Erinnerungen aus meiner Kriegsgefangenschaft 2. Heft

immer köstlich – d.h. natürlich nur unter uns – über diesen unsoldatischen Aufzug ..... Daniel Stölklen kann sich glücklich preisen, daß er in Weimar seine Diäten ...
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Erinnerungen aus meiner Kriegsgefangenschaft

2. Heft

Hermann Petri Naumburg, Dezember 1921.

Heft 2 - 1

Chabarowsk - Kansk (8.4. - 25.5.1918) Kansk – Krasnojarsk – Minino – Novo - Nikolajewsk

1 und zurück

25.5. - 29.6.1918 der 30. Juni 1918 Wieder im Lager Kansk 30.6.18. - 24.6.20. Juli – Oktober 1918 Im Lazarett und Quarantaine 18.10.18. - 3.2.19. Heimarbeit, Tischlerei und Sommer 1919 Flößerei. Oktober 19. Winter 19/20. Wieder unter bolschewistischer Herrschaft 16.Jan..1920 Das kommunistische Dorf 1. - 31.März 1920 Vergebliche Versuche, loszukommen: Sommer 1920. Kommandiert nach Krasnojarsk 24.6.1920 Aus Krasnojarsk entflohen 7.8.1920 Als Musketier im Lager Omsk 10.-29.Aug. 1920 Transport Omsk – Petersburg 29.8. - 20.9.1920 Petersburg – Finnland - Ostsee 20.-30. Sept. 1920 Swinemünde – Stettin 1.Oktober 1920

Heft 2 - 2

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(angefangen am 9.Dez.1921)

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Die Heimreise

Am 8. April 1918. wurden wir in Chabarowsk verladen. Die Verteilung der Plätze und der Wagen war natürlich mit manchen Schwierigkeiten verbunden, aber alles wurde in freudiger Hoffnung leicht überstanden. Sogar eine „Kommission“, die von Wagen zu Wagen ging und Stiefel und Schuhzeug, soweit es nach ihrem dafürhalten überflüssig war, beschlagnahmte. Bei unserem Wagen gingen sie vorüber, weil wir auf die Frage, ob sie bei uns schon revidiert hätten, mit Ja antworteten. Etwa gegen 6 – überraschend früh und schnell – setzte sich der Zug in Bewegung, und noch bei Tageslicht fuhren wir über die von uns riesig angestaunte Amurbrücke hinüber. Der mächtig breite Fluß, zu Eis erstarrt, mit Posten und Stacheldraht an den Pfeilern, machte einen großen, etwas überwältigenden, drückenden Eindruck. Dann schlossen wir die Türen und mit unbeschreiblichem Glücksgefühl ließ man sich von dem gleichmäßigen Rollen und Schütteln in den Schlaf wiegen. Der große Moment, den man kaum noch zu erhoffen wagte, schien gekommen zu sein. Die Unterkunft 2

war recht unbequem, zumal für die lange Dauer der Fahrt. Wir fuhren in den recht guten Wagen der russischen Eisenbahn, die für den Transport von Mannschaften hergerichtet waren, und die damals viel genannte Bezeichnung Tepluschka (etwa Heizbare) führten. Es waren große Güterwagen, etwa 6 m lang. In der Mitte auf jeder Seite eine große Schiebetür.

2 Reihen Pritschen übereinander boten Platz zum Schlafen. Sie waren von einander 50 - 60 cm entfernt, woraus man sich vorstellen kann, wie bequem es war, wenn 6 Mann nebeneinander in ihr Schlafgelaß krochen und sich jeder mit seinem Mantel und Decke einwickelte, wobei man sich nicht aufrichten konnte, ohne mit dem Schädel an die obere Pritsche zu hauen. Von oben rieselten beständig Brotkrumen herunter. Oben war es so niedrig, daß man auf der Pritsche nur mit ausgestreckten Beinen sitzen konnte.

1 Die Zahlen am rechten Rand sind die Seitennummerierung des Originals 2 Links das Datum, an dem der Text geschrieben wurde

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Schob man sich eine ganz flache Kiste von etwa 20 cm Höhe unter, um das Gefühl bequemen Sitzens zu haben (also etwa wie auf einer Fußbank), so mußte man den Kopf zwischen den Schultern einziehen. Auch 6 nebeneinander war sehr gepökelt. Da wir aber 30 Mann waren, mußten wir noch aus „besorgten“ Brettern für 4 Mann Schlafgelegenheit neben dem Ofen einrichten und 2 Mann blieben auf als Ofenbedienung. Denn nachts war es noch scheußlich kalt, glücklicherweise war noch auf allen Haltestellen Holz genug. Die Koffer waren alle unter die Pritschen geschoben.Brauchte man notwendig etwas aus dem Koffer, so war das immer eine furchtbare Würgerei, bis man rankam. Später wurde das besser, weil man keine Koffer mehr besaß. Schlimm war auch morgens das Aufstehen. Die Schlauen standen ganz früh auf, wenn es hell wurde. Dann war in der Mitte einigermaßen Platz, man konnte sich in Ruhe und ungestört den Anzug in Ordnung bringen, die Decken zusammenlegen usw. Doch die Mehrzahl blieb liegen bis zum ersten Halt mit Teewasser. Dann begann das allgemeine Aufstehen und damit ein furchtbares Gedränge. War auch das überstanden, so begann man mit dem Einrichten der Tagesstellung. 4

(diese ganze Schilderung paßt zunächst für unsere Reise 1918, als wir noch Offiziere waren, als Proletarier im September 1920 reiste ich in manchem etwas anders, z.B. war es nicht möglich, alle Köpfe so weit unter einen Hut zu bringen, daß man eine Tagesstellung hätte einrichten können, das wäre zu viel Gehirnarbeit und Unterordnung des Einzelnen unter einem der Gesamtheit zu gute kommenden Gedanken gewesen). Also die Tagesstellung bestand darin, daß man oben 2 oder 3 Bohlen herausnahm, und nun konnte man seine Beine in das Loch baumeln lassen, und alle 12 Mann hatten auf 2 Bänken Platz. Das Waschen richtete sich nach dem Halten des Zuges, dem Vorhandensein von Wasser (der Waschschüssel 1920!), der Temperatur (sehr wichtig) und dem Reinlichkeitstrieb des Einzelnen. Letzterer konnte bei mir auf Reisen lächerlich gering werden. Dann galt es, den Tee zuzubereiten auf allen Stationen waren die Heiß-Wasserhäuschen, und schon ehe der Zug hielt, stürzte alles mit Teekanne bewaffnet an die Zapfstelle. Wir waren 18 wenigstens so vernünftig, gemeinsam für den ganzen Wagen Tee zu machen, so ging es ziemlich schnell, 1920 die Proletarier hatten ihren eigenen Stolz, jeder mußte seine Kanne voll 5

haben, auch wenn er gar nicht wußte, oder wissen konnte, daß er nachher das meiste kalt weg gießen würde. So standen meist 500 -1000 in Schlange. Was immer eine große Viecherei war. Den Tag über saß man und rauchte, betrachtete die Gegend durch die Klappen und Türen, die wenn das Wetter es einigermaßen zuließ, weit geöffnet wurden (1920 auch ein beständiger Stein des Anstoßes, da es immer jemand gab , dem es „zog“) und verfolgte mit Streckenverzeichnis und Kilometertafeln die Fortschritte. Alle Werst (1066 m) war eine Tafel, auf der die Entfernung von der nächsten größeren Station stand und jeder Werst war wieder in 10 Teile (durch kleine Steine wie unsere Kilometersteine) unterteilt. Außerdem stand an jeder Telegraphenstange eine Zahl, die die Anzahl der Stangen bis zur nächsten Haltestelle angab, und da die Stangen etwa alle 50 m standen, half auch dieses zur Orientierung. Sonst ist mir von den ersten Tagen wenig in Erinnerung. Am 1. Morgen war es recht kalt. Am 2. Mittag hielten wir in Бoчҡарево (Botschkarewo) 600 km von Chaborowsk, wo die Stichbahn nach Süden, nach Blagowjeschtschensk am Amur abgeht. Hier wurden wir großartig in Verpflegungshallen gegen Bezahlung beköstigt, und genossen 6

nachher sehr das Wärmerwerden der Temperatur. Unsere Gesellschaft war sehr angenehm zusammengesetzt. Außer unserer Gruppe Kober hatten wir die uns nahestehende Gruppe Oberlt. Traut (dabei Lohrberg, Rogge, Heft 2 - 4

Lichtenstein u.a.) Oberlt. Schmidt u.a. Wir fuhren diesmal nicht die mandschurische Strecke wie im Okt.15., da die zu unsicher war, sondern die ganz auf russischem Gebiet liegende und erst im Krieg fertig gewordene Amurbahn. Am 3.oder 4. Tag sahen wir eine der rasch entstandenen Goldgräbersiedlungen (Alexandrowsk?). Dann ging es durch unwirtliche Gegenden immer höher, bis die Wasserscheide erklommen war und wir das Tal eines Nebenflusses der Schilka abwärts fuhren. Überall, wo der Zug hielt und ein Dorf in der Nähe war, kamen sofort die Bauersfrauen und brachten Gebäck und Fleisch und saure Gurken und Milch und Eier, allerdings zu recht hohen Preislagen und die Gefangenen schwärmten ihrerseits auf die Dörfer aus, um Lebensmittel zu ergattern. Oft genug kam es vor, daß einzelne zurückblieben, die dann mit einem späteren Zug nachkamen und uns meist bald überholten. Bald sahen wir auch die ersten Tschechentransporte. 7

Sie hatten an der russischen Front gestanden, waren nach dem Brester Frieden überflüssig und sollten nun über Wladiwostok nach Frankreich, um dort gegen uns zu kämpfen. Hiergegen erhob Deutschland Einspruch und verlangte von Rußland, daß es die Tschechen entwaffnen und in Gefangenenlager setze. Dies tat Rußland (zu seinem eigenen Schaden) nicht, ließ sie aber auch nicht weiter, sodaß auf jeder größeren Station ein oder 2 Züge Tschechen standen. Wir gingen uns aus dem Weg. Sie benahmen sich anständig, sahen auch gut aus, vor allem im Gegensatz zu den formlosen Russen. Etwa am 6. Tage erreichten wir Karumskaja, wo sich die mandschurische und Amurbahn teilen und fuhren nun erleichtert weiter nach Westen das Schilkatal aufwärts. (10.12.21). Tschita durchfuhren wir nachts. Da wir großes Interesse daran hatten, von den Internationalen nicht bemerkt zu werden, wurden alle Türen geschlossen und niemand durfte aus dem Wagen. Dann gings dem Baikalsee zu, den letzten Tag an der Selenga, seinem Zufluß. Diese Tagereise war sehr schön, da das von hohen, bewaldeten Bergen eingerahmte Tal hier sehr eng wird. Der Baikalsee war, wenn ich mich recht entsinne, 8

noch gefroren, aber durch Eisbrecher waren Fahrrinnen freigehalten. Auf den Stationen am See entlang gab es wieder den berühmten geräucherten Fisch. Hier gab es auch die erste Butter, die wir, seit 15 Monaten vollkommen ohne Butter lebend, mit Heißhunger verschlangen. Die Tunnelstrecke am Südwestzipfel des Sees durchfuhren wir leider wieder in der Nacht. Am Vormittag ging es dann von der Station Beikal durch das breite, fruchtbare Tal der Angara (Beikalseeausfluß mit auch im Sommer sehr kaltem Wasser) nach Irkutsk, dem wir uns mit großer Spannung näherten. Denn die Reisepapiere gingen nur bis Irkutsk und wir mußten damit rechnen, daß uns selbst wohlgesinnte russische Behörden „auswaggonieren“ würden. Und dabei waren in Irkutsk recht üble Internationalisten. Am 17.4. (?) mittags kamen wir auf dem Hauptbahnhof I. an und nach verhältnismäßig kurzer Zeit des Wartens ward uns der Bescheid, wir kämen nach Kansk, der westlichsten Station des Irkutsker Militärbezirks. Während wir warteten, gab es auch neue Zeitungen mit Frontberichten, aus denen wir entnahmen, daß bei Ypern für uns erfolgreiche Kämpfe im Gange waren. Nach etwa 1-2 Stunden Aufenthalt wurden wir 7 km weitergeschoben, auf den Militärbahnhof 9

Innokeutewskaja, auf dem wir auch schon vor 3 Jahren gestanden hatten. Hier war ein Bad

geheizt, und wer wollte konnte baden gehen. Mir war es etwas gefährlich aus dem Schwitzbad in den kalten, zugigen Wagen zurückzukehren, außerdem war man während der ganzen Reise ständig so im Dreck, daß ich auf diesen Kontrast, der einen den Reiseschmutz doppelt hätte empfinden lassen, verzichtete. Eigentlich hatten wir in Irkutsk wechseln wollen. Die unten liegenden mit den oberen, und wir von unten hatten uns recht darauf gefreut, aber da wir jetzt doch mit der Möglichkeit rechneten, nach 2 Tagen ganz aus dem Heft 2 - 5

Zug heraus zu müssen, sparten wir uns den umständlichen Umzug. Am 2. Tage unseres Aufenthaltes ging man in der Nähe spazieren, lernte auch allerlei Leute des Irkutsker Lagers kennen, die von uns gehört hatten und gleich zur Bahn gekommen waren. Sie erzählten allerlei wenig schönes. Zunächst – noch vor den Bolschewiken – hatte ein französischer Offizier die Elsaß-Lothringer bearbeitet und zum Eintritt in das französische Heer zu gewinnen gesucht, aber wenig Erfolg gehabt; dann nach der Revolution taten sich die Internationalisten hervor und warben für die rote Armee, auch mit gelindem Druck. Der Nachm. des 18. war sehr schön. Die Sonne schien recht warm, die Musiker 10

holten ihre Instrumente heraus und gaben ein Konzert und jedermann war froh und voll bester Hoffnung. Denn wir glaubten, daß es uns gelingen würde, in Kansk glatt weiterzukommen. Nur das Liegen in dem unsympathischen Irkutsk wollte mir nicht gefallen. Trotzdem ließ ich mir meine letzte deutsche Zigarre schmecken. Ich hatte sie mir immer aufgehoben für den Tag, an dem wir aus der Gefahr heraus wären. Und für die größte Gefahr hielten wir die Japaner, denen wir in Irkutsk allerdings entronnen waren. Aber kaum hatte ich meine Zigarre zu Ende geraucht, da gaben sich unsere gefährlichsten Gegner zu erkennen. Es erschienen die „Internationalen“ von der roten Armee. Verwegene Brüder mit Riesen-Kosakensäbeln und Revolvern, auch Maschinengewehre hatten sie mit. Hauptsächlich waren es Ungarn, Galizier und allerlei Völkergemisch, doch auch einige Reichsdeutsche sollen dabei gewesen sein. Sie ließen uns zunächst alle in die Wagen einsteigen, dann hieß es wieder heraus und Gepäck herausholen und vorzeigen, dann gaben sie die Revision auf, weil es schon dunkel wurde, ließen uns aber alle antreten, revidierten flüchtig die Wagen (auf Waffen!!) und rissen uns allen die Achselstücke und Kokarden herunter, soweit sie sie nicht selbst entfernten. Ich war heilfroh, daß ich meinen alten schwarzen Mantel mit Hornknöpfen und meine Pelzmütze trug 11

und so keinerlei Scherereien mit dem Gesindel hatte. Erzählt wurde, ein Mann unseres Transportes – ich glaube ein Schuster oder sonst ein Handwerker, der es doch immer recht gut bei uns gehabt hatte, sei gleich bei unserm Eintreffen in Irkutsk entwischt, in die rote Armee eingetreten und habe sie auf uns gehetzt. Und schon am Nachmittag erzählte einer der Leute aus dem Lager, einer der galizischen Juden von den Rotgardisten habe gesagt: im Felde hätten die deutschen Offiziere ihm immer Vorschriften gemacht und sie ins Feuer geschickt, heute wollten sie mal uns befehlen. Als die niederdrückende Episode vorbei war, stieg alles schnell wieder ein, und sofort kam eine Lokomotive und fuhr los in einem Tempo, wie wir es vorher nicht gehabt hatten, als wollte sie den Zeitverlust wieder einholen. Die Teekannen sprangen im Wagen herum, und man mußte sich festhalten, um nicht zu fallen. Es wurde vermutet, unser Kommando hätte den Lokomotivführer geschmiert. Überhaupt gingen viele Gerüchte über die Art, wie unser Transport geleitet und geführt wurde. Natürlich konnte nicht jede Einzelheit bekannt gegeben werden, da sicher öfter mit Mitteln gearbeitet wurden, über die man sich nicht offen ausläßt. Und die auffallend schnelle Fahrt von Chabarowsk 12

bis Irkutsk ließ vermutet, daß man da etwas nachgeholfen hatte. Viel verdanken wir unserem Chabarowsker Kommandanten Fdowenko, einem sehr tüchtigen Ukrainer, der es in dieser für einen russischen Offizier so scheußlich schweren Zeit ganz famos verstanden hatte, sich zu halten und dabei doch nichts von seiner Würde zu vergeben. Und sogar uns noch recht anständig zu behandeln, solange er Einfluß hatte, was allerdings manchmal nicht der Fall war. Er hing sehr an uns und war auch im ganzen Lager außerordentlich geschätzt. Er hatte die Erlaubnis erhalten, uns bis Irkutsk zu begleiten, und solange er uns führte, war tatsächlich alles gut gegangen. In Irkutsk hatte er tränenreichen Abschied von den Herren des Kommandos gefeiert, dann hatte man sich getrennt, und das Unheil war geschehen. Heft 2 - 6

Die Fahrt ging weiter, westwärts durch Gegenden, die mir keinen Eindruck hinterlassen haben. Am 20. mittags näherten wir uns Kansk und mit großer Spannung sahen wir nach dem Orte aus, von dem noch keiner etwas wußte. Die letzte Strecke ging es durch dicht bewaldete Berge abwärts, dann über einen etwa 200 m breiten Fluß, den Kan und gleich dahinter, in der Ebene war die Station Kansk. 13 (12.12.21.)

Auf dem Bahnhof K. war es scheußlich ungemütlich. Es wehte ein scharfer Wind, wie er dort häufig ist, so daß man ziemlich fror. Das Betreten der Stadt verbot Hauptm Klein, da dort auch Internationale ihr Wesen trieben. Wir hatten immer noch die Hoffnung, daß es unserem Kommando gelingen würde, durchzusetzen, daß wir weiterfahren könnten. Ob nun wirklich alle Mittel zu diesem Zweck versucht worden sind, kann ich nicht beurteilen, jedenfalls mußten wir am 2.Tage (21.4.18) mittags heraus aus dem Zug und waggonweise ins Lager, russische Wagen brachten uns uns gegen sehr anständige Bezahlung unser Gepäck. Das Lager war ein Erdbarackenlager, also ein für uns neuer Typ.

Der Fußboden lag etwa 1½ m unter dem Gelände. Die ganze Baracke war ausgefüllt mit 4 Reihen 14

Doppelpritschen, das flache Dach war mit Erde bedeckt. Das ganze eine vorzügliche Unterkunft für Truppen, die sich vorübergehend auf einem Truppenübungsplatz aufhalten und die viel im Freien sind. Sie sind nämlich im Sommer schön kühl und im Winter leicht zu heizen. Aber die Feuchtigkeit und die Dunkelheit sind ganz schlimm. Wer einen Platz im Mittelgang erwischte, konnte selbst bei Tage nur sehr schwer lesen. Und Platz hatte man außer seiner Schlafstelle auf der Pritsche so gut wie gar nicht, da die Gänge ständig viel begangen wurden. Man ging dann auch wieder dazu über, die Mahlzeiten liegend auf seiner Decke einzunehmen. Doch diese Nöte trafen uns vorläufig nicht so sehr, da ja jeder den Aufenthalt für eine kurze Episode hielt. In der ersten Nacht fror ich scheußlich, da es vom noch gefrorenen Fußboden durch die breiten Ritzen der Pritsche mächtig zog. Einen Strohsack hatte ich nicht mehr, war also ganz auf Mantel und Decke angewiesen. So nähte Heft 2 - 7

ich mir aus meiner schönen Wattedecke einen Schlafsack, der sich sehr bewährte, da ich mir nun die Füße nicht mehr frei strampeln konnte und außerdem eine Hälfte der Decke als Unterlage, die andere zum Zudecken hatte. Doch bald war das Lager ziemlich leer, 15

denn jeder machte sich den noch nie dagewesenen Vorteil, daß wir nicht bewacht wurden, zu nutze, um die Umgebung des Lagers, kennenzulernen. Am meisten zog es nach der Stadt. Vorbei an einer riesigen Backsteinkasernenviertel kam man in etwa 20 Minuten über die Steppe in die Stadt, die ziemlich regelmäßig mit 20-30 m breiten Straßen in der Ebene lag. Sie zählte etwa 10000 Einwohner. In der Mitte war ein großer Marktplatz mit einer scheußlichen „Kathedrale“. Ringsum 2 stöckige Steinhäuser schlimmster europäischer Bauweise. Teils Behörden, teils Geschäftshäuser. Letztere leer, denn wir lebten im Bolschewistischen Rußland, wo der Privathandel verboten war. Auf dem Markt, zu dem die Bauern von weither kamen, wurde allerdings nach wie vor gehandelt, aber die Lebensmittel waren schon etwas knapp, z.B. Butter und Eier waren nur schwer zu bekommen. Das mag allerdings z.T. daher kommen, daß außer uns auch noch seit einigen Wochen ein ebenso starker Transport Österreicher (aus Dauria in der Mandschurei) in Kansk war, und die ausgehungerten Gefangenen kauften, was sie nur erwischen konnten, z.T. daher daß Ostern unmittelbar bevorstand, wo die Bauern selber viel brauchten. Außerhalb des Marktplatzes boten die Straßen das Bild einer kleinen 16

russischen Landstadt. Eingeschossige Blockhäuser, mit Fensterläden, flachen grün oder rot gestrichenen Blechdächern, die reicheren verziert mit weißen ausgesägten Ornamenten an den Fenstern und am Gesims, viel Nebenräume, wie Ställe und Schuppen – wohl ausnahmslos jeder Hausbesitzer hatte auch Pferd und Schlitten, bzw. Wagen – große Holzzäune, die vielfach zerfielen, auf beiden Seiten der Straße Holzbürgersteige und dazwischen je nach Temperatur und Jahreszeit ein Sumpf, eine staubige Straße oder schönste glatte Schlittenbahn. Der Hauptreiz der Stadtbesuche war das Herumbummeln und sich frei Bewegen können. Dann kauften wir auch Eier und Brot auf dem Markt, oder ging in eins der kümmerlichen Lokale, und aß dort halb europäisch. Ganz Gerissene hatten auch sehr bald russische Familien kennengelernt und verkehrten dort. Eine große Unannehmlichkeit waren die Internationalen, hauptsächlich Ungarn, denen man nach Möglichkeit aus dem Weg ging. Ebenso vermied man es, militärische Abzeichen zu tragen, um sich nicht Beschimpfungen auszusetzen. Ich war sehr froh, ein ziemlich vollständiges Räuberzivil zu haben, 17

sodaß ich nicht die Kokarden abzulegen brauchte. Rings um das Lager war Steppe, der Exerzierplatz der Garnison, darin auch zwei Sommerlager – leichte Baracken und Zelte, darin die russischen Truppen den Sommer zubrachten.- Die Steppe wurde auf der einen Seite durch teilweise sumpfige Niederungen mit dichtem Gestrüpp und dahinter dem Kan begrenzt. Der Kan fing gerade an, aufzutauen und es war ein großes Vergnügen, zu verfolgen, wie die Wasserrinnen immer größer wurden, wie sich bald hier, bald dort eine Scholle löste und dann bald mit anderen zusammenkrachte und dann wieder festsaß. Dieses Herumstreifen machte uns riesiges Vergnügen. Leider dauerte es bei mir nicht lange. Schon während der Bahnfahrt hatte ich mir irgendwie das Knie leicht beschädigt, ob beim Herausspringen auf freier Strecke, oder bei dem Herumkriechen in dem für mich besonders engen Wagen, weiß ich nicht. Nachdem ich einmal in der Stadt gewesen war und einige Mal in der Steppe und am Fluß, wurde es immer schlimmer, sodaß ich zu unserem Lagerarzt, dem österr. Oberarzt Dr. Bauer ging. Der sagte etwas von einem Erguß, pinselte Jod darauf, wickelte eine elastische Binde 18

herum und verordnete mir Stillliegen und nachts feuchte Umschläge. Ich befolgte alles Heft 2 - 8

einigermaßen gewissenhaft – auf Brettern ohne Matratze zu schlafen, geht sehr gut, aber 24 Stunden am Tage auf Brettern Stillzuliegen ist nicht leicht- aber es wurde natürlich nicht besser, denn vollständige Ruhe ließ sich nun mal nicht durchführen, da es doch immer allerhand Wege zu humpeln gab. Das war mir sehr lästig, denn so hatte ich keine Möglichkeit, wie die anderen kleinere und größere Ausflüge zu machen, und vor allem war es mir nachher nicht möglich, auch zu versuchen, auszureißen. Unsere Bemühungen, schnell weiter zukommen, hatte keinen rechten Erfolg, So viel man hörte, waren die Internationalen in Krasnojarsk und dann in Omsk das Haupthindernis. Wir erfuhren auch, das Austauschkommissionen unterwegs seien, bekamen auch von unserem früheren Lagerkameraden, jetzigen Austauschkommissar Seegers ein Telegramm aus Petersburg, das vor Omsk warnte, und hörten, daß Herzburg, bis Nov.17 gleichfalls bei uns im Lager, unterwegs sei, uns zu holen. Viele, und das waren die Schlauen, ließen sich durch all diese Nachrichten nicht halten, ließen ihr Gepäck im Stich und fuhren los. 19

Das war kein Vergnügen, da die Züge gerappelt voll waren, sodaß man günstigenfalls einen Stehplatz ergattern konnte, und weil auf allen größeren Stationen scharf von Internationalen kontrolliert wurde und viele in Krasnojarsk verhaftet und wieder zurückgebracht wurden, manche auch ins Gefängnis wanderten. Von unserer Gruppe verschwand Kober, und er hatte Erfolg. Am 29. April hatte ich zu meiner großen Freude einen Brief von Hause vom 10. März, den mir ein durchreisender Kurier mitbrachte. Ich war einer der ganz wenigen Glücklichen, weitaus die meisten hatten überhaupt nur Nachrichten bis Ende 1917. Und das war um so bedeutungsvoller, als die nächste Post erst im März 1919 kam. Der Brief war außerdem der erste, der ohne Gedanken an die Zensur geschrieben war, und enthielt so zu meiner Freude außer vielen guten Nachrichten auch eine Menge Interessantes, was mir bis dahin unbekannt geblieben war, z.B. daß Walther3 auch einmal 5 Tage in russ. Gefangenschaft gewesen war. Zu den Versuchen, los zu kommen, gehörte auch, daß Leo Petri am 9.5. nach Irkutsk geschickt wurde, um zu versuchen dort Wagen für uns zu bekommen. - Das Haupthindernis unserer Weiterfahrt war nach einer Angabe der Russen der Mangel an Eisenbahnwagen. 20

Es war sehr schade, daß er gerade am Tage vor seinem Geburtstag abfuhr, doch er hatte Vorkehrungen getroffen, daß wir in seiner Abwesenheit seinen Geburtstag würdig begehen konnten. Bald darauf erschien Herzburg, mit einem russischen Begleiter, I.G.Romanow, früherem Pol.offizier, jetziger Schieber, der an unserer Befreiung mitarbeiten sollte. Die einzelnen Vorgänge zu schildern, würde zu weit führen, auch hat man nie klar durchschauen können, ob Herzburg alles getan hat, uns loszubekommen, oder ob er wertvolle Zeit vertrödelt hat. Jedenfalls warnte er eindringlich auf Abreise auf eigene Faust, und ich hatte soviel Zutrauen zu seinem richtigen Urteil, daß ich mich hierdurch endgültig von Fluchtplänen abhalten ließ. Da ich mit meinem gleichmäßig schlimmen Knie – schon hatte ich Besorgnis, es könnte mich hindern, rechtzeitig an die Westfront zu kommen, denn mit der Heimkehr rechnete man jetzt doch bestimmt – nicht immer auf der Pritsche liegen wollte, fuhr ich einige Mal mit der Droschke in die Stadt. Droschken waren billig und ich hatte viel Geld, da ich einmal in Chabarowsk Zeichnungen an das Rote + verkauft hatte und außerdem durch den Grafen Bande im März 18 noch 300 R von Hause bekommen hatte, 21

auch hatten wir alle Reisegeld aus Kantinengeldern, Reichszuschüssen und anderen Quellen bekommen. Einmal besuchte ich zusammen mit Hitzig nach vorherigem guten Mittagessen ein sehr gutes, sauberes Dampfbad (was mir vom Arzt verordnet war), sonst fuhr ich mit Wilh. Hartmann oder anderen zum Kaffee oder Abendessen in die Stadt, besonders eine 3 Ein jüngerer Bruder, Leo Petri ein Onkel

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kaukasische Gaststube erfreute sich großen Zuspruchs von Seiten der Gefangenen. Dann, Mitte Mai, verdichteten sich die Parolen über baldige Weiterfahrt. Es war gelungen, 2 russische Ärzte zu „gewinnen“, die uns alle invalide schrieben. Nun wurden in aller Eile wieder die unentbehrlichen Listen geschrieben, jeder bekam seine Krankheit zugeteilt, oder wurde als Sanitäter eingeteilt. Es fand pro forma eine ärztliche Untersuchung aller statt, es gelang, Wagen zu bekommen, und am 25.Mai wurden wir verladen. Diese „Einwaggonierung“ war wieder, wie so oft, eine ziemliche Viecherei. Es wurde Abend, bis wir auf den Bahnhof kamen, ich fuhr übrigens mit Droschke. Nachdem der übliche Kampf um einen Wagen ausgekämpft war, stellte sich heraus, daß in unserem eine große Menge 22

Bretter fehlte. Doch alte Gefangene wußten sich zu helfen. 6 – 8 Mann fuhren mit einem der Bauernwagen zurück ins Lager, besorgten sich dort die Bretter, und schon um12 Uhr nachts war eine schöne Pritsche gezimmert. Das russische Staatseigentum wurde überhaupt wenig geachtet. Um unser Lager war noch ein vorschriftsmäßiger Bretterzaun. Da aber keine Posten mehr standen, sagte man sich, es ist auf alle Fälle besser, wenn der Zaun verschwindet, damit die Russen vergessen, daß hier einer gestanden hat, ein Brett nach dem andern verschwand und wurde teils verbaut, teils verheizt beim Kochen usw. Die erste Nacht auf dem Bahnhof hatte ich mich im Krankenwagen einquartiert, da im Wagen unserer Gruppe die Handwerker noch am Einrichten waren. Den folgenden Tag stand man dann auf dem Bahnhof herum. Ein komisches Bild boten einige Österreicher, die sich schon seit längerer Zeit uns angeschlossen hatten und jetzt auch als „Reichsdeutsche“ mit uns fahren wollten. Sie erschienen uns in der ungewohnten deutschen Uniform sonderbar, besonders der typisch jüdische Dr. Bauer. Weniger sympathisch war die Anwesenheit der Tschechen auf dem Bahnhof. Auf dem Nachbargleis stand ein (oder 2) Transport. 23

Doch sie benahmen sich durchaus korrekt und hatten auch wohl Befehl bekommen, uns aus dem Wege zu gehen. Sie waren sehr dürftig gekleidet und ausgerüstet, machten aber im Gegensatz zu den Russen einen recht militärischen Eindruck. Daß sie das Theater mit unserer Invalidität durchschauten, war nicht weiter verwunderlich. Am nächsten Tag entdeckten wir, daß sie auf einem unserer mit dem Roten+ geschmückten Wagen geschriebene hatten: Krüppel für die Westfront! Unsere Abfahrt wurde auf завтра verschoben, und was das Lieblingswort der Russen – wörtlich morgen, ließ sich aber beliebig dehnen – bedeutete, wußten wir nur zu gut. Um so größer war die Freude, als wir am nächsten Morgen bald nach Sonnenaufgang von dem so wunderschönen Geräusch und Schüttern des fahrenden Zuges geweckt wurden. Noch einmal sahen wir Kansk und unser Lager im Morgensonnenschein liegen, dann fuhr man in bester Stimmung bei herrlichem Wetter in das frische Land, in dem gerade der Frühling seinen Einzug hielt. War in Kansk noch alles kahl gewesen, so sahen wir jetzt überall das erste Grün an den Birken. Und jeder schmiedete seine Pläne, einer rechnete aus, 24

ob er wohl im Juli heiraten könnte, andere erzählten von ihren Urlaubsplänen, doch am meisten besprochen wurde die Frage, wann wir wieder – nach Quarantaine, Heimaturlaub und Ausbildung in moderner Kriegstechnik an der Front sein könnten. Mittags zog ich um. In unserm Zug fuhr als letzter Wagen ein Personenwagen 1. und 2. Kl. Es war dies der Wagen unseres Delegierten Harzburg, der uns bis Tomsk (Taiga) begleiten sollte. Er hatte sich als Hilfsarbeiter Juhl ausersehen, mit dem zusammen er das ganze ihm zugeteilte Gebiet bereisen wollte. Während er nun uns etwas begleitete, hatte er Juhl in einem Sonderauftrag nach Irkutsk geschickt, und dessen Abteil 2. Kl. war frei. Da hatte er (Juhl) nun mich aufgefordert, darin zu wohnen, so lange es ging, und auf diese Weise mein Knie zu schonen. Erst wollte ich nicht so recht, aber nach einigen Stunden Bahnfahrt zog ich es doch vor, Heft 2 - 10

von dem angenehmen Angebot Gebrauch zu machen und zog um. So lagen wir nun zu zweit – Juhls Freund Marwes hatte sich schon in Kansk hier einquartiert – in dem schönen Abteil und ich lernte so auch die Annehmlichkeit des Reisens in dem feinen 2. Kl. der russischen Bahn kennen. Die reine Freude sollten nicht lange dauern. 25

Etwa um 4 Uhr kamen wir nach Krasnojarsk. Herzberg und unser Tranportführer Romanow gingen gleich zum Bahnhofskommandant und kamen mit niederschlagenden Nachrichten wieder. Und nun kam eine Enttäuschung nach der andern, bis nach 5 Wochen unsere Heimkehr endgültig unmöglich geworden war. Also die Eisenbahn versperrt, weil innere Unruhen ausgebrochen waren. Die überall auf der sibirischen Strecke stehenden tschechischen Transporte hatten sich, ungehalten darüber, daß man sie nicht weiterbeförderte, mit den Russischen Gegenrevolutionären vereinigt, und schlugen gegen die Bolschewiken los. Dies war ihnen überall gelungen, da sie obwohl so gut wie waffenlos, doch entschlossene Kerle waren, die die Maulhelden von der roten Armee schnell überrumpelten, um so leichter, als alles, was noch Schneid bei den Roten hatte, im Felde stand östlich vom Baikalsee, im Kampf gegen den Kosakengeneral Semjonow. Auch Kansk war bald nach unserer Abreise von den Tschechen genommen, dagegen war Krasnojarsk rot, da dort keine Tschechen waren. Die Tsch. waren in ziemlich übler Lage. Alle 300 – 600 km stand ein Bataillon oder Rest von ihnen und die Freiwilligentruppen der Weiß-Grünen (Gegenrevolutionären) mußten doch erst gebildet werden. 26

Doch sie verstanden es, sich durchzusetzen, zusammenzuschließen und bis Anfang des Winters das Riesengebiet von Kasan bis Wladiwostok in ihre Gewalt zu bringen. Zunächst waren ihnen die Amerikaner behilflich. Eine amerikanische Sondergesandschaft, die im Extrazug in Sibirien herumreiste, übernahm großmütig die Aufgabe, den Krieg in Sibirien zu verhindern, und verhandelte zwischen Tschechen und Bolschewiken. D.h. sie übermittelten Nachrichten von einem tschechischen Trupp zum nächsten, und ermöglichte ihnen durch 3 x iges Abschließen eines Waffenstillstandes von 6 Tagen, ihre Stellung auszubauen und zu verbessern. Doch das kam ja alles erst später. Vorläufig saßen wir in Krasnojarsk fest und hörten, daß an eine Weiterfahrt einstweilen nicht zu denken sei. Und so standen wir 3 Wochen auf dem Bahnhof Krasnojarsk. Krasnojarsk liegt ja landschaftlich wunderschön, dort wo der Jenissei etwa 900 m breit aus den Bergen tritt, die hier etwa 700 – 900 m hoch sind. Doch der Bahnhof ist ganz übel, da er furchtbar verqualmt ist. Die Lokomotiven brennen dort eine ganz scheußliche Sorte von Kohlen, die den Bahnhof K. und seine Umgebung scheußlich verschmutzen. Dieser Eindruck ist mir 27

1920 wo ich die Stadt kennen und schätzen lernte, immer wieder bestätigt worden. Dazu tuteten Tag und Nacht die Lokomotiven und eine in der Nähe befindliche Fabrik tutete jeden Morgen mindestens 5 Minuten ohne Unterbrechung. In Krasnojarsk hatte ich immer den Eindruck, daß die Russen es lieben, viel Lärm um nichts zu machen. 20-30 Lokomotiven brausten von einem Gleis zum anderen, aber sie schaffen nichts; die Fabriken brüllen und tuten, aber es ist kaum jemand, der in ihnen arbeitet u.s.w. Verpflegt wurden wir aus einem in unserem Zug mitfahrenden Küchenwagen, d.h. einem Güterwagen, in den von uns Kessel eingebaut waren. Verpflegung lieferten die Russen, wohl gegen Bezahlung(?). Das Essen war einfach und etwas knapp, sodaß jeder sich auf eigene Kosten noch etwas dazu beschaffen mußte, was glücklicherweise ganz gut ging. Tagsüber trieben sich die meisten neben oder zwischen den Gleisen herum, auf den Bahnhof oder in die Stadt durften wir nicht. Bei der zunehmenden Hitze war der Aufenthalt in den eng belegten Wagen recht übel. Eine Erleichterung war, daß das Baden in dem nahen Heft 2 - 11

Jenissei

erlaubt wurde; für mich kam es leider 28

nicht in Betracht. Täglich durften Einkäufer in die Stadt gehen und in den noch recht gut ausgerüsteten Geschäften für uns einkaufen. Da wir durch Herzberg gehört hatten, daß so vieles bei uns zu Hause knapp war, kaufte jeder, so weit sein Geld und der Platz im Koffer reichte Kaffee, Tee, Seife, Gewürze u.a. In dieser unerquicklichen Zeit war ich besonders dankbar dafür, in dem schönen Personenwagen wohnen zu können. Natürlich war stets etwas los, eine Parole jagte die andere, dabei lebte man immer im Ungewissen. Auch aus dem Lager Krasnojarsk bekamen wir einigen Zuzug. Etwa 40 Herren verstanden es, sich dort zu verdrücken und schlossen sich uns an, darunter auch ein Regtskamerad, Lt. Kiefel von der 11/137, der am 23.2.15. zusammen mit mir schwer verwundet gefangengenommen war. Hier war noch einmal Gelegenheit, nach Hause zu schreiben. Ein schwedischer Sonderzug, der aus Irkutsk kam und als neutral durchgelassen wurde, nahm einzelne Karten mit. Auch wir hofften noch immer, als Invalide weiter und durchzukommen. Zunächst war es ein großer Vorteil, als wir am 16 (?) etwas weiterfahren konnten. Man hatte wohl mittlerweile erfahren, daß die weißen vorrückten und daß Krasnojarsk nicht zu halten war. 29 4.Jan.1922

Viel Zutrauen zu der Widerstandskraft der Roten Truppen hatten wir nicht. Jeden Tag ging in Kr. ein kleiner Trupp an die Front, bald nach Westen, bald nach Osten. Das gab jedes mal Anlaß zu einem feierlichen Geleit mit viel roten Fahnen und Bändern. Vorne weg marschierte eine Musikkapelle, die unentwegt die Marseillaise spielte, die damals das Revolutionslied der Russen war, dann kamen die Soldaten, mangelhaft ausgerüstet und recht wenig zuversichtlich, begleitet von Angehörigen, Freunden usw. Wir amüsierten uns immer köstlich – d.h. natürlich nur unter uns – über diesen unsoldatischen Aufzug und diese Wichtigkeit bei einer Sache, die uns nicht so ernst vorkam. Später stellte sich aber heraus, daß es für die Beteiligten doch sehr ernst war, denn einmal wurde sehr hart und grausam gekämpft, und dann endeten später viele, die vom Schlachtfeld heil heimkehrten, durch den Henker. Unsere Freude war groß, als wir also eines Tages – es war nach 11 abends und die meisten schliefen schon – wieder fuhren, denn im stehenden Zug ist das Leben furchtbar, im fahrenden sehr angenehm, außerdem war das heiße staubige Krasnojarsk 30

uns allen zuwider geworden. So fuhren wir voll froher Hoffnung westwärts in die laue Sommernacht. Doch die Freude dauerte nicht lange. Als wir morgens aufwachten, stellten wir fest, daß wir mitten im Walde bei einer Haltestelle Minino etwa 20 Werst von Krasnojarsk lagen. (Sie hatte ihren Namen nach einem russischen Politiker, der nach Sibirien verbannt worden war.) Hier lagen wir etwa eine Woche. Landschaftlich war es recht hübsch, bergig und waldig. Eine Ortschaft war nicht bei der Station. Das Klima war allerdings beinahe tropisch, und der Aufenthalt in den feuchtheißen Wäldern mit reicher Orchideenflora wurde fast unmöglich gemacht durch die vielen Mücken. Sehr schön waren die Abende, an denen man erst so richtig auflebte, wenn es kühler wurde. Und um 10 wurde Zapfenstreich geblasen. Beim Transport war ein sehr geschickter Hornist, der uns abends immer noch lange mit seinen Signalen und Liedern ergötzte. Ich war öfter in einer Hütte bei einem polnischen Steinbrucharbeiter zu Gast, der wohl hierher verbannt war, und bemühte mich, mich im russisch sprechen zu üben. Die Unternehmungslustigen unter uns machten weite Ausflüge in die nächsten russischen Dörfer und hamsterten Milch und Eier. Die Anwesenheit unseres Transportes sprach sich herum und wir bekamen noch mancherlei Besuch, 31

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besonders wurde Dr. Bauer von Kranken jeden Alters überlaufen. Nach einigen Tagen war dann der Waffenstillstand abgelaufen, die Kämpfe begannen wieder, die sehr schnell zu einer Niederlage der roten Truppen führten. Und eines Tages kamen dann die ersten weißen Truppen. Zunächst nur eine Lokomotive mit einigen Leuten und bald ein Transport. Auch unsern Zug durchstöberten sie ungnädig, weil sie uns für Verbündete der Roten hielten, doch konnten wir sie von unserer Harmlosigkeit überzeugen. Es war ein russisches Bataillon mit den Farben Weiß-Grün, hauptsächlich aus Offizieren und Studenten zusammengesetzt. Damit wurde nun die Frage, was wird aus uns, wieder brennend. Parole jagte Parole. Man versuchte wohl auch mit den später durchfahrenden Stäben zu verhandeln. Am 22. Juni stieg die Unruhe aus höchste, nachm. ging das Gerücht, wir sollten nach Krasnojarsk zurück und dort ins Lager gebracht werden. Die Niedergeschlagenheit war schrecklich, und die abenteuerlichsten Pläne wurden geschmiedet. Ich wollte mit Herrn Krämer versuchen, mich vom Transport zu entfernen. Glücklicherweise kam es nicht dazu, es wäre uns auch wahrscheinlich schlecht bekommen. 32

Gegen Abend wurde bekannt, der russische Oberbefehlshaber, General GrischinAlmasow, habe erlaubt, daß wir weiter führen, und alle Zweifel verstummten, als etwa gegen 10 Uhr eine Lokomotive kam, sich an das Westende des Zuges setzte und bald mit uns westwärts weiter fuhr. Von dem nächsten Tag weiß ich nur noch wenig, am 23. morgen kamen wir bei Regen durch Atschinsk und Marinsk. A. liegt landschaftlich sehr schön an einem Flusse, auf dessen Westufer weite Ebene, auf dem Ostufer die Stadt mit Bergen und Wäldern dahinter lag. In und bei Mariinsk sah man noch Spuren der Kämpfe. In M. kamen deutsche Mannschaften aus dem dortigen Lager zu uns, und wurden von Herzberg mit Geld, Kleidern, Wäsche und dem Versprechen, daß er sie bald abholen und heim transportieren wolle, beschenkt. Auch 137er waren da. Die Leute erzählten von den Kämpfen und von der Grausamkeit, mit der die Tschechen gegen die Roten und vor allem die bei ihnen befindlichen Kriegsgefangenen vorgegangen seien. Derartige Nachrichten dämpfte natürlich unsere Zuversicht einigermaßen. Auf der Weiterfahrt sahen wir dann wiederholt Tschechen, die sich uns gegenüber zurückhaltend verhielten, auch einen Zug mit Serben, die an der Bahn ein Zigeunerlager aufgeschlagen hatten. 33

Von Taiga an (Knotenpunkt für die Bahn nach Tomsk) fuhren einige russische Offiziere mit uns, die uns ein Stück begleiten sollten und von Herzberg gut bewirtet wurden. Und dann kam der große Reinfall. Am 24. mittags kamen wir in Novo-Nikolajewsk an. Gleich beim Halten von tschechischen Soldaten umstellt, die das Aussteigen verboten. Herzberg und unsere russischer Transportführer Romanow versuchten, unterstützt von den russischen Offizieren, auf die Tschechen einzureden, aber vollkommen erfolglos. Da in Novo-Nikolajewsk der „Klassenwagen“ Herzbergs abgehängt werden sollte – H. sollte eigentlich von hier aus wieder zurück und andere Transporte auf den Weg bringen – zog ich mich wieder in die „Tepluschka“ meiner Gruppenkameraden zurück. Man erreichte, daß wir auf ein totes Gleis geschoben wurden und etwas Bewegungsfreiheit erhielten. Da lagen wir dann 1½ oder 2½ Tage, schwankend zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit. Deutschen Mannschaften, die in der Nähe des Bahnhofes arbeiteten, gelang es, zu uns zu kommen, bei ihnen war ein kleiner aufgeweckter 137er, der mir und Konrad viel von dem Lager erzählte, mit großer Anerkennung von dem mit gefangenem Vizefeldwebel 34

Hauptfleisch sprach. Er machte uns beiden den Vorschlag, uns vom Transport zu drücken und irgendwie zu versuchen, weiterzukommen. Er wollte uns in der Umgebung bei Bauern unterbringen, wo er gut Bescheid wisse. 2 Gründe hielten mich ab, einmal meine Lahmheit, ich konnte ja fast nur humpeln, und dann hatte ich doch immer noch die Hoffnung, daß der ganze Transport weitergehen würde. Vielleicht war es besser so, denn viele Heft 2 - 13

Kriegsgefangene, die sich im Sommer allein herumtrieben, sind von den Tschechen ohne irgendwelche Umstände umgebracht worden. Was nun eigentlich los war, erfuhr man nicht, aber jeder hoffte noch. Und als es am 26. abends hieß, wir fahren weiter, war man vollkommen im Unklaren wohin. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß es wieder zurück ging, im Laufe der Nacht oder ganz früh am 27. fuhren wir wieder nach Osten, mit dem Ziel Kansk, unserem Ausgangspunkt. Und auch auf dieser Fahrt klammerte man sich immer noch an die Möglichkeit, daß der Befehl vielleicht ein Mißverständnis des Lokalbefehlshaber sei, oder das Kansk wegen Überbelegung sich weigern würde, uns aufzunehmen, irgend eine stille Hoffnung hatte wohl jeder, ohne sie recht begründen zu können. 35

Mir kam diese Rückfahrt nicht so schwer vor, wie am 22. die Parole, wir sollen zurück. Am 27. nachm. kamen wir durch Taiga, wo eine Menge Tschechen war. Hier verdrückten sich 2 von uns, Konrad, der von Herzberg einen Sonderauftrag nach Tomsk hatte und so aus einem Kriegsgefangenen ein Angestellter des Roten+ wurde, und Herr von Gablenz, der auf eigene Faust sein Heil in Tomsk suchte. Ob er nach Deutschland zurückgekommen ist, weiß ich nicht, es hieß später einmal, er sei in T. (nach allerlei Erlebnissen und Krankheiten) geisteskrank geworden. Konrad (mit dem ich seit dem 23. Febr. 15 zusammen war) machte auch allerhand durch, saß als Spion im Gefängnis, bekam Flecktyphus, wurde aber später mit den andern Deutschen Roten Kreuz Mitgliedern im Frühjahr 1919 als lästiger Ausländer via Wladiwostok – Franzisko ausgewiesen und kam so – mit Leo Petri, Juhl, Herzberg u.a. im August 19 in Deutschland an. Unser Zug rollte weiter ostwärts. In Atschinsk trafen wir am 28.6. auf dem Bahnhof einen Transport ungarischer Offiziere aus Pestschenka (auch einige Türken waren dabei) an, die hier von den 36

Tschechen angehalten waren und mit ihrer „Auswaggonierung und Transferierung“ in das Lager rechneten. Sie hatten schon recht üble Auftritte mit den Tschechen gehabt. Eine Zählung und Revision in recht übler Form (der Drohung: jeder 5. wird erschossen usw.) doch auch das nahm uns unsern guten Mut noch nicht. Es fanden sich Bekannte darunter – Herren, die bis zu unserm Eintreffen im Hause Isossimow dort mit unseren späteren Gruppenkameraden (Randt, Krämer u.a.) zusammen gewesen waren und nun von ihren Erlebnissen, von den Zuständen in Pestschenka, von Hause, von der polit. und militärische Lage plauderten. Sehr freute es mich, den kleinen Türken Hadi aus Tripolis mit den funkelnden schwarzen Augen wiederzusehen. Er hatte inzwischen gut deutsch gelernt, überhaupt europäische Formen angenommen, und freute ist sichtlich, uns begrüßen zu können. Bald ging es weiter nach Osten zurück. Gegen Abend kamen wir durch Minino. Der kurze Aufenthalt reichte dazu hin, daß unser Hornist, diesmal für alle recht wehmütig, wieder seinen großen Zapfenstreich mit allen Schikanen, blies. Nachts kamen wir durch Krasnojarsk, unwirsch von tschechischen Posten kurz besichtigt. 37

Am nächsten Vormittag lagen wir lange in Klukwennaja (Mitte zwischen Kr. und die Wagen Ältesten versuchten mit allen Mitteln Hauptmann Klein zu bearbeiten, daß er seinen als ungeschickt geltenden Adjutanten Lietz etwas mehr zurückhalten sollte und den sowohl im Umgang als auch im Gebrauche der russischen Sprache sehr viel gewandteren Feldprediger Wiese für die Unterhandlungen zu Rate zöge. Doch unsere Sache war wohl aus dem Stadium der Verhandlungen längst heraus, und ohne daß wir uns dessen bewußt waren, trauriger, unumstößlicher Befehl geworden. Gegen 5h nachm. am 29. Juni liefen wir in Kansk ein und sofort war aus dem Empfang durch die Tschechen, die unsern einlaufende Zug umstellten, der brutale Haß zu verspüren, der alle Hoffnung und Zuversicht erstickte. Kansk.)

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(5.Jan.1922) Der Bahnhof stand voller Züge, da über Kansk nach Osten niemand weiterfahren durfte, denn dort begann bald das Operationsgebiet gegen die Irkutsk verteidigenden Roten. So hielten wir eingekeilt zwischen anderen Zügen, umgeben 38

von tschechischen Soldaten, die sofort befahlen, daß sämtliche Türen und Klappen geschlossen würden. In dem Dämmer saßen wir und warteten das Weitere ab. Bald hieß es, es solle eine Gepäckrevision stattfinden. Wir waren noch dabei, die Koffer aus dem Wagen herauszuheben, da kam der Gegenbefehl, die Revision sei wegen Nähe der Dämmerung auf den folgenden Tag verschoben. Nichts Gutes ahnend, legte man sich schlafen. Kaum war es hell, so kamen schon die ersten Ankündigungen von Wagen zu Wagen. Die Tschechen hatten mitgeteilt, jeder müsse abliefern, was er über 50 Rubel und mehr als 2 Garnituren Wäsche hätte. Jeder bei dem verstecktes Geld gefunden wurde, soll erschossen werden. Revisionen durch Russen hatte man nun schon viele mitgemacht, und dabei hatte man immer mit Erfolg verstecken können, was man wollte, aber daß mit den Tschechen nicht zu spaßen sei, darüber waren wir uns in unserm Wagen alle einig. Also schleppte man sein ganzen Gepäck aus dem Wagen heraus, doch da wir in der Mitte des Zuges waren und die Tschechen von beiden Enden anfingen zu revidieren, kamen wir noch lange nicht dran. Wer noch etwas Gutes zu essen oder rauchen hatte, machte sich darüber her und teilte freigebig aus, weil man doch noch möglichst viel dem Raub entziehen wollte. 39

Doch das sollte nicht lange dauern. Denn bald hieß es, die Tschechen hätten drei von uns festgenommen und wollten sie erschießen. Und gleich hinter her wurden die drei auch tatsächlich mitten durch uns hindurch geführt oder getrieben. Ich kannte nur Burk (Lt. im Drag. Regt.7.) und hörte, wie er rief, sie wollten ihn erschießen, weil er einen Reitbesatz zerrissen habe. Sollte man auf die Tschechen losgehen? Sollte man überhaupt für möglich halten, daß das Ernst sei? Sehr bald bekamen wir Gewißheit. Die Unglücklichen waren gleich am Ende des Zuges auf die Steppe getrieben worden, und nach etwa 200 m schossen die sie abführenden Tschechen sie von hinten nieder; man hörte etwa 10 Schüsse. Burk, der zunächst nur schwer verwundet war, wurde von dem tschechischen Feldwebel, der die Exekution kommandierte, mit dem Revolver erschossen. Mit B. war ich seit Sept. 1915 zusammen, da er auch vom XXI. A.K. war, hatten wir einige Berührungspunkte. Er war ein etwas oberflächlicher, aber gutmütiger Pfälzer, Sohn eines Weingutbesitzers. Die andern waren ein Lt.v.L. Metzner, verheirateter Postbeamter aus Berlin, sein Verbrechen 40

hatte darin bestanden, daß er ein Paket Tee (oder Kaffee oder Tabak) zerrissen und auf dem Bahnsteig zerstreut hatte, der 3. war Gefreiter Hahnke vom 2. Drag.Reg. Es hatte eine Hose mit Reitbesatz und darin eingenäht 250 Rubel. Bald mußten wir alle vom Zug weg und auf der angrenzenden Steppe warten, bis jeder Wagen einzeln zur Revision aufgerufen wurde. Und auch die Stunden gingen vorüber. Die russische Einwohnerschaft – es war gerade Sonntag – fand dies alles sehr unterhaltsam, eine wahre Völkerwanderung kam aus der Stadt und zog zu den Toten. Nur durch wiederholtes Bitten – hier wie auch sonst an diesem Tage machte sich Feldprediger Wiese durch geschicktes Verhandeln und unerschrockenes Auftreten verdient – gelang es von den Tschechen die Erlaubnis zu bekommen, die Toten mit einer Zeltbahn zuzudecken und sie so den Blicken der Russen und der darüber kreisenden Raben zu entziehen. Wie der weitere Tag verging, was die Tschechen wegnehmen und was sie uns ließen, war ja nun ziemlich nebensächlich, doch zeigte sich zur Genüge, daß sie nicht nur die ihnen zur Kriegsführung notwendige Ausrüstung nahmen, sondern daß sie uns regelrecht 41

ausplünderten. Ihr Führer nannte sich Kapitän Smek, sie gehörten zum 7. tschechischen Regiment. Nach einer lange dauernden Kontrolle konnten wir gegen Abend in kleinen Heft 2 - 15

Trupps in das Lager, wir kamen in die Erdbaracken, die hinter denen lagen, in denen wir im Mai gewohnt hatten. Zu essen hatte es nichts gegeben an dem Tage, zu trinken auch nicht. Mit seinen paar Brocken richtete man sich in der leeren und schmutzigen Baracke 25 ein, die unserer Komp. (Oberlt.Traut) zugewiesen war. Die Zeit bis Ende Juli verging, ich weiß nicht wie. In den ersten Tagen wurde nichts zu essen geliefert, man lebte von den kümmerlichen Brotresten, die man durchgerettet hatte. Die Österreicher – in den Steinkasernen zwischen uns und der Stadt lagen etwa 600 österreich-ungarische Herrn aus Dauria und Nischne-Urdinsk – schickten uns Buchweizen, der mit Wasser gekocht ein uns köstlich mundendes Gericht ergab. Am 4. Tag fingen die Russen an, Lebensmittel zu liefern, und wir konnten eine kümmerliche Küche einrichten. Einzahlungen konnten wir nicht machen, da jeder nur 50 Rubel besaß; nur einzelne hatten durch Zufall oder Wagemut, 42

irgendwo einen größeren Betrag durchgerettet, ein Versuch, der mir frevelhaft vorgekommen wäre, so gerne ich das goldene Zehnmarkstück gerettet hätte, das mir die Tanten 1914 bei der Mobilmachung gegeben hatten (aus Großvater Petris Portemonaie) Das notwendige Laufen und Herumstehen am 30.6. hatten den Zustand meines Knies wieder sehr verschlimmert. Dr. Bauer verordnete mir heiße Bäder, zu denen ich wöchentlich etwa 2 x in das bei den Steinkasernen befindliche Bad herüber humpelte. Ich glaube aber, daß diese Anstrengung dem Knie mehr schadeten, als die Dampfbäder nützten. Allmählich richtete man sich auch in diesem Lager ein. Die anfänglich gehegte Hoffnung, daß der Aufenthalt nur kurz sein möge, daß man von Deutschland mit Erfolg auf unsere Befreiung hinwirken möchte (wie wußte zwar niemand, aber man sollte doch etwas Gutes hoffen), schwanden bald. Ich fand eine unerwartet Hilfe in einem 137er, der mit mir zusammen gefangen genommen war, Seitz aus Saarbrücken von der 12. Komp. Er war als Bursche (oder Schuster ?) im Steinlager, hatte nach unserm Eintreffen sich erkundigt, ob 137er bei uns seien, hatte von mir gehört, und mich zur Revierstunde bestellt. 43

Er hatte allerlei Geld verdient und gab mir (und Lohrberg) bereitwillig davon, was ich auch gerne annahm. Im übrigen bestand meine ganze Tätigkeit darin, daß ich mich bei Sonne draußen, sonst auf die Pritsche hinlegte, und durch Lesen und etwas Arbeiten - meine Bücher hatten mir die Tschechen gelassen - die Zeit herumbrachte. Und so ging es den meisten. Nur wenige fanden Mittel und Wege, sich allerlei Lebensmittel zu besorgen und zu braten und zu kochen und gut über die Zeit hinwegzukommen. Das erste erfreuliche Ereignis war der Besuch Juhls Anfang August. Er war von Irkutsk nach dessen Einnahme durch die Tschechen als Roter+ Delegierter nach Kansk gekommen und hatte auch Zutritt zum Lager erhalten. Sprechen konnten wir mit ihm nicht, aber beim Kommando erfuhr er doch, was los war. Am 2. Tag wollte er wiederkommen, wurde aber schon vorher von den Tschechen verhaftet und nach Omsk zu den andern deutschen Rote Kreuz Vertretern gebracht. Doch auffallenderweise hatten wir das große Glück, daß ein Eisenbahnwagen voll Liebesgaben aus den Beständen der schwedischen Roten Kreuzes in Irkutsk, den er verladen und an uns gesandt hatte, 44

in unsere Hände kam. Und das hob mit einemmale die Stimmung, denn außer Wäsche, Schuhen, Wattemänteln und Fußlappen waren für jeden 4 ℔ 4 Tabak dabei, sogen. „Amerikaner“. Er war nicht schön edel, manche Pakete sogar recht schlecht, und kratzte im Gaumen, aber jener Nachmittag ist mir unvergeßlich, als die stumpf daliegende Komp. plötzlich alarmiert wurde durch den Ruf, es gibt Tabak. Und als gleich darauf an jeden 2 Pakete ausgegeben wurden, dauerte es keine 5 Minuten, bis die ganze Baracke mit blauem Rauch erfüllt war; und jeder rauchte aus dem großen Vorrat feste drauf los, froh, daß es mal etwas anderes gab als fade Kascha. Diese Tabakspende hatte daneben noch den großen 4 Dies ist das früher viel benutzte Zeichen für „Pfund“ (500 g)

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Vorteil, daß dadurch wieder Geld ins Lager kam, denn der Tabak wurde von den Russen glänzend bezahlt, und fast jeder verkaufte mehr oder weniger. Noch ein freudiges Ereignis ist zu vermelden. Unsere Gruppe hatten seit der Reise Chabarowsk – Kansk keinen Burschen mehr gehabt. Unser früherer, ein übler Wiener Jude, hatte sich irgendeinem österreichischen Transport angeschlossen. Als wir nun in Kansk zum 2. Male einzogen, meldete sich ein Deutscher, er wolle bei uns Bursche werden. 45

Er habe bisher noch nie Burschendienste getan, aber für die Tschechen wolle er nicht arbeiten, außerdem sehe er unsere Notlage ein. Er war ein famoser Mann, an dem wir lange Zeit Freude gehabt haben, Willekes, ein Rheinländer, ein sehr strebsamer Kaufmann, in Chaberowsk war er Gehilfe beim Zahnarzt gewesen. Er verließ uns erst im Sommer 1919, als die Heimarbeit alle Verhältnisse umwarf und eine bessere Ausnutzung aller Arbeitskräfte erzwang. 17.März 22. Nachdem einigermaßen eine Daseinsmöglichkeit gefunden war, begann man auch wieder, die Vorgänge in der Welt zu verfolgen. Zunächst lebte man nur von Parolen, die meist abenteuerlich genug waren, sodaß wir geneigt waren, uns falsche Bilder von der Lage zu machen, ja, sogar zu hoffen, es bestehe bald Hoffnung auf eine Besserung unseres Lebens. Doch allmählich fanden wieder Zeitungen den Weg ins Lager und wurden hier in den einzelnen Baracken verlesen; es waren dies 2 Organe der „Zeitweiligen (sibirischen) Regierung“, „Der sibirische Wille“ (genannt der Tschechische“ W.) und „Das freie Sibirien“ (das Amerikanische S.). Sie enthielten vor allem die Frontberichte von den sibirischen 46

Fronten, von denen eine nach Osten gerichtet war, wo die Tschechen nach überaus blutigen Kämpfen in der Tunnelzone der Baikalbahn (im August) sich den Durchgang nach Wladiwostok erkämpften, das wohl Ende September in ihre Hände fiel, die andere, nach Westen gerichtete Front, spaltete sich in mehrere Teile, eine von der Bahn Omsk – Tscheljabinsk und andere dazwischen und nördlich und südlich davon. Auch hier hatten die (von Russen unterstützten) Tschechen zunächst Erfolge, kamen bis über den Ural (im Juli wurde in Jekarterinenburg die von Tobolsk dorthin gebrachte Zarenfamilie umgebracht), nahmen Kasan a.d. Wolga (und dabei 800 Millionen Rubel in Gold!) und waren nahe dabei, sich mit den von Perm (Archangelsk) her kommenden Verbündeten (Engländer und Serben) zu vereinen. Doch dies gelang nicht. Neben diesen Nachrichten von den sibirischen Kriegsschauplätzen auch ziemlich vereinzelt englische und französische Berichte von der Westfront. Doch sie genügten, um uns bald erkennen zu lassen, wie die Dinge lagen. 47

Trotz dem hohen Grade unseres Abgebranntseins gab es noch eine Karte von Frankreich. Die Westfront wurde in großem Maßstab von unternehmenden Leuten abgezeichnet, sodaß wir an der Hand der (unregelmäßig ins Lager kommenden) Zeitungen die Bewegungen auf dem Kriegsschauplatz verfolgen konnten. Anfangs tröstete ich mich noch immer in dem Glauben, daß die großen Schläge der Amerikaner, Engländer und Franzosen nur Teile eines großen Hin und Herschwankens der Front seien, bald sah man aber deutlich, daß auf unserer großen Karte, die die Front darstellenden Fähnchen immer weiter zurückgezogen wurden – sie hing in unserer Baracke im Waschraum, und aus allen Baracken kamen die Leute, sahen sich das Unheil an und verschwanden schweigend und gedrückt, es war ein Elend, dies zu beobachten. Ich erinnere mich noch deutlich des 1. Sonntags im Oktober, (ich glaube es war der 4.10.) an dem ich mir zum 1. Male in einem Gespräch mit Herrn Kausch die Lage in vollem Umfange klar machte. Es war berichtet worden, daß die Bulgaren abbröckelten, was von der Türkei und Österreich zu halten war, wußten wir zur Genüge.

21.März 22.

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Und so fand ich von da an mit dem Verstande keinerlei Hoffnung mehr auf einen Heft 2 - 17

glücklichen Kriegsausgang, sah vor allem keinerlei Möglichkeit, daß uns Elsaß-Lothringen und die Hohenzollern erhalten blieben. Allerdings vorstellen konnte ich es mir nicht. Ganz unbegreiflich war mit das Vertrauen, das man in Deutschland (nach der russischen Zeitungsmeldung zu urteilen) auf Wilson setzte. Dieser Mann war mir schon 1913 im höchsten Grade zu wider gewesen, ich brauchte nur sein Bild anzusehen, und als im W.S. 13/14 ein hannoverscher Student, der ihn auf einer Christlichen Studenten Konferenz in Amerika kennengelernt hatte, versuchte ihn zu rühmen, erreichte er bei mir genau das Gegenteil von dem, was er wollte. Dieser Eindruck wurde verstärkt, als ich im Herbst 14 seinen großen Brief a. d. deutschen Kaiser über die Neutralität Amerikas las.Gerade in Kansk gelangte durch irgend einen Zufall ein Heft der Zeitschrift des Vereins deutschen Ingenieure, wohl der gediegensten technischen Zeitschrift, die mir bekannt ist, in unsere Hände, und da lasen wir eine bis ins Kleinste genaue Aufstellung über Amerikas Waffenlieferung an die Entente, die danach wenn ich mich recht erinnere, 49

schon im Jhre1914 die Summe von 1 Milliarde Dollar überstieg. Nebenbei bemerkt fand ich es sehr schmerzhaft, daß den Löwenanteil dieser Lieferung ausgerechnet die „Betlehem Steel Company“ getragen hatte. Diese amerikanische Liebesgaben hatten wir im Januar 1915 schon sehr gut kennengelernt in Gestalt der Malinitgranaten, einer damals neuen und sehr gefährlichen Munition. Dieses Bild amerikanischer Geschäftstüchtigkeit rundete sich in den Jahren 15-20 sehr gut ab durch das, was ich an Gefangenenfürsorge der Amerikaner kennen lernte. Selbstverständlich ist es möglich, daß gerade wir Pech hatten und die selbstlosen Amerikaner nicht kennen lernten, aber ich kann es doch nicht für Zufall halten, daß all die Amerikaner, die ich in Sibirien kennen lernte, sehr gute Geschäftsleute waren, daß wohl keiner für uns etwas Wesentliches erreicht hätte – nur Mister Conger vom Christl. Verein junger Männer in Chaborowsk war ein zwar ungeschickter, aber wohlmeinender Mann – Ganz im Gegensatz dazu haben die Schweden, die 1917 unsere Vertretung übernahmen, mit großem Opfermut für uns gearbeitet. 50

Viele haben Krankheit und Gefängnisstrafen durchmachen müssen, viele auch ihre Arbeit für die deutschen Gefangenen mit dem Leben bezahlen müssen (so Herr Hetblom, der Vertreter des schwed. Roten Kreuzes in Chaborowsk) und Elsa Brändström hat wohl alleine mehr für uns geleistet, als alle Amerikaner zusammen. Wie die Arbeit dafür in Deutschland gewürdigt wurde, dafür nur ein Beispiel. Ende 1919 gelangte auf irgend einem Wege eine deutsch-amerikanische Zeitung in unsern Besitz, die einen Bericht einer Sitzung der Nationalversammlung in Weimar im August 1919 enthielt, auf der ein deutscher Abgeordneter – Daniel Stücklen oder Stöcklen hieß dieser Herr, ich weiß nicht, ob es ihn noch gibt, - gesagt hatte, den Kriegsgefangenen in Sibirien gehe es gut, denn - - - 200 Sekretäre des amerikanischen Roten Kreuzes seien in Sibirien für sie tätig. Im Lager Kansk, einem der größten in Sibirien, ließ sich im Jahre 1919 nur einmal ein Amerikaner sehen, und der fragte nur, ob ihm nicht jemand einen preußischen Helm verkaufen wolle. Als sich niemand dafür hergab, entschwand er und ward nie mehr gesehen. 51

Daniel Stölklen kann sich glücklich preisen, daß er in Weimar seine Diäten verzehren durfte und sich nicht in unserem Lager sehen zu lassen brauchte, auf mich hat kaum etwas so verbitternd gewirkt, wie seine Äußerungen. Auch das amerikanische Rote+ lernten wir im Winter 19/20 kennen. Es sollte in Sibirien ein Lazarett einrichten. Mit vielen Phrasen von Unterstützung der Kriegsgefangenen fragten sie einmal bei uns an, ob sich nicht welche von uns als Arbeiter, Handwerker, Techniker oder Pflegepersonal für die geplanten Lazarette (in Ischim, Petropawlosk, Omsk und Novo Nikolajewsk) melden wollten. Als Monatslohn für einen Kriegsgefangenen boten sie 50 Rubel, in einer Zeit, wo man bei den Russen das 20 – 50fache bekam, als Wohnung Eisenbahnwagen, und als besondere Bedingung verlangten Heft 2 - 18

sie, daß man die sibirischen Krankheiten (Flecktyphus, Cholera und Bauchtyphus) erfolgreich überstanden habe, da die Lazarette im Seuchengebiet lagen. Unsere Not war so groß, daß einzelne sich zu diesen menschenfreundlichen Bedingungen meldeten - trotz unserem in der Nationalversammlung festgestelltem Wohlergehen – 52

Glücklicherweise aber kamen vorher die Bolschewiken und setzten die amerikanischen Menschenfreunde an die Luft. Und auch eine der allerletzten Erinnerungen ist wieder mit einem Amerikaner der Young Men Christian Association verknüpft. Als wir Ende September 1920 in Finnland auf die “Ceuta“ verladen wurden, fanden wir ihn dort vor. Seine Tätigkeit bestand darin, daß er Reklamepostkarten verteilte und vielleicht 2 x am Tage mit einem Kump voll Schokolade über das Schiff ging, erst die Begehrlichkeiten der Menschen anstachelte und dann allen, die zu ihm kamen, ein Stück gab. Und das waren die meisten. Und wenn ihn gar einer englisch anquatschte, bekam er sogar einen Apfel. Im übrigen ließ er sich die Kajütenverpflegung und das Leben in dem für uns verbotenen vornehmen Teil des Schiffes recht gut bekommen. Nach dieser Abschweifung, die sich für mich zwanglos an den Namen Wilson anschließt, zurück zum Jahr 1918. Das Wilson´sche Programm war uns natürlich wohlbekannt, da wir seit 1917 viel englische Zeitungen gelesen hatten. Doch wie schon so oft, wollte man das mit dem Verstande erfaßte nicht in vollem Maße anerkennen, 53

22.3.22

und machte sich auch manche falsche Vorstellung. Als Max von Baden und Scheidemann auf der Bildfläche erschienen, sagte man sich, verständlich ist uns das nicht, aber es ist doch kein Zweifel, daß man in solcher Zeit nur die allertüchtigsten und vertrauenswürdigsten Männer an die Spitze stellte. Und so versuchte man immer wieder, in irgend eine Selbsttäuschung um die 14 Punkte5 herum zukommen, bis auch wir vom Ende erfuhren. Doch nach dieser außenpolitischen Einleitung noch einiges über unser Leben und Treiben während jener Zeit. Schon bald nach unserem 2. Einzug ins Lager am 30.6.18. war ich mir darüber klar, daß es nach diesem Zusammenbruch unserer Hoffnung, sehr bald heimzukommen, nur ein Mittel gab, um über die Zeit und alles Nachdenken hinwegzukommen, Arbeit und Beschäftigung. Doch das Arbeiten war nicht so einfach. Einmal wegen der im Juli und August kaum erträglichen Hitze. Dann wegen meines verletzten Knies, das mich immer noch an die Pritsche fesselte. Zwar war ich glücklicher Besitzer eines Strohsackes, aber da er mehr Häcksel als Stroh enthielt, war er auch keine ideale Lagerstätte. 54

Dazu kam, daß ich auf meinem Platz nicht im Liegen lesen konnte, da die Füße der Fensterseite zugekehrt waren, sodaß ich ins Licht hineinsehen mußte. Mich umkehren konnte ich nicht, da mir dann bei jedem Auf und absteigen des über mir Wohnenden Dreck und Staub ins Gesicht gerieselt wäre. Es blieb also als einzige Stellung das Sitzen mit ausgestreckten Beinen, das auf die Dauer nicht erträglich ist. Trotzdem versuchte ich es immer wieder und brachte es auch zu einer gewissen Übung darin. Im Steinlager, wo die Österreicher hausten, war eine Tischlerei unter Leitung eines österreichischen Offiziers, eines Salzburger Architekten, Gappert. Ihn suchte ich einmal auf, als ich auf ärztliche Verordnung ins Dampfbad geschickt wurde, und bat ihn, mir nach meinen Angaben ein niedriges flaches Tischchen zu machen, das ich bei Tage über mein Bein und den Strohsack stellte, und so konnte ich, auf meiner Pritsche sitzend, lesen und schreiben. Die paar Bücher und Hefte, die ich noch hatte, hatten mir die Tschechen glücklicherweise gelassen, 55

auch sonst war allerlei im Lager vorhanden, sodaß man allmählich wieder in geregeltes Arbeiten hineinkam. Zunächst stürzte sich alles mit Feuereifer auf die russische Sprache. 5 Präsident Wilsons 14 Punkte für eine Friedensordnung (Januar 1918)

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Bei unserer mißglückten Heimreise hatte man erfahren, daß russische Sprachkenntnisse sehr wertvoll sein konnten, und so tauchten überall russische Zirkel auf, die zwar meist sehr bald kleiner wurden, aber einzelne, die damals anfingen, brachten es in kurzer Zeit zu recht guten Erfolgen. Ich fing auch mit dem großen Gaspag-Sauer an, mußte aber nach einigen Wochen aufhören, da ich ihn nicht mehr geliehen bekam und versuchte es dann nach der mir nicht sehr sympathischen Methode Toussaint-Langenscheid und kam etwa bis zum 9. oder 10. Brief. Daneben nahm ich auch an einem Kursus nach Berlitz teil. Außer dieser russischen Nebenarbeit trieb ich allerlei fachliche Studien, arbeitete verschiedene Bücher durch, und entwarf ein Bootshaus für einen Berliner Segelklub am Wannsee. 3 Interessenten aus unserer Gruppe (Meyer, Krämer und La Baume) von denen die beiden letzten ein eigenes Segelboot besaßen, baten mich darum, und wir hatten viel Freude an dem vollkommen utopischen Pläneschmieden. 56

Schließlich gelang es mir noch, den obengenannten Krämer, der eine außergewöhnlich große Lehrbefähigung für technischen Stoff besaß, für eine kleine Einführung in den Maschinenbau zu gewinnen, zunächst für mich alleine, aber bald sammelte sich ein immer größerer Zuhörerkreis um uns an, da viele der jungen Ingenieure eine derartig gute Einleitung in ihr Fach sich nicht entgehen lassen wollten. Erschwerend auf die Arbeit wirkte auch, daß man in immer stärkerem Maße gezwungen war, arbeiten wie Wäschewaschen und Flicken selbst zu übernehmen, eine sehr üble Zugabe. Zumal das Flicken nahm immer mehr Zeit in Anspruch, da die Sachen immer mehr zerfielen. Für den Winter nähte ich mir eine ganze Ausrüstung. Aus meiner Wattedecke schnitt ich ein großes Stück heraus, und nähte daraus ein paar Handschuhe und eine Mütze. Und aus Filz und Fußlappen nähte ich mir ein Paar Winterschuhe, die mir sehr gute Dienste leisteten. Mit der Gewißheit wieder einen Winter in Sibirien zu verbringen, hatte man sich abgefunden, und richtete sich nach Möglichkeit auf ihn ein. Dazu gehörte vor allem auch, daß man die Baracken in Stand 57

setzte, alle Risse und Löcher verstopfte und neue Öfen einbaute. Für mich war die wichtigste Neuerwerbung für den Winter ein Lehnstuhl. Das Sitzen auf der Pritsche wurde, je länger desto unerträglicher, man war auch zu weit vom Fenster entfernt, und als im September sich die Möglichkeit ergab, Bretter zu besorgen, ging ich mit W. Hartmann auch einmal auf Raub aus. Man mußte nur unverschämt am Posten vorbeigehen und so tun, als ob man auf Arbeit kommandiert sei, und dann mit den im Sommerlager aus alten Schuppen herausgebrochenen Brettern in aller Ruhe und am hellen Tage wieder am Posten vorbei ins Lager zurückkommen, dann hatte man schon Aussicht, ungeschoren durchzukommen. Das sicherste Mittel aber war, eine ganze Mannschaft zusammenzustellen, die mit einem großen Handkarren auf Raub auszog. Die besorgten Bretter wurden nach sorgfältiger Berechnung zersägt, gehobelt und zu einem praktischen Lehnstuhl zusammengenagelt. (dem 3., den ich mir in Sibirien machte). Die Armlehnen konnte ich verlängern und auf sie mein niedriges Pritschentischchen aufsetzen, sodaß ich wie in einem festen Kinderstuhl saß. Vervollständigt wurde das Möbel noch durch einen einfachen Schemel, auf den ich mein rechtes Bein legte. 58

Ein großer Gewinn für uns war der Mitte September erfolgte Zuzug der Österreicher, die bis dahin im Steinlager gelegen hatten, und nun (etwa 500 österreichische und ungarische, ca. 10 türkische Offiziere und einige hundert Mannschaften) in unsere Erdbaracken kamen. Sie hatten nicht die so tief niederdrückenden Erlebnisse der mißglückten Heimfahrt gehabt, waren materiell besser gestellt als wir, da sie nicht ausgeraubt worden waren und schließlich fanden sie sich meist viel leichter mit den Meldungen aus Europa ab. Gleich nach ihrem Eintreffen richteten sie eine Baracke als Heft 2 - 20

Kaffeehaus ein. Dann gingen sie mit großem Eifer an die Einrichtung eines Theaters, und schließlich bauten sie das bei uns noch in den Anfängen steckende Unternehmen der Kurse und Vorträge aus. Das Kaffeehaus war uns sehr viel wert, man kam doch mal aus der Umgebung der Baracke, in der man 24 Stunden am Tage hockte, heraus, sah mal vorübergehend keine Waschschüssel, Eimer, zum Trocknen aufgehängte Strümpfe und all die Gesichter, die einen z.T. Schon seit 1915 begleiteten. Man bekam einen schlechten Kaffee, aber einen sehr 59

guten Kuchen (oder vielmehr eine „Mölspeis“, wie der Fachausdruck lautete.) 18 wollte ich nicht viel vom Kaffeehaus wissen, lernte es aber 19 und 20 immer mehr schätzen. Das Theater konnte vorläufig noch nicht eröffnet werden, da die dazu bestimmte Baracke erst von Grund auf umgebaut werden mußte, doch auch ihm stand die Mehrzahl der Reichsdeutschen zunächst skeptisch gegenüber, ja vorübergehend wurde es von den meisten gänzlich abgelehnt, als im November der Zusammenbruch kam. Als die Eröffnungsvorstellung stattfand, war ich schon im Lazarett, darum später mehr darüber. Auch von den großen Kursen, die in der hierfür eingerichteten Turn- Lern -LeseBaracke stattfanden, hatte ich nicht mehr viel, sondern hörte nur die 2 ersten Vorträge des Wiener Rechtsanwaltes, Oberleutnant Dr. Schönhoff, über Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Auch darüber später. All diese Anfänge einer Möglichkeit, ohne Schädigung über den Winter hinzukommen – auch eine Kunstausstellung sollte stattfinden, ich konnte aber nur an der 1. Sitzung des vorbereitenden Ausschusses teilnehmen – gedieh für mich nicht weit, da ich plötzlich krank wurde. Eines Nachmittags bekam ich ziemliche 60

Schmerzen in der Magengegend, die ich zunächst auf zu reichlichen Genuß frischen Brotes zurückführte. Unser Brot, aus dunklem Mehl, war klitschig und schwer bekömmlich, aber es schmeckte ganz gut, wenn man es aß, so lange es noch warm vom Backofen war. Und das besorgten wir immer gründlich. Auffallend war mir nur, daß die Schmerzen nicht gleichmäßig, sondern krampfartig waren. Am nächsten Morgen, es war der 18.10.18., war es so schlimm, daß ich unsern Lagerarzt Dr. Bauer bitten lassen mußte, zu mir zu kommen. Er gab mir zunächst Opium, als das die Schmerzen nicht linderte, ordnete er meine Überführung ins Lazarett an. Die Leichtkranken waren bis dahin im Holzlazarett (in unserem Erdbarackenlager) untergebracht, die Schwerkranken (wir hatten gerade eine kleine Typhusepedimie im Lager) im Steinlazarett, dem russischen Garnisonslazarett in dem früher von den Österreichern bewohnten Steinlager, ¼ Stunde von unserm Lager entfernt. Das Holzlazarett war wohl überfüllt, jedenfalls karrte man mich ins Steinlazarett. 61 26.3.22

Im Lazarett steckte mich der Arzt (Dr. Schmuckler) sofort in ein warmes Wannenbad, und das tat mir sehr wohl, die Schmerzen ließen nach, und als man mich dann in ein Bett packte mit 2 - 17 Decken, kam eine angenehme Wärme und Müdigkeit über mich, obgleich ich noch 39,80 Fieber hatte. Die heftigen und kaum erträglichen Schmerzen waren damit zunächst erledigt, was blieb und erst allmählich verschwand, ließ sich überwinden. Über die Art der Krankheit waren sich 3 Ärzte (unser Lagerarzt Dr. Bauer, der Lazarettarzt Dr. Schmuckler und sein Gehilfe, der ungarische „Mediziner“ [entspricht dem deutschen Medizinalpraktikanten] Grünbaum) nicht einig, obgleich sie des öfteren meinen Bauch nach allen Richtungen hin abkneteten, wobei sie allerdings behaupteten, ich hätte ein selten dickes Fell, durch das man nicht hindurch fühlen könne. Wahrscheinlich seien es Blasen- oder Nierensteine oder Gries. Jedenfalls ist durch Wärme und allerlei gerade zu ekelhaften Tränke (ich glaube es war kohlensaures Litium) das Leiden im Verlauf 62

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eines ¼ Jahres restlos verschwunden und hat weder die von Dr. S. empfohlene Kur in Wildungen, noch die von Dr. B. empfohlene Operation bei einem Spezialarzt nötig gemacht. Auf meinem Invalidenschein war sie als Nephrolithiasis angeführt. In dem Zimmer, in dem man mich unterbrachte, lagen außer mir etwa 6 Typhuskranke, die aber schon alle auf dem Wege zur Besserung waren. Einige wurden bald darauf entlassen und durch frische ersetzt. Ich kannte nur einen davon, einen jungen Leutnant Limbach vom I.R. 97, zu dem ich mancherlei Beziehungen hatte, da er aus Herford stammte, wo er das Lehrerseminar besuchte, dann als Kriegsfreiwilliger in Bielefeld beim Rekrutenbatallion I.R.131 ausgebildet wurde, dann ins Feld zum ⅩⅪ. A.K. (IR 97) kam, und vieles erlebte, wo auch wir 137 dabei waren. So war er am 25. Februar 15. in die Stellung beim Gute Kalakowtschisma gekommen, als die 97.er unser durch die Kämpfe am Tage meiner Gefangennahme ziemlich mitgenommenes Bataillon ablösten. 63

In der ersten Zeit war ich noch riesig schlapp. Ich glaube 14 Tage habe ich ganz fest gelegen und so gut wie garnichts gegessen. Ich hätte das nie für möglich gehalten, daß ich so lange aushalten könne, ohne auch nur die geringste Eßlust zu verspüren. In einem Punkt sündigten wir allerdings alle: wenn man annehmen konnte, daß der Arzt nicht kam, wurden Zigaretten gereicht. Das 1. Aufstehen fiel mir sehr schwer, ich mußte richtig Gehversuche machen, was man aber gerne tat, denn sehr weich war das Lager nicht, Strohsäcke, ziemlich mangelhaft gestopft auf Brettern in einem eisernen Lattengestell. Und die langen Nächte waren furchtbar. Um 5 gab es den Abendtee, dann wurde es dunkel und mühsam hielt man sich bis gegen 7 wach, schlief ein und wurde mitten in der Nacht wach und konnte in keiner Stellung liegen, ich habe nie wieder so das Tageslicht herbeigesehnt, wie in jenen Tagen. Als ich wieder aufstehen konnte, half ich mir dadurch, daß ich stundenlang auf dem nächtlichen Korridor auf und abging (er war 76 m lang). Das Pflegepersonal waren auch Kriegsgefangene, im allgemeinen sehr ordentliche und hilfsbereite Leute. 64

Überhaupt denke ich in gewisser Beziehung gern an die Lazarettzeit zurück, sie war eine Abwechslung in dem Einerlei des Lagers, und ich lernte eine ganz andersartige Umgebung kennen, fast lauter Leute, mit denen ich recht gut auskam. 2 x am Tage war „Visite“ von Dr. Schmuckler, einem kleinen galizischen Juden, mit dem ich persönlich gute Erfahrungen machte, er schien etwas zu verstehen und war immer hilfsbereit. Sein Gehilfe war der Ungar Dr. Grünbaum, gleichfalls Jude. Sehr tüchtig in seinem Fach und ebenfalls sehr entgegenkommend und hilfsbereit, ganz besonders uns Deutschen gegenüber. Die Zustände im Lazarett - ich lernte das vor allem später kennen, als ich wieder aufstand, - sehr asiatisch. Die Reinlichkeit ließ sehr zu wünschen übrig, und Dr. Schmuckler war ein viel zu großer Waschlappen, um da durchzugreifen. Warmes Wasser gab es nur wenn die Küche Teewasser kochte. Also zwischen 8 - 9, mittags und nachm. 5 Uhr. Zu anderen Zeiten war keines zu bekommen. Ich erinnere mich, daß einem schwer Typhuskranken abends um 6 ein warmes Klystier verordnet wurde; das konnte erst am nächsten Morgen ausgeführt 65

werden, vorher gab es kein warmes Wasser. Daß die russischen Ärzte - der größte Teil des Lazaretts war mit Russen belegt und hatte russische Ärzte und Pfleger - sich hiermit abfanden, wunderte mich nicht weiter, aber daß auch die österreichischen Herren sich mit einem „Kannst halt nicht's machen“ abfanden, das habe ich bis zum letzten Tag nicht begreifen können, so gut es zu allem, was man von der Front hörte, paßte. Und es wäre etwas zu machen gewesen. Wir hatten vor unserer Entlassung 5 oder 7 Wochen nicht baden können, weil 8 von den 9 Wannen des Lazaretts noch nicht wieder desinfiziert waren und die Badestube voll von zerlumpten Kleidungsstücken Flecktyphus kranker Russen lagen und die 9. für das Personal reserviert war. Unsere täglichen Bitten bei den österreichischen Heft 2 - 22

