newsletter- editorials 2016 - Film TV Video

einfach mehr Geld verdienen will. ... Meinungsfreiheit kosten Geld, etwa auch dann, wenn man .... bei ist das keine Option: Man muss sich einlassen, muss.
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NEWSLETTEREDITORIALS 2016 Sponsored by

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Gesammelte Werke film-tv-video.de ist schon seit 1999 online. Und seit es den Newsletter dieser Plattform gibt, werden wir als Macher auch immer wieder auf die Editorials angesprochen, die traditionell mit der Grußformel »Sie werden sehen« enden. Etliche Leser haben uns im Lauf der Jahre wissen lassen, dass sie besonders an diesen Editorials Gefallen finden und dass sie diese sogar sammeln. Das ist für uns als Autorenteam, das in einem besonders flüchtigen, schnelllebigen Medium zuhause ist, natürlich etwas Besonderes: Es freut uns und wir wollen uns dafür bedanken. Nun wird mit diesem eBook ein hierfür ins Leben gerufenes Projekt Realität — auch weil wir mit Arvato einen Sponsor gefunden haben, der es unterstützt: Vor Ihnen liegen die Editorials des Jahres 2016, in einem eBook versammelt und mit Illustrationen verschönert und angereichert. Die Illustrationen stammen von Jacqueline Kupschus, die uns bei der Umsetzung des Projekts auch in puncto Design und Typographie unterstützt hat. Das eBook verschenken wir als kleines Dankeschön an Sie, liebe Leser. Und wenn das Interesse und das Feedback dazu positiv ausfallen, kann dieses Projekt auch weiter wachsen. Wenn Sie uns etwas dazu mitteilen wollen, sind Sie herzlich dazu eingeladen, über die üblichen Kanäle, über die film-tv-video.de ansprechbar ist, oder über die folgende E-Mail-Adresse: [email protected] Denkbar ist vieles: Von einer gedruckten Ausgabe des aktuellen eBooks, über weitere Jahrgänge, bis hin zu Sammelbänden mit den Editorials mehrerer Jahre — in digitaler oder gedruckter Form. Sie werden sehen. Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

INHALT

01

Gestern Top, heute Flop?

S. 07

02

Angst essen Seele auf

S. 09

03

Filmwirtschaft: Gute Zahlen, schlechte Zahlen

S. 12

04

Segen der Technik?

S. 15

05

Was uns eint

S. 18

06

Think global?

S. 20

07

Das Las-Vegas-Syndrom

S. 23

INHALT

08

Verhaltener Start, neue Perspektiven

S. 26

09

Der neue Megatrend: VR360

S. 29

10

Noch mehr K und vor allem: HDR

S. 31

11

Offener Himmel

S. 33

12

Innere Werte

S. 35

13

Wann kommt 8K?

S. 38

14

Games-Industrie: Alles nur ein Spiel?

S. 40

15

Echte Sorgen, echte Probleme

S. 42

16

Grenzen ausloten

S. 44

17

In gedämpfter Feierlaune

S. 47

18

Facebook meets Youtube

S. 50

19

Auferstanden mit Augmented Reality

S. 53

20

»Live«: Zuerst im Internet und dann im Fernsehen?

S. 56

INHALT

21

4K: In Deutschland marktrelevant?

S. 59

Von grünem Wasser, Doping und Unsportlichkeiten

S. 62

23

20 Jahre Smartphone

S. 65

24

Monokultur in der Medienwirtschaft

S. 68

25

Back on track?

S. 71

26

Der »Summer of Lenses« kulminiert zur IBC2016

S. 73

27

Das große Fressen geht weiter

S. 75

28

Ist 4K das neue HD? Und was ist mit HDR?

S. 78

29

Realitätsverlust?

S. 81

30

IBC 2016: Yoga für die Branche?

S. 84

31

Innovation der Alten — Frischzellenkur für die Branche

S. 87

32

Berufsjugendliche unter sich?

S. 90

33

Wollen Sie einen Euro für kranke Kinder spenden?

S. 93

22

INHALT

34

Virtual und Augmented Reality: Wunsch und Wirklichkeit

S. 95

35

»So reagiert das Netz«

S. 98

36

Clickbaiting — die Krätze des Internets

S. 101

37

Ziviler Drohnenkrieg

S. 104

38

Aasgeier und Wegelagerer

S. 107

39

4K now!

S. 110

40

Korruption? Doping? Football Leaks? Whatever ...

S. 113

Es gibt zahlreiche Opfer

S. 116

41

EDITORIAL 1

Gestern Top, heute Flop? Es ist noch gar nicht so lange her, als die ersten FitnessArmbänder den Technologiepionieren neue Möglichkeiten eröffneten, Selbstoptimierung und Ego-Tracking auf den nächsten Level zu heben — echter Distinktionsgewinn war damit möglich, dezent am Handgelenk getragen. In der Weihnachtszeit nun warb aber auch Aldi Süd für ein solches Fitness-Armband, das Schrittzahlen und Distanzen misst, den Kalorienverbrauch ermittelt, die Daten per Bluetooth an Tablets oder Smartphones übertragen kann und noch jede Menge weiterer Gimmicks in petto hat. Damit hat das Thema nun einen Massenmarkt erreicht und taugt kaum noch dazu, sich abzuheben. Ist diese Mode damit schon wieder auf dem absteigenden Ast? Auffällig jedenfalls: Vor ein, zwei Jahren spielten sogenannte »Wearables« wie Fitness-Armbänder oder Smart Watches, bei der alljährlich im Januar stattfindenden Techniktrendmesse CES noch eine große Rolle. Davon kann — zumindest in der CES-Berichterstattung — in diesem Jahr keine Rede mehr sein. In Las Vegas 07

dominierten andere Themen: Ultradünne Displays in allen Größen und Auflösungen bis zu 8K, 360-Grad-Kameras, Drohnen, Konzepte selbstfahrender Autos, VR-Brillen. Sind Fitness-Armbänder vielleicht einfach schon ganz normal und dadurch entzaubert? Es gibt vielleicht auch noch einen anderen Aspekt: In der Vorweihnachtszeit besuchte die Redaktion eine Presseveranstaltung mit internationaler Besetzung. Einige Kollegen tauschten sich bei dieser Gelegenheit auch darüber aus, wie sie es in der kulinarisch üppigen Vorweihnachtszeit bewerkstelligten, ihre Fitness-Apps zu überlisten: bestimmte Mahlzeiten gar nicht eintragen, weniger Kekse notieren, als man tatsächlich vertilgt hat — und dergleichen mehr.

