Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft Herausforderungen der künftigen Elektrizitätswirtschaftspolitik im Kanton Graubünden Chur, August 2008
echt weitsichtig.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
2
Hinweis für den eiligen Leser: Zur Wahrung der Übersichtlichkeit wurde in diesem Bericht auf eine Zusammenfassung verzichtet. Dem eiligen Leser dienen die Umschlagsrückseite und das Kapitel 5 „Schlussfolgerungen“ als Zusammenfassung.
Impressum Herausgeber:
Wirtschaftsforum Graubünden
Autoren:
Peder Plaz / Dr. Christian Hanser
Finanziell unterstützt durch:
Rätia Energie AG und Graubündner Kantonalbank
Erarbeitung:
Der Inhalt des Berichts wurde mit verschiedenen erfahrenen und sachverständigen Personen aus der Energiewirtschaft besprochen und plausibilisiert. Für Inhalt und Schlussfolgerungen sind ausschliesslich die Autoren des Berichts verantwortlich.
Veröffentlicht:
August 2008
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
3
Vorbemerkungen Das Wirtschaftsforum Graubünden versteht sich als Denkwerkstatt und hat sich die Aufgabe gestellt, Zusammenhänge und Herausforderungen des Wirtschaftsstandortes Graubünden aufzuzeigen sowie ökonomisch stringente Lösungsansätze zur Diskussion zu stellen, auch wenn diese nicht unmittelbar umsetzbar erscheinen. Denn am Anfang jeder Lösung steht die Diskussion möglicher Verhaltensweisen. Und diese Diskussion soll durch den vorliegenden Bericht angeregt werden. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre! Ihr Wirtschaftsforum Graubünden
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
4
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
5
Inhalt 1
Warum befasst sich das Wirtschaftsforum Graubünden mit der Elektrizitätswirtschaft? 7
1.1
Ausgangslage
7
1.2
Ziel und Zweck
9
1.3
Methodisches Vorgehen
9
1.4
Positionierung des Berichtes
2
Globale Trends im Energie- und Stromsektor
10 11
2.1
Weltweite Rohstoffnachfrage und -preise
11
2.2
Europäischer Elektrizitätsmarkt
13
2.3
Schweizerischer Elektrizitätsmarkt
14
2.4
Entwicklung der Strompreise in Europa
18
2.5
Entwicklung der Technologien zur Elektrizitätserzeugung
19
3
Potenziale der Stromwirtschaft im Kanton Graubünden
21
3.1
Heutige Strukturen und Wertschöpfung in Graubünden
21
3.2
Wachstumsschienen
28
3.3
Mögliche Szenarien in der Übersicht
39
4
Herausforderungen der Politik in Graubünden
43
4.1
Handlungsfelder in der Übersicht
43
4.2
Handlungsfeld: Definition von Politikzielen
47
4.3
Handlungsfeld: Umweltgesetzgebung
49
4.4
Handlungsfeld: Wasserzinssystem
52
4.5
Handlungsfeld: Neue Konzessionen
60
4.6
Handlungsfeld: Heimfall
67
4.7
Handlungsfeld: Partnerwerkbesteuerung
71
4.8
Handlungsfeld: Abstimmung von Wasserzinsen und Ertragsbesteuerung
76
4.9
Handlungsfeld: Nutzniesser der Einnahmen aus Heimfällen und Wasserzinsen
81
4.10 Handlungsfeld: Verwendung staatlicher Einnahmen aus Wasserzinsen und Heimfällen
86
4.11 Handlungsfeld: Strukturgestaltung
93
5
Schlussfolgerungen
101
5.1
Erkenntnisse aus der Analyse
101
5.2
Aktionsplan „Elektrizitätswirtschaftspolitik Graubünden“
102
5.3
Abschliessende Bemerkungen
111
Literaturverzeichnis
115
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
6
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
7
1
Warum befasst sich das Wirtschaftsforum Graubünden mit der Elektrizitätswirtschaft?
1.1
Ausgangslage
Das Wirtschaftsleitbild Graubünden 2010 misst der exportorientierten Elektrizitätswirtschaft1 für die Zukunft Wachstumschancen und damit ein Potenzial als volkswirtschaftliche Lokomotive bei. Ob die Elektrizitätswirtschaft dem Wirtschaftsstandort Graubünden künftig markante Impulse geben kann, hängt jedoch von wichtigen Umwälzungen im Umfeld der globalen Energiemärkte und von der Entwicklung der staatlichen Regulierungen im Inland ab. Wesentliche Einflussgrössen sind: •
Die Erdöl-Preisentwicklung – in den letzten Jahren erfuhr der Erdölpreis einen markanten Anstieg. Gemäss heutiger Einschätzung der meisten Experten scheint dieses höhere Preisniveau über längere Zeit Bestand zu haben, da sich die Nachfrage und die Ölförderkosten laufend erhöhen. Eine Rückkehr auf das Preisniveau der 1990er Jahre (USD 20 oder sogar USD 12 pro Barrel anfangs 1999) scheint unwahrscheinlich. Dies führt zu einer wesentlichen Neubewertung der Wettbewerbsfähigkeit der übrigen klassischen (z.B. Nuklearkraft, Wasserkraft) und neuen erneuerbaren Energieträger (z.B. Windkraft, Solarkraft, Biomasse) und eröffnet vielfältige neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Abb. 1:
Entwicklung des Preises für Rohöl 10
140 CHF/Barrel Öl der Sorte West Texas Intermediate USD/Barrel Öl der Sorte West Texas Intermediate
9
Ölpreis in Franken hat sich innerhalb von 9 Jahren versechsfacht!
Wechselkurs CHF/USD
8
Rohölpreis pro Barrel
100
7 6
80
5 60
4
CHF/USD Wechselkurs
120
3
40
2 1.54877
20
0 1990
Quelle:
1991
1992
1.30542
1.13709
1993
1994
1995
1996
1.0142
1.78421
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
1
0 2009
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• 1
Der Begriff Elektrizitätswirtschaft umfasst üblicherweise die Produktion, den Handel, den Transport und die Verteilung von Elektrizität. In diesem Bericht stehen die Produktion und der Grosshandel mit Elektrizität im Fokus, da es sich dabei aus Bündner Sicht um Exportdienstleistungen handelt. Um die Lesbarkeit nicht zu erschweren, verwenden wir folgende Begriffe als Synonyme für diese Exportleistungen der Elektrizitätswirtschaft: Elektrizitätswirtschaft Graubünden, Stromwirtschaft Graubünden, exportorientierte Elektrizitätswirtschaft Graubünden, Bündner Elektrizitätsunternehmen etc. Sollten wir die Verteilung oder die Transportaktivität ansprechen, wird im Bericht explizit darauf hingewiesen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
8
•
Strommarktliberalisierung – In Europa werden die einstmals national abgeschotteten Strommärkte weiter liberalisiert. Dies führt zu einem vermehrten Handel mit tendenziell volatilerem Preisverlauf als in der Vergangenheit.
•
Drohende Kapazitätsengpässe – Sofern einzelne Kernkraftwerke in Westeuropa nach Ablauf der bestehenden Konzessionsverträge nicht erneuert werden, droht mittelfristig eine Versorgungslücke. Es stellt sich die Frage, mit welchen Energiequellen diese Versorgungslücke gedeckt werden soll.
•
Öko-Steuern - Sofern vermehrt Öko-Steuern (z.B. CO2-Abgabe) eingeführt werden, wird die Wettbewerbsfähigkeit von erneuerbaren Energien mit günstiger Ökobilanz tendenziell zunehmen, weil die fossilen Energieträger relativ zu den erneuerbaren Energieträgern verteuert werden.
Diese massgebenden Trends in der Energiewirtschaft Europas versprechen für das Elektrizitätsland Graubünden neue Wachstumschancen, sei es im Rahmen •
der Elektrizitätsproduktion oder
•
des Energiehandels.
Die Energieproduktion und der Handel mit Elektrizität unterstehen allerdings immer noch weitgehenden staatlichen Regulierungen (z.B. Marktregulierungen, Bewilligungsverfahren für die Entwicklung von Anlagen, Nutzungsbestimmungen für den Rohstoff Wasser). Ob Graubünden langfristig von den neuen Marktbedingungen profitieren kann, hängt deshalb nicht nur von den Marktentwicklungen, sondern auch massgeblich von der Entwicklung der staatlichen Regulierungen ab. Es gilt deshalb, die bestehenden Regulierungen auf den verschiedenen staatlichen Ebenen sowie im Speziellen die aktuelle Energiewirtschaftspolitik des Kantons Graubünden mit Blick auf die absehbaren Marktentwicklungen zu hinterfragen und einen allfälligen Handlungsbedarf zu identifizieren. Das Wirtschaftsforum Graubünden untersucht vor diesem Hintergrund, welche Potenziale für den Wirtschaftsstandort Graubünden bestehen und welche politischen Herausforderungen zu meistern sind, damit Graubünden die verfügbaren Potenziale in geeigneter Frist ausschöpfen kann.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Tab. 1:
1.2
9
Fragestellungen des Wirtschaftsforums Graubünden
1
Wie entwickelt sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraft?
2
Welche wirtschaftlichen Potenziale bestehen für den Standort Graubünden im Stromhandel?
3
Bestehen in Graubünden Exportpotenziale in der Nutzung von alternativen Elektrizitätsproduktionen (z.B. Wind, Sonne, Biomasse)?
4
Mit welchen Wachstumspotenzialen kann am Wirtschaftsstandort Graubünden aufgrund der Marktentwicklungen einerseits und der landschaftlichen und regulatorischen Voraussetzungen andererseits gerechnet werden?
5
Welches BIP-Wachstum könnte bei einer optimalen Ausschöpfung der Potenziale der Elektrizitätswirtschaft in Graubünden erreicht werden?
6
Genügen die bestehenden politischen Rahmenbedingungen und Strukturen, um die bisherigen Potenziale optimal auszuschöpfen, oder sind Änderungen angezeigt?
Ziel und Zweck
Mit diesem Bericht verfolgt das Wirtschaftsforum Graubünden folgende Ziele: •
Schaffen einer einfach verständlichen, aktuellen Auslegeordnung zu den Potenzialen der Elektrizitätswirtschaft Graubünden als Diskussionsbasis.
•
Sensibilisieren von Akteuren in Politik und Wirtschaft für die Herausforderungen der Elektrizitätswirtschaft Graubündens und die entsprechend notwendigen wirtschaftspolitischen Diskussionen.
•
Bereitstellen eines Argumentariums für reformwillige politische Akteure.
•
Beitragen zu einem politischen Klima, das eine konstruktive Diskussion über die Ausschöpfung von Potenzialen der Elektrizitätsproduktion und des Elektrizitätshandels in Graubünden begünstigt.
1.3
Methodisches Vorgehen
Bei der Erarbeitung des vorliegenden Berichtes sind wir wie folgt vorgegangen: Schritt 1: Erstellung einer methodischen Vorstudie mit Kennern der Schweizer und Bündner Energiewirtschaft zur Eingrenzung der Kernfragen, welche für den Wirtschaftsstandort Graubünden von Bedeutung sind, sowie Identifizierung von bereits bestehenden Grundlagen und von selbständig zu erarbeitenden Antworten. Schritt 2: Analyse der Ausgangslage der Elektrizitätswirtschaft in Graubünden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
10
Schritt 3: Auseinandersetzung mit Prognosen zur Entwicklung des Elektrizitätsmarktes. Zu diesem Zweck wurden unter anderem Preisprognosen der Firma Pöyry und des Instituts CEPE-ETH verwendet. Schritt 4: Überprüfung des wirtschaftlichen Potenzials der Elektrizitätswirtschaft Graubündens. Schritt 5: Plausibilisierung der Analyseergebnisse mit Kennern der Elektrizitätswirtschaft Graubündens. Schritt 6: Design des politischen Instrumentariums, das dazu beitragen soll, dass der Standort Graubünden die bestehenden Potenziale ausschöpfen kann. Plausibilisierung des vorgeschlagenen politischen Rahmens mit einer Arbeitsgruppe.
1.4
Positionierung des Berichtes
In Kapitel 4.2 werden die aktuellen Ziele der Bündner Regierung zur Energiepolitik dargestellt. Obwohl insbesondere die Bündner Wirtschaftspolitik bezüglich der Erschliessung der Wasserkraft eine zum Teil leidvolle Geschichte geschrieben hat2, konnten in den letzten Jahrzehnten massgebliche Fortschritte erzielt werden, wie beispielsweise die explizite Formulierung von energiepolitischen Zielsetzungen im Jahr 1975 (revidiert 1990 und 2000), die Gründung der Grischelectra AG und der Aufbau der Rätia Energie AG. Dieser Bericht verfolgt nicht das Ziel, die bisherige Elektrizitätspolitik zu bewerten, da diese immer vor dem Hintergrund der Geschichte zu beurteilen ist. Auf eine Würdigung der Geschichte oder aktueller politischer Diskussionen wird bewusst verzichtet. Wer sich für den Werdegang der heutigen Elektrizitätspolitik interessiert, wird auf die Publikation „Unter Strom“ verwiesen. In dieser Publikation ist die Entstehung der Elektrizitätswirtschaft und der entsprechenden Gesetzgebung in der Schweiz und in Graubünden faktenreich und anschaulich dokumentiert. Mit dem vorliegenden Bericht analysiert das Wirtschaftsforum Graubünden in unabhängiger Weise die künftig zu erwartenden Entwicklungen auf den Energiemärkten und ihre möglichen Konsequenzen für die Volkswirtschaft Graubündens. Daraus werden künftig mögliche Verhaltensweisen für die Bündner Politik abgeleitet. Diese möglichen Verhaltensweisen werden im Sinne von konstruktiven Vorschlägen zur weiteren Diskussion gestellt.
• 2
Vgl. die Ausführungen zum Debakel der 1917 gegründeten AG Bündner Kraftwerke beim Bau des Kraftwerkes Küblis, in Ramming et al. (2006): Unter Strom – Politische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte der hundertjährigen Wasserkraftnutzung in Graubünden, Chur.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
11
2
Globale Trends im Energie- und Stromsektor
2.1
Weltweite Rohstoffnachfrage und -preise
Die aktuellen Prognosen zur weltweiten Nachfrage nach Primärenergien deuten für alle Energieträger in Zukunft auf klar steigende Tendenzen hin (vgl. Abb. 2). Grund für das prognostizierte Nachfragewachstum sind insbesondere das starke Wirtschaftswachstum in den aufstrebenden Ländern (z.B. China, Indien, Brasilien, Osteuropa) und die ständige Erhöhung der Automatisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Abb. 2:
Weltweite Nachfrage nach Primärenergieträgern
18'000 16'000 Millionen Tonnen Erdöl-Äquivalente (Mtoe)
Ist
Wasserkraft Kernenergie Andere erneuerbare Energien Kohle Gas Öl
14'000 12'000
Prognosen
10'000 8'000 6'000 4'000
Quelle:
2030
2028
2026
2024
2022
2020
2018
2016
2014
2012
2010
2008
2006
2004
2002
2000
1998
1996
1994
1992
1990
1988
1986
1984
1982
1980
1978
1976
1974
1972
-
1970
2'000
VSE (2006)
Öl ist mit einem Anteil von ca. 35% der wichtigste Rohstoff und wird dies den Prognosen zufolge auch in naher Zukunft bleiben. Dem prognostizierten Wachstum steht die Endlichkeit der verfügbaren Energieträger gegenüber. Vor allem Erdöl dürfte in absehbarer Zeit knapp werden (vgl. Abb. 3) und sich wesentlich verteuern.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Abb. 3:
12
Geschätzte statistische Reichweiten der nicht erneuerbaren globalen Energieträger in Anzahl Verbrauchsjahren bei aktuellem Verbrauch (Schätzung im Jahr 2007)
-
100
200
300
Erdöl (konventionell + unkonventionell)
62
+95
Erdgas (konventionell)
64
+85
Erdgas (konventionell + unkonventionell)
64
Weichbraunkohle
Uran 42
500
600
700
800
900
1'000 1'100 1'200 1'300 1'400 1'500
Bekannte Reserven und zu heutigen Marktpreisen wirtschaftlich abbaubar
Erdöl (konventionell) 43+24
Hartkohle
400
Ressourcen, technisch abbaubar, aber zu höheren Kosten als heutige Marktpreise
+692
+1218
207
+1066
198
+485
Total 42 + 485 = 527 Jahre
Quelle:
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover / AXPO
Mit der allgemeinen Verteuerung der Primärenergieträger wird die Wettbewerbsfähigkeit neuer Technologien verbessert. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass mit der Verteuerung der Primärenergieträger gleichzeitig mehr bekannte Ressourcen wirtschaftlich ausgeschöpft werden können. Dadurch dürfte eine vermehrte Substitution der nicht erneuerbaren Ressourcen durch alternative Energieträger (inkl. Gas, Kohle, Kernkraft) zu erwarten sein, was eine dämpfende Wirkung auf die Preise der Primärenergieträger haben wird. Insgesamt kann jedoch mittelfristig aufgrund der Verknappung der Ressourcen und vorläufig noch fehlenden Substitutionsmöglichkeiten in genügendem Volumen von einem deutlich höheren allgemeinen Energiepreisniveau ausgegangen werden als beispielsweise in den 1990er Jahren.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
13
Exkurs: Peak-Oil-Theorie Kurz- bis mittelfristig ist nicht ausgeschlossen, dass der Effekt der von M. King Hubbert formulierten Peak-Oil-Theorie eintreten wird. Diese Theorie besagt, dass der Preis für Erdöl abhängig vom Jahresverbrauch (Nachfrage) und der Jahresförderung (Angebot) ist. In der Theorie geht man davon aus, dass (aufgrund der heute bekannten Ölvorkommen) in den nächsten 5 – 10 Jahren die maximale Erdöl-Fördermenge pro Jahr erreicht wird. Das würde bedeuten, dass aufgrund ungenügender Förderleistungen der tägliche Bedarf nicht gedeckt werden kann, obwohl die Reserven noch auf Jahre hinaus reichen. Daraus wäre zu folgern, dass der Ölpreis nach Erreichen dieser Ölförderspitze – ceteris paribus – stark ansteigen müsste. Vergleicht man die aktuelle Ölpreisentwicklung mit der unten aufgeführten Reservendarstellung und geschätzten Förderspitze nach Jeremy Legget, scheint die Peak Oil-Theorie durchaus ihre Berechtigung zu haben.
Abb. 4: Darstellung der prognostizierten jährlichen Förderung der Primärenergieträger aufgrund der verfügbaren Reserven sowie der aktuellen Preisentwicklung für Erdöl (Visualisierung der Peak-Oil-Theorie) Ölförderspitze
"Hubbert Kurve"
Öl- und Gasförderspitze
50
40 35
135 120 105
30
90
25
75
20
60
15
45
10
30
5
Ölpreis
15 0
19 30 19 35 19 40 19 45 19 50 19 55 19 60 19 65 19 70 19 75 19 80 19 85 19 90 19 95 20 00 20 05 20 10 20 15 20 20 20 25 20 30 20 35 20 40 20 45 20 50
0
USD pro Barrel Erdöl
Förderung in Mia. Barrel pro Jahr
45
150
Unkonventionelles Gas Gas Nasses Erdgas Polares Öl Tiefseeöl Unkonventionelles Öl Reguläres Öl Ölpreis
Quelle:
2.2
ASPO / Leggett, Peak Oil (2006)
Europäischer Elektrizitätsmarkt
Gemäss aktuellen Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA erhöht sich die jährliche Stromnachfrage in Europa bis ins Jahr 2030 um insgesamt ca. 45%. Zudem müssen in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Kernkraftwerke altersbedingt ersetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Versorgungslücke absehbar. Um diese zu decken, sind neue Kraftwerkkapazitäten zu bauen, bzw. kann mit einer nachfragedämpfenden Verteuerung der Elektrizität gerechnet werden. Abb. 5 zeigt den Ersatz- und Neubedarf an Produktionsanlagen in Europa bis ins Jahr 2030. Um die im Jahr 2020 in Europa geschätzten fehlenden 2’400 TWh Strom zu erzeugen, müssten umgerechnet ca. 1’000 Gaskombianlagen à 400 MW oder 170 Kernkraftwerke à 1’600 MW Leistung erstellt werden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Abb. 5: 6'000
Entwicklung der Stromerzeugung in Europa in TWh
5'000
4'000
14
Ersatz- und Investitionsbedarf in der europäischen Elektrizitätserzeugung
Nachfrage
Wind Sonstige (Öl, Holz, Müll) Gas Stein-/Braunkohle Kernenergie Wasserkraft
2020
Zuwachs: 1'400 TWh
3'000
Ersatz: 1'000 TWh 2'000
1'000
0 2000
Quelle:
2005
2010
2015
2020
2025
2030
VSE (2006)
Da in vielen Ländern derzeit zudem ein Ausstieg aus der Kernkraft diskutiert wird, stellt sich die Frage, mithilfe welcher Technologien die notwendigen Produktionskapazitäten bereitgestellt werden und wie sich dieser Ersatz auf die Rentabilität der Wasserkraftanlagen im Schweizer Alpenraum bzw. in Graubünden auswirkt.
2.3
Schweizerischer Elektrizitätsmarkt
Auch für die Schweiz wird eine zunehmende Nachfrage nach Elektrizität prognostiziert. Im Szenario „Tief“ rechnet der Verband Schweizer Elektrizitätsunternehmen VSE mit einem Nachfragewachstum von ca. 18%, im Szenario „Hoch“ von ca. 40% bis ins Jahr 2030 (siehe Abb. 6). Zum Vergleich: Die effektive Entwicklung der Nachfrage zwischen 1995 und 2005 lag im oberen Bereich des 1995 vom VSE prognostizierten Korridors, was zumindest rückwirkend die Zuverlässigkeit der damaligen Prognose belegt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Abb. 6:
15
Aktuelle Prognose zur Stromnachfrage (Landesverbrauch) in der Schweiz
100'000
VSE Szenario 1995 Tief Geschätzte Nachfrage in GWh p.a. in der CH
VSE Szenario 1995 Hoch VSE 2006 Prognose Tief
90'000
VSE 2006 Prognose Hoch BfE Szenario I Landesverbrauch effektiv
80'000
70'000
60'000
50'000
40'000 1994
Quelle:
1999
2004
2009
2014
2019
2024
2029
2034
2039
2044
2049
VSE (2006) / Bundesamt für Energie (2006)
Gemäss der aktuellen Prognose wird auch in der Schweiz eine Lücke zwischen Nachfrage und Produktion erwartet. Gründe hierfür sind, nebst der steigenden Nachfrage, die auslaufenden Importverträge mit Frankreich und der notwendige Ersatz der alternden Kernkraftwerke. Abb. 7 zeigt die Entwicklung der verfügbaren Stromproduktion in der Schweiz auf, sofern kein Ersatz für stillzulegende Anlagen erstellt wird. Abb. 7:
Angebots- und Nachfrageentwicklung von Strom in der Schweiz
100
Landesverbrauch hoch 90
80
70
Landesverbrauch tief
TWh pro Jahr
60
50
40
30
20
Wasserkraft (netto) Heutige Kernkraftwerke Inland Neue Erdgaskraftwerke
10
Kleinere konv.-therm. KW Zusätzliche Erneuerbare Importverträge Frankreich
Quelle :
VSE (2006)
2049
2047
2045
2043
2041
2039
2037
2035
2033
2031
2029
2027
2025
2023
2021
2019
2017
2015
2013
2011
2009
2007
2005
0
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
16
Zur Schliessung dieser potenziellen Lücke diskutiert das Bundesamt für Energie aktuell folgende Varianten: •
Variante KKW: Ersatz der gesamten Kernkraft mit drei KKW-Blöcken, die zusammen 12 TWh erzeugen.
•
Variante Gas: KKW werden vom Netz genommen. Ab 2020 werden total 12 GasKombianlagen erstellt, die je 3 TWh Strom produzieren.
•
Variante Mix: Kernenergie und Gaskraft, 3 kleinere KKW als in der ersten Variante plus 6 Gas-Kombianlagen.
Als wahrscheinlichste Variante zeichnete sich im Jahr 2006 noch ein Mix aus Kern- und Gaskraft zur Deckung der zusätzlichen Nachfrage ab, da mit dieser Option eine grössere Flexibilität beim Zubau der benötigten Kapazität gewährleistet wäre3. Nachdem jedoch das Parlament 2007 beschlossen hat, dass für Gaskraft der Hauptteil der CO2-Emissionen im Inland zu kompensieren ist, hat sich die Wettbewerbsfähigkeit von Gaskraftwerken in der Schweiz ernsthaft verschlechtert. Aus aktueller Sicht ist deshalb schwer abzuschätzen, mit welchen Energiegewinnungsformen die drohende Versorgungslücke gedeckt werden wird. Auf nationaler Ebene wird dem Ausbau der Wasserkraft in diesen Varianten geringe Bedeutung zugesprochen, obwohl sie bei der Ist-Betrachtung zum „Sockelangebot“ gezählt wird. Die Bereitstellung von Spitzenenergie bleibt hingegen für die Wasserkraft eine wichtige Aufgabe. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass in der Schweiz in den letzten Jahren eine Vielzahl von Kraftwerkprojekten verschiedensten Typs neu lanciert wurde (vgl. Tab. 2).
• 3
Die Planungs- und Bauphase einer Gas-Kombianlage ist mit geschätzten 5 – 10 Jahren bedeutend kürzer als bei einem Kernkraftwerk (20 Jahre+).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Tab. 2:
17
Auswahl von angekündigten Kraftwerkprojekten in der Schweiz
Gesellschaft und Ort
Kraftwerktyp / Einsatz
Leistung / Leistungserhöhung / Jahresproduktion
Geschätzte Investitionen / voraussichtliche Inbetriebnahme
Atel, Nant de Drance
Pumpspeicherwerk / Spitzenenergie
630 MW / +630 MW / 1’500 GWh
CHF 700 Mio. / 2014
Atel, Monthey
Gaskombikraftwerk / Band- und Spitzenenergie
55 MW / +55 MW / k. A.
CHF 90 Mio. / 2008
Axpo, LinthLimmern
Pumpspeicherwerk / Band- und Spitzenenergie
1’200 MW / +860 MW / 2’120 GWh
CHF 1’000 Mio. / 2015
BKW, Grimsel
Pumpspeicherwerk / Band- und Spitzenenergie
3’750 MW / +1’080 MW / k. A.
CHF 1’250 Mio. / 2020
BKW, Utzensdorf
Gaskombikraftwerk / Band- und Spitzenenergie
400 MW / +400 MW / 3’000 GWh
CHF 350 Mio. / 2010
Energiedienst, Rheinfelden
Flusskraftwerk / Bandenergie
100 MW / +74 MW / 600 GWh
CHF 430 Mio. / 2011
EOS, Chavalon
Gaskombikraftwerk / Band- und Spitzenenergie
740 MW / +740 MW / 5’900 GWh
CHF 350 Mio. / 2010
EOS, CleusonDixence
Speicherkraftwerk / Spitzenenergie
1’200 MW / +1’150 MW / 2’200 GWh
CHF 250 Mio. / 2009
Groupe E, Cornaux
Gaskombikraftwerk / Band- und Spitzenenergie
400 MW / +400 MW / 2’000 GWh
CHF 350 Mio. / 2011
Rätia Energie AG, oberes Puschlav
Pumpspeicherwerk / Spitzenenergie
200 MW / +180 MW / k. A.
CHF 400 Mio. / 2015
Quelle:
Finanz und Wirtschaft (1. Juli 2006)
Gewisse Trends (z.B. markanter Zubau von Windkraftanlagen in Deutschland, steigender Strombedarf in Europa) lassen zudem auf einen Anstieg der Nachfrage nach so genannter Spitzenenergie4 erwarten. Einen Hinweis für eine solche Entwicklung liefert die SBB, welche aufgrund der „Vertaktung“ der Fahrpläne in den nächsten 20 Jahren mit einem um 65% höheren Spitzenenergiebedarf rechnet und deshalb den Bau eines Pumpspeicherkraftwerks im Wallis mit einer Leistung von 600 MW plant. Verschiedene weitere Unternehmen • 4
Als Spitzenenergie wird derjenige Anteil des täglichen Strombedarfs bezeichnet, welcher über den Grundbedarf hinaus nachgefragt wird. Dessen Deckung ist vor allem den leicht regulierbaren Speicherkraftwerken vorenthalten. Typische Zeitpunkte für Spitzenenergie sind frühmorgens bis Arbeitsbeginn, mittags, abends nach Arbeitsschluss. An der Börse wird Spitzenenergie als „peak-load“ gehandelt und betrifft die Energie, welche von 8:00h morgens bis 20:00h abends nachgefragt wird.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
18
planen aktuell den Ausbau der Leistung von Kraftwerkanlagen im Wert von mehreren hundert Millionen Schweizer Franken (vgl. Tab. 2). Um als Energieanbieter an diesen positiven Nachfrageentwicklungen zu partizipieren, ist aus kantonaler Sicht zu prüfen, welche Potenziale für die Optimierung und den Ausbau der Wasserkraft in Graubünden bestehen.
2.4
Entwicklung der Strompreise in Europa
Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Primärenergieträgern und deren gleichzeitiger Verknappung ist von steigenden Energiepreisen auszugehen. Die angestrebte Substitution von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Ressourcen kann zu einer zusätzlichen Nachfrage nach Strom (z.B. zum Antrieb von Wärmepumpen) führen. Weil aber gleichzeitig auch Engpässe bei der Elektrizitätsproduktion entstehen dürften, rechnen heute die meisten Strompreisprognosen für Westeuropa mit markant steigenden Preisen. Das von Pöyry definierte Referenzszenario geht beispielsweise von einer Steigerung der Produzentenpreise für Spitzenenergie (peak-load) von unter 5 Rp./kWh anfangs 2000 auf 15 Rp./kWh im Jahr 2011 (=Verdreifachung!) aus. Auch für die Bandenergie (base-load) sind ähnliche Preissteigerungen prognostiziert (vgl. Abb. 8). Abb. 8:
Preisprognosen für Mitteleuropa5 gemäss Referenzszenario der Firma Pöyry Ist
Prognosen
15.00
Base-Peak Spread
10.00
5.00
Quelle:
2030
2028
Peak
2027
2026
2025
2024
2023
2022
2021
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
-
1998
Base
2029
Rp./kWh (EUR/CHF 1.65)
20.00
Pöyry (2006) / EGL / EEX Leipzig
Auch das Centre for Energy Policy and Economics der ETH (CEPE-ETH) prognostiziert Preissteigerungen für Spitzenstrom in ähnlichem und sogar höherem Umfang.
• 5
Mitteleuropa umfasst in diesem Bericht per Definition Schweiz, Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Liechtenstein)
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
19
Allen aktuell verfügbaren Prognosen, auf welche auch wir uns abstützen, ist gemeinsam, dass sie von einem stabil bleibenden Ölpreisniveau von USD 40 – 75 pro Barrel (vgl. auch Tab. 6) ausgehen. Aus unserer Sicht ist jedoch durchaus denkbar, dass die Elektrizitätspreise aufgrund des aktuell und prognostiziert höheren Ölpreisniveaus deutlich über den aktuellen Prognosewerten zu liegen kommen. Andererseits ist aufgrund der Entwicklung von Substituten (vgl. Kap. 2.5) aus erneuerbaren Energien aber auch ein gegenläufiger Effekt denkbar. Dass der Elektrizitätspreis auf den internationalen Märkten bereits heute stark in Bewegung ist, zeigt die Abb. 9 eindrücklich auf. Abb. 9:
Ist-Strompreisentwicklung an der Energy Exchange AG Leipzig
20.0 19.0
Preisspanne base/peak-Load (monatliche Durchschnittspreise)
18.0 17.0
Rp./kWh zu laufenden Wechselkursen
16.0 15.0 14.0 13.0 12.0 11.0 10.0 9.0 8.0 7.0 6.0 5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 Jan 98
Quelle:
2.5
Jan 99
Jan 00
Jan 01
Jan 02
Jan 03
Jan 04
Jan 05
Jan 06
Jan 07
Jan 08
EEX
Entwicklung der Technologien zur Elektrizitätserzeugung
Bei der Erzeugung von Strom durch neue Technologien sind in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte erzielt und grundsätzlich neue Möglichkeiten zur Stromgewinnung entwickelt worden. Abb. 10 gibt einen Überblick über die Produktionskosten konventioneller und neuer Technologien. Im Gegensatz zu den meisten erneuerbaren Technologien fallen bei Gaskombikraftwerken, Kohlekraftwerken und Holzvergasungskraftwerken hohe variable Kosten für die Beschaffung des Brennstoffes an. Dies bedeutet, dass die Kosten dieser Energiegewinnungsformen stark von den Rohstoffkosten beeinflusst werden und das allgemeine Strompreisniveau mitprägen. Je nach Preisszenario könnten in Zukunft Technologien wirtschaftlich attraktiv werden, die heute noch nicht rentabel sind. Bei Strompreisen
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
20
von 10 – 20 Rp./kWh sind in der Schweiz weiterhin die konventionellen Technologien, wie Wasser-, Gas- und Kernkraft, wettbewerbsfähig. Windparks in der Schweiz erreichen nur an optimalen Standorten und ab einer gewissen Grösse Produktionskosten von ca. 15 Rp./kWh. Abb. 10: Produktionskosten konventioneller grosstechnischer Anlagen6 80 75
CO2-Abgabe
70 65
Wärmegutschrift
Rappen pro kWh
60 55
Betriebskosten
50
Kapitalkosten
45
Brennstoffkosten
40 35 30 25 20 15 10 5 0 -5 -10 -15
Quelle:
Windpark offshore
Windpark CH
Photovoltaik 2020 Grossanlage
Photovoltaik 2020 Kleinanlage
Speicherkraft Wasser mit Pumpen
Speicherkraft Wasser ohne Pumpen
Laufkraft Wasser
Gaskombianlage 500 MW
Steinkohle KW 600 MW
Braunkohle KW 600 MW
KKW 1500 MW Gen III
Holzverstromung
Geothermie
-20
VSE (2006)
Der Vergleich mit den Kosten der übrigen alternativen Energieformen in Abb. 10 zeigt, dass die Wasserkraft auch in Zukunft eine sehr konkurrenzfähige Stromgewinnungsform ist. Weitere Ausführungen zu den alternativen Energien und möglichen Exportpotenzialen für Graubünden sind in Kapitel 3.2.4 zu finden.
• 6
Die Darstellung entspricht den Werten im Jahr 2005. Die Beschaffungskosten insb. für Gas, Öl und Kohle sind in der Zwischenzeit markant angestiegen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
3
Potenziale der Stromwirtschaft im Kanton Graubünden
3.1
Heutige Strukturen und Wertschöpfung in Graubünden
21
Gemäss der Beschäftigtenzählung 2005 des Bundesamtes für Statistik zählt die Energieversorgungsbranche in Graubünden 943 Beschäftigten-Vollzeitäquivalente (1995: 935 BVZA). Dies entspricht etwas mehr als 1% aller Beschäftigten-Vollzeitäquivalente in Graubünden. Auch wenn die Anzahl der Beschäftigten in der Energiewirtschaft im Vergleich zur bedeutendsten Bündner Wirtschaftsbranche, dem Tourismus, klein erscheint, darf deren Bedeutung nicht unterschätzt werden: Die Arbeitsplätze der Energiewirtschaft erzielen im nationalen Branchenvergleich die höchste Bruttowertschöpfung pro Arbeitsplatz. Diese liegt sogar höher als diejenige der Arbeitsplätze in der Finanz- oder Pharmaindustrie und beträgt ein Mehrfaches derjenigen der Tourismusarbeitsplätze. Von dieser hohen Bruttowertschöpfung kann die öffentliche Hand in Form von direkten Einnahmen aus Wasserzinsen und Steuern profitieren. Dies ist umso wichtiger, da diese Einnahmen (im Gegensatz zu vielen anderen Branchen) zu einem wesentlichen Teil in den Randregionen anfallen.
Europa braucht die Spitzenenergie aus den Alpen Die Bündner Elektrizitätswirtschaft ist nicht nur ein Wirtschaftsmotor für Graubünden, sondern auch ein Teil der Stromversorgung in der Schweiz und in Europa. Von den in Graubünden im langjährigen Mittel produzierten 7'800 GWh werden derzeit ca. 75% in die übrige Schweiz und nach Europa exportiert. Die Stromproduktion Graubündens entspricht in etwa 13% des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz. Mehr als 70% des in Graubünden produzierten Stroms wird in Speicherkraftwerken hergestellt. Weil mit den Speicherkraftwerken der Strom auf Abruf produziert werden kann, gilt der Bündner Strom als Spitzenenergie. Spitzenenergie zeichnet sich dadurch aus, dass sie kurzfristig auf Abruf verfügbar ist und deshalb immer dann geliefert werden kann, wenn Nachfrage und Preise hoch sind und andere Stromproduktionen die kurzfristige Nachfrage nicht zu decken vermögen. Diese Eigenschaft der Stromproduktion aus Wasserkraft gewinnt speziell für die europäische Stromversorgung an Bedeutung. Mit der Förderung von neuen erneuerbaren Energien (z.B. Windkraft, Solarkraft, Biomasse) ist Europa auf eine bestimmte Menge von regulierbarer Spitzenenergie angewiesen. Dies insbesondere deshalb, weil das Volumen der Stromproduktion aus Windkraftwerken nicht der Nachfrage, sondern den Windverhältnissen folgt, und demzufolge eine kurzfristig regulierbare Energie für den Ausgleich von kurzfristig auftretenden Differenzen zwischen Angebot- und Nachfragevolumen benötigt wird. Das bedeutet, dass Graubünden (und die übrigen Alpenregionen) mit ihrer Speicherkraft direkt dazu beiträgt, dass Länder wie Deutschland die Windkraft in grossen Dimensionen ausbauen können.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
22
Hohe Bedeutung des Stromhandels Insgesamt erwirtschaftet die Elektrizitätswirtschaft Graubündens ein Bruttoinlandprodukt (BIP) von CHF 392 Mio. pro Jahr. Dies entspricht in etwa 9% der regionalen Exportwertschöpfung des Kantons Graubünden. Wo und wie entsteht diese Wertschöpfung? Vereinfachend kann gesagt werden, dass ca. 80% der Bruttowertschöpfung der Elektrizitätswirtschaft durch den Verkauf der in Graubünden produzierten Elektrizität generiert und zusätzliche ca. 20% mit dem überregionalen/internationalen Stromhandel am Standort Graubünden erwirtschaftet werden (Vgl. Abb. 11). Abb. 11: Aktuelle Struktur des BIP in Graubünden
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden / BAK Basel Economics (ohne Darstellung der direkten Wertschöpfung aus Netto-Kapiteleinkommen und der ungebundenen NettoTransferzahlungen des föderalistischen Systems)
97% des Umsatzes aus der Stromproduktion werden durch 12 Unternehmen mit 54 Kraftwerken erwirtschaftet. Daneben gibt es zahlreiche kleinere Produktionsanlagen wie z.B. Trinkwasserkraftwerke der Gemeinden, Biomassekraftwerke oder Wind- und Solaranlagen (vgl. Tab. 3).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Tab. 3:
23
Eigentümerverhältnisse, Produktions- und Handelsleistung der Elektrizitätswirtschaft Graubündens
Unternehmen
Eigentümer des Unternehmens
∅ Produktion7 p.a. in GWh
Handel am Standort GR p.a. in GWh
Integrierte Elektrizitätsgesellschaften mit Sitz in Graubünden Rätia Energie AG
Kt. GR, EGL, ATEL, Publikum
783
10%
>13’000
Partnerkraftwerke und übrige produzierende Gesellschaften Kraftwerke Hinterrhein AG
Edison SA, NOK, EWZ, Kt. GR, ATEL, BKW, RE, KGde
1’491
19%
-
Engadiner Kraftwerke AG
BKW, ATEL, Kt. GR, EGL, CKW, NOK, KGde
1’386
18%
-
EWZ
EWZ
1’220
16%
-
Kraftwerke Vorderrhein AG
NOK, Kt. GR, KGde
783
10%
-
Kraftwerke Zervreila AG
SN Energie AG, NOK, ATEL
570
7%
-
Albula-Landwasser Kraftwerk AG
EGL, EWD, Kt. GR, KGde
366
5%
-
Misoxer Kraftwerke AG
EGL, CKW, Kt. GR, KGde
318
4%
-
Kraftwerke Ilanz AG
NOK, Kt. GR, KGde
260
3%
-
El. Ind. Di Lostallo SA
NOK, KGde
170
2%
-
KW Reichenau AG
NOK, Kt. GR
110
2%
-
Hydro Surselva AG
NOK
101
1%
-
Übrige Kleinkraftwerke
Meistens Gemeinden
209
3%
-
7’767
100%
>13’000
Legende: Kt. GR = Kanton Graubünden; KGde = Konzessionsgemeinden; EGL = Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG; ATEL = Aare-Tessin AG für Elektrizität; NOK = Nordostschweizerische Kraftwerke AG; EWZ = Elektrizitätswerk der Stadt Zürich; BKW = BKW FMB Energie AG; RE = Rätia Energie AG; EWD = Elektrizitätswerk Davos AG; CKW = Centralschweizerische Kraftwerke AG
Quelle:
Darstellung Wirtschaftsforum Graubünden / Daten diverse Quellen
Weil der Wirtschaftsstandort Graubünden zur Zeit des Ausbaus der Elektrizitätsproduktion in Graubünden Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts auf ausserkantonales Kapital und Wissen angewiesen war, ist nicht verwunderlich, dass ein grosser Teil der Stromproduktion • 7
Langjähriger Durchschnitt aufgrund der gegebenen hydrologischen Verhältnisse und der installierten Leistung
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
24
heute durch ausserkantonale Akteure beherrscht wird, welche seinerzeit das Kapital und Wissen nach Graubünden gebracht hatten. Die Abb. 12 und 13 zeigen den Anteil an der gesamten Stromproduktion in Graubünden, den einzelne Akteure aufgrund ihrer Beteiligung an den Produktionsunternehmen und deren Muttergesellschaften (z. B. AXPO, NOK, BKW) kontrollieren. Es fällt auf, dass zwei Drittel der Bündner Stromproduktion in den Händen anderer Kantone liegen und dass insgesamt mehr als 80% der Beteiligungen der öffentlichen Hand gehören. Abb. 12: Beteiligungsstruktur der Bündner Wasserkraftwerke (> 100 GWh Produktion p.a.), dargestellt anhand des Produktionsvolumens Produktionsvolumen in GWH Kraftwerke Hinterrhein AG
200
400
600 NOK
EWZ
Engadiner KW AG NOK
EGL
CKW
800 ATEL
ATEL
BKW
1'000 Kt. BS
Kt. GR
BKW
NOK
ATEL
EGL
Kt. GR
SNE (SG,
KW Zervreila Ostschweizer EW) Albula-Landwasser Kraftwerke AG
EWD
CKW
KW Ilanz AG
NOK
KGde Kt. GR
NOK
Kt. GR KGde
Kt.GR KGde
EGL
Hydro Surselva
Quelle:
EGL
NOK
Misoxer KW AG
Kraftwerke Reichenau AG
RE KGde
Edison SA
EWZ
KW Vorderrhein AG
Elittricità Industriale die Lostallo SA
1'400
Kt. GR
EW Stadt Zürich
Rätia Energie Gruppe
1'200
KGde
NOK Kt. GR
NOK
Wirtschaftsforum Graubünden
ATEL
Kt. GR
Publikum
KGde
KGde
1'600
1'800
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
25
Abb. 13: Theoretische Eigentumsstruktur anhand des Stromproduktionsvolumens der 12 grössten Bündner Wasserkraftunternehmen Ausland 9% Publikum 6% Stadt und Kanton ZH (über EWZ, AXPO usw.) 35% Kanton GR und Konzessionsgemeinden 17%
Übrige Kantone (über AXPO, NOK, CKW, ATEL usw.) 33%
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
Während das Produktionsvolumen weitgehend gegeben und primär von den Witterungsbedingungen abhängig ist8, konnte der Handel mit Energie ab Graubünden in den letzten Jahren stark ausgebaut werden. Zwar sind fast alle grossen Elektrizitätsgesellschaften direkt oder indirekt im Handel tätig. Am Standort Graubünden handelt jedoch nur die Rätia Energie AG. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Verfügbarkeit von Spitzenenergie ein wichtiger Vorteil für den Ausbau des Handels ist und mit den Handelsaktivitäten die Wertschöpfung aus der Produktion entscheidend erhöht werden kann. Lag der Anteil des Energiehandels vor 5 Jahren unter 10%, so beträgt dieser heute bereits ca. 20% der gesamten Bruttowertschöpfung der Elektrizitätswirtschaft Graubündens (vgl. Tab. 4). Vor dem Hintergrund der Liberalisierung des europäischen Strommarktes wird im weiteren Ausbau des Handels denn auch ein beträchtliches Potenzial für den Wirtschaftsstandort Graubünden vermutet.
• 8
Das tatsächlich realisierte Produktionsvolumen pro Jahr kann um bis zu +/- 30% schwanken.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Tab. 4:
26
Entstehung der Wertschöpfung der Elektrizitätswirtschaft Graubündens (Berechnungsbasis: langjähriges mittleres Produktionsvolumen, zu Preisen von 2005)
in Mio. CHF p.a.
Total
davon Produktion
davon Handel9
11
12
Nettoumsatz10
577
./. Vorleistungen
-185
-179
-6
392
322
70
100%
82%
18%
Bruttoinlandprodukt (BIP)
Quelle:
501
76
Wirtschaftsforum Graubünden
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Elektrizitätswirtschaft zwar eine hohe Wertschöpfung für Graubünden erbringt, gleichzeitig aber die Stromproduktion zu einem bedeutenden Teil den Mittellandkantonen gehört. Es stellt sich deshalb die Frage, wohin die erzielte Wertschöpfung fliesst. Tab. 5:
Verwendung der Einnahmen der Elektrizitätswirtschaft Graubündens (Berechnungsbasis: langjähriges mittleres Produktionsvolumen, zu Preisen von 2005)
in Mio. CHF p.a. Total Nettoumsatz
Total
in GR
ex GR
577
Davon eingesetzt für die... Bezahlung des betrieblichen Sachaufwands
85
43
42
Bezahlung der Mitarbeiter
81
81
-
Bezahlung von Abgaben und Steuern an die öffentliche Hand
140
129
11
Bezahlung von Zinsen und Dividenden
125
18
107
Reservenbildung, Rückzahlung des Fremdkapitals und Erneuerung der Anlagen
146
81
65
352
225
61%
39%
Total verteilter Nettoumsatz
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
• 9
nationaler / internationaler Handel
10
Bruttoumsatz – Kosten des Energieeinkaufs (Pumpenergie, Handelsenergie) = Nettoumsatz
11
Die Wertschöpfung ist abhängig von der tatsächlich realisierten Produktion im Berichtsjahr. Im langjährigen Mittelwert kann in Graubünden mit einer Energieproduktion von ca. 7'800 GWh gerechnet werden. Die vorliegende Berechnung basiert auf diesem Wert.
12
Der Nettoumsatz aus dem Handel ergibt sich – vereinfachend gesagt – aus der Bruttohandelsmarge, multipliziert mit dem Handelsvolumen. Weil der Handel jedes Jahr massiv ausgebaut wurde und die Bruttohandelsmarge stark schwanken kann, wird der vorliegenden Berechnung der Mittelwert der Jahre 2005 und 2006 zugrunde gelegt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
27
Tab. 5 zeigt, dass ca. 61% des Nettoumsatzes in Graubünden verbleibt und 39% primär in die Kantone des Mittellandes fliessen, welche die Haupteigentümer der Wasserkraftproduktion in Graubünden sind. Ein wesentlicher Teil des erzielten Nettoumsatzes wird für Erneuerungsinvestitionen, die Bezahlung von Zinsen, die Amortisation des Kapitals sowie für die Reservenbildung für künftige Investitionen verwendet. Ein weiterer Teil des Nettoumsatzes wird in Form von Wasserzinsen/Wasserwerksteuern und allgemeinen Steuern an die öffentliche Hand ausgeschüttet. Die Einnahmen aus der Elektrizitätswirtschaft Graubündens entsprechen denn auch ca. 10% der gesamten Einnahmen aus Steuern, Regalien und Konzessionen von Kanton und Gemeinden. Abb. 14 zeigt die Verteilung der öffentlichen Einnahmen auf den verschiedenen staatlichen Ebenen. Abb. 14: Übersicht zu den aktuellen jährlich wiederkehrenden Einnahmen der öffentlichen Hand aus der Energiewirtschaft Graubündens13 Grund für Staatseinnahmen
Nutzung des Wassers durch die Elektrizitätswirtschaft
Form der Staatseinnahmen
Wasserwerksteuer / Wasserzinsen
Verteilung der Staatseinnahmen Kt. GR
Gemeinden GR
CHF 45 Mio.
~ CHF 45 Mio.
(inkl. Naturalleistungen)
Liegenschaften der Kraftwerke
Weitere Naturalleistungen
< CHF 1 Mio
> CHF 1 Mio.
Ertragssteuer
6.0 CHF 13 Mio.
5.6 CHF 12 Mio.
Kapitalsteuer
1.9 CHF 4 Mio.
1.9 CHF 4 Mio.
Sondersteuer auf Vermögen
0.0 CHF 2 Mio.
Liegenschaftssteuer
Landeskirchen
Ausgleichszahlungen (z.B. Greina, Val Frisal)
(Gratis-, Vorzugsenergie, Investitionsbeiträge usw.)
Gewinne und Vermögen der Elektrizitätswirtschaft
Bund
CHF 10 Mio.
CHF 1.5 Mio. CHF 0.5 Mio.
CHF 3 Mio. 120.4 Total: ca. CHF 140 Mio.
Rote Angaben: Daten nach Berücksichtigung der beschlossenen Revision des Steuergesetzes per 01.01.2008
Quelle:
Darstellung Wirtschaftsforum Graubünden / Daten diverse Quellen
Nebst diesen jährlich wiederkehrenden ordentlichen Einnahmen kann die öffentliche Hand ab 2035 im Zusammenhang mit Heimfällen und Konzessionsvergaben über weitere Entschädigungen in beträchtlichem Umfang verhandeln.
• 13
Aktuelle Einnahmen unter Annahme des langjährigen mittleren Produktionsvolumens.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
3.2
28
Wachstumsschienen
3.2.1
Einleitung
Aufgrund unserer Analysen sehen wir folgende drei Potenziale oder „Wachstumsschienen“ für die Elektrizitätswirtschaft in Graubünden: •
Die steigenden internationalen Marktpreise14
•
Der Ausbau des Stromhandels
•
Der Ausbau der Stromproduktionskapazitäten
3.2.2
Wachstumsschiene: Steigende internationale Marktpreise
Orientierung an Preisprognosen Wie in Kapitel 2.4 bereits ausgeführt, kann aufgrund der aktuellen makroökonomischen Trends (steigende globale Energienachfrage, begrenzte Erdölreserven, finanzielle Belastung von fossilen Energieträgern) mittelfristig von einer Preissteigerung für Elektrizität ausgegangen werden. Für unsere Berechnungen haben wir die Preisprognosen der Firma Pöyry verwendet, welche auf verschiedenen Szenarien basieren (vgl. Tab 6). Vergleicht man die aktuellen Basiswerte (Mai 2008) mit den getroffenen Szenarioannahmen von Pöyry, so wird deutlich, dass der Erdölpreis kurzfristig ein deutlich höheres Niveau erreicht, als in den Szenarios angenommen wurde. Bei den übrigen Eckwerten bewegen sich die aktuellen Daten im Rahmen des Szenarios „Reference“. Die Entwicklung des Erdölpreises zeigt, dass zumindest aus heutiger Sicht durchaus auch die Ergebnisse des Szenarios „High“ oder sogar höhere Preise in Betracht gezogen werden können. Selbstverständlich sind alle Szenarios mit Vorsicht zu interpretieren, da zumindest kurzfristig auch die Spekulation und die Bewertung des US-Dollars die Erdölpreise in Schweizer Franken beeinflussen und die langfristige Entwicklung der Erdöl- und Strompreise von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, deren genaue Auswirkungen nur schwer abgeschätzt werden können (z.B. Nukleartechnologie und Förderung erneuerbarer Ressourcen, Wettbewerbsfähigkeit neuer Technologien aufgrund höherer Preisniveaus, Energiesparmassnahmen aufgrund ökonomischer Sachzwänge, Ausbau des Kraftwerkparks).
• 14
Mit Marktpreisen sind in diesem Bericht jeweils die Grosshandelspreise an den internationalen Strombörsen in Europa gemeint.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
29
Preis pro emittierte Tonne CO2 in EUR
Nachfragewachstum pro Jahr 2005 – 2030
Reference: Szenario basiert auf den aktuell erkennbaren Trends und den derzeit gültigen politischen Rahmenbedingungen und Vereinbarungen bezüglich der Elektrizitätswirtschaft.
51
3.0
20
1.5%
Unconstrained: Szenario geht von einer starken Nachfragezunahme und einer Ausdehnung der Kernkraft- und Kohlekraftkapazitäten infolge eines Wegfalls einer markanten CO2-Besteuerung aus. Teilweise Entkoppelung des Gaspreises vom Erdölpreis.
51
2.5
0
1.6%
Constrained: Die Nachfrage nach Elektrizität ist tief. Die Produktion aus neuen erneuerbaren Energien steigt stark an und die Produktion aus Kohlekraftwerken sinkt. Der Kohlepreis ist hoch.
51
3.0
46
0.9%
High: Der Erdölpreis verharrt auf einem hohen Niveau. Gas- und Kohlepreise und die CO2-Abgaben bleiben ebenfalls hoch. Die Nachfrage nach Elektrizität steigt stark an.
75
4.0
30
1.8%
Low: Der Preis für Erdöl, Gas und Kohle sinkt auf ein deutlich tieferes Niveau. Die Abgaben für CO2 sind ebenfalls tief und die Nachfrage steigt nur leicht an.
39
2.0
10
0.8%
Aktuelle Preise (Juli 2008) zum Vergleich:
140
4.2
26
-0.6%15
Wichtigste angenommene Kenngrössen
Kurzbeschrieb Szenario
Quelle:
Ölpreis (USD pro Barrel)
Gaspreis (Rp./kWh)
Tab. 6: Übersicht zu den verwendeten Basiswerten für die Elektrizitäts-Preisszenarios für Mitteleuropa (vgl. Abb. 15 – 17)
Pöyry / EEX / Bundesamt für Energie
Aufgrund der geschilderten Szenarien kann man in den nächsten 5 – 10 Jahren von Elektrizitätspreisen16 (Grosshandelspreise) von ca. 10 – 16 Rp./kWh für Spitzenenergie (peakload) ausgehen (vgl. Abb. 15 – 17). Dies würde einem Anstieg von 50% – 100% gegenüber den Preisen der letzten Jahre gleichkommen. Für die Bündner Stromproduktion sind die Preise für Spitzenenergie besonders wichtig, da ca. 60% der Energie aus Graubünden als Spitzenenergie verkauft wird. • 15
Verbrauchsabnahme im 2007 gegenüber 2006 aufgrund eines sehr milden Winters in Europa.
16
In diesem Bericht sind mit Elektrizitätspreisen – sofern keine gegenteiligen Hinweise bestehen – immer die Grosshandelspreise gemeint. Eine gute Referenz für diese Preis ist der Marktpreis an der Energy Exchange in Leipzig.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
30
Abb. 15: Preisprognosen für Mitteleuropa für Elektrizität aus Spitzenenergie (peak-load: Mittelwert für die Zeit zwischen 08:00h und 20:00h, werktags) gemäss verschiedenen Szenarien 20.00 Low
High
Unconstrained
Constrained
15.00
10.00
Quelle:
2030
2029
2028
2027
2026
2025
2024
2023
2022
2021
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
-
1999
5.00
1998
Rp./kWh (EUR/CHF 1.65)
Reference
Pöyry (2006) / EGL
Abb. 16: Preisprognosen für Mitteleuropa für Elektrizität aus Bandenergie (base-load: Mittelwert für 24 h/Tag, ganze Woche) gemäss verschiedenen Szenarien 20.00 Low
High
Unconstrained
Constrained
15.00
10.00
Quelle:
Pöyry (2006)
2030
2029
2028
2027
2026
2025
2024
2023
2022
2021
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
-
1999
5.00
1998
Rp./kWh (EUR/CHF 1.65)
Reference
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
31
Aufgrund dieser leicht unterschiedlichen Entwicklungen zwischen den Preisen für Spitzenund Bandenergie steigt die Differenz (spread) von 2 Rp./kWh auf bis zu 6 Rp./kWh an. Dies stellt ein interessantes Potenzial für Arbitrage-Geschäfte dar. Dieses Potenzial kann über den Energiehandel sowie über Pumpspeicherkraftwerke ausgeschöpft werden (vgl. Abb. 17). Abb. 17: Preisdifferenz (spread) zwischen base-load und peak-load für Mitteleuropa
Reference
Low
High
Unconstrained
Constrained
15.00
10.00
Quelle:
Pöyry (2006)
2030
2029
2028
2027
2026
2025
2024
2023
2022
2021
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
-
1999
5.00
1998
Rp./kWh (EUR/CHF 1.65)
20.00
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
32
Exkurs: Die Strompreisbildung in Europa In Abb. 18 wird schematisch aufgezeigt, wie die Strompreise gebildet werden. In der Preisbildungstheorie wird davon ausgegangen, dass in einem vollkommenen Markt alle Marktteilnehmer bereit sind, ihre Elektrizität zu den variablen Gestehungskosten (≅ Grenzkosten) anzubieten. Die variablen Gestehungskosten der Gas-, Kohle- und Ölkraftwerke umfassen hauptsächlich die Rohstoffkosten für die Energieproduktion wie beispielsweise Öl, Kohle, Uran oder Gas. Die Gestehungskosten folgen logischerweise stark den Preisen der Rohstoffe. Wasser- und Windkraftwerke weisen sehr tiefe variable Gestehungskosten auf, während diejenigen eines Gaskraftwerkes pro produzierte kWh verhältnismässig hoch ausfallen. Das bedeutet, dass der minimale Wettbewerbspreis sich von den höchsten – aufgrund der Nachfrage noch berücksichtigten und aufgrund des Kraftwerkparks angebotenen – variablen Gestehungskosten ableitet. Da die variablen Gestehungskosten der Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke deutlich über den variablen Gestehungskosten anderer Kraftwerktypen liegen, bestimmen diese Produktionsformen in Westeuropa in der Regel den Marktpreis. Aufgrund dieses Mechanismus wird der langfristige Durchschnittspreis von den künftig auf dem Markt verfügbaren Kraftwerktypen und -kapazitäten abhängig sein. Das Schema in Abb. 18 zeigt zwei typische Situationen und daraus resultierende Preise im europäischen Strommarkt auf.
Abb. 18: Mechanismus der Strompreisbildung in Westeuropa minimaler Jahresverbrauch, Sommernacht
ch
12
Resultierender Strompreis Wintertag
as G
8
Kern
0
Ko hle
Winter
2
Wasserkraft (Wind, Solar)
4
Resultierender Strompreis Sommernacht
Kraftwerk typ
6
verfügbare Kraftwerke Bandenergie
Preisrelevanter Bereich
Quelle: Axpo Holding
Quelle:
ender Preisbestimm
10
nder Preisbestimme Sommer Kraftwerk typ
Variable Gestehungskosten Rp./kWh
14
Öl
Tagesverbrau
16
maximaler Jahresverbrauch, Wintertag
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an: AXPO (2007)
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
33
Potenzialberechnung aufgrund von Annahmen Wie erwähnt wurden die Prognosen mit Erdölpreisannahmen erstellt, die weit unter dem aktuellen Preisniveau liegen. Es ist durchaus denkbar, dass die errechneten Preiserwartungen in der Realität übertroffen werden. Die entsprechenden Gründe wurden bereits weiter vorne mehrfach aufgelistet. Tab. 7 zeigt die Wertschöpfungspotenziale bei verschieden hohen Preisanstiegen auf den Erdölmärkten auf. Die Wertschöpfung unter vier Preisannahmen wird mittels Nettoumsätzen und Vorleistungen berechnet. Zur Einordnung der verschiedenen, gewählten Preisstufen gilt es zu erwähnen, dass im Jahr 2007 der Jahresdurchschnittspreis an der EEX für Bandenergie bei 8.54 Rp./kWh und für Spitzenenergie bei 11.5 Rp./kWh lag. Die Wertschöpfung des Handels wurde in der vorliegenden Tabelle in allen Szenarien gleich gesetzt, da dieses Element im nächsten Kapitel näher betrachtet wird. Tab. 7:
Auswirkungen von Preisanstiegen auf den Elektrizitätsmärkten auf die Wertschöpfung in Graubünden im aktuellen politischen Rahmen
Entstehung der Wertschöpfung in Graubünden Marktpreis-Szenarios 13 Rp./kWh 16 Rp./kWh
8 Rp./kWh
in Mio. CHF Total
Nettoumsatz gem. Buchhaltung abzüglich der ausserregionalen Vorleistungen* Bruttowertschöpfung
Produktion
557 -185 372
Handel
481 -179 302
76 -6 70
Total
Produktion
586 -185 401
Handel
-510 -179 -689
76 -6 70
Total
Produktion
601 -185 416
20 Rp./kWh
Handel
-525 -179 -704
76 -6 70
Total
Produktion
624 -185 439
Handel
-548 -179 -727
76 -6 70
*hauptsächlich Unterhalt/Reparaturen/Ersatz, Fremdkapitalkosten, Abschreibungen
Wertschöpfungsflüsse der Bündner Elektrizitätswirtschaft Marktpreis-Szenarios 13 Rp./kWh 16 Rp./kWh
8 Rp./kWh
in Mio. CHF Total
Betrieblicher Aufwand Bezahlung des betrieblichen Sachaufwands Bezahlung der Mitarbeiter
in GR
ex GR
Total
in GR
ex GR
Total
in GR
20 Rp./kWh
ex GR
Total
in GR
ex GR
85 81
43 81
42 -
85 81
43 81
42 -
85 81
43 81
42 -
85 81
43 81
42 -
125 146
18 81
107 65
125 165
18 100
107 65
125 175
18 110
107 65
125 189
18 124
107 65
86 4 30
86 4 20
10
86 4 40
86 4 30
10
86 4 45
86 4 35
10
86 4 54
86 4 44
10
Total in der Erfolgsrechnung der Unternehmen in GR erscheinender Nettoumsatz
557
333
224
586
362
224
601
377
224
624
400
224
Differenz zwischen den Umsätzen in den Erfolgsrechnungen der Betriebe in GR und dem potenziellen Umsatz gemäss Marktwert
143
-
143
504
-
504
723
-
723
1'012
Total potenzieller Nettoumsatz gemäss Marktpreisen
700
333
367
1'090
362
728
1'324
377
947
1'636
400
1'236
100%
48%
52%
100%
33%
67%
100%
28%
72%
100%
24%
76%
Aufwand für Kapitalbedienung Bezahlung von Zinsen und Dividenden Reservenbildung, Rückzahlung des Fremdkapitals und Erneuerung der Anlagen Aufwand für öffentliche Abgaben und Steuern Wasserzinsen/Wasserwerksteuer Vorzugs-/Ersatzenergie Steuern
Anteile der Standorte
1'012
*Annahmen: Anwendung Modell Pfeiffer, ohne Markliberalisierung in der Schweiz; Steuerbelastung ab 01.01.08
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an diverse Geschäftsberichte
Aus der Tab. 7 können folgende Erkenntnisse bezüglich der Wertschöpfung der Produktion gewonnen werden: •
Im Szenario eines Durchschnittspreises von 8 Rp./kWh wird im Kanton Graubünden eine Bruttowertschöpfung von CHF 372 Mio. erzielt. Dieses Szenario entspricht in etwa den tatsächlichen Gegebenheiten aus dem Jahr 2005. Werden zur Bruttowertschöp-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
34
fung die Vorleistungen dazugezählt, erhält man den in den Jahresrechnungen der Gesellschaften ausgewiesenen Nettoumsatz von CHF 557 Mio. •
Weil die meisten Kraftwerkunternehmen in Graubünden Tochterfirmen von ausserkantonalen Elektrizitätsgesellschaften sind, wird die Energie aus Graubünden nicht zu Marktpreisen, sondern zu Gestehungskosten verkauft. Deshalb entspricht der Nettoumsatz von CHF 557 Mio. nicht dem tatsächlich generierbaren Umsatz aller Kraftwerkunternehmen beim angenommenen Marktpreis von 8 Rp./kWh. Wenn die Umsätze zu Marktpreisen berechnet würden, würde ein zusätzlicher Gewinn von CHF 143 Mio. bei den Bündner Kraftwerken anfallen.
•
Die Konsequenz aus diesem System ist, dass z.B. bei einem markanten Anstieg der Marktpreise auf 20 Rp./kWh (+150%) der in Graubünden realisierbare Nettoumsatz nur leicht ansteigt, nämlich von CHF 557 Mio. auf CHF 624 Mio. (+12%). Der Anstieg des Nettoumsatzes ist dabei primär auf etwas höhere Steuerabgaben zurückzuführen.
•
Ein grosser Teil des bei höheren Preisen generierbaren Gewinns würde in den Jahresrechnungen der Kraftwerke in Graubünden nicht auftreten. Dieser würde direkt bei den Muttergesellschaften in Form von Gewinnen aus dem internationalen Handel oder bei den Konsumenten in Form von subventionierter Energieabgabe in Erscheinung treten. Diese Differenz zwischen tatsächlichen und gemäss Marktpreisen erzielbaren Umsätzen beträgt im Szenario 8 Rp./kWh CHF 143 Mio. und im Szenario 20 Rp./kWh CHF 1’012 Mio. (+707%).
Das Fazit aus dieser Analyse lautet: Der Standort Graubünden kann nur von den grossen Potenzialen durch Strompreisanstiege profitieren, wenn es gelingt, die potenziellen Umsätze am Standort Graubünden zu realisieren, zu versteuern und auch wieder zu investieren.
3.2.3
Wachstumsschiene: Stromhandel
Eine zweite Wachstumsschiene der Bündner Elektrizitätswirtschaft ist der Stromhandel. Dem Handel wird aus nachfolgenden Gründen ein grosses Potenzial beigemessen: •
Liberalisierung und Privatisierung der Energiewirtschaft führt zu mehr Handel.
•
Zu erwartende Energieknappheit führt zu mehr Handelsaktivitäten.
•
Bestehende Technologien und Börsen erlauben einen effizienteren Handel, was wiederum die Transaktionskosten senkt und den Handel fördert.
Da der Energiehandel mit Risiken verbunden ist, sind einerseits diejenigen Marktteilnehmer in einer günstigen Position, welche über kurzfristig abrufbare Energie verfügen. Sie können höhere Handelsrisiken eingehen und damit ein höheres Handelsvolumen abwickeln. Andererseits ist davon auszugehen, dass der wachsende Handel eine zunehmende Händlerzahl nach sich zieht. Dieser verstärkte Wettbewerb wird tendenziell auf die Handelsmargen drücken.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
35
Eine abschliessende Beurteilung des von Graubünden aus generierbaren Handelsvolumens ist nicht möglich. Hingegen kann zumindest eine theoretische Dimension geschätzt werden. Dazu können die heutigen Daten der Rätia Energie AG als Grundlage herangezogen werden. Die Abb. 19 zeigt, dass das gehandelte Stromvolumen der Rätia Energie AG beispielsweise in den Jahren 2005 und 2006 rund das Achtfache des Produktionsvolumens betrug.17 Abb. 19: Entwicklung der Handelsaktivitäten der Rätia Energie AG (Jahre 1999 – 2003, Handelsvolumen inkl. Versorgung in Graubünden) 16'000
16
14'000
GWh
12'000
14
Produktionsvolumen aus Eigenproduktion und Beteiligungsenergie in GWh Faktor Handel/Produktionsvolumen
12
10'000
10
8'000
8
6'000
6
4'000
4
2'000
2
-
-
1999
Quelle:
Faktor Handelsvolumen : Produktionsvolumen
Handelsvolumen in GWh
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Geschäftsberichte Rätia Energie AG
Daraus kann abgeleitet werden, dass – unter Berücksichtigung von Risikoüberlegungen – ein Handelsvolumen des Zehnfachen der eigenen Produktion denkbar ist. Würde man nun in Graubünden eine „Stromhandelsfirma“ aufbauen (z.B. als Tochterfirma der heutigen Eigentümer der Kraftwerke) und dieser den Auftrag geben, die gesamte bestehende Bündner Produktion für den optimalen Ausbau des Handels zu nutzen, könnte das Handelsvolumen dieser Firma schätzungsweise 7'800 GWh (minus die der Rätia Energie AG zur Verfügung stehende Produktion) x 10 betragen. Bei heutigen Handelsmargen würde dies schätzungsweise eine Erhöhung der Bruttowertschöpfung der Elektrizitätswirtschaft Graubünden um schätzungsweise CHF 100 Mio. pro Jahr bedeuten.
• 17
Im Jahr 2007 reduzierte sich das Verhältnis zwischen Handelsvolumen und Eigenproduktion. Dies ist ein kurzfristiger Effekt der Inbetriebnahme des Gaskraftwerkes in Teverola (Italien) und der ausserordentlich warmen Temperaturen im Winter 2007. Es ist zu erwarten, dass das Verhältnis in der Tendenz wieder zunimmt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
3.2.4
36
Wachstumsschiene: Ausbau der Produktionskapazitäten
Wasserkraft Eine dritte Wachstumsschiene stellt der Ausbau der Produktion in Graubünden dar. Wir gehen aufgrund eigener Recherchen und Analysen der bestehenden Potenziale und der angekündigten Projekte davon aus, dass das technische Ausbaupotenzial ca. 26% der heutigen Stromproduktion beträgt. Es handelt sich dabei um ca. 25 – 30 Projekte/Optionen mit grösserem oder kleinerem Potenzial (vgl. Abb. 20). Dieses Potenzial kann jedoch nur teilweise ausgeschöpft werden, da die Projekte zum Teil politisch umstritten sind oder sich nicht lohnen würden. Aufgrund der heutigen Preisprognosen und politischen Situation denken wir, dass ein Ausbau von ca. 10% realisierbar ist. Dies entspricht mehr oder weniger den heute bekannten Projekten. Weitere 6% liegen derzeit in einem Graubereich bezüglich wirtschaftlicher und/oder politischer Machbarkeit und müssten näher analysiert werden. Abb. 20: Übersicht zu den vermuteten Potenzialen in Graubünden für den Ausbau der Produktionskapazitäten der „Grosswasserkraft“ nicht gegeben
gegeben
Einschätzung zur politischen Machbarkeit
Einschätzung zur wirtschaftlichen Machbarkeit
gegeben
nicht gegeben
Quelle:
Aktuelle Projekte Potenziale Potenziale/Projekte mit tiefer bis mittlerer Regulierbarkeit der Produktion Potenziale/Projekte mit hoher Regulierbarkeit der Produktion (Spitzenenergie)
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an: Amt für Energie und Verkehr Graubünden
Sofern sich Preise im Bereich von 20 Rp./kWh am Markt ergeben, ist eine Gesamtsteigerung um ca. 16% denkbar. Liesse der Markt Preise von 30 Rp./KWh zu und würden politisch keine Einwände bestehen, könnte die Stromproduktion in Graubünden um ca. 26% gesteigert werden. Offensichtlich stellt der Ausbau der Wasserkraftproduktion in Graubünden einen Eingriff in die Natur dar. Bei der Bewilligung entsprechender Projekte ist auch aus ökologischer Sicht abzuwägen, ob die durch den Ausbau der Wasserkraft eingesparten CO2-Emissionen die entsprechenden lokalen Eingriffe zu rechtfertigen vermögen. Die Tab. 8 zeigt auf, dass ein möglicher Ausbau der Wasserkraftproduktion in Graubünden um maximal 26% einen
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
37
Einsparungs- bzw. Substitutionseffekt von 0.9% – 1.5% des CO2-Ausstosses der Schweiz (im Vergleich zu Elektrizitätsproduktion aus Gas- bzw. Kohlekraftwerken) aufweisen würde. Diese Relation ist wesentlich und stellt zumindest ein gewichtiges Argument für die weitere Optimierung und Erhöhung der Wasserkraftproduktion in Graubünden dar. Tab. 8:
CO2-Ausstoss von fossilen Stromproduktionen im Vergleich zum Ausbaupotenzial der nahezu CO2-freien Bündner Wasserkraft
Einsparung in Tonnen CO2 (Anteil an Gesamtemissionen von CO2 der CH) ... bei Substitution von Gaskraftwerken Aufgrund aktueller Markteinschätzung realisierbare Projekte
... bei Substitution von Kohlekraftwerken
972 GWh
185'377 (0.4%)
316'826 (0.7%)
Denkbare, aber aus heutiger Sicht nicht realisierbare Ausbauprojekte (technisch machbar)
1'100 GWh
217'625 (0.5%)
371'942 (0.8%)
Total
2’072GWh
403’002 (0.9%)
688’768 (1.5%)
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden, in Anlehnung an: Bundesamt für Umwelt, Verkehr und Energie
Neue erneuerbare Energien Auch wenn Wind, Sonne und Biomasse stark gefördert würden, ist davon auszugehen, dass die Produktion in Graubünden in den nächsten Jahren auf einen Anteil von unter 10% beschränkt bleiben wird, wobei mehr als die Hälfte der Produktion aus neuen erneuerbaren Energien aus thermischen Kraftwerken auf Basis von Biomasse (insb. Tegra und StallingerWerke in Domat-Ems) stammen würden (vgl. Abb. 21). Nebst den Biomasseanlagen wird vor allem der Kleinwasserkraft ein gewisses Potenzial beigemessen. Abb. 21: Übersicht über die Produktionspotenziale der neuen erneuerbaren Energien aufgrund aktueller technologischer Niveaus und Marktpreise Ist Stromproduktion 2007
Wind BioMasse Fotovoltaik Kleine WK (bis 10 MW) Trinkwasser KW Thermische KW Grosse WK Total
Quelle:
GWh
%
0.0 130.1 1.1 500.4 27.5 54.3 7'268.4 7'981.7
0.0% 1.6% 0.0% 6.3% 0.3% 0.7% 91.1% 100.0%
Angenommener Wachstumsfaktor in 20 Jahren
Potenzielle Stromproduktion im 2025 GWh
k.A. 3.0 20.0 1.3 2.5 2.0 1.1
%
80.0 390.2 22.0 650.0 68.8 108.5 7'818.4 9'137.8
0.9% 4.3% 0.2% 7.1% 0.8% 1.2% 85.6% 100.0%
Potenzielles Wachstum von 2005 bis 2025 in GWh
80.0 260.1 20.9 149.6 41.3 54.3 550.0 1'156.1
in % k.A. 200.0% 1900.0% 29.9% 150.0% 100.0% 7.6% 14.5%
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an: Amt für Energie und Verkehr Graubünden
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
38
Aktuelle Projekte am Grimsel- und Nufenenpass zeigen, dass ein gewisses Interesse der Elektrizitätswirtschaft am Ausbau der Windkraft in den Bergen besteht. Alle bisherigen Informationen deuten aber darauf hin, dass ein markanter Ausbau der Windkraft in Graubünden vorläufig nicht zu wirtschaftlichen Gestehungskosten erfolgen kann. Aus diesem Grund wurde dieses Potenzial vorerst nicht untersucht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei einer Optimierung der entsprechenden Technologien nicht durchaus ein zusätzliches Potenzial besteht. Insbesondere in den letzten 5 Jahren haben sich die Aktivitäten zur Entwicklung der Technologie für die Produktion von Strom aus neuen erneuerbaren Energieträgern vervielfacht. Es gilt deshalb, die Technologieentwicklung weiter zu verfolgen und bei sich abzeichnenden Chancen entsprechend aktualisierte Potenzialstudien (z.B. für Windkraft, Solarenergie) für Graubünden zu erstellen.
3.2.5
Herausforderung: Klimawandel und Umweltschutzvorschriften
Nebst den unter dem Begriff „Wachstumsschienen“ beschriebenen beträchtlichen Potenzialen besteht künftig aber auch die Gefahr einer Schrumpfung der Bruttowertschöpfung aus der Elektrizitätswirtschaft. In den letzten Jahren ist die langjährig erwartete mittlere Stromproduktion zwar leicht gestiegen, andererseits schwankt die tatsächliche Produktion je nach Wasseraufkommen jährlich um +/-30%. Ebenso ist verschiedenen Studien zufolge mit einem klimabedingten Rückgang des zur Verfügung stehenden Wasseraufkommens um bis zu 7% zu rechnen.18 Zudem haben erste Erfahrungen gezeigt, dass infolge der Umsetzung der aktuell gültigen Umweltschutzvorschriften (insbesondere Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer Ö Restwassermengen) eine Reduktion der Stromproduktionskapazität von netto 6% zu erwarten ist.
• 18
M. Piot, 2005 / OcCC / ProClim 2007
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
39
Abb. 22: Übersicht zur tatsächlichen Stromproduktion aus Wasserkraft in Graubünden 12'000
Effektive Stromproduktion Kalenderjahr Erwartete mittlere Produktion
Produktion in GWh
10'000
8'000
6'000
4'000 ÖNatürliche Schwankungen: bis zu +/- 30% ÖErwarteter Effekt Klimawandel: bis zu – 7% ÖEffekte aus Umsetzung der aktuellen Umweltschutzvorschriften: - 6% netto, wobei grosse Unterschiede pro Anlage
2'000
Quelle:
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
-
in Anlehnung an Amt für Energie und Verkehr Graubünden
Ein rückläufiges Produktionsvolumen würde sich in verschiedener Hinsicht negativ auf die Elektrizitätswirtschaft und die regionale Wertschöpfung auswirken: Es können weniger kWh pro Jahr produziert und verkauft werden, was erstens zu einem tieferen Umsatz führt und zweitens die mittleren Gestehungskosten ansteigen lässt, da die Fixkosten auf weniger kWh verteilt werden müssten. Dies führt zu einer niedrigeren Marge auf die restliche Produktion und schmälert die Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraft.
3.3
Mögliche Szenarien in der Übersicht
Bedeutung der Potenziale Die zusammenfassende Beurteilung dieser verschiedenen Potenziale führt zu folgenden Schlussfolgerungen (vgl. Tab. 9): •
Wenn die Marktpreise nicht wie erwartet ansteigen und in Graubünden weder die Produktion ausgebaut, noch die Elektrizitätswirtschaft im Sinne der Bündner Volkswirtschaft optimiert werden kann, ist mit einem Rückgang des Bruttoproduktionswertes der Elektrizitätswirtschaft um bis zu CHF 140 Mio. zu rechnen (schlechtester angenommener Fall).
•
Sofern einzelne Ausbauprojekte realisiert werden können und im Zusammenhang mit den Heimfällen eine geeignete (Gewinn-)Beteiligungsstrategie umgesetzt wird, könnte auch bei gleich bleibenden Preisen der Bruttoproduktionswert der Elektrizitätswirtschaft
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
40
um bis zu CHF 277 Mio. gesteigert werden. Dies weil ein grösserer Anteil der Wertschöpfung in Graubünden verbleiben würde. •
Sofern die Preise tatsächlich wie prognostiziert ansteigen und die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden können, könnte der Bruttoproduktionswert der Elektrizitätswirtschaft um schätzungsweise CHF 500 Mio. – CHF 1’241 Mio. erhöht werden (bester angenommener Fall).
Für alle Szenarien gilt: •
Das grösste Potenzial liegt in den steigenden Strompreisen selbst (CHF 140 Mio. – CHF 1’012 Mio.).
•
Der Ausbau des Stromhandels beinhaltet ebenfalls markante Potenziale (ca. CHF 240 Mio.).
•
Mit einem Ausbau der Wasserkraftproduktion und insbesondere der Erneuerung der bestehenden Anlagen können sowohl im Handel als auch durch eine Preissteigerung bedeutende Potenziale (CHF 34 – CHF 263 Mio.) erschlossen werden. Tab. 9:
Übersicht zur Wertschöpfungsentwicklung je nach Szenario
Szenarien Potenzielle Veränderung des Bruttoproduktionswertes der Elektrizitätswirtschaft Graubündens in Mio. CHF im Vergleich zum Stand von 2006
Preis Ist Ausschöpfung Strompreise
Preis 13 Rp./kWh
Preis 16 Rp./kWh
Preis 20 Rp./kWh
+143
+504
+723
+1’012
+34
+63
+121
+263
Ausbau Stromhandel
+240
+240
+240
+240
Klimawandel und Umweltanliegen
-140
-197
-230
-274
Total Potenziale
+277
+610
+854
+1’241
557
557
557
557
+46%
+109%
+153%
+222%
Ausbau Stromproduktion
Aktueller Bruttoproduktionswert Potenziale in % zum aktuellen Bruttoproduktionswert Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
Denkbare Politdesigns Die Tab. 10 zeigt die verschiedenen ausschöpfbaren Potenziale in Abhängigkeit von verschiedenen politischen Verhaltensweisen. Folgende Strategien wären grundsätzlich denkbar:
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
41
•
Keine Aktivitäten: Es werden weder Veränderungen an der aktuellen Steuerpraxis noch an den übrigen Abgaben an den Staat vorgenommen. Ausbauprojekte werden nicht umgesetzt, weil der Widerstand verschiedener Schutzorganisationen zu hoch ist. Die Effekte von Klimawandel und Gewässerschutz treten mit voller Wucht ein. Das Ergebnis wäre (bis zum Zeitpunkt grosser Heimfälle) ein Rückgang der Wertschöpfung um CHF 140 Mio. trotz steigender Marktpreise!
•
Nur Ausbau der Stromproduktion: Wenn sich die Politik erfolgreich darum bemüht, dass wirtschaftlich machbare Ausbauprojekte realisiert werden können, darüber hinaus aber die aktuellen Rahmenbedingungen (Steuern, Wasserzinsen) nicht verändert werden und die Effekte aus Klimawandel und Umweltgesetzgebung mit voller Wucht eintreten, kann mit einem Rückgang der Wertschöpfung von CHF 106 Mio. bei aktuellen Preisen und einer Zunahme der Wertschöpfung von CHF 123 Mio. bei einem Marktpreis von 20 Rp./kWh gerechnet werden.
•
Aktive Energiewirtschaftspolitik: Wenn sich die Politik erfolgreich darum bemüht, dass die potenziellen Gewinne in Graubünden nach den für die übrige Wirtschaft üblichen Massstäben versteuert, die wirtschaftlich möglichen Projekte realisiert und das Handelspotenzial optimal am Standort Graubünden ausgeschöpft werden, kann von einer Erhöhung des Bruttoproduktionswertes am Standort Graubünden von CHF 277 Mio. – CHF 1'241 Mio. ausgegangen werden, auch wenn die Effekte aus Klimawandel und Umweltschutzgesetzgebung mit voller Wucht eintreten. Tab. 10: Übersicht über verschiedene Ansätze zur Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen
Szenarien Potenzielle Veränderung des Bruttoproduktionswertes der Elektrizitätswirtschaft Graubündens in Mio. CHF im Vergleich zum Stand von 2006
Preis Ist
Preis 13 Rp./kWh
Preis 16 Rp./kWh
Preis 20 Rp./kWh
Keine Ausbauprojekte, keine Gestaltung der Rahmenbedingungen und Strukturen
-140
-140
-140
-140
Zulassen von Ausbauprojekten, keine Gestaltung der Rahmenbedingungen und Strukturen
-106
-77
-30
+123
Zulassen von Ausbauprojekten und aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen und Strukturen
+277
+610
+854
+1’241
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
Diese Bandbreite von möglichen Wertschöpfungsentwicklungen zeigt die Bedeutung des Themas für Graubünden auf eindrückliche Weise auf.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
42
Sofern der günstigste Fall eintreten würde, würde der Anteil der Elektrizitätswirtschaft an der regionalen Exportwertschöpfung des Kantons Graubünden – ceteris paribus - von derzeit ca. 9% auf künftig 30% ansteigen. Gleichzeitig würde die regionale Exportbruttowertschöpfung Graubündens von ca. CHF 3.7 Mrd. auf CHF 5 Mrd. ansteigen (+32% Wachstumsbeitrag in 20 Jahren, entspricht zusätzlichem 1.5% zusätzlichem jährlichem Wachstum) (vgl. Abb. 23). Abb. 23: Struktur der regionalen Exportbruttowertschöpfung des Kantons Graubünden (Bündner Wirtschaftsmotor)
Aktuelle Struktur Natürliche Ressourcen 3%
Potenzielle Struktur Einkommens effekt Wegpendler 6%
Natürliche Ressourcen 3%
Einkommens effekt Wegpendler 5%
Energiesektor 30%
Energiesektor 9%
Tourismus 41% Dienstleistun gen ex Tourismus 9%
Industrie und Gewerbe 18%
Quelle:
+32% Tourismus 55%
Dienstleistun gen ex Tourismus 7%
Industrie und Gewerbe 14%
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung: an BAK Basel Economics
Zur Ausschöpfung der Handels- und Preispotenziale sind offensichtlich die geeigneten energie-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Es bestehen hierbei keine ökologischen Konfliktfeldern, im Gegensatz zur Stossrichtung „Ausbau der Wasserkraft“, wo die Konflikte mit ökologischen Anliegen frühzeitig zu analysieren und auch in einen globalen Kontext der Energieproduktion (insb. CO2-Abgaben, Kyoto-Protokoll) zu setzen sind. Dies gilt im Übrigen auch im Zusammenhang mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien (z.B. Windenergie, Solarenergie).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
4
43
Herausforderungen der Politik in Graubünden
4.1
Handlungsfelder in der Übersicht
Eingrenzung der Fragestellung In der vorliegenden Publikation steht folgende Frage im Zentrum:
Wie kann das ökonomische Potenzial der Bündner Elektrizitätswirtschaft optimal zur Entwicklung des Standortes Graubünden ausgeschöpft werden?
Die Potenzialanalyse zeigt, dass der Standort Graubünden, falls die aktuellen politischen Rahmenbedingungen bestehen bleiben, bis zum Heimfall der grossen Kraftwerke (ca. 2035) von den Preissteigerungen auf den internationalen Energiemärkten nur marginal profitieren kann. Werden die Rahmenbedingungen jedoch optimiert und auf die künftig liberalisierten Märkte abgestimmt, könnte der Standort Graubünden an markanten Wertschöpfungssteigerungen in der Elektrizitätswirtschaft teilhaben. Zur Ausgestaltung optimaler Rahmenbedingungen für die Elektrizitätswirtschaft Graubündens sind die Fiskalpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Umweltpolitik und die Energiepolitik integral auf die volkswirtschaftlichen Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Elektrizitätswirtschaft abzustimmen. Im vorliegenden Bericht ist der Fokus auf die Fiskal- und Wirtschaftspolitik gerichtet. Denn das Ziel der hohen Wertschöpfung tangiert primär diese Politikbereiche. Fragen bezüglich der Versorgungssicherheit und Energieeffizienz, welche die Energiepolitik im engeren Sinne betreffen, werden nur am Rande thematisiert (vgl. Abb. 24). Abb. 24: Übersicht zu Politikbereichen In diesem Bericht thematisierte Ziele In diesem Bericht nicht thematisierte Ziele
Ziel: Zuverlässige Energieversorgung
Energiepolitik
Ziel: Hohe Umweltpolitik Energieeffizienz
Ziel: Hohe Wertschöpfung aus der Elektrizitätsexportwirtschaft
Fiskalpolitik
Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden
Wirtschaftspolitik
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
44
Verschiedene Faktoren wie die Klima- oder die Strompreisentwicklung, die sich auf die Wirtschaftlichkeit der Elektrizitätswirtschaft auswirken, sind nicht durch die Politik beeinflussbar. Es bestehen aber einige interessante Handlungsfelder, die von der Politik massgeblich gestaltet werden können. Im Folgenden werden diese Handlungsfelder und die Herausforderungen mit ihnen erörtert.
Zusammenspiel der verschiedenen staatlichen Ebenen Aufgrund des föderalistischen Systems der Schweiz sind bei der Ausgestaltung Handlungsfelder verschiedene staatliche Ebenen angesprochen. Der Kanton Graubünden kann in einigen Handlungsfeldern direkt Einfluss nehmen, während sich seine Möglichkeiten in anderen auf Lobbying-Aktivitäten zugunsten von Veränderungen lokaler und nationaler Rahmenbedingungen beschränken sind. In Bezug auf die Entscheidungsprozesse sind die herrschenden Interessenkonflikte zu beachten: Auf nationaler Ebene stehen den Interessen der Produktionsstandorte (meist Gebirgskantone) divergierende Bedürfnisse der Mittellandskantone gegenüber. Aber auch innerkantonal können die Interessen einzelner Gemeinden von den gesamtkantonalen Interessen abweichen. Es ist anzustreben, eine auf allen Staatsebenen kohärente Politik zu entwickeln. Tab. 11 zeigt in vereinfachter Form die wesentlichen Kompetenzbereiche der verschiedenen staatlichen Ebenen auf. Im Bereich der Besteuerung und der Strukturgestaltung kann der Kanton direkt und rasch aktiv werden. Bezüglich der Festlegung der Wasserzinsen gilt es, mit den übrigen Gebirgskantonen eine gemeinsame Strategie zu formulieren. Nur so kann genügend Kraft entwickelt werden, um die nationalen Rahmenbedingungen im Sinne der Wasserkraftkantone zu verändern. Bei der Verteilung allfälliger Ressourcenrenten ist der Kanton auf eine auf die Bedürfnisse der Gemeinden abgestimmte Strategie angewiesen.
Höhe und Art der Gegenleistungen für Konzession
Konzessionserteilung
Regelung der Verteilung der Wasserzinsen zwischen Kanton und Gemeinden
Genehmigung der Konzession unter Vorbehalt der effizienten Nutzung und Zwangsverleihung von Konzessionen
Durchführung der Konzessionsverfahren
Umsetzung Gewässerschutzgesetz
Kantonsverfassung weist Gewässerhoheit Gemeinden zu
Maximaler Wasserzins
Bundesverfassung weist Gewässerhoheit Kantonen zu
Wasserrechtspolitik
Kantonaler/regionaler Richtplan für Anlagen der Wasserkraft
Konzessionsverfahren
Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden
Gemeinde in GR
Kanton GR
Integrales Gewässermanagement (Restwassermengen, Sunk und Schwall)
Bund
Einspeisevergütung für neue erneuerbare Energien
Wasserrahmenrichtlinien (Alpenrhein)
EU
Umweltpolitik
Beteiligungsform an Heimfallwert Energiebezugsrechte und Naturalleistungen
indirekt: Zuschlagssteuer (Ertragsund Kapitalsteuern)
Energiebezugsrechte und Naturalleistungen
Beteiligungsform an Heimfallwert
Festlegung Heimfall (Benetzte Anlagen gratis, Rest gegen billige Entschädigung)
Konzessions-/ Heimfallpolitik
Liegenschaftssteuern
Veranlagungspraxis für die Besteuerung der Partnerwerke
Ertrags- und Kapitalsteuern
Gewinnsteuern
Steuerpolitik
45
Beteiligung an Rätia Energie AG
Beteiligung an Grischelectra AG
Beteiligung an Partnerwerken
Regelung Netzzugang in der Schweiz
Regelung Wettbewerb in der Schweiz
Regelung europäischer Marktzugang
Wettbewerbs-/ Strukturpolitik
Tab. 11: Die wichtigsten politischen Rahmenbedingungen und deren staatliche Regelungsebene für die Elektrizitätswirtschaft Graubündens
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
46
Handlungsfelder und Rolle des Staates Abb. 25 zeigt die aus Sicht der eingangs erörterten Fragestellung relevanten verschiedenen Handlungsfelder der Elektrizitätswirtschaftspolitik auf. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Rolle des Staates als Regulator (Gesetzgeber, Gestalter der Rahmenbedingungen) und als direkter Investor in Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft. •
Die Rolle des Regulators fällt in jedem Fall in den Verantwortungsbereich des Staates. Demzufolge muss der Staat die Frage klären, welche Regeln geschaffen oder geändert werden sollen.
•
Die Rolle des Investors ist nicht zwingend durch den Staat auszufüllen. Hier dürfte sich die Diskussion um die Frage drehen, ob der Staat überhaupt als Investor auftreten soll und – falls ja – mit welchem Ziel und welchen Kompetenzen. Abb. 25: Die Handlungsfelder der Elektrizitätswirtschaft Graubündens, unterteilt nach der Rolle des Staates Handlungsfeld:
Definition von Politikzielen Ö Kap. 4.2
Kanton und Gemeinden als Regulatoren der Elektrizitätswirtschaft Herausforderung
Herausforderung:
Umwelt
Konzessionsvergabe
Handlungsfeld:
Umweltgesetzgebung Ö Kap. 4.3
Herausforderung:
Besteuerung
Kanton und Gemeinden als aktive Investoren Herausforderung:
Strukturen
Handlungsfeld:
Handlungsfeld:
Handlungsfeld:
Wasserzinssystem Ö Kap. 4.4
Partnerwerkbesteuerung Ö Kap. 4.7
Strukturgestaltung Ö Kap. 4.11
Handlungsfeld:
Neue Konzessionen Ö Kap. 4.5 Handlungsfeld:
Heimfall Ö Kap. 4.6
Handlungsfeld:
Abstimmung der Abschöpfung der Ressourcenrente mit der allg. Besteuerung Ö Kap. 4.8
Handlungsfeld:
Handlungsfeld:
Mittelverwendung / Begünstigter Ö Kap. 4.9
Mittelverwendung / Zweck Ö Kap. 4.10
Beteiligungen an Partnerwerken Beteiligungen an Rätia Energie AG Beteiligungen an Grischelectra AG Andere Beteiligungen
Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden
In der Folge werden die Handlungsfelder ausgeleuchtet und die jeweiligen Möglichkeiten für politische Reformen und Verhaltensweisen aufgezeigt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
4.2
47
Handlungsfeld: Definition von Politikzielen
Ausgangslage Der Kanton Graubünden hat im Jahr 2000 die folgenden energiepolitischen Zielsetzungen formuliert (vgl. Abb. 26): Abb. 26: Übersicht der aktuellen energiepolitischen Zielsetzungen der Bündner Regierung (Januar 2000)
I.
Energieversorgung Die Konsumenten im Kanton sind genügend, sicher und kostengünstig mit Energie zu versorgen. Die Infrastruktur der Stromversorgung der Gemeinden ist ertragsbringend zu nutzen.
II. Wasserkraftnutzung Die Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraftnutzung ist langfristig zu erhalten. Die Erträge aus der Wasserkraftnutzung sind zu erhalten sowie möglichst zu steigern. III. Förderung der Energieeffizienz Jede Energie ist rationell und sparsam zu verwenden. IV. Öffentlichkeitsarbeit Die Energiepolitik des Kantons ist in der Öffentlichkeit verstärkt und verständlich darzulegen.
Quelle:
Amt für Energie Graubünden
Im Rahmen dieser Zielsetzungen ist für die vorliegenden Betrachtungen insbesondere die Zielsetzung II. Wasserkraftnutzung von Bedeutung. Mit dieser Zielsetzung zeigt der Kanton auf, dass er die Wasserkraftnutzung auch künftig vorantreiben möchte. Zu diesem Zweck sieht er die in Abb. 27 definierten Stossrichtungen vor.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
48
Abb. 27: Übersicht über die Stossrichtungen der Bündner Regierung zur Wasserkraftnutzung (Januar 2000)
Die Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraftnutzung ist langfristig zu erhalten. Stossrichtungen: • •
• •
Der Kanton setzt sich für eine kantonale, nationale und internationale Verwendung der einheimischen Stromproduktion ein. Der Kanton fördert - die Bestandessicherung bei bestehenden Anlagen sowie deren Optimierung und Leistungserhöhung; - den energiewirtschaftlich sinnvollen und umweltmässig verantwortbaren Weiterausbau der Wasserkräfte. Abgeltungsleistungen für die Verleihung von Wassernutzungsrechten sind entsprechend den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen flexibel auszugestalten. Entscheidungen von Kanton und Gemeinden bei Wasserkraftnutzungen sind in den Dienst der allgemeinen Elektrizitätspolitik zu stellen.
Die Erträge aus der Wasserkraftnutzung sind zu erhalten sowie möglichst zu steigern. Stossrichtungen: Der Kanton fördert den Zusammenschluss von Unternehmungen im Bereich der Elektrizitätswirtschaft. • •
Quelle:
Der Kanton unterstützt die Verwendung elektrischer Energie im Interesse von Bevölkerung und Wirtschaft. Der Kanton festigt im Interesse der Bündner Volkswirtschaft: - die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einheimischen Gesellschaften der Elektrizitätswirtschaft; - Partnerschaften zwischen der öffentlichen Hand und privaten Energieversorgungsunternehmungen; Amt für Energie Graubünden
Nebst diesen energiepolitischen Zielsetzungen werden im Regierungsprogramm 20092012 unter der Stossrichtung „Raum und Umwelt“ zum Entwicklungsschwerpunkt „Energieeffizienz“ die folgenden Massnahmen im Bereich Wasserkraft aufgeführt:19 •
Verstärkte Wasserkraftnutzung.
•
Erhöhung Wertschöpfung Wasserkraft.
•
Erfassen der Wasserentnahmen in einem Wasserentnahmekataster.
•
Abflussmessungen mit Frühwarnung an den wichtigsten Gewässern und beim Grundwasser.
• 19
Regierungsrat des Kantons Graubünden (2008): Bericht über das Regierungsprogramm und den Finanzplan für die Jahre 2009-2012. Auszug für die Medienmitteilung vom 29. Februar 2008; Chur.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
49
Bei näherer Betrachtung dieser Ziele und Stossrichtungen kann Folgendes festgestellt werden: •
Die Stossrichtungen lassen erkennen, dass der Kanton am Ausbau und an der Stärkung der Elektrizitätswirtschaft interessiert ist und dass er bereit ist, die notwendigen Massnahmen und Rahmenbedingungen aus volkswirtschaftlicher Sicht zu treffen.
•
Die Ziele und Stossrichtungen sind sehr breit formuliert und lassen dadurch der kantonalen Politik viel Spielraum. Aus den Stossrichtungen ist folglich zumindest nicht klar erkennbar, mit welchen Massnahmen der Kanton seine Ziele erreichen möchte.
In den folgenden Kapiteln werden wir die einzelnen Handlungsfelder näher erörtern mit dem Ziel, die Stossrichtungen aus Sicht des Wirtschaftsforums Graubünden weiter zu konkretisieren.
4.3
Handlungsfeld: Umweltgesetzgebung
4.3.1
Ausgangslage
Von den in diesem Bericht präsentierten Wachstumsschienen der Wasserkraft bewegen sich die beiden ersteren – steigende Marktpreise für Elektrizität und der Ausbau des Stromhandels – kaum in ökologischen Konfliktfeldern. Insbesondere die höheren Preise tragen sogar dazu bei, dass die Energienachfrage sinkt bzw. die Energieeffizienz generell ansteigt. Bezüglich der dritten erkannten Wachstumsschiene, Sicherung und dem Ausbau der bestehenden Produktionskapazitäten, bestehen hingegen spezifische lokale Konfliktfelder zwischen Umweltschutz und Nutzung der Ressourcen.
4.3.2
Herausforderungen
Vor diesem Hintergrund sehen wir folgende Herausforderungen und Konfliktfelder: •
Dauer der Konzessionierungsverfahren verkürzen
•
Neuregelung von Sunk und Schwall
•
Kostengünstige Umsetzung der bisherigen Umweltgesetze
•
Zweckbindung von Wasserzinsen für Umweltschutz
Dauer der Konzessionierungsverfahren Sofern die Strompreisprognosen zutreffen, ist davon auszugehen, dass die aktuellen Produktionskapazitäten in Graubünden aus wirtschaftlicher Sicht um ca. 13% ausgebaut werden können. Damit dieses Potenzial innert nützlicher Frist ausgeschöpft werden kann, müssen die Verfahrensdauern für die Konzessionierungen wesentlich verkürzt werden. Beispiele wie die Neukonzessionierung des Lago Bianco zeigen, dass die heutigen Verfahren bis zu 20 Jahre in Anspruch nehmen und kaum als effizient bezeichnet werden können. Unter
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
50
anderem hat auch das Amt für Energie und Verkehr Graubünden den Sachverhalt angeprangert. Die vier wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren, die in Graubünden zwischen 2002 und 2006 abgeschlossen werden konnten, beanspruchten im Durchschnitt 10 Jahre. In seiner Ursachenanalyse kommt das Amt für Energie und Verkehr zum Schluss, dass zur Verkürzung und Verwesentlichung der wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren insbesondere den Kantonsregierungen die Kompetenz eingeräumt werden müsste, die Verfahren abschliessend zu beurteilen. Der Bund sollte nur noch für grenzüberschreitende Konzessionen zuständig sein. Ein weiteres Potential zur Verfahrensverkürzung liegt aber auch in der Optimierung der kantonsinternen Verfahrensabläufe.
Neuregelung von Sunk und Schwall Die Regeln bezüglich Sunk und Schwall sind eines der Konfliktfelder zwischen der Nutzung der Wasserkraft und den Anliegen des Umweltschutzes. Die Kraftwerkbetreiber sind an einer möglichst freien Handhabe des Sunk und Schwalls interessiert, da sie dadurch die Stromproduktion aus Speicherwerken stärker auf die Hochpreisphasen konzentrieren können. Mit der Liberalisierung der Märkte und der zunehmenden Handelstätigkeit werden zudem Pumpspeicherwerke interessant. Grundsätzlich liesse sich der Konflikt lösen, indem vermehrt Ausgleichsbecken geschaffen würden und dadurch der Wassereinlass in die Flüsse besser gesteuert werden könnte. Selbstverständlich bestehen beim Bau von Ausgleichsbecken landschaftliche und ökonomische Grenzen. Diesem Aspekt gilt es Rechnung zu tragen, gleichzeitig soll jedoch auch das Verhältnis zwischen Schutz und Nutzen gewahrt werden. Derzeit geniesst das Thema aufgrund der Initiative „Lebendiges Wasser“ des Schweizerischen Fischerei-Verbands hohe Aufmerksamkeit. Die Initiative beinhaltet •
konkrete Massnahmen zur Aufwertung der natürlichen Flusslandschaften (Geschiebehaushalt, Schwall und Sunk),
•
die Einrichtung von kantonalen Fonds zur Renaturierung von Flussläufen durch eine Erhöhung der Wasserzinsen sowie
•
eine Erweiterung des Beschwerderechts für Organisationen.
Kostengünstige Umsetzung der bisherigen Umweltgesetze Bereits heute besteht in der Schweiz ein stark regulierter Umwelt- und Gewässerschutz. Die Betreiber von Kraftwerken sind dafür verantwortlich, die in den verschiedenen Gesetzen (z.B. Fischereigesetz, Natur- und Heimatschutzgesetz, Umweltschutzgesetz, Gewässerschutzgesetz, Wasserrechtsgesetz) vorgesehenen Standards einzuhalten, wie es von jedem anderen Unternehmen auch verlangt wird. Es liegt im Interesse des Wirtschaftsstandortes Graubünden und des Umweltschutzes, diese Gesetze so auszugestalten, dass gleichzeitig den Schutzanliegen nachgekommen wird und die Produktionskapazität der Wasserkraft aufrecht erhalten werden kann. Denn je mehr
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
51
Produktionskapazitäten in der Wasserkraft bestehen, desto weniger Produktion aus anderen, die Umwelt weit mehr belastenden Technologien (z.B. Gaskraft, Kohlekraftwerke) ist notwendig. Bund, Kantone und Unternehmen sind deshalb gefordert, bei der Gesetzgebung möglichst pragmatische Lösungen zu finden bzw. die Gesetze so auszuformulieren, dass pragmatische Lösungen umgesetzt werden können. In dieser Hinsicht besteht beispielsweise bei der Regelung der Restwassermenge Optimierungsbedarf.