Ärzten blieben erfolglos, sie vertrösteten uns und schoben die Schuld auf die Russen. Schließlich riß mir und einem deutschen Kameraden die Geduld, wir gaben es auf, auf dem vorgeschriebenen und nächstliegenden Instanzenweg etwas zu erreichen, lauerten dem 66

das Lazarett verwaltenden russischen Offizier auf, machten ihm ziemlich deutlich klar, was hier für eine Schweinerei herrsche, worauf er sehr verwundert sagte, das habe er gar nicht gewußt und nach 24 Stunden waren nicht nur die Stuben gesäubert, sondern auch schon 30 Kranke gebadet, und konnten entlassen werden. Doch dies vorweg. Ein Vorteil des Aufenthaltes im Lazarett war, daß wir nichts oder nur wenig vom Lagerklatsch hörten. Die Verhältnisse dort waren in mancher Beziehung übel. Der Leitung unserer Küche (Oberleutnant Vogelg'sang, einer der wenigen Österreicher in der deutschen Lagerhälfte) wurde von Leuten, die den ganzen Tag nichts besseres zu tun hatten, als argwöhnisch ihre Mitmenschen zu beobachten und sich überall übervorteilt zu fühlen, alle möglichen Vorwürfe gemacht, und bei der Enge des Barackenlebens konnte man im Lager derartigen unerfreuliche Debatten nicht aus dem Wege gehen. Auch eine andere Frage beschäftigte die Gemüter sehr, ob es richtig sei, in solchen Zeiten (Nachrichten aus Deutschland!) die Einrichtung des Theaters zu fördern. All derartiges Gerede blieb 67

uns erspart. Die Verbindung mit dem Lager war überhaupt sehr schwierig, nur ab und zu bekam man mal ein Briefchen. Um so größer war meine Freude, als Wilhelm Hartmann irgendwie Mittel und Wege gefunden hatte, mich zu besuchen, was natürlich streng verboten war. Sonst aber erfuhren wir wenig von der Außenwelt, und das war gut. Um so unvergeßlicher ist mir der 15. November. Ich durfte schon täglich etwas auf dem Korridor spazieren gehen. Ein österreichischer Sanitäter hatte eine russische Zeitung aufgegabelt und fragte mich, ob ich sie ihm übersetzen könnte. Ich nahm sie, und las die meisten Telegramme: Kaiser Wilhelm hatte abgedankt, ebenso der Kronprinz. Weiter kam ich nicht, denn so oft ich mir seit Wochen klargemacht hatte, daß es so kommen müsse, die Tatsache war doch zu niederdrückend. Mein Gesundheitszustand war damals schon so gut, daß ich bat, mich zu entlassen, etwas, was den österreichischen Ärzten unbegreiflich war, sie redeten immer zu, doch noch im „Spital“ zu bleiben und sahen im Aufenthalt im Lazarett einen großen Vorzug vorm Lagerleben. Das man als Gesunder 68

sich mit allen Fasern aus dem Lazarett heraus sehnte, das kam ihnen unbegreiflich vor. Doch noch war es nicht so weit, 2. Hälfte November bekam ich ganz plötzlich einen Rückfall, wieder die krampfartigen Schmerzen, nur noch heftiger als das 1. Mal. Sodaß mir der Arzt eine Mophiumeinspritzung gab. Die Schmerzen ließen etwas nach, doch richtig einschlafen konnte ich nicht und war 2 Nächte und einen Tag mächtig mitgenommen. Die Versuche, Medikamente oder Milch einzunehmen, waren erfolglos, nur die gewölbte Wärmflasche mit heißem Wasser tat mir gute Dienste. Ich hatte nämlich Glück, insofern ein russischer Beamter, der in der Nacht von einer Reise nach Charbin zurückkam, sich eine Badestube heizen ließ, um sich vom Reiseschmutz zu befreien, sodaß es ausnahmsweise nachts heißes Wasser gab. Doch mit diesem 2.Anfall war das Schlimmste überwunden, im Dezember hatte ich nur noch gelegentlich geringe Schmerzen, die später nie wiedergekehrt sind. Eine Nebenerscheinung, Stiche in der Lungengegend, die wohl vom vielen Liegen kamen, 69

sind auch restlos wieder verschwunden. Wie ich zu meiner Krankheit kam, ist mir rätselhaft geblieben, am wahrscheinlichsten scheint es mir, daß es eine Folge der jahrelangen falschen Ernährung war. Ich hatte 18 ein ganz besonderes starkes Verlangen nach Obst und frischem Gemüse, aber es gab immer nur Mehl oder Kartoffeln in irgend welcher Form. Ich erinnere Heft 2 - 23

mich, oft geträumt zu haben, daß ich mir das gewünschte Obst, Salate usw. heimlich und auf verbotenen Wegen beschaffte, so stark war das Verlangen. Im Jahre 18 wurde die Ernährung vorübergehend besser vor allem gab es viel frisches Gemüse, auch Beerenobst und 20 kam ich ja nach Hause, und eine Probe aufs Exempel zu machen, reizt mich nicht. Im November war ich meist wieder so weit auf dem Damm, daß ich meinen Nachbarn helfen konnte, und dazu bot sich viel Gelegenheit, da die Sanitäter natürlich nicht alles schafften, z.T. auch faul waren. Und ich tat es gern, da wir eine sehr angenehme Gesellschaft waren, die sich gut vertrug. Außer Leimbach und mir war noch ein deutscher Bergmann aus der Dortmunder Gegend da, der uns mit seinem trockenen Humor 70

viel Spaß machte, manchmal auch durch eingebildete Leiden etwas auf die Nerven fiel. Er hatte sehr schwer Typhus gehabt, und noch lange an Rückfällen und Folgeerscheinungen zu leiden. Dann kamen 2 neue Typhuskranke hinzu, von denen besonders einer sehr schwer krank war. Beides waren Ostfriesen, Matrosen vom Kreuzer Magdeburg, die ich sehr schätzen lernte. Unsere Matrosen hatten, mehr als die anderen Mannschaften, auf Ordnung und Sauberkeit gehalten, waren auch immer sehr fleißig gewesen und hatten allerlei Arbeiten und Sprachstudien getrieben. Dazu kam noch ein ungarischer, oder vielmehr slowakischer Waldwärter, Steviar, der in der Kultur noch wesentlich weiter zurück war, aber sonst ein ordentlicher Kerl war. Man verständigte sich am besten russisch mit ihm. Ich wollte ihm einmal eine Freude machen und erzählte ihm eine auftauchende Parole, wir sollten über Wladiwostok auf dem Seewege abtransportiert werden, aber erreichte nur das Gegenteil, er war tagelang traurig, und sagte mir schließlich er wolle dann lieber in 71

Sibirien bleiben, der Seeweg sei ihm zu gefährlich, da würden wir alle untergehen. Wie im Lazarett gearbeitet wurde, dafür noch ein Beispiel. Unser Heizer, ein Österreicher, war in dem Bemühen, sich Arbeit zu sparen, auf den schlauen Einfall gekommen, anstatt täglich nur jeden 2. Tag, dann aber die doppelte Anzahl von Holzscheiten, einzukacheln. Die Folge war, daß der Ofen derartig Wärme spuckte, daß wir die ganze Nacht (bei -200 R) den Lüftungsflügel offen lassen mußten und dabei meist unbedeckt da lagen. Und unmittelbar am Fenster lag mit hohem Fieber der Matrose. Erst auf mehrfache energische Beschwerde beim Arzt gelang es, dem Heizer sein sinniges Heizsystem abzugewöhnen. Als die zuletzt eingelieferte Typhuskranken, von denen einer unmittelbar neben mir lag, mit dem ich bei häufigen Hilfestellungen oft in engste Berührung kam, auch über die Krisis hinaus war, ordnete Dr. Schmuckler an, daß wir getrennt würden, damit ich als einziger, der den Typhus nicht gehabt hatte, nicht noch angesteckt wurde, eine 72

Maßnahme, die so sinnig war, wie vieles in diesem Meisterkrankenhaus. Ende November oder Anfang Dezember wurde das Holzlazarett in unserm Lager geräumt, um gründlich gesäubert und ausgebessert zu werden; die darin liegenden Kranken kamen ins Steinlazarett, so auch 6 – 8 Deutsche und öst.ung. Offiziere, doch vorläufig merkten wir wenig von ihnen, da sie in einem anderen Flügel lagen, nur wenn ich mit Leimbach meine Abend oder Nachtspaziergänge machte, sahen wir uns flüchtig. Doch Dr. Bauer, der Lagerarzt, der auch über dem Lazarett schwebte, ordnete zu meinem größten Ärger an, daß Offiziere und Mannschaften getrennt werden sollten, und so mußte ich nach vergeblichem Widerstand meine mir lieb gewordene Umgebung verlassen und umziehen. In der neuen Umgebung gefiel es mir längst nicht so gut. Ich war kurz vor der Entlassung und auch die anderen waren kaum oder nur zeitweise (Malaria) krank. Sie gehörten, vor allem die 4 Österreicher und Ungarn, zu denen, die die fixe Idee hatten, sie müßten den Winter in einem Lazarett zubringen. So war es in unserm Zimmer immer recht laut und was man zu hören bekam war 73

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nicht immer interessant und angenehm. Ich suchte mir dadurch zu helfen, daß ich große Teile der Tage und Nächte spazierengehenderweise auf dem Korridor zubrachte, und außerdem nach dem Abendbrot regelmäßig 1-2 Stunden bei meinen früheren Stubengenossen saß, die dafür sehr dankbar waren. Denn sie waren – 3 noch ziemlich kranke Deutsche – in ein großes Zimmer gekommen, wo sie mit etwa 20 – 30 Mann des österreichisch-ungarischen Völkerchaos zusammen lagen, die fast alle das Lazarett nur benutzten, um gut über den Winter zu kommen. Im Bett lagen sie nur so lange, bis der Arzt dagewesen war, dann standen sie auf, setzten einen Stinkhaken in Brand und rauchten den furchtbarsten Dreck. Hier gegen an zu kämpfen, war erfolglos, da man von den Sanitätern nicht unterstützt wurde; das Einzige, was ich erreichte, war, daß ich, ohne zu fragen, selbst die Lüftungsklappen öffnete, sowie ich den Rücken kehrte, machten sie sie wieder zu und sagten allerlei Schmeicheleien über mich. Noch schlimmer als das Rauchen war beinahe das endlose Gequatsche vom Morgen bis in die Nacht, besonders da sie sich in 74

unverständlichen Sprachen unterhielten, hauptsächlich in dem auf die Nerven gehenden Ungarisch, das erfahrungsgemäß nur laut und aufdringlich gesprochen wird. Unter diesen widrigen Umständen konnte ich meinen Landsleute etwas über die Zeit hinweghelfen, und habe es gern getan, da alle drei ordentliche Leute waren, die mit offenen Augen und strebsam durch die Welt gegangen waren und sich schon mit allerlei Erfahrungen und Erlebnissen herumgeschlagen hatten, die dem „weltfremden Akademiker“ unbekannt waren. Besonders einen gewann ich lieb (Bomgaarden), einen Fischer und Matrosen aus einem Dorf an der Nordseeküste unweit von Emden (Greetsiel), der noch mit bösen Rückfällen zu kämpfen hatte, die seinem Herz schwer zusetzten. 31.1.22

In der 1. Dezemberwoche bekamen wir neue Gäste ins Lazarett. Ein größerer Transport von gefangenen Bolschewiken – aus den Kämpfen im Herbst an der Uralfront – war in Kansk gelandet. Sie waren 8 Wochen in den Eisenbahnwagen gewesen, vom Ural bis in die Mandschurei und wieder zurück bis Mittelsibirien - russische Organisation! 75

gefahren, und nirgends hatte man sie aufgenommen. Schließlich wurden sie in Kansk ausgeladen, im leichten Trabe von den Kosaken durch die Stadt bis in die Erdbaracken vor unserm Lager getrieben. (Es waren dies die 6 Baracken, in denen wir im April und Mai bei unserm 1. Kansker Aufenthalt gelegen hatten, und die besonders eingezäunt waren. Den Zaun hatten wir 1 x verheizt, er war aber neu aufgerichtet worden). Ihnen ging es natürlich sehr dreckig. Verlaust und zerlumpt, von ihren eigenen Landsleuten beraubt und geplündert, saßen sie nun ohne Wäsche, ohne Seife, ohne nennenswerte Holzmengen zum Heizen in den Baracken. Viele wurden krank. Aber die eigenen Ärzte kümmerten sich nicht um sie. Um so höher war es anzuerkennen, daß die österreichischen Ärzte sich nicht nur der Ansteckungsgefahr -Flecktyphus - aussetzten, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit in Kauf nahmen, als Bolschewikenfreunde zu gelten, was u.U. Noch lebensgefährlicher als der Flecktyphus war. Dr. Friedländer, der die österreichische Lagerhälfte behandelte, und sich im ganzen Lager als Mensch und als Arzt unbeschränkter Hochachtung erfreute, 76

übernahm es, die am schlimmsten Erkrankten auszumustern, Dr. Bauer, dem ich das garnicht zugetraut hatte, nahm sie im Lazarett in Empfang, wohin sie aber erst nach Einbruch der Dunkelheit kamen. (Ob man die Transporte verheimlichen mußte? Jedenfalls war es auffallend, daß sie immer im Dunkeln geschickt wurden.) Und im Lazarett konnte man wieder die für die Russen beschämende Beobachtung machen, daß sich keiner – weder Ärzte noch Personal von den dazu Berufenen – um diese armen Kerle kümmerte. Sie wurden (bei etwa 300 Kälte) auf Schlitten angefahren, in Lumpen, verdreckt und verlaust. Unsere Kriegsgefangenen Sanitäter, die eigentlich nichts mit den Russen zu tun hatten, Heft 2 - 25

holten sie von den Schlitten und brachten sie zunächst einmal in die Badewanne, dann untersuchte sie Dr. Bauer und ordnete das Weitere an. Es waren z.T. Verwundete, deren Wunden sehr schlecht gepflegt waren, teils hatten sie erfrorene Füße, teils den Flecktyphus. Die russischen Schwestern ließen sich auch sehen, und waren schnell zu Tränen gerührt, als sie die Jammergestalten sahen, doch bald machten sie schon Witze 77

(das sollten „Rote“ sein! das wären ja schwarze!) und als Dr. Bauer sie aufforderte, mit an zufassen und die Leute zu baden, lehnten sie dies mit Entrüstung ab, dazu wären sie viel zu schmutzig. Dann sollten sie wenigstens helfen, die gebadeten zu verbinden, doch meinten sie, das habe Zeit bis morgen. Mit diesen Bolschewiken zogen auch Wachmannschaften ein. Auch wieder echt russisch, d.h. sinnlos, denn die armen Kerle waren so froh, daß sie im Lazarett waren, wo sie warm lagen, satt zu essen bekamen und anständig behandelt wurden; auch war es nicht sehr einladend, in der Lazarettkleidung in den sibirischen Winter zu entfliehen. Schließlich hätten die Posten das garnicht verhindern können, denn sie standen in den Gängen und bewachten nur die Türen; ob einer durchs Fenster ging, konnten sie garnicht beobachten. Die Posten waren für uns unangenehm, denn sie machten tüchtig Spektakel, besonders nachts, wenn sie sich balgten, oder, um nicht einzuschlafen, in ihren Nagelstiefeln auf und ab marschierten oder stundenlang eintönige Weisen leierten und mit den eisenbeschlagenen 78

Kolben den Takt dazu trommelten. So war es ganz angenehm, wenn sie, wie es öfter vorkam, zu uns ins warme Zimmer kamen, sich auf den Fußboden legten und pennten, bis sie abgelöst wurden, eine seit der russischen Revolution sehr beliebte Methode, den Unannehmlichkeiten des Postenstehens aus dem Wege zu gehen. Doch die Bitten, auf die im Krankenhaus liegenden Rücksicht zu nehmen, und still zu sein, waren fast regelmäßig erfolglos. Ein Vorteil dieser Einquartierung, namentlich für mich, war, daß man Gelegenheit hatte, etwas russisch zu quatschen. Ich nahm sie mit Eifer wahr, obgleich es immer Tabak kostete, der Anknüpfungspunkt war immer die Aufforderung, sich eine Zigarette zu drehen. Damals begann ich, so etwas in das Verständnis des gesprochenen Russisch hinein zu kommen. Interessanter als die Posten – meist Bauernburschen aus der Irkutsker Gegend – waren die Bolschewiken, die meist aus dem Gouv. Perm stammend, teils gewaltsam zum Dienst in der roten Armee eingezogen und so in Gefangenschaft geraten waren, teils als Arbeiter in den Munitionsfabriken von Tschechen und Russen fortgeschleppt wurden. Unter ihnen waren viele, die im Welt- und im Bürgerkrieg allerlei erlebt hatten, 79

3.4.22

unsere besonderen Freunde waren 3 etwa 14jährige Jungen, die auch mit fortgeschleppt und z.T. übel mit Kolbenstößen traktiert waren. Diese armen Kerle waren alle furchtbar heruntergekommen und taten für einiges Brot, alles, was man von ihnen verlangte, und das hatte auch seine Vorteile, da jetzt die faulen Arbeitsmannschaften (kriegsgefangene Österreicher und Ungarn) abgelöst und durch Bolschewiken ersetzt wurden, die wir mit Brot, Zucker und Tabak dahin brachten, daß sie Korridore usw. sauber fegten und reinhielten. Wie weit diese Leute durch das lange Hungern und viehische Behandlung gekommen waren, wurde uns schrecklich klar, als einer von ihnen seine Dankbarkeit für ein Kotelett dadurch ausdrücken wollte, daß er auf die Knie fiel, und versuchte dem Spender die Schuhe zu küssen. Doch auch sehr traurige Folgen hatte der Einzug der Bolschewisten, mit ihnen kam der Flecktyphus, der sehr bald einen der Sanitäter ergriff, die freiwillig Russen gebadet hatten; er kam in die Isolierabteilung und starb bald, 2 andere Kriegsgefangene 80

desgleichen. Nun war mit einem Male große Besorgnis im Lager, daß es zu einer Seuche Heft 2 - 26

kommen könnte. Keiner durfte aus dem Lazarett entlassen werden; um jeden Verkehr zwischen Lazarett und Lager unmöglich zu machen, wurde an dem Lagereingang neben den russischen Posten ein Gefangenen Posten aufgebaut, der darauf achten mußte, daß niemand aus dem Lazarett ins Lager kam. Wir im Lazarett konnten von Glück sagen, daß von uns keiner weiter angesteckt wurde, obgleich der gestorbene Sanitäter – ein ungarischer Postbeamter namens Marci – unsere Station unter sich gehabt hatte. Der einzige, der aus dem Lager – bei Anwendung aller vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln – zu uns kommen durfte, war der Feldprediger Wiese und ich war für seine Besuche immer sehr dankbar. Wenn ich ihn, namentlich als Prediger, nicht sehr schätzte, so empfand ich es doch als sehr wohltuend, daß er, unbekümmert um allerlei Gefahren und Erschwerungen, seine regelmäßigen Lazarettbesuche nie aussetzte, und alles tat, was er für die Kranken tun konnte. Und wenn das naturgemäß auch nicht viel war, so hat es mir doch sehr wohl getan, daß es einen gab, der uneigennützig für uns tätig war. 81

Denn bei allen Ärzten usw. hatte man immer den fatalen Eindruck, daß sie sehr ihren eigenen Vorteil dabei verfolgten, womit ich nicht leugnen will, daß sie aufopferungsvoll für uns arbeiteten. Aber man hatte häufig den Eindruck, daß sie Wert darauf legten, es nicht mit den Russen zu verderben, und darunter litt natürlich die Wahrnehmung unserer Interessen. Der eine wollte in der Stadt praktizieren, ein anderer interessierte sich für die russischen Schwestern usw. Und die beiden besten Ärzte, Dr. Friedländer und der Steiermärker Dr. Heiß – letzterer ein prachtvoller Grobian, der einzige nichtjüdische österr. Militärarzt, den ich kennen lernte – waren im Lager und hatten leider nichts mit uns zu tun. Die 4 russischen Schwestern, die ich kennen lernte, waren mir ein neuer Beweis, daß die Russen asiatisch sind. Zwar verstanden sie nichts von ihrem Handwerk, dafür ließen sie sich aber auch fast nie sehen. Als mein Matrose im Dezember seinen ersten schweren Herzanfall hatte - das Herz setzte immer aus, er bekam keine Luft, und ich fürchtete, er würde mir unter den Händen sterben, - ließ ich die „ӡеф nach феӡшуа“ 82

die Schwester vom Dienst, rufen, sie stellte sich aber derartig töricht an, - ich glaube sie wollte dem armen Kerl das Fieber messen, oder etwas ähnlich Überflüssiges, anstatt Hand anzulegen und ihm zu helfen - daß wir sie beiseite stellten, und uns ohne sie halfen. Es war allerdings die теразова, Terássowa, eine Dame, die ihre Unbegabtheit durch weiße Stöckelschuhe und ähnliche sachgemäße Kleidung zu ersetzen suchte, und sich bei russischem und Kriegsgefangenen Pflegepersonal einer großen Beliebtheit erfreute, weniger bei den Kranken. Eine, die Ҡоновалова, Konowalowa, flog zu meiner Zeit an die Luft wegen üblen Benimms, und das wollte etwas heißen. Eine andere, die mit dem russischen Feldscher besonders befreundet war, hatte die Küche unter sich, und täglich so viel Zucker unterschlagen, daß es selbst den Russen auffiel. Sie wurde daraufhin nicht etwa abgelöst, sondern es wurde nur ein neuer Posten geschaffen, für einen Russen, der die Küchenlieferungen usw. kontrollieren sollte. Ich erinnere mich, daß wir im Januar 150 Kranke und dazu 90 (neunzig) Personen Personal hatten, von denen 75 so gut wie garnichts taten, aber immer hin durch ihre Tätigkeit z.T. wieder weitere unterhielten. 83

Hier wie auch sonst in Rußland galt Stehlen vom Petroleum, Wäsche, Lebensmitteln, Holz usw. durchaus nicht als unehrenhaft, höchstens galt es als dumm, es so zu treiben, daß man dabei gefaßt wurde. Alle paar Wochen war eine Inventaraufnahme. Dabei wurde immer nur ein neues Inventar aufgenommen, nie das vorletzte mit dem letzten verglichen. Unter diesem Gesindel fiel angenehm die Schwester auf, die mal 14 Tage unsere Station hatte, Untascha Schaftschenko, eine kleine Ukrainerin, die doch Interesse für die Kranken hatte; sie kam nicht nur 2 x am Tage, um Fieber zu messen, sondern begleitete auch den Arzt bei der „Visite“, half sogar nachher noch beim Verbinden, Massieren und Heft 2 - 27

Füttern der Schwerkranken. Sie war auch später noch oft in unserem Zimmer zu Gast und wir haben uns immer gut mit ihr unterhalten. Auffallend schnell kam sie immer - gegen unsern Willen - auf politische Unterhaltung, und hatte sich - ähnlich wie viele gebildete Russen - die törichsten Schauermären aufbinden lassen. Z.B. Deutschland wolle den Krieg, um Rußland zu vernichten. Hierin wurde es unterstützt von den in Petersburg sehr 84

einflußreichen (!!) Deutsch-Russen, besonders von dem Ehrenmann (mit dem echt deutschen Namen!!?) Suchomlinow, der (um Deutschland einen Gefallen zu tun?) den Krieg mit Deutschland herbeiführte. Auch sonst gab sie sehr weise, sehr bestimmte, allgemeingültige von Journalisten geprägte Urteile und Verallgemeinerungen von sich. Und doch freute ich mich immer, wenn sie uns besuchte, denn ich konnte dabei allerlei russische Kenntnisse gewinnen, und außerdem war man für jede Abwechslung dankbar, auch wenn die nicht russisch Verstehenden knurrten, daß wir so viel russisch quatschten. Weihnachten rückte näher, aber an Entlassung war nicht zu denken wegen der Flecktyphusgefahr. Dabei waren wir 9 in unserem Zimmer eigentlich gesund. Nachm. am 24. fand eine kurze Andacht im großen Zimmer - von Wiese geschickt veranstaltet - statt, anschließend wurden die Gaben des Lagers verteilt, eine Unmenge von Kuchen der verschiedensten Sorten. Bei dem kümmerlichen Mehlbreileben bildete sich immer mehr die Gewohnheit heraus, zu den Festtagen für etwas abwechslungsreichere Kost zu sorgen, und vor allem mancherlei Kuchen zu backen, wir hatten doch nicht umsonst 85

die vielen Österreicher bei uns, die mit den lächerlichsten Hilfsmitteln die köstlichsten Kuchen backten. Von einer besonders beliebten Sorte wurde behauptet, die obere Schicht bestehe aus einem Aufguß von Zucker und Kaffeesatz. Doch noch viel mehr freute uns die Weihnachtsgabe unserer deutschen Küche, ½ ℔ (200 gr.) Butter, ½ ℔ frische Blutwurst und ½ ℔ frische Leberwurst, Kuchen und Wurst waren uns symbolisch für Wien und Potsdam, wobei wir allerdings in bewundernswertem Maße über die Fähigkeit verfügten, keines von beiden durch Geringschätzung zu kurz kommen zu lassen. Doch viel mehr als diese Gaben, die gleichmäßig auf Gerechte und Ungerechte kamen, freuten mich die persönlichen Geschenke meiner Tischgruppe, Briefe und allerlei selbst Gefertigtes usw. So hatte Anton einen feinen Leuchter mit verschiebbarem (Lam)Pensch(irm) gemacht, der „Professor“ einen Kasten gefertigt mit ornamentaler Inschrift ВІОΣ КАПНОΣ6, und einer Auswahl seiner Tabake und einem Pfeifenstopfer. Auch Wilhelm Hartmann hatte mir ein Päckchen „Amerikaner“ geschickt, alle hatten geschrieben, kurz mein „Nachtkasterl“ langte bei weitem nicht aus, obgleich mir mein Nachbar auch seine Hälfte dieses gemeinsamen Möbels eingeräumt hatte. Auf die verwegene Hoffnung, nach vielen Monaten mal wieder Nachrichten von zu Hause 86

zu bekommen, kam man nicht, weil es eben gänzlich außerhalb des Möglichen lag. Und wie die andern sibirischen Weihnachtstage ist mir auch dieser unvergeßlich, dieser besonders, weil ich mich mehr denn je aus meiner Umgebung heraussehnte. Denn diese war ja ganz ohne Neigung, ganz durch einen dummen Zufall zusammengefügt. Und doch konnte ich mich ihr nicht entziehen, umso mehr, als mein Platz, erleuchtet durch den feinen Leuchter, eine große Anziehungskraft ausübte, sodaß ich meist mit den mir „zuwideren“ Leuten zusammen sitzen mußte. Der ehemalige Feldwebel H. erzählte die dümmsten Geschichten aus seinem Manöver, ein anderer, gefangen erst 17, erzählte Kriegsgeschichten, die uns wenig interessierten, ich weiß schon garnicht mehr wie er hieß, obgleich er der Angenehmste der ganzen Gesellschaft war. (Er hieß Ewald unser Gerichtsbeamter in Sonnenfeld? nicht weit von Lichtenfels) Dann hatte ich noch einen österreichischen Kadett bei mir, aus Bozen, ganz armer Leute Kind, wohl schon vor seiner Geburt zum geistlichen 6 des Lebens Rauch Heft 2 - 28

Stand bestimmt und entsprechend auf einem richtigen Gymnasium erzogen und dann nach Abiturientenexamen ins Seminar nach Trient gesteckt. 87

Hier fand er auch die Kraft, nach einigen Monaten sich aus der Umwelt, in der er groß geworden, heraus zu reißen, und einen weltlichen Beruf zu erwählen, in dem er sich dann mit großen finanziellen Schwierigkeiten einarbeitete, bis der Krieg kam. Er konnte ganz gut italienisch, sodaß ich meine schon sehr verblaßten Kenntnisse auffrischen konnte. 1919 wurde er mit anderen Österreichern, die südlich des Brenner zu Hause waren, als „Italiener“ nach Hause geschickt. Von seinem Vorleben waren an ihm etwas „Kleines Mannes Benimm“ und etwas „Jesuiterei“ kleben geblieben, sodaß man ihm manchmal über den Schnabel fahren mußte. Und die eigenartigste Motte bei einer Weihnachtskerze war ein schwer zu beschreibender Gauner. Er gab sich aus als österreichischer Kadett – d.h. auf deutsch etwa Vizefeldwebel der Reserve. Stammte aus Galizien, hatte in Tschernowitz Schule und Universität besucht, war fanatischer Jude und Waffenstudent, gescheit und gewissenlos, sprach deutsch, russisch, ruthenisch, polnisch, ungarisch und konnte entsprechend unter allen Fahnen segeln. Seine Krankheit war simuliert, er war ins Lazarett gekommen, um seiner Verhaftung zu entgehen, die ihm drohte, weil er, wie man sagte, 88

6.4.22.

bolschewistische Propaganda getrieben, oder, einer sagte, sich der polnischnationalistischen Propaganda der polnischen Gesellschaft in Kansk widersetzt hatte. Anfang Februar wurde ihm der Boden zu heiß, er verschwand, und ich habe nie wieder von ihm gehört. Er war eine ganz üble Zugabe für unser Zimmer, denn keiner wußte so recht über ihn Bescheid und keiner traute ihm, sodaß man eigentlich kein offenes Wort mehr sagen konnte. In russischer Umgebung konnte man, zumal seit dem Bürgerkrieg, nie vorsichtig genug sein. Das System des „Bespitzelns“ hatten alle folgenden Regierungen vom Zentrum übernommen und weiter ausgebildet. Andererseits lag nichts Greifbares gegen ihn vor, und wir mußten ihn, wie er war, in Kauf nehmen. Da ich einmal in die Personalbeschreibung gekommen bin, will ich auch noch die anderen kurz erwähnen, mit denen ich diese sich so in die Länge ziehende Lazarettzeit verlebte. Der Angenehmste war ein Ungar namens Bartos (sprich Bartosch). Jude, deutsch erzogenen Elektrotechniker von Beruf mit sehr umfassender technischer und allgemeinen Bildung, war er sowohl der anständigste Jude als auch anständigste Ungar, den ich kennen lernte. Von der ungarischen Nationalkrankheit, einem lächerlichen Chauvinismus, 89

war natürlich auch er nicht frei, doch war mit ihm als gebildeter Mensch sehr gut auszukommen. Er litt auch, wie viele Österreicher und Ungarn, an der Einbildung, krank zu sein und den Winter im Lazarett zubringen zu müssen. Dann war noch ein Deutsch-Böhme, Fechner (Fichtner?), da. Lehrer von Beruf, wie alle Deutsch-Böhmen aus verständlichen Gründen, fanatischer Tschechenfeind, doch sehr optimistisch in dem Glauben, daß es seinen Landsleuten gelingen werde, sich kulturell gegen die Tschechenmehrheit durchzusetzen. Er war literarisch und musikalisch sehr interessiert, nur manchmal etwas sentimental und albern, was ihm natürlich tüchtige Anpflaumungen eintrug. Ich erinnere mich noch, daß er ein großer Gegner des Armee „dus“ war – in der öst. ung. Armee redeten sich alle gleichgestellten Offiziere und der Vorgesetzte den Untergebenen mit „Du“ an. - Er umging es aber nicht durch das naheliegende „Sie“ sondern redete einen gerne in der 3. Person an, z.B. „wollen Herr Petri mir mal das und das geben“: was natürlich von uns sofort mit Begeisterung aufgenommen und zu den unglaublichsten Redeblüten gesteigert wurde. 90

Schließlich waren noch zwei Deutsche da, ein schlesischer Kaufmann, sehr bewandert in allen Zweigen kaufmännischer Tätigkeit und Warenkunde, was mit unter sehr interessant war, und ein niederrheinischer Versicherungsbeamter aus einer Familie mit alter Heft 2 - 29

katholischer Kultur, außerdem als Lagereinkäufer sehr guter Kenner der russischen Sprache und auch russischer Familien, was mir besonders lehrreich war. Er sprach fließend mit den Russen, wobei ich viel lernte. In dieser bunten Gesellschaft verlebte ich also die Zeit von von Anfang Dezember 18 bis Anfang Februar 19. Zwischen Weihnachten und Neujahr gab es große Aufregung: eine Meuterei in der Garnison Kansk. Irgendwelche bolschewistischen Agitatoren hatten in einer Kompanie der russischen Rekruten Anhänger geworben, zettelten einen unglaublich törichten Aufruhr an, verschwanden, als die Sache brenzlich wurde. Die Meuterer, etwa 30 Mann hatten nachts einen Angriff auf das russische Offizierskasino unternommen, waren aber sehr schnell von einigen geistesgegenwärtigen und unerschrockenen Offizieren 91

zur Ruhe gebracht und eingesperrt worden. Und nun kamen große Untersuchungen, die Denunzierung blühte, und täglich wurden kleinere und größere Trupps von den Kosaken abgeführt und unweit unseres Lagers umgebracht. Es war eine schreckliche Zeit, besonders für die im Lager befindlichen, die von all dem gegen ihren Willen Notiz nehmen mußten. Wir im Lazarett setzten unsere Bemühungen, herauszukommen, fort. Doch sollten wir erst 3 Wochen in eine Quarantäne kommen, und dafür war kein Raum vorhanden. Es gab allerlei unerquickliche Auftritte mit dem Lagerarzt, dessen mangelhafter Energie wir es zuschrieben, daß die Quarantänestation nicht zustande kam. Die Russen standen allerdings auf dem Standpunkt, eine Quarantäne sei überflüssig, weil sie ihre Leute auch unmittelbar aus dem Lazarett in die Kasernen entließen. Schließlich gelang es aber doch, einen Riesenraum – der eigentlich als Speisesaal für mehrere Hundert Mann gebaut war und frei mitten auf dem Kasernenhof lag – dafür zu bekommen. 92

Mitte Januar siedelten wir dorthin über, und froren jämmerlich in dem garnicht warm zu kriegenden Raum. Glücklicherweise waren außer uns etwa 10 Offizieren auch noch 30 – 40 Mannschaften – teils entlassene Kranke, teils entlassene Arbeitsmannschaften in der Quarantänestation, und unter ihnen waren einige ganz gerissene Brüder, die es unter den größten Schwierigkeiten verstanden, immer wieder Holz zu stehlen, was bei der Nervosität der russischen Posten und Patrouillen, die im Dunkeln auf jede verdächtige Gestalt schossen, lebensgefährlich war. Dieser Aufenthalt war recht übel, vor allem durch die Kälte, dann durch mangelhafte Waschgelegenheit usw. Die Latrinen waren im Freien, nur durch einige seitliche Planken gegen Sicht geschützt, im übrigen der 30 – 400 betragender Kälte ungehindert Zutritt lassend. Dazu kam das laute Sprechen der Ungarn, das Singen von albernen und sentimentalen Liedern, das Rauchen von schrecklichem Tabak u.a. Trotz alledem hätte ich das schon ertragen, da man doch von vornherein mit einer begrenzten Zeit 93

(3Wochen waren vorgesehen) rechnete, und da läßt sich schon allerlei ertragen. Die andern aber schimpften Mord und Brand, so daß ich mich schließlich veranlaßt fühlte – jeder schimpfte, aber keiner wollte dem Übel mit eigener Person zu Leibe rücken – sowohl mit Dr. Bauer eine unangenehme Auseinandersetzung vorzunehmen, als auch eine Beschwerde an unseren deutschen Lagerältesten, Hauptmann Klein, vom Stapel zu lassen, und beides half, die größten Übel abzustellen. Nach etwa 10 Tagen war wieder eine Überraschung. Die Russen bekamen von außerhalb eine Menge Verwundete zugeschickt, im Lazarett kamen immer in 2 Betten 3 Kranke, und in unsere Quarantänestation einige Hundert. Für uns machte man 3 Zimmer in einer Kasernenwohnung frei, und hier brachten wir den Rest der Quarantänezeit zu, gepökelt wie die Heringe. Die Gänge zwischen den Betten waren etwa 30 cm breit, und einen Tisch konnten wir nur bei Tage aufstellen, nachdem wir 2 der Betten beiseite, d.h. auf die andern gepackt hatten. So hausten wir zu 12 oder 13 in einem Raum, es war eine Heft 2 - 30

ziemliche Zumutung und nur zu ertragen in der Aussicht, daß es nur für kurze Zeit war. 94

Ein Stunk blieb natürlich auch hier nicht aus, ich will davon erzählen, weil die ganze Geschichte so albern wie vieles in der Gefangenschaft war. Der von der Österreichern ziemlich geschnittene Galizier (Klam war sein Name) war eines Abends mit einem der Österreicher an einander geraten. Grund, einer fühlte sich von dem Zigarettenrauch des andern belästigt, warf ihm Rücksichtslosigkeit und dergl. vor; ich war nicht Zeuge der Angelegenheit, ich glaube, ich pennte schon. Der in seiner Studenten-Offiziers- und Mannesehre gekränkte Galizier bestand darauf, diesen Unsinn kommentgemäß aus der Welt zu schaffen und unter den lächerlichsten Umständen spielte sich ein vorschriftsmäßiger Ehrenhandel ab. Mir leuchtete ein, daß das an sich schon üble Zusammensein nur erträglich war, wenn jeder persönliche Stunk vermieden würde und so machte ich den Vermittler, so schwer es mir fiel, ernst dabei zu bleiben. Nach dem österreichischen Verfahren wählt jede Partei sich 2 Beauftragte, nun kann man sich vorstellen, wie wir verhandelten. Der Raum war so eng, daß man sich kaum rühren konnte. Da nun stets 3 oder 4 Herren 95

offiziell miteinander zu verhandeln hatten, mußten die andern unbeteiligten sich in der anderen Hälfte des Zimmers zusammendrängen, damit man ungestört diese wichtigen Dinge besprechen konnte. Doch das Unternehmen glückte und der Friede wurde wieder hergestellt. Eine Wohltat war, daß man außerhalb der Kaserne auf begrenztem Raum spazieren gehen konnte, allerdings nie lange, da es lausig kalt war. Zu unsern Stubengenossen gehörte auch ein deutscher Unteroffizier, der als Lazarettschlosser tätig gewesen war und jetzt ins Lager zurückkehrte. Er hieß Potthast und war Schlosser und Vorarbeiter in einer Waggonfabrik in Hannover und wohnte in Ricklingen, dem berüchtigten Vorort von H. Ich schätzte ihn etwas daneben, da er einen unaufrichtigen Blick hatte, kam aber sonst mit ihm gut aus, da er ein geschickter Mensch war und allerlei aus seinem Beruf, seiner Gewerkschaft, in der er auch eine Rolle spielte, und seinen Kriegserlebnissen zu erzählen wußte. Ich erinnere mich noch wie er staunte, als Bartos und ich ihm aus der Ausbildung und dem Beruf eines Ingenieurs erzählten, was so garnicht übereinstimmte mit dem Bilde, das er sich von unserem Dasein machte. 96

Da er verträglich, geschickt und hilfsbereit war, war er ein brauchbarer Stubengenosse. Mittlerweile rückte der 27. Januar heran, der bis dahin im Lager immer festlich und würdig begangen war, war doch der Stolz auf die Leistungen des Heeres und auf den Kaiser als dem obersten Kriegsherren eine der stärksten Rückhalte für uns gewesen. Mir widerstrebte es, dies Jahr den 27.1. sang und klanglos vorübergehen zu lassen, und ich regte daher an, den Tag im Rahmen des Möglichen zu feiern. Alle deutschen Herren stimmten mir zu, die öst.ung. erklärten, daß sie es begrüßten, nur blieb es wieder auf mir hängen, das nötige in die Hand zu nehmen, da alle sich drückten und sagte, ich als der Rangälteste müsse die Feier leiten. Dabei waren alle an Lebensjahren viel älter als ich und den Kommißstandpunkt hatten wir bisher doch noch nie betont, mir hatte es auch nie gelegen. Doch was half es. Zunächst sicherte ich mich, nahm den Uffz. Potthast beiseite, sagte ihm, was ich beabsichtigte, und forderte ihn auf, mir offen zu sagen, wie er als Sozialdemokrat über den Fall denke, und sich zu erkundigen, wie die Stimmung unter den Leuten sei, 97

da ich eine derartige Veranstaltung, der sich bei den engen Räumen niemand entziehen konnte, nur unternehmen wollte, wenn sie von niemanden als unangenehm empfunden wurde. Er erkundigte sich, und sagte mir, alle begrüßten es, da sie sich als deutsche Soldaten fühlten, und so trafen wir unsere Vorbereitungen. Wir 5 deutschen Offiziere besorgten Kaffee und luden alles geheim für den 27. abends ein. Wie wir den Platz schafften, weiß ich nicht, jedenfalls brachten wir etwa 30 Mann unter, und alles ging nach Heft 2 - 31

Wunsch. Ich hielt eine kleine Ansprache mit dem Thema, der Kaiser und sein Bestreben, im Sinne Friedrich des Großen dem Volke zu dienen, und ließ dann „Deutschland, Deutschland über alles“ singen. Wir saßen noch bis tief in die Nacht zusammen und es war ein Abend, der aus dem Einerlei sich abhob. Besonders gefiel es den Ungarn, die eine ungarische Dankrede hielten. Daß bei der bunt zusammengewürfelten Gesellschaft eine eigenartige Unterhaltung, und ein Singen zustande kam, das nicht immer mein Geschmack war, 98

setzte mich nicht weiter in Erstaunen, sondern paßte nur gut zu dem, was man als Einjähriger und Unteroffizier d. Res. in Friedenszeiten beim Kommiß erlebt hatte. Einen besonderen Spaß machte es mir in der Quarantänezeit - und auch schon vorher im Lazarett - nach den beiden Mahlzeiten des Tages die übrig gebliebenen Knochen und alle möglichen Fleischteile der fetten Suppen zu sammeln, - wir lebten im KoltschakSibirien, und da wurde mit einem male im Januar eine besondere Offiziersverpflegung eingeführt, vollkommen überflüssig, aber russisch, - und damit auf dem Hofe die Fütterung der Raubtiere vorzunehmen. Auf dem großen Müllhaufen trieben sich immer eine Menge Raben und Elstern herum, außerdem lungerte draußen eine große Zahl mehr oder weniger herrenloser Hunde. Diese waren aber derartig eingeschüchtert und mußten schon recht üble Erfahrungen mit den Menschen gemacht haben, sodaß sie bei meinem Erscheinen stets ausrissen, und wenn man ihnen Knochen zuwarf, so sausten sie weit weg und kamen erst wieder heran, wenn man den Rücken kehrte. Diese eingeschüchterten Hunde haben mir immer tiefen Eindruck gemacht und mit gezeigt, was man von der „Gutmütigkeit“ d 99

er Russen zu halten hat. Ich habe nie gesehen, daß ein Russe einen Hund anständig behandelte, dagegen oft, daß er sinnlos auf ihn einhieb, ihn mit kochendem Wasser begoß und dergl. Die Folge war, daß überall, wo es Gefangene gab, die Hunde sich zu ihnen hinzogen, wo sie doch „menschlich“ behandelt wurden. Im Lager gab es eine große Zahl gut gehaltener Hunde, die sich immer wieder den Gefangenen anschlossen. Wenn man in der Stadt Kansk war, kam es oft vor, daß irgend so ein Hund auftauchte, der sich einem anschloß und ins Lager folgte. Die Not im Winter 19/20 führte allerdings auch dazu, daß die Hunde geschlachtet wurden, da ihre Felle gute Mützen und ihr Fleisch guten Braten gaben, doch geschah das nie so gemein, wie bei den Russen, die die Hunde mit langen Stangen, an denen große Drahtschlingen saßen, fingen, und sie dann in der Schlinge zappelnd hinter sich her schleiften. Bezeichnend auch Folgendes: Ich ging mal am Lagerrand spazieren, ein russischer Bauer fährt auf seinem Schlitten vorbei, hielt an und sagt zu mir „Fang mir mal den Hund da, ich gebe dir so und so viel Rubel“ Ich: „Fang ihn doch selber!“ Er: „Vor mir reißt es aus, aber den Gefangenen traut er!“ Schließlich ging auch die Quarantänefrist zu Ende, ohne daß neue Erkrankungen vorgekommen wären. An einem Montag, ich glaube es war der 3. Februar wurden 100

wir entlassen, durften das russische Dampfbad aufsuchen und von da ins Lager zurückkehren. Unsere Freude war riesengroß. So sehr man oft das Lagerleben verwünscht hatte, als Kranker und auch als Gesunder in einem Lazarett zu liegen, war doch noch sehr viel übler, besonders wenn es ein so jämmerliches, russisches mit der Zugabe des Flecktyphus war. Vor allem aber freute man sich nach dem erzwungenen Zusammenliegen mit allen möglichen Leuten auf den Verkehr nach eigener Wahl, mit denen, die man seit Jahren kannte und nach vorübergehender Abwesenheit besonders schätzen gelernt hatte. Der Empfang war allerseits sehr herzlich, und es gab viel zu erzählen. An einem Abend gab ich in der Bücherei - am Ende unserer Baracke war in einem kleinen Zimmer die Bücherei untergebracht. Unser Tischgruppenältester „Anton“ war der seit Jahren bewährte Bücherwart, was für uns den großen Vorteil hatte, daß wir uns bei festlichen Gelegenheiten Heft 2 - 32

in der Bücherei treffen konnten und so etwas aus dem Baracken“Milieu“ herauskamen – eine große Kaffeegesellschaft, wozu ich vor allem den vielen im Lazarett 101

ersparten Zucker - es gab täglich 3 Stück - zur Verfügung stellen konnte: Wir saßen bis Lange nach Eintreten der Nachtruhe zusammen und ich genoß es, mich mal wieder in meinem Bekanntenkreise frei aussprechen zu können. Sehr entgegenkommend war die Theaterleitung, die uns aus dem Lazarett Entlassenen gute Plätze zu den damals gerade mit großer Begeisterung vor ständig ausverkauftem Hause gespielten „Grafen von Luxemburg“ zur Verfügung stellte. Ich kannte das Theater noch nicht, war aber erstaunt, was geschickte Leute aus einem kümmerlichen Raum, wie eine niedrige Erdbaracke ist, gemacht hatten. Dazu wurde fein gespielt, besonders das Orchester war hervorragend, kein Wunder bei den vielen Österreichern. Die letzten Bedenken verschwanden, als ich schon vor dem Hochgehen des Vorhangs die festliche Umgebung genoß, es war so gar nicht Alltag und graues langweiliges Lagerland, wie es sich in den Baracken darbot, sondern alles war anständig angezogen, froh gestimmt, der Raum einheitlich und gut eingerichtet. Und das Spiel ließ einen für lange Zeit vollkommen vergessen, wo man war, und ich wurde seitdem begeisterter Freund 102

des Theaters und ließ mir keine Vorstellung entgehen. Was mir sehr übel auffiel im Lager, war die dumpfe, feuchte Luft in der Baracke. Im Lazarett war man doch über der Erde gewesen und hatte volles Tageslicht gehabt, im Lager hatte ich wochenlang einen benebelten Kopf, bis ich mich wieder an das Leben in der Erdbaracke gewöhnt hatte. Dagegen war es sehr angenehm, daß ich mit einem mal ein sehr vermögender Mann geworden war. Denn im Lazarett hatte man nicht viel ausgeben können und außerdem freie Verpflegung gehabt. Als ich nun jetzt das Gehalt für die verflossenen Monate nachbezahlt bekam, war ich ein reicher Mann und wurde es noch mehr, als ich von Leo Petri – der in Omsk mit den andern Leuten vom Roten+ interniert war – 2 mal 100 Rubel geschickt bekam, die damals ein anständiges Vermögen waren. Nachdem ich mich wieder im Lager zurechtgefunden hatte, galt es wieder, den rechten modus vivendi zu finden. Als wesentliche Neuerung ist außer dem Theater vor allem das mittlerweile sehr gut ausgebaute 103

Vortragswesen zu erwähnen. In der Baracke 1, der „Turn- Lern- und Lesehalle fanden die vielseitigsten Kurse und Vorträge statt. Ich besuchte die vom ganzen Lager überlaufenen Vorträge des „Oberleutnant Dr. Schönhof“, eines Wiener Rechtsanwaltes, der über ein unglaubliches Wissen verfügte und mit großer Gewandtheit Einzelgebiete aus der Geschichte der Volkswirtschaftslehre behandelte. Der kritiklosen Bewunderung konnte ich mich nicht anschließen, fand vielmehr, daß er den Fehler hatte, daß er um irgendeine schöne Redensart anzubringen, es nicht immer sehr gewissenhaft mit der geschichtlichen Treue nahm und auch manches brachte, weil es den Zuhörern schmeichelte - z.B. Hiebe auf die Preußen und die Hohenzollern, ein ausgerechnet zu jener Zeit nicht sehr anständiges Verfahren -; und daß es vor allem im großen seine Vorträge (die manchmal 1 - 1½ Stunden dauerten) die straffe Gliederung und das zielbewußte Weiterführen des Zuhörers auf einem festen Wege vermissen ließen. So wußte man ein paar Tage nachher immer nur interessante Einzelheiten. Dann war er viel zu breit und hatte sich bei Plato viel zu lange aufgehalten, 104

7.4.22

sodaß er zu den für uns besonders interessanten Zeiten nicht mehr kam. Davon abgesehen, war es natürlich sehr lehrreich, dem Vortrage einer Unmenge interessanter Einzelheiten und Gedankengänge zu folgen. Außer diesem und anderen abendlichen Vorträgen beschäftigten mich verschiedene früher begonnene Arbeiten. Ich zeichnete an alten Entwürfen herum und schloß mich einem Heft 2 - 33

russischen Zirkel an, in dem wir zu 3. die Langenscheidt Briefe durchgingen, nicht in der ganzen Weitschweifigkeit dieser übergründlichen Methode. Lehrer war Gustav (Lichtenstein) der sehr gut und rein russisch sprach – seine Muttersprache war polnisch, und er hatte sehr fleißig russisch gearbeitet, sodaß er über sehr viel umfassendere Kenntnisse verfügte, als die vielen Empiriker, die sich im täglichen Gebrauch ein Kauderwelsch angewöhnt hatten. Sein Pech war, daß er sehr unentschlossen war, und so verschiedene Gelegenheiten, durchzubrennen, verpaßte. Ich glaube, es ist erst ¼ Jahr nach mir nach Deutschland gekommen. 105

Mein Mitschüler war mein Gruppenkamerad Krämer, der sehr tüchtige Maschinenbauer (Dampfturbinenkonstrukteur) bei der A.E.G. Der Unterricht fand in seiner Bude statt, und auch dies war für mich eine Neuerung. Mitten zwischen unseren Erdbaracken lag eine unbelegte Baracke, Nr. 28. Es dauerte natürlich nicht lange, bis die Plennis anfingen, sie im Innern, wo die Russen es nicht sahen, abzubauen, die Pritschen und der Fußboden daraus verschwanden. Dann kam einer auf den schlauen Gedanken, sich in der leeren Baracke einzubauen, andere folgten, und einige unternehmungslustige Leute zogen in den Winternächten auf Raub aus, besorgten sich Dielen und Bohlen und bauten sich kleine Buden in Nr. 28. Von unserer Gruppe beteiligten sich Krämer und Labaume daran, errichteten sich im Anschluß an schon bestehende Wohnungen einen Raum von etwa 2 m Breite und 3 m Länge aus einer doppelten Schicht von Bohlen, deren Zwischenraum mit Erde gefüllt war. Der Raum genügte um ein Bett, Arbeitstische für 2, außerdem Kleiderhaken, Bücherbretter, Ofen, Stühle und Schemel aufzunehmen. 106

2 Mann konnten bequem, ohne sich gegenseitig zu stören, darin arbeiten, bei Jausen oder bei Skat konnten 4 (oder auch 5) sitzen. Ein Hauptvorteil von der Baracke war (neben der Ruhe) die Wärme, denn dieser kleine Raum ließ sich großartig heizen, und die Helligkeit, da man viel näher am Fenster war, als in der Baracke. So nahm ich gern jede Gelegenheit wahr, zum russischen Unterricht zu Krämer zu kommen und mich so etwas vom Barackenbetrieb zu erholen. Einmal glückte es mir, einen Abend ganz allein darin zu zubringen, da beide Einwohner – von denen übrigens der eine nur tagsüber dort war – im Theater waren, und dieser Abend mit seiner himmlischen Ruhe ist mir unvergeßlich, ich malte mir als größtes Glück aus, mal über einen solchen Raum ganz allein und ungestört verfügen zu können, ein Gedanke, der damals allerdings frevelhafte Anmaßung war. In der Baracke war es in jener Zeit scheußlich ungemütlich, da das Holz (trotz der vielen nächtlichen Raubzüge bei 30-400 Kälte) nicht reichte und man meist 107

im Mantel arbeiten mußte. Weiter litt man sehr unter Geldnot. Das bezahlte Gehalt von 50 Rubeln und der Reichszuschuß von 20 R reichte natürlich bei der Teuerung nicht aus. Verbindungen mit Deutschland hatte man nicht, so wurde die Frage immer brennender: wie sollten wir uns helfen. Es wurde uns immer klarer, daß es nur ein wirksames Mittel gab, Arbeit. Es war natürlich nicht sehr verlockend für die Russen zu arbeiten, doch es gab keinen anderen Ausweg, und nachdem der Anfang gemacht war, entstand sehr schnell die den Rest des Jahres 1919 beherrschende Heimindustrie, die – in allen Lagern Sibiriens – ein großer Erfolg europäischer Leistungsfähigkeit gegenüber russisch-asiatischer Faulheit und Dummheit war. Bei der ganzen Heimarbeit ist zu berücksichtigen, daß wir so gut wie gar kein Werkzeug hatten, und daß oft allein das Beschaffen von Werkzeug und Rohstoffen eine Ausdauer und Findigkeit erforderlich machten, die man sich in Europa nicht vorstellen kann, wo man einfach in den nächsten Laden geht und sich das Erforderliche kauft. 108

Das Erstaunlichste war eine von dem hochbegabten Architekten Paul Müller gegründete Genossenschaft zur Herstellung von Schuhnägeln. Monatelang kamen sie aus Heft 2 - 34

dem Experimentieren nicht heraus, und verdienten infolgedessen so gut wie garnichts, bis es Müllers zähem Scharfsinn gelang, die Maschine, die bis auf ein Sägeblatt ganz im Lager von ihm oder nach seinen Angaben gebaut war, so zu vervollkommnen, daß die Fabrikation wirklich flott voranging, und da begannen sie reißende Geschäfte zu machen. Sämtliche sibirische und tschechische Truppenteile bezogen ihren großen Bedarf an Schuhspeilen aus dem Gefangenenlager, und brachten so eine Menge Geld ins Lager, denn sie bezahlten jeden Preis, der amerikanische Geldgeber konnte es ja. Weiter war sehr erschwerend, daß die überwiegende Mehrzahl von uns - im Gegensatz zu den Mannschaften - einen Beruf gelernt hatte, mit dem hier garnichts anzufangen war. So waren doch die großen Scharen der Lehrer, Juristen, aktive Offiziere, Post- und andere Beamte für Sibirien einfach unbrauchbar. Aber selbst die Männer aus praktischen Berufen konnten hier auch nur solche Arbeit finden, die nur entfernt 109

mit dem zu tun hatte, was sie gelernt hatten. Schließlich mußten wir doch alle - mit ganz wenigen Ausnahmen - im Gefangenenlager bleiben, und in dem Städtchen Kansk mit vielleicht 10000 Einwohnern gab es natürlich nicht Aufträge genug, um 1000 bis 2000 Gefangene zu ernähren, zumal die Russen sehr genügsam sind und sich selber gut zu helfen wissen. Und der Bahnverkehr ruhte fast ganz, bis auf den sehr regen militärischen. Und doch gelang die schwierige Aufgabe, und ich bin überzeugt, hätte man uns Kriegsgefangene in Sibirien gelassen, hätten wir keinerlei Möglichkeit gehabt, je wieder herauszukommen, so daß man gezwungen gewesen wäre, sich mit voller Energie und Anteilnahme in das russische Leben einzugliedern, wir wären in 10 Jahren die Herren des Landes gewesen. Doch der rote Blödsinn hat später alles nationalisiert, d.h. vernichtet. Doch jetzt erst zum Frühjahr 1919. Als erster Zweig entstand die Zigarettenindustrie. Zigaretten sind für den Russen vom höchsten bis zum allerletzten Lebensbedürfnis. 110

Ich erinnere mich, daß im Frühjahr 17 in einer größeren Stadt die Arbeiter als Errungenschaft der Revolution den 8 Stundentag in der Form durchsetzten, daß in jeder Stunde ¼ Stunde geraucht werden durfte. Und so war auch der landesübliche Brauch, Zigaretten bezog man früher aus Europäisch-Rußland - vor allem Südrußland - und aus China. Beides war unerreichbar. So wurde im Gefangenenlager Fabriken gegründet, in denen Hülsen geklebt, gestopft und verpackt wurden. Und hierbei wurde viel Geld verdient. Das leuchtete allen ein, und so begannen wir die Heimarbeit. Die Zigarettenindustrie beschäftigte die meisten Arbeiter, weil in ihr viel Geld verdient wurde, und viele ungelernte untergebracht werden konnten. Ältere und ungeschickte aktive Offiziere, Lehrer, Juristen u.s.w. drehten monatelang täglich ihre 500 und mehr Zigaretten. Daneben fanden auch die Maler und Buchdrucker – es kamen sehr anständige Firmenschilder als Holzschnitte in allen Farben heraus, die sich in Deutschland sehen lassen konnten - und die Buchbinder 111

Beschäftigung. Als Buchbinder arbeitete von unserer Gruppe Anton und der Professor, die Aufträge mit Zigarettenpackungen übernahmen, und durch eine die Nerven ziemlich anstrengende Kleisterarbeit in kurzer Zeit viel Geld verdienten. Schließlich fanden ihr Brot die Unternehmer, Agenten, Dolmetscher und Verkäufer, alles neue Typen. Als Unternehmer bewährte sich besonders - aber immer nur auf kurze Zeit, da er ständig sein Arbeitsgebiet wechselte - der Graf Montgelas, indessen Firma ich auch mein Geld steckte und arbeiten ließ, bis ich es selber brauchte. An den Anfängen der Zigarettenindustrie also hatte man eingesehen, daß Heimarbeit möglich war, ihre Notwendigkeit sah jeder ein, also ging man allgemein an die Suche nach Tätigkeit, die wenigen, die Beziehungen zu russischen Geschäftsleuten hatten, steckten ihre Fühler aus. Hauptmann Klein hob die Heimarbeit aus den Anfangsstadium der Individualwirtschaft auf eine Höhe, so man sich bemühte, jedem Arbeit zu schaffen, Heft 2 - 35

außerdem die Lagerverwaltung, Krankenpflege usw. sicherzustellen. Es wurde ein Heimarbeitsausschuß von 3 Mann gebildet, der alles in die Wege leiten sollte und sich erforderlichenfalls weiter und umbilden sollte. 112

Wir wählten einen Chemiker, Dr. Neil und Wilhelm Hartmann, der sich schon immer als großer Praktiker bewährt hatte, hinein. Der 1. Auftrag, den er für das Lager vermittelte, waren Tausende von eckigen und runden Schächtelchen für eine Apotheke, es wurden Gruppen gebildet, die die Aufträge übernahmen, Pappe lieferten die Russen. Dann die dazu gehörigem Schilder, teils in Schwarz- teils in Golddruck. Die Maler und Leichenz???? taten sich mit praktischen Leuten zusammen, besorgten hartes Holz und schnitten drauf los, bauten Druckerpressen und druckten. Das ist alles leicht gesagt, aber bei all den Verfahren mußte eine Menge praktischer Erfahrungen und Kniffe, teils auf Umwegen, teils durch Mißerfolge, gesammelt werden, denn all das, was man in Deutschland fertig kauft, mußte man sich hier selbst herstellen. Eine Druckerei, die von einem geschickten Oberlehrer geleitet wurde, hatte vor anderen das Geheimnis der Herstellung tiefschwarzer Druckerschwärze voraus, und so gab es mancherlei Erscheinungen aus dem gewerblichen Leben in Europa im Kleinen. Die Zentrale für Heimarbeit wurde immer mehr ausgebaut 113

und vermittelte viel Arbeit aller Art, sie richtete Werkstätten ein u.a. Wir, d.h.unsere Tischlerei, kamen mit ihr nur in Berührung, weil sie die 7 Pässe, die die Russen für die Heimarbeit ausgegeben hatten, und mit denen täglich 2 x 7 Herren in die Stadt zum Einund Verkauf gehen konnten, verwaltete und ausgab, und weil sie unserer Genossenschaft (der Tischler) auch gelegentlich Aufträge verschaffte. All die Arten der Heimarbeit aufzuzählen, ist mir unmöglich. Als die größten und beständigsten entwickelten sich die Zigarettenfabriken, Knopffabriken (Dreherei, Färberei, Poliererei), Lederfabriken (Ledertaschen jeder Art und Größe, später auch Damenschuhe) daneben gab es Färbereien, Fabriken von Schuhleisten, Blecheimern, Rechenmaschinen, Bürsten, Stiefelwichse, Kaffeeersatz. Neben der großen Masse der Lagerbewohner, die sich so von der Heimarbeit ernährten, gab es einzelne, die auch außerhalb des Lagers tätig waren, d.h. eigentlich waren dies sehr viele, denn die überwältigende Mehrheit der Mannschaften arbeitete teils 114

als Knecht bei Bauern, teils als Handwerker in der Stadt, teils als Burschen, Köche, Pferdepfleger usw. bei den Truppen (Russen und Tschechen, aber auch Amerikaner, Italiener). Doch wir Offiziere wohnten, wenigstens vorläufig noch alle im Lager, nur einzelne arbeiteten tagsüber in der Stadt, teils als Agenten und Einkäufer, teils als Apotheker, Kaufleute und Techniker. Und sie hatten zweifellos die interessanteste Arbeit, da sie aus dem Lager heraus und mit den Russen in Berührung kamen. Von unserer Gruppe fand Krämer, der sich durch seine umfangreichen technischen und durch seine (noch sehr theoretischen ) russisch Kenntnisse, auch gut dafür geeignet war, mehrere mal in der Woche Gelegenheit, in die Stadt zu gehen, wo er im Elektrizitätswerk allerlei in Ordnung bringen sollte, und außerdem das physikalische Laboratorium der Realschule einer gründlichen Instandsetzung unterzog. So erfuhr man auch allerlei interessantes. Das Laboratorium war in einem trostlosen Zustand, die Apparate waren sehr gut und vollzählig gewesen, in einer Reichhaltigkeit, wie sie z.T. unsere technischen Hochschulen nicht einmal haben, aber, wie alles Anständige, was man Asiaten in die Hände gibt, vollkommen versaut 115

--- NB sprichwörtlich war ja der Dreck der Russen, der z.B. bei der Marine die schnellsten, aus Deutschland bezogenen Torpedoboote usw. in wenigen Wochen ruinierte. - Also auch der Kansker Mathematikprofessor hatte alles verludern lassen, und hatte nicht einmal die nötigen Werkzeuge, sodaß Krämer sich bei uns alles mögliche zusammenpumpte, um in den Heft 2 - 36

Laboratorien Ordnung schaffen zu können. Seife und Handtücher hatte es natürlich auch nicht gegeben. In dem Hause des Mathematikprofessors, in dem er öfters sehr gastlich aufgenommen wurde, hatte es überhaupt nur 2 unversehrte Stühle gegeben. Wichtiger aber war die Bekanntschaft mit dem Direktor des Elektrizitätswerkes, einem gut gebildeten Russen namens Чевилев – Tschewiljoff – der eine Vereinigung von kaufmännischem und technischen Leiter und Unternehmer war. Er stand auch mit den wirtschaftlich führenden Männern (Russen und Ausländern) in Verbindung, sodaß wir durch Krämer, der öfter in dem wohlhabenden Hause bewirtet wurde, mancherlei hörten. Doch nun zur Sache. Besagter Tschewiljoff wollte verschiedene Tischler- u.a. Arbeiten 116

gemacht haben. Russische Handwerker arbeiteten fast nicht mehr, da das Geld immer wertloser wurde und sie sich besser durch die Landwirtschaft ernähren konnten, außerdem waren sie meist unzuverlässig. So wandte Tschewiljow sich an Krämer, mit der Bitte, die gewünschten Sachen im Lager in Auftrag zugeben. Krämer besprach die Aufträge mit mir, und da ihm daran lag, den Russen wirklich brauchbare Sachen zu liefern, bat er mich, ihm ein paar Bildchen zu machen, die den Bestellern vorgelegt werden und nachher den Handwerkern als Anhalt dienen sollten, und nachher die Ausführung zu überwachen. Ich wiederum besprach mich mit Wilhelm Hartmann und er war es, der auf den glänzenden Einfall kam: wir gründen eine Tischlerei auf diesen Auftrag hin. Und so geschah's. Unser Meister wurde Burggraf, der als Sohn eines Möbelfabrikanten und angehender Erbe des väterlichen Geschäftes vorschriftsmäßig als Tischler gelernt hatte und sein Handwerk aus dem ff verstand. Mitarbeiter waren außer Hartmann und mir La Baume, Dipl.Ing bei der Stadt Berlin – Bau der Untergrundbahn – und von jeher für praktische Fragen interessiert. 117

Geldgeber war ich, da ich, wie schon erwähnt, auffallend wohlhabend war. Schwierig war es, eine Werkstatt zu finden und Werkzeuge zu bekommen, doch schließlich gelang es einigermaßen. Die Werkzeuge kauften Burggraf und ich in der Stadt, teils alt, teils neu, und wir mußten viele Gänge machen, bis wir das nötigste zusammenhatten, besonders schwer fiel es, Sägen zu bekommen, die wir schließlich bei russischen Tischlern ergatterten. Als Werkstatt richteten wir eine im Bau halb liegen gebliebene Bude in der Baracke 28 her. (Es war hier wie so oft gegangen, die ersten, wagemutigsten hatten ihre Buden ungestört vollenden können, ohne daß die Russen etwas merkten. Als nun weitere Kreise das Unternehmen nachmachen wollten, kamen die Russen dahinter und verboten das Weiterbauen und Beziehen.) So eine liegen gebliebene Wohnung, die vorläufig für den Erbauer wertlos war, ließen wir uns für einige Wochen abtreten und richteten eine - sehr primitive und enge - Werkstatt ein. Da gab es zunächst viel Arbeit, um die Bude dicht zu kriegen und einen Ofen einzubauen. Dann machten wir Hobelbänke, kauften Holz 118 9.4.22

und richteten den Betrieb ein. Die erste Arbeit, die wir um schnell Geld zu verdienen, ausführten, war die Herstellung von Soldaten, die Tschewiljoff für seinen Jungen bestellt hatte. Er lieferte das Holz dazu, ich zeichnete Kosaken und russische Infanterie (Roß und Reiter etwa 20 cm groß) auf, die andern sägten sie aus, dann bekam ich sie wieder in die Mache und malte sie hübsch bunt nach Art des Dresdener Spielzeuges an, sodaß wir bald zwei Abteilungen abliefern konnten, von denen besonders die Kosaken sich sehr nett ausmachten. Ferner hatte Tschewiljoff Kleiderhaken, Handtuchhalter und einen Kinderschreibtisch bestellt, die alle nach Wunsch ausfielen. Außer Arbeiten für Kameraden im eigenen Lager machten wir noch einen großen Küchenschrank, eine Kommode, eine Drehbank, Rechenmaschienen und besserten noch eine alte Kommode aus. Letzteres war eine sehr knifflige Arbeit, die mir viel zu schaffen machte, da sehr viel kleinliche Zierformen daran waren. 119

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Außerdem mußte sie neu poliert werden. Mitte März begannen wir unsere Arbeiten, am 15. Juli machte ich Ferien und dann löste sich das Unternehmen aus den verschiedenen Gründen – keine Werkstatt, anderweitige Beschäftigung usw. – auf. Aber ich denke mit großer Freude an diese Zeit zurück, wo ich sehr viel lernte, was mir jetzt in der Berufsarbeit sehr zustatten kommt, und außerdem ist es ein unschätzbarer Vorteil, wenn man durch Kennenlernen eines Handwerkers ein Verständnis für diese im engsten Sinne des Wortes produktive Arbeit bekommt. Ich habe sehr bedauert, daß ich das nicht schon auf der Schule gelernt habe, und würde gern, wenn es möglich wäre, auch noch Schlosserei und Klempnerei lernen. Unsere Zusammenarbeit war von Anfang bis Ende vollkommen ungetrübt, und wir haben uns immer sehr fein vertragen. Und das war besonders bei Burggraf eine hoch anzuerkennende Leistung, denn gegen ihn waren wir alle 3 Stümper. Namentlich mir lagen die letzten Feinheiten nicht, es gibt bei der Tischlerei doch vieles, 120

was ein sehr feines und sicheres Auge verlangt, und vor allem Gefühl, das man sich wohl nur durch jahrelange Übung aneignen kann. Dabei ist es auch körperlich recht anstrengend, ich war abends meist sehr kaputt; bei meinen Versuchen, dann noch geistig zu arbeiten, kam nicht viel bei heraus, in der Schönhoff Vorlesung, der gerade sehr trocken über eine theoretische Frage – Nationalvermögen – sprach, bin ich einmal zum Gaudium meiner Umwelt eingeschlafen und fing an zu schnarchen. Diese Müdigkeit, oder vielmehr die Unfähigkeit, nach der Tagesarbeit noch geistig zu arbeiten, ist für mich auch ein Grund, weshalb ich nicht dauernd körperlich arbeiten möchte. Dabei ist gerade die Tischlerei ein besonders interessantes Handwerk, denn jedes Stück ist anders, und jedes will mit Überlegung angefaßt werden. Sehr viel hatten wir mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem hatten wir nie eine genügende Werkstatt. Die erste Bude mußten wir Anfang Mai räumen und arbeiteten dann in der offenen Baracke, die kein Fenster hatte. 121

Alles Holz, alle Werkzeuge mußten wir abends wegschließen, und vor allem war die feuchte Luft gänzlich ungeeignet für Tischlerarbeiten. Ich hatte damals die Kommode poliert, und es ist ein Wunder, daß es so gut ging. Wir versuchten, uns eine brauchbare Werkstatt einzurichten, brachen abends verschiedene Öfen (auf Latrinen und leerstehenden Baracken ) ab, schafften die Steine in Baracke 4 (neben dem Theater) wo auch so eine Kleinsiedlung entstand, und hatten gerade angefangen, die Mauern etwa 1-2 m hochzuführen, als die Russen dahinter kamen, maßlosen Krach schlugen und verlangten, daß wir die Öfen wieder aufbauten. Wir waren eben alle große Pechvögel. Wochenlang ließen wir es darauf ankommen, ob sie vielleicht den Befehl vergessen hätten, aber sie wurden unangenehm und schließlich habe ich mit Wilhelm Hartmann einen Riesigen Ofen mit allen Schikanen kunstgerecht aufgemauert, nur die äußere Schale, die inneren Züge ließen wir fort, eine Arbeit, in die wir uns glücklicherweise mit Humor hineinfanden, ebenso wie unsere Leidensgenossen, eine andere Heimarbeitsfirma (Theatertischlerei), 122

für die ein Sohn des Besitzers der Firma Günther Wagner (Beindorff gen. „Pelikan“), einen Ofen aufbaute, neben uns. Dieses Fehlen einer geeigneten Werkstatt mußte natürlich unser Unternehmen früher oder später, spätestens bei Einsetzen der kälteren Jahreszeit, zu Fall bringen. Der Verdienst war nicht so groß, wie bei andern Unternehmungen, weil wir eben keine Massenartikel herstellten, aber dafür hatten wir auch eine Arbeit, die ganz anders befriedigte, und die Einnahmen reichten doch aus, daß man sich anständig ernährte. Ich machte im heißen Juli Pause, weil ich bei der großen Hitze doch sehr das Bedürfnis nach Ruhe und Ausspannung hatte, und habe es nicht bereut, rechtzeitig aufgehört zu haben. Einer der Vorteile der Tischlerei war auch, daß ich durch Einkäufe, Verhandlungen mit den Kunden usw. des öfteren in der Stadt und mit Russen in Berührung kam. Besonders ein Sonntagvormittag bei der Familie Tschewiljoff ist da zu erwähnen, das Heft 2 - 38

einzige Mal, das ich bei gebildeten Russen zu Gaste war. Einige Tage vorher hatten La Baume und ich den fertigen Schreibtisch in die Stadt gebracht, wobei uns das 123

Pech zustieß, daß bei einer holperigen Stelle der Bücheraufsatz in hohem Bogen vom Schreibtisch und Wagen herunter sauste, sodaß ein zweiter Gang in die Stadt notwendig war, um den Schaden auszubessern und noch einige Verbesserungen anzubringen. W. Hartmann und ich gingen dazu – in weiser Berechnung an einen Sonntagvormittag – in die Stadt, erledigten unsere Arbeit und ließen uns dann zum Tee einladen. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, mal wieder (nach 4 Jahren) in einem anständigen Zimmer mit Teppich zu sitzen. Der Tisch war wunderbar gedeckt mit dem feinsten Leinen, es gab allerlei Leckerbissen, mit denen wir garnicht umzugehen wußten. So nahmen wir ein Gebäck todesmutig in die Hand, bissen herein und merkten, daß es Pasteten waren, auch sahen wir, daß der feine Mann flüssige Butter darüber goß und dann die Geschichte mit Messer und Gabel aß, was wir dann kleinlaut nachmachten. Den Tee süßten die Russen mit Honig. 124

Dieser Aufenthalt in einem anständigen Raum mit richtigen Möbeln, weißem Tischzeug usw. tat uns außerordentlich wohl, auch war es sehr anregend, sich einmal mit gebildeten Russen unterhalten zu können, was mir später eigentlich nie wieder möglich war, sodaß mein Russisch immer auf einer sehr barbarischen Stufe blieb. Doch ich bin in meinem Bericht über verschiedene Ereignisse hinweg geeilt und will noch nachholen, daß ich gleich nach meiner Entlassung bei der nächsten Invalidenuntersuchung durch Dr. Bauer – mit dem ich sehr gut stand, seit ich einmal großen Stunk wegen der Quarantäne mit ihm gehabt hatte – vorgeführt wurde, und Dank seiner Beredsamkeit von der russischen Kommission als Invalide anerkannt wurde. Zu dem erhofften Invalidentransport kam es allerdings leider nicht, aber man hat doch ein Jahr lang darauf gehofft. Im April 1919 kamen durch Kansk auch die bis dahin in Omsk internierten Mitglieder das Roten+, die auf Betreiben der Schweden (Elsa Brändström) als „lästige Ausländer“ ausgewiesen wurden. Es waren etwa 40, darunter 2 schwerkranke 125

Deutsche Ärzte und eine schwerkranke Schwester (lungenkrank) aus Darmstadt (?). außerdem Schwestern (zB. Emma von Bunsen) und Rote Kreuzvertreter (darunter unser ehemaliger Lagergenosse Leo Petri, Konrad (der mit mir gefangengenommen war), Herzberg, Sauwent, und Juhl). Die Russen hatten ihnen schon Personenwagen gestellt, als ein französischer Vertreter in Omsk dazwischen kam und durchsetzte, daß sie in Güterwagen umsteigen mußten, was besonders für die Lungen- und Typhuskranken sehr vorteilhaft war und den gloire der grande nation mehrte. Sie fuhren über Wladiwostok, Honolulu, S Franzisco, Neujork, Kopenhagen nach Deutschland, wo sie August 19 ankamen. Zu Beginn des Frühjahrs hatten die Russen, die mittlerweile unsere Harmlosigkeit einsahen und sich von den Tschechen unabhängig gemacht hatten, uns auch einen größeren Raum – zwischen unserm Lager und dem Kan – zum Spazierengehen freigegeben, und das war ein unschätzbarer Vorteil, denn jetzt konnte man sich wirklich auslaufen, 126

und konnte auch Wege machen, wo man weniger Plennis sah. Mit dieser Verbesserung begann eine Zeit, die sich gegenüber allen bisher in Sibirien verlebten Jahren vorteilhaft abhob. Ein Grund war wohl, daß es vorläufig völlig aussichtslos war, an Heimfahrt zu denken. Gerade das Hin- und Her, das Aufeinanderfolgen von Hoffnung und Enttäuschung machte uns 1918 wie auch 1920 so schwer zu schaffen. Aber 19 war unserem Lager ja ganz klar, Sibirien in der Hand der Koltschak-Regierung, der Entente und ihrer Söldner, der Tschechen. Längs der sibirischen Eisenbahn standen außer Russen und Tschechen Franzosen, Amerikaner, Engländer, Japaner, Rumänen, Polen und Italiener. Den Tschechen, Heft 2 - 39

die natürlich sehr nach Hause verlangten, war von den Franzosen versprochen worden, daß kein Kriegsgefangener vor ihnen abtransportiert werden solle, und wir hatten keinerlei Grund, anzunehmen, daß Russen oder Franzosen, um uns einen Gefallen zu tun, etwas unternehmen würden, was die Tschechen, an deren guten Willen ihnen sehr viel liegen mußte, verärgern würden. So lebten wir eigentlich vollkommen in den Tag hinein, 127

nur darauf bedacht, uns in jeder Beziehung gesund zu halten. Dies wurde – abgesehen von der größeren Bewegungsfreiheit außerhalb des Stacheldrahtes – dadurch sehr begünstigt, daß durch die Heimarbeit viel Geld ins Lager kam, und daß die Russen außerdem jetzt neben dem Gehalt den паёк (Pajok) lieferten, das ist all die Naturalien, die den immobilen russischen Soldaten zukamen. Diese Lieferungen, zu denen noch das kam, was wir in die Küche einzahlten, gaben eine verhältnismäßig anständige Verpflegung, die noch dadurch verbessert wurde, daß viel Gemüse eigener Zucht in die Küche wanderte. Einige Stücke Steppe beim Lager waren umgepflügt worden und teils Privatpflanzern, teils der LagerGartenbau-Genossenschaft zur Verfügung gestellt worden, die ihr Land gemeinsam bewirtschafteten und viel an die Küche verkauften, das meiste allerdings zu höheren Preisen an Russen oder Tschechen. Doch so gab es endlich wieder Grünfutter. Sehr viel wert war, daß es auch wieder – zu ganz anständigen Preisen, aber Geld gab's ja – Milch gab; ich habe im Sommer mit größtem Hochgenuß täglich 2 Flaschen Milch als saure Milch 128

verdrückt, leider meist ohne Zucker. Doch noch einmal zurück zum Frühjahr. Der größere Spaziergang wurde zum 1. Mal Anfang Mai (an einem Sonntag ) erlaubt, und alles strömte hinaus an den Kan, um sich den munteren Eisgang des bei der Schneeschmelze ständig steigenden Flusses anzusehen. Abends beim Rückweg ins Lager war mir und vielen andern durch den an verschiedenen Stellen aus seinem Ufern getretenen Fluß der Rückweg abgeschnitten, wir mußten, zum größten Gaudium der Zurückgebliebenen und rechtzeitig Heimgekehrten, bis an die Knie durch das noch recht kühle Wasser. In der Nacht stieg es weiter. Am nächsten Morgen war das ganze Gebiet zwischen Lager und Fluß überschwemmt, ein feiner Anblick mit den mächtigen Eisschollen. Mit Spannung verfolgten wir das weitere Steigen. Noch ein Meter mehr, und das Wasser wäre in die Baracken gelaufen. Doch glücklicherweise brach das unterhalb angestaute Eis, und von der großen Überschwemmung blieben nur zahllose große und kleine Schollen und viele kleine Seen zurück. Interessant waren auch die 129

Furchen, die die Eisschollen in die Rasendecke gegraben hatten. Der Buschwald am Ufer war dort, wo er dem stärksten Anprall auszuhalten gehabt hatte, vollkommen durch die Schollen vernichtet worden. Dann kamen die Monate Mai und Juni, wohl die schönste Zeit des Jahres. Auf der Steppe blühten Unmengen von gelben und violetten Küchenschellen, später auch Iris, und die Buschwaldungen am Ufer und im Sommerlager, (siehe Skizze!7) die fast ausschließlich aus Faulbeerbäumen (mit einzelnen Birken, Pappeln und Lärchen) bestanden, wurden über Nacht grün. Mit überraschender Macht empfand man das Erwachen der Natur und genoß in langen Abendspaziergängen Wärme, Grün und Blütenduft. Das Sommerlager, 5 Minuten von uns entfernt, war etwa vor 20 Jahren für die russische Garnison angelegt worden, die hier – wie überall in Sibirien – im Sommer die Steinkasernen räumten und in Zelten wohnten. Die Zelte waren quadratisch mit etwa 4 m Seitenlänge, hatten eine etwa ¾ m hohe senkrechte Wand aus Flechtwerk und Rasenplacken, darüber wurde dann, wenn das Lager belegt wurden, pyramidenförmige Zelte gespannt. 130

Außer einer Unmenge dieser kleinen Zelte waren in dem Lager noch viele kleine 7 Im Anhang

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Buden aus Lehmflechtwerk oder aus Brettern für die Unteroffiziere und Offiziere, die Lagerstraßen waren sämtlich dicht bepflanzt, dann gab es Ställe, Küchen und eine Menge anderer Nebenräume, auch eine Kapelle fehlte nicht. Von dem zur Unterbringung der Truppen bestimmten Teil getrennt war das Offizierskasino – mehrere größere Räume mit Garten und Musikpavillon – und die Wohnung des Kommandeurs, auch alles im Grünen und von Hecken umgeben. Das Ganze, mitten in der Steppe am Flußufer gelegen, war im Frühjahr und Sommer ganz märchenhaft schön und ein großer Anziehungspunkt für uns. Der Versuch aber, die kleinen Häuschen als Sommerwohnung zu beziehen, wurde allerdings bald von den Russen verboten, überhaupt sperrten sie bald den größtem Teil des Lagers, da sie ihn mit ihren Leuten belegten. [Nur die Leiter der Gartenbaugenossenschaft (Korte, Alsheimer ua.) durften als Wächter der hier angelegten Beete sich ein ganz famoses Sommerhäuschen einrichten.] Dagegen gestatteten die Russen, daß in dem nicht belegten Teil des Offizierskasinos eine Waldwirtschaft von uns eingerichtet wurde. 131

Und diese Wirtschaft - der sogenannte „Waldaffe“ - war entschieden der Glanzpunkt des Sommers 1919. Zwar war die Leitung nicht erstklassig, sie lag in den Händen einiger reichsdeutscher Herren, die sich manchmal etwas von dem nicht sehr publikumsfreundlichen Grundsatz vieler Feldküchenunteroffizieren – vergleich Sergeant Losereit bei der 1/137 im Oktober 1914 - „Gekocht ist es, gefressen muß es werden“ leiten ließen, denen das Geschick der Österreicher für Kaffeehäuser und desgl. abging. Aber diese kleinen Mißstände konnten natürlich die Riesenvorzüge dieses Sommerlokals nicht klein kriegen. Festlich war schon die Eröffnung am Pfingstsonntag. Gleich nach dem Essen zog man mit Tisch, Lehnstuhl und Kaffeekanne hinaus, sicherte sich einen guten Platz, dann kam der Haupttrupp aus dem Lager, vorneweg die Lagerkapelle und die Theatermitglieder mit dem Rheinländer Heimann an der Spitze. Und bei Kaffee, Kuchen und Musik entwickelte sich ein frohes Treiben, mit der Grundstimmung des Osterspazierganges. Jeder hatte seine besten Brocken angezogen. Auch von den Russen aus der Stadt waren viele 132 10.4.22.

mit Weib und Kind gekommen, auch unser Kunde Tschewiljoff. Und von da ab war es der Höhepunkt der Woche, daß man nach seiner Arbeit Sonntag mittags nach dem Essen mit Tisch, Stuhl und Kaffeekanne in den „Waldaffen“ zog, und das seit Jahren nicht mehr gekannte Vergnügen, im Grünen zu sitzen, mit vollen Zügen genoß. Musik war meist vorhanden, ebenso Kaffee und Kuchen, von letzterem wurden ungeheure Mengen verzehrt, da die Heimarbeit genug Geld einbrachte. Der Höhepunkt war ein wunderschöner Nachmittag im Juni als die seit 1 ½ Jahren angekündigte Schwester Elsa Brändström bei uns im Lager war. Im Oktober 1917 hatte sie unverrichteter Dinge vor dem Eingange zu unserm Chabarowsker Lager kehrt machen müssen. Sie ist die Tochter des schwedischen Gesandten in Petersburg, des Gunnar Brändström, und hat jahrelang ohne Gefahren jeder Art zu scheuen, mit Liebe und großem Verständnis für die Gefangenen gearbeitet. Sie hat alle sibirischen Krankheiten durchgemacht, sie ist des öfteren verhaftet worden, die Roten nahmen ihr im 133

Frühjahr 20 alle Sachen bis auf 2 Garnituren Wäsche weg, ihr Vater wurde schwer krank, nichts von allem hat sie zu bewegen vermocht, ihre Arbeit aufzugeben. Es war eine große Freude für uns, sie bei uns zu sehen, wie sie, riesig frisch und elastisch, durch alle Baracken ging, überall ein paar aufmunternde Worte fand. Sogar in der Mannschaftsbaracke, wo die Leute z.T. furchtbar mufflig und unhöflich geworden waren, wußte sie ohne irgendwelche Sentimentalität einige herzhafte und aufrüttelnde Worte zu sprechen. Sie selber war ganz begeistert von unserem Lager, in dem es keine Seuchen gab, in dem sehr auf Ordnung und Reinlichkeit gehalten wurde und das von uns sehr nett hergerichtet war. Wir hatten, als der Frühling kam und wir freien Ausgang bekamen, in schwerer Arbeit junge Bäume und Heft 2 - 41

Rasenstücke ausgehoben, ins Lager geschafft und die Lehmwüste, in die uns die Russen hineingesetzt hatten, in einen Garten verwandelt. Als Elsa bei uns war, hatten wir auch die schönste Jahreszeit, es war warm, aber noch nicht tropisch, das Laub noch frisch 134

und grün. Nachmittags war ihr zu Ehren große Kaffeetafel mit Konzert der Lagerkapelle und des Sängerchors, ein prachtvoller Tag. So etwas hatte sie doch auf all ihren Reisen in Sibirien noch nicht kennengelernt. Auch fiel ihr unsere anständige Kleidung auf. Doch das war natürlich alles nur Schein, denn wir hatten alles aufgeboten, um den Alltag verschwinden zu lassen, die Parzellenhosen wurden gewaschen und die besten Sachen herausgeholt. Ich erinnere mich, daß ich – zu ihr befohlen – wohl meinen sehr geschonten, anständigen Waffenrock anziehen konnte, aber kein Hemd darunter anzuziehen hatte. Das auch die Herrlichkeit des „Waldaffen“ nur sehr kurz sein würde, darüber waren wir uns ganz im Klaren. Umso mehr bemühten wir uns, diesen Vorzug zu genießen, damit man sich später keine Vorwürfe zu machen brauchte, und in der Beziehung habe ich ein reines Gewissen, ich war sehr viel draußen und habe unglaublich viel Kuchen dort verzehrt. 135

Noch ein Umstand trug dazu bei, unser Leben erträglicher zu machen. Wir hatten wieder einigermaßen regelmäßige Postverbindung. Im März war durch ein Rotes+ ein großer Schwung Post ins Lager gekommen, wohl für jeden war ein Brief dabei. Der Nachmittag, an dem sie verteilt wurden, ist mir lebhaft mit seiner Aufregung in Erinnerung. Ich habe lange Zeit dagesessen, und wagte es nicht, den vor mir liegenden Brief zu öffnen, der über ein ganzes Jahr - 1918 - berichten sollte. Umso größer war meine Freude, als die Nachrichten auffallend gut waren. Zwar war Wolfgang noch von den Engländern geschnappt worden, aber es waren doch alle nächsten Angehörigen gesund. Aber sonst gab es viel traurige Nachrichten im Lager, eine große Zahl von Angehörigen war gestorben, besonders an der Grippe, viele waren gefallen, besonders viele von denen, die mit uns zusammen gewesen waren, und durch Invalidentransport oder Flucht früher nach Hause gekommen waren, so der Oberlt. Lingener, ein Danziger Grenadier, in dessen Gruppe ich viel verkehrt hatte, 136

der Ritter von Prittwitz und Gaffron, die seltsamste Mischung von Knotigkeit und Kaltblütigkeit, die mir bekannt, und vor allem der Oberlt. von Garrissen, ein Marineflieger, der als Cellospieler mir immer großen Eindruck gemacht hat. So wenig sonst Musik und Musikanten mir lebendig vor Augen und Ohren geblieben sind. So glaube ich ihn immer noch zu sehen und zu hören, wie er an einem Novemberabend 17 in Chabarowsk in unserm Holzhaus zum Abschied mit seinen Mitspielern das Forellenquintett spielte. Das war die erste Post im Jahre 19. Von da ab kam in unregelmäßigen Abständen immer wieder Nachricht von Hause ins Lager, die günstigenfalls – via Amerika, Wladiwostok – nur 3 Monaten unterwegs war, und uns so ermöglichte, wieder teilzunehmen an dem, was zu Hause vor sich ging. Mitte Juli hörte ich auf zu tischlern. Es war mittlerweile wieder tropisch heiß geworden, und das Arbeiten – meist nur mit Minushose und Holzschuhen bekleidet – strengte sehr an. Umso übler war, daß man nie bei Tage, immer nur abends baden 137

konnte. Und da ich nie für ein Ausarten der Beschäftigung in Arbeit war, machte ich, wie ich mir von vorneherein vorgenommen, Ferien, und bin nachher sehr froh gewesen, es gemacht zu haben, denn bald war die schöne Zeit vorbei. Doch zunächst genoß ich es sehr. Morgens stand man früh auf und machte Freiübungen mit anschließendem Dauerlauf, der im Kan endete. Das Morgenbad war nur kurz, da die Mücken schon unerträglich waren. Dann ging es entweder ins Lager oder in den Waldaffen zum Morgenfrühstück. Den Rest Heft 2 - 42

des Vormittags las und faulenzte man. Mittags kurzer Schlaf, dann großes Baden, man zog das bißchen, das man an hatte, aus, lief ½ Stunde flußaufwärts- langsam gehen oder gar stehen oder liegen war meist wegen der unzähligen Mücken ausgeschlossen – dann kamen kleine Entdeckungsreisen aufs andere Ufer oder auf eine der Inseln, dann ließ man sich stromabwärts treiben zum Ausgangspunkt, zog sich, angenehm gekühlt und erfrischt, an und ging eilenden Schrittes in 138

den 5 Minuten entfernten Waldaffen, wo für das Dreigespann Rhandt - Hitzig - Petri immer schon mindestens 30 Stück Kuchen und 6-12 Tassen Kaffee bereitstanden. Zum Abendessen war man rechtzeitig im Lager, als einzige Pflicht hatte ich die Zeitung in unserer Baracke zu verlesen, da die guten Russen immer rarer wurden, und wir von der schlechteren Garnitur in die Posten der Zeitungsvorleser usw. hineinwuchsen. Ein Abendspaziergang durch die Steppe beendete den Tag. Natürlich konnte dieses Wohlleben nicht lange dauern, nach etwa 14 Tagen belegten die Russen das ganze Sommerlager, wir durften den Waldaffen nicht mehr betreten. Außerdem setzte anfangs August eine Regenperiode ein, die den ganzen Monat mit nur geringen Unterbrechungen anhielt, und das Lager in einen Sumpf verwandelte. Vom Juli 19 ist noch nachzuholen, daß Mitte des Monats eine Untersuchung sämtlicher Invaliden stattfand, ob sie einen Ernährungszuschuß brauchten. Ich ging mit großer Besorgnis hin, da ich mich so wohl fühlte, daß ich glaubte, man würde mich 139

von der Invalidenliste überhaupt streichen. Denn wir hatten damals genug zu essen, außerdem schien mein Knie gänzlich ausgeheilt zu sein und ich schwamm und lief ohne müde zu werden. Um so größer war meine (und der ganzen Baracke) Verwunderung, als ich bei der nächsten Befehlsausgabe als einer der ganz wenigen „Honoresinvaliden“ bekannt gegeben wurde. Die russischen Ärzte sahen eben nur zu, ob man Speck auf den Rippen hatte, dann war man gesund, war man eben ein dürrer Hund, so war man Zuschuß bedürftig. Nun, ich war ganz damit einverstanden, bekam ich doch mehr Brot und Fleisch, und außerdem unbezahlten Zucker und – sehr nötig für Invalide – einen furchtbaren Tabak. Außerdem bekamen wir im Juli das Geld wieder, das uns vor einem Jahr die Tschechen abgenommen hatten. Den Russen hatte doch wohl etwas das Gewissen geschlagen, und so war es den Schweden gelungen, diese Rückzahlung durchzusetzen. Zwar hatte das Geld nur noch den 10 Teil seiner früheren Kaufkraft, aber es ermöglichte uns doch, uns etwas für den Winter auszurüsten. 140

Ausrüstungsstücke jeder Art waren ziemlich billig zu haben, da die von den Amerikanern reich ausgerüsteten Tschechen ihre Ausrüstungsstücke gerne und oft verkauften. Ich erstand ein Paar dieser amerikanischen Schnürschuhe, die unverwüstlich derb aussehen, in Wirklichkeit aber garnichts taugten und nur dazu gut waren, daß Amerikaner daran viel Geld verdienten, und daß die, die sich für die scheinheiligen Amerikaner in Europa oder Asien tot schießen lassen mußten, sich darüber ärgerten. Außerdem erstand ich mir einen Russenmantel, der frisch von Kammer geklaut und noch nicht getragen war. Er war famos und hat mir gute Dienste geleistet. Die Russen waren zwar Asiaten, aber nicht solche Betrüger wie die Amerikaner mit der Wilson Fratze. Im Übrigen hielten wir uns an den Grundsatz, daß gut essen die beste Kapitalanlage ist, und dieser Übung glaube ich auch zu verdanken, daß ich bis Oktober 20 ausgehalten habe. Im August fingen wir an, uns für den Winter einzurichten, denn darüber waren wir uns klar, daß wir ihn noch in Kansk verbringen würden. Seit 18 mit seiner großen Heft 2 - 43

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Enttäuschung hatten wir doch viel hinzugelernt. Wir rissen in unserer Baracke die unterste Schicht Pritschen heraus und bauten uns richtige Betten mit Beinen, statt wie bisher den Strohsack auf die - doch nie ganz sauber gehaltene - Pritsche zu legen. Außerdem gelang es uns, einen gemütliche Sitzplatz freizumachen, den ich noch mit Tisch, Besteckkasten und Konsole für die Teekanne ausstattete. Natürlich konnte ein solcher Luxus eines gemütlichen Sitzplatzes nicht lange dauern, er wurde uns genommen und wir bekamen einen Hauptmann, der sich mit seiner bisherigen Umgebung nicht vertragen konnte, dahin gelegt. Und lernten auch bald, ihn daneben zu schätzen. Doch das nur nebenbei. Eine große Erleichterung erlangten wir im August. Der österreichische Oberstleutnant Hoffmann verstand es ganz ausgezeichnet, mit den Russen umzugehen. So gelang es ihm in einer Zeit, als die andern Lager schon bedrückt wurden – in Krasnojarsk wüteten die Tschechen und brachten eine Menge Ungarn um – für 142

uns die verschiedensten Erleichterungen durchzusetzen. So gaben die Russen im August einen Paß aus, auf den hin täglich 20 Mann in einem Umkreis von 20 km Beeren suchen durften. Ohne realen Zweck Spazieren zu gehen, kannten die Russen nicht, deshalb mußten die Beeren den realen Grund hergeben. Zu diesen Spaziergängen war zunächst ein großer Andrang, der aber bald nachließ. So glückte es mir, in 2 Monaten wohl über 1 Dutzd große Spaziergänge zu machen und auf diese Weise oft für einen ganzen Tag aus dem Lager herauszukommen, die sehr reizvolle Umgebung gut kennen zu lernen und des öftern bei Bauern gut zu essen und trinken und russische Sprache und Lebensgewohnheiten studieren zu können. Auf diesen Wanderungen durch die herbstliche Natur, durch Berge und Wälder, durch die Steppe und am Kan und seinen gewundenen, oft steil abfallenden Ufern und die oft sehr zum Nachdenken anregenden Gespräche mit den russischen Bauern ließen mich tief aufatmen und wieder mehr menschliches Dasein empfinden. Näher auf die Einzelheiten einzugehen, ist ohne Karte und Bilder zwecklos. Sehr erfrischend war auch die 143

oft wechselnde Zusammensetzung, die einem auch mal andere Leute kennenlernen ließ. Immer schöner wurden die Spaziergänge im September. Die Teilnahme ließ nach, sodaß man oft in ganz kleiner Gruppe wandern konnte. Die Steppe und vor allem die Birken wurden ganz unglaublich schön. Ich erinnere mich eines Ganges an einem ziemlich kahlen Hang, auf dem einige von Sonne durchglühte Birken standen, deren Blätter ganz unirdisch glühten. Oder der 15. Sept. an dem ich mit Anton, jeder mit einem großen Eimer bewaffnet, in die glühende Steppe ging, um Hagebutten zu sammeln. Birken und Pappeln leuchteten in Rot und gelb. Am Tage vorher hatte ich einen Brief bekommen, der mich ganz besonders erfreut hatte durch gute Nachrichten von allen, vor allem von Walther. Ende November traten andere Fragen in den Vordergrund, vor Allem die Holzversorgung. Daß das von den Russen gelieferte Holz nicht ausreichen würde, darüber war nur eine Meinung. Also beschloß man sich selbst zu helfen. Der österreichische Lagerkommandant wählte den Weg, sich von den Russen ein Waldstück anweisen zu lassen, 144

wo die Herren sich selbst die Bäume fällten um sie im Winter auf Schlitten ins Lager zu fahren. Das deutsche Kommando schickte eine sachverständige Patrouille (Forstassessor Grosser, Holzhändler Gaul und Schneidemühlbesitzer Daumlehner) über Land und nahm deren Vorschlag, das Holz flußaufwärts zu kaufen und bis ans Lager zu flößen, an. Beide Lagerhälften hielten ihren Weg für den besten, den der anderen für verkehrt, doch diesmal Heft 2 - 44

hatten die Reichsdeutschen das Bessere gewählt. 2 Flößkommandos von lauter kräftigen Männern wurden zusammengestellt, leider war ich nicht dabei, obgleich ich mich auch auf die Liste eingetragen hatte. Umso größer war meine Freude, als ich einige Tage später – Ende September – auf das Kommando gerufen wurde, mir Hauptmann Klein eröffnete, der eine Flößertrupp – 80 km stromaufwärts – habe Geld und 2 Arbeiter angefordert, von denen einer russisch können müsse, und mich fragte, ob ich bereit sei. Natürlich sagte ich zu. Bekam meinen Auftrag, das Geld – wenigstens die Hälfte, die andere nahm 145

mein Begleiter – und dann rüsteten wir uns. Karten gab es natürlich nicht, wir durften uns nur die Notizen abschreiben, die sich seinerzeit die 1. Patrouille auf dem 80 km langen Weg gemacht hatte. Diese Unternehmung war eine ganz besonders erfreuliche Unterbrechung der Gefangenschaft. Im Lager war es mal wieder ziemlich übel, es gab mal wieder einen Stunk – hie Kommando – hie Recht auf Selbstbestimmung, eine Auseinandersetzung, die dadurch so erschwert wurde, daß alles Sachliche eng mit Persönlichem verkettet war. Umso froher war ich in der Aussicht, mal 14 Tage nichts von dem Parteien Gezänk und all dem Wahnsinn des Barackenlebens zu hören. Mein Begleiter war mir sehr lieb, ein frischer echter Norddeutscher, Schleswiger Husar, Giesbert Willink, aus einer alten Hamburger Kaufmannsfamilie. Mittags bei ziemlicher Hitze zogen wir los, unser Gepäck für 14 Tage – man mußte schon sehr mit Kälte rechnen – auf dem Buckel, und wanderten rechts an Kansk vorbei, durch die Steppe in der Richtung Stromaufwärts. Bald hinter Kansk überholten uns die Karawanen der vom Markt heimfahrenden Bauern, und es gelang uns, einen zu finden, 146

der in unsere Richtung fuhr und uns – gegen anständige Bezahlung – mitnahm. Wir staunten über die Leistungsfähigkeit der russischen Pferde. Sie hatten am Tage vorher ca. 60 km mit beladenem Wagen zurückgelegt, und fuhren jetzt (von mittags bis Mitternacht) zurück, ohne eine Pause zu machen. Wir hielten nur einmal, als an dem Wagen etwas kaputt war. Dazu wurde es gegen Abend ungemütlich, mittags war es sehr heiß gewesen, nachm. bezog es sich und Abends regnete es tüchtig, sodaß wir uns dicht zusammensetzten, froh waren, unsere guten Russenmäntel zu haben. Etwa um 9 waren wir dort wo der Weg an dem Dorfe Amarasch, etwa 40 km stromaufwärts, vorbeiführte (vergleich die Skizze auf Seite 172). Hier war die eine Flößermannschaft unter Grossers Kommando. Wir suchten uns bei Regen und vollkommener Dunkelheit den Weg ins Dorf, fielen wiederholt Abhänge herunter oder in Wasserläufe, fanden aber schließlich nach vielem Herumfragen – die meisten Russen schliefen schon – am andern Ende des Dorfes ein Haus, in dem 4 unserer Leute wohnten. Die Freude war groß, wir ließen uns einen чаіе (Tee) machen, futterten tüchtig und 147

legten uns dann ins Stroh, noch ziemlich feucht; doch eng zusammen liegend schliefen wir großartig, nachdem wir uns noch lange allerlei erzählt hatten. An nächsten Morgen erledigten wir unsere Bestellung, sahen uns das Arbeiten an und wären gern dort geblieben, da uns sowohl der Führer (der besonders tüchtige und bescheidene Grosser) als auch die Mannschaft (darunter Brummer, Mucki, Krulenko-Wietmeier, Hermann Dähn u.a.) sehr zusagten. Doch unser Auftrag lautete nach dem 2. Dorf und so machten wir uns rechtzeitig auf den Weg, um unsere 40 km in Ruhe am Tage zurücklegen zu können. Der Weg war fein, bei Sonnenschein ging es zunächst durch Wiesen im Tal, dann über Hügel am Talrand berg auf berg ab unserem Ziele zu. Das Lager, die Tschechen, die Eisenbahn und alles Furchtbare mit jedem Schritt weiter von uns weg, wir in schöner Gegend, Hügel mit Feldern und Weiden, mit Birken und vereinzelten Fichten, in der feuchten Niederung Heft 2 - 45

zusammenhängende Buschwälder, auf dem gegenüberliegenden Ufer Berge mit Wäldern. 148

Und vor allem war es das 1. Mal seit 4½ Jahren, daß man nicht bewacht war, oder nicht abends in das umstellte Lager zurückzukehren brauchte. Im Laufe des Nachm. erreichten wir unser Ziel, dort wo die Berge enger zusammentraten, lag das Dorf Chomutowo, 2 Reihen ansehnliche Gehöfte am Fluß. Mit Hallo von unseren Leuten begrüßt, sahen wir uns zunächst einmal um, was es zu tun gab. 2 Flöße waren gerade fertig und sollten am nächsten Morgen mit 4 von unsern Leuten abgehen, dazu 4 Russen. 5 blieben noch da, von denen der Anführer, Gaul wenig tat und glücklicherweise meist abwesend war, auch bei einem andern Bauern aß als wir. 1 war Kutscher und hatte nur mit den Pferden – und mit dem Transport der Stämme zum Wasser – zu tun, es blieben noch Daumlehner, der ostpreußische Sägemüller aus Lasdehnen, Lücke, gleichfalls Ostpreuße und sehr gut brauchbar, und Kordes (Referendar?) aus der Bremer Gegend, ein besonders sympathischer und ganz ruhiger kräftiger Mensch. Der Gang der Beschäftigung war nun folgender: Gaul, der den ganzen Tag mit den Bauern herumquatschte, spionierte aus, wo es Holz gab, d.h. wo einer ein Haus, einen Stall oder ein Bad auf Abbruch verkaufte. Das wurde dann 149

(mit dem dem Deutschen eigenen Trieb zum Vandalismus) kunstgemäß abgerissen, zum Ufer geschafft und dort unter Anleitung eingeborener Russen zu Flößen verbunden. Wir wohnten in einem großen 2stöckigen Haus - eine große Seltenheit auf dem Dorfe! - in dem einige Räume leer waren, weil der Besitzer, ein reicher Mann, im Bürgerkrieg umgebracht worden war. Auf einigen Bündeln Stroh schliefen wir, und zwar trotz Kälte, Härte und Schnarchen immer ausgezeichnet, weil die Arbeit so müde machte. Verpflegt wurden wir bei einer Bauersfrau, der „Anna“, die, so gut sie es konnte, für uns kochte und natürlich anständig bezahlt wurde. Morgens gab es Kartoffeln, mit einem angedeuteten Überguß von Milch. Mittags Suppe mit Fleisch, abends ebenso. Dabei gab es bei jeder Mahlzeit Tee und Schwarzbrot, so viel man wollte. Nur mit großer Mühe gelang es, der Anna klarzumachen, daß sie auch mal andere Gerichte kochen müsse, z.B. Kascha (Buchweizen) mit Speck und Zwiebeln, oder Rüben. 12.4.22

(in 2 Stunden Abmarsch zum Bahnhof, Osterurlaub) Die Kost war also ziemlich roh, das Brot sogar schlecht, doch da man zu allen 150

3 Mahlzeiten mit einer Art Heißhunger kam, schmeckte es doch immer vorzüglich, wenigstens mir. Die Arbeit war aber das Beste an der ganzen Unternehmung. Sehr anstrengend für Muskeln, Knochen und Hände, aber außerordentlich gesund und interessant. Am Morgen nach unserer Ankunft fuhren zunächst die beiden fertigen Flöße los und damit entschwand der laute und unangenehme Teil der Genossenschaft. Was übrig blieb, vertrug sich sehr gut, zumal der wenig beliebte Führer meist eigene Wege ging und nur nachts bei uns war. Unsere erste Arbeit war dann das Abreißen eines Hauses, das für uns angekauft war. Mir war diese Tätigkeit – abgesehen von der Freude am Zerstören, die ich mit den andern teilte – besonders interessant, da das Haus ganz ohne Verwendung von Eisen nur mit Holz hergestellt war vom Sockel bis zur Dachdeckung einschließlich, also auch ein Zeuge eines ganz primitiven Zustands – der in Rußland gar nicht weit zurücklag – in dem der Bauer mit seiner Axt das Haus ganz alleine aufbauen konnte, ohne nur ¼ Kopeke für irgendwelchen Zubehör auszugeben, denn das Holz bekam er aus dem Gemeindewald, und mehr 151

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brauchte er nicht. Im Mai 21 habe ich im Diplomexamen noch Eindruck schinden können, als ich, nach russischer Bauweise gefragt, gleich mächtig loslegen konnte. Ohne mich hier auf Einzelheiten einzulassen, will ich nur bemerken, daß das Haus als russisches Blockhaus, d.h. die Wände aus runden Stämmen, gebaut war. Solche Stämme waren natürlich klotzig schwer, und wir hatten tüchtig zu schaffen, da wir nie mehr als 3 an einem Arbeitsplatz waren. Von der Abbruchstelle wurden die Stämme – mit einem Ende auf ein Räderpaar gebunden – von Herrn Ehlers mit dem Lagerpferd an den Fluß geschleift. Hier war die Hauptarbeitsstelle, wo das Floß zusammengestellt wurde. In unserem Dorf waren eine Reihe tüchtiger Flößer, die dieses Handwerk gut verstanden, und sie halfen uns, d.h. sie machten die Hauptarbeit und lernten uns zu Gehilfen an. Und zu einem Floßbau gehörten allerlei Geschicklichkeiten. Überhaupt kamen wir weisen Kulturmenschen uns manchmal recht dumm und unbeholfen vor gegenüber den Russen, die schon in früher Jugend all die einfachen Handgriffe gelernt hatten, 152

die wir uns meist vergeblich bemühten, ihnen abzusehen. So brachte es kein einziger von uns fertig, mit den großen Booten, die sich die Russen sehr kunstvoll aus einem Stamm (Birke?) herstellten, und nur einer Pike den ziemlich reißenden Fluß sich aufwärts vorzuarbeiten, obgleich doch auch nicht nur die ungeschicktesten aus dem Lager zum Flößen geschickt waren. Die Russen amüsierten sich natürlich sehr über unsere mißglückten Versuche. Auch das Beil nahm ich nur in die Hand, wenn kein Russe in der Nähe stand, um mich nicht zu blamieren. Das Zusammenbinden der Stämme zum Floß war wieder eine besondere Fertigkeit, die viel Erfahrung voraussetzte. Auch hierbei wurde kein Eisen verwendet. Es war interessant, daß unser Dorf Chomutowo, dessen Flößer in gutem Ruf stand, seine besondere Methode hatte, und jedenfalls eine etwas andere Art der Herstellung der zum Binden bestimmten Rinde hatte, als z.B. Amenasch, wobei die Chomutowo Methode jedenfalls die bessere war. Man holte zunächst von einer Insel im Fluß, wo dichter Buschwald 153

stand, einen Kahn voll ӣруӣе, d.h. Ruten vom Faulbeerbaum, etwa 3 - 4 m lang und am dicken Ende mit einem Durchmesser von etwa 3 cm. Diese Ruten wurden zu Ringen von etwa ¾ m Durchmesser gedreht, wobei Ihre Zähigkeit mit besonderen Kniffen erhöht wurde. Zunächst hielt man die Ruten ins Feuer, sie immer weiter vorschiebend, bis überall der Saft ins Kochen geraten war. Dann klammerte man die Ruten mit ihrem dünnen Ende in einen dafür hergerichteten Baumstumpf, spaltete das dicke Ende, legte einen Lederriemen hinein und wickelte ihn dann darum, so daß man das Ende fest in der Hand hatte, dann ging man langsam um den Stamm herum, sodaß die Rute sich fest aufwickelte, gleichzeitig drehte man das dicke Ende um seine eigene Achse. Diese doppelte Drehung hatte den Zweck, die Rute vollkommen zu brechen und elastisch zu machen, war aber sehr anstrengend für die Unterarmmuskeln, da das Drehen der Rute um ihre eigenen Achse natürlich immer schwerer wurde. Außerdem richtete man sich scheußlich zu, 154

da die angekohlten Stellen zusammen mit dem heißen Saft auf Händen, Armen und Weste einen schwarzen, klebrigen Überzug hinterließen. Die gebrochenen und um den Stamm gewickelte Rute wurde nun langsam wieder aufgewickelt und dabei zu dem Ring mit ¾ m Durchmesser geflochten, der fast unzerreißbar war und vor allem sich nie löste, da die vielfach um die eigene Achse gedrehte Rute versuchte, zurückzuschnellen, wodurch der Ring immer fester wurde. Mit diesen Ringen nun wurden die einzelnen Stämme miteinander verbunden. Zunächst schob man 8 – 10 zueinander passende Stämme ins Wasser, quer zur Stromrichtung. Darauf legte man 2 Birkenstämmchen ➀, die am Ende Heft 2 - 47

etwa 10 cm Durchmesser hatten, dann schob man über je 2 Stämme einen Ring➁,

der gerade paßte, zog ihn mit einem Hebel scharf an ➂, und verkeilte ihn dann mit einem kräftigen Keil (von der Größe eines Unterarmes) aus Espenholz (?). 155

Das Schlagen der Espen (?), die ebenso wie die Birken, im Gemeindewald standen, und das Herrichten der Keile (клини) war eine besondere Arbeit. Wie stark die Ringe waren, geht schon daraus hervor, daß sie das Herumwürgen mit dem großen Hebel überstanden. Die Verbindung konnte man nachher nur mit der Axt lösen. Waren Stamm 1+2 befestigt, so wurden 3+4, dann 5+6 usw. mit je einem Ring auf jeder Seite befestigt, bis eine Tafel von 4-5-6 m Länge fertig war. Dann kam die 2. daran usw. Unser Floß hatte 4 Tafeln. Die Tafeln wurden miteinander wieder durch Ringe verflochten mit etwa 156

1 m Zwischenraum von Tafel zu Tafel. Dann kam an jedes Ende noch ein Ruder aus einem Fichtenstamm von 6-8 m Länge, dessen dickes Ende platt geschnitten, Heft 2 - 48

und dessen dünnes Ende als Griff ausgebildet wurde. Dann wurde es in der Schwebe auf einem höher gelegenen Stamm in eine Kimme gelegt, alles wieder mit Ruten ohne Eisen befestigt. Nur das Ruder lag lose, damit man es bei Unfällen – die wirklich bei uns nicht ausblieben – schnell herauswerfen konnte, ehe es zersplitterte. Die Herstellung eines solchen Floßes ging natürlich nicht so schnell vor sich, wir brauchten etwa 8 Tage, was bei der Menge der Verrichtungen ja erklärlich ist. Das Zusammenarbeiten mit unserem Russen, Iwan Michailowitsch?; war sehr angenehm, er war riesig geschickt, immer freundlich und hilfsbereit, und bald guter Freund mit uns allen. 157

Leichtsinnig war er auch, denn seinen Verdienst vertrank er sofort, anstelle sich für den Winter auszurüsten. Einen Hauptspaß machte das Arbeiten am und im Wasser, denn von den glatten Balken – besonders ehe sie angebunden waren – rutschte man oft aus und ins Wasser, besonders beliebt waren die sogenannten Klavierbalken, die noch nicht angebunden waren und infolgedessen wie eine Taste heruntergingen, wenn man darauf trat. Am anstrengendsten war das Herbeischaffen der Stämme, die oft scheußlich schwer waren und uns manchen Tropfen Schweiß vergießen ließen, daß nie ein Unfall vorkam, war beinahe ein Wunder, allerdings hatten wir alle die Hände bös zerschunden und aufgerissen. Ich erinnere mich daß man oft nachts aufwachte und dann sich ängstlich bemühte, die Hände nicht zu bewegen, weil jede Bewegung schmerzte. Auch den Gebrauch von Seife vermied ich nach Möglichkeit, um die Haut nicht noch spröder zu machen. Viel freie Zeit hatte man natürlich nicht. Abends wurde bis zur Dämmerung gearbeitet, dann wusch man sich und seine Sachen, ging zum Abendessen, rauchte 158

eine Pfeife, schwatzte etwas mit den Russen, und haute sich bald auf das Stroh. 28.4.22.

Leider hatten wir keine Zeit. Die Umgebung etwas genauer zu betrachten, denn unsere Expedition auf Lagerkosten war ziemlich kostspielig, sodaß wir auch den Sonntag arbeiteten, um Geld zu sparen, und außerdem mußten wir fürchten, daß es Winter wurde und die Kälte uns Schwierigkeiten machte. Eines Morgens waren die Pfützen auch schon gefroren, und während wir arbeiteten, zogen große Schwärme von Wildgänsen nach Süden, und unser Russe sagte: „Die Gänse wissen, wann es schneit; wenn sie nach Süden ziehen, schneit es bald.“ Dabei wäre ich sehr gerne mal einen Tag in der Umgebung herumgestreift. Im Hintergrund, vor allem nach Süden zu, sah man bewaldete Berge, überhaupt gab es viel mehr Wald, als bei Kansk. Etwa 3 km unterhalb von Chomutowo mündete ein Nebenfluß, der Agul, in den Kan. Er führte ganz klares Wasser, wie ein Gebirgsfluß, und die Russen erzählten, er komme von den “Weißen Bergen“ her, 159

einem Gebirge an der chinesischen Grenze, das noch keiner überschritten habe. Heft 2 - 49

Sehr verlockend war auch die nächste Umgebung, Chomutowo lag am Hange eines Hügels, der soweit er bewaldet war, nur Birken trug, ein bei der Herbstpracht ganz unglaublich schöner Anblick. Wenn die Sonne darauf lag und alles durchglühte, kam es mir immer ganz unwirklich, märchenhaft vor, so ganz vom Irdischen losgelöst. Unser Zusammenleben mit den Russen war recht freundschaftlich. Man grüßte sich mit jedem, sie staunten über unsere Arbeitswut, besonders als sie erfuhren, daß wir Offiziere seien. Ungeschicklichkeiten von uns wurden harmlos belacht. Oft wurde man während der Arbeit zu einem Glas Tee eingeladen. Sprach man mit einem, so war die 1. Frage regelmäßig: Wann fahrt Ihr nach Hause? Sie konnten garnicht begreifen, warum wir noch in Sibirien seien, der Krieg sei doch schon lange vorbei, und aus Deutschland seien schon viele zurück. Es hielt schwer, ihnen klar zu machen, daß es ihre Landsleute 160

und die Tschechen waren, die uns eine Heimkehr vollkommen unmöglich machten. Auch das begriffen sie nicht, daß ein Russe leicht ohne aufzufallen reisen konnte, daß uns aber jede Bewegung und jedes Wort sofort als Ausländer verriet. Wir haben im Juli 1920 beim Baden am Jenisseistrand die Beobachtung gemacht, daß man unter Hunderten von Russen leicht einzelne Kriegsgefangene heraus erkannte, selbst wenn sie nichts an hatten und man sie nicht sprechen hörte. - Die 2. Frage, die regelmäßig kam, wenn man mit Russen sprach, war: Bist du verheiratet? Da in Rußland die Mehrzahl der zum Militär eingezogenen Rekruten verheiratet war, war es den Russen unverständlich, daß wir zum aller größten Teil unverheiratet waren, was sich sehr schnell im Dorf herumsprach. Eines Abends saß ich auf einem der Stege am Fluß, von dem die Russen in Eimern immer ihr Wasser holten, und wusch ein Hemd. Eine Bauersfrau kam, um Wasser zu holen, fängt ein Gespräch an und wundert sich, das ich als deutscher Offizier mein Hemd selber wasche. Auf meine Antwort, ich hätte 161

noch keinen gefunden, der mir diese Arbeit abnähme, weiß sie nichts zu erwidern. Dann kam die übliche Frage, ob ich verheiratet sei; ich antwortete, nein, dazu langt das Geld nicht, wir sind nicht so reich wie ihr Russen. Das schien ihr zu denken zu geben, denn nach einiger Zeit kam sie wieder, und fragte mich, ob denn die Hauptleute bei uns verheiratet wären. Die hätten doch mehr Geld als die Leutnants. Großes Hallo war manchmal bei unserer Speisewirtin, der Anna, besonders wenn ihr Vater vom Fischfang kam. Er war zum Fischen immer mehrere Tage draußen und kam dann mit seinen Kumpanen nach Verkauf des Fanges angeheitert und laut singend ins Dorf gefahren. Dann gab es sehr stürmische Begrüßungen, und die Russen, die schon nüchtern gern, viel, laut und weise sprechen, kamen ins Schreien und Philosophieren, und es fiel manchmal garnicht leicht, von ihnen loszukommen, ohne sie zu beleidigen. Sie waren dann sehr rührselig und voller Menschenliebe. Der Krieg sei Unsinn, alle Menschen seien Brüder, 162

alles Unglück käme nur daher, daß es so viele verschiedene Sprachen gäbe; wenn die Menschen alle einander verständen, gäbe es keinen Krieg mehr. Die Frage, warum sie sich denn im Bürgerkrieg - Russe gegen Russe - so bestialisch umbrächten, vermochte er garnicht mehr in sich aufzunehmen. Dabei war dieser Vater der Anna ein Charakterkopf. Schwarze Haare, schwarzer struppiger Vollbart, die Haut dunkelbraun gebrannt vom ständigen Aufenthalt im Freien und das Feinste, ein Paar dunkle, blitzende Augen, ich mußte immer an Othello denken, wenn ich ihn sah. Eine besondere Liebe hatte er für meine Pfeife – eine kurze Försterpfeife mit hölzernem Kopf und Weichselrohr – die er mir gerne aus dem Munde nahm und selber weiter rauchte. Mir wurden, auch von anderen, fabelhafte Summen geboten. Heft 2 - 50

Diese weisen und menschenfreundlichen Reden der Russen waren mir schon oft im Munde von Bauern und Soldaten begegnet, z.T. erklären sie sich aus der russischen Geschichte. Jahrhundertelang bis auf den heutigen Tag ist der russische Bauer ein armer Teufel gewesen, den heute der Zar, morgen der Tscheche, übermorgen der rote 163

Kommissar anstellt, damit er andere Bauern totschlägt. Warum, das weiß er nicht, denn was ist dem sibirischen Bauern das preußische Junkertum oder die 3. Internationale. Und trotz alledem bin ich den Russen gegenüber nie ein Gefühl des Fremdseins und auch der Abneigung losgeworden, woran wohl verschiedene Gründe schuld sind, einmal ihre Grausamkeit Tieren und Wehrlosen gegenüber, (so vor allem den Chinesen gegenüber) und dann ihre gemeinen schmutzigen Flüche. Die Anna verriet uns auch eines Tages, ihr Mann sei in deutscher Gefangenschaft. Sie bat mich, ihm doch mal zu schreiben. Ich versprach es ihr, sagte ihr aber, sie müsse mir erst eine Adresse geben. Sie kramte lange, schließlich meinte sie, die Karte sei wohl in einer Kiste gewesen, die beim letzten Frühjahrshochwasser weggeschwommen sei. Auch ein aus deutscher Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter war im Dorf. Er begrüßte uns gern mit deutschen Brocken, seine Glanznummer war: „Feste arbeiten, Offizier kommt!“ was er zu beiderseitiger Ergötzung immer wieder vorbrachte. 164

Allerlei gab es zu sehen, was man in Deutschland nicht sieht, so z.B. das Biegen der Birkenstämme zu Schlittenkufen und das Herstellen von Kähnen aus ganzen Stämmen. Auch das Flachsbrechen sah ich dort zum erstenmal, das wie mit einem Schlage im ganzen Dorf gleichzeitig begonnen wurde. Leider ging unsere Zeit schnell zu Ende. Gerne wären wir noch bis Maria Pokrow, dem Festtage der Schutzherrin Maria, dem 14.X. (1.X. alten Stils) geblieben, der ein großer Festtag ist und hätten ihn mit unseren mancherlei Freunden gefeiert. Doch die Flöße waren schon 8 Tage vorher fertig, und wurden noch mit geschlagenem Birkenholz beladen, soviel nur drauf ging. Am Tage vor unserer Abfahrt kam plötzlich wieder eine Gesellschaft aus dem Lager, diesmal im Auftrag der deutschen Küche. Sie keilten mächtig, wir sollten doch noch dableiben und ihnen helfen, doch lag uns daran, unsere Flöße herunter zu bringen, auch waren es nicht die angenehmsten Brüder, während wir uns gut zusammen eingearbeitet hatten. 165

2 Russen waren gemietet worden, von denen jeder ein Floß (mit unserer Hilfe) nach Kansk bringen sollte. Der eine war ein richtiger Querulant, als wir los wollten, erklärte er, auf dem Floße fahre er nicht, das sei ihm zu gefährlich, auch wollte er nicht mit 3 Gefangenen alleine fahren, sondern forderte noch einen Russen dazu. Da uns daran lag, loszukommen, ließen wir ihn das nach seiner Meinung bessere Floß wählen, dazu nahm er noch einen Russen und mit ihm fuhren Daumlehner und Lücke. Unsere Arbeitsgenossenschaft – außer mir noch Willink und Kordes – konnte auf diese Weise zusammenbleiben. Wir kamen auf das Floß, das wir selber gebaut hatten, mit einem sehr netten Russen, der seine Sache fein verstand. Zwar behaupteten die eingeborenen Sibiriaken (die Schaldonen) er kenne den Fluß nicht, er sei noch ein „Flüchtling“, dabei war er schon 8 Jahre dort ansässig und führte uns viel besser als der andere. So war es unter manchen Schwierigkeiten 9h geworden, bis wir abgondelten, 166

verabschiedet von vielen Russen und unseren zurückbleibenden Kameraden. Wir verteilten uns so, daß der Russe mit mir an dem einen Ende war, Kordes und Willink am anderen. Ich Heft 2 - 51

mußte seine Kommendos übersetzen, was natürlich schnell gehen mußte. Wenn es nötig war, veränderten wir unsere Stellung, bei ruhiger Fahrt war vorne und hinten je einer am Ruder, bei gefährlichen Stellen arbeiteten wir oft zu 3 an einem Ruder. Die ersten Stunden vergingen sehr schön. Es war kein Wind, und ohne viel Steuern schwamm das Floß in der Strömung. Wir hatten aus Erde eine Feuerstelle gemacht, und ständig wurde Tee gekocht. Denn Hunger und Durst waren nicht gering. Wir hatten auch einige Fleischkonserven vom Lager mitgenommen, die uns jetzt gute Dienste leisteten. Die Fahrt war herrlich, bald schnell bald langsam glitt man durch die Gegend, die man jetzt unter ganz anderem Gesichtswinkel sah. Doch gegen Mittag wurde es übel, es kam Wind auf, der uns mit Macht ans Ufer drückte, so daß meist an beiden Rudern feste gearbeitet werden mußte, 167

damit wir nicht an Land kamen. Dazu kam als sehr unangenehme Zugabe, daß wir infolge der Kräuselung der Wasseroberfläche das Fahrwasser nicht mehr übersehen konnten. So war es mit dem ruhigen Genießen vorbei und wir hatten tüchtig zu tun. Zu allem Überfluß kamen dann noch gelegentlich Regenhuschen. Einmal liefen wir auch mit dem Vorderende fest, kamen aber Dank der Geistesgegenwart unseres Flößers und seinen schnellen Anordnungen gleich wieder los.

Das vordere Ende lief auf, wurde von dem Strom hoch aufs Land gedrückt, das Ruder mußte schnell weggenommen werden, damit es nicht zersplitterte. Ein Zurück gab es nicht, so half nur noch eins: an dem hinteren Ruder, mit dem bis dahin 168

scharf zum Lande hin gerudert war ( ➀ ➁ ➂ ➃ , hinten suchten wir das Floß bei dieser gefährlichen Stelle ans Ufer heran zudrücken, vorne vom Lande weg in den Strom hinein zukommen) mußte jetzt mit Macht vom Ufer weg gerudert werden, sodaß das, was man sonst vermeiden wollte, eintrat, und das Floß schwenkte.➀ hing noch an Land, ➁-➃ schwenkten, kamen in den Strom und nach vorne und rissen nun die aufgelaufenen Tafel mit sich und so kamen wir wieder los. Solche Manöver (die Spitze war ¾ m auf das Ufer aufgelaufen) waren natürlich nur möglich mit tadelloser Beschaffenheit der Verbindungen. Heft 2 - 52

Wir hatten auch ständig Ersatzringe zur Hand. 1.5.22.

Während wir so gerade noch glatt abkamen, hatte unser 2. Floß Pech und lief auf, von wo es erst nach 1 ½ stündiger Arbeit – bei dem Oktoberwasser nicht angenehm – wieder los kam. Wir fuhren während dem weiter und näherten uns Amanasch, dem Standort 169

der 2. Flößergruppe, wo wir auch übernachten sollten. Mittlerweile war der Wind immer stärker geworden, so stark, daß unser Versuch, vom rechten Ufer, an dem wir der Strömung wegen fuhren, an das linke, an dem Amanasch lag, hinüberzukommen, mißlang. Es war eine furchtbare Schufterei (wie überhaupt das bei wichtigen und gefährlichen Stellen stark angestrengte Rudern uns alle 4 leicht aus der Puste brachte), aber vergeblich. Rechts anlegen konnten wir nicht, da wir dort das Floß nicht in der Strömung festmachen konnten. So mußten wir noch etwa 3 km weiterfahren, wo es dann gelang, ans linke Ufer zu kommen und nach mehreren vergeblichen Versuchen das Floß zu befestigen. Mit unseren Sachen wanderten wir dann ins Dorf, wo wir im Gemeindehaus untergebracht wurden, d.h. äußerst primitiv. Man hatte kaum Platz, sich ordentlich auf dem Fußboden auszustrecken (Stroh gab es nicht) und unsere naß geregneten Sachen zu trocknen war auch schwierig. 170

Wasser war „sparsam“. Zum Teekochen und Waschen holte ich 2 Eimer vom Fluß, eine üble Zugabe bei meiner Müdigkeit, zumal da ich mich im Dunkeln verlief, etwa ½ Stunde brauchte, und keine andern Ausweg aus den vielen Wasserläufen fand, als durchzuwaten, wodurch ich zu allem Überfluß quatschnaß wurde. Am Abend war dann die Bude voll, da die andern zu uns kamen, und erzählten und sich berichten ließen. Auch ein Russe wurde von außerhalb gebracht, ein Arrestant auf der Reise nach der Kreisstadt, der in der anstoßenden Arrestzelle untergebracht wurde. Unsere beiden Flößer waren gleich in einer Unterhaltung mit ihm und versorgten ihn durch irgend welche Löcher in der Wand mit Brot und Tee. Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch wollten wir weiterfahren, aber, wie wir schon im Laufe der Nacht von Stunde zu Stunde verfolgten, hatte sich ein strömender Regen entwickelt, daß garnicht an Weiterfahren zu denken war, was uns recht unangenehm war wegen der ganz unnötigen Mehrkosten. Mittags ließ das Wetter etwas nach, wir packten, zogen zum Floß, und stellten dort aber fest, daß es wieder mehr regnete und die 171

Weiterfahrt zwecklos war. So gingen wir mit nassem Zeug wieder zurück ins Quartier, wo bei eifriger Unterhaltung mit den Amanascher Flößergruppe und Teetrinken die Zeit verging. Mir persönlich war - wohl von Anstrengung und Nässe - recht „kodderig“, sodaß ich froh war, als mir einer etwas Aspirin geben konnte, das mir gut tat. Am nächsten Morgen ging's dann wirklich los, noch im Dunkeln tappten wir uns an den Fluß, zuerst fuhren wir, d.h. die beiden Flößer aus Chomutowo (die aufgelaufen waren am selben Abend wie wir, nur mit 1 ½ Stunden Verspätung, eingetroffen) dann später sollten die 3 Flöße aus Amanasch fahren, die mittlerweile auch fertig geworden waren. Leichtsinnigerweise fuhren sie wesentlich später ab als wir, als wir loslegten, war noch nichts von ihnen zu sehen, allerdings war es noch kurz vor Sonnenaufgang, und dunkel. Bald ging dann die Sonne auf und wir hatten zunächst einige Stunden recht schöne Fahrt, immer durch dünn bewaldete Höhen, mit teilweise sehr steilen Ufern. Aber gegen Mittag begann wieder schlechtes Wetter, Regen und Wind, die so schlimm wurden, daß die Russen

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darauf bestanden, daß wir bei Briaskni anlegten, einem reichen Dorf, dessen Ländereien auf der einen Seite etwa 20 km weit reichten, fast bis Amanasch d.h. der Russe, der unser 2., hier gerade vorausfahrendes Floß führte, der uns zunächst bei der Abfahrt schon Schwierigkeiten gemacht hatte, und der schon am 1.Tage aufgelaufen war, der hatte mit seinem Kumpan von den beiden mitfahrenden Herren verlangt, daß gelandet wurde weil unterhalb von Braskni Stromschnellen kamen, die bei Wind und Regen nicht befahren werden könnten. 173

Als wir nun kamen, bestand unser Führer, Lukas, darauf, daß auch wir hier landeten und besseres Wetter abwarteten. Wir legten an, kochten uns Tee und Konserven und stärkten uns. Ich wandte meine ganze Beredsamkeit und Liebenswürdigkeit auf, Lukas bei seinem Ehrgeiz zu packen, daß er zeigen sollte, was er könne, und es mit uns 3 zu versuchen. Wir sind doch alle 4 alte Soldaten und würden keine Angst vor den lächerlichen Stromschnellen haben. Mir paßte es nämlich garnicht in den Kram, die Fahrt auf ungewisse Zeit zu unterbrechen, was – bei der guten Bezahlung der Russen und der weniger guten von uns – teuer und schließlich ungemütlich war. So glückte es dann nach ¾ Stunde, in der wir Lukas mit Redensarten, Tee und Konserven zugesetzt hatten, ihn breit zu schlagen, ihn zur Weiterfahrt zu bewegen. Die Rollen wurden verteilt und wir fuhren los. Die Fahrt war fein. Es ging mit affenartiger Geschwindigkeit durch ein Gewirr von Inseln und größeren und kleineren Armen hindurch, sodaß wirklich gute Ortskenntnisse dazu gehörte, heil durchzukommen. 174

Die 3 Flöße aus Amanasch, deren Führer nicht so gut waren, sind auch sämtlich an dieser Stelle gescheitert, und haben z.T. mehrere Tage gebraucht, um wieder loszukommen. Bei uns klappte alles, da Lukas uns gute Anordnungen gab, und als wir glücklich und mit vereinten Kräften durch waren, lobte er uns:чрүжо сразкались, ребяша(„Ihr habt Euch Heft 2 - 54

wacker geschlagen, Kinder“) was uns viel Freude machte, da er doch ungefähr in unserem Alter war. Von nun ab ging die Fahrt langsamer, da wir jetzt aus den Bergen heraus und in die flache Steppe gekommen waren. Das nächste Dorf war Aschkaul (3silbig: a-ul ist kaukasisch und heißt Dorf, vergl. Baruaul,) Damit waren wir wieder in bekannter Gegend, denn Aschkaul hatten wir schon zu Fuß von Kansk aus auf Spaziergängen aufgesucht. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen und wurde ein ganz schöner Abend. Wenn man nur nicht in dem ganz durchgeregneten Zeug gesteckt hätte. Trockne Füße hatte man auch nie auf dem Floß. Glücklicherweise blieb wenigstens der Tabak trocken. 175

Beim Herannahen der Dämmerung näherten wir uns den hohen Bergen (vielleicht 3500 m hoch) auf dem rechten Ufer, die im Herbst häufig unser Wanderziel gewesen waren. Doch fuhren wir immer langsamer, und kamen, kaum noch 8-10 km von Kansk, gar nicht voran. Es wurde dunkel, und noch immer war nichts von Kansk zu sehen. Anzulegen hatte keinen Zweck. Auf dem rechten Ufer waren hohe Berge, und es gab keine Möglichkeit, über die von Tschechen besetzte Eisenbahnbrücke nach Kansk zu kommen. Auf der linken waren Wiesen, die von immer neuen Armen durchströmt waren, sodaß wir auch nicht weiter gekommen wären. Und im Freien auf der Wiese ohne Stroh, ohne Dach in den nassen Kleidern zu übernachten, kam nicht in Frage, besonders, da kein trockenes Holz zu finden war. So beschlossen wir, auf gut Glück in die mondlose, gelegentlich klare, meist bedeckte Nacht hineinzufahren, obgleich wir wieder in ein Gebiet mit einer Unmenge von Inseln und Stromarmen kamen. In dem wir nur zu leicht festlaufen konnte. Doch erstaunlich war die Fähigkeit unseres Russen, der mit unbeirrbarer Sicherheit immer angab, 176

wo und wie wir fahren mußten. Diese Nachtfahrt war etwas unheimlich, aber sonst sehr schön. Und doch freuten wir uns nicht wenig, als wir das erste Zeichen der Nähe von Menschen wahrnahmen, das Bellen der Hunde in dem auf dem rechten Ufer gelegenen Teil von Kansk. (genannt Perevos = Fähre) Bald waren dann auch die Lichter zu sehen, vor allem die großen Lampen an der Eisenbahnbrücke, und nun hieß es aufpassen, denn da man sich nachts der Brücke nicht nähern durfte, mußte man mit einem scharfen Gruß von der Tschechenwache rechnen. So wie wir daher den letzten Nebenfluß links hinter uns hatten, legten wir an, befestigten das Floß, was noch große Schwierigkeiten machte, da es lange dauerte, bis wir kräftige Pfähle dauerhaft eingeschlagen hatten, Und traten dann, ziemlich kaputt, da wir von 4 oder 5 früh bis nach 10 Uhr abends dauernd tätig gewesen waren, den Marsch ins Lager an. Hier war natürlich nichts vorbereitet, ein Kommando, gab es nicht mehr, die Verwaltung führte ein von der Gemeinheit gewähltes Komité, 177

und niemand wollte derjenige sein welcher. So hatte ich noch viel Lauferei, bis ich die russischen Flößer - unser 2. Floß war auch noch gekommen, unser Vorbild hatte ihnen Mut gemacht – gespeist, entlöhnt und untergebracht hatte. Als ich in die Baracke kam, war schon alles dunkel, mein Bett mit allen möglichen Sachen vollgepackt, was mich aber nicht hindern konnte, noch Brot und irgendwelche Wurst aufzutreiben und ein großes Nachtstück einzuschieben, worauf ich mich dann befriedigt schlafen legen konnte. Am nächsten Morgen – es war Sonntag – beschlossen wir zunächst, unser Floß von der Anlegestelle oberhalb der Brücke zum Lager – etwa 5-6 km stromabwärts zu bringen. Die Russen waren schon zurück, so führte einer der Herren vom 1. Floß, die schon einmal gefahren waren. War bis dahin alles gut gegangen, so sollten wir jetzt angesichts des Lagers noch Schiffbruch erleiden. Unterhalb der Brücke kamen noch einmal Untiefen, und die Führer der beiden Flöße waren sich nicht über die Fahrstraße einig. Heft 2 - 55

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Wir, als die ersten, fuhren links, und schon saßen wir fest, und zwar gründlich, daß mit unsern Mitteln kein Loskommen war. Zwar gingen wir sofort in das – nicht mehr sehr warme – Wasser, und versuchten, das Floß mit Hebeln wieder los zu wuchten, doch vergeblich, es wurde immer schlimmer, da es immer flacher wurde, und der Strom von oben nachdrückte. Nun mußten wir durch das Wasser an Land, wobei auch einige Gäste, die aus Neugier mitgefahren waren, zu allgemeinem Gaudium naß wurden. Ziemlich kleinlaut kehrten wir ins Lager zurück, und beschlossen, möglichst gleich nach dem Essen unser Floß wieder flott zu machen. Törichterweise behielt ich mein vollkommen durchnäßtes Zeug an, und fror nicht schlecht. Doch viel zum Wechseln hatte man ja nicht, und nach dem Essen sollte es wieder ins Wasser gehen. Diesmal sollte es mit einem Pferd versucht werden, Guido Tielscher kam mit dem Hans von der Küche V, und versuchte sein Heil. Doch das Floß rührte sich garnicht, und noch betrübter zogen wir zurück, und beschlossen, das Unternehmen am nächsten Morgen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit vorzubereiten 179

und auszuführen. Ich hatte mittlerweile die Nase voll und kroch in meine Falle, um endlich wieder warme Knochen zu bekommen. Am Montag 3.5.22.

sahen wir drei Floßgenossen uns erst mal in Ruhe die ganz Lage an und konnten feststellen, das etwas unterhalb (etwa 50 m?) der Unglücksstelle wieder Fahrwasser war, bereiteten alles vor, besorgten Stricke, Beile, Hebel und anderes und warben vor allem eine Hilfsmannschaft, die, ohne viel zu reden, bereit war, mit uns das Floß loszumachen. Glücklicherweise gab es immer Kameraden genug, die zu solchen Unternehmungen bereit waren, und so zogen wir wiederum gleich nach dem Essen mit etwa 15 Mann los – unter denen natürlich Wilhelm Hartmann nicht fehlen durfte – gingen – diesmal schlauer Weise ohne Strümpfe, nur mit Schuhen, damit man auf dem scharfen Kies feststand – in das schneidend kalte Wasser, wuchteten unser Floß frei und brachten es ins Fahrwasser, flickten, was auszubessern war und brachten es glücklich an die Landestelle 180

unterhalb des Lagers. So waren nun diese beiden Flöße aus Chomutowo an ihrem Bestimmungsorte angelangt. Von den 3 aus Amanesch, die am selben Morgen (Sonnabend) wie wir abgefahren waren, war noch keins übergekommen; sie hatten alle 3 Schiffbruch erlitten, und saßen meist irgendwo in den Schnellen zwischen Briashni und Aschkaul fest. Ungeschicklichkeit der Flößer hatte sie auffahren lassen, dann waren sie z.T. aus dem Leim gegangen (wohl mit wegen der schlechten Verbindung) und die Mannschaft mühte sich schwer ab, zu retten, was noch zu retten war. Sie wollten zunächst Russen aus dem nächsten Dorf zu Hilfe nehmen, doch die forderten so unverschämte Bezahlung, daß unsere Leute darauf verzichteten. Nach 2 oder 3 Tagen schickten sie ins Lager und baten um Unterstützung, und mit vereinten Kräften – ich glaube es waren zuletzt 20-30 Mann dort draußen – bekamen sie alle drei Flöße wieder flott, und mit verhältnismäßig geringen Verlusten kamen sie auch am Bestimmungsort an. Gern wäre ich auch bei dieser Hilfstruppe gewesen, doch ging es aus irgendwelchen Gründen nicht. Am Strande, etwa ¼ Stunde vom Lager, unserer 181

Badestelle vom Sommer her, wurden die Flöße auseinandergenommen, die Stämme einzeln an Land gezogen – hier ging die Arbeit wesentlich langsamer, als bei uns draußen, wurde aber besser bezahlt – und dann gleich auf die einzelnen Baracken verteilt. Dann zersägte die Baracke ihre Stämme und fuhren es (mit den von den Tschechen gepumpten Wagen) ins Lager, wo das Holz dann für den Gebrauch in Scheite zersägt und gespalten wurde. Jeder Heft 2 - 56

mußte sich daran beteiligen, d.h. es gab wie immer, viele Drückeberger. Bei dieser Gelegenheit – es war gerade der 18.Oktober – leistete ich mir einen recht begabten Streich: Ein Scheit, den ich spalten sollte, wollte nicht recht stehen, ich stützte ihn mit meinem linke Fuß, hole aus, schlage zu und – mit Hartmanns feiner, frisch geschärfter Militäraxt) durch Scheit und Schuh feste in den Fuß hinein. Die Schweinerei war groß, außerdem schimpfte Dr. Bauer nicht schlecht, daß sein Verbandszeug so in Anspruch genommen wurde. Dabei hatte ich noch großes Glück, es war kein Knochen verletzt, nach wenigen Tagen konnte ich schon wieder leidlich laufen. 182

Als nun alles Holz im Lager war, und die Abrechnung bekannt gegeben wurde, stellte sich heraus, daß das ganze Unternehmen sehr gut geglückt war; wir hatten nicht nur den größten Teil des Holzbedarfes sicher, wir hatten es sogar zu einem recht billigen Preise bekommen. Und die Österreicher, die ihr Holz selber fällten, hatten noch viele Wochen sehr anstrengender und unangenehmer Arbeit, hatten dann das teuer erkaufte Holz 20 km weit vom Lager, und bekamen nur wenig davon auf Schlitten (in der kältesten Zeit und gegen Bezahlung) ins Lager, und dann kam der Bolschewismus und die Bauern des nächsten Dorfes hoben nach ihrer Weise das Privateigentum auf und holten sich vom Holze, was sie brauchten. Ich war durch die Flößerei wieder ganz gut zu Geld gekommen, vor allem, weil man 14 Tage nichts ausgeben konnte. Nach dem einige Tage des Schlemmens in Kaffee und Kuchen vorüber waren, nahm ich wieder Vernunft an, und beschloß, mich möglichst lange von dem beschwerlichen Joch der Heimarbeit frei zu halten. Und das glückte bis Weihnachten. Von Lagerleben in diesem Winter 19/20 ist zunächst zu berichten, daß unser Sommerlokal ins Lager verlegt wurde: in Baracke 28, deren Ränder z.T. mit Einzelbuden 183

belegt waren, und in der wir im Sommer getischlert hatten, wurde sehr geschickt – nach Paul Arno Müllers Entwürfen – das „deutsche Haus“ eingerichtet, wo es gutes Essen, Kaffee und Kuchen gab. Leider hatte ich selten das Geld dazu, schon damals bekam man meist „Lorke“, soweit man nicht gut gestellter Heimarbeiter war. Das „deutsche Haus“ hat uns im Laufe des Winters recht gute Dienste geleistet, es war immer warm und hell dort, und man hatte, je länger die Gefangenschaft dauerte, desto mehr das Bedürfnis, möglichst oft aus der Barackenumwelt herauszukommen. Hierzu diente auch eine weitere Neuerung, die damals eingeführt und für die Dauer unseres Zusammenlebens beibehalten wurde: die Sonntagsjausen. Anton als Bücherwart, hielt sich den Tag über meist in der Bücherei auf, einem kleinen Raum mit Bücherbrettern und großem Tisch, den er sich selbst sehr ordentlich hergerichtet hatte und auch von Zeit zu Zeit (wie er sich niederrheinisch ausdrückte) „kälkte“. An Festtagen hatten wir schon öfter darin zusammengesessen, jetzt gab eine Jause am 26.10. zur Feier von Vaters 60. 184

Geburtstag und zu der ich meine Gruppenkameraden Anton und den Professor geladen hatte – außerdem noch W. Hartmann - Anlaß, diese gemütliche Sonntagsstunden fern vom Barackentriebe – d.h. durch eine dünne Bretterwand von ihm getrennt – zur ständigen Einrichtung zu machen, auf die man sich die ganze Woche freute. Wir warfen Geld zusammen, kauften mehrere ℔ Kaffee, und nun hatte der Reihe nach jeder Sonntagsdienst, d.h. er mußte Kaffee rösten – auf Holzfeuer in einer alten Blechbüchse, die Hartmann kunstvoll zum Drehen eingerichtet hatte – mahlen (das Mahlen war nicht schlimm, viel schwerer war das Ergattern einer Mühle, später nahmen wir Mörser) – und morgens und Heft 2 - 57

nachm. in großen Mengen kochen (hierzu auch wieder 1. Holz besorgen 2. Axt borgen 3. Holz spalten, 4. einen Ofen ausfindig machen 5. Kochen auch hierbei wieder 2. und 4. das Schlimmste.) Aber dann war man den Sonntag über mal in anderer Umgebung und Stimmung. Und gut war der Kaffee, für jede Tasse wurde ein gehäufter Teelöffel voll gerechnet. Anton mußte dann immer für ein gutes Buch sorgen, und so waren die Sonntage immer Höhepunkte. 185

Die Wochentage hielt ich mir unter peinlicher Vermeidung von Heimarbeit für Arbeiten für mich frei. Krämer war schon im Mai 19 nach Irkutsk kommandiert worden, zu einer russischen Automobilabteilung. Seine Bude in 28. war von La Baume als Alleinbesitzer übernommen worden. Der nun war den ganzen Winter über als Tischler (in einer größeren Werkstatt mehrerer Parteien) tätig, und und so ließ er tagsüber den Professor und mich in dem kleinen Stübchen, das ich schon Seite 105 beschrieben habe, arbeiten, und wir waren beide dankbar, so wirklich Ruhe zu haben, denn in der Baracke war es immer übler geworden. 18.5.22.

Von dem, was ich in jener Zeit getrieben habe, ist mir nur noch wenig in Erinnerung, es war eben immer wieder der alte Fehler, daß man irgend etwas arbeitete, was nachher vollkommen vergessen wurde, da man es nicht übte. Ich betrachte heute diese ganze Arbeiterei für verfehlt, und es wäre mir viel lieber, ich hätte – ähnlich wie die Tischlerei – noch irgendetwas Brauchbares gelernt, irgendwelche Fertigkeiten geübt und erworben. 186

So war man dazu zu bequem und verschanzte sich noch hinter der faulen Ausrede, daß man geistig arbeite. Meine Hauptarbeit war in jenen 2 Monaten (November und Dezember 1919) englische Sprachstudien, die ich an Hand der Grammatik von Sturok (einer englischen Grammatik für russische Schüler, eine sehr gute, wenn auch anstrengende Übung in 2 Fremdsprachen gleichzeitig) und Macanlags (?) Buch über Lord Clive trieb. Mein Lehrer, der sich sehr viel Mühe mit mir – und nachher auch mit dem für Englisch vollkommen ungeeigneten Badener Markert - gab, war der Professor. Ich hoffe, daß ich nie in meinem Leben gezwungen bin, wieder Englisch zu treiben. Daneben studierte ich eingehend die beiden Bände über die mitteldeutsche und norddeutsche Stadt (von Wolf, Verlag Piper in München) Leider sind meine Hefte wie vieles andere in Sibirien geblieben, da ich nicht die innere Reife hatte, den normalen Transport abzuwarten. 187

Schließlich arbeitete ich damals einen Vortrag über das deutsche Bauernhaus, seine Eigentümlichkeiten, Verbreitung, Geschichte usw. aus, ein kühnes Unternehmen, da ich so gut wie gar kein Material dazu hatte, der Vortrag war bestimmt für die „Wissenschaftliche Vereinigung“ (Quasselklub) eine von Oskar Jansen im Frühjahr 1919 begründetes Unternehmen, in dem mitunter recht interessante Vorträge gehalten wurden, manchmal sogar fördernde Aussprachen zustande kamen. Mein Vortrag wurde nicht mehr gehalten, es war auch eine Folge der kommunistischen Diktatur im Frühjahr 1920, daß derartige Unternehmungen einschliefen, weil jeder einzelne zu irgendeiner Arbeit gezwungen wurde, die für geistige Betätigungen keine Zeit mehr ließ. Zu großer Vervollkommnung war in diesem Winter das O.T.K. (Offiziers Theater Kansk) gelangt. Als wir vom Flößen wiederkamen, wurde gerade das Monate lang (unter Beteiligung des Männerchors) eingeübte „Bajazzo“ gegeben, eine sehr gute Leistung.

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Eingeübt war das Stück von dem ehemaligen Opernsänger Schlegel, einem Böhmen, der selber den (Canio ?)-gab. Bajazzo sang ein gänzlich unmusikalischer österreichischer Uhrmacher, der von Schlegel etwa 3 Monate auf seine Rolle gedrillt war. Die Frauenrolle (Nedda) wurde wieder glänzend von dem beliebtesten Frauendarsteller Steyrecker – im Leben ein ganz gemeiner Jude – gesungen. Chor und Ausstattung war wieder sehr gut, woher die vielen südländischen Kostüme kamen, war mir schleierhaft. Wochenlang lebte man in den Melodien von Bajazzo, bis ein neues Stück kam. Nach einem größeren kamen gewöhnlich ein oder mehrere „Schmarren“, die man aber auch gerne in Kauf nahm, da es immer viel zu lachen gab, manchmal auch über sehr ernste und sentimentale Sachen, (wodurch man sich sogar einen Verdruß zuziehen konnte). Das Theater war immer ein Ereignis, ich habe kein Stück unbesucht gelassen, hatte auch einen feinen Abonnementplatz, in der 18. Reihe, die 2 Vorteile hatte: 189

1./ als einzige hatte sie eine Lehne 2./ da sie die letzte war, konnte man sich auf den zusammengerollten Mantel setzen und saß weich und hoch. Das nächste große Stück war wohl „Nachtasyl“ von Maxim Gorki, meiner Empfindung nach die gelungenste Aufführung, die ich im Kansker Theater sah. Die Regie hatte diesmal Dr. Rollet, ein Wiener Journalist, der aus Graz gebürtig, über die ganze Liebenswürdigkeit und feine und ansprechende Bildung verfügte, die die besten unter den Österreichern besaßen. Seine Vorträge über Gottfried Keller und vor allem C.F. Meyer haben mir großen Eindruck gemacht, leider konnte er sie nicht, wie geplant, bis zu W. Raabe fortführen, die „Diktatur des Proletariat“ erstickte auch dieses Vortragsunternehmen. (Die Internationale erkämpfte das Menschenrecht und drückte Dr. Rollet Beil und Spaten in die Hand oder zwang ihn zu sonst einer Tätigkeit). Um das Theater erwarb sich R. große Verdienste durch gelegentliche Spielleitung, die immer sehr gut war, durch sein eigenes Spiel, 190

das nicht so ganz glücklich war, da er etwas übertrieb, und vor allem durch seine Tätigkeit als Damenschneider. Er schneiderte die feinsten Kostüme, er konnte vor allem auch plätten und bügeln und war so unbezahlbar für alle feinen Sachen. Zum Theater gehörte natürlich ein großer Betrieb, die Tischlerei stand unter Leitung eines honnoverschen Königsulanen, Beindorf, Sohn des Besitzers der Günter Wagnerschen Tusche usw. Fabrik, der es verstand mit den kümmerlichsten Hilfsmitteln glänzende und sehr geschmackvolle Einrichtungen auf die Bühne zu zaubern. Als Kulisse kaufte man einem russischen Offizier, der die Kammer unter sich hatte, Zeltbahnen ab, für ein lächerlich niedriges Geld; sie wurden zerschnitten und bemalt, unter Leitung des Prof. Sitte, einem Deutsch-Böhmen. Glanzleistung: Alt Heidelberg, auch der Wald in „Bajazzo“. Alles mußte natürlich von den Offizieren selbst gemacht werden, da die Lagerhandwerker unbezahlbar waren.

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Anhang: Umgebung und Kriegsgefangenenlager Kansk

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