Offener Brief Sehr geehrte Frau Kultusministerin ... - NWZonline

17.08.2016 - Einzelförderung geworben. Allerdings werden laut Erlass nur Lerngruppen ab 28 Schülerinnen und. Schülern finanziert. Individuelle Förderung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Chancengleichheit existiert damit nur als Konstrukt in der öffentlichen Darstellung. • In der Öffentlichkeit wird Inklusion als ...
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Offener Brief Sehr geehrte Frau Kultusministerin Heiligenstadt, über die Umsetzung Ihrer aktuellen Schulpolitik sind wir zunehmend irritiert, obwohl wir deren Zielsetzung großenteils unterstützen. • In der Öffentlichkeit wirbt das Land Niedersachsen mit dem Slogan „Gute Lehrer braucht das Land“. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine fundierte Lehrerausbildung die Grundlage guter Bildung ist. Allerdings steht Ihr 17-Punkte-Aktionsplan dem entgegen. Nicht-Lehrkräfte sollen quasi im Schnellverfahren eingestellt werden. Durch solche Schnellschüsse lässt sich Unterrichtsqualität nicht gewährleisten. • In der Öffentlichkeit wird auf Hochglanzpapier für einen individualisierten Ganztag bis hin zur Einzelförderung geworben. Allerdings werden laut Erlass nur Lerngruppen ab 28 Schülerinnen und Schülern finanziert. Individuelle Förderung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Chancengleichheit existiert damit nur als Konstrukt in der öffentlichen Darstellung. • In der Öffentlichkeit wird Inklusion als gelungen dargestellt. Allerdings werden die Lehrkräfte im alltäglichen Unterricht weiterhin alleingelassen. Die erfolgreiche Umsetzung der inklusiven Schule bleibt abhängig vom überdurchschnittlichen Engagement der Lehrkräfte. • In der Öffentlichkeit wird damit geworben, dass überall Sprachlernklassen für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache eingerichtet würden. Allerdings werden Lehrkräfte dafür kaum zur Verfügung gestellt. Unterricht in den Sprachlernklassen bleibt ein Provisorium. • In der Öffentlichkeit wird damit geworben, dass die Schulsozialarbeit gestärkt werde – außer an Gymnasien. Allerdings besuchen zunehmend Schülerinnen und Schüler die Gymnasien, die mehr als nur der üblichen pädagogischen Unterstützung bedürfen. Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben das gleiche Recht wie andere Schülerinnen und Schüler auf angemessene Begleitung. • In der Öffentlichkeit setzt sich das Ministerium für die Durchführung von Klassenfahrten ein und wirbt damit, dass Lehrkräfte für Klassenfahrten besser entlohnt würden. Allerdings wurde vergessen, die Schulbudgets zu erhöhen. Jetzt müssen die Schulen Klassenfahrten streichen, da sie die Aufwandsentschädigungen für die Lehrkräfte nicht bezahlen können (verzichten dürfen Lehrkräfte darauf nicht). Das Mariengymnasium Jever hat im Sinne der Landesregierung schulpolitische Erneuerungen wie die Inklusion und die Beschulung von Flüchtlingen konsequent umgesetzt. Trotz dieses Engagements startet das Mariengymnasium Jever mit einem eklatanten Stundendefizit von ca. 90 wöchentlichen Unterrichtsstunden in das Schuljahr 2016/17 (entspricht dem Pflichtunterricht für drei Klassen), weil der Schule von vorneherein zu wenig Lehrkräfte zugewiesen wurden. Das Mariengymnasium Jever hatte sich damit arrangiert, den Lehrkräftemangel zu verwalten und eine Lösung gefunden, die gerade noch verantwortbar gewesen wäre. Es sollte anteilig am Pflichtunterricht, am Ganztag, am Förderunterricht und an den Sprachlernklassen gespart werden. Auf Anweisung höherer Stelle muss nun aber der Pflichtunterricht vollständig erteilt werden. Dafür fällt beispielweise der Förderunterricht umfangreich aus. Durch den Wegfall einer kompletten Sprachlernklasse mussten teilweise traumatisierte Flüchtlinge innerhalb weniger Tage auf andere Schulen verteilt werden. Betroffen von den jetzigen Einsparmaßnahmen sind schwerpunktmäßig Schülerinnen und Schüler, die aus den unterschiedlichsten Gründen schon benachteiligt sind. Gute Schule und gerechte Bildungschancen lassen sich so nicht umsetzen. Mit diesem offenen Brief wende wir uns an Sie, Frau Kultusministerin Heiligenstadt, in der Überzeugung, dass Schulpolitik nicht nur Propaganda sein kann, sondern auch in der Realität verankert werden muss. Hochachtungsvoll Anja Cotte und Insa Hörnle