»Statt von Mama ermahnt zu werden, eine Mütze aufzusetzen, weil es draußen kalt ist, macht das nun eine App.« Ist das nicht interessant? Erst schnallt man sich einen Überwacher ans Handgelenk und installiert einen Ermahner auf dem Smartphone und  dann versucht man, beides auszutricksen. Statt von Mama ermahnt zu werden, eine Mütze aufzusetzen, weil es draußen kalt ist, macht das nun eine App — und nervt damit am Ende genauso. Auch so werden aus den Tops von gestern die Flops von morgen. Vielleicht schaffen Sie also schon mal Platz in der Schublade mit dem Schrittzähler und der Pulsüberwachungsuhr, dort hinten beim Friedhof der Fitnessgeräte? Natürlich ist auch unsere Branche schon längst nicht mehr von solchen schnellen Modewechseln ausgenommen und so muss man wohl davon ausgehen, dass das auch 2016 ganz so weiter laufen wird: Man muss aber ganz sicher nicht alles mitmachen. Sie werden sehen.

08

EDITORIAL 2

Angst essen Seele auf Das Meinungsforschungsunternehmen GFK hatte Ende des vergangenen Jahres im Auftrag der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen eine Umfrage zur Stimmungslage in Deutschland durchgeführt. Das Ergebnis war schockierend: 80 % der Deutschen erwarteten demnach eine wirtschaftliche Verschlechterung. 55 Prozent der Befragten gaben an, allgemein angsterfüllt in die Zukunft zu blicken — vor zwei Jahren waren das noch 28 Prozent, im Vorjahr 31. Interessant ist allerdings, dass die Meinungsforscher gar nicht konkret abgefragt hatten, wovor die Befragten denn eigentlich Angst haben: Wirtschaftlicher Abschwung, wachsende Arbeitslosigkeit, Flüchtlingskrise, Terrorangst, ein auseinander driftendes Europa? Das blieb unbeantwortet. Soviel lässt sich aber sicher sagen: Das Geschäft mit der Angst floriert — vergeht doch derzeit kaum ein Tag, an dem es nicht mit mindestens einer Schreckensmeldung gefüttert und befördert wird. Und es gibt Profiteure der Angst in unterschiedlichsten Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft. 09

Manche Ängste und Sorgen sind ganz sicher berechtigt und darüber wollen wir uns auch gar nicht lustig machen. Angst ist aber — ganz allgemein gesprochen — meist kein guter Ratgeber: Sie blockiert, engt den Blick ein, lässt uns irrational reagieren.

Dem Versuch, sich davon zu befreien, können heutzutage auch soziale Medien im Weg stehen — und letztlich eine ungute Rolle spielen. So kann es eben sehr leicht passieren, dass online nur noch Meldungen zu uns durchdringen, die in die eigene »Filterblase« passen. Vereinfacht gesagt: Aufgrund des Profils, das Facebook, Google und wie sie alle heißen, auf der Basis unseres bisherigen Online-Verhaltens anlegen, liefern uns die Internet-Konzerne über ihre sozialen Medien und Suchmaschinen dann nur noch genau jene Inhalte, die aus Ihrer Sicht hierzu passen — und verstärken so auch unsere Ängste und Vorurteile. Aber ganz so hilflos und fremdbestimmt ist der Einzelne der »Angst-Omnipräsenz« nun auch wieder nicht ausgeliefert: Man kann sich jederzeit selbst befreien. Zu diesem Themenkomplex hat Immanuel Kant schon vor rund 250 Jahren Epochemachendes geschrieben — aber man muss gar nicht in die Philosophie eintauchen, es geht auch viel einfacher:

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»Das Geschäft mit der Angst floriert.« Manchmal hilft es schon, die bekannten Pfade zu verlassen und die Sinne zu öffnen — und schon hat man wieder einen realistischeren Blick und kann Wichtiges von Unwichtigem besser unterscheiden. Sie werden sehen. P.S.: Der Titel dieses Editorials verweist natürlich auch auf den gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder, der als ein zentrales Werk dieses Regisseurs gilt. Der Film wurde 1974 uraufgeführt und greift anhand einer »unmöglichen Liebe« Themen wie den Umgang mit Minderheiten, Fremdenfeindlichkeit und soziale Ausgrenzung auf.

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EDITORIAL 3

Filmwirtschaft: Gute Zahlen, schlechte Zahlen Derzeit läuft das größte Filmfestival Deutschlands, die Berlinale. In der Haupstadt trifft und präsentiert sich also zu dieser Zeit die deutsche Filmszene und genießt höchste Medienaufmerksamkeit. Pünktlich dazu hat die Filmförderungsanstalt FFA aktuelle Zahlen und Analysen veröffentlicht. Der deutsche Film hat demnach 2015 den höchsten Marktanteil seit Erfassung der Besucherzahlen erreicht. Von insgesamt 139,2 Millionen Kinobesuchern sahen sich 37,1 Millionen im Jahr 2015 deutsche Spielfilme im Kino an. Eine Sensation? Ist das nicht Beleg dafür, dass es dem deutschen Film so gut geht, wie schon lange nicht mehr? Um die Antwort gleich vorauszuschicken: Nein, so ist es ganz und gar nicht. Neben denen, die sich an den Fördertöpfen laben, gibt es nämlich auch ein wachsendes Filmprekariat, das unter unwürdigen Arbeitsbedingungen und bei schlechter Entlohnung immer darauf hofft, mit dem nächsten Projekt den Durchbruch zu schaffen. 12

Und jenseits dieser bitteren Realität, mit der viele Filmschaffende hierzulande konfrontiert sind, ist die Jubelbilanz der FFA auch noch gnadenlos geschönt, wie schon ein kurzer Blick in die Charts zeigt: Im Jahr 2015 zogen nur zwei deutsche Filme, nämlich »Fack ju Göhte 2« auf Platz 1 und der Zweitplatzierte »Honig im Kopf«, nahezu 14 Millionen Besucher an — und vereinen damit mehr als ein Drittel aller Besucher deutscher Spielfilme auf sich.

»Neben denen, die sich an den Fördertöpfen laben, gibt es auch ein wachsendes Filmprekariat.« Die Plätze 3 bis 10 kamen zusammengefasst auf weitere 12 Millionen Besucher. Gewürzt wird dieses Bild noch durch einen interessanten Randaspekt: Auf Platz 3 landete mit »Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 2« eine Produktion, die Studio Babelsberg koproduzierte — und die deshalb als USA/D-Produktion ebenfalls in diese Zahlen einfloss. Insgesamt muss man leider sagen: In diesen Zahlen spiegelt sich ein krankes System. Eine gesunde Filmwirtschaft und Produktionslandschaft müssten andere Ergebnisse erzielen. Und es geht weiter: Die übrigen 11 der insgesamt rund 37 Millionen Kinozuschauer verteilten sich auf weitere 216 deutsche Filme, die 2015 erstaufgeführt wurden. Bei einer reinen Durchschnittsrechnung innerhalb dieses Segments ergeben sich — für die große Masse der deutschen Erstaufführungen — rund 51.000 Zuschauer pro Film. Auch das ist mit Sicherheit keine Zahl, die zu spontanen Jubelgesängen über den Erfolg des deutschen Films und des dahinter stehenden Fördersystems anregt. Vor allem dann nicht, wenn man einen genaueren Blick in die Liste der Produktionen wirft, die sich in diesem Bereich der Jahrescharts tummeln: Dort finden sich 13

keineswegs nur abseitiger, verquaster, billiger Bockmist oder Zweitverwertungen von Fernsehproduktionen, sondern mittendrin stecken durchaus interessante, ambitionierte, im Rahmen ihrer Mittel sehr gut gemachte Produktionen, die aber bestenfalls mal eine sechsstellige Besucherzahl erreichen. Erfolg sieht anders aus. Woran liegt es, dass auch gute, interessante Produktionen oft nur ein Nischendasein fristen? Solche und ähnliche Fragen stellt sich die Branche immer wieder und Festivals wie die Berlinale böten Raum, um auch das zu diskutieren. Stattdessen geht es vorrangig um Glamour und darum, sich selbst zu feiern. Ein Thema, das stattdessen im Fokus stehen sollte, ist die Filmförderung in Deutschland — und deren ständige kritische Hinterfragung. Den einen scheint die Förderung einfach nur zu niedrig, den anderen viel zu hoch und wieder andere sehen strukturelle Probleme und Fehlverteilungen. Eine gewisse Einigkeit herrscht oft darin, dass die Filmförderung zu kompliziert und zu verkrustet sei, während andere Geldgeber zu risikoscheu seien, um Filmproduktionen zu stemmen. Spiegel Online zitierte in diesem Zusammenhang mit Bettina Reitz eine der erfolgreichsten deutschen TV-Macherinnen. Die hatte bei der Veranstaltung »Kino machen andere. Warum der deutsche Film nur unter sich feiert«, gesagt: »Die Strukturen und Fördermechanismen sind ja äußerst kompliziert. Hier wird sich in den nächsten Jahren kaum was ändern.« Resignation einer Führungskraft, die jahrelang beim BR Verantwortung trug und nun die Filmhochschule in München leitet — Aufbruch klingt anders. Bleibt der Branche wirklich nur die schale Hoffnung, dass im Fahrtwind kommerziell erfolgreicher Filme wie »Fack ju Göhte« vielleicht auch andere Produktionen eine Finanzierung erhalten und ihre Zuschauer erreichen können? Ein trauriges Bild, das stark mit der Erfolgsmeldung der obersten Förderbehörde FFA kontrastiert. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 4

Segen der Technik? Es dauert nicht mehr lange, dann werden die Technologie-Trendsetter der Branche bei der Leadmesse NAB wieder einmal darüber sprechen, dass die gesamte Branche einem massiven Wandel unterliege und ein Paradigmenwechsel stattfinde, wie ihn die Branche noch nicht erlebt habe. Vieles davon ist nicht von der Hand zu weisen und manch einer ist gar voller Euphorie ob dessen, was da kommen soll. Eine gewisse Skepsis ist aber vielleicht ebenfalls angebracht. Segen der Technik? Teile der Telekom-Industrie haben schon einen tiefgreifenden, technikinduzierten Wandel hinter sich: Dort ist der Wechsel hin zur IP-Technik schon längst Realität und in weiten Teilen auch schon vollzogen. In Deutschland stellt die Telekom aktuell private Anschlüsse auf breiter Basis auf IP-Technik um. Geschäftskunden haben noch etwas Galgenfrist, müssen sich aber über kurz oder lang ebenfalls auf den Technologiewechsel einstellen. Mag sein, dass das viele Vorteile hat — vor allem für die Telekom — aber man hört eben auch immer wieder, 15

dass IP-basierte Telefonanschlüsse teilweise nicht durchgängig erreichbar seien und es öfter mal allerhand Probleme gebe, unter anderem auch mit der Stabilität und Qualität der Verbindungen und — ganz essenziell — mit der Tonqualität. Wenn aber die Qualität im Vergleich zur bisherigen Technik abfällt, der Preis jedoch gleich bleibt, wo ist denn da der Nutzen für den Endkunden? Was ist gewonnen, wenn wir die zerhackstückten Gespräche, die wir von Mobiltelefonen kennen, nun auch zwischen Festnetzanschlüssen führen müssen? Benutzt der Gesprächspartner dann auch noch ein minderwertiges Headset und die Passagen, die nicht zerhackt ankommen, klingen, als habe er eine Wolldecke im Mund, dann wünscht man sich die gute alte Zeit wieder her: Es gab tatsächlich mal stabile Telefonverbindungen, über die man in guter Sprachqualität kommunizieren konnte. Das war vor Skype und IP-basierten Konferenzschaltungen ganz normaler Stand der Technik.

»Es gab tatsächlich mal stabile Telefonverbindungen, über die man in guter Sprachqualität kommunizieren konnte.« Wie konnte es also soweit kommen, dass eine gut funktionierende Technologie abgelöst wird durch eine in etlichen Aspekten schlechtere, die mit vielen Nachteilen gespickt ist? Weil es eben auch Vorteile gibt — die können im Einzelfall auch mal einseitig ausfallen und etwa darin bestehen, dass der Anbieter mit der neuen Technologie einfach mehr Geld verdienen will. Aber vielleicht sind wir eben auch selbst schuld, weil wir viel mehr Bandbreite brauchen, um alles mögliche mit der ganzen Welt zu teilen: Fotos unseres Essens, Eckdaten unserer jüngsten sportlichen Aktivitäten, 16

Statusinformationen unseres aktuellen Aufenthaltsortes, Selfies aus dem Club, beim Skifahren oder vor dem Spiegel. Zurück zur Broadcast-Branche: IP, nur um IP willen einzuführen, ergibt keinen Sinn. Aber ohne technischen Fortschritt würden wir heute noch vor dem Volksempfänger sitzen — möglicherweise wäre unser Leben dann insgesamt sogar stressärmer — aber wollen wir das wirklich wissen? Sie werden sehen.

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EDITORIAL 5

Was uns eint Viele Menschen zählen die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit der westlichen Wertegemeinschaft zu den größten gesellschaftlichen Errungenschaften überhaupt — selbst wenn diese Formen der Freiheit zwischendurch auch mal wehtun können. Das glaubt auch die Redaktion von film-tv-video.de: Man muss andere Meinungen oder einen anderen Kunstbegriff auch mal aushalten, wenn man in Freiheit leben will — solange es nicht beleidigend oder gar volksverhetzend wird, ist alles im grünen Bereich. Dass dies viele Leute genauso sehen, kann man im Zeitalter der sozialen Medien und des Internets mitunter schon aus kleinem Anlass ablesen: Genau dann, wenn sich sehr rasch ganz viele solidarisieren, um gegen echte oder vermeintliche Angriffe auf diese Freiheiten zu protestieren. Nun ist es natürlich wohlfeil, auch auf diese Wellen in den sozialen Medien gleich wieder draufzuhauen und alle als Heuchler und Weicheier zu beschimpfen, die »nur« den Like-Button klicken. Das kann man so sehen. Aber man kann auch sagen: Immerhin wird hier noch ein Mindestmaß 18

an Beschäftigung mit gesellschaftlichen und politischen Vorgängen und so etwas wie eine Meinung sichtbar. An einem anderen Ende dieser Diskussion steht aber auch: »Da müsste „die Presse“ mal richtig draufhauen, kritisch berichten und ihre Pressefreiheit nutzen.« Das hört man als Journalist immer wieder. Und in vielen Fällen stimmt es sogar. Das sagen die Leute aber üblicherweise nur dann, wenn sich die Aufmerksamkeit auf andere richten soll. Wer selbst im Zentrum kritischer Betrachtung steht, vertritt meist eine ganz andere Meinung. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt: Recherche und Meinungsfreiheit kosten Geld, etwa auch dann, wenn man sich als Journalist oder Medium beispielsweise gegen einstweilige Verfügungen, Abmahnungen und ähnliches wehren oder einen Anzeigen- und Informationsboykott durchstehen muss.

»Wenn es an den Geldbeutel geht, schrumpft bei vielen der brennende Wunsch nach einer freien Presse.« Wenn es aber an den Geldbeutel geht, schrumpft bei vielen der brennende Wunsch nach einer freien Presse und nach einem vielfältigen Meinungsangebot rasch wieder zusammen: So lange es weder Mühe noch Geld kostet, ist es leicht, Solidarität zu bekunden. Eine gesunde, starke, vielstimmige Öffentlichkeit aber braucht Unterstützung — tätige und finanzielle. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 6

Think global? Globalisierung galt und gilt vielen immer noch als Allheilmittel: um die Wirtschaft anzukurbeln, den Lebensstandard für möglichst viele Menschen zu erhöhen und insgesamt Wachstum zu generieren. Auch in der Medienbranche hat die Globalisierung einen hohen Stellenwert und gilt vielen Firmen als probates Mittel, um regionale Schwankungen auszugleichen. Allerdings ändern sich die Vorzeichen oft schneller, als manchem lieb ist. Es ist noch gar nicht lange her, dass einige große Hersteller das Wachstumspotenzial der BRIC-Staaten als enorme Chance sahen, um neue Märkte zu finden und zu bedienen: Brasilien, Russland, Indien und China galten als die neuen Markttreiber, zu denen auch noch Südafrika stieß. Doch das Bild hat sich rasch verändert: Es gibt eben Einfluss größen wie Politik, unerwartete Konflikte, Kriege, Korruption, Finanzskandale, Sanktionen, Währungsschwankungen, unerwartet geringes Gesamtwirtschaftswachstum, 20

fehlende Infos aus eher untransparenten Ländern, zunehmende Umweltprobleme, lokale Wirtschaftskrisen. Alles Dinge, die man nicht so ohne weiteres im voraus einplanen und abschätzen kann, die aber die vermeintlichen Wachstumsmotoren rasch zum Stottern und Ächzen bringen können. Die Globalisierung birgt eben auch Risiken. Früher hat es in der westlichen Welt niemanden gejuckt, wenn in China ein Sack Reis umfiel. Heute hängt das von der Größe des Sackes ab, davon wen er trifft und wer dabei erschrickt. Die Medienbranche bleibt davon nicht verschont: etliche Hersteller und Service-Dienstleister, die sich global ausrichten, ächzen unter den genannten Entwicklungen, und manches Großprojekt auf der grünen Wiese, das unter undurchsichtigen Bedingungen entstand, entwickelte sich längst nicht so prächtig, wie prognostiziert.

»Früher hat es in der westlichen Welt niemanden gejuckt, wenn in China ein Sack Reis umfiel.« Der britische Verband IABM DC etwa hat fürs Jahr 2015 Marktzahlen ermittelt, die solche Entwicklungen bestätigen. Demnach machten die Hersteller von Produkten im Medienbereich im vergangenen Jahr 4,4 % weniger Umsatz als im Vorjahr. Dass die Umsätze für die Hersteller bei den Produkten zurückgehen, ist zwar schon einige Jahr so, doch 2015 gingen zusätzlich auch die Umsätze im Service-Bereich um 4,2 % zurück. Services aber galten vielen Herstellern bis dato noch als der erfolgversprechendere Markt, zumal er in den Vorjahren auch noch Wachstum erzielen konnte. Glaubt man diesen Zahlen — und dafür gibt es gute Gründe — kann man leicht ablesen, dass sich der Markt für die Hersteller von Produkten und Systemen nach wie vor in einem massiven Wandel befindet, der noch längst nicht 21

abgeschlossen ist — und dass es neue Einflussgrößen gibt, die sehr kurzfristig für kräftige Ausschläge sorgen können. Beides wird dadurch verstärkt, dass die Branche gleich mehrere Probleme verkraften muss: Den disruptiven, technologischen Wandel auf der einen Seite und die aktuell eher negativen Folgen eines globalisierten Marktes. Vielleicht bringt ja die herannahende NAB hier neue Erkenntnisse oder zeigt neue Impulse. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 7

Das Las-Vegas-Syndrom Vielleicht kennen Sie ja das Jerusalem-Syndrom: Manche Menschen, die eigentlich ziemlich normal waren, ticken komplett aus, wenn sie ein paar Tage in Jerusalem sind. Sie tauchen ein in einen religiösen Wahn, halten sich selbst für den Messias oder eine andere Figur aus der Bibel, schleppen Holzkreuze durch die Stadt, rutschen auf den Knien den Passionsweg entlang. Wie gesagt: Bis dahin galten diese Menschen eigentlich als ziemlich normal und sie sind nicht etwa mit dem Vorsatz nach Jerusalem gereist, um dort auszurasten. Es ist einfach passiert — und manche sind in diesem Wahn derart gefangen, dass sie ohne fremde Hilfe nicht mehr herausfinden. Wir von film-tv-video.de glauben, dass es auch ein LasVegas-Syndrom gibt. Es fällt in der Regel weit weniger dramatisch aus, aber es ist in seinen zahlreichen Erscheinungsformen vielleicht sogar noch vielfältiger.

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Über das Jerusalem-Syndrom gibt es Filme und Artikel, das Las-Vegas-Syndrom ist weit weniger gut dokumentiert, auch wenn es Spielfilme wie »Leaving Las Vegas«, »Fear and Loathing in Vegas«, »Behind the Candelabra« (deutscher Titel: »Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll«) oder »Casino« gibt, die alle auch ein Stück des Wahnsinns dieser Wüstenstadt zeigen.

»Wir von film-tv-video.de glauben, dass es auch ein Las-Vegas-Syndrom gibt.« Viele Prominente wurden schon auf verschiedene Weise vom Las-Vegas-Syndrom befallen, Elvis, Liberace, Siegfried & Roy etwa. Es soll auch Leute in unserer Branche geben, die bei den zahllosen Versuchungen, denen man in Las Vegas ausgesetzt ist, nicht immer standhaft bleiben. Wir aber wollen den Blick lieber auf die eng mit unserer eigenen Branche verwobenen Themen richten und dabei einen der Jahreshöhepunkte des Las-Vegas-Syndroms in den Fokus nehmen: die NABShow-Zeit. Mit insgesamt 49 Jahren NABShow-Erfahrung (23 Besuche, 21 Besuche und fünf Besuche bringt das Redaktionsteam zusammen), glauben wir durchaus, schon einiges gesehen zu haben. Massenhysterie und Massenhypnose gehören dazu: Vor ein paar Jahren etwa glaubten sehr viele Menschen plötzlich, Stereo-3D sei ein Thema für den Massenmarkt, für die gesamte Broadcast-Branche. Heute wissen wir, dass es anders kam. Manchmal sind auch nur einzelne Firmen vom Las-VegasSyndrom befallen: Das können kleine Newcomer sein, die sich an der Spitze einer Revolution sehen und sich auf der von ihnen selbst erzeugten heißen Luft so weit nach oben tragen lassen, dass sie glauben, in Kürze die Weltherrschaft — oder mindestens die Branchenführung übernehmen zu können. So konnte man bei der NABShow über die Jahre viele Firmen kommen und gehen sehen. 24

Aber auch etablierte Firmen kann das Las-Vegas-Syndrom erwischen: Nach mehrtägigen Einpeitschveranstaltungen mit gegenseitigem Schulterklopfen, Powerpoint- und Prognosenmarathon, trübt sich bei manchem Produktmanager und Vizepräsidenten dann doch der Realitätssinn. Sich für etwas zu begeistern, für etwas zu brennen, kann enorme Kräfte freisetzen und soll hier nicht in ein falsches Licht gerückt werden. Sich aber wahnhaft auf etwas zu versteifen, sich gegenseitig dabei hochzuschaukeln und dabei letztlich die Realität aus den Augen zu verlieren, das heißt, dem Las-Vegas-Syndrom anheim zu fallen. Wir jedenfalls sind gewappnet, werden uns nicht anstecken lassen und keiner Massenpsychose verfallen, sondern nüchtern und neutral von der NAB berichten. Versprochen. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 8

Verhaltener Start, neue Perspektiven Am Sonntag vor Ausstellungsbeginn der NABShow richten etliche der großen Hersteller Pressekonferenzen aus und berichten über Strategien, Allianzen, aktuelle Produkte, das vergangene Geschäftsjahr, neue Potenziale und vielversprechende Technologien. Dieses Prozedere hat sich über die Jahre nur wenig verändert, wenngleich es bei den an diesem sonntäglichen Ritual beteiligten Firmen immer wieder Wechsel gab und einige mit der Zeit auch ganz wegbrachen — weil es sie nicht mehr gibt oder weil sie aus der Tradition ausscheren und andere Formen ausprobieren wollten. Hersteller wie Sony, Avid, Grass Valley und Imagine sind jedoch seit vielen Jahren feste Konstanten der Vorabkonferenzen geblieben und können als Gradmesser für die allgemeine Stimmungslage gelten. Die aber präsentiert sich in diesem Jahr insgesamt doch etwas verhalten, ganz nach dem Motto: Man hat im vergangenen Jahr einige Hürden bewältigt, aber es dürften noch etliche weitere auf dem Weg liegen.

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So fällt es den Rednern in diesem Jahr auffallend schwer, das Publikum zu tosendem Applaus und Jubelschreien zu motivieren, wie sie in den USA bei Produktvorstellungen eigentlich üblich und gewünscht sind. Fast schon ein bisschen penetrant muss der Jubel in diesem Jahr eingefordert werden.

»Fast schon ein bisschen penetrant muss der Jubel in diesem Jahr eingefordert werden.« Bei praktisch allen Broadcastern spielte das komplexe Thema IP eine wichtige Rolle – und hier dominierte die Einsicht, dass es ohne gemeinsame Gremien, die eine Standardisierung für die IP-Welt schaffen, wohl nicht gehen wird. Was Grass Valley, Imagine, Lawo, Nevion und Snell im Dezember vergangenen Jahres mit AIMS, der Alliance for IP Media Solutions, ins Leben riefen, hat innerhalb weniger Monate zahlreiche weitere Supporter gewonnen. AIMS will sich für die praktische Umsetzung und Weiterentwicklung von offenen Protokollen für den Bereich Media over IP stark machen – und ist mit diesem Ansatz erfolgreich. Die Branche hat erkannt, dass es ohne diesen wichtigen Schritt für alle Hersteller schwierig wird, aus IP-Technologien einen funktionierenden Markt zu machen. Dass es ohne Offenheit und Partnerschaften heute nicht mehr geht, sehen mittlerweile auch die Hersteller in anderen Bereichen so. Avid etwa kündigte in einer Pressekonferenz, die insgesamt sehr stark die Themen Offenheit und Kollaboration betonte, eine Initiative an, innerhalb derer jeder, der das will, auf Basis eines Connectivity-Toolkits eigene Apps entwickeln kann, die man dann direkt aus Avid-Programmen öffnen und nutzen kann. Schillerndste Neuheit in diesem Zusammenhang: Es gibt jetzt ein Panel, das die Brücke zwischen Adobe und Avid-Lösungen schlägt: man hat von Premiere aus Zugriff auf Avid-Assets. 27

Kurzum: Die bisher doch etwas gedämpfte Stimmung der Branche hat auch Vorteile — führt sie doch dazu, dass die Unternehmen etwas offener aufeinander zugehen. Davon können schlussendlich alle profitieren: Kunden genauso wie Hersteller. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 9

Der neue Megatrend: VR360 So viele 360-Grad-Videolösungen wie bei dieser NABShow gab es in der Branche noch nie. Einen eigenen Pavillon in der Nordhalle hat der Veranstalter hierfür eingerichtet und an zahlreichen anderen Ständen sind ebenfalls Aufnahme- und Betrachtungsmöglichkeiten für 360-Grad-Videos aufgebaut. Getrieben von der Games-Branche soll um dieses Thema herum ein gigantisch großer Markt entstehen. Klingt das irgendwie vertraut? Dem Skeptiker stellt sich natürlich sofort die Frage: Ist VR360 das neue Stereo-3D — und wird es auch die gleiche Entwicklung nehmen? Letzteres hieße in der Kurzfassung: Raus aus der Nische und wieder zurück in die Nische — zumindest was den TVMarkt angeht. Im Kino konnte sich Stereo-3D schließlich etablieren und in einigen anderen Visualisierungsbereichen auch — aber im TV-Markt eben nicht. Ist 360-Grad-Video ein Massenthema? Möglicherweise. Im Games-Bereich ist das der Fall, und es sind auch 29

Anwendungsbereiche denkbar, wo das für die Zuschauer einen Zusatznutzen bringt. Interaktive Erlebnis-Szenarien etwa, Mischformen aus Spielfilm und Game, sind denkbar. Setups, in denen der Konsument eher Teilnehmer als bloßer Zuschauer ist — wo man ganz eintauchen und abtauchen will. Konzertaufzeichnungen und Dokus über ungewöhnliche Orte, die man selbst nicht besuchen kann, werden ebenfalls oft genannt. Auch der Pornomarkt spielt sicherlich eine große Rolle. Aber im narrativen Bereich, wenn es darum geht, das Interesse des Zuschauers zu lenken, ihm eine fortlaufende Geschichte zu erzählen, wenn es um klassische Filmerzählmuster geht, um Bildgestaltung im engeren Sinn, kann 360-Grad-Video eigentlich sogar eher störend wirken und viele Einschränkungen mit sich bringen.

»Raus aus der Nische und wieder zurück in die Nische.« Ein weiteres Problem: Wer sich ein taucherbrillenartiges Etwas umschnallt, der isoliert sich von seiner unmittelbaren Umwelt. Für die Nutzung mal so nebenbei ist das keine Option: Man muss sich einlassen, muss abtauchen. Können und wollen die Konsumenten dafür aber gleich eine VR-Brille anschaffen? Denn mal ehrlich: Die Handy-in-Papphalterung-Lösungen sind nett, um das Ganze mal auszuprobieren, aber definitiv keine Dauerlösung für intensive Nutzer. Es bleiben also zumindest derzeit viele Fragen offen. Eines aber ist sicher: für die Messebesucher gehören 360-Grad-Kameras zu den großen Hinguckern. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 10

Noch mehr K und vor allem: HDR Fast scheint es so, dass ein gesteigerter Dynamikumfang — also vereinfacht gesagt die Möglichkeit, schwärzeres Schwarz und weißeres Weiß darzustellen — die Diskussion um immer mehr K, also um eine reine Auflösungssteigerung abgelöst oder zumindest ergänzt und erweitert hat. Kaum ein namhafter Kamerahersteller, der sich nicht mit diesem Thema befasst und Lösungen anbietet. Im Zusammenspiel mit immer mehr neuen Monitoren und Projektoren, die einen größeren Farbraum und einen größeren Dynamikumfang auch tatsächlich darstellen können, gewinnen die »besseren Pixel« an Bedeutung im Verhältnis zu einfach immer nur mehr Pixels. Aber die K-Frage ist dennoch weder vom Tisch, noch ausdiskutiert, noch zu Ende. Stand der Dinge ist dabei im Grunde 4K, das bei den meisten Herstellern Status Quo ist. Andere gehen sogar schon einen Schritt weiter: Red-Kameras etwa gibt es mit Sensoren, die 5K erreichen,

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und Reds 8K-Sensor wird ebenfalls langsam Realität. Auch andere gehen in die Zone von 8K, so etwa Canon. Der japanische Broadcaster NHK will ab 2020 ein Vollprogramm in 8K im Regelbetrieb anbieten. Solche staatlichen Projekte, in die dann japanische Unternehmen eingebunden werden, sollen der japanischen Industrie Technologievorteile sichern. Dieses Schema hat schon mehrfach funktioniert und so kann es nicht überraschen, dass von japanischen Herstellern in jüngster Zeit immer öfter 8K-Produkte gezeigt werden. Das geht auch bei der NABShow in diesem Jahr weiter.

»Die K-Frage ist weder vom Tisch, noch ausdiskutiert, noch zu Ende.« So zeigt Canon den aktuellen 8K-Entwicklungsstand bei der NABShow. Ansonsten ist 8K bei der Messe überwiegend ein Thema bei Codec-Entwicklern. 8K-Monitore muss man hingegen (noch) mit der Lupe suchen. Aber auch jenseits von 8K geht es weiter. Auch hier ist Canon mit von der Partie und zeigte schon mal einen Kameraprototypen mit 250-Megapixel-CMOS-Sensor, der ein Auflösungsniveau erreicht, das etwa dem 125-fachen von HD (1.920 x 1.080) und dem 30-fachen von 4K (3.840 x 2.160 Pixel) entspricht. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 11

Offener Himmel War in den vergangenen Jahren in den Pressekonferenzen, Präsentationen und an den Ständen der Hersteller sehr viel die Rede von Cloud-Lösungen, hat sich nun sozusagen diese vorübergehende Bewölkung wieder verzogen — zumindest auf der Schlagwortliste ist die Cloud weit abgesunken. Ist die Cloud vielleicht schon so normal, dass man sie gar nicht mehr thematisieren muss? Sind Cloud-Technologien quasi schon überall der Standard? Eher nicht: Gibt es also einen anderen Grund, weshalb so wenig über Cloud-Lösungen gesprochen wird? Fast scheint es so, als habe sich eine Erkenntnis Bahn gebrochen, die man in etwa so zusammenfassen kann: So etwas wie die Cloud gibt es gar nicht. Das ist nur der Computer von jemand anderem. Und möchten Sie Ihre wichtigsten Daten einfach auf dem Computer von jemand anderem ablegen?

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So kam schließlich der Begriff von der »Private Cloud« in die Welt: Verschiedene, dazu berechtigte Personen können zwar von verschiedenen Orten auf die benötigten Daten zugreifen und damit arbeiten, aber gespeichert werden sie stets auf eigenen Systemen. Das erscheint vielen Anwendern jenseits des Consumer-Bereichs doch als die sicherere Methode für den Umgang mit den eigenen Daten.

»So etwas wie die Cloud gibt es gar nicht, das ist nur der Computer von jemand anderem.« So hat sich die Cloud-Idee zumindest im Medienbereich in den vergangenen Jahren nach und nach etwas verändert. Das ist sicherlich kein Endzustand, aber momentaner Stand der Dinge — zumindest was die Ankündigungen während der NAB2016 angeht. Sie werden sehen. P.S.: Die Redaktion von film-tv-video.de verabschiedet sich mit diesem Newsletter von der NABShow und reist zurück nach Deutschland. In den kommenden Tagen und Wochen folgen aber noch zahlreiche weitere NAB-News.

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Innere Werte Es gibt Software-Oberflächen, bei denen man heute noch den kalten Hauch der Windows-Anfänge spürt und meinen könnte, Bill Gates höchstpersönlich habe dafür gesorgt, dass sich zahllose, hinter kryptischen Icons versteckte Funktionen auf engstem Raum tummeln, einzig mit dem Ziel, den Anwender wahlweise zu überfordern oder zu verwirren. Wahrscheinlich aber tut man dem reichsten Menschen der Welt mit dieser Einschätzung Unrecht, denn die Zeiten haben sich geändert: Auch Microsoft-Software hat in dieser Hinsicht längst ihre Schrecken verloren — und Bill Gates ist längst als Philanthrop in der Welt unterwegs. An Softwares, die es nicht schaffen, ihre Anwender mitzunehmen und mit einer verständlichen Oberfläche zu leiten, mangelt es dennoch nicht. Viel zu oft überfordern komplexe Programme ihre Anwender und schaffen es nicht, ihre Leistungsfähigkeit so zu verpacken, dass derjenige, der davor sitzt, auch tatsächlich etwas damit anfangen kann.

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Gleichzeitig sind es die Anwender aber immer mehr gewohnt, mit einfachen Smartphone-Oberflächen zu arbeiten und die Bereitschaft, andere Oberflächen zu akzeptieren sinkt: »Bei meinem Telefon funktioniert das ganz einfach, wieso ist das bei der Software auf dem Firmenrechner so kompliziert und umständlich?« Daraus erwachsen auch im Medienbereich neue, wichtige Anforderungen: Unternehmen wie Google oder Facebook geben mit ihren Apps und Programmen den Takt vor. Gleichgültig, ob man deren Benutzerführung für sinnvoll halten mag oder nicht, ob man sich vielleicht sogar bevormundet fühlt: Sie sind etabliert, haben die Massen auf ihrer Seite, sie funktionieren und verbergen unter einer einfachen Oberfläche leistungsfähigste Algorithmen.

»Volle Funktionalität, aber bitte idiotensicher verpackt.« Das geht an Software-Unternehmen aus dem Medienbereich nicht spurlos vorbei: Was auf der Oberfläche zu sehen ist, soll möglichst einfach zu begreifen und zu bedienen sein, mögliche Fehlerquellen sollen von vornherein ausgeschlossen werden. Unter der Haube aber sind leistungsfähigste Konzepte gefragt, die dem Anwender das Leben so leicht wie möglich machen, alles beschleunigen und effizienter gestalten sollen. Man könnte das Paradigma vielleicht auch so zusammenfassen: Volle Funktionalität, aber bitte idiotensicher verpackt — und mit allen Freiheiten zur individuellen Gestaltung versehen. Software, die technische Abläufe steuert, soll etwa nur Sendeabläufe zulassen, die auch tatsächlich realisierbar sind und gestalterisch zusammenpassen. Die Software soll quasi mitdenken und dem zuständigen Mitarbeiter schon im Vorfeld viele Aufgaben abnehmen. Dabei soll sie aber nicht einschränken, sondern im Gegenteil zu immer kurzfristigeren Änderungen in der Lage sein: Wenn etwa ein Promi stirbt, muss die News sofort raus, der Nachruf, die Würdigung, die Hommage möglichst rasch 36

hinterher gesendet werden — eine Woche später ist das Thema längst durch. Schwierig, aber machbar: Wenn man sein Archiv und seine Assets im Zugriff hat, kann man schnell reagieren. So gewinnen Management- und Steuerungs-Systeme verschiedener Art in Medienunternehmen eine immer größere Bedeutung, und Verwaltungswerkzeuge beeinflussen letztlich die Programmgestaltung. Sie werden sehen.

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Wann kommt 8K? Für die allermeisten in der Branche wird 8K definitiv noch länger kein Thema sein, denn in sehr vielen Bereichen ist ja noch nicht einmal 4K angekommen. Nimmt man die Einführung von HD als Beispiel, wird es selbst bis zur flächendeckenden Verbreitung von 4K/UHD noch Jahre dauern. Wieso also über 8K sprechen oder nachdenken? Das sehen einige in der Branche ganz anders: So konnte man auf der Herstellerseite während der NAB2016 verschiedentlich 8K-Geräte sehen.

»8K hat konkrete Auswirkungen auf die Branche.« Seit nunmehr schon zehn Jahren ist der japanische Broadcaster NHK auf den großen Messen mit einem Stand zum Thema 8K präsent, anfangs noch unter der Bezeichnung Ultra HD. Als dann unter dieser Bezeichnung die Vermarktung von 4K angeschoben wurde, wurde 8K nach 38

NHK-Lesart umbenannt in Super Hi-Vision. Was in den ersten Stufen fast noch utopisch klang, wird nun aber immer greifbarer: 8K hat konkrete Auswirkungen auf die Branche — auch außerhalb des NHK-Demo-Standes. So war in diesem Jahr bei der NAB an mehr Stellen als je zuvor das Thema 8K präsent. Ein paar Beispiele: Canon hatte einen eigenen 8K-Pavillon aufgebaut, Panasonic zeigte — etwas versteckt — eine 8K-Lösung aus Recorder und Monitor, bei Ikegami konnte man eine funktionierende 8K-Kamera und einen Monitor sehen, Astro zeigte neben Messgeräten und Wandlern sogar schon ein zweites 8K-Kameramodell aus eigener Entwicklung und einen 55-Zoll-Produktionsmonitor, Fujifilm präsentierte ein 8K-Objektiv in einer Vitrine am Stand. Wichtigster Motor für die Entwicklung hin zu 8K ist der japanische Sender NHK, der während der NAB2016 sogar Live-Demos mit einem 8K-Ü-Wagen zeigte. Der Grund dafür: Der japanische Broadcaster NHK will ab 2020 ein Vollprogramm in 8K-Auflösung im Regelbetrieb anbieten. Ob die Rechnung am Ende aufgehen wird, weiß man natürlich erst hinterher, denn es gibt natürlich auch etliche Aspekte an 8K-Fernsehen, die man kritisch sehen kann. Einige davon hat film-tv-video.de auch schon beleuchtet. Besonders beim Blick auf die Relevanz von 8K beim Endkunden kann man durchaus skeptisch sein — dass es aber Anwendungen im professionellen Bereich gibt, wo 8K seine Berechtigung hat, ist ebenso unbestritten. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 14

Games-Industrie: Alles nur ein Spiel? Schon vor etlichen Jahren deutete sich an, dass Technologien aus dem Spielemarkt auch in anderen Märkten eine Rolle spielen würden. In unserer Branche nahm das schon konkrete Formen an, als die ersten nonlinearen Videoschnittprogramme weniger auf die CPU, also den Hauptprozessor des Host-Rechners setzten, als auf die GPU, also den Grafikprozessor. Bei den GPUs schritt die Entwicklung — auch wegen der Anforderungen der Computerspieler — einfach rascher voran, man konnte mehr Echtzeitfunktionalität erreichen. Mittlerweile ist der Einfluss der Games-Industrie bei weitem über solche grundlegenden technischen Aspekte hinausgewachsen. An immer mehr Stellen im TV-Bereich spielen fotorealistische Grafikanimationen eine Rolle — und deren Weiterentwicklung wird nun mal wesentlich aus dem Spielebereich befeuert. Man muss nicht lange suchen, um etwa online Videos und Screenshots aus Games zu finden, bei denen es wirklich schwer fällt, sie überhaupt noch von Realaufnahmen zu unterscheiden und als künstlich generiert zu erkennen. 40

Bei Live-Grafiken und Virtual Sets im Broadcast-Bereich und bei Greenscreen-Produktionen fürs Kino muss man dementsprechend auch nicht lange suchen, um auf Game-Engines und andere Technologien aus dem Spielebereich zu stoßen. Um virtuelle Welten mit Realaufnahmen in Echtzeit kombinieren zu können, werden an vielen Stellen Games-Technologien genutzt. Auch der aktuelle VR360-Trend hat seine Wurzeln dort. Auch wenn Realaufnahmen mit Zusatzelementen wie Grafiken und Animationen aufgepeppt, also Augmented-Reality-Szenarien umgesetzt werden, steckt letztlich fast immer ein Games-Engine dahinter. In wenigen Wochen können Sie den neuesten Stand dieser Entwicklung live vom Fernsehsessel aus besichtigen: die Berichterstattung von der Fußball-Europameisterschaft wird bei allen namhaften Sendern mit AR-Elementen nur so gespickt sein. Das Ganze geht aber — ebenfalls schon seit vielen Jahren — auch über die rein technische Seite hinaus: In verschiedenen Wellen entstanden Filme eben nicht nur auf Basis von Comics, sondern auch auf Basis von Games. Jüngstes Beispiel ist der jetzt anlaufende Spielfilm »Angry Birds«.

»Wird also alles eins, verschmelzen Broadcast- und Games-Industrie?« An einem anderen Ende sind Games-Firmen auch Kunden des Broadcast-Markts: Live-Übertragungen von E-Sports-Events und Games-Conventions sind für ÜWagen-Anbieter ein wachsendes Marktsegment. Wird also alles eins, verschmelzen Broadcast- und Games-Industrie? Da erinnern wir doch einfach mal an den großen Konvergenz-Hype, der vor rund 15 Jahren von der Behauptung getrieben wurde, in Kürze würden Broadcast und IT vollständig verschmelzen. Und heute: Heute sprechen wir über Brückenprodukte zwischen IPund SDI-Welt ... Sie werden sehen.

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Echte Sorgen, echte Probleme Es gibt Jobs, die sind vermutlich ganz gut bezahlt, und wer sie ausübt, ist vielleicht auch sehr mächtig und kann eigenständig weitreichende Entscheidungen fällen — aber man möchte diese Jobs trotzdem nicht haben. Sicherheitschef der kommenden Fußball-EM in Frankreich etwa: In einem Land, das gerade von verschiedenen Gewerkschaften bestreikt und auf vielfältige Weise von Wutbürgern heimgesucht wird, möchte man nicht auch noch Hooligans aus fremden Ländern zu Gast haben — vor allem dann nicht, wenn im Land zu gleicher Zeit noch islamistischer Terror nachwirkt und neuer droht. Die EM ist nicht zuletzt auch ein riesiges Medienereignis: Das macht sie attraktiv für alle, die ein möglichst großes Medienecho suchen — und manche davon sind wirklich gefährlich. Eine sehr schwierige Situation: Ab wann muss man sich den Gefahren und Bedrohungen beugen, wie soll man reagieren?

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Auch bei den olympischen Sommerspielen in Rio gibt es nicht nur die Bedenken von Medizinern wegen des Zika-Virus, gleichzeitig ist auch dort die politische Situation zumindest angespannt, manche sagen auch kritisch, und es wird im Vorfeld von allerhand Problemen berichtet. Terrorgefahr ist seit München 1972 ohnehin bei allen olympischen Spielen ein Thema. Es reicht aber auch schon eine Nummer kleiner: Morgen sind in Bayern mehr als 100 Filmteams unterwegs, um das Material für eine 24-Stunden-TV-Sendung im Stil von »24h Berlin« zu drehen, das dann ein Jahr später als 24stündige Sendung am Stück gesendet werden soll.

»Bei großen Medienereignissen muss man auch stets unkalkulierbare Risikofaktoren von außen in Kauf nehmen.« Nun ist aber derzeit nicht nur das Wetter in Bayern schlