doch wir führten stillschweigend als Neuerung ein, daß wir dafür in den nahe gelegenen Mittagstisch gingen, dort Kaffee tranken, unser Brot verzehrten und eine Zigarette oder Pfeife rauchten. Dabei ging unser Entgegenkommen so 33

weit, daß wir nie alle zugleich, sondern in 2 Partien gingen, damit es nicht so leer auf dem Büro aussah. 2.) Etwaige Einkäufe oder Besorgungen bei anderen Behörden. Da überall (Ausnahme die Brotlafken und die Friseurstuben) nur von 10 – 4 geöffnet war, mußte man schon Erlaubnis haben, die nötigsten Gänge zu machen. 130 10.10.22.

Und nötige Gänge gab es nicht wenige, da man wegen jeder Kleinigkeit von einer Behörde zur anderen laufen mußte. Im August sollten neue Verpflegungskarten ausgegeben werden, ich habe einmal von 9 – 12 angestanden, merkte aber überhaupt nicht, daß ich voran kam, dann gab ich auf, da ich meine Karte ja ruhig verfallen lassen konnte, denn daß ich nicht mehr lange in Krasnojarsk blieb, stand mir fest. Aber ebenso wie ich mußten doch alle andern stunden- wenn nicht tagelang ihren Dienst schwänzen. Und so gab es bald jeden Tag einen Grund, kürzer oder länger das Bauamt zu verlassen. Eine andere Unterbrechung des „Dienstes“ war das Lesen der Zeitung. Zeitungen wurden damals - wohl aus Papiermangel – nicht mehr an Einzelne abgegeben, sondern nur noch an die Plakattafeln geklebt und an die Behörden verteilt. Hier kamen sie in Umlauf, und wurden mit viel Interesse und Gründlichkeit gelesen, besonders die Frontberichte von dem damals schnellen Vordringen der russischen Truppen gegen die Polen, das uns ja ganz besonders interessierte und 131

das wir immer auf der Karte verfolgten. Schließlich war - schon in der Zarenzeit - in jedem russischen Betriebe jederzeit gestattet, zu rauchen, und davon wurde tüchtig Gebrauch gemacht. Der offiziell gelieferte Tabak war zwar ein ganz übles Zeug, doch kundige Leute, zu denen die meisten Kriegsgefangenen gehörten, fanden immer wieder eine Möglichkeit, echten Tabak aufzutreiben, der dann meist gemeinsam aufgeraucht wurde. Unsere Behörde die „Gouvernementsabteilung für Staatsbauten“ lag an der Hauptstraße, im „Hause Itzigsons“ (In Rußland nennt man die Häuser meist nach ihrem Besitzer, ich wunderte mich zuerst über die Bezeichnung домъ Ициксона Dom Izikzona, bis ich dahinterkam, daß Izikzon unser guter deutscher Itzigson war. I. war natürlich „expropriiert“ und in seinem Geschäft eine Behörde eingerichtet.) Sie befaßte sich mit allem, was mit Hochbau, Wasserbau, Straßen- und Brückenbau, Feldmessen usw. zu tun hatte. Paul Erno Müller, mein Leidensgenosse, und ich kamen auf die Entwurfsabteilung. 132

Naiv, wie die Russen sind, fragte uns der Chef, als wir uns meldeten, ob wir auch Zeichenmaterial mitgebracht hätten. Bei jeder Gelegenheit von Russen und Tschechen bestohlen und beraubt, sollten wir für den Dienst für die Russisch Soziale Föderative Ratsrepublik auch noch Gummi, Bleistifte, Tusche usw. mitbringen. Das Zeug, was sie uns nun als Zeichenmaterial lieferten, war so gemein, daß wir als dumme Deutsche tatsächlich die paar sorgsam geschonten und durch geschmuggelten Zeichenutensilien benutzten, die wir noch besaßen, um überhaupt arbeiten zu können. Erst nach einigen Wochen, als ich den Betrieb genauer kannte, kam ich dahinter, daß der Chef in seinem Schreibtisch noch recht gute Bleistifte - natürlich deutsche Kastell - hatte, und wußte mir denn auch davon zu verschaffen. Leiter unserer Abteilung war Leonid Alexandrowitsch Tschernitschew, wie er sich nannte „akademischer Künstler“, ein früherer Privatarchitekt. Arbeiten tat er kaum, redete eben viel und im Brustton der Überzeugung (wie alle Russen). Die meiste Zeit war er unterwegs, zum „Kollegen“ in den anderen Abteilungen, oder außerhalb des Hauses. 133

Mittags ging er immer mit hochwichtiger Miene und stattlicher Aktentasche los. Doch diese „Dienstreise“ galt, wie einer von uns feststellen konnte, nur dem täglichen Besuch bei seinem Friseur. Es war aber gut mit ihm auszukommen. Er kümmerte sich wenig, um das Tun und Treiben des Einzelnen. Nur einmal, als von 4 Kriegsgefangenen 4 Tage lang kein 34

einziger erschienen war, äußerte er sein Mißfallen, und seit der Zeit vereinbarten wir, daß nie mehr als 2 zur gleichen Zeit weggehen sollten. Mit seinen architektonichen Kenntnissen war es nach unserer Anschauung nicht weit her. Ich bekam von ihm eine Skizze für ein Volkshaus für ein Dorf mit 2000 Einwohnern in der sibirischen Steppe zu bearbeiten, da waren im technischen einzelne grobe Fehler, und das äußere Gewand war eine Mischung klassizistischer Formen mit Schweizer Holzarchitektur. Unser Versuch, den russischen Blockhausbau sachgemäß durchzubilden, fanden keine Gnade in seinen Augen, das sei zu deutsch, wir sollten lieber schweizerisch arbeiten. 134

Als wir beiden uns meldeten, sagte er, er nähme nur ungern deutsche Offiziere auf sein Büro, da er schon schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht habe; sie arbeiteten zwar gut, doch nach kurzer Zeit verschwänden sie wieder, teils ohne jede Verabschiedung, teils in dem sie unterwegs, weit westlich von Krasnojarsk ihm eine Karte schrieben, auf der sie sich bei ihm abmeldeten. Wir sagten nichts, haben aber bald beide ebenso gehandelt. Als Müller nach 3 Wochen verschwand, und es ihm nach 4 – 5 Tagen endlich auffiel, war er zunächst ungehalten, riet gleich richtig, wo er hin sei, wozu ja auch nicht viel Scharfsinn gehörte, und sagte zu mir, wenn ich auch ausreißen wolle, so sollte ich ihm das wenigstens vorher mitteilen. Doch ich zog es vor, ihm erst aus Petersburg am Tage vor unserer Weiterfahrt nach Finnland eine Karte zu schicken und ihm zu wünschen, daß er gut durch den Winter käme. Außer mir und Müller arbeiteten noch zwei ungarische Herren im gleichen Zimmer. Ein aktiver Hauptmann Melzer, ein richtiger Trottel, der als Zeichenknecht benutzt wurde, 135

und lächerlich wenig schaffte, furchtbar unpraktisch war, und unglaublich in seinen Urteilen und Anschauungen. Er hatte aus den vergangenen 6 Jahren kein bißchen gelernt, sodaß wir manchmal tüchtig mit ihm aneinandergerieten. Dann war da auch noch Fähnrich Erkulenz, zu Hause wie ich Student der Architektur; ein echter Ungar, liebenswürdig, interessant, und immer ein guter Kamerad. Wie so viele Ungarn war er etwas bolchewistisch angehaucht, was ich bei ihm hauptsächlich auf Mangel an Kritik auf unglaubliche Zustände in Ungarn und in den rein ungarischen Offizierslagern und darauf, daß es ihm ganz leidlich ging, zurückführte. Er hatte viele Beziehungen zu Russen, Russinnen und Kriegsgefangenen, da er schon lange in der Stadt wohnte und „ein fescher und intelligenter Bursch“ war. Die Kehrseite dieses Sichguteinlebens, die ich von vornherein klar erkannte, und darum systematisch vermied, war, daß er sich in seiner Haut ganz wohl fühlte, und infolgedessen garnicht daran dachte, zu versuchen zu entfliehen. Seinen Leistungen als Architekt waren von unserm deutschen Standpunkt aus betrachtet, nicht sehr groß, er verfügte nur über eine gewisse zeichnerische 136

Gewandtheit und liebte sehr eine ungarische Jugendstilromantik. Außer uns 4 und dem Chef Leonid Alexandrowitsch saßen noch auf unserem Zimmer: 1.) ein alter russischer Ingenieurgeneral, der von der Not gezwungen in den bolchewistischen Staatsdienst eingetreten war. Den Namen habe ich vergessen. Er war schon ganz vertrottelt und tat so gut wie überhaupt nichts. Er kam spät, verschwand bald wieder und kaufte sich Radieschen oder irgend etwas, was gerade auf Karten ausgegeben wurde, kam wieder, schimpfte mordsmäßig über irgendwelche Benachteiligungen (und wohl nicht mit Unrecht) und drückte sich dann bald wieder. Aber irgendeine Lappalie konnte ihm Anlaß zu stundenlangen Reden werden. Für uns Kriegsgefangenen hatte er sichtlich nicht viel übrig, obgleich wir ihn aus Mitleid mit seinem Schicksal mit großer Höflichkeit und Zuvorkommenheit behandelten. Vermutlich aus Mischung von russischem Hochmut und der Überhebung des Etappenkavaliers (war nie an der Front gewesen). Zeichnen tat er nie, ab und zu sahen wir ihn irgendwelche Formulare schreiben. Dabei hatte er 137

den Posten eines Ingenieurs und wurde als solcher nächst dem Chef am besten bezahlt. 35

Einen 2. Ingenieurposten hatte Frau Kienitz-Trebitzka, eine merkwürdige Erscheinung. Als junge Polin hatte sie in Petersburg während des Krieges Architektur studiert, war nach Krasnojarsk verschlagen, hatte (hier?) einen Kriegsgefangenen (aus dem österreichungarischen Völkerchaos) geheiratet, einen äußerst slawischen Herrn in eleganten Aufmachung, der auch auf irgend einer Behörde arbeitete. Sie war Todfeindin der jetzt in Rußland herrschenden Richtung, und sprach das auch ganz offen und rücksichtslos aus, und verkürzte ihre Arbeitszeit systematisch und mit gutem Erfolg. Sie kam nie vor ½ 1, arbeitete etwas, wurde dann von ihrem Mann zum Essen geholt, kam nach frühestens einer Stunde wieder, aber nur, um die Zeitung zu lesen und dann zu verschwinden. Sie war häßlich und sehr verschlossen, so daß man kaum etwas von ihr und ihrem Leben erfuhr. Dann hatten wir 2 sehr gesprächige Russinnen eine davon eine schwarze 138

Krasnojarskerin, die alle Schreibarbeiten verrichtete und die unzählige Listen führte. Sie war

sehr eifrig, kam als 1., ging als letzte, und war immer munter und gesprächig. Und dann eine ganz junge, blonde Offizierswitwe als Perm. Sie war auch sehr munter, schwatzte andauernd, war aber weniger eifrig, und mit Zeichenarbeit beschäftigt. Sie war schon jahrelang von ihren Angehörigen in Perm getrennt (P. liegt an der Bahn Krasnojarsk-Petersburg, etwa 2000 Km westlich von Kr.) bekam aber als Witwe eines im Bürgerkrieg umgekommenen Offiziers natürlich nicht die Erlaubnis, nach Hause zu fahren, und wurde (ebenso wie wir) auf die demnächst erfolgende Evakuierung aller Flüchtlinge vertröstet. Schließlich waren da noch 2 Zivilgefangene aus Triest (Bosniaken?) die als Tunnelbauer bei der Baikalsee- und andren Bahnen nach Sibirien gekommen, bei Kriegsbeginn festgesetzt und nach mancherlei Erlebnissen als Techniker auf unserem Amte gelandet waren. Es waren sehr fleißige und tüchtige Leute, die, zumal uns beiden Deutschen gegenüber von einer erstaunliche Freundlichkeit waren. 139

Einer kam bald weg, mit dem andern stand ich mich recht gut. Die Unterhaltung wurde immer in einem Kauderwelsch von Russisch und Deutsch abgehalten. Besonders wohl tat mir, als Deutscher mit so großer Freundlichkeit behandelt zu werden. Mit dem einen bin ich sehr viel zusammen gewesen, da er ein sehr wertvolles russisches Handbuch besaß, das ich mir oft von ihm ausborgte. Seinen Namen habe ich nie gewußt, konnte mich auch leider nicht von ihm verabschieden. Hinzu kam noch ein Laufjunge und verschiedene flegelhafte junge Russen, die vorübergehend beschäftigt wurden. Gearbeitet wurde herzlich wenig, intensiv eigentlich nur von uns Gefangenen während weniger Stunden. Bei uns sollten, da alles zentralisiert war und die örtlichen und Kreisbauämter aufgelöst waren, sämtliche Uni-Bauten des Gouvernement Jenissei und des Turuchansker Landes (nördlich davon) gezeichnet werden, also für ein Gebiet ein paarmal so groß wie Deutschland. Also von irgendeinem 140

Eingehen auf örtliche Bedingungen konnte natürlich garnicht die Rede sein, vielmehr mußten wir - und daß paßte ja hervorragend in das bolschewistische System Typenentwürfe aufstellen. Müller und ich machten Schulen, mit 2, 3 und mehr Klassen. Aber natürlich nur auf dem Papier. Denn einmal wurde aus Mangel an Geld überhaupt nicht gebaut, 2tens richteten sich erfahrungsgemäß die russischen Handwerker nicht nach den Zeichnungen und 3tens hätte bei den wahnsinnigen Entfernungen jede Möglichkeit, die Bauausführung zu überwachen, gefehlt. Ein ganz tolles Ding aber war ein Volkshaus, das ich in den letzten Wochen durcharbeiten sollte, und bei dem mir die Art und Weise, wie ich diese Aufgabe anfassen sollte, so zu wider war, daß ich nur wenig daran machte. 11.10.22.

Ebenso wenig , wie das Bauprogramm durchdacht war, war die architektonische Lösung sachlich, sondern auch eine wahllose Übernahme europäischer Bauformen, die dem 36

ganz anders gearteten Lande, den sibirischen Bauern 141

und dem hierfür (klassische Säulenanordnungen in Holz) garnicht geeigneten Material aufgezwungen werden sollten. Erfreulicherweise nur auf dem Papier. Entsprechend der Methode, nach der das ganze Land regiert wurde, spielte schon auf unserem Entwurfsbüro die Schreibarbeit eine große Rolle, nicht weniger als 3 Angestellte machten nur schriftliche Arbeiten. Dabei wurden die meisten schriftlichen Arbeiten auf dem Sekretariat erledigt, einem großen Raum, in dem 6 – 8 Schreibmaschinen arbeiteten. Sehr wichtig waren auch die vielen Listen, die ausgefüllt wurden. In der kurzen Zeit, in der ich dort war, wurde ich mindestens 6 mal registriert, und jedesmal wurden meine Personalien und mein Vorleben mit peinlicher Genauigkeit festgestellt. Da wir ja im Räterußland waren, gab es auch so etwas wie Selbstverwaltung, von Fall zu Fall eine zusammentretende Gesamtheit der Angestellten (коллективъ сушащихъ). Wir waren des Interesse halber einige Male dabei. Der Verlauf war jedes mal derselbe. Unser Chef (Tschermitschew) eröffnete die Versammlung, zu der alle Angestellte in unser Büro 142

zusammenkamen, schlug einen der Russen als Vorsitzenden, einen andern als Sekretär vor, die - es waren immer dieselben - durch Akklamation gewählt wurden. Dann wurde mit viel Pathos über irgendwelche gleichgültigen Dinge verhandelt, die mir wieder entfallen sind. Nur einmal war es dramatisch, oder schien wenigstens so. Unser aller General war eines Morgens vom Büro weg verhaftet worden auf Befehl der Tscheka. Für uns Gefangene war es etwas blamabel, daß die Schergen Internationalisten (Ungarn) waren, wie sich die Bolschewiken mit Vorliebe zu Polizei- und Henkerdiensten Ausländer hielten, wohl aus kluger Berechnung. Diese Verhaftung war das Ereignis des Tages, niemand wußte, warum sie erfolgt war, oder vielmehr, wir Kriegsgefangene erfuhren es nicht. Am Tage darauf wurde eine Versammlung einberufen, die dazu Stellung nehmen sollte. Wir Gefangene kamen natürlich auch. Nun gab es eine Bestimmung, daß Techniker, (deren Arbeitskraft man ja notwendig brauchte) nicht ohne weiteres in Untersuchungshaft gesetzt werden sollten, 143

dieses Vorrecht war auf unseren Registrierscheinen der Behörde zur Verteilung der technischen Arbeitskraft ausdrücklich vermerkt worden. Unter Hinweis auf diese Bestimmung wurde beantragt, bei der Tscheka zu beantragen, daß man unseren General vorläufig wieder freilasse, die Gesamtheit der Angestellten wollte dafür bürgen, daß er keinen Fluchtversuch mache. Ich wunderte mich über solche Kühnheit, doch vielleicht wußte man, daß ihm nichts Schlimmes vorgeworfen werden konnte, und rechnete damit, daß seine Trottelhaftigkeit und Harmlosigkeit bald erkannt werden würde. Die Abstimmung (geheim) ergab 36 Stimmen dafür und 2 Enthaltungen. Hochbefriedigt verließ man das Büro, wie staunten wir Kriegsgefangenen aber, als wir unmittelbar darauf in unserm Mittagstisch unseren Alten dort ganz vergnügt sitzen sahen. Er war schon am Morgen entlassen, sodaß unsere Staatsaktion überflüssig war. Der Tageslauf während der 6 Wochen in Krasnojarsk war kurz folgender: Da der Dienst nie vor 10 Uhr anfing, hatte man reichlich Zeit zum Frühstück 144

(Tee, meist ohne Zucker und Brot, meist trocken) Besorgungen (z.B. Brot) oder, was wir in der heißen Zeit sehr ausnutzten, zum Baden in dem vor unserer Wohnung etwa 10 Minuten entfernten Jenissei. Zwischen 10 und 4 wurde der Dienst und allerlei offizielle Besorgungen erledigt, und anschließend daran zu Mittag gegessen. Dann hatte man noch viel Zeit - es wurde im Juli erst nach 10 Uhr dunkel - um ins Gefangenenlager (etwa 1 ¼ Stunde von unserer Wohnung) zu gehen, oder die Stadt anzusehen, etwas zu skizzieren, und baden (in der heißen Zeit badeten wir immer 2 x am Tage) oder eine Lesehalle aufzusuchen oder einen bekannten in der Stadt zu besuchen. Abds gegen 12 wurde es allmählich kühler und man 37

atmete nach des Tages Hitze auf. Dann gab es auch den letzten Samowar, der im Laufe des Tages 4 bis 5 mal geheizt wurde. Das Baden war ein rechter Genuß. Der Jenissei ist von den sibirischen Flüssen, die ich kennen lernte, der stattlichste. Im Gegensatz zu Ob und Irtisch, deren Ufer im Sommer 145

