Schülervorstellungen zu historischem Wandel: Eine empirische ...

sollen die Lerner Bedeutung, also Vorstellungen, erzeugen. 50 ... 56 Siehe Kattmann, Ulrich/Duit, Reinders/Komorek, Michael: Das Modell der Didaktischen.
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Anna Dück

Schülervorstellungen zu historischem Wandel Eine empirische Untersuchung

disserta Verlag

Dück, Anna: Schülervorstellungen zu historischem Wandel: Eine empirische Untersuchung, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-130-8 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-131-5 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................................. 7 2 Theoretische Grundlagen ....................................................................................... 9 2.1 Theoretischer Bezugsrahmen ............................................................................. 9 2.1.1 Zum Begriff „Schülervorstellungen“ .......................................................... 9 2.1.2 Conceptual Change-Forschung ................................................................. 12 2.1.3 Schülervorstellungen als Voraussetzung für das Lernen .......................... 14 2.1.4 Gründe für die Erforschung von Schülervorstellungen allgemein und zu historischem Wandel ..................................................................................... 15 2.1.5 Schülervorstellungen zu Geschichte ......................................................... 17 2.1.6 Zum Begriff des historischen Wandels ..................................................... 18 2.2 Forschungsstand ............................................................................................... 20 2.2.1 Erforschung von Schülervorstellungen in der Geschichtsdidaktik ........... 20 2.2.2 Untersuchungen zu Schülervorstellungen zu historischem Wandel ......... 22 3 Fragestellung ......................................................................................................... 27 3.1 Untersuchungsfrage.......................................................................................... 27 3.2 Ziele.................................................................................................................. 28 4 Forschungsmethode .............................................................................................. 29 4.1 Untersuchungsinstrument ................................................................................. 29 4.2 Konzeption des Leitfaden-Interviews .............................................................. 33 4.3 Untersuchungssample ...................................................................................... 40 4.4 Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Ergebnisse ........................................ 40 4.5 Datenerhebung ................................................................................................. 44 4.6 Datenaufbereitung ............................................................................................ 49 4.7 Auswertungsmethode ....................................................................................... 50 5 Ergebnisse .............................................................................................................. 55 5.1 Frage I: Nehmen Schüler historischen Wandel wahr? ..................................... 55 5.2 Frage II: Wie erklären Schüler historischen Wandel? ..................................... 70 5.3 Unterfragen ...................................................................................................... 81 5.4 Rückbezug zu anderen Studien ........................................................................ 84 6 Kritik ...................................................................................................................... 87 7 Fazit ........................................................................................................................ 89 8 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 91

9 Internetquellenverzeichnis ................................................................................... 94 10 Anhang ................................................................................................................. 95 10.1 Leitfaden-Interview ........................................................................................ 95 10.2 Interviewtranskripte ..................................................................................... 104 10.3 Auswertungstabellen .................................................................................... 183

1 Einleitung Wenn man einen Lehrer danach fragt, dann weiß dieser, dass Schüler nicht als „tabula rasa“ in den Unterricht kommen, sondern bereits viele Vorstellungen zu den unterschiedlichsten Themen besitzen. Die Vorstellungen stammen aus Gesprächen mit Eltern, Freunden, dem Lesen von Büchern und aus anderen Medien. Ohne diese bereits vorhandenen Vorstellungen wäre Lernen nicht möglich, denn jeder Mensch greift beim Lernen neuer Inhalte auf das ihm zur Verfügung stehende Vorwissen, auf seine Vorstellungen, zurück und verknüpft die bestehenden Wissensinhalte mit dem neuen Wissen. Daher spielen die Vorstellungen beim Lernen neben anderen Faktoren eine bedeutende Rolle.1 Auch in den Sachunterricht der Grundschule und den späteren Geschichtsunterrichts an der weiterführenden Schule bringen Schüler ihre Vorstellungen zu historischen Ereignissen und zur Vergangenheit mit. So viel Geschichte wie heute gab es noch nie, in der Buchhandlung finden sich bereits für Grundschüler Bücher zu historischen Themen und auch Fernsehsendungen für Kinder wie „Die Sendung mit der Maus“, „Löwenzahn“ oder „Wissen macht Ah!“ greifen historische Sachverhalte heraus. Kinder besitzen oft die Vorstellung, dass es sich bei Geschichte um etwas handelt, das sich definitiv so in der Vergangenheit ereignet hat, sie sprechen der Geschichte einen Wahrheitsanspruch zu. Der Historiker würde dem entgegenhalten, dass es sich bei Geschichte um die Rekonstruktion von Vergangenheit handelt. Doch welche Vorstellungen haben Kinder und Jugendliche von Geschichte außerdem? In der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik sind die Vorstellungen von Schülern bislang nicht sehr umfangreich untersucht worden. Damit hat man sich die Möglichkeit genommen, die Schülervorstellungen zu einem Thema zu kennen und aufgrund dieses Wissens den Schülern bessere Lerngelegenheiten zu bieten. In den Didaktiken der Naturwissenschaften wurden diese Chance besser genutzt, denn hier findet bereits seit einem längeren Zeitraum die Erforschung von Schülervorstellungen statt. Um die damit verbundenen Chancen zu nutzen, sollten auch in der Geschichtsdidaktik vermehrt Untersuchungen zu Schülervorstellungen durchgeführt werden. Die vorliegende Untersuchung möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten. In der Untersuchung werden Vorstellungen von Grundschülern zu historischem Wandel erhoben. Es wird den Fragen nachgegangen, ob Grundschüler 1

Eine genauere Begründung dafür, weshalb es sinnvoll und wichtig ist, Schülervorstellungen zu erheben, findet sich unter Punkt 2.1.4.

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der vierten Klassen historischen Wandel überhaupt wahrnehmen und welche Verursachungsfaktoren sie für historischen Wandel anführen. Hierfür werden in Einzelinterviews Viertklässler mit Hilfe eines konzipierten Leitfadens zu den Themenbereichen „Spielen und Spielzeuge“ und „Gegenstand zum Kochen“ befragt. Als Auswertungsmethode wird die Qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring verwendet. Da historischer Wandel die gesamte Geschichte durchzieht und Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist,2 ist es auch wichtig zu erforschen, welche Vorstellungen Grundschüler zu historischem Wandel besitzen. Es wird nun ein Überblick über die Gliederung der Arbeit gegeben: Den Anfang bildet

der

Theoretische

Bezugsrahmen,

in

dem

es

um

den

Begriff

„Schülervorstellungen“, die mit ihm verbundene Conceptual Change-Forschung, die Vorstellungen als Voraussetzung für Lernen, die Gründe für die Erforschung von Vorstellungen, die allgemeinen Vorstellungen von Schülern zu Geschichte und kurz um den historischen Wandel selbst geht. Daran schließt sich die Beschreibung des Forschungsstandes an, in der einige empirische Untersuchungen Erwähnung finden. Unter Punkt drei werden die Fragestellung und die Ziele der Arbeit formuliert. Der nächste große Block ist der methodische Teil, in dem unter anderem die Stichprobe, die Erhebungsmethode, die Konzeption des Leitfadens und die Auswertungsmethode erläutert werden. Daran schließt sich die Vorstellung der Ergebnisse der Erhebung an. Den Schluss bilden die Kritik, also die Benennung von Schwachstellen und Vorteilen der Untersuchung und das letztendliche Fazit, dem das Literatur- und Internetquellenverzeichnis folgt. Im Anhang finden sich das Leitfaden-Interview, die angefertigten Transkripte zu den insgesamt fünf durchgeführten Interviews und die Auswertungstabellen, sowohl die einzelnen Tabellen für die Schüler als auch die Tabellen, in denen die Vorstellungen der Schüler und die ermittelten Konzepte, dargestellt werden.

2

Vgl. Kocka 2008, S. 20.

8

2 Theoretische Grundlagen 2.1 Theoretischer Bezugsrahmen 2.1.1 Zum Begriff „Schülervorstellungen“ Da die vorliegende Untersuchung das Ziel verfolgt, die Vorstellungen von Grundschülern zu historischem Wandel zu erheben, soll zunächst geklärt werden, was sich hinter dem

Begriff der „Schülervorstellungen“ verbirgt. Der Begriff

„Schülervorstellungen“ wurde zunächst in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken und in der Kognitionspsychologie eingeführt und diskutiert.3 Synonyme für diesen Begriff sind nach Möller Vorwissen, Alltagsvorstellungen, Vorerfahrungen und Präkonzepte.4 Die Erforschung von Schülervorstellungen ist in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken stark verbreitet.5 Es lassen sich zahlreiche Untersuchungen der Schülervorstellungen zu den unterschiedlichsten Themen wie zum Beispiel Schall, Magnetismus und Elektrizitätslehre finden.6 In der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik sind Schülervorstellungen zur Geschichte bisher weniger umfassend erforscht worden als

in den Fachdidaktiken der Natur-

wissenschaften.7 Näheres hierzu unter Punkt 2.2. Seit einigen Jahren spielt jedoch auch in der deutschen Geschichtsdidaktik der Begriff der Schülervorstellungen eine wichtige Rolle.8 Zurück zu der Frage, was in der Geschichtsdidaktik unter „Schülervorstellungen“ verstanden wird. Der Begriff „Schülervorstellungen“ lässt sich aus dem englischen Wort conception ableiten, was übersetzt Vorstellung bedeutet.9 Bei Schülervorstellungen handelt es sich um Begriffe, Konzepte und Theorien, mit denen ein bestimmter Sachverhalt erklärt wird.10 Schülervorstellungen zu Geschichte werden von Schülerinnen und Schülern11 mit in den Unterricht gebracht und können das historische Lernen wesentlich beeinflussen.12 Vorstellungen 3

Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 27. Vgl. Möller 1999, S. 140. 5 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 27. 6 Siehe hierfür z.%. das Buch von Rainer Müller u.a. (Hrsg.): Schülervorstellungen in der Physik. Festschrift für Hartmut Wiesner. 2. unverä. Aufl., Köln 2007. 7 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 27. 8 Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 25. 9 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 217. 10 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 27. 11 Im Folgenden wird die Kurzform „Schüler“ verwendet, auch wenn „Schülerinnen und Schüler“ gemeint sind. 12 Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 25. 4

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können sich auf die verschiedenen historischen Phänomene beziehen, zum Beispiel auf Personen, Institutionen, Handlungen, Ereignisse und Strukturen, auf Motive von Personen oder den Zusammenhang von Ursachen und Folgen eines Ereignisses.13 Schülervorstellungen sind Alltagskonzepte oder implizite Theorien, wobei diese sich bei der Erklärung von Ereignissen und Phänomenen als brauchbar erwiesen haben.14 Die impliziten Theorien sind sehr resistent und so kann auch jahrelanger Unterricht sie kaum ändern. Das Wissen, das sich aus vielfältigen Alltagserfahrungen speist15 und das Wissen, das in der Schule erworben wird, bestehen oft völlig unverbunden nebeneinander. Günther-Arndt gibt Duit wieder, der sagt, dass der jeweilige Kontext darüber entscheide, welche Art von Wissen aktiviert wird. Solange die Alltagstauglichkeit des Wissens vorhanden ist, sich das Wissen also in verschiedenen Situationen bewährt und als ausreichend herausgestellt hat, gibt es für das Individuum kaum Gründe, seine Vorstellungen zu verändern.16 Der Erwerb von Vorstellungen findet tagtäglich statt, vor und neben der Schule.17 Schülervorstellungen entstehen durch Alltagserfahrungen und durch Informationen und Meinungen, die einen Einfluss auf das Kind ausüben wie das Elternhaus, Freunde und Medien.18 So kommt es, dass Schüler nicht als „tabula rasa“ in die Schule kommen, sondern sie bringen ihre Vorstellungen mit und nutzen diese, um beispielsweise historische Sachverhalte zu verstehen.19 Schülervorstellungen sind dem Lernprozess wie ein Filter vorgeschaltet.20 Beim Lernen allgemein, so zum Beispiel auch bei dem Versuch, neue historische Sachverhalte zu erklären und zu verstehen, greifen Kinder auf ihre bereits vorhandenen Vorstellungen zurück und verwenden diese, um den neuen Sachverhalt zu begreifen. Schülervorstellungen stellen also Lernvoraussetzungen für historisches Lernen dar.21 Schülervorstellungen zu verschiedenen Themen können den Geschichtsbetrachtungen der Schüler zugrunde liegen, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. So verstehen Kinder und Jugendliche Geschichte oft als Folge des intentionalen Handelns Einzelner. Diese Vorstellung prägt ihr Verständnis von Geschichte, oft ohne, dass sie sich dessen

13

Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 218. Ebd., S. 218. 15 Vgl. Duit 1993, S. 4. 16 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 218. 17 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 27. 18 Vgl. Möller 1999, S. 140. 19 Vgl. Günther-Arndt 2006, S. 274. 20 Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 25. 21 Ebd., S. 25f. 14

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bewusst sind. In der Regel wurde keine bewusste Entscheidung für ein derartiges Geschichtsbild getroffen, sondern es wird intuitiv verwendet.22 Die nichtwissenschaftlichen Vorstellungen werden in der Geschichtsdidaktik anders als in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken nicht als „Fehlkonzepte“ bezeichnet, denn wissenschaftliche Konzepte sind ohne lebensweltliche Vorstellungen unfruchtbar.23 Forschungsergebnisse der nichtdeutschen Geschichtsforschung haben gezeigt, dass Lernende im Fach Geschichte keine ausgesprochenen „Fehlkonzepte“ zu den verschiedenen Sachverhalten verwenden, jedoch nur selten ein konzeptuelles Verständnis von Geschichte entwickeln.24 Streng genommen, sind jedoch die Vorstellungen, die als Schüler-vorstellungen bezeichnet werden, die Vorstellungen des Forschers von den Vorstellungen der Schüler. Die Schülervorstellungen sind Konstruktionen des Forschers.25 Der Erwachsene und seine Perspektive bilden den Ausgangspunkt bei der Erfassung von Schülervorstellungen.26 An dieser Stelle ist es wichtig anzuführen, dass es in der Geschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft auch andere Vorstellungsbegriffe gibt, die nicht mit der Definition von conceptions deckungsgleich sind. Von Bodo von Borries wird unter Vorstellungen ein Bündel von kognitiven und affektiven Lernervoraussetzungen und Lernermerkmalen verstanden. Dazu gehören Wissen, Vorurteile, Einstellungen, Erwartungen, Phantasien, Erinnerungen, Denkfiguren und Moralurteile. In der Geschichtswissenschaft findet sich der Begriff Vorstellungen ebenfalls, wobei hierunter Deutungen der Vergangenheit verstanden werden, die sich weder aus den in den Quellen überlieferten Spuren noch aus den Verfahren der Historiker ergeben.27 In der vorliegenden Untersuchung werden unter Schülervorstellungen, wie oben bereits aufgeführt, Begriffe, Konzepte und Theorien verstanden, die zur Erklärung von Sachverhalten herangezogen werden.28

22

Ebd., S. 25. Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 31f. 24 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 218. 25 Vgl. Duit 1997, S. 241. 26 Vgl. Kaiser 1997, S. 195. 27 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 218. 28 Vgl. Günther-Arndt 2006, S. 274. 23

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2.1.2 Conceptual Change-Forschung Die Ursprünge der Conceptual Change-Forschung liegen in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken. Im Kern ging es, wie der Name bereits deutlich werden lässt, um die Erreichung des Wechsels des Konzeptes im Unterricht, also weg vom Alltagskonzept hin zum wissenschaftlich angemessenen Konzept. Nachgegangen wurde der Frage, wie es Rahmen eines Lehr-Lern-Prozesses möglich ist, die Ersetzung oder Ergänzung der Alltagskonzepte hin zu wissenschaftlichen Konzepten bei Schülern zu initiieren. Dieser Frage wird seit einigen Jahren auch in den geistesund gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen nachgegangen. Günther-Arndt29 hat, in Anlehnung an die nicht zur deutschen Geschichtsdidaktik gehörenden Wissenschaftler Ola Halldén und Margarita Limón, die aus der Naturwissenschaft kommende Conceptual Change-Forschung auf das historische Lernen angewendet.30 Klar davon zu trennen ist die Geschichtsbewusstseinsforschung,31 in der die deutschsprachige Geschichtsdidaktik bis vor einigen Jahren ihren Schwerpunkt hatte.32 Die Conceptual Change-Forschung hat das Ziel, herauszufinden, ob und auf welche Weise lebensweltliche Konzepte Schülern das Verstehen und Erklären von historischen Sachverhalten erschweren und ob und wie durch Unterricht Schülervorstellungen beeinflusst werden können hin zu wissenschaftlich angemessenen Konzepten.33 Die Annahme, dass es zwei Wissenssysteme gibt, liegt der Conceptual Change-Forschung zugrunde.34 Bei den Wissensdomänen handelt es sich um die Domäne des Alltagswissens und um die Domäne der wissenschaftsförmigen Konzepte. Bei der Domäne des Alltagswissens handelt es sich um Wissensbestände, die bei alltäglichen Problemlösungen angewendet werden, ohne wissenschaftlich triftig sein zu müssen. Mit diesem Wissen können Individuen alltägliche Phänomene beschreiben und erklären. Die andere Domäne beinhaltet wissenschaftsförmige Konzepte.35 Ziel des Unterrichts sollte die Förderung des Konzeptwechsel oder der Wissensveränderung sein. Dieser Wechsel ist jedoch nicht leicht. Um die Schüler 29

Auch der Begriff der Schülervorstellung wurde von der von Günther-Arndt initiierten Forschungsgruppe im Rahmen des Promationsprogramms „PRODID Fachdidaktische LehrLernforschung – Didaktische Rekonstruktion“ an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vor einigen Jahren in die deutschsprachige Geschichtsdidaktik eingeführt. (Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 26.) 30 Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 26. 31 Ebd., S. 26. 32 Vgl. Günther-Arndt 2006, S. 274. 33 Ebd., S. 266. 34 Ebd., S. 273. 35 Ebd., S. 273f.

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bei dem Konzeptwechsel unterstützen zu können, müssen die vorhandenen Schülervorstellungen zu einem bestimmten Thema bekannt sein, denn Schülervorstellungen können ein wissenschaftlich angemessenes Verständnis von Geschichte erschweren, vielleicht sogar verhindern. Erst wenn die Schülervorstellungen bekannt sind, können Unterrichtsstrategie und -materialien erarbeitet werden, die die Schüler bei dem Konzeptwechsel unterstützen.36 Das Ziel

ist das Finden von unterrichtlichen

Möglichkeiten zur Verbesserung des historischen Verständnisses der Schüler.37 Die Wichtigkeit der Conceptual Change-Forschung und somit auch die Erforschung von Schülervorstellungen sind also unübersehbar. Auch wenn die Conceptual Change-Forschung in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken bereits weiter fortgeschritten ist als in der Geschichtsdidaktik, betont Günther-Arndt, dass die historische Conceptual Change-Forschung Fragestellungen, Theorien und Methoden nicht umstandslos aus der naturwissenschaftlichen Conceptual Change-Forschung übernehmen könne, da sie den Besonderheiten der Geschichte angepasst werden müsse. Auch seien die naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse zum Concepual Change nicht ohne Abänderungen auf den geschichtlichen Wissensaufbau zu übertragen.38 So sind die Grenzen zwischen Alltagskonzepten und wissenschaftsförmigen Konzepten aufgrund der Besonderheit des Faches Geschichte eher durchlässig. Dies ist ein zentraler Unterschied im Vergleich zu naturwissenschaftlichen Alltagskonzepten, die oft schlichtweg falsch sind und auch als „Fehlkonzepte“ bezeichnet werden.39 In der Geschichtsdidaktik dagegen

werden,

wie

oben

bereits

erwähnt,

die

nichtwissenschaftlichen

Vorstellungen nicht als „Fehlkonzepte“ bezeichnet,40 da Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass Lernende im Fach Geschichte keine ausgesprochenen „Fehlkonzepte“ zu den verschiedenen Sachverhalten verwenden, jedoch nur selten ein konzeptuelles Verständnis von Geschichte entwickeln.41

36

Vgl. Günther-Arndt 2006, S. 273f. Ebd., S. 274. 38 Ebd., S. 273. 39 Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 27. 40 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 31f. 41 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 218. 37

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2.1.3 Schülervorstellungen als Voraussetzung für das Lernen Der Gedanke, dass das Vorwissen für das Lernen wichtig ist, ist nicht neu. Walter Jung weist darauf hin, dass bereits Friedrich Diesterweg 1835 gefordert hat, dass der Standpunkt des Schülers Ausgangspunkt sei und er vor dem Unterricht zu erforschen sei. Der Lehrer müsse den Standpunkt seines Schülers kennen.42 Auch Ausubel sieht die Bedeutsamkeit des Vorwissens für das Lernen: „Der wichtigste Faktor, der das Lernen beeinflusst, ist das, was der Lernende bereits weiß“43. Der Konstruktivismus interpretiert Lernen als die Veränderung von Schülervorstellungen.44 Lernen ist aus konstruktivistischer Sicht ein aktiver Konstruktionsprozess auf der Basis bereits vorhandener Vorstellungen. Unter Zuhilfenahme des vorhandenen Wissens findet die Konstruktion von neuem Wissen statt.45 Im Lernprozess wird vom Lernenden neues Wissen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft.46 Ohne Schülervorstellungen fände kein Lernen statt, da sie den Rahmen für die Verarbeitung neuer Informationen bilden.47 Die „alten“ Vorstellungen müssen vorhanden sein, damit neue Vorstellungen gebildet werden können.48 Vorstellungen sind subjektiv, es sind Prozesse, die im Gehirn eines Individuums ablaufen, wobei jedes Individuum seine Vorstellungen selbst erzeugt. Sie können weder im Unterricht noch in anderen Situationen weitergegeben werden. Der Lehrer kann sein Wissen nicht an seine Schüler weitergeben.49 Sondern diese müssen selbst aktiv werden und ihre bereits vorhandenen Vorstellungen als Basis für den Aufbau neuen Wissens verwenden. Vorstellungen können zwar nicht

weitergegeben, jedoch vermittelt

werden über zwei grundsätzliche Mittel: Die Sprache und die Fakten. Bei der Kommunikation wird versucht, Vorstellungen oder Bedeutungen durch unser Zeichensystem, die Sprache auszudrücken. Das Gegenüber hingegen versucht den verwendeten Zeichen Bedeutungen zuzuweisen, also zu verstehen und zu begreifen, was der Sprecher gemeint hat. Ob der Versuch der Weitergabe von Vorstellungen

42

Vgl. Jung 1985, S. 12. Vgl. Ausbuel u.a. 1980, S. 5. 44 Vgl. Möller 1999, S. 141. 45 Vgl. Duit 1993, S. 6f. 46 Vgl. Günther-Arndt/Sauer 2006, S. 9. 47 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 219. 48 Vgl. Gropengießer 2007, S. 29. 49 Ebd., S. 26. 43

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oder Bedeutungen jedoch gelingt, ist nicht sicher. Bei der Bezugnahme auf Fakten sollen die Lerner Bedeutung, also Vorstellungen, erzeugen.50 Schülervorstellungen sind demnach für den Aufbau neuen Wissens unerlässlich. Sie können jedoch auch ein Lernhindernis sein, und zwar dann, wenn sie die Aneignung eines wissenschaftlich angemessenen Sachverhalts behindern.51 Die Bedeutung der Schülervorstellungen für das Lernen darf folglich nicht unterschätzt werden. Der Lehrer als Arrangeur von Lernprozessen sollte ein Bild von den Vorstellungen seiner Schüler haben, damit er den Schülern passende Lerngelegenheiten zum aktiven Lernen zur Verfügung stellen kann.

2.1.4 Gründe für die Erforschung von Schülervorstellungen allgemein und zu historischem Wandel An dieser Stelle soll zunächst begründet werden, weshalb die Untersuchung von Schülervorstellungen allgemein und dann in eine zweiten Schritt, weshalb gerade die Erhebung von Vorstellungen zu historischem Wandel sinnvoll ist. Wie bereits im vorherigen Punkt erläutert wurde, sind Schülervorstellungen außerordentlich wichtig für das Lernen, denn während des Lernens wird von Lernenden neues Wissen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft.52 Wäre Wissen nicht bereits vorhanden, würde

Lernen

nicht

stattfinden.

Schülervorstellungen 53

Anknüpfungspunkte für den Aufbau neuen Wissens

bilden

notwendige

und spielen somit im

Lernprozess eine außerordentlich wichtige Rolle. Wenn Unterricht erfolgreich sein will, ist das Anknüpfen an das Vorwissen der Schüler notwendig.54 Bestimmte Schülervorstellungen können jedoch auch ein Lernhindernis sein, wenn sie die Aneignung eines wissenschaftlich angemessenen Sachverhaltes behindern.55 Der Lehrer hat einen gewaltigen Vorteil, wenn er typische Schülervorstellungen zu einem bestimmten Unterrichtsthema kennt, denn dann kann er die Schüler bei dem Aufbau neuen Wissens besser unterstützen. Ansonsten kann es sein, dass die Schüler aus einem dem Lehrer nicht ersichtlichen Grund bestimmte Sachverhalte nicht verstehen und die Ursache hierfür eventuell in ihren Vorstellungen begründet ist. Der 50

Ebd., S. 26f. Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 219. 52 Vgl. Günther-Arndt/Sauer 2006, S. 9. 53 Vgl. Günther-Arndt 2005, S. 4. 54 Vgl. Jenisch 2004a, S. 275. 55 Vgl. Günther-Arndt 2004, S. 219. 51

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Lehrer, der die Vorstellungen seiner Schüler nicht kennt, kann schlechter Vermutungen darüber anstellen, was den Schülern während eines bestimmten Lernprozesses Schwierigkeiten bereitet. Sicherlich können nicht vor jeder Unterrichtseinheit die Vorstellungen der Schüler der zu unterrichtenden Klasse erhoben werden, da hierfür im Schulalltag schlicht zu wenig Zeit zur Verfügung steht, doch bereits die Kenntnis der typischen Schülervorstellungen zu einem Thema kann dem Lehrer bei der Unterrichtsgestaltung eine Hilfe sein. Es ist ihm möglich, den Schülern angemessene Lerngelegenheiten zu schaffen. Auch aus der Perspektive des Modells der Didaktischen Rekonstruktion56 ist die Erfassung von Lernerperspektiven wichtig. Die Grundannahme des Modells ist, dass es

nicht

ausreichend

ist,

den

Unterrichtsgegenstand

lediglich

aus

der

fachwissenschaftlichen Perspektive zu analysieren und ihn dann so aufzuarbeiten, dass er Schülern präsentiert werden kann. Die fachlichen Gegenstände müssen mit den Lernervorstellungen in Beziehung gesetzt werden, um einen Unterrichtsgegenstand entwickeln zu können. Zwischen dem fachlichen Wissen und den Schülervorstellungen muss eine Beziehung hergestellt werden, denn die vorhandenen Schülervorstellungen zu einem Gegenstand sind für das Lernen und somit auch das Lehren von zentraler Bedeutung. Erst nach der fachlichen Klärung und der Erfassung der Lernerperspektive beginnt die Didaktische Strukturierung des Unterrichtsgegenstandes.57 Dass die Erforschung und Erhebung von

Schülervorstellungen

wichtig ist, sollte deutlich geworden sein. Einen kleinen Beitrag dazu will auch die vorliegende Untersuchung leisten. Nun noch eine kurze Begründung dazu, weshalb gerade Vorstellungen zu historischem

Wandel

erhoben

werden.

Wenn

Schüler

im

Sach-

oder

Geschichtsunterricht ein historisches Thema erarbeiten, werden sie auf die Unterschiede zwischen „früher“ und „heute“ aufmerksam

gemacht. Historische

Wandel durchzieht die gesamte Geschichte. Wandel ist der Gegenstand der Geschichtswissenschaft.58 Wandel durchzieht alle Bereiche des menschlichen Lebens, fast Nichts bleibt so, wie es einmal war. Wenn der Wandel so bedeutend ist, dann ist es auch wichtig zu erforschen, welche Vorstellungen Grundschüler zu

56

Siehe Kattmann, Ulrich/Duit, Reinders/Komorek, Michael: Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion – Ein theoretischer Rahmen für naturwissenschaftsdidaktische Forschung und Entwicklung. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften 3 (1997), Heft 3, S. 3-18. 57 Vgl. Kattmann/Duit/Komorek 1997, S. 12. 58 Vgl. Kocka 2008, S. 20.

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historischem Wandel haben. Schüler machen sich bewusst und zum Teil auch unbewusst Gedanken über Veränderungen. Was sind die Gründe für Wandel? Warum verändern sich Dinge, Lebensweisen und vieles mehr? Es kommt zur Bildung von Vorstellungen zu historischem Wandel. Diese Vorstellungen bestimmen das historische Lernen in der Schule. Wenn der Lehrer die Vorstellungen seiner Schüler kennt, kann er ihnen geeignete Lernangebote zur Verfügung stellen und sie bei der Bildung neuer Vorstellungen unterstützen.

2.1.5 Schülervorstellungen zu Geschichte Wie bereits deutlich geworden ist, erhebt die Arbeit Schülervorstellungen von Viertklässlern zu historischem Wandel. Um einen ersten Einblick in

Schüler-

vorstellungen zu Geschichte allgemein zu ermöglichen, werden nun kurz einige Vorstellungen von Schülern zu Geschichte zusammengestellt. Historische Ereignisse und Veränderungen werden von Schülern praktisch bis zum Ende der Schulzeit mit Alltagskategorien und -erfahrungen erklärt, so zum Beispiel mit Motiven wie Rache oder Profit, die auch Institutionen zugeschrieben werden. Günther-Arndt gibt Halldén wieder, nach dem das Hauptmerkmal der Schülervorstellungen die Personalisierung und Personifizierung der Geschichte sei. Die Schüler hätten die Vorstellung, dass Geschichte von großen Männern und Frauen gemacht wird.59 Wobei meist die Annahme vorherrscht, dass Männer die Geschichte gemacht haben, ein maskulines Geschichtsbild herrscht vor.60 Auch Institutionen wie Kirche und Staat würden Motive zugeschrieben und Strukturen würden von den Schülern mit Personenmerkmalen ausgestattet, so würde zum Beispiel die Struktur

des

Kapitalismus als eine Reihe von Handlungen von verschiedenen Personen interpretiert.61 Außerdem besäßen Schüler ein intentionales Verständnis von Geschichte, so haben historische Ereignisse für sie ihren Grund darin, dass Menschen etwas wollten oder machten.62 Eine besonders wichtige Rolle spielt bei der Erklärung und Deutung von Geschichte mit Alltagserfahrungen der undifferenzierte Gegenwartsbezug. Studien aus verschiedenen Ländern belegen laut Günther-Arndt, dass Schüler sich die

59

Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 28. Vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, S. 25. 61 Vgl. Günther-Arndt 2003, S. 28. 62 Vgl. Günther-Arndt 2006, S. 258. 60

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