Zweckbindung von Wasserzinsen für Umweltschutz Immer wieder wird von verschiedenen Akteuren verlangt, dass ein Teil der Wasserzinsen oder Gewinne der Wasserkraft für bestimmte Zwecke, meist für Umweltschutzmassnahmen, einzusetzen sind (vgl. Initiative „Lebendiges Wasser“). Die Gefahr besteht, dass die Regionen und Kantone so Schritt für Schritt bezüglich Wasserzinsen in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden und indirekt der für die Umweltgesetzgebung zuständige Bund über die Verwendung der Ressourcenrente aus der Wasserkraft befindet. Es gilt hier eine konsequente Trennung zwischen der Umsetzung von Umweltgesetzen und der Verteilung von Ressourcenrenten aus der Stromproduktion vorzunehmen. Umweltgesetze und Standards sind durch die Unternehmen bzw. Kraftwerkbetreiber einzuhalten und die dafür notwendigen Investitionen gelten grundsätzlich als Geschäftsaufwand. Dem Staat obliegt lediglich die Rolle, Umweltstandards zu definieren und für die Einhaltung derselben zu sorgen. Wasserzinsen und andere Formen der Ressourcenrenten sind Einnahmen, die derzeit dem Kanton und den Gemeinden zustehen. Damit liegt die Kompetenz für die Verwendung dieser Einnahmen bei diesen Institutionen. Jegliche (Teil-)Zweckbindung entsprechender Einnahmen durch eine übergeordnete Institution (z.B. Bund) ist deshalb abzulehnen.20
4.3.3
Schlussfolgerung
Der Ausbau und die Optimierung der Wasserkraftkapazitäten sollen in Graubünden auch künftig möglich sein. Unbestritten ist, dass dabei die von der Politik und Gesellschaft definierten Umweltstandards einzuhalten sind. Handlungsbedarf besteht hingegen bei der Steigerung der Effektivität in der Anwendung der Umweltgesetze. Einerseits gilt es, die Bewilligungsverfahren bezüglich Dauer, Kompetenzabgrenzung und Doppelspurigkeiten zu optimieren. Andererseits soll die Umweltgesetzgebung möglichst so ausgestaltet werden, dass situativ optimale Lösungen umgesetzt werden können (z.B. Restwassermenge). Die Einhaltung von Umweltstandards obliegt den Unternehmen. Die entsprechenden Kosten sind als geschäftlich bedingter Aufwand zu betrachten. Ansprüche von Parteien auf eine Zweckbindung von Mitteln aus den dem Kanton und den Gemeinden zustehenden Res• 20
Bereits heute wird mit dem Landschaftsfranken ein Teil der Wasserzinsen beansprucht. Da die Gemeinden die entsprechenden Einnahmen frei verwenden können, handelt es sich jedoch – im Gegensatz zu anderen Forderungen – nicht um eine Teilzweckbindung.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
52
sourcenrentenanteilen – aus welcher Motivation auch immer – sind konsequent abzulehnen.
4.4
Handlungsfeld: Wasserzinssystem
4.4.1
Ausgangslage
Die Wasserzinsen21 sind die wichtigsten staatlichen Einnahmen im Zusammenhang mit der Elektrizitätswirtschaft in Graubünden. Die Gesamteinnahmen betragen derzeit das Dreifache der Steuereinnahmen von Kanton und Gemeinden (vgl. Abb. 14 in Kapitel 3.1). Im Gegensatz zu den Steuern stellen die Wasserzinsen eine Abgeltung für das Recht dar, die öffentliche Ressource „Wasser“ bzw. die „Kraft des Wassers“ zu nutzen. Tab. 12 bietet einen Überblick über die aktuelle Handhabung der Wasserzinsen durch die öffentliche Hand. Tab. 12: Wichtige Fakten zu den Wasserzinsen
Wasserzinsen und Wasserwerksteuer
Als Wasserzinsen werden die von den Gemeinden erhobenen Abgaben bezeichnet. Die entsprechenden Einnahmen des Kantons werden als Wasserwerksteuer bezeichnet.
Bund legt maximalen Wasserzins fest
Das Bundesrecht legt die maximal von Kanton und Gemeinden verhandelbaren Wasserzinsen fest. Momentan beträgt der Maximalsatz CHF 80.-/kW Bruttoleistung. Die Bruttoleistung berechnet sich aus der Wassermenge und dem nutzbaren Gefälle. Die Wasserzinsen variieren daher entsprechend der Menge des verfügbaren Wassers. Die maximalen Wasserzinsen von Kanton und Gemeinden entsprechen derzeit gesamthaft umgerechnet ca. 1.1 Rp/kWh.
Kanton und Gemeinde profitieren gleichmässig
Die Wasserzinsen können von den Trägern der Gewässerhoheit erhoben werden. Im Kanton Graubünden beansprucht der Kanton 50% der Wasserzinsen und die Gemeinden maximal die restlichen 50% (zum Teil abgegolten in Form von verbilligter Energie und anderen „Naturalien“).
Wasserzinsen sind bedeutendste Abgabe der Stromwirtschaft
Im Kanton Graubünden fliessen in Form von Wasserzinsen ca. CHF 45 Mio. an den Kanton und ca. CHF 41 Mio. an die Gemeinden (Basis: Durchschnittsjahr mit einer Produktion von 7’800 GWh).153 Gemeinden (73% der Gemeinden) profitieren von Wasserzinsen. Der Bund kann einen geringen Teil der Wasserzinsen abschöpfen und denjenigen Gemeinden zukommen lassen, die zugunsten des Erhalts von besonders schützenswerten Landschaften auf die Ausschöpfung von Wasserkraftpotenzialen verzichtet haben. (Derzeit für den Kt. GR rund CHF 0.7 Mio. für Projektverzichte Greina und Val Frisal.)
Aus heutiger Sicht stellt insbesondere die Ausgestaltung der Berechnung der Wasserzinsen ein Problem dar. Auf Bundesebene wurde seinerzeit ein maximal möglicher Wasserzins • 21
Im Kanton Graubünden benutzt man den Begriff „Wasserzinsen“ für die Abgabe aus der Wassernutzung an die Gemeinden. Die Abgaben an den Kanton werden als Wasserwerksteuer bezeichnet. In diesem Bericht sind der Einfachheit halber beide Abgaben gemeint, wenn von Wasserzinsen die Rede ist.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
53
festgelegt. Diese absolute Begrenzung nach oben erfolgte aus der Befürchtung, dass wegen zu hoher Gestehungskosten keine Wasserkraftanlagen entstanden wären, wenn die Gemeinden/Kantone in der Aufbauphase der Elektrizitätswirtschaft zu hohe Wasserzinsen verlangt hätten. Der Bund ging deshalb davon aus, dass zurückhaltende Abgaben auf der Wasserkraft im nationalen Interesse seien. Zudem gab es keinen transparenten Strommarkt und keine Strommarktpreise, an die man die Höhe der Wasserzinsen hätte binden können. Da die Preise staatlich reguliert waren und auf Basis der Gestehungskosten festgelegt wurden, hatte der Wasserzins einen direkten Einfluss auf die Höhe der staatlich regulierten Strompreise.
4.4.2
Herausforderungen
Die Ausgangslage präsentiert sich heute grundlegend anders: In weiten Teilen Europas wurde die Stromwirtschaft weitgehend liberalisiert. In der Folge entstanden funktionierende Strommärkte und internationale Strompreise, die an den Strombörsen jederzeit in Erfahrung gebracht werden können. Auch die Schweiz ist im Begriff, bis 2013 den Strommarkt zu öffnen. Es gilt nun auch, das System der Wasserzinsen an das künftig gültige marktwirtschaftliche System anzupassen (vgl. Abb. 35). Die Liberalisierung22 der Märkte führte nicht nur zu neuen Regeln im System, sondern im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auch zu markant höheren Preisen. Aufgrund der Strommarktliberalisierung und der steigenden Strompreise entstanden aber auch verschiedene Konflikte, die sich von den unterschiedlichen Interessen der Akteure ableiten lassen. •
Öffentliche Hand am jeweiligen Produktionsstandort: Weil die Wasserzinsen nach oben limitiert sind, können die Standortgemeinden und -kantone nur beschränkt von den steigenden Marktpreisen und Gewinnen der Kraftwerkgesellschaften profitieren. Standortgemeinden und -kantone sind einerseits an langfristig gesicherten Sockeleinnahmen interessiert und andererseits möchten sie bei besonders gutem Geschäftsgang an steigenden Gewinnen (Ressourcenrenten) der Kraftwerke partizipieren können. Aufgrund dieser Logik streben sie eine Systematik an, die nach oben flexible Wasserzinseinnahmen mit einem gesicherten Minimalsockel aufweist.
•
Kraftwerkgesellschaften: Der Wasserzins von ca. 1.1 Rp./kWh kann die Energie aus Wasserkraft verteuern. Dies kann beim Bau von neuen Anlagen entscheidend sein, da durch die staatlichen Abgaben die Schwelle zur Rentabilität und damit der Machbarkeit erhöht wird. In solchen Fällen, wie auch in Zeiten von tiefen Marktpreisen für Strom, wären die Kraftwerkgesellschaften an möglichst flexiblen Wasserzinsen, die an die Entwicklung der internationalen Marktpreise und damit an die potenziellen Gewinne gebunden sind, interessiert.
• 22
Unter „Liberalisierung“ verstehen wir den freien Zugang verschiedener Anbieter zu den lokalen Verteilnetzen. Dadurch kann der Konsument künftig den Energieversorger frei wählen. Dadurch werden die heute in der Schweiz bestehenden, natürlichen Monopole der Netzbetreiber ausgeschaltet.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
•
54
Öffentliche Hand in den Konsumentenkantonen (Mittellandkantone): Die Gemeinden und Kantone des Mittellands sind Haupteigentümer der meisten Wasserkraftgesellschaften in Graubünden. Sie sind daran interessiert, möglichst tiefe Wasserzinsen zu bezahlen. Dadurch können sie entweder mit den Wasserkraftgesellschaften grössere Gewinne erwirtschaften und/oder den produzierten Strom den eigenen Einwohnern bzw. der Wirtschaft zu günstigen Konditionen abgeben.
Die angemessene Verteilung der Ressourcenrente wurde bereits in den 1970er und 1980er Jahren immer wieder von den Gebirgskantonen thematisiert.23 Weil damals aber die Märkte nicht bzw. nur beschränkt liberalisiert und nicht transparent waren, entstanden zwangsläufig auch keine nachweisbaren Gewinne oder Ressourcenrenten auf der Stromproduktion. Mit der Liberalisierung der Märkte und der Schaffung von internationalen Börsen besteht heute auf der Stromproduktion ein nachweisbarer potenzieller marktwirtschaftlicher Gewinn und damit eine Ressourcenrente. Vergleicht man die potenzielle Ressourcenrente von Ende der 1990er Jahre mit den aktuellen Daten, stellt man unschwer fest, dass der relative Anteil der Wasserzinsen an der potenziellen Ressourcenrente massiv abgenommen hat (vgl. Abb. 28 und 29). Abb. 28: Entwicklung des internationalen Strompreises im Grosshandel 1998 – 2007 20.0 19.0
Preisspanne base/peak-Load (monatliche Durchschnittspreise)
18.0 17.0
Rp./kWh zu laufenden Wechselkursen
16.0 15.0 14.0 13.0 12.0 11.0 10.0 9.0 8.0 7.0 6.0 5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 Jan 98
Quelle:
•
∅ Wasserzinsen
Jan 99
Jan 00
Jan 01
Jan 02
Jan 03
Jan 04
Jan 06
Jan 07
Jan 08
Pöyry / EEX / BHP – Hanser und Partner AG
Die Kraftwerkgesellschaften und die Konsumenten profitieren von Zusatzgewinnen bzw. von steigenden Opportunitätserträgen, während die öffentliche Hand an den Produktionsstandorten kaum an den steigenden Preisen partizipiert. Aus Sicht des Wirt-
• 23
Jan 05
Vgl. Standesinitiative Graubünden bezüglich Partnerwerkbesteuerung
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
55
schaftsstandortes Graubündens ist für die Zukunft ein System festzulegen, welches eine angemessene Verteilung der Wertschöpfung zwischen den Kraftwerkgesellschaften und der öffentlichen Hand an den Produktionsstandorten sicherstellt. •
Im bisherigen System spielt primär die allgemeine Teuerung eine Rolle für die Erhöhung des Wasserzinsmaximums. Nachdem aber in den letzten Jahrzehnten die Elektrizitätsmärkte in Europa weitgehend liberalisiert wurden und die Energiepreise allgemein stark gestiegen sind, ist davon auszugehen, dass ein Ungleichgewicht zwischen potentiellen Erträgen aus der Wasserkraft und dem Wasserzins bestehen bleibt. Wie in der folgenden Abbildung ersichtlich, würden die aktuellen Marktpreise eine Verdoppelung bis Verdreifachung des Wasserzinsmaximums erfordern, um das im Jahr 1998 vorhandene Gleichgewicht zwischen den Profiten der Öffentlichkeit und der Kraftwerkgesellschaften wieder herzustellen. Abb. 29: Entwicklung der Wasserzinsen im Vergleich zum Marktwert der Elektrizität gemäss den Preisnotierungen an der EEX
Anteil der Wasserzinsen am potenziellen Umsatz pro kWh nach Massgabe der Börsenpreise base-load
45%
Anteil Wasserzinsen am Marktwert der Elektrizität
40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1998
Quelle:
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Wirtschaftsforum Graubünden / EEX Leipzig
•
Auch wenn für den Elektrizitätsverkauf derzeit sehr hohe Durchschnittspreise erzielt werden können, zeigen die jüngsten Erfahrungen (Preissenkungen im Jahr 2007) aber auch, dass die Preise an den Märkten stark schwanken können und schwer voraussehbar sind.
•
Ein Problem einer Erhöhung des Wasserzinsmaximums entsteht durch die mangelnde Differenzierung zwischen verschiedenen Kraftwerktypen. Beispielsweise würde beim aktuellen mittleren Marktpreis von ca. 8 - 10 Rp./kWh eine Erhöhung der Wasserzinsen für eine Anlage mit mittleren Gestehungskosten von 3.5 Rp./kWh nur eine neue Gewinnverteilung bedeuten, ohne einen wesentlichen Einfluss auf die Rentabilität zu ha-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
56
ben. Wenn ein Kraftwerk (meistens neueren Datums)24 Gestehungskosten von beispielsweise 9 Rp./kWh aufweist, würde eine Erhöhung des Wasserzinses um 1.1 Rp./kWh bei einem angenommenen Marktpreis von 8 – 10 Rp./kWh die Wirtschaftlichkeit der Anlage ernsthaft in Frage stellen. Diese unterschiedliche Ausgangslage kann gut am Beispiel der Kraftwerke Hinterrhein AG und der Engadiner Kraftwerke AG dargestellt werden (Tab. 13). Tab. 13: Aktuelle Gestehungskosten ausgewählter Bündner Kraftwerkgesellschaften
in Rp./kWh
Kraftwerke Hinterrhein AG
Engadiner Kraftwerke AG
2005/06
2005/06
∅ potenzieller Marktpreis (Schätzung)
8.95
8.95
-2.95
-6.14
Theoretische Ressourcenrente25
6.00
2.81
− davon staatliche Abschöpfung der Ressourcenrente durch Wasserzinsen
1.10
1.10
(18%)
(39%)
0.14
0.22
(2%)
(8%)
Unternehmerische Gestehungskosten vor staatlichen Abgaben (Wasserzinsen und Ertragssteuern)
− davon staatliche Abschöpfung der Ressourcenrente durch Ertragssteuern − davon Anteil Ressourcenrente für Unternehmen Quelle:
4.4.3
4.76
1.49
(70%)
(53%)
Jahresberichte der Gesellschaften / Annahmen Wirtschaftsforum Graubünden
Varianten
Vor dem Hintergrund der steigenden Marktpreise müsste das Wasserzinsmaximum kurzfristig beträchtlich erhöht werden, um das frühere Gleichgewicht herzustellen. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass bei wieder sinkenden Börsenpreisen eine zu hohe Wasserzinsbelastung die Wettbewerbsfähigkeit der Elektrizitätsproduktion aus Bündner Wasserkraft beeinträchtigen könnte. Deshalb möchten wir zwei Modellvarianten diskutieren: •
Speicherzuschlag und Indexierung des Wasserzinsmaximums
• 24
Kraftwerke neueren Datums weisen oftmals höhere Gestehungskosten auf, erstens, weil für die Nutzung geeignetere Standorte (Wasservolumen, bauliche Eignung etc.) bereits früher erschlossen wurden und 2. weil ältere Standorte aufgrund der bereits getätigten Abschreibungen zu tieferen Fixkosten produzieren können.
25
Werte gemäss veröffentlichter Finanzbuchhaltung unter der Annahme, dass Abschreibungen, Verzinsung und Kapitalsteuern betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechen. Als Ressourcenrente definieren wir in diesem Bericht die Gewinnmarge zwischen Marktpreis und den unternehmerischen Gestehungskosten (Kosten vor Wasserzinsen und Ertragssteuern) für die Elektrizität. Ein ähnliches Modell wurde 2003 vom CEPE (Centre for Energy Policy) an der ETH Zürich entwickelt („ökonomisches Konzept der Ressourcenrente“).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
•
57
Ressourcenrentensystem
Im Folgenden werden diese zwei Modelle beschrieben und kurz beurteilt.
Speicherzuschlag und Indexierung des Wasserzinsmaximums Im Hebst 2007 hat die Regierungskonferenz der Gebirgskantone die Problematik des Wasserzinssystems thematisiert und folgende Forderungen gestellt (vgl. Tab.14): •
Das Wasserzinsmaximum ist aufgrund der gestiegenen Strompreise von CHF 80/kW auf CHF 100/kW Bruttoleistung zu erhöhen.
•
Für Speicherkraftwerke ist ein Zuschlag von bis zu CHF 50 vorzusehen, da diese Energie zu höheren Marktpreisen abgesetzt werden kann.
•
Damit in Zukunft die Teuerung nicht jedes Mal mittels eines politischen Vorstosses „erstritten“ werden muss, soll das Wasserzinsmaximum an einen Teuerungsindex gebunden werden. Das Wasserzinsmaximum ist danach regelmässig und automatisch an die Teuerung anzupassen.
Dieses Modell lehnt sich stark an das bestehende Modell an und kann als Weiterentwicklung desselben bezeichnet werden. Als neue Elemente wurden der „Speicherzuschlag“ sowie die „Indexierung“ eingebracht. Es handelt sich dabei um flexibilisierende Elemente, welche aus Sicht der Bergkantone zu begrüssen sind. Tab. 14: Vergleich des aktuell gültigen Modells mit dem Vorschlag der RKGK
Wasserzinsmaximum
Bestehendes Modell
Vorschlag RKGK
CHF 80 / kW Bruttoleistung, entspricht ca. 1.1 Rp./kWh
CHF 100/kW Bruttoleistung, entspricht ca. 1.4 Rp./kWh Speicherzuschlag von bis zu CHF 50/kW Bruttoleistung für Speicherkraftwerke (je nach Grösse des Speichers), entspricht max. ca. 2.06 Rp./kWh
Verfahren für die Anpassung des Maximums an die Teuerung
Keines; die Teuerung wurde bisher jeweils über Vertreter im Bundesparlament eingebracht.
Indexierung des Wasserzinsmaximums mittels des Landesindex der Konsumentenpreise zur Sicherung der Kaufkraftentwicklung (Teuerung). Keine automatische Anpassung an veränderte Energiepreise.
Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden
Drei wesentliche Schwierigkeiten können mit dem Modell hingegen nicht vollständig gelöst werden. Nämlich, dass •
weiterhin ein Wasserzinsmaximum in einem freien Markt akzeptiert wird;
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
58
•
die Wirtschaftlichkeit der Anlagen bei der Festlegung des Wasserzinses nicht berücksichtigt wird und
•
die tatsächliche Energiepreisentwicklung (Ö Ressourcenrente) nicht durch den Teuerungsausgleich abgedeckt wird. Abb. 30: Das Wasserzinsmaximum seit 1918
Indexierte Entwicklung (Jahr 1918: 100 Indexpunkte)
120
Wasserzinsmaximum (indexiert 1998 = 100) ca. 1.1 Rp./kWh
Landesindex der Konsumentenpreise (indexiert 1998 = 100)
100
80
ca. 0.74 Rp./kWh
60
40
ca. 0.3 Rp./kWh
ca. 0.11 Rp./kWh
20
1918
1928
1938
1948
1958
1968
1978
1988
1998
2008
Jahre
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an: Gredig / Willi (2006) / BFS
Ressourcenrentensystem Im Gegensatz zum System des fixen Wasserzinsmaximums, das zum Ziel hat, die staatlich administrierten Elektrizitätspreise möglichst tief zu halten, geht das Ressourcenrentensystem von einem liberalisierten Markt mit transparenten Börsenpreisen aus. Weiter wird bei diesem System davon ausgegangen, dass das Wasser ein knappes öffentliches Gut ist und die auf diesem Rohstoff erzielbaren Renten/Gewinne zumindest teilweise der Öffentlichkeit gehören sollten. Gleichzeitig wird jedoch akzeptiert, dass der Wert der Ressource von den Marktpreisen abhängig ist, Schwankungen unterliegen kann, je nach Kraftwerktyp unterschiedlich hoch ausfällt und der Kraftwerkbetreiber für seine unternehmerischen Leistungen und Risiken ebenfalls angemessen entschädigt werden soll. Bei der Vergabe einer Konzession würde nach dem Ressourcenrentensystem primär darüber verhandelt, welcher Anteil an der Ressourcenrente der Öffentlichkeit und welcher dem Kraftwerkbetreiber gehören soll. Angenommen, Staat und Kraftwerkbetreiber einigten sich auf eine Aufteilung der Ressourcenrente von 50:50, würde dem Staat die Hälfte der Bruttomarge zwischen Marktpreis und unternehmerischen Gestehungskosten zustehen (vgl. Tab. 15 und Abb. 31).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
59
Tab. 15: Vergleich des aktuell gültigen Modells mit dem Vorschlag der RKGK und dem Ressourcenrentensystem
Wasserzinsmaximum
Verfahren für die Anpassung des Maximums an die Teuerung
Bestehendes Modell
Vorschlag RKGK
Ressourcenrentensystem
CHF 80 / kW Bruttoleistung, entspricht ca. 1.1 Rp./kWh
CHF 100 / kW Bruttoleistung, entspricht ca. 1.4 Rp./kWh
Wasserzins wird in % der Ressourcenrente definiert.
Speicherzuschlag von bis zu CHF 50 / kW Bruttoleistung für Speicherkraftwerke (je nach Grösse des Speichers), entspricht max. ca. 2.06 Rp./kWh
Höhe kann frei verhandelt werden.
Indexierung des Wasserzinsmaximums mittels dem Landesindex der Konsumentenpreise zur Sicherung der Kaufkraftentwicklung (Teuerung).
Wasserzins passt sich automatisch den potentiellen Gewinnen an.
Keines; die Teuerung wurde bisher jeweils über Vertreter im Bundesparlament eingebracht.
Keine automatische Anpassung an veränderte Energiepreise. Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden
Abb. 31: Vergleich des aktuellen Modells mit dem Ressourcenrentensystem Aktuelles Modell mit fixen Wasserzinsen
Ressourcenrentensystem
CHF
CHF
Defizit des Kraftwerkbetreibers
Marktpreis
Marktpreis Profit KW
Gewinn vor Steuern Kraftwerkbetreiber
Ressourcenrente Flexible Wasserzinsen = z.B. 50% der Ressourcenrente
Fixe Wasserzinsen (Profit Staat max 1.1 Rp./kWh) Unternehmerische Gestehungskosten (ohne Wasserzinsen und Steuern)
Unternehmerische Gestehungskosten (ohne Wasserzinsen und Steuern) Zeit
Quelle:
Zeit
Wirtschaftsforum Graubünden
Vorteil dieses Systems ist die Möglichkeit der Öffentlichkeit, bei steigenden Gewinnen des Kraftwerkbetreibers mitprofitieren zu können.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
60
Für die Kraftwerkbetreiber besteht der Vorteil darin, dass in Tiefpreisphasen auch die staatlichen Abgaben abnehmen und solche grundsätzlich nur anfallen, wenn tatsächlich Gewinne geschrieben werden können. Dies ist insbesondere beim Kraftwerkbau interessant, da Kraftwerkprojekte langfristig angelegt sind und oft in den ersten Jahren nach dem Bau aufgrund der Zins- und Amortisationslast (bzw. Abschreibungslast) Gestehungskosten aufweisen, die höher sind als die Marktpreise. Dieses Verhältnis kehrt sich mit der fortlaufenden Amortisation der Anlage langfristig um. Das System favorisiert unter anderem auch den laufenden Ausbau und die Optimierung der Werke, da diese Investitionen kurzfristig zu höheren Gestehungskosten und damit zu tieferen staatlichen Abgaben führen. Als Nachteil dieses Systems können aus Sicht der öffentlichen Hand die Unvorhersehbarkeit der Einnahmen aufgeführt werden. Für die Budgetplanung favorisiert die öffentliche Hand üblicherweise konstante Einnahmen. Dies könnte jedoch auch erreicht werden, indem der Staat beispielsweise auf einen kleinen Teil des 50%-Anteils verzichten und im Gegenzug minimale Sockelabgaben vom Unternehmen ausbedingen würde.
4.4.4
Schlussfolgerungen
Der Übergang von einem System mit staatlich regulierten Preisen zu einem liberalisierten Marktsystem gibt dazu Anlass, das bisherige Modell der Wasserzinsen grundlegend in Frage zu stellen. Das Ressourcenrentenmodell berücksichtigt diesen Systemwechsel. Das Modell mit Speicherzuschlag und Indexierung des Wasserzinsmaximums stellt im Gegensatz dazu keinen eigentlichen „Paradigmenwechsel“ dar, wie er aufgrund der Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft ökonomisch gesehen notwendig wäre. Mit dem zukünftigen Wasserzinssystem ist sicherzustellen, dass mit den Wasserzinsen ein vernünftiger Teil der Ressourcenrente für die Öffentlichkeit abgeschöpft werden kann. Andererseits sollte das System dazu beitragen, Anreize für die Weiterentwicklung der Anlagen (Ausbau, Erneuerung etc.) zu schaffen. Dies unterstützt nicht zuletzt auch ökologische Forderungen nach einem möglichst hohen Wirkungsgrad der Anlagen und einem möglichst hohen Produktionsanteil aus relativ sauberer Wasserkraftproduktion im gesamten Energiemix. Diese Ziele werden mit dem Ressourcenrentensystem am besten abgedeckt.
4.5
Handlungsfeld: Neue Konzessionen
4.5.1
Ausgangslage und Herausforderung
In der Potenzialanalyse haben wir erkannt, dass im Zuge der steigenden Preise eine gewisse Anzahl neuer Kraftwerkprojekte in Graubünden umgesetzt werden könnte. In diesem Zusammenhang sind Gemeinden und Kanton gefordert, allenfalls neue Konzessionen zu vergeben. Weil das aktuelle Instrument der Wasserzinsen nicht mit dem marktwirtschaftlichen System der Zukunft kompatibel ist, sind geeignete alternative Konzessionsbedingungen für den Übergangszeitraum auszuhandeln.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
61
In einer idealen Welt könnten Kanton und Gemeinden mit potenziellen Konzessionsnehmern darüber verhandeln, welcher Anteil der Ressourcenrente in Form von Wasserzinsen der Öffentlichkeit zugestanden wird. Derjenige Konzessionsnehmer, welcher diesbezüglich das beste Angebot bei sonst gleichen Bedingungen unterbreitet, würde den Zuschlag erhalten. Weil derzeit jedoch das ökonomisch sinnvolle Ressourcenrentensystem als Instrument nicht zur Verfügung steht, und weil bei neuen Wasserkonzessionen kaum eine Gemeinde bereit ist, sich allein auf den gegenwärtigen Wasserzins zu beschränken, ist das Ressourcenrentensystem mit anderen Instrumenten nachzubilden.
4.5.2
Varianten
Es sind folgende Varianten denkbar: •
Beteiligung der Gemeinde am zu bauenden Kraftwerk bzw. an der Kraftwerkgesellschaft
•
Beteiligungsersatzenergie für die Konzessionsgeber
•
Weitere Bestandteile
Beteiligung der Gemeinde am zu bauenden Kraftwerk bzw. an der Kraftwerkgesellschaft Um einen wesentlichen Teil der Ressourcenrente abzuschöpfen, wäre es denkbar, dass sich die Konzessionsgeber am Bau des Kraftwerks bzw. an der Kraftwerkgesellschaft beteiligen. Damit wären sie nach dem üblichen Modell der Partnerwerke berechtigt, im Umfang ihres Aktienanteils Energie zu beziehen und diese auf dem Markt zu verkaufen. Solche Beteiligungen bergen jedoch folgende Schwierigkeiten: •
Notwendigkeit eines hohen Kapitaleinsatzes: Aufgrund der gegebenen Abgabestrukturen gehen wir davon aus, dass eine staatliche Beteiligung an der Ressourcenrente derzeit in der Grössenordnung von ca. 50% - 60% zu liegen käme. Soll diese Ressourcenrentenabschöpfung durch eine Beteiligung ersetzt werden, würde dies bedingen, dass die Beteiligung des Staates (je nach Steuerbelastung) in einer Grössenordnung von 25% - 40% liegen würde. Dies würde eine hohe Kapitalinvestition der öffentlichen Hand voraussetzen. Andererseits ist es fraglich, ob ein privatwirtschaftlicher Investor bereit ist, eine massgebliche Summe in eine Anlage zu investieren, an welcher der Staat eine relevante Minderheitsbeteiligung hält.
•
Gratis Heimfall der sog. benetzten Anlagen: Die Gemeinden und der Kanton sind zwar aus Überlegungen des Know-how-Gewinns und der persönlichen Beziehungen an einen Verwaltungsratssitz in Kraftwerkgesellschaften interessiert. Finanziell sind sie jedoch an einem möglichst kleinen Anteil der Investition in den erstmaligen Bau eines Kraftwerkes interessiert. Denn aufgrund der Heimfallregelung haben sie ohnehin Aussicht darauf, „Mehrheitseigentümer“ der Anlage zu werden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
62
•
Energiebezugspflicht: Üblicherweise haben die Beteiligten nicht nur das Recht, sondern auch die entsprechende Pflicht, Energie im Umfang der Beteiligung abzurufen. Dies kann dazu führen, dass regelmässige Verluste für die Eigentümer anfallen, wenn die Marktpreise unter die Gestehungskosten zu liegen kommen.
•
Investition birgt Risiken: Ein Kraftwerk wird aufgrund von langfristigen Annahmen zur Preisentwicklung auf den Elektrizitätsmärkten gebaut. Sofern sich die Annahmen als falsch erweisen, ist es durchaus möglich, dass eine Kraftwerkinvestition zu Verlusten für die Eigentümer führt. Diese unternehmerischen Risiken sollten primär durch die Unternehmen und nicht durch die Konzessionsgeberin getragen werden.
•
Ordnungspolitische Bedenken: Grundsätzlich sollten Kanton und Gemeinden sich primär regulatorischer Instrumente bedienen und Direktinvestitionen nur in Erwägung ziehen, wenn keine regulatorischen Instrumente zur Verfügung stehen.
Angesichts dieser verhältnismässig langen Liste von Einwänden wird rasch klar, dass eine wesentliche Beteiligung der öffentlichen Hand an Kraftwerken nur eine Option sein kann, wenn keine einfacheren und ordnungspolitisch unbedenklicheren Instrumente zur Verfügung stehen. Selbstverständlich bestehen bei einer Beteiligung auch Vorteile: •
Es besteht ein – offensichtlicher – Anspruch auf den Einsitz im Verwaltungsrat. Mittels eines VR-Sitzes kann die Informationstransparenz verstärkt und ein einfacher Informationsfluss gewährleistet werden. Möchte eine Gemeinde diesen Anspruch erheben, dürften in der Regel eine minimale Beteiligung und eine entsprechende Vereinbarung mit den Hauptaktionären genügen.
•
Ein weiterer Vorteil einer Beteiligung kann die Sicherstellung der Versorgungssicherheit sein, da man als Teilhaber direkten Einfluss auf die Unternehmung hat. Auch hier besteht jedoch die Möglichkeit, durch Energiebezugsrechte oder entsprechende Versorgungsbedingungen bei der Konzession geeignete Regeln zu schaffen, ohne dass eine umfassende Beteiligung notwendig wird.
Beteiligungsersatzenergie für die Konzessionsgeber Ein gutes Beispiel für eine Konzession auf der Basis von Beteiligungsersatzenergie ist der Konzessionsvertrag zwischen der Rätia Energie AG und den Gemeinden Fanas, Seewis und Grüsch im Zusammenhang mit der Konzessionserteilung für das Kraftwerk Taschinas.26 Kernelemente des Vertrags sind:
• 26
Das Modell als solches erscheint sinnvoll. Ob die exakten Bedingungen (30% Beteiligungsersatzenergie) geeignet sind, kann und soll hier nicht beurteilt werden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
63
•
Wasserzins nach bisherigem Modell: Die Einnahmen aus dem Wasserzins (angewendet wird das Wasserzinsmaximum) entsprechen garantierten Sockeleinnahmen für die Gemeinden.
•
Rechte an 30% der produzierten Energie: Die Gemeinden haben nebst dem Anspruch auf Wasserzinsen das Recht, bis zu 30% der produzierten Energie zu Gestehungskosten abzurufen. Sofern der Marktpreis unter den Gestehungskosten liegt, verzichten die Gemeinden auf ihr Energiebezugsrecht und erhalten somit keine Sondereinnahmen. Da sie keine Energiebezugspflicht haben, entstehen ihnen aber auch keine Kosten. Sofern die Marktpreise jedoch über den Gestehungskosten liegen, ist die Gemeinde berechtigt, ihren Anteil an der Energieproduktion von 30% abzurufen und die Energie selbständig bzw. in Zusammenarbeit mit einer Elektrizitätsgesellschaft zu verkaufen und den Gewinn aus dem Verkauf dieses Energieanteils für sich zu verwenden.27
•
Schattenrechnung: Unabhängig davon, ob das Energiebezugsrecht ausgeübt wird oder nicht, führt die Rätia Energie eine Schattenrechnung bezüglich dem Gewinn/Verlust auf der Beteiligungsersatzenergie der Gemeinden. Falls die Gemeinden das Energiebezugsrecht nicht ausüben und der Saldo der Schattenrechnung positiv ist, werden die Gemeinden jährlich mit 50% an diesem Saldo beteiligt.
•
Gratisenergie im Umfang von 2.5% der Gesamtproduktion: Nebst der Beteiligungsersatzenergie erhalten die Gemeinden Gratisenergie für den Eigenkonsum.
•
Anteil an gesamten Unternehmenssteuern: Die Gemeinden erhalten einen dem Wert der Anlagen im Gemeindegebiet entsprechenden Anteil der von der Rätia Energie AG zu entrichtenden Ertrags- und Kapitalsteuern.
• 27
Das Recht kann jedoch nur einmal während der Konzessionsdauer ausgeübt werden und gilt danach für die gesamte Konzessionsdauer. Allfällige Verluste, die vor der Ausübung des Energiebezugsrechtes entstanden sind, werden auf künftige Gewinne aufgerechnet.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
64
Abb. 32: Schätzung der Partizipation des Staates an der Ressourcenrente aufgrund des Vertrages für das Kraftwerk Taschinas bei verschiedenen Marktpreissituationen Szenario "unrentabel" Marktpreisniveau ca. 5 Rp./kWh
Szenario "unrentabel" Szenario "rentabel" Szenario "hochrentabel" Marktpreisniveau ca. 10 Rp./kWh Marktpreisniveau ca. 15 Rp./kWh Marktpreisniveau ca. 20 Rp./kWh
CHF 3'000'000 Anteil Gemeinde an Ressourcenrente (Wasserzinsen + Gewinnsteuern + Energiebezugsrecht) Anteil Kanton an Ressourcenrente (Wasserzinsen + Gewinnsteuern) CHF 2'000'000
Anteil Elektrizitätsgesellschaft an Ressourcenrente
CHF 1'000'000
CHF 0
-CHF 1'000'000
-CHF 2'000'000
-CHF 3'000'000
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
Abb. 32 zeigt vereinfachend die Verteilung der Ressourcenrente auf die einzelnen Akteure im Modell Taschinas bei verschiedenen Preisszenarios. Wir gehen dabei von der Annahme aus, dass die mittleren unternehmerischen Gestehungskosten ungefähr bei 10 – 11 Rp./kWh liegen. •
Angenommen, der Marktpreis liegt bei ca. 5 Rp./kWh (erste Spalte in der Grafik), so entsteht keine Ressourcenrente, da die unternehmerischen Gestehungskosten über dem Marktpreis liegen. Trotzdem würden Gemeinde und Kanton aufgrund der Wasserzinsen eine Kompensation (ca. CHF 0.4 Mio.) für die Nutzung der Wasserkraft erhalten. Die Kraftwerkgesellschaft würde jedoch einen Verlust von ca. CHF 2.4 Mio. verbuchen. Gleiches gilt für ein Marktpreisszenario von 10 Rp./kWh (zweite Spalte), wenn auch der Verlust deutlich geringer ausfällt.
•
Sofern der Marktpreis aber beispielsweise bei 15 Rp./kWh liegt (dritte Spalte), entsteht eine Ressourcenrente von total ca. CHF 2 Mio. Kanton und Gemeinde können nun 30% der Energie abrufen und so einen Anteil der Ressourcenrente selber erwirtschaften. Zusammen mit den Wasserzinsen liegt der Anteil von Kanton und Gemeinden ungefähr bei 60% oder CHF 1.2 Mio. der gesamten Ressourcenrente. Die Kraftwerkbetreiberin erhält ca. CHF 0.8 Mio.
•
Sofern der Marktpreis sogar auf ca. 20 Rp./kWh zu liegen kommt, entsteht eine Ressourcenrente von ca. CHF 4 Mio. Weil nun der Anteil der Energiebezugsrechte von 30% bei der Verteilung der Ressourcenrente stärker ins Gewicht fällt als die Wasserzinsen (Sockel), nimmt der relative Anteil von Kanton und Gemeinden an der Ressour-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
65
cenrente auf 50% ab (gegenüber Szenario 15 Rp./kWh). Absolut gesehen, nimmt der Anteil trotzdem von CHF 1.2 Mio. auf ca. CHF 2 Mio. zu. Diese Lösung bringt nicht nur den Konzessionsgebern, sondern auch den Konzessionsnehmern Vorteile. Es sind dies vor allem folgende: •
Integration der Kraftwerke: Die Konzessionsnehmerin muss keine neue Gesellschaft gründen und kann das Kraftwerk in den eigenen Büchern führen. Dies ermöglicht einfachere Unternehmensstrukturen.
•
Keine öffentlichen Partner: Die Konzessionsnehmerin kann das Kraftwerk nach unternehmerischen Grundsätzen führen und optimieren, da sie über das gesamte Kapital verfügt.
Weitere Elemente bei Konzessionsverhandlungen Naturalleistungen und ähnliche Elemente: Nebst dem Kern der Vereinbarung, nämlich der langfristigen, regelmässigen Partizipation an der Ressourcenrente, kann ein Konzessionsnehmer selbstverständlich weitere Elemente im Gesamtpaket anbieten. Für die Standortgemeinden können die Schaffung von Arbeitsplätzen (z.B. Ansiedlung einer Handelsabteilung oder anderer Abteilungen des Unternehmens vor Ort) oder die einmalige Übernahme von Investitionen attraktiv sein. Solche Leistungen sind jeweils ordnungspolitisch kritisch zu hinterfragen. Die Abschöpfung der Ressourcenrente soll auf dem transparentesten verfügbaren Weg vorgenommen werden. Auktionierung: Für die Gemeinden stellt sich unter anderem die Frage, ob sie die Konzessionsverhandlungen mit einem einzigen oder mehreren Partnern führen sollen. Die Erfahrung in der Wirtschaftswelt zeigt, dass ein besseres Verhandlungsergebnis erreicht wird, wenn verschiedene Parteien zueinander im Wettbewerb stehen. Gegen eine Auktionierung spricht allenfalls der höhere Aufwand für die Prüfung und den Vergleich der Konzessionsofferten. Allenfalls kann eine Konzession auch nur sinnvoll an einen bestehenden Konzessionär vergeben werden, da dieser als einziger eine neue Anlage in den bestehenden Kraftwerkpark einbauen kann. Sofern es jedoch möglich ist, sollten die Gemeinden jeweils eine Auktionierung oder ein artverwandtes Verfahren anwenden. Ein interessantes Beispiel für die Möglichkeiten eines solchen Verfahrens stellt die kürzlich auktionierte Konzession für die Nutzung des Errbachs in der Gemeinde Tinizong-Rona dar.
Gewässerhoheit Weil die Kantonsverfassung Graubünden die Gewässerhoheit den Gemeinden zuweist, ist es deren Aufgabe, Konzessionsverhandlungen zu führen. Diese Situation birgt jedoch auch gewisse Herausforderungen: •
Gemeindeinteressen vor regionale Interessen: Die Gemeinden sind systembedingt primär auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Das kann dazu führen, dass die regional vorhandenen Wasserkräfte aufgrund von kommunalen Interessen suboptimal ausge-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
66
schöpft werden. Auch spielt es eine Rolle (aus Sicht der Gemeinde), wo die einzelnen Anlagen zu stehen kommen. •
Erfahrung in den Verfahren: Weil die Gemeinden in der Regel nur alle Jahrzehnte einmal eine Konzession vergeben dürfen/müssen, ist das dafür notwendige Wissen bei der Gemeinde in der Regel nur schwach ausgeprägt. Das bedeutet, dass die Gemeinden bei einer Verhandlung mit international tätigen Energiegesellschaften einen Wissensnachteil haben.
Aufgrund dieser Herausforderungen dürfte eine Überprüfung der Gewässerhoheit und die Verschiebung derselben an den Kanton durchaus auch im Sinne der Gemeinden liegen. Insbesondere müsste der Kanton Einfluss nehmen können, wenn es darum geht ein vorhandenes Wasserkraftpotenzial regional optimal auszuschöpfen. Eine Verschiebung der Gewässerhoheit hätte aber primär verfahrenstechnische Beweggründe und zielt auf die Optimierung der Ausschöpfung des Wasserkraftpotenzials bei der Konzeption einer Anlage ab. Die Verteilung der Ressourcenrente sollte in einem solchen Fall nicht mit der Gewässerhoheit verknüpft sein. Hier gilt es separate Überlegungen bezüglich gerechter Verteilung anzustellen (vgl. Kapitel 4.9).
4.5.3
Schlussfolgerungen
Für die Verhandlung von neuen Konzessionen favorisieren wir ein Modell mit einer Wasserzinsfestlegung auf Basis des Ressourcenrentensystems, falls letzteres zur Verfügung steht. Da Beteiligungen der öffentlichen Hand an Kraftwerkgesellschaften Risiken bergen und Schwierigkeiten bei der Finanzierung aufweisen, empfehlen wir, solange das Wasserzinssystem nicht geändert wird, die Vereinbarung von markanten Energiebezugsrechten oder alternativ dazu eine Beteiligung am Gewinn gemäss Marktpreisen zu prüfen. Gegen weitere ergänzende Vertragselemente (z.B. Naturalleistungen) ist nichts einzuwenden, sofern diese im Verhältnis zum Energiebezugsrecht/Gewinnanteil eine untergeordnete Rolle spielen. Bezüglich der Anzahl Verhandlungspartner ist offensichtlich, dass das Verhandlungsergebnis für die öffentliche Hand besser ausfallen wird, wenn mehrere Partner im Wettbewerb zueinander stehen. Dies kann beispielsweise mit einer Auktionierung der Konzession oder artverwandten Verfahren sichergestellt werden. Allenfalls zu prüfen wäre zudem eine Zuweisung der Wasserhoheit an den Kanton, um Verfahren und Effizienz bei der Nutzung der Wasserkraft noch weiter zu erhöhen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
4.6
Handlungsfeld: Heimfall
4.6.1
Ausgangslage
67
Aufgrund einer Bestimmung im Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte können Konzessionen für die Dauer von maximal 80 Jahren erteilt werden. Dann tritt der sogenannte „Heimfall“ ein. Obwohl die nächsten wesentlichen Heimfälle in Graubünden erst in ca. 30 Jahren erfolgen werden, ist die Diskussion über den Umgang mit den Heimfällen bereits heute dringend notwendig, da sich die Heimfallverhandlungen voraussichtlich über viele Jahre hinziehen werden. Zudem ist denkbar, dass mit den gestiegenen Strompreisen die Optimierung oder der Ausbau bestehender Kraftwerke zum Thema wird und bestehende Konzessionen zumindest teilweise neu verhandelt werden könnten. Die Regeln für den Heimfall der Kraftwerke sind bereits klar definiert und fallen für die Konzessionsgeber äusserst günstig aus. Nach Ablauf der Konzession fallen die Anlagen an die Konzessionsgeber „heim“, wobei folgende Regeln gelten (vgl. Abb. 33): •
Die „benetzten“ Anlagen (Staumauer, Druckrohre, Turbinen etc.) fallen kostenlos heim.
•
Die „trockenen“ Anlagen (Elektrizitätseinrichtungen) können von den Konzessionsgebern zum Restwert übernommen werden.
•
Beim Heimfall erhalten die betroffenen Gemeinden und der Kanton jeweils 50% der zur Diskussion stehenden Werte. Abb. 33: Systematik des Heimfalls
„Trockene“ Anlagen Ca. 25% des Werts
„Benetzte“ Anlagen Ca. 75% des Werts
Gegen Entschädigung des Restwerts
gratis
„Gemeinde und Kanton“ zu je 50%
Darstellung: Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an VSE
Aufgrund dieser Regelung erhalten die Gemeinden und der Kanton Graubünden längerfristig die Möglichkeit, Eigentümer der örtlichen Wasserkraftwerke zu werden. Da die „gratis“ heimfallenden Bestandteile der Anlage üblicherweise ca. 75% des Werts des Kraftwerks
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
68
repräsentieren, dürfte es für die öffentliche Hand einfach sein, eine Finanzierung der übrigen 25% gegen Entgelt zu übernehmenden Anlagen sicherzustellen.
4.6.2
Herausforderungen
Die Heimfälle dürfen auf keinen Fall nur als willkommener Geldsegen betrachtet werden. Vielmehr gilt es, den Zeitpunkt des Heimfalls für die grundsätzliche Neuordnung des Geschäftsmodells der Wasserkraft im ganzen Kanton zu nutzen. Auch falls die Wasserzinsregelungen nicht geändert werden sollten, können zum Zeitpunkt des Heimfalls die Unzulänglichkeiten des geltenden Wasserzinsregimes durch geschickte Verträge (vgl. Taschinas) auf eine für den Standort Graubünden sinnvolle Basis gesetzt werden. Es gilt aber auch jetzt schon darüber nachzudenken, was mit einem allfälligen „Geldsegen“ geschehen soll. Die Geschichte zeigt, dass überall dort, wo Geld sehr einfach aufgrund von Natur- und Bodenschätzen verdient wird, dieses oft unbedacht eingesetzt wird und ebensoviel „Fluch“ wie „Segen“ bringt. Für Graubünden spielt der Heimfall vorerst nur für wenige Kraftwerke eine Rolle. Die meisten Heimfälle werden in den Jahren 2035 – 205528 erfolgen (vgl. Abb. 34). Abb. 34: Anzahl und installierte Leistung in MW der Zentralen im Kanton Graubünden, bei denen im jeweiligen Jahr die Konzession ausläuft 4'000 3'500
Installierte Leistung (in MW) Mittlere Jahresproduktion (in GWh)
3'000 2'500 2'000 1'500 1'000 500 2005 - 2015
Quelle:
2015 - 2025
2025 - 2035
2035 - 2045
nach 2045
Botschaft der Regierung an den Grossen Rat, Heft Nr. 3/1990-91
Sofern sich aber die Preise wie prognostiziert entwickeln, ist durchaus denkbar, dass vermehrt Verhandlungen, um neue Projekte oder um die Optimierung/Erneuerung bestehender
• 28
Verhandlungen sind mit Vorteil bereits 10 – 20 Jahre vorher aufzunehmen, um allfällige Optimierungen/Ausbauten etc. in die Konzessionsverhandlungen aufnehmen zu können.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
69
Anlagen anfallen. Es gilt deshalb, sich bereits heute auf diese Verhandlungen vorzubereiten.
4.6.3
Varianten
Bei einem Heimfall gibt es grundsätzlich vier Lösungsvarianten, wobei selbstverständlich Mischformen möglich und heute fast die Regel sind29: •
Ausübung des Heimfalls: Die öffentliche Hand übernimmt das Kraftwerk und entschädigt die bisherige Eigentümerin für die „trockenen“ Anlagen. Das Unternehmen, welches zu 50% den Gemeinden und 50% dem Kanton gehört, wird von den neuen Eigentümern weitergeführt.
•
Verzicht auf die Ausübung des Heimfalls: Die öffentliche Hand verzichtet auf die Ausübung des Heimfalls und lässt sich für den Verzicht entschädigen. Vereinfacht gesagt, müsste in diesem Fall die bisherige Eigentümerin die „benetzten“ Anlagen zurückkaufen.
•
Ausübung des Heimfalls und Versteigerung der Anlage an den Meistbietenden: Im Gegensatz zum Verzicht auf den Heimfall, wo die bisherige Eigentümerin die Anlagen weiterbetreibt und die Gemeinden/den Kanton entschädigt, würde die Anlage zuerst von Kanton und Gemeinden übernommen; anschliessend würden die Anlagen und die Konzession mittels einer Auktion derjenigen Gesellschaft zur Verfügung gestellt, welche zu den besten Konditionen (Gesamtpaket) offeriert.
•
Partnerschaftliche Beteiligung der öffentlichen Hand: Eine Mischform zwischen Verzicht und vollständiger Übernahme ist die Beteiligung an der künftigen Anlage. Beispielsweise könnte sich die öffentliche Hand im Umfang des Wertes der trockenen Bestandteile an der neuen Gesellschaft beteiligen und den entsprechenden Anteil der Energie für sich beanspruchen (Partnerwerk).
Welche dieser Lösungen anzustreben ist, hängt massgeblich von den dannzumaligen Rahmenbedingungen ab. Im Wesentlichen stellen sich jedoch zwei Fragen: •
Soll sich die Konzessionsgeberin an Kraftwerken beteiligen bzw. diese ganz übernehmen?
•
Soll die Konzessionsgeberin bei einem Heimfallverzicht eine Einmalentschädigung oder eine Rente aushandeln?
Soll sich die Konzessionsgeberin an Kraftwerken beteiligen bzw. diese ganz übernehmen? Die erste Frage kann dahingehend beantwortet werden, dass die öffentliche Hand aus ordnungspolitischer Sicht eine Konzessionsvergabe einer Beteiligung vorziehen sollte, solange • 29
Vgl. dazu auch Mengiardi R.(1982): Der Heimfall – Wunschtraum oder Realität. Vortrag gehalten an der Generalversammlung der Grischelectra vom 15.02.1982.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
70
interessierte Konzessionsnehmer vorhanden sind. Folgende Vorteile werden dadurch erzielt: •
Es ist kein Kapital für den Kauf der elektrotechnischen Anlagen notwendig.
•
Es besteht kein Investitionsrisiko.
•
Die Betreiber der Anlagen verfügen über das notwendige Wissen und die entsprechenden Kundennetzwerke und können notwendige betriebliche Optimierungen einfacher umsetzen als eine politische Institution.
Die Regelung des Heimfalls stellt eine Verhandlung zwischen Konzessionsgeber und Konzessionsnehmer dar. Es ist nachvollziehbar, dass wenn die Konzessionsgeber nur mit einem einzigen potentiellen Konzessionsnehmer verhandeln, die taktische Verhandlungsposition schlechter ist als wenn mehrere interessierte Konzessionsnehmer an den Verhandlungen teilnehmen. Aus diesem Grund kann es sich lohnen, den Heimfall auszuüben und danach die Konzession mit den entsprechenden Anlagen neu auszuschreiben. Allenfalls genügt es verfahrenstaktisch auch, vor dem Heimfall mit verschiedenen Partnern über den bevorstehenden Heimfall zu verhandeln und auf Basis des Verhandlungsergebnisses entweder auf den Heimfall zu verzichten oder diesen auszuüben.
Soll die Konzessionsgeberin bei einem Heimfallverzicht eine Einmalentschädigung oder eine Rente verlangen? Da die Konzessionsvergabe langfristig erfolgt, kann niemand abschätzen, wie sich die Preise für die Energie in dieser Zeitdauer entwickeln werden. Bei einer Einmalentschädigung erkennen wir vor allem die folgenden Nachteile: •
Die Konzessionsnehmer sind aus unternehmerischen Risikoüberlegungen gezwungen, einen möglichst konservativen Wert auszuhandeln.
•
Die Einnahmen eines verhältnismässig hohen Betrages durch einzelne Gemeinden stellt diese vor die schwierige Frage, wie mit diesen Erträgen sinnvoll umgegangen werden soll. Die Gefahr ist gross, dass aufgrund von politischen Begehren volkswirtschaftlich unvernünftige Investitionen getätigt werden.
•
Die heute in den Kraftwerken gebundenen Vermögenswerte wurden langfristig erarbeitet. Auch wenn eine Einmalentschädigung ausbezahlt würde, sollte diese wieder langfristig und wirtschaftlich sinnvoll investiert werden.
•
Aus Sicht der Energiepolitik ist es erstrebenswert, dass die öffentliche Hand jederzeit über genügend Energie verfügt. Aus diesem Grund könnte mit Energiebezugsrechten statt einer Beteiligung gleichzeitig ein Gewinnanteil (Rente) und die Verfügbarkeit der Energie sichergestellt werden.
•
Nicht zuletzt ist zu sagen, dass es bei den Heimfällen um voraussichtlich zu hohe Werte geht, als dass diese innert kurzer Zeit mit einem angemessenen volkswirtschaftlichen Mehrwert investiert werden könnten. Wir gehen davon aus, dass für ei-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
71
ne Einmalentschädigung aller Heimfälle zumindest aus aktueller Betrachtung Ertragswerte von einigen Milliarden anfallen würden.
4.6.4
Schlussfolgerungen
Aufgrund obiger Überlegungen, aber auch aufgrund der Überlegungen in Kapitel 4.5 ziehen wir aus ordnungspolitischen sowie aus ökonomischen Gründen die Vereinbarung einer Rente einer Einmalentschädigung vor. Aufgrund des bestehenden gesetzlichen Rahmens könnte diese Rente heute lediglich in Form eines Energiebezugsrechtes nach dem Modell Taschinas vereinbart werden. Geht man davon aus, dass die heimfallenden Anlagen in etwa 75% des Wertes der Kraftwerke darstellen, müsste sich das Energiebezugsrecht bzw. der Gewinnanteil in etwa in der entsprechenden Grössenordnung bewegen, wobei der Erneuerungsbedarf der Anlagen zum dannzumaligen Zeitpunkt zu berücksichtigen wäre. Um den Handlungsspielraum für die öffentliche Hand zu verbessern, wäre anzustreben, dass zum Zeitpunkt der Heimfälle auch Wasserzinsen nach dem System der Ressourcenrente erhoben werden könnten. In diesem Fall könnte die Gemeinde beispielsweise das Energiebezugsrecht etwas zurückhaltender gestalten, gleichzeitig aber einen Anteil an der Ressourcenrente für sich einfordern.30 Eine entsprechende Regelung ermöglicht folgende Vorteile: •
Die Kraftwerkbetreiber können die Risiken von Investitionen vernünftig kalkulieren. Dies ermöglicht ihnen, der öffentlichen Hand eine tendenziell bessere langfristige Entschädigung anzubieten als bei einer Einmalentschädigung.
•
Die Kraftwerkbetreiber erhalten einen Anreiz, die Anlagen regelmässig auf den neusten Stand zu bringen und zu optimieren.
•
Die öffentliche Hand partizipiert langfristig durch regelmässige Abschöpfung an den Erträgen und setzt sich dadurch weniger der „Gefahr von Fehlinvestitionen aufgrund übermässigen Geldsegens“ aus.
4.7
Handlungsfeld: Partnerwerkbesteuerung
4.7.1
Ausgangslage
In Graubünden sind •
12 Kraftwerkgesellschaften in der Produktion sowie
•
1 integrierte Gesellschaft (Rätia Energie AG) im Handel von Elektrizität tätig.
• 30
Selbstverständlich spricht nichts dagegen, sofern volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionsprojekte der öffentlichen Hand anstehen, einen kleinen Teil der Entschädigung einmalig auszahlen zu lassen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
72
Die Rätia Energie AG kann bezüglich der Besteuerung als Sonderfall angesehen werden, da ihre Erträge im Gegensatz zu denen der Partnerwerke vollständig im Kanton Graubünden besteuert werden. Die Steuererträge von jährlich ca. CHF 50 Mio. fallen zu ca. 40% beim Kanton und zu ca. 40% in 160 Kraftwerkgemeinden mit Leitungen, Kraftwerkzentralen und Stauseen (ca. ∅ CHF 0.2 Mio. pro Gemeinde) an. Die übrigen 20% der Steuereinnahmen gehen an Bund und Landeskirchen. Die resultierende Steuerbelastung der Wasserkraft beträgt aus heutiger Sicht geschätzte 0.6 Rp./kWh.
4.7.2
Herausforderungen
Mit der erfolgten Liberalisierung des Strommarktes in Europa und der voraussichtlichen Liberalisierung in der Schweiz werden neue Regeln für die Koordination von Angebot und Nachfrage geschaffen (vgl. Abb. 35). In der Schweiz wird die Strommarktliberalisierung in zwei Schritten durchgeführt. Ab Oktober 2008 sollen Grossverbraucher (Elektrizitätsverbrauch von mehr als 100 MWh pro Jahr) die Elektrizität frei auf dem Markt einkaufen können. In einem zweiten Schritt soll der Markt ab 2013 für alle Kunden vollständig geöffnet werden.
Exkurs Mit „Strommarktliberalisierung“ werden in diesem Bericht alle Anstrengungen zusammengefasst, die dazu führen, dass allenfalls bestehende natürliche oder künstliche Monopole eingeschränkt bzw. abgeschafft werden. In der Schweiz ist vorgesehen, dass in den nächsten Jahren ein diskriminierungsfreier Zugang aller Anbieter auf den lokalen Netzen geschaffen wird. Zudem wird das Hochspannungsnetz in die nationale Netzgesellschaft Swissgrid eingebracht. Die einzelnen Produzenten und Händler müssen künftig für die Durchleitung von Strom Netzkapazitäten über Auktionen bei dieser Netzgesellschaft beschaffen und können deshalb nicht mehr von eigenen Transportkapazitäten (die ebenfalls gewisse Monopolsituationen erlauben) profitieren. Bisher bestanden in der Schweiz faktisch Gebietsmonopole für die wichtigsten Elektrizitätsgesellschaften. Zwar waren die Preise nicht formell reguliert. Aufgrund der Gebietsmonopole, Preisintransparenz, der Eigentümerstrukturen (oft staatlich kontrollierte Gesellschaften) ergaben sich die meisten Endverbraucherpreise in der Schweiz aus der Summe der durchschnittlichen Gestehungskosten, der Übertragungskosten sowie bei den staatlich kontrollierten Gesellschaften aus politischen Elementen und nicht aus Angebot und Nachfrage auf den entsprechenden Märkten.31
• 31
Vgl. dazu auch BHP – Hanser und Partner AG (1997): Öffnung des Elektrizitätsmarktes Schweiz, Folgerungen für die Elektrizitätspolitik der Gebirgskantone.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
73
Abb. 35: Weg der Strommarktliberalisierung in der Schweiz
Vorbereitung des StromVG Vollendung des liberalisierten europäischen Strombinnenmarktes Ablehnung des EMG
22.09.2002
Quelle:
2008
Teilmarktöffnung
Wahlmodell mit abgesicherter Stromversorgung
Freier Strommarkt für Grosskunden > 100 MWh/a Strombezug
Freier Strommarkt für Grosskunden > 100 MWh/a Strombezug
Kunden bis 100 MWh/a Strombezug an ihren Lieferanten gebunden
Kunden bis 100 MWh/a Strombezug Wahlfreiheit gebunden / frei
2013
VPEC
Weil mit der Marktöffnung von einem auf natürlichen Gebietsmonopolen basierenden Preisfindungssystem (welches faktisch auf den mittleren Gestehungskosten des Kraftwerkparks basierte) zu einem internationalen, transparenten Marktpreissystem gewechselt wird, ist konsequenterweise auch die Besteuerungspraxis der Partnerkraftwerke anzupassen, die sich bisher am monopolistischen Preissystem orientiert hat. Grundsätzlich gilt in der Schweiz, dass Unternehmen gemessen am erzielten Gewinn (Ertragssteuern) und am vorhandenen Kapital (Kapitalsteuern) besteuert werden. Die Besteuerung des Gewinns setzt voraus, dass der steuerbare Gewinn ermittelt werden kann. Da die in der Schweiz stark regulierte Elektrizitätswirtschaft bis vor einigen Jahren kaum transparente Marktpreise kannte und die potenziellen Gewinne teilweise durch die staatlich kontrollierten Gesellschaften32 an die Konsumenten weitergegeben wurden, konnte bisher kein nachweisbarer marktwirtschaftlicher Gewinn definiert werden. Um diese Schwierigkeit zu überbrücken und in Berücksichtigung der im alten System gültigen Rechtsprechung, haben die Kantone in der Vergangenheit „Hilfskonstrukte“ für die Ertragssteuerbemessung entwickelt: •
Im Kanton Wallis beispielsweise wurde als steuerbarer Gewinn per Definition ein relativer Ertrag im Verhältnis zum Aktienkapital bestimmt. Dieser Ertrag, die sogenannte Pflichtdividende, entspricht derzeit per Definition 6.5% des Aktienkapitals. Es handelt sich hierbei um eine rechnerische Grösse, die mit dem tatsächlichen Marktwert der Energie in keinem Zusammenhang steht und primär von der Kapitalisierung der Gesellschaft abhängt.
•
Im Kanton Graubünden wurde mit der Einführung des „Modells Pfeiffer“ der steuerbare Gewinn von einem kalkulatorischen Umsatz abgeleitet, der auf einem Mischpreis aus den tatsächlich in der Schweiz bezahlten Endverbraucherpreisen (korrigiert um die Netzbenutzungskosten) und einem Anteil von internationalen Grosshandelspreisen be-
• 32
Städte und Kantone kontrollieren über die Beteiligung an verschiedenen Gesellschaften ca. 80% der in Graubünden produzierten Energie (vgl. Abb. 13).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
74
ruht. Aufgrund des Mischverhältnisses gilt der Endverbraucherpreis in der Schweiz als massgebende Einflussgrösse. Da die Elektrizitätsgesellschaften aber mehrheitlich den Kantonen und Städten gehören und vom Staat kontrolliert werden, gewähren sie den ansässigen Konsumenten oft Vorzugspreise. Deshalb können die Endverbraucherpreise deutlich unter den internationalen Marktpreisen zu liegen kommen. Weil das „Modell Pfeiffer“ aus Sicht des Standortes Graubünden offensichtlich nicht die erhofften Resultate geliefert hat, wurde es durch die Bündner Regierung, im Zuge einer Überprüfung von Parametern und des zugrunde liegenden Modells, gekündigt. Weil in den 1990er Jahren für die Schweiz aufgrund des monopolistischen Marktes keine echten Marktpreise bestanden und die internationalen Marktpreise aufgrund fehlender Strombörsen nicht transparent nachvollzogen werden konnten, standen für die Steuerbemessung bei den Partnerwerken nur beschränkte Möglichkeiten offen. Nachdem die Strommärkte auch in der Schweiz zusehends liberalisiert werden, die internationalen Strommarktpreise markant gestiegen sind und auch für die Zukunft ein gegenüber den 1990er Jahren deutlich höheres Preisniveau erwartet wird, entstehen je nach angewandter Bemessungsmethode für die Partnerwerkbesteuerung künftig markante Unterschiede (vgl. Tab. 16). Tab. 16: Schätzungen des internationalen Marktwertes der in Graubünden produzierten Energie im Jahr 2006 in Rp./kWh 1
2
3
Gewichteter Marktwert auf Basis EEXMonatsdurchschnittspreise* Mittlere unternehmerische Gestehungskosten der Produktion in Graubünden Ressourcenrente (potenziell) Langfristiger Mittelwert der Produktion in GWh pro Jahr in Mio. CHF
Total Ressourcenrente (potenziell)
2004 5.67
2005 9.80
2006 11.15
2007 2008 erw. 10.68 10.68
-4.85
-4.85
-4.85
-4.85
-4.85
0.82
4.95
6.30
5.83
5.83
7'800
7'800
7'800
7'800
7'800
2004 64.0
2005 386.1
2006 491.4
2007 2008 erw. 454.7 454.7
4
Wasserzinsen (Kanton und Gemeinden) Reingewinn vor Ertragssteuern (potenziell)
-90.0 -26.0
-90.0 296.1
-90.0 401.4
-90.0 364.7
-90.0 364.7
4
Effektive Ertragssteuern (lfr. Mittelwert) Soll-Ertragssteuern (potenziell)
-26.0 -
-26.0 -82.9
-26.0 -112.4
-26.0 -102.1
-16.5 -69.3
26.0
-56.9
-86.4
-76.1
-52.8
Resultierender marktwirtschaftlicher Gewinn für die Kraftwerkgesellschaften nach Steuern und Wasserzinsen
-52.0
213.2
289.0
262.6
295.4
Anteil Staatliche Abgaben an Ressourcenrente (Ist) Anteil staatliche Abgaben an Ressourcenrente (Soll)
181% 141%
30% 45%
24% 41%
26% 42%
23% 35%
5
Zuviel (+) / Zuwenig (-) bezahlte Ertragssteuern
1 Gewichtung der EEX-Preise: Base-load 40%, Peak-load Winter 40%, Peak-load Sommer 20%; 2 Schätzung Wirtschaftsforum Graubünden, 3 Ressourcenrente = Marktpreis - unternehmerische Gestehungskosten (vor Wasserzinsen und Ertragssteuern) 4 Angaben Amt für Energie, 5 Schätzung auf Basis geltende Steuertarife
Quelle:
Eigene Schätzungen und Annahmen (Darstellung ohne Steuern aus ergänzenden Geschäftsbereichen der Rätia Energie AG wie z.B. Handel)
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
75
Bei der Betrachtung der Tab. 16 können folgende Feststellungen gemacht werden: •
Der Marktwert pro kWh ist zwischen 2004 und 2007 von 5.67 Rp. auf 10.68 Rp. gestiegen. Es resultiert bei angenommenen mittleren unternehmerischen Gestehungskosten im Bündner Kraftwerkpark eine Ressourcenrente von 0.82 Rp./kWh im 2004 und von 5.83 Rp./kWh im 2007. Dies bedeutet eine Versiebenfachung der Ressourcenrente.
•
Im 2004 entspricht die potenzielle Ressourcenrente bei einer angenommenen Produktion von 7'800 GWh im gesamten Kanton einem Betrag von CHF 64 Mio. Im Jahr 2007 ist der Betrag auf CHF 454.7 Mio. angestiegen.
•
Die potenzielle Ressourcenrente wurde im 2004 vollständig durch den Staat in Form von Wasserzinsen abgeschöpft (CHF 90 Mio.). Es resultierte ein negativer Gewinn vor Ertragssteuern. Im 2007 wird die Ressourcenrente aufgrund der fixen Wasserzinsen jedoch nur zu einem Bruchteil abgeschöpft. Es verbleibt ein potenzieller Gewinn vor Steuern von CHF 364.7 Mio.
•
Würde die Besteuerung bereits heute auf Basis des zu internationalen Marktpreisen gerechneten Umsatzes bemessen, wären im 2004 keine Ertragssteuern angefallen, da ein negativer Gewinn vor Steuern resultierte. Im 2007 hingegen hätte der Gewinn vor Steuern von CHF 364.7 Mio. zu 27% besteuert werden müssen. Tatsächlich fiel der Steuerertrag in beiden Jahren in der Grössenordnung von etwa CHF 26 Mio. aus. Im 2008 ist davon auszugehen, dass die Steuereinnahmen trotz einem erwarteten, potenziellen Gewinn vor Steuern von CHF 364.7 Mio. (zu internationalen Marktpreisen berechnet) auf ca. CHF 16.5 Mio. zurückgehen, falls keine Anpassung der Steuerbemessung erfolgt. Grund dafür ist die beschlossene Steuersenkung für juristische Personen in Graubünden.
•
Alles in allem kann gesagt werden, dass in den vier Jahren zwischen 2004 und 2007 insgesamt zusätzliche Steuereinnahmen von CHF 193.4 Mio. hätten erzielt werden können, wenn die Partnerwerke in Graubünden auf der Basis von potenziell erzielbaren internationalen Marktpreisen besteuert worden wären.
Vor dem Hintergrund der Marktliberalisierung gilt es künftig die Bemessung für die Ertragsbesteuerung der Partnerkraftwerke auf Basis von internationalen Marktpreisen vorzunehmen bzw. die rechtliche Zulässigkeit marktnaher Bemessungsmethoden vor dem Hintergrund von liberalisierten Märkten neu zu prüfen.
4.7.3
Lösungsansatz / Schlussfolgerungen
Mit einer Orientierung der Besteuerung an Marktwerten könnten Kanton und Gemeinden aufgrund der derzeitigen Marktwerte der Energie und beim aktuellen Wasserzinsniveau schätzungsweise CHF 100 Mio. an zusätzlichen Steuereinnahmen generieren. Zum Vergleich: Dieser zusätzliche Betrag entspricht •
den gesamten Wasserzinseinnahmen von Kanton und Gemeinden
•
oder nahezu den gesamten kantonalen Ertrags- und Kapitalsteuereinnahmen der juristischen Personen im Kanton Graubünden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
76
Weil künftig ein freier Strommarkt besteht und bereits heute transparente Marktpreise zur Verfügung stehen, ist es nur konsequent, dass diese für die Bewertung der steuerbaren Gewinne herangezogen werden. Für eine Besteuerung der Partnerwerke auf Basis der internationalen Strommarktpreise sprechen auch folgende Überlegungen: •
Bestehende gesetzliche Bestimmungen: Die geltenden Steuergesetze sehen vor, dass die Leistungen der Partnerkraftwerke grundsätzlich zum Marktpreis besteuert werden können, sofern ein geeigneter Marktpreis zur Verfügung steht.
•
Transferpreisregeln OECD: Ein ähnliches Problem der korrekten Besteuerung kennen Staaten im Zusammenhang mit internationalen Konzernen, in denen Tochterfirmen allenfalls Vorfabrikate zu tieferen „Transferpreisen“ als den Marktpreisen an die Konzerne/Muttergesellschaften in einem anderen Land verkaufen. Dadurch kann die Gewinnmarge in jenes Land verschoben werden, in welchem die günstigsten Steuern anfallen. Um diese Transferpreise steuertechnisch korrekt zu ermitteln und den Gewinntransfer zu unterbinden, hat die OECD verschiedene Methoden entwickelt. Auch hier gehört die „Preisvergleichsmethode“ zu den Standardmethoden. Der konzerninterne Verrechnungspreis wird bei dieser Methode mit Preisen verglichen, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen Dritten vereinbart worden sind. Dies funktioniert selbstverständlich dann am besten, wenn ein transparenter Markt mit standardisierten Leistungen als Vergleichsbasis zur Verfügung steht (z.B. eine Börse).33
Wer die Gewinne auf der Basis von Marktpreisen besteuert, muss natürlich damit rechnen, dass in Zeiten sinkender Preise die Steuererträge sinken. Kanton und Gemeinden können für diese Risiken beispielsweise durch die Schaffung von Reserven in Hochpreisphasen vorsorgen. Denkbar ist auch die Gewährung eines Abzugs auf den steuerbaren Gewinn, wenn im Gegenzug eine minimale Dividendenbesteuerung (nach früherem Muster) vereinbart wird. Ordnungspolitisch ist jedoch erstere Variante zu bevorzugen. Sockeleinnahmen aus der Wasserkraft können besser über das Wasserzinssystem vereinbart werden.
4.8
Handlungsfeld: Abstimmung von Wasserzinsen und Ertragsbesteuerung
4.8.1
Ausgangslage
Der Standort Graubünden profitiert von der Ressourcenrente bisher primär über das Instrument der Wasserzinsen und über die allgemeinen Steuern. Weil aber die Höhe der Wasserzinsen nach oben begrenzt ist (Wasserzinsmaximum), kann der Staat bei steigenden Strommarktpreisen heute nur über die allgemeinen Ertragssteuern an einer steigenden Ressourcenrente partizipieren. • 33
Brügger U. (1999): Transferpreise im Visier der ausländischen Steuerbehörden, in: Der Schweizer Treuhänder 10/99, Zürich.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
77
Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Kanton Graubünden traditionell eine für die Schweiz überdurchschnittliche Kapital- und Ertragssteuerbelastung für juristische Personen kennt. Denn die öffentlichen Einnahmen aus der Wasserkraftwirtschaft betragen trotz allem ca. 10% der gesamten kantonalen Steuereinnahmen.34 Zwar kann die öffentliche Hand auf dem Weg der Besteuerung teilweise von den Einnahmen aus dem Elektrizitätsexport profitieren. Gleichzeitig belastet aber die hohe Besteuerung natürlich auch die übrige Wirtschaft und erschwert dadurch die Ansiedlung neuer, wertschöpfungsstarker Unternehmen im Kanton Graubünden.
4.8.2
Herausforderung
Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist es deshalb erstrebenswert, •
einerseits sicherzustellen, dass der Staat an der Ressourcenrente der Wasserkraft über die Wasserzinsen in einem ausgewogenen Umfang partizipieren kann und
•
andererseits die allgemeinen Steuern für Wirtschaft und Einwohner angesichts des allgemeinen Steuerwettbewerbs zu senken.
Mit Steuersenkungen soll der Wirtschaftsstandort Graubünden letztlich auch für den Ausbau von mit dem Elektrizitätsexport zusammenhängenden Handelsaktivitäten attraktiv werden. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde mit der Steuergesetzrevision per 1.1.2008 getan. Der direkte Effekt ist jedoch, dass auf ca. CHF 15 Mio. Steuern aus der Wasserkraft verzichtet werden muss, obwohl die Ressourcenrente sich in den letzten Jahren vervielfacht hat.
4.8.3
Schlussfolgerung
Aus ökonomischer Sicht wäre im Fall der Wasserkraftwirtschaft eine Abstimmung der Ressourcenrentenabschöpfung und der Ertragsbesteuerung optimal (vgl. Variante D, Tab. 17 und Abb. 36). Eine solche Regulierung könnte beispielsweise wie folgt lauten: •
Bund, Kanton und Gemeinden legen fest, dass Kraftwerke dem Staat einen relativen Anteil der Ressourcenrente abgeben müssen, welcher zur Deckung von Ertragssteuern und Konzessionsrechten dient. 35
•
Die genaue Höhe dieses relativen Anteils ist Gegenstand von freien Verhandlungen zwischen Staat und Kraftwerkbetreiber. Der Anteil muss aber zu jedem Zeitpunkt höher liegen als derjenige, der aus der Ertragssteuer aller staatlichen Ebenen resultieren würde, damit eine Entschädigung der Wasserzinsen gewährleistet wird.
•
Aus dieser staatlichen Abschöpfung sind zuerst die Ertragssteueransprüche zu begleichen. Der verbleibende Teil gilt als Wasserzinsen für Kanton und Gemeinden.
• 34
Bericht der Regierung an den Grossen Rat zum Budget 2007
35
Als Untervariante wäre zu prüfen ob allenfalls die Bundessteuer vom System ausgenommen werden muss/soll.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
78
Zur Verdeutlichung der verschiedenen Ansätze werden in Tab. 17 folgende Varianten rechnerisch verglichen: •
Variante A: Aktuelles System mit fixen Wasserzinsen und Besteuerung auf Basis des bisherigen „Modells Pfeiffer“ wird beibehalten.
•
Variante B: Fixe Wasserzinsen und Neuregelung Partnerwerkbesteuerung gemäss Ausführungen in Kapitel 4.7.
•
Variante C: Ressourcenrentenabschöpfung von 45% und Neuregelung Partnerwerkbesteuerung gemäss Ausführungen in Kapitel 4.7.
•
Variante D: Ressourcenrentenabschöpfung inkl. Partnerwerkbesteuerung von maximal 60% gemäss Ausführungen in Kapitel 4.8.2.
Für die Modellrechnungen haben wir vereinfachende Annahmen getroffen, die unserer Meinung nach zumindest prüfenswert wären. Um die Effekte der unterschiedlichen Varianten zu diskutieren, haben wir alle Varianten in einem Szenario 1 und einem Szenario 2 kalkuliert: •
Szenario 1 bildet ungefähr die Situation des Jahres 2007 bezüglich Marktpreisen und Besteuerung ab.
•
Szenario 2 geht von einem markanten Anstieg des durchschnittlichen Marktpreises auf 16 Rp./kWh sowie der per 1.1.08 umgesetzten Senkung der Ertragssteuerbelastung (Bund, Kanton und Gemeinden) von 28% im 2007 auf 18% im 2008 aus.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
79
Tab. 17: Ressourcenrentensystem mit Integration der Steuerbelastung Annahmen
in Rp./kWh
Ertragssteuerbelastung auf marktwirtschaftlich gerechneten Gewinn Wasserzinsen in Rp./kWh Tatsächliche Ertragssteuern Total Wasserzinsen und Ertragssteuern in % Ressourcenrente Wasserzinsen in % der Ressourcenrente Marktpreis Unternehmerische Gestehungskosten (vor Wasserzinsen und Ertragssteuern) Produzierte Energin in GWh
Resultierende Rechnung
in Rp./kWh
Variante A: Wasserzinsmaximum und Modell Pfeiffer
Variante B: Wasserzinsmaximum, Ertragssteuern auf Basis internat. Marktpreise
Variante C: Wasserzinsen nach Ressourcenrentensystem; Ertragssteuern auf Basis internat. Marktpreise
Variante D: Wasserzinsen nach Ressourcenrentensystem; Ertragssteuern auf Basis internat. Marktpreise (Koppelung Wasserzinsen und Ertragssteuern)
Szenario 1
Szenario 1
Szenario 1
Szenario 1
Szenario 2
-28% -1.10 -0.45
-18% -1.10 -0.28
-28% -1.10 -
-18% -1.10 -
-
-
-
-
8.50
16.00
8.50
16.00
-4.85 7'800
-4.85 7'800
-4.85 7'800
-4.85 7'800
System B: Aktuelles System mit Neuregelung Partnerwerkbesteuerung
System A: Aktuelles System
Szenario 1
Umsatz (potenziell) Unternehmerische Gestehungskosten
Szenario 2
Szenario 2
Szenario 1
Szenario 2
Szenario 2
-28% -
-18% -
Szenario 2
-28% -
-18% -
-
-60%
-60%
-45% 8.50
-45% 16.00
-32% 8.50
-43% 16.00
-4.85 7'800
-4.85 7'800
-4.85 7'800
-4.85 7'800
-
System C: Wasserzinsen nach Ressourcenrentensystem und Neuregelung Partnerwerkbesteuerung Szenario 1
Szenario 2
System D: Abstimmung Wasserzinsen und Ressourcenrente
Szenario 1
Szenario 2
8.50
16.00
8.50
16.00
8.50
16.00
8.50
16.00
Ressourcenrente (potenziell)
-4.85 3.65
-4.85 11.15
-4.85 3.65
-4.85 11.15
-4.85 3.65
-4.85 11.15
-4.85 3.65
-4.85 11.15
Wasserzinsen Steuerbarer Gewinn (potenziell)
-1.10 2.55
-1.10 10.05
-1.10 2.55
-1.10 10.05
-1.64 2.01
-5.02 6.13
-2.19 1.46
-6.69 4.46
Ertragssteuern Reingewinn nach Steuern
-0.45 2.10
-0.28 9.77
-0.71 1.84
-1.76 8.29
-0.56 1.45
-1.07 5.06
42%
12%
50%
26%
60%
55%
Staatlicher Anteil an Ressourcenrente
Resultierende Einnahmen des Staates
in Mio. CHF
System A: Aktuelles System
Szenario 1
Total Einnahmen Ertragssteuern Total Einnahmen Wasserzinsen Total Einnahmen Ertragssteuern und Wasserzinsen
System B: Aktuelles System mit Neuregelung Partnerwerkbesteuerung
Szenario 2
Szenario 1
Szenario 2
System C: Wasserzinsen nach Ressourcenrentensystem und Neuregelung Partnerwerkbesteuerung Szenario 1
Szenario 2
35.1 85.8
21.9 85.8
55.7 85.8
137.2 85.8
43.8 128.1
83.7 391.4
120.9
107.7
141.5
223.0
172.0
475.1
*
* 1.46
4.46
60%
60%
System D: Abstimmung Wasserzinsen und Ressourcenrente
Szenario 1
*
Szenario 2
* 170.8
521.8
170.8
521.8
*Betrag im Wasserzinsbetrag ausgewiesen
Quelle:
Eigene Berechnungen
Aus der Tab.17 können folgende Erkenntnisse gezogen werden: •
In Variante A werden die gesamten Einnahmen aus höheren Marktpreisen und Steuersenkungen in Form von Gewinnen durch die Elektrizitätsgesellschaften abgeschöpft (bzw. durch die Eigentümer in Form von Dividenden oder Energiepreissenkungen beansprucht). Das heisst, der Standort Graubünden hat kaum einen Anreiz, die allgemeinen Steuern zu senken. Da sich die Ertragssteuern nicht am Marktpreis, sondern primär an dem den Konsumenten verrechneten Preis orientieren, bringt dem Standort Graubünden auch eine Steuererhöhung keine wesentlichen Mehreinnahmen, solange die Mehrheit der Elektrizitätsgesellschaften den Konsumenten gehört und diesen Energiepreise anbietet, die unter dem internationalen Marktpreis liegen. Die Verteilung der Ressourcenrente zugunsten des Staates geht von 42% auf 12% zurück. Es ist davon auszugehen, dass diese Ertragsverteilung politisch kaum als ausgewogen gewertet wird. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bewilligung von
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
80
neuen Kraftwerkprojekten durch die Politik/Stimmbürger als „Pfand“ für diese als ungerecht empfundene Verteilung genommen werden könnte und dadurch eher behindert würde. •
Bei Variante B kann der Standort Graubünden mit 50% wesentlich an der Ressourcenrente partizipieren (Szenario 1). Falls aber die Steuern markant gesenkt werden, um die Rahmenbedingungen in Graubünden zu verbessern, schwindet ein wesentlicher Teil der Ressourcenrente wieder (Anteil 26%). Dies erschwert es der Bündner Politik in der Folge, eine attraktive Steuerbelastung für die Wirtschaft sicherzustellen. In einem solchen System würde der Standort Graubünden bei hohen Strommarktpreisen immer wieder versucht sein, die Ertragssteuern zu erhöhen, um die fehlende Ressourcenrentenabschöpfung zu kompensieren. Für die übrige Wirtschaft hätte dies schwerwiegende Konsequenzen.
•
Mit Variante C könnte der Standort Graubünden sowohl bei hohen wie bei tiefen Steuern angemessen an der Ressourcenrente partizipieren (60% vs. 55%). Der Staat kann unabhängig von der Ressourcenrentenabschöpfung die Ertragssteuern senken. Dies würde der Wirtschaft im Allgemeinen, aber auch der Elektrizitätswirtschaft im Speziellen zugute kommen. Allenfalls bestünde für letztere jedoch die Gefahr, dass auf die systembedingt erhoffte markante Steuersenkung verzichtet wird und dadurch die Ressourcenrente übermässig durch Wasserzinsen und Ertragsbesteuerung abgeschöpft würde.
•
Mit Variante D kann die maximale Abschöpfung der Ressourcenrente festgelegt werden (z.B. 60%). Die Steuerpolitik des Staates hat nur einen bescheidenen Einfluss auf die Abschöpfung der Ressourcenrente, da diese fix vorgegeben ist. Die Elektrizitätswirtschaft verfügt über die Sicherheit, dass nicht gleichzeitig die Ressourcenrente abgeschöpft wird und auch noch die Ertragssteuern markant erhöht werden.
Die kurze Beurteilung der verschiedenen Varianten zeigt, dass Variante D bestechende Vorteile aufweist, da beide Partner (Staat und Elektrizitätswirtschaft) über ökonomisch sinnvolle Anreize verfügen und ausserdem durch gewisse Sicherungsmassnahmen das Verhalten beider Partner „diszipliniert“ wird. Das System weist weiter den Vorteil auf, dass es in unterschiedlichen Szenarien zu keinen Verfälschungen der Anreizmechanismen führt und weiterhin mit den übrigen bestehenden Systemen (z.B. Ertragsbesteuerung) kompatibel bleibt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
4.9
81
Handlungsfeld: Nutzniesser der Einnahmen aus Heimfällen und Wasserzinsen
4.9.1
Ausgangslage
Man kann sich die Frage stellen, warum über die Verwendung von staatlichen Einnahmen noch diskutiert werden soll, da diese bereits geregelt ist und derzeit nicht einer besonderen politischen Diskussion unterliegt. Wir sehen folgende Herausforderungen auf Graubünden zukommen, die Kanton und Gemeinden zwingen werden, die Verteilung und Verwendung der Einnahmen neu zu diskutieren: •
Steigende Marktpreise führen zu markant höheren Steuereinnahmen (nur falls die Besteuerung der Partnerwerke neu geregelt wird).
•
Die absehbare Anpassung des Wasserzinsmodells aufgrund von politisch empfundenen Ungerechtigkeiten wird dazu führen, dass die Wasserzinseinnamen weiter erhöht werden.
•
Die Heimfälle werden voraussichtlich gewaltige Wertumverteilungen und Zusatzeinnahmen für die öffentliche Hand generieren.
•
Die Erträge werden in Regionen und Gemeinden ungleichmässig anfallen, was die Frage der Verteilungsgerechtigkeit neu aufbringen wird.
•
Die Einnahmen aus der Wasserkraft stellen bereits heute eine wesentliche Hürde dar, um die erwünschte Bereinigung der staatlichen Organisationsstrukturen in Graubünden (Gemeindefusionen) herbeizuführen. Mit steigenden Einnahmen besteht die Gefahr, dass die notwendige Strukturanpassung in Graubünden weiterhin verzögert oder behindert wird.
•
Steigende Einnahmen führen dazu, dass von verschiedenen Interessengruppen Ansprüche auf diese Einnahmen erhoben werden, wie dies beispielsweise bereits bei der letzten Forderung der Gebirgskantone zur Wasserzinserhöhung durch Umweltschutzkreise erfolgt ist.36
Wenn Graubünden und die Gebirgskantone vor dem Hintergrund der massiven Umwälzungen auf den Elektrizitätsmärkten einen Systemwechsel bezüglich Wasserzinsen und Besteuerung zu ihren Gunsten bewirken möchten, müssen sie politisch aufzeigen, dass die Einnahmen aus der Ressourcenrente verantwortungsvoll eingesetzt werden. Aus diesem Grund halten wir eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Verteilung und Verwendung von Einnahmen aus der Ressourcenrente für unabdingbar, um Erfolge bei den notwendigen Systemanpassungen erzielen zu können. Gleichzeitig muss eine solche Diskus-
• 36
NZZ, Gebirgskantone wollen mehr Geld für Wasserkraft, 07.08.2007
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
82
sion zu einem gesellschaftlichen Konsens über Mittelverteilung und -verwendung in Graubünden führen. Um die Brisanz dieses Themas in der Zukunft aufzuzeigen, möchten wir die Dimensionen skizzieren. Derzeit partizipiert der Staat an der Wasserkraft mit ca. CHF 120 Mio. pro Jahr, wobei der Kanton ca. CHF 53 Mio. und die Gemeinden ca. CHF 56 Mio. erhalten. Die übrigen Gelder gehen an den Bund und an die Landeskirchen (vgl. Abb. 36). Abb. 36: Staatliche Einnahmen im Zusammenhang mit der Wasserkraft Grund für Staatseinnahmen
Nutzung des Wassers durch die Elektrizitätswirtschaft
Form der Staatseinnahmen
Wasserwerksteuer / Wasserzinsen
Verteilung der Staatseinnahmen Kt. GR
Gemeinden GR
CHF 45 Mio.
~ CHF 45 Mio.
(inkl. Naturalleistungen)
Liegenschaften der Kraftwerke
Weitere Naturalleistungen
< CHF 1 Mio
> CHF 1 Mio.
Ertragssteuer
6.0 CHF 13 Mio.
5.6 CHF 12 Mio.
Kapitalsteuer
1.9 CHF 4 Mio.
1.9 CHF 4 Mio.
Sondersteuer auf Vermögen
0.0 CHF 2 Mio.
Liegenschaftssteuer
Landeskirchen
Ausgleichszahlungen (z.B. Greina, Val Frisal)
(Gratis-, Vorzugsenergie, Investitionsbeiträge usw.)
Gewinne und Vermögen der Elektrizitätswirtschaft
Bund
CHF 10 Mio.
CHF 1.5 Mio. CHF 0.5 Mio.
CHF 3 Mio. 120.4 Total: ca. CHF 140 Mio.
Rote Angaben: Daten nach Berücksichtigung der beschlossenen Revision des Steuergesetzes per 01.01.2008
Quelle:
Darstellung Wirtschaftsforum Graubünden / Daten diverse Quellen
Wenn man nun vereinfachend davon ausgeht, dass sich die Marktpreise langfristig auf einer Höhe von ca. 13 Rp./kWh einpendeln und die Ressourcenrentenabschöpfung und Besteuerung der Elektrizitätswirtschaft gemäss der in Kapitel 4.9 dargestellten Variante B angepasst wird, müssten ca. CHF 60 Mio. zusätzliche Einnahmen pro Jahr anfallen. Dieses Szenario könnte bereits in den nächsten Jahren Realität werden. Sofern Variante D umgesetzt würde, fliessen unter den getroffenen Annahmen ca. CHF 260 Mio. pro Jahr zusätzlich in die Staatskassen. Wenn die Marktpreise sich mittel- bis langfristig bei 16 Rp./kWh einpendeln würden, könnte mit zusätzlichen Erträgen von ca. CHF 100 Mio. in der Variante B bzw. CHF 400 Mio. in der Variante D gerechnet werden. Zugegebenermassen sind diese Zahlen derzeit nur eine Gedankenspielerei. Sie zeigen jedoch eindrücklich die Dimensionen auf, welche durchaus Realität werden könnten. Es gilt deshalb sich im Sinne eines „Szenariodenkens“ auf entsprechende Entwicklungen vorzubereiten.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
83
Da es sich bei den Einnahmen primär um eine Ressourcenrente handelt, die aufgrund des vorhandenen Bodenschatzes Wasser generiert wird, stellen sich dem Standort Graubünden teilweise ähnliche Fragen wie bei Staaten, die über Gas- oder Ölreserven verfügen und um eine gesellschaftlich gerechte Verteilung bemüht sein wollen. Zudem gilt es in solchen Volkswirtschaften die Gelder aus Ressourcenrenten so einzusetzen, dass sich die Volkswirtschaft unabhängig dieser „von der Natur geschenkten Einnahmen“ durch eigene Leistung und sinnvolle Anreize entwickelt. Zum heutigen Zeitpunkt ist es äusserst schwierig, abschliessend zu werten, welche Mittelverwendung sinnvoll ist. Aus diesem Grund beschränken wir uns in diesem Bericht darauf, verschiedene Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen aufzuzeigen, ohne eine abschliessende Beurteilung vorwegzunehmen.
Steuern stehen dem Haushalt zweckfrei zur Verfügung Bezüglich der Verteilung gehen wir davon aus, dass das Steuersystem nicht anzupassen ist, da es nicht spezifisch für die Wasserkraft, sondern für die Gesamtwirtschaft entwickelt wurde. Es werden also auch künftig Kantons- und Gemeindesteuern auf das Kapital und die Erträge der Elektrizitätswirtschaft erhoben. Die entsprechenden Einnahmen sollen zweckfrei in den allgemeinen Haushalt fliessen.
Wasserzinsen dienen der Teilabschöpfung der Ressourcenrente Im Gegensatz zum allgemeinen Steuersystem handelt es sich jedoch bei den Wasserzinsen um eine spezifische Teilabschöpfung der Ressourcenrente. Derzeit profitieren von den Einnahmen aus der Wasserkraft je zur Hälfte der Kanton Graubünden und die Gemeinden. Ein marginaler Teil der Wasserzinseinnahmen speist einen Bundesfonds, der für Ausgleichszahlungen an Gemeinden gedacht ist, die auf Wasserkraftprojekte verzichtet haben (z.B. Greina-Ebene). Zudem war im bisherigen kantonalen Finanzausgleich ein Transfer von Einnahmen der Wasserzinsgemeinden zu finanzschwachen Gemeinden vorgesehen. In Abb. 37 und 38 sind die resultierenden Einnahmen nach Gemeinden aufgeführt.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
84
Abb. 37: Aktuelle Verteilung der Wasserzinseinnahmen nach Gemeinden in Graubünden
Anteil der Wasserzinseinnahmen am Total aus Wasserzinseinnahmen und Gemeindesteuern
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0% 1
11
21
31
41
51
61
71
81
91
101
111
121
131
141
151
161
171
181
191
201
Gemeinden in GR geordnet nach der absoluten Höhe der Wasserzinseinnahmen
Quelle:
Amt für Energie und Verkehr Kanton Graubünden, Amt für Gemeinden Kanton Graubünden
Abb. 38: Abhängigkeit der Gemeinden in Graubünden von den Wasserzinseinnahmen
Wasserzinseinnahmen der Gemeinden in Graubünden
CHF 40'000'000
CHF 35'000'000
CHF 11 Mio. (knapp 1/3) gehen an Gemeinden mit einer tiefen Abhängigkeit (0% - 20%) von den Wasserzinseinnahmen
CHF 30'000'000
CHF 25'000'000
CHF 20'000'000
CHF 12 Mio. (knapp 1/3) gehen an Gemeinden mit einer mittleren Abhängigkeit (20% - 40%) von den Wasserzinseinnahmen
CHF 15'000'000
CHF 10'000'000
CHF 5'000'000
CHF 15 Mio. (gut 1/3) gehen an Gemeinden mit einer hohen Abhängigkeit (>40%) von den Wasserzinseinnahmen
CHF 0 91% 61% 46% 38% 34% 28% 25% 20% 16% 11% 7%
5%
2%
1%
0%
0%
0%
0%
0%
0%
0%
Verhältnis von Wasserzinseinnahmen zu Steuereinnahmen nach Gemeinden (von bedeutend nach unbedeutend sortiert)
Quelle:
Amt für Energie und Verkehr Kanton Graubünden, Amt für Gemeinden Kanton Graubünden
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
85
Des Weiteren gilt es bei der Beurteilung des heutigen Verteilsystems der Ressourcenrente folgende Punkte zu beachten: •
Für eine Beibehaltung des heutigen Verteilsystems spricht vor allem die Tatsache, dass die Wertschöpfung lokal anfällt. Gleichzeitig wird durch die kantonale Partizipation an den Einnahmen ein gewisser Solidaritätsbeitrag unter den Gemeinden sichergestellt. Dies erscheint insofern sinnvoll, als dass verschiedene „Wasserkraftgemeinden“ von Transferleistungen im Rahmen des kantonalen Finanzausgleichs und der Kantonsbeiträge (z.B. Schulen) ebenfalls von dieser Solidarität, insbesondere der starken Tourismus- und Zentrumsgemeinden, profitieren.37
•
Gegen die Beibehaltung des heutigen Verteilsystems spricht insbesondere die Tatsache, dass die meisten Wasserkraftgemeinden trotz Wasserzinseinnahmen nicht in der Lage waren, sich wirtschaftlich zu entwickeln (bekannte Ausnahmen sind Poschiavo und Vals). Dies vor allem darum, weil entsprechende alternative Potenziale in den Gemeinden nicht vorhanden waren. Zudem gelten heute die Wasserzinseinnahmen als eine der grossen Hürden für die Umsetzung der dringend notwendigen Strukturbereinigung in der staatlichen Organisation Graubündens (Gemeindefusionen).
Bei einer Änderung des Systems sind grundsätzlich folgende Varianten denkbar: •
Vollständige Kantonalisierung der Einnahmen: Eine Kantonalisierung der Einnahmen würde es erlauben, die generierten Mittel dort einzusetzen, wo die grössten Potenziale im Kanton bestehen. Damit könnten sich die positiven Kräfte der Wirtschaftsentwicklung optimal entfalten. Gegen eine Kantonalisierung spricht hingegen die Tatsache, dass die Wasserkraftpotenziale zumeist in peripheren Gebieten liegen, die kaum über andere Potenziale verfügen. Deshalb stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit einer Kantonalisierung entsprechender Potenziale. Zudem liegt heute die Gewässerhoheit im Kanton Graubünden bei den Gemeinden.
•
Vollständige Verwendung der Einnahmen durch die Gemeinden: Als Gegenmodell zur Kantonalisierung oder einer Aufteilung der Einnahmen könnte auch eine vollständige Verwendung der Einnahmen durch die Gemeinden diskutiert werden. Das würde bedeuten, dass der Kanton überhaupt nicht an den Wasserkraftpotenzialen partizipieren würde. Gegen dieses Modell spricht die Tatsache, dass trotz Finanz- und Aufgabenentflechtung die Gemeinden und der Kanton auch in Zukunft gemeinsame Aufgaben zu bewältigen haben und demzufolge auch die Wasserkraftgemeinden auf die Solidarität anderer Gemeinden angewiesen sind.
•
Einnahmen teilweise oder ganz regionalisieren: Die Ausschöpfung der Wasserkraftpotenziale erfolgt meist regional. Aus diesem Grund könnte es sinnvoll sein, den heutigen Gemeindeanteil oder sogar die ganzen Wasserzinseinnahmen zugunsten der betreffenden Region anfallen zu lassen. Dadurch würden die Potenziale
• 37
Vgl. Rieder P. und Caviezel F. (2006): Regionalwirtschaftliche Analyse zur Wasserkraftnutzung im Kanton Graubünden. In: Ramming et al. (2006): Unter Strom – Politische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte der hundertjährigen Wasserkraftnutzung in Graubünden.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
86
immer noch in der Region ausgeschöpft. Sie würden aber die strukturelle Entwicklung weniger behindern. Nachteil dieser Lösung wäre, dass eine neue staatliche Ebene – nämlich die „Wasserregion“ – gebildet werden müsste, die mit ähnlichen institutionellen Problemen zu kämpfen hätte wie die bereits bestehenden Zwischenebenen der staatlichen Organisation in Graubünden. Aufgrund der geschilderten Varianten wird klar, dass eine abschliessende Beurteilung der Verteilung kaum möglich ist. Nach Meinung des Wirtschaftsforums Graubünden müssten aber folgende Grundsätze für die Verteilung gelten: •
Es soll die Chance gepackt werden, die Verteilung der anfallenden Mittel ganz oder teilweise neu zu diskutieren. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund der möglicherweise stark wachsenden Einnahmen.
•
Die Verteilung der Wasserzinseinnahmen darf nicht die dringend notwendige Anpassung der Gemeindestrukturen verhindern.
•
Es sollten keine zusätzlichen staatlichen Ebenen für die Verteilung der Einnahmen geschaffen werden.
•
Die Wasserzinsen entspringen regionalen Potenzialen und sollten nach Möglichkeit den entsprechenden Regionen wiederum zugute kommen. (Dies kann beispielsweise auch durch eine Kantonalisierung der Einnahmen und eine entsprechende Neugestaltung von Transferzahlungen erfolgen.)
•
In den Regionen sind die Wasserzinseinnahmen dort einzusetzen, wo die grössten Potenziale für die Schaffung von Wohlstand für die betreffende Region bestehen.
4.10
Handlungsfeld: Verwendung staatlicher Einnahmen aus Wasserzinsen und Heimfällen
4.10.1 Ausgangslage und Herausforderung Unabhängig davon, ob die Mittel dem Kanton, den Gemeinden oder den Regionen zufallen, stellt sich die Frage, für welchen Zweck die Mittel künftig verwendet werden sollen. Heute fliessen die Mittel in den allgemeinen Staatshaushalt. Das bedeutet, dass Gemeinden und Kanton frei über die Mittel verfügen können. Sofern die Mittel jedoch tatsächlich in dem Ausmass zunehmen, wie es aufgrund der aktuellen Strompreisprognosen (bei erfolgreichen Reformen des Abgabesystems) denkbar ist, nimmt die Verantwortung für den Umgang mit den Mitteln stark zu.
4.10.2 Varianten Als Vorgaben für die Verwendung der Mittel sind die folgenden Varianten zu prüfen: •
Zweckfreier Mitteleinsatz (wie heute)
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
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•
Einsatz der Mittel für den gezielten Aufbau von alternativen Wirtschaftssektoren (in Anlehnung an Modell Dubai)
•
Einsatz der Mittel für radikale Steuersenkungen (in Anlehnung an die Kantone Obwalden und Zug)
•
Äufnen eines Staatsfonds und zweckfreie Konsumation der Fondserträge (in Anlehnung an Modell Norwegen)
•
Andere Zweckbindung der Mittel
Die Varianten werden im Folgenden näher diskutiert.
Variante: Zweckfreier Mitteleinsatz (wie heute) Bei diesem Ansatz handelt es sich um das aktuelle System. Die Einnahmen aus den Wasserzinsen werden zwar nach einem bestimmten Modus auf die verschiedenen staatlichen Ebenen verteilt. Sowohl die Gemeinden wie auch der Kanton sind jedoch frei in der Verwendung der Mittel aus der Wasserkraft. Man geht hierbei implizit davon aus, dass die verschiedenen Institutionen selber in der Lage sind, die Mittel verantwortungsvoll einzusetzen. Für den Ansatz spricht insbesondere die hohe Flexibilität, mit der auf aktuelle Herausforderungen reagiert werden kann. Weil die Mittel frei eingesetzt werden können, besteht auf der anderen Seite die Gefahr, dass eine suboptimale Verwendung aufgrund von politischen Begehrlichkeiten erfolgt bzw. die Mittel trotz fehlenden Potenzialen lokal ohne sinnvollen Return on Investment eingesetzt werden. Besonders bedauerlich wäre eine solche Verwendung, wenn gleichzeitig beispielsweise auf regionaler Ebene – aber eben nicht auf dem eigenen Gemeindeterritorium – Projekte mit einem attraktiven volkswirtschaftlichen Return on Investment bestehen würden, die aufgrund eines (zu) kleinräumlichen Denkens nicht angegangen werden.
Variante: Mittel für den gezielten Aufbau von alternativen Wirtschaftssektoren ( in Anlehnung an Modell Dubai) Eine zweite denkbare Form der Mittelverwendung wäre, die aus der Wasserkraft erhaltenen Mittel für eine gezielte Wirtschaftsförderung einzusetzen. Weil die Wasserkraft zwar eine hohe Wertschöpfung erreicht, aber als Branche aufgrund der hohen Automatisierung kaum regionale Arbeitsplätze schaffen kann, könnten die Regionen versuchen, mit den Mitteln aus der Wasserkraft alternative Wirtschaftssektoren zu entwickeln, die in der Region Arbeitsplätze schaffen. Im Kanton Graubünden würde sich hierfür der Tourismus anbieten. Entsprechende Strategien können heute insbesondere bei Erdölstaaten beobachtet werden, beispielsweise in Dubai. Diese Strategie kann allenfalls für einen Stadtstaat wie Dubai durchaus sinnvoll sein (wenn auch die erfolgreiche Umsetzung äusserst sein dürfte), da davon ausgegangen werden muss, dass die Erdölreserven in absehbarer Zeit versiegen und eine weitere wirtschaftliche Entwicklung nur möglich ist, wenn eine alternative Wirtschaftsstruktur geschaffen wird. Für
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die Regionen Graubündens dürfte eine direkte Wirtschaftsförderung, die über die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen hinausgeht,schwierig sein. Es besteht nämlich die Gefahr, dass wertschöpfungsschwache Betriebe subventioniert werden und dadurch keine tragfähigen Wirtschaftsstrukturen entstehen. Zudem birgt eine direkte Wirtschaftsförderung hohe unternehmerische Gefahren und Risiken in der Umsetzung, die nicht Aufgabe des Staates sein sollten.
Variante: Einsatz der Mittel für radikale Steuersenkungen (in Anlehnung an Obwalden und Zug) Ein weiterer Ansatz wäre die konsequente Reduktion der Steuern für natürliche und juristische Personen. Man kann diesen Ansatz auch als indirekte Wirtschaftsförderung verstehen, da eine der wesentlichsten Rahmenbedingungen eines attraktiven Wirtschaftsstandortes optimiert wird, nämlich die Steuerlast. Ziel einer solchen Strategie müsste sein, den Kanton Graubünden zu einem der steuergünstigsten Standorte zu machen, was wiederum dazu führen sollte, dass wertschöpfungsstarke Betriebe angesiedelt werden können. Einnahmen aus Wasserkraft, verbunden mit tiefen Steuern und einer hohen touristischen Attraktivität, könnten in Graubünden „Klein-Monacos“38 entstehen lassen. Selbstverständlich gibt es für die Optimierung des Steuerumfeldes verschiedene Spielformen. Beispielsweise kann man •
die Progression gezielt gestalten, um für Einwohner mit hohen Einkommen attraktiv zu werden,
•
die Steuern der natürlichen Personen reduzieren, um für Pendler attraktiv zu werden,
•
oder die Steuern der juristischen Personen reduzieren, um für wertschöpfungsstarke Firmen – und Arbeitsplätze - attraktiv zu werden.
Aufgrund von einfachsten Modellrechnungen sehen wir derzeit primär ein Potenzial bei der Reduktion der Steuern für juristische Personen. Aufgrund der anzunehmenden Hebelwirkung könnte man die Steuerbelastung für Firmen in Graubünden deutlich unter diejenige von Obwalden und Zug senken, wenn die zusätzlichen Mittel aufgrund einer Ressourcenrentenabgabe und angepassten Partnerwerkbesteuerung konsequent für die Steuerreduktion eingesetzt würden. In Abb. 39 wird aufgezeigt, wie eine solche Strategie wirken könnte. Im dargestellten Szenario wird eine Entwicklung der Elektrizitätspreise zugrunde gelegt, wie sie von Pöyry prognostiziert wird, d.h. langfristige Elektrizitätspreise (Mittelwert aus peak- und base-load) von ca. 12.00 Rp./kWh. Weiter wird angenommen, dass das System D (Wasserzinsen nach Ressourcenrentensystem; Ertragssteuern auf Basis internationaler Marktpreise, Koppelung von Wasserzinsen und Ertragssteuern) gemäss Tab. 17 zur Anwendung gelangt. Ebenfalls wird angenommen, dass die bestehenden Wasserzinseinnahmen nicht für Steuersenkun• 38
Monaco zeichnet sich durch tiefe Steuern, hohe touristische Attraktivität und eine daraus resultierende hohe Dichte an Finanzdienstleistungsfirmen aus.
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gen zur Verfügung stehen, da diese ja bereits heute im Haushalt vorhanden sind. Aus diesem Grund können nur die zusätzlichen Erträge aufgrund von Systemwechseln für die Steuersenkungen eingesetzt werden. Abb. 39: Mögliche Verbesserung im Steuerwettbewerb durch Steuerreduktion Denkbare Entwicklung Strompreise und Steuerbelastung in Graubünden Strompreise = gewichteter Jahresdurchschnitt mit 70% peak- und 30% base-load 160.0
16.00 Index der Steuerbelastung der juristischen Personen in GR Index der Steuerbelastung der natürlichen Personen in GR Angenommene Produzentenstrompreise in Rp./kWh gemäss Referenzszenario Pöyry
Steuerbelastungsindizes (CH = 100)
140.0
120.0
14.00
12.00
100.0
10.00 Steuersenkung per 1.1.08 Neuregelung Partnerwerkbesteuerung
80.0
60.0
8.00 Umstieg auf Ressourcenrentensystem bei Wasserzinsen
AI 58.9 OW 48.24
6.00
ZG 53.4
40.0
4.00
20.0
2.00
-
2007
Quelle:
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Wirtschaftsforum Graubünden (Berechnungsgrundlage: System D gemäss Kapitel 4.9 bei aktuellen Strompreisprognosen)
Die rote Linie zeigt den Steuerbelastungsindex für Unternehmen in Graubünden (im Vergleich zu den übrigen Kantonen in der Schweiz). Aufgrund der bereits beschlossenen Steuersenkung verbessert sich der Index in Graubünden per 1.1.08 von 140.0 auf ca. 80.0. Mit der Umstellung der Partnerwerkbesteuerung und der Verwendung der zusätzlichen Einnahmen für Steuersenkungen könnte die Belastung auf ca. 55 Indexpunkte gesenkt werden. Zu diesem Zeitpunkt wäre Graubünden konkurrenzfähiger als der steuergünstige Kanton Appenzell Innerrhoden und läge in Reichweite der Kantone Zug und Obwalden. Mit dem Umstieg auf das Ressourcenrentensystem könnte die Belastung theoretisch auf Null gesenkt werden. Es ist aber anzunehmen, dass ein vollständiger Verzicht auf Steuern kaum mit den Verfassungsgrundsätzen in Einklang gebracht werden kann. Deshalb könnte sich Graubünden hier dafür entscheiden, die Belastung beispielsweise auf rekordtiefe 20 Indexpunkte zu senken. Damit wäre Graubünden für juristische Personen der mit Abstand steuergünstigste Kanton in der Schweiz. Gleichzeitig könnte der Kanton die noch nicht verwendeten Zusatzerträge für eine Senkung der Steuern der natürlichen Personen von ca. 115 auf ca. 100 Indexpunkte verwenden (blaue Linie). Bei dieser Grobberechnung des möglichen Spielraums wurden die Effekte von zuziehenden Unternehmen und Einwohnern, die die Steuereinnahmen trotz tieferer Belastung wiederum erhöhen würden, nicht berücksichtigt (vgl. dazu Theorie Laffer-Kurve).
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
90
In den Kantonen Zug und Obwalden hat sich gezeigt, dass entsprechende Steuersenkungen dazu führen, dass überdurchschnittlich viele Firmen gegründet bzw. angesiedelt werden. Diese wiederum helfen mit ihrem Steueraufkommen einen Teil der aufgrund der Steuersenkungen entstehenden Steuerausfälle zu kompensieren (vgl. dazu auch die Theorie der Laffer-Kurve). Die partielle Kompensation der Steuerausfälle sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen sollten indirekt dazu führen, dass auch die Steuern der natürlichen Personen gesenkt werden können. Wir haben bewusst die Senkung der Unternehmenssteuern im Vordergrund gestellt, da dort ein bedeutend höherer Hebel zu erwarten ist, als bei der Senkung der Steuern der natürlichen Personen. Gleichzeitig ermöglicht diese Massnahme (bei erfolgreicher Implementierung der Strategie) im Anschluss auch die Steuern der natürlichen Personen senken zu können. Ein gewichtiger Vorteil dieser Verwendung der Mittel ist, dass die Umsetzung kaum Risiken birgt. Sofern sich die Einnahmen aus der Wasserkraft nicht wie erhofft entwickeln bzw. die Effekte der Steuersenkung nicht eintreten, können im schlimmsten Fall die Steuern wieder auf die ursprüngliche Höhe angehoben werden.
Variante: Äufnen eines Staatsfonds und zweckfreie Konsumation der Fondserträge (in Anlehnung an Modell Norwegen) Ein weiteres Modell zum Umgang mit Einnahmen aus Ressourcenrenten kann vom Beispiel Norwegen abgeleitet werden. Norwegen muss davon ausgehen, dass die Erdölreserven eher früher als später zur Neige gehen werden. Statt die Erträge aus der Erdölwirtschaft laufend zu konsumieren, haben die Einwohner Norwegens entschieden, die Erträge in einen Staatsfonds einzuzahlen und nur die Erträge des Fonds zu konsumieren.39 Dies ermöglicht es dem norwegischen Staat, ein Vermögen zu äufnen, das auch nach dem Versiegen der Erdölreserven Bestand hat und bei gutem Investitionsmanagement langfristig noch Dividenden auslöst. Entsprechende „Staatsfonds“ haben auch andere Staaten, welche spätestens seit den jüngsten Turbulenzen an der Börse einem breiten Publikum bekannt sind, gegründet (vgl. Tab. 18).
• 39
Im Gegensatz zu diesem Modell können auch alternative Verhaltensweisen von arabischen Herrschern beobachtet werden, die zumindest teilweise auf den Konsum der Erträge ausgerichtet sind (z.B. Privatflugzeuge, Villen, Pelzmäntel).
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91
Tab. 18: Die 10 grössten Staatsfonds der Welt
Fonds
Land
Abu Dhabi Investment Authority*
Vereinigte Arabische Emirate
875
GIC
Singapur
330
Government Pension Fund
Norwegen
300
China Investment Co.*
China
200
Stabilization Fund*
Russland
100
Temasek Holdings
Singapur
100
Kuwait Investment Authority
Kuwait
70
Australian Future Fund
Australien
40
Permanent Reserve Fund
USA
37
Brunei Investment Authority
Brunei
30
Quelle:
Vermögen in Mrd. USD
Wall Street Journal (*Schätzungen)
Einen ähnlichen Ansatz könnte man auch in Graubünden verfolgen, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass die Strompreise mittelfristig stark steigen, aber langfristig wieder sinken werden. Für dieses Szenario spricht die Erfahrung, dass bei hohen Kosten in einem Wirtschaftsbereich relativ rasch alternative Technologien entwickelt und zur Verfügung gestellt werden (z.B. Geothermie, neue Solarkraftsysteme, Wellenkraftwerke). Da diese neuen erneuerbaren Energien – sofern es zum technologischen Durchbruch kommt – mit sehr tiefen variablen Kosten funktionieren, darf ein entsprechendes Szenario langfristig nicht ausgeschlossen werden. In einem solchen Szenario könnte in den „fetten“ Jahren ein Staatsfonds geäufnet werden, dessen Erträge in schwächeren Jahren weiterhin zur Verfügung stehen würden. Die in Abb. 40 dargestellte Modellrechnung des Wirtschaftsforums zeigt, dass bis im 2030 auch mit konservativ-realistischen Annahmen eine beträchtliche Fondsgrösse erreicht werden könnte. Die in 20 Jahren verfügbaren freien Mittel würden – bei einer angenommenen Dividende von 4% – höher liegen als die heute anfallenden Wasserzinseinnahmen. Nicht zu vergessen: Bei dieser Szenariorechnung würden die heutigen Einnahmen von ca. CHF 120 Mio. (vgl. Abb. 36) weiterhin dem Kanton und den Gemeinden zur freien Verfügung stehen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
92
Abb. 40: Potenzieller Bestand eines Staatsfonds „Wasserkraft Graubünden“ 4'500 Bestand Staatsfonds "Wasserkraft Graubünden"
4'000
Bestand CHF 3.8 Milliarden!
Erträge Staatsfonds "Wasserkraft Graubünden" bei 4% Rendite
3'500
in Mio. CHF
3'000
2'500
Umstellung Wasserzinssystem
2'000
1'500
1'000
Steuersenkung per 1.1.08 Umstellung Partnerwerkbesteuerung auf internationale Marktpreise Dividende CHF 155 Mio.!
500
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden (Berechnungsgrundlage: System D gemäss Kapitel 4.9 bei aktuellen Strompreisprognosen nach Pöyry)
Variante: Zweckbindung der Mittel Wenn es um staatliche Mittelverwendung geht, ertönt oft der Ruf nach einer Zweckbindung von generierten Mitteln. Eine Zweckbindung bei der Wasserkraft könnte die Förderung von erneuerbaren Erfolg versprechenden Energie, den Schutz der Umwelt, aber auch soziale Anliegen umfassen. Wir gehen davon aus, dass beim Ausbau der Wasserkraftanlagen die gesetzlichen Vorschriften bezüglich Umweltschutz einzuhalten sind. Dies führt dazu, dass entsprechende Aufwendungen von den Unternehmen getätigt werden müssen und die resultierende Ressourcenrente entsprechend geschmälert wird. Dies scheint uns ordnungspolitisch sinnvoll. Eine spezifische Zweckbindung der Mittel aus der Ressourcenrente – egal zu welchem Zweck – erachten wir deshalb als unnötig und kontraproduktiv. Es besteht bei jeglicher Form von Zweckbindung die Gefahr, dass Mittel nicht effizient eingesetzt und für politische Begehrlichkeiten statt möglichst optimal im Interesse der Volkswirtschaft verwendet werden.
4.10.3 Schlussfolgerung Aufgrund der obigen Auslegeordnung favorisieren wir die Verwendung der Mittel für eine radikale Steuerreform. Dies vor allem deshalb, weil wir an das Potenzial Graubündens in der Kombination von Wasserkrafteinnahmen, tiefen Steuern und touristischer Attraktivität glauben. Zudem birgt dieser Ansatz sehr geringe Risiken bei der Umsetzung. Sofern dieser
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
93
Ansatz nicht gewählt wird oder allenfalls als Ergänzung dazu, erscheint uns die Äufnung eines Fonds mit frei verfügbaren Dividenden als zumindest prüfenswert.
4.11
Handlungsfeld: Strukturgestaltung
Die bisher aufgezeigten Handlungsfelder betrafen lediglich die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Elektrizitätswirtschaft in Graubünden. Es handelt sich dabei unbestritten um klassische Staatsaufgaben. Im Gegensatz dazu folgt in diesem Kapitel eine kurze Auseinandersetzung mit der aktiven Strukturgestaltung in der Unternehmenslandschaft der Elektrizitätswirtschaft. Grundsätzlich gehört dies nicht zu den Aufgaben des Staates. Weil es sich aber bei der Elektrizitätswirtschaft um eine historisch von der öffentlichen Hand gestaltete Wirtschaft handelt, kommen Gemeinden und Kanton Graubünden nicht um eine mehr oder minder aktive Strukturgestaltung herum, wenn sie ihre Interessen gegenüber anderen staatlichen Akteuren wahren möchten.40 In den letzten Jahrzehnten ist es dem Standort Graubünden denn auch gelungen, einige wichtige Strukturen zu schaffen, welche wesentlich dazu beitragen, die Interessen des Standortes durchzusetzen. In diesem Zusammenhang werden folgende Strukturen beschrieben und erörtert: •
Partnerwerke41
•
Grischelectra AG
•
Rätia Energie AG
4.11.1 Partnerwerke Ausgangslage Die Bündner Wasserkraftunternehmen sind häufig als so genannte Partnerwerke strukturiert. Bei Partnerwerken handelt es sich um Kraftwerkgesellschaften, welche Elektrizität produzieren und diese an ihre Mutterfirmen zu Gestehungskosten weiterreichen. Aufgrund des historischen Werdegangs sind knapp 80% der Bündner Produktionskapazitäten im Eigentum von Elektrizitätsgesellschaften, die im Besitz der Kantone und Städte des Mittellandes stehen bzw. ausländischen Institutionen gehören (vgl. Abb. 41).
• 40
Der Kanton Graubünden hat bereits bei der Entstehung der Elektrizitätswirtschaft versucht, aktiv Unternehmen zu entwickeln. Die leidvolle Geschichte der AG Bündner Kraftwerke ist bestens in der Publikation „unter Strom“ beschrieben. In diesem Bericht wird nicht weiter darauf eingegangen.
41
Die Elektrizitätswerke der Stadt Zürich verfügen ebenfalls über Partnerwerke in Graubünden, die je nach Publikation nicht als solche bezeichnet werden. In diesem Bericht sind auch die Werke der EWZ als Partnerwerke zu verstehen.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
94
Abb. 41: Theoretische Eigentumsstruktur anhand des Stromproduktionsvolumens der 12 grössten Bündner Wasserkraftunternehmen Ausland 9% Publikum 6% Stadt und Kanton ZH (über EWZ, AXPO usw.) 35% Kanton GR und Konzessionsgemeinden 17%
Übrige Kantone (über AXPO, NOK, CKW, ATEL usw.) 33%
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
Herausforderungen Aufgrund der Heimfallregelung werden Kanton und Gemeinden in Zukunft die Möglichkeit erhalten, diese Kraftwerkkapazitäten verhältnismässig günstig zu übernehmen. Aus der Optik der Strukturgestaltung stellt sich die Frage, ob diese Kraftwerke künftig im Eigentum des Kantons und der Gemeinden weitergeführt oder ob neue Konzessionen an privatwirtschaftliche Unternehmen vergeben werden sollen.
Schlussfolgerungen Aufgrund der Liberalisierung der Strommärkte gilt es primär die Besteuerung dieser Partnerwerke neu auszurichten, wie dies ausführlich in Kapitel 4.7 beschrieben wurde. Sofern die Partnerwerkbesteuerung den heute geltenden Rahmenbedingungen auf den internationalen Märkten angepasst wird, drängt sich eine Übernahme der Partnerwerke durch die öffentliche Hand nicht auf. Auch wenn die Konzessionen künftig mit flexiblen Elementen versehen werden, wie beispielsweise im Vertrag Taschinas, kann die öffentliche Hand darauf verzichten, diese Kraftwerke zu übernehmen, da daraus keine Vorteile gewonnen werden. Bei der Vergabe von Konzessionen liegt es im Interesse des Strukturgestalters, die Konzessionen denjenigen Elektrizitätsunternehmen zu erteilen, welche die Energie am Standort oder zumindest in Graubünden „veredeln“, indem sie beispielsweise die Handelsaktivitäten in Graubünden ansiedeln. Deshalb ist bei der Konzessionserteilung nebst den direkten Entschädigungsleistungen auch diesem Aspekt Beachtung zu schenken. Ziel des Wirtschaftstandortes Graubünden müsste selbstverständlich sein, die gesamten in Graubünden be-
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
95
stehenden Produktionskapazitäten für Handelsaktivitäten am Standort Graubünden einzusetzen. Ob die Unternehmen dem Kanton Graubünden oder den Gemeinden gehören oder nicht, ist nicht von zentraler Bedeutung.
4.11.2 Grischelectra AG Ausgangslage Der Kanton und verschiedene Gemeinden in Graubünden verfügen aufgrund von Minderheitsbeteiligungen an Partnerwerken oder aufgrund von Konzessionsvereinbarungen über Energiebezugsrechte. Lange Zeit konnten sie diese Energiebezugsrechte jedoch nicht geltend machen, da für Kanton und Gemeinden keine Möglichkeit bestand, die ihnen zustehende Energie gewinnbringend zu vermarkten. Die Grischelectra AG wurde vor diesem Hintergrund geschaffen, um dem Kanton und den Gemeinden die Energie im Umfang ihrer Energiebezugsrechte bei Bedarf abzukaufen und diese möglichst gewinnbringend entweder an weitere Partner oder an der Börse zu verkaufen. Die erzielten Gewinne werden an die Gemeinden und den Kanton entsprechend der eingebrachten Energie weitergeleitet (vgl. Abb. 42). Aufgrund des Verwertungsvertrages zwischen der Grischelectra AG und Rätia Energie AG kann die Energie zu einem Preis verkauft werden, welcher mind. 0.4 Rp. über den Gestehungskosten des Pakets liegt. Sofern die Rätia Energie AG es schafft, den übernommenen Strom zu höheren Marktpreisen zu verkaufen, partizipieren die an der Grischelectra AG angeschlossenen Gemeinden mit einem relativen Anteil am Mehrertrag. Abb. 42: Grischelectra AG in der Übersicht (Angaben Geschäftsbericht 2005/06) KonzessionsGemeinden 16.2%
Kanton Graubünden 53.8%
EGL AG 20%
Rätia Energie AG 10%
Verkauf zu möglichst hohen Marktpreisen
Aktionäre der Grischelectra AG
CHF 32.2 Mio. Eigener Aufwand CHF0.4 Mio.
∅ Preis 7.5 Rp./kWh
Grischelectra AG
429 GWh (5.5% der Bündner Energieproduktion)
CHF 1.7 Mio. (Aufgeld) von min. 0.4 Rp./kWh (Ansatz ist an Entwicklung der Konsumenten- und Grosshandelspreise gebunden)
Kanton und Gemeinden als Konzessionsgeber
Quelle:
Langfristiger Mittelwert der Gestehungskosten des Pakets: 6.84 Rp./kWh
CHF 30 Mio.
Kraftwerkgesellschaften
Wirtschaftsforum Graubünden in Anlehnung an Grischelectra AG
Rätia Energie AG 429 GWh
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Derzeit übernimmt die Rätia Energie AG aufgrund eines Vertrages die Aufgabe, die eingebrachte Energie im Umfang von ca. 5.5% der gesamten Bündner Energieproduktion zu verwerten.
Herausforderungen Seitdem der Kanton Graubünden das System Rätia Energie AG mit aufgebaut hat, stehen die beiden Instrumente der Elektrizitätswirtschaftspolitik „Grischelectra AG“ und „Rätia Energie AG“ zumindest teilweise in einem gegenseitigen Wettbewerb. Es stellt sich die Frage, ob weiterhin beide Instrumente notwendig sind.
Schlussfolgerungen Mit der Vollendung der Liberalisierung des europäischen Strommarktes in den nächsten Jahren ist ein verstärkter Wettbewerb unter den grossen Elektrizitätsgesellschaften zu erwarten. Damit einher gehen erfahrungsgemäss strukturelle Bereinigungen in der Branche. Zudem dürften die sich derzeit rasant verteuernden Rohstoffpreise für eine anhaltend hohe Dynamik in der Energiebranche sorgen. Vor diesem Hintergrund darf erwartet werden, dass künftig auch in der Schweiz die Strukturen hinterfragt und allenfalls durch Übernahmen und Fusionen neu geregelt werden. Davon könnten durchaus auch die aktuellen Aktionäre der Rätia Energie AG (EGL und Atel) betroffen sein. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob die parallele Führung der beiden Strukturen Grischelectra AG und Rätia Energie AG aus heutiger Sicht noch notwendig ist. Eine Veränderung drängt sich vorerst nicht auf. Vor dem Hintergrund der sich neu strukturierenden Energiewirtschaft in Europa scheint es hingegen vernünftig, die Entwicklung weiter zu verfolgen und die Notwendigkeit der Grischelectra unter veränderten Rahmenbedingungen wiederholt zu überprüfen.
4.11.3 Rätia Energie AG Ausgangslage Die Rätia Energie AG ist im Jahr 2000 aus dem Zusammenschluss der Kraftwerke Brusio AG in Poschiavo, der AG Bündner Kraftwerke in Klosters und der Rhätischen Werke für Elektrizität AG in Thusis hervorgegangen. Später wurde die aurax Gruppe in die Rätia Energie Gruppe integriert. Die Rätia Energie AG ist heute ein integriertes Unternehmen, dessen Kerntätigkeiten der nationale und internationale Stromhandel, die Stromproduktion sowie die regionale Stromversorgung sind. Dabei stützt sie sich auf den eigenen, durch Speicherkraftwerke modulierbaren Produktionspark in Graubünden und Italien, auf das strategisch günstig gelegene Übertragungsnetz und auf das eigene Versorgungsnetz. Die Hauptaktionäre der Rätia Energie AG sind der Kanton Graubünden mit 46%, die Aare-
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97
Tessin AG für Elektrizität (Atel) mit ungefähr 25% sowie die Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG (EGL) mit etwa 21%. Die Rätia Energie AG ist an der Schweizer Börse kotiert. Im Gegensatz zu den Partnerwerken, welche die Energie an die Muttergesellschaften im Mittelland liefern, wo sie durch internationale Handelsaktivitäten veredelt wird, geschieht dieser Prozess für die von der Rätia Energie AG bezogene Energie in Graubünden. Dies führt dazu, dass die Wertschöpfung aus der produzierten Energie deutlich höher ausfällt als für die Partnerwerke und dadurch entsprechende Arbeitsplätze im Handel und als Folge von Hauptsitzaktivitäten für die Auslandengagements entstehen. Wie aus Tab. 19 und Abb. 43 ersichtlich, hat sich die Rätia Energie AG seit dem Zusammenschluss im Jahr 2000 sehr vorteilhaft entwickelt. Heute bietet sie etwa zwei Drittel aller Arbeitsplätze der Branche in Graubünden an, obwohl sie nur über ca. 15% der in Graubünden produzierten Energie verfügen kann. Tab. 19: Entwicklung der Rätia Energie Gruppe (konsolidierte Zahlen) 1999 3'577
2000 5'031
2001 4'749
2002 5'180
2003 5'251
2004 6'116
2005 9'436
2006 13'408
2007 12'204
1'707 2
2'214 2
2'553 2
2'119 2
2'297 2
2'299 3
1'211 8
1'740 8
3'821 3
Nettobetriebsertrag (in Mio. CHF) Betriebs-EBIT (in Mio. CHF)
92 47
111 66
121 42
159 82
153 54
178 76
237 65
265 101
297 73
Anzahl Mitarbeiter (Vollzeitbeschäftigtenäquivalente) Lehrlinge Ertragssteuern (in Mio. CHF)
207 10 5.5
203 10 0.9
203 10 7.2
210.5 10 19.5
228 11 20
397 66 26
417 63 35
475 63 37
503 60 20
Wert der Beteiligung von 46% in Mio. CHF (Kt. GR und Gemeinden)
100
91
119
174
259
373
516
752
1'012
Handelsvolumen in GWh Produktionsvolumen aus Eigenproduktion und Beteiligungsenergie in GWh Faktor Handel/Produktionsvolumen
Quelle:
Rätia Energie AG
Abb. 43: Kennzahlen Rätia Energie AG 350 300
Nettobetriebsertrag (in Mio. CHF) Ertragssteuern (in Mio. CHF)
in Mio. CHF
250 200 150 100 50 1999
Quelle:
2000
Rätia Energie AG
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
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98
Herausforderungen Im Zusammenhang mit der Rätia Energie AG stellen sich drei wesentliche Fragen: •
Soll der Kanton als Hauptaktionär auch künftig eine Beteiligung an der Rätia Energie AG halten?
•
Soll die Rätia Energie AG, solange sie in wesentlichem Eigentum des Kantons Graubünden steht, im Ausland expandieren können?
•
Soll der Kanton Graubünden die Mehrheit am Aktienkapital anstreben?
Zur ersten Frage gilt es zu sagen, dass die Beteiligung des Kantons Graubünden an der Rätia Energie AG die mit Abstand wichtigste Strukturgestaltungsmassnahme in der Bündner Elektrizitätswirtschaft darstellt. Auch wenn der Kanton bisher mit der Beteiligung an der Rätia Energie AG einen Buchgewinn von über CHF 900 Mio. erzielen könnte, ist diese Beteiligung vor allem strategisch/taktisch zur Strukturierung der Bündner Elektrizitätswirtschaft zu verstehen. Erstens wird durch die Beteiligung sichergestellt, dass im Kanton Graubünden eine integrierte Elektrizitätsgesellschaft besteht, welche Arbeitsplätze schafft. Strategisch noch wichtiger ist indes zweitens, dass durch diese Beteiligung im Kanton Graubünden Know-how über die Elektrizitätswirtschaft und insbesondere auch im an Bedeutung gewinnenden Energiehandel laufend auf- und ausgebaut werden kann. Drittens besteht mit der Rätia Energie AG bei allfälligen Konzessionsverhandlungen zwischen Gemeinden/Kanton (als Konzessionsgeber) und Elektrizitätsunternehmen (als potenzielle Konzessionsnehmer) zumindest ein weiterer, von der Politik anderer Kantone unabhängiger potenzieller Konzessionsnehmer. Dies ermöglicht es dem Kanton und den Gemeinden, Konzessionsverhandlungen in aller Regel nicht nur mit einer, sondern gleichzeitig mit mehreren Parteien zu führen. Dies verbessert die Verhandlungsposition der Konzessionsgeber. Bezüglich Auslandexpansion ist festzuhalten, dass die Rätia Energie AG ihre oben geschilderte Aufgabe im Gesamtsystem Bündner Elektrizitätswirtschaft nur wahrnehmen kann, wenn sie ein wettbewerbsstarkes Unternehmen bleibt. Dazu muss die Rätia Energie AG das notwendige Know-how und die erforderlichen Marktbeziehungen weiterentwickeln können. In diesem Zusammenhang ist auch eine Expansion in ausländische Märkte zu verstehen und zu begrüssen. Selbstverständlich sind mit einer entsprechenden Expansion auch unternehmerische Risiken verbunden. Der Eigentümer kann diesen Risiken am besten begegnen, indem er eine Eignerstrategie definiert und diese der Unternehmensführung bekannt gibt. Kernpunkt einer solchen Eignerstrategie wäre die Definition von vertretbaren Investitionsrisiken aus Eignersicht. Wenn man die Rätia Energie AG als wertvolles Unternehmen betrachtet und gleichzeitig die Expansion als sinnvolle Strategie anerkennt, stellt sich unweigerlich die Frage, warum der Kanton seine Beteiligung am Unternehmen nicht wesentlich aufstockt. Hierzu können drei Gegenargumente eingebracht werden:
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99
•
Erstens liegt das Ziel des Kantons nicht darin, eine möglichst hohe Beteiligung zu erwerben, sondern den Bestand dieses Unternehmens in Graubünden zu sichern. Wichtig dabei ist eine minimale Mitsprachemöglichkeit, z.B. in Form einer Sperrminorität oder eines Aktionärsbindungsvertrags. Dadurch kann der Kanton den nötigen Einfluss auf allfällige Änderungen im Aktionariat und bezüglich des Hauptsitzes nehmen. Diese Mitsprachemöglichkeiten sind mit der aktuellen Beteiligung und den vertraglichen Regelungen (Ö Aktionärsbindungsvertrag) zwischen den Hauptaktionären gewahrt.
•
Zweitens müsste der Kanton bei einer wesentlichen Aufstockung der Anteile auf über 50% (sofern er diese überhaupt am Markt erwerben könnte) börsenrechtlich den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot für deren Anteile unterbreiten. Dies würde bedeuten, dass der Kanton in der Lage sein müsste, weitere Aktien für ca. CHF 1 Milliarde zu erwerben. Dies würde offensichtlich die Möglichkeiten des Kantons sprengen und das Investitionsrisiko von derzeit ca. CHF 70 Mio. (entspricht Buchwert in der Bestandesrechnung des Kantons) vervielfachen.
•
Drittens wurden der Anteil von 46% und die Aktionärsstruktur mit drei Hauptaktionären bewusst gewählt, um zu verhindern, dass sich das bisher stark marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen in einen „Verwaltungsbetrieb des Staates“ verwandelt. Durch die gegebene Aktionärsstruktur kann am ehesten davon ausgegangen werden, dass weder eine unverhältnismässig risikoreiche unternehmerische Strategie umgesetzt noch auf die Ausschöpfung von offensichtlichen Potenzialen verzichtet wird. Die Anreizstrukturen sollen auch künftig so angelegt sein, dass sich die Rätia Energie AG möglichst erfolgreich und mit vernünftigen Risiken am Markt bewegen kann.
Schlussfolgerungen Damit die Rätia Energie AG ihrer Funktion innerhalb der Bündner Elektrizitätswirtschaftspolitik nachkommen kann, nämlich der Weiterentwicklung des Know-hows und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Hauptsitzfunktionen, ist es unerlässlich, dass sich die Gesellschaft am Markt unternehmerisch entwickeln kann. Gleichzeitig gilt es aus Sicht des Wirtschaftsstandortes Graubünden sicherzustellen, dass bei allfälligen Änderungen im Aktionariat die Interessen des Standortes gewahrt werden. Beides ist mit der heutigen Beteiligung des Kantons von 46% sichergestellt. Aus heutiger Sicht empfiehlt es sich, an diesem System festzuhalten und bei allfälligen Opportunitäten zur Stärkung des Systems jeweils pragmatisch die Vor- und Nachteile zu evaluieren. Auf keinen Fall darf im aktuellen Umfeld die Beteiligung veräussert werden, da sonst einer der wichtigsten strategischen Trümpfe der Bündner Elektrizitätsexportpolitik verloren ginge.
4.11.4 Schlussfolgerungen zur Strukturgestaltung Im Kapitel 4.6 zu den Herausforderungen der Heimfälle haben wir erkannt, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, wesentliche Beteiligungen an den Partnerkraftwerken zu halten. In
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
100
diesem Kapitel haben wir jedoch für die Beibehaltung der Beteiligung an der Rätia Energie AG plädiert. Der Unterschied zwischen diesen zwei Strukturen liegt darin, dass die Rätia Energie AG als Institution zur Know-how-Bildung in Graubünden betrachtet wird und durch dieses vorhandene Wissen die Bündner Elektrizitätswirtschaftspolitik aus der Abhängigkeit anderer Akteure befreit. Dadurch wird der gesamte Standort in eine bessere Verhandlungsposition gebracht, was künftig insbesondere bei der Verhandlung der grossen Heimfälle von Bedeutung sein wird. Die derzeitigen Strukturen erscheinen für die Weiterentwicklung der Elektrizitätswirtschaft günstig. Es gilt deshalb, zu diesen Strukturen Sorge zu tragen und sie allenfalls opportunistisch42 weiterzuentwickeln, wenn sich dafür attraktive Möglichkeiten ergeben.
• 42
Das heisst beispielsweise, günstige Zukaufsmöglichkeiten von Kraftwerken oder Anteilen jeweils eingehend prüfen, sei dies als Kanton, Gemeinde, Grischelectra AG oder Rätia Energie AG.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
5
Schlussfolgerungen
5.1
Erkenntnisse aus der Analyse
101
Marktkräfte Die Analysen des Wirtschaftsforums Graubünden haben gezeigt, dass mit den folgenden bestimmenden Marktentwicklungen bezüglich der Bündner Stromwirtschaft zu rechnen ist: •
Die allgemeine Ressourcenverknappung kombiniert mit dem ansteigenden europaweiten Strombedarf und verschärften Auflagen zum Klimaschutz (insb. CO2-Abgabe) lässt mittelfristig markant steigende Strompreise in Europa erwarten.
•
Die fortschreitende Liberalisierung führt zu transparenteren Elektrizitätsmärkten und ermöglicht die Ausdehnung von Handelsgeschäften der Stromwirtschaft.
Der Wirtschaftsstandort Graubünden kann von diesen beiden Trends wie folgt profitieren: •
Durch die Erhöhung der Wertschöpfung aus der bestehenden Stromproduktion aufgrund der steigenden Preise.
•
Durch die Generierung von zusätzlicher Wertschöpfung aus Handelsgeschäften, sofern entsprechende Tätigkeiten in Graubünden angesiedelt sind (Ö Handelsabteilungen).
•
Durch die Schaffung von zusätzlichen Produktionskapazitäten infolge der höheren Marktpreise und der dadurch verbesserten Wirtschaftlichkeit von neuen Projekten.
Ökologie und Umweltschutz Diesen Potenzialen steht die Herausforderung einer allfälligen natürlichen Verknappung der Produktion aufgrund geringerer Niederschläge sowie einer allenfalls selbst gewählten Verknappung der Produktion durch die Verschärfung von Gesetzesauflagen im Zusammenhang mit Restwassermengen und Vorschriften zu „Sunk und Schwall“ gegenüber.
Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen Zwar versprechen die zu erwartenden künftigen Marktverhältnisse eine markante zusätzliche Wertschöpfung für die Elektrizitätswirtschaft43 in Graubünden. Bei den aktuellen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (insb. Wasserzinsen, Partnerwerkbesteuerung) dürfte der Wirtschaftsstandort Graubünden – zumindest bis zum Eintreten der Heimfälle von grossen Kraftwerken - jedoch nur in bescheidenem Ausmass von den erkannten Potenzialen profitieren können. • 43
Der Begriff Elektrizitätswirtschaft umfasst im vorliegenden Bericht die Elektrizitätsproduktion, den internationalen Stromhandel und allfällige Hauptsitzaktivitäten im Zusammenhang mit diesen Geschäften. Von der Definition ausgeschlossen sind insbesondere Aktivitäten mit Bezug zur regionalen Versorgung.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
102
Weil auf lange Sicht durchaus auch Argumente bestehen, welche auf wieder sinkende Strompreise hinweisen (z.B. Entwicklung von Substitutionstechnologien, langfristige Einschränkung des Verbrauchs), ist ein politisches Abwarten auf die grossen Heimfälle nicht ratsam. Das Wirtschaftsforum Graubünden ist der Meinung, dass wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf besteht und bereits heute die entsprechenden Weichen in der Energiewirtschaftspolitik neu zu stellen sind. Zu diesem Zweck wird dem Kanton vorgeschlagen, die aktuelle Elektrizitätswirtschaftspolitik offensiv mittels eines Aktionsplans weiterzuentwickeln.
5.2 5.2.1
Aktionsplan „Elektrizitätswirtschaftspolitik Graubünden“ Übersicht
Die Neugestaltung wesentlicher wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen ist herausfordernd, benötigt Zeit und insbesondere den Konsens der verschiedenen Akteure (Bund, Kanton, Gemeinden, Wirtschaft). Oft werden zudem politische Diskussionen nur aufgrund von Geschäften geführt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu behandeln sind (z.B. Konzessionierung eines Kraftwerkes). Um die wesentlichen Rahmenbedingungen (die heute zu Ungunsten von Graubünden formuliert sind) zu verändern, braucht es jedoch in Graubünden und in der ganzen Schweiz eine grundlegende politische Diskussion. Diese ist – vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Strommärkte und markant steigender Energiepreise – jetzt einzuleiten. Das Wirtschaftsforum Graubünden schlägt als Diskussionsgrundlage den folgenden Aktionsplan vor (vgl. Abb. 44). Abb. 44: Aktionsplan Elektrizitätswirtschaftspolitik Graubünden
7
Diskussion der künftigen Verwendung von zusätzlichen Ressourcenrenten-Einnahmen
4
Partnerwerke auf Basis der erzielbaren internationalen Marktpreise besteuern
Diskussion über den Umgang mit den Werten aus Heimfällen
5 3
Konzessionierungen (neue und Verlängerungen) mit flexiblen Elementen der Ressourcenrentenabschöpfung versehen
Umstieg auf Ressourcenrentensystem mit gleichzeitiger Senkung der Ertrags- und Kapitalsteuern
2
Ausbau Wasserkraftkapazitäten im Kanton Graubünden vorantreiben (Verfahren vereinfachen, Bekenntnis zur Wasserkraft, Sensibilisierung Bevölkerung)
1
Weiterentwickeln der Rätia Energie AG und Grischelectra AG als Nuklei und Know-howTräger der Bündner Elektrizitätswirtschaft
Heute (2008)
2010
2015
Massnahmen um Einnahmen zu generieren Massnahmen um Mittelverwendung zu optimieren
Quelle:
Wirtschaftsforum Graubünden
2025
6
Frühzeitige Vorbereitung der Heimfälle (Kanton und Gemeinden) und Neukonzessionierung
2045
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
103
In den folgenden Abschnitten werden die wesentlichen Stossrichtungen und Ideen des Aktionsplans ausgeführt.
5.2.2
Stossrichtung 1: Strategische Institutionen weiterentwickeln
Der Kanton Graubünden verfügt über die beiden strategischen Institutionen Rätia Energie AG und Grischelectra AG. Diese beiden Institutionen bilden einen zentralen Pfeiler der Elektrizitätswirtschaftspolitik Graubündens und sind weiterzuentwickeln.
Rätia Energie AG als Trumpfkarte der Bündner Elektrizitätswirtschaftspolitik Mit der Rätia Energie AG verfügt der Kanton Graubünden über ein Unternehmen, welches sich im internationalen Handel erfolgreich bewegt und dem Kanton ein hohes elektrizitätswirtschaftliches Know-how sichert. Der aktuelle Marktwert der Rätia Energie AG liegt bei ca. CHF 2 Mrd. Die Rätia Energie AG ist damit neben der Ems-Chemie Holding AG und der Graubündner Kantonalbank eines der wertvollsten Unternehmen in Graubünden. Mit der laufenden Expansion der Tätigkeiten im Ausland vergrössert die Rätia Energie AG ihre Kundenbasis und erhöht zusätzlich ihre Produktions- und Handelskapazitäten. Dies ermöglicht der Rätia Energie AG, das eigene Wissen ständig weiterzuentwickeln und wertschöpfungsstarke Arbeitsplätze im Umfeld des Stromhandels und der Hauptsitzaktivitäten in Graubünden zu schaffen. Im Zusammenhang mit künftigen Konzessionsverhandlungen spielt die Rätia Energie AG zudem auch eine taktisch bedeutsame Rolle. Da sie als alternativer Verhandlungspartner bzw. Wettbewerber zu anderen Elektrizitätsgesellschaften auftreten kann, wird die Verhandlungsposition der Gemeinden und des Kantons bei der Vergabe von Konzessionen gestärkt. Merksätze zur Rätia Energie AG Ö
Die kantonale Beteiligung an der Rätia Energie AG ist als strategische Beteiligung zu betrachten, um Know-how und Arbeitsplätze im Kanton zu sichern und zu fördern. Die Sperrminorität von 46% genügt, um die Interessen des Kantons bezüglich der Weiterentwicklung der Rätia Energie AG zu wahren. Bei allfälligen Eigentümerwechseln muss der Kanton aktiv für eine geeignete und ausgewogene Eigentümerstruktur sorgen.
Ö
Der Börsenwert der kantonalen Beteiligung an der Rätia Energie AG beträgt derzeit nahezu CHF 1 Mrd., wobei dieser Wert mit dem Börsenkurs stark schwanken kann. Der tatsächliche Buchwert – und somit das direkte Investitionsrisiko des Kantons – beträgt ca. CHF 70 Mio.
Ö
Die Beteiligung der öffentlichen Hand dient primär dazu, den Hauptsitz der Rätia Energie AG sowie die Eigentümerstruktur und Eignerstrategie mitzubestimmen. Die wichtigsten Elemente dabei sind der Aktienanteil von 46% sowie bestehende Aktionärsbindungsverträge mit den beiden weiteren Hauptaktionären.
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Merksätze zur Rätia Energie AG Ö
Die Führung der Rätia Energie AG muss – abgesehen vom Festhalten am Hauptsitz im Kanton Graubünden – auch künftig betriebswirtschaftlichen/unternehmerischen Grundsätzen verpflichtet sein.
Ö
Die Rätia Energie AG soll die sich ergebenden unternehmerischen Chancen im Inund Ausland wahrnehmen können. Dadurch wird auch der Elektrizitätsstandort Graubünden gestärkt.
Die Grischelectra AG als taktisches Element bei den Konzessionsverhandlungen der Gemeinden Mit der Grischelectra AG wurde ein Gefäss entwickelt, welches den Gemeinden ermöglicht, allfällige Beteiligungs-/Beteiligungsersatzenergie auch in schwierigen Marktsituationen zu verwerten. Dies kann in Form eines Verkaufs der Beteiligungsenergie an die Grischelectra AG erfolgen. Die Grischelectra AG kann aber auch die Gemeinden durch eine Konkurrenzofferte in eine Position bringen, in der sie faire Marktbedingungen für ihre Energieanteile aushandeln können. Das System Grischelectra AG wird unterdessen teilweise vom System Rätia Energie AG überlagert. Eine Anpassung drängt sich derzeit nicht auf, ist aber allenfalls prüfenswert, abhängig davon, wie sich die Strukturen der schweizerischen Energiewirtschaft verändern. Merksätze zur Grischelectra AG Ö
5.2.3
Das „Vehikel“ Grischelectra AG stärkt die Gemeinden und den Kanton bei den Verhandlungen mit Elektrizitätsgesellschaften über die Verwertung allfälliger Beteiligungs-/Beteiligungsersatzenergie.
Stossrichtung 2: Ausbau der Wasserkraftkapazitäten
Die Analysen des Wirtschaftsforums Graubünden haben gezeigt, dass die wirtschaftliche Stromproduktion aufgrund der erwarteten Marktpreisentwicklungen in Graubünden um rund 12% ausgebaut werden könnte. Kanton und Gemeinden sollten sich dafür einsetzen, dass diese Potenziale möglichst optimal ausgeschöpft werden können. Dafür spricht neben wirtschaftlichen Überlegungen auch die Tatsache, dass durch den Ausbau der Wasserkraft andere, umweltbelastendere Stromgewinnungsformen substituiert werden können.
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105
Merksätze zum Ausbau der Wasserkraftkapazitäten
5.2.4
Ö
Die Wasserkraftkapazitäten in Graubünden können unter den erwarteten Marktbedingungen um rund 12% ausgebaut werden.
Ö
Der Ausbau der Bündner Wasserkraft um 12% ermöglicht theoretisch, den CO2Ausstoss der europäischen Elektrizitätsproduktion um 185’000 – 316’000 Tonnen CO2 jährlich zu reduzieren. Dies entspricht ca. 0.4% - 0.7% des aktuellen CO2- Ausstosses der Schweiz.
Ö
Der Staat kann den Ausbau der Wasserkraft primär dadurch unterstützen, indem die entsprechenden Bewilligungsverfahren möglichst effizient abgewickelt werden können. Weiter muss der Staat sicherstellen, dass die vorhandenen regionalen technischen Potenziale der Wasserkraft möglichst optimal ausgeschöpft werden. Zu diesem Zweck ist zu prüfen, ob die Gewässerhoheit (nicht das Anrecht auf einen Anteil der Ressourcenrente) von den Gemeinden an den Kanton übertragen werden soll.
Stossrichtung 3: Neukonzessionierung mit flexiblen Elementen der Ressourcenrentenabschöpfung versehen
Aufgrund der heutigen Rahmenbedingungen ist der Spielraum für den Kanton und die Gemeinden bei einer Neukonzessionierung eines Kraftwerks eingeschränkt. Kanton und Gemeinden sollten bei einer Neukonzessionierung marktwirtschaftliche Elemente zur Abschöpfung der Ressourcenrente einsetzen. Die Konzessionierung des Projekts „Taschinas“ könnte dazu ein Beispiel liefern. Die wesentlichen Elemente bei Neukonzessionen sind: •
Regelung der Ertragssteuer auf Basis internationaler Marktpreise
•
Recht (ohne Pflicht) zur Übernahme eines bedeutenden Anteils an der produzierten Energie oder alternativ Vereinbarung von Gewinnanteilen für den Staat
•
Ausschöpfung der Möglichkeiten der Wasserzinsen/Wasserwerksteuer nach heutigem System
•
Auktionierung der Konzession
Mit solchen Elementen kann die geforderte teilweise Abschöpfung der Ressourcenrente trotz des nur mässig geeigneten Instrumentes der Wasserzinsen44 vorweggenommen werden. Eine Auktionierung kann die Verhandlungsposition der öffentlichen Hand stärken und dürfte in den meisten Fällen empfehlenswert sein. Um die Verfahren noch effizienter zu gestalten und sicherzustellen, dass die Wasserkraftpotenziale optimal ausgeschöpft werden, ist zu prüfen ob die Wasserhoheit dem Kanton zuzuweisen wäre.
• 44
In der heutigen Ausgestaltung.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
106
Merksätze zur Neukonzessionierung von Anlagen
5.2.5
Ö
Die Nutzung der Wasserkraft kann aufgrund der durch die Konzession erhaltenen Monopolstellung zu einer beträchtlichen Ressourcenrente für den Konzessionsnehmer führen. Die Politik hat sicherzustellen, dass diese Ressourcenrente in geeigneter Weise zwischen Öffentlichkeit und Konzessionsnehmer aufgeteilt wird.
Ö
Die Ausschöpfung der Ressourcenrente über regulatorische Massnahmen ist aus ordnungspolitischer Sicht der unternehmerischen Beteiligung an Kraftwerkgesellschaften vorzuziehen.
Ö
Die Nutzung der Wasserkraft führt unabhängig von der Rentabilität eines Wasserkraftwerkes zu Opportunitätskosten für die Öffentlichkeit. Diese Opportunitätskosten sind durch einen fixen Sockelbeitrag an Wasserzinsen abzugelten.
Ö
Die Auktionierung von Konzessionen stärkt die Verhandlungsposition der Gemeinden.
Ö
Eine regional optimale Ausschöpfung der Wasserkraftpotenziale muss vor den Eigeninteressen einzelner Gemeinden Vorrang haben.
Stossrichtung 4: Reform der staatlichen Instrumente zur Abschöpfung der Ressourcenrente
Ein Teil der Ressourcenrente wird heute in Graubünden mit der Erhebung von Wasserzinsen und den diversen Besteuerungsformen beansprucht. Besteuerungs- wie Wasserzinssystem sind derzeit für den Wirtschaftsstandort Graubünden äusserst unbefriedigend gelöst und nicht mit den Regeln kompatibel, die auf künftig liberalisierten Märkten gelten. Diese Instrumente sind deshalb grundlegend zu reformieren. Dazu dienen die folgenden Massnahmen: •
Besteuerung der Partnerwerke nach Massgabe internationaler Marktpreise
•
Wasserzinsen im Verhältnis zur potenziellen Ressourcenrente erheben
•
Abstimmung von Wasserzinssystem und Ertragsbesteuerung
Besteuerung der Produktionswerke nach Massgabe internationaler Marktpreise In der Vergangenheit musste für die Wasserkraftwerke die Gewinnsteuerveranlagung mittels Hilfsgrössen „konstruiert“ werden (z.B. Modell Pfeiffer, Pflichtdividenden), da keine Marktpreise verfügbar waren, mit denen man den steuerbaren Gewinn – wie in anderen Branchen üblich – hätte ermitteln können. Nachdem in Europa Strombörsen auf- und ausgebaut wurden, haben sich die Voraussetzungen auch für die Steuerveranlagung der Wasserkraftwerke grundlegend geändert. Heute können aufgrund der internationalen Börsenpreise (Grosshandelspreise) die potenziellen steuerbaren Gewinne der Wasserkraft verhältnismässig leicht eruiert und veranlagt werden. Es gilt deshalb, die Veranlagungspraxis der Gewinnbesteuerung den neuen Gegebenheiten anzupassen. Diese Massnahme kann spätestens im Gleichschritt mit der Liberalisierung
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107
des Elektrizitätsmarktes in der Schweiz durch die kantonalen Steuerbehörden um- und durchgesetzt werden. Merksätze zur Besteuerung von Partnerkraftwerken Ö
Liberalisierte Strommärkte und transparente Strombörsen haben die Voraussetzungen für die Partnerwerkbesteuerung grundlegend verändert.
Ö
Die Gewinne der Stromproduktion der Partnerwerke sind nach Massgabe der internationalen Strommarktpreise zu veranlagen.
Ö
Die korrekte Besteuerung der Partnerwerke ist eine kurz- bis mittelfristige Massnahme, die es dem Standort Graubünden ermöglicht, von den steigenden Energiepreisen steuerlich zu profitieren.
Wasserzinsen im Verhältnis zur potenziellen Ressourcenrente erheben Aufgrund der bestehenden internationalen Marktpreise können heute bei den einzelnen Wasserkraftwerken die theoretischen Gewinne und damit die potenzielle Ressourcenrente45 eruiert werden. Im Sinne einer fairen Aufteilung der sich ergebenden Ressourcenrente aus der Nutzung der Wasserkraft sollen die Wasserzinsen künftig im Verhältnis zum entstehenden Gewinn nach Massgabe der internationalen Börsenpreise erhoben werden. Eine Beteiligung des Staates im Umfang von ca. 50% bis 60% an der Ressourcenrente (inkl. Wasserzinsen und Ertragssteuern) scheint aufgrund von Modellrechnungen und Erfolgswerten prüfenswert. Für die Gemeinden ergibt sich bei diesem System gegenüber dem heutigen System des absoluten Wasserzinsmaximums der Vorteil, dass sie von den erwarteten Marktpreissteigerungen profitieren können. Für die Kraftwerkunternehmen entstehen Anreize für die Erneuerung der bestehenden und die Erstellung neuer Anlagen mit tendenziell höheren Gestehungskosten. Denn bei einer kurzfristig aufgrund der Investition sinkenden Ressourcenrente würden auch die Wasserzinsen reduziert. Diese Weichenstellung erfordert eine Gesetzesänderung auf Bundesebene und dürfte politisch nicht leicht umsetzbar sein. Es gilt deshalb eine genügend starke politische Allianz zu formieren, die in der Lage ist, diese berechtigte Forderung der Wasserkraftkantone und ökonomisch sinnvolle Regelung im Umgang mit natürlichen Ressourcen auf Bundesebene durchzusetzen.
• 45
Ressourcenrente = Umsatz gemäss Marktpreis – Kosten für die Ausschöpfung der Ressource (ohne staatliche Abgaben)
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
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Merksätze zum Wasserzinssystem Ö
Das bestehende Wasserzinssystem basiert auf der Annahme staatlich regulierter Strompreise. Mit der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes ist auch das Wasserzinssystem an die Grundsätze des Marktes anzupassen.
Ö
Das aktuelle Wasserzinssystem ist für den Standort Graubünden ungünstig ausgestaltet. Zu bevorzugen ist ein konsequentes ressourcenrentenbasiertes Wasserzinssystem.
Ö
Mit dem Ziel, eine allfällige Ressourcenrente künftig fair zwischen Konzessionsnehmer und Öffentlichkeit zu verteilen, soll der Ressourcenrentenanteil des Staates frei verhandelt werden können.
Abstimmung von Wasserzinssystem und Ertragsbesteuerung Im bisherigen System profitiert der Staat von der Wasserkraft primär durch die Wasserzinsen und durch die Gewinnbesteuerung. Weil die Gewinnbesteuerung der Wasserkraft für den Kanton Graubünden von hoher Bedeutung ist, tut sich die kantonale Politik mit der Senkung von Unternehmenssteuern allgemein schwer. Dies ist verständlich, denn damit würden Kanton und Gemeinden (nach heutigem System) auf die Abschöpfung eines Teils der Ressourcenrente aus der Wasserkraft verzichten. Die Konsequenz daraus ist eine im Vergleich zu anderen Kantonen hohe Unternehmenssteuerlast und dadurch eine geringere Attraktivität des Standortes für die Ansiedlung von wertschöpfungsstarken Industrie- und Dienstleistungsbetrieben. Aus diesem Grund sind Kanton und Gemeinden daran interessiert, die Abschöpfung der Ressourcenrente aus der Wasserkraft von der allgemeinen Besteuerung zu trennen. Bei einer Substitution der Gewinnbesteuerung der Wasserkraftproduktion durch ein System von ressourcenrentenbasierten Wasserzinsen könnte der Kanton künftig die allgemeinen Unternehmenssteuern senken und so attraktiver für die Ansiedlung von Industrie- und Dienstleistungsbetrieben werden. Auch die Elektrizitätsgesellschaften kämen so in den Genuss von verhältnismässig attraktiven Unternehmenssteuern und würden es sich allenfalls überlegen, einzelne wertschöpfungsstarke Abteilungen nach Graubünden zu transferieren. Kanton und Gemeinden könnten trotz tiefen Unternehmenssteuern weiterhin einen Anteil an der Ressourcenrente der Wasserkraft beanspruchen, da die Wasserzinsen künftig flexibel ausgestaltet wären und sich am potenziellen Gewinn der Wasserkraftwerke orientieren würden.
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Merksätze zur Abstimmung von Wasserzinssystem und Ertragsbesteuerung
5.2.6
Ö
Ressourcenintensive Wirtschaftsstandorte (wie Graubünden) sind daran interessiert, dass die Abschöpfung der Ressourcenrente nicht über die allgemeinen Steuern erfolgen muss. Dies erlaubt es der Politik, gleichzeitig die allgemeinen Steuern zu senken und weiterhin in Bezug auf die Wasserkraftnutzung einen angemessenen Anteil an der Ressourcenrente beanspruchen zu können.
Ö
Nach Einführung eines ressourcenrentenbasierten Wasserzinses sollte dieser bei den Produktionswerken mit der Gewinnbesteuerung gekoppelt werden, damit der Standort Graubünden die Steuern für juristische Personen markant senken kann.
Stossrichtung 5: Verteilung der Einnahmen aus der Ressourcenrente reformieren
Neuregelung der Verteilung und Verwendung der Ressourcenrente als Voraussetzung für Reformen des Wasserzinsregimes Im aktuellen System profitieren Kanton und Gemeinden zu je ca. 50% von den Steuern der Kraftwerkgesellschaften und von den Wasserzinsen. Das System beschränkt jedoch insgesamt die von Kanton und Gemeinden potenziell erreichbaren Einnahmen. Es besteht derzeit einerseits die Möglichkeit, über eine gemeinsame optimale Ausgestaltung der Instrumente deutlich höhere Einnahmen zu generieren als in der Vergangenheit. Andererseits sind bereits heute viele Gemeinden nicht in der Lage, die Einnahmen aus der Wasserkraft zur Entwicklung der eigenen Gemeinde/Region einzusetzen, da Potenziale für alternative Industrien mit Arbeitsplätzen schlichtweg fehlen. Damit es sich lohnt, in einem gemeinsamen Kraftakt von Wasserkraftkantonen und Gemeinden die nationalen politischen Rahmenbedingungen zugunsten der Wasserkraftstandorte zu verändern, müssen die Einnahmen auch sinnvoll verteilt und verwendet werden können. Dies dürfte aus Sicht des Bundes und der Mittellandkantone sogar eine politische Voraussetzung sein, um den Wasserkraftkantonen in der Wasserzinspolitik entgegenzukommen. Deshalb schlagen wir vor, folgende Grundsätze zu diskutieren: •
Für die Verteilung der Wasserzinsen ist ein neues System zu finden, welches folgenden Kriterien entspricht: − Die Wasserzinseinnahmen der profitierenden Gemeinden dürfen nicht die dringend notwendige Anpassung der Gemeindestrukturen ver- oder behindern. − Es sollten keine zusätzlichen staatlichen Ebenen für die Verteilung der Einnahmen geschaffen werden.
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− Die Wasserzinsen entspringen regionalen Potenzialen und sollten nach Möglichkeit den entsprechenden Regionen wiederum zugute kommen. (Dies kann beispielsweise auch durch eine Kantonalisierung der Einnahmen und einer entsprechenden Neugestaltung von „Transferzahlungen“ erfolgen.) − In den Regionen sind die Wasserzinseinnahmen dort einzusetzen, wo die grössten Potenziale für die Schaffung von Wohlstand für die betreffende Region bestehen. •
Mit den gegenüber heute zusätzlich generierten Mitteln sollen primär die Steuern für die juristischen und natürlichen Personen gesenkt werden. Allenfalls ist zu prüfen, ob diese Mittel in einen Staatsfonds einzuzahlen sind, um die Einnahmen zu „verewigen“ bzw. Schwankungen auszugleichen. Merksätze zur Verteilung und Verwendung der Mittel
5.2.7
Ö
Die Verteilung der Wasserzinsen ist aufgrund der angestrebten, markant höheren Einnahmen neu zu diskutieren.
Ö
Volkswirtschaftlich am meisten Erfolg verspricht die Verwendung der erwarteten zusätzlichen Einnahmen aufgrund der vorgeschlagenen Systemreformen für radikale Steuersenkungen.
Ö
Um langfristige Schwankungen und ein allfälliges langfristiges Absinken der Ressourcenrente aufzufangen, soll die Gründung eines Staatsfonds für die Umwandlung der Erträge aus der Wasserkraft in eine „ewige“ Rente diskutiert werden.
Stossrichtung 6: Vorbereitung der Heimfälle
Zwischen 2035 und 2055 werden die grossen Kraftwerke in Graubünden den Gemeinden und dem Kanton „heimfallen“. Es ist heute absehbar, dass bei diesen Heimfällen markante Werte zu verhandeln sein werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, bereits frühzeitig über die Verwendung der dannzumal fliessenden Mittel zu diskutieren. Wenn die Politik aber auf ein ressourcenrentenbasiertes Wasserzinssystem umsteigen würde und die Energiepreise wie erwartet ansteigen, dürfte der Anreiz sich für die Stromproduzenten sowieso erhöhen, frühzeitig Wasserkraftwerke zu erneuern oder auszubauen und damit die Heimfallverhandlung wesentlich vorzuziehen. Aus diesem Grund sollten die Gemeinden gemeinsam mit dem Kanton „Best-Practice“Richtlinien für die Verteilung und Verwendung der entsprechenden Mittel erarbeiten und gemeinsam Verhandlungsstrategien für frühzeitige Heimfälle entwickeln.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
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Merksätze für die Heimfallverhandlungen
5.3
Ö
Die grossen ordentlichen Heimfälle erfolgen ab dem Jahr 2035.
Ö
Sofern die prognostizierten Preiserhöhungen an den Märkten eintreten, könnten Elektrizitätsgesellschaften Interesse an deutlich vorgezogenen Heimfallverhandlungen bekunden.
Ö
Gemeinden und Kanton haben ein Interesse, Konzessionsverhandlungen vorzuziehen.
Ö
Damit der Standort Graubünden künftig optimal von der Ressourcenrente aus der Wasserkraft profitieren kann, gilt es für Kanton und Gemeinden bei den Verhandlungen an einem Strang zu ziehen und eine gemeinsame Strategie (unité de doctrine) zu entwickeln.
Abschliessende Bemerkungen
Sofern die Stossrichtungen des Aktionsplans umgesetzt werden, würden folgende wesentliche Veränderungen gegenüber dem heutigen Stand resultieren (vgl. Tab. 20): Tab. 20: Gegenüberstellung von aktuellen Systemen und zu prüfenden Veränderungen
Handlungsfeld
Aktuelle Politik
Änderungsvorschläge
Politikziele (bzgl. Wasserkraftnutzung)
Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraftnutzung beibehalten
Ö
Aktuellen Status beibehalten
Ö
Bewilligungsverfahren für Kraftwerkausbau/-umbau/ -ersatz straffen/verwesentlichen
Erträge aus Wasserkraftnutzung sind zu steigern Energiepolitik in der Öffentlichkeit darlegen Umweltgesetzgebung
Verschiedene Gesetze in Kraft; zum Teil neue Begehren durch Initiativen
Ablehnung Fischerei-Initiative Keine Zweckbindung von Wasserzinsen für Umweltanliegen Wasserzinssystem
Bund legt maximalen Wasserzins fest
Ö
Ressourcenrentenabhängiges Wasserzinssystem einführen Prüfen, ob Wasserzinsen und Ertragssteuern gekoppelt werden können
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Handlungsfeld
Aktuelle Politik
Änderungsvorschläge
Neue/Verlängeru ng von Konzessionen (Ausgestaltung)
Oft marginale Beteiligungen der öffentlichen Hand an Kraftwerken sowie Gratisenergie
Ö
Solange das aktuelle Wasserzinssystem nicht angepasst wird, markante Energiebezugsrechte oder Gewinnbeteiligungen statt Investitionsbeteiligungen vereinbaren
Neue/Verlängeru ng von Konzessionen (Verfahren)
Kompetenzenteilung zwischen Gemeinde, Kanton und Bund
Ö
Kompetenzen tendenziell beim Kanton ansiedeln. Prüfen, ob Wasserhoheit dem Kanton zuzuweisen ist. Bewilligungsverfahren für Kraftwerkausbau/-umbau/ -ersatz straffen/verwesentlichen
Heimfall
Verschiedene Varianten der Heimfallregelung möglich
Ö
Solange das aktuelle Wasserzinssystem nicht angepasst wird, markante Energiebezugsrechte oder Gewinnbeteiligungen statt Investitionsbeteiligungen vereinbaren
Partnerwerkbesteuerung
Umsatz aus tatsächlichem Verkauf als prägende Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der Partnerwerke (vgl. Modell Pfeiffer, derzeit gekündigt)
Ö
Im Gleichschritt mit der Marktliberalisierung: Internationale Marktpreise als prägende Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der Partnerwerke anwenden
Abstimmung der Abschöpfung der Ressourcenrente und Besteuerung
Ressourcenrente wird derzeit durch verhältnismässig hohe Steuern teilweise abgeschöpft, da Wasserzinsmaximum vorgegeben ist
Ö
Reform des Wasserzinssystems (Ressourcenrentensystem) zur Abschöpfung der Ressourcenrente
Nutzniesser der Einnahmen aus Heimfällen und Wasserzinsen
Kanton 50%; Gemeinden 50%
Ö
Neuregelung der Verteilung unter Einhaltung bestimmter Kriterien notwendig
Verwendung staatlicher Einnahmen aus Wasserzinsen und Heimfällen
keine Vorgaben
Ö
Einsatz für gemeinsame Tiefsteuerstrategie von Kanton und Gemeinden
Im Gegenzug Strategie der Steuersenkung für juristische Personen umsetzen
Allenfalls prüfen, ob Staatsfonds gebildet werden soll
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
113
Handlungsfeld
Aktuelle Politik
Änderungsvorschläge
Rätia Energie AG
Kanton und Gemeinden als Hauptaktionäre halten Sperrminorität
Ö
Aktuellen Status beibehalten
Grischelectra AG
Vehikel zur Unterstützung von Gemeinden und Kanton zur Verwertung der Beteiligungs-/ Ersatzenergie
Ö
Anpassung drängt sich nicht auf. Allenfalls Überprüfung der Struktur je nach Entwicklungen in der Energiewirtschaft
Mit dem vorliegenden Bericht und Aktionsplan möchte das Wirtschaftsforum Graubünden die Bündner Politik und alle betroffenen Institutionen und Personen für die Herausforderungen, aber auch grossen Chancen der Elektrizitätswirtschaftspolitik in Graubünden sensibilisieren und eine breite Diskussion über den Handlungsbedarf und die geeigneten Handlungsansätze provozieren. Die verhältnismässig breite Analyse soll den Akteuren zudem Daten und Fakten an die Hand geben, um die entsprechenden Diskussionen führen zu können.
Strom – Bündner Exportprodukt mit Zukunft
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Berichtsinhalt in 60 Sekunden •
Weil die wirtschaftlichen Potenziale aus neuen erneuerbaren Energien im Vergleich zu denjenigen der Grosswasserkraft für Graubünden (vorläufig noch) marginal sind, hat das Wirtschaftsforum seine Betrachtungen im vorliegenden Bericht auf die Grosswasserkraft fokussiert.
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Der Ölpreis hat sich in den letzten 6 Jahren versechsfacht. Steigende Ölpreise bedeuten steigende Energie- und insbesondere steigende Strompreise.
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Graubünden könnte von dieser Entwicklung als Stromexporteur profitieren. Es ist davon auszugehen, dass dieses Potenzial mehrere CHF 100 Mio. betragen könnte. Die Potenziale bestehen in Form von (1) Marktpreiserhöhungen, (2) Ausbau des internationalen Stromhandels und (3) Ausbau der Produktionskapazitäten.
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Aufgrund des aktuellen rechtlichen Rahmens (Wasserzinsen, Partnerwerkbesteuerung) wird der Standort Graubünden jedoch nur unwesentlich profitieren können.
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Damit das Potenzial für Graubünden erschlossen werden kann, braucht es eine vollständige Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes in der Schweiz und in Europa. Es braucht zudem eine Anpassung der Wasserzinssystematik und der Bemessungssystematik für die Partnerwerkbesteuerung.
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Weiter gilt es, die bestehenden Optimierungs- und Ausbaupotenziale für die Kraftwerke in Graubünden zu nutzen. Das Wirtschaftsforum geht davon aus, dass die Energieproduktion in Graubünden im Rahmen der aktuellen Strompreisprognosen wirtschaftlich um ca. 10% gesteigert werden könnte.
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Sofern es dem Wirtschaftsstandort Graubünden gelingt, einen angemessenen Anteil an der entstehenden Ressourcenrente zu sichern, ist eine Diskussion um eine sinnvolle Verwendung der erzielten Mittel notwendig.
Das Wirtschaftsforum Graubünden versteht sich als Denkwerkstatt der Wirtschaft und setzt sich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandortes Graubünden ein. Das Wirtschaftsforum stellt sein reiches Wissen über wirtschaftliche Entwicklungen und Zusammenhänge in Graubünden der Öffentlichkeit in Form von Berichten, Referaten und Diskussionen zur Verfügung. Auf Einladung sind Vertreter des Wirtschaftsforums jederzeit gerne bereit, an Podiumsdiskussionen teilzunehmen oder als Referenten aufzutreten.