versandeten, und deren Läufe durch unzählige Inseln und Sandbänke recht unansehnlich wurden, hatte der Jenissei während der ganzen Zeit sein volles Wasser, das vom nahen Gebirge her noch sehr schön klar war. Er hatte bei der Stadt Krasnojarsk eine Breite von etwa 1 km, sodaß an Durchschwimmen (bei unserm Ernährungszustand) nicht zu denken war. Man badete ganz ungeniert an verschiedenen Stellen des meist steinigen und flachen Ufers. Am schönsten war das Baden von Flößen aus, weil man da gleich in tiefes Wasser kam. Auch die Russen badeten eifrig, sodaß an heißen Tagen ein Riesenbetrieb war. Die Stadt Krasnojarsk selber hat mir auch sehr gut gefallen. Sie mag 60-75000 Einwohner haben, und liegt dort, wo der Jenissei aus 7 - 900 m hohem Bergland mit einem Male in ein hügeliges Flachland hinaustritt. Krasnojarsk, mit dem regelmäßigen Grundriß aller Kolonialstädte, liegt auf einer inselartigen Erhebung, die etwa 10 – 20 m über den Wasserspiegel ansteigt, und auf der einen Seite vom Jenissei begrenzt wird, auf 146

zwei anderen von dem Bache Katscha. Im Norden der Stadt liegt eine eine große Hochebene, bis zu 50 m über dem Flusse, auf der in ca 6 km Entfernung die Zwingburg, die Militärstadt (in ihr das Kriegsgefangenenlager) liegt. Das rechte Jenisseiufer ist fruchtbares Tiefland mit Dörfern, Feldern und Weiden, im Westen liegen noch einige Berge, die ohne jeden Baumbewuchs ein sonderbares, eindrucksvolle Erscheinung bilden, besonders der vorderste, auf dessen Spitze eine in der großzügigen Landschaft recht monumental wirkende Kapelle steht. Die Schönheit von Krasnojarsk beruht hauptsächlich auf 3 Punkten: 1.) der schönen landschaftlichen Lage, 2.) der klaren organischen Einpassung in die Landschaft - die Stadt liegt auf einer Art Insel wie im Kessel drin. Das Städtische Gebiet ist gleichmäßig und dicht bebaut, eben dann, an der Grenze, hört die Bebauung plötzlich auf und verzettelt sich nicht wie in Deutschland, stundenweit in die Umgebung) - und 3.) schließlich darauf, daß die große Masse der Stadt ein durchaus einheitliches Bild bietet, das aus den in großen und 147

ganzen gleichmäßigen russischen, 2 stöckigen Holzhäusern gebildet wird, die an sich ein klarer, leicht faßlicher Baukörper sind, und in ihrer Gesamtheit gut zusammenpassen, da sie in derselben Bauweise (2 stöckige Holzhäuser) und einheitlich im Maßstabe, in der Farbe (die Wände verwitterter Holzton, runde Stämme oder verbrettert, Fenster und Gesimse weiß gestrichen, die Blechdächer grün oder rot gestrichen) und in gleichartiger Zusammensetzung (meist ziemlich gleich große Höfe mit einem Wohnhaus, wenig Garten und mehreren Nebengebäuden und hohem Zaun) gebaut sind. Das gleichmäßige Bild wird schön durch 6 – 8 Kirchen belebt. Weniger schön ist, daß die Hauptstraße durch Steingebäude neurussischer, von Europa übernommener Art recht verhunzt ist. Am meisten ärgerte mich, daß die Russen unserer Zeit garnicht verstanden haben, die natürlichen Gegebenheiten der Lage mit voller Bejahung auszunutzen. So hätte man vor allem den nach der Katscha und zum Jenissei ziemlich steil abfallenden Rand des Plateaus, auf dem 148

die Stadt liegt, klar und bewußt als Rand ausbilden müssen. Stattdessen war das Rechteckschema der Straßen ganz schematisch auf das in sich gewellte Gelände gelegt, ohne irgendwie auf die Geländeverhältnisse Rücksicht zu nehmen. Und vor allem fehlte die schöne breite Uferstraße, die unbedingt am Jenissei oberhalb der Dampfer- und Floßanlageplätze hätte angelegt sein müssen. Sehr gut gefiel mir auch der nördlich der Stadt, am Rande der Hochebene, gelegene 38

große Kirchhof. Er war durch eine weiße Mauer klar abgegrenzt, gegen den Abhang einerseits (zur Stadt und zum Jenissei hin) und gegen die Steppe andererseits, hatte eine schöne Kapelle, stattlichen Baumbewuchs, und wirkte durch seine wohltuende Beschränkung auf wenige Formen und Farben. Daß im Einzelnen vieles geschmacklos war, namentlich die Gräber der Reichen, beeinträchtigte den Gesamteindruck nur wenig. Ich bemühte mich, möglichst viel von dem Gesehenen festzuhalten, indem ich an freien Tagen bei gutem Wetter draußen skizzierte, bei Regen aus dem schon genannten technischen Handbuche mir das, was mit gut oder bezeichnend russisch erschien, herauszog. 149

Darum habe ich mich auch nicht wenig über den unersetzlichen Verlust geärgert, als ich später auf meiner Flucht eines morgens merkte daß mir nachts mit meiner Reisetasche auch mein Skizzenbuch gestohlen war, das für mich unersetzlich, für den Russen wertlos war. Fast täglich suchte ich auch die Lesehalle auf. Diese war eine recht vernünftige Einrichtung. Da Zeitungen und Zeitschriften aus Papiermangel nicht mehr an einzelne abgegeben wurden, legte man sie in Lesehallen aus. Und so jämmerlich schlecht die sibirischen Lokalblätter, einschl. des Omsker „Sibirischen Lebens“ waren, so vorzüglich waren einige der Moskauer und Petersburger Blätter, namentlich die Moskauer Iswestija („Nachrichten“) das offizielle Organ der Moskauer Ratsbehörde, die Petersburger Prawda („Wahrheit“) wie ich glaube, die Zeitung Maxim Gorkis, und vor allem Экономическая шиэнъ das „ökonomische Leben“, das Organ des Zentralrates für Volkswirtschaft, das mit einer verblüffenden Offenheit in wissenschaftlichem Gewande den Verfall der 150

russischen Wirtschaft erkennen ließ, aber - wohl des wissenschaftlichen Gewandes wegen von den Tageszeitungen und von den Besuchern der Lesehalle garnicht beachtet wurde. Das eifrige Lesen der Zeitungen hat mich vieles von dem, was um mich vorging, begreifen gelehrt, und war mir vor allem in den letzten Wochen, als sich politisch allerlei ereignete, das auch für uns hätte verhängnisvoll werden können (Krieg gegen Polen) wertvoll, um mir ein Bild machen zu können. 12.10.22.

Eine schwierige Aufgabe war die Beschaffung von Chinin. In den ersten Tagen hatte ich keine Zeit, mich darum zu kümmern. Die Folge war der schon berichtete Malariaanfall; Einige Pulver ergatterte ich im Lazarett, doch sie reichten nicht weit. Eine Reihe von Tagen gingen hin, bis wir untergebracht waren, bis die Verpflegung usw. geregelt war. Dann nahm ich auch meine Bemühungen um Chinin wieder auf. Die Apotheke gab nichts heraus ohne Rezept, so oft ich es auch versuchte. Ärzte gab es wohl auch, doch sagte man mir, 151

sie verlangten Bezahlung in Lebensmitteln, so kamen sie für mich nicht in Frage. Einen ehemaligen kriegsgefangenen Arzt, der in der Stadt wohnte und praktizierte (und wohl die russische Staatsangehörigkeit angenommen hatte ?) suchte ich mehrmals vergeblich auf, da er auswärts war. Im Lager, wo Chinin auch knapp war, wurde an Stadtgefangene nichts abgegeben. Einen Versuch, in der öffentlichen Sprechstunde bis zu den Ärzten zu gelangen, gab ich auf, der Andrang von Russen war ungeheuer, und ich hatte nicht den Schneid, viele Stunden in mitten dieser unappetitlichen Gesellschaft zu warten. Da nahm ich, um einen neuen Anfall vorzubeugen, meine Zuflucht zu einem volkstümlichen Mittel, das die Bauern in der Kansker Gegend gegen Malaria und alle möglichen Krankheiten empfahlen, einen Tee aus den gelben Blüten einer in der Steppe wachsenden Pflanze. Ich ließ mir von meiner Wirtin ein recht kräftiges Getränk davon herstellen, und trank mit Todesverachtung 152

4 große Becher von dem widerlichen Zeug. Eine Stunde gelang es mir in verzweifelter Anstrengung (sitzend, liegend, rauchend, lesend, alles wurde ausprobiert) die Brühe bei mir zu behalten. Schließlich erlahmte meine Energie und ich gab es wieder von mir, leider 39

gleichzeitig das so wertvolle Mittagessen. Und trotzdem scheint es geholfen zu haben, denn ich bekam keinen 2. Anfall, obgleich ich über eine Woche kein Chinin genommen hatte. Inzwischen war ich aber durch unseren „Quartalsvorsitzenden“ - Für gewisse Zwecke der Verwaltung, wie z.B. Verteilung der Verpflegungskarten war die Stadt in „Quartale“ mit ehrenamtlichen Vorsitzenden eingeteilt. Der unsrige, ein sehr rühriger Jude, hatte den lobenswerten Ehrgeiz, zu versuchen, das Vertrauen, das man in ihn setzte, zu rechtfertigen, und so bemühte er sich verschiedentlich für mich - auf eine öffentliche Sprechstunde in seinem Bezirk aufmerksam gemacht worden. Nachdem ich durch verschiedene vergebliche Versuche und längeres Warten herausbekommen hatte, wann wirklich Sprechzeit war 153

(die Anschläge stimmten sämtlich nicht) glückte es mir, Zutritt zu erlangen. So viel ich heraus bekam, war es eine Stelle, auf der Empfänger von Renten und Zusatzrationen sich ihre ärztliche Zeugnisse holten, Leiterin war eine Ärztin. Sie war so entgegenkommend, mir auf meinen Wunsch Chinin zu verschreiben, das ich dann nach verschiedenen Wegen endlich in der zuständigen Apotheke zu einem niedrigen Preise bekam. Da mir nun sehr viel daran lag, einen kleinen Vorrat zu bekommen, um für meine Weiterfahrt gerüstet zu sein, ging ich nun alle 14 Tage hin und ließ mir jedes mal für 3 Wochen verschreiben, und von der Wochenration (3 Pulver?) nahm ich auch jedes mal nur 2, und hatte auf diese Weise Anfang August genug für 6 Wochen. Das Einnehmen war auch immer primitiver geworden; da es keine Oblaten gab, wickelte ich das Pulver in Zeitungspapier und schluckte es so. Die vielen Wege, die zu solchen Besorgungen notwendig waren, waren keine Annehmlichkeit, da es mittlerweile 154

scheußlich heiß geworden war. Ab und zu kamen Gewitter mit sehr heftigen Regengüssen, aber die hielten nie lange vor, bald war alles wieder staubig. Eine sehr üble Zugabe waren die Staubstürme, die alle paar Tage ganz plötzlich einsetzten und riesige Staubmassen durch die Straßen jagten, sodaß man die Augen nicht mehr aufmachen konnte, und im nächsten Hause Zuflucht suchen mußte.

Kopie der letzten Seite dieses Heftes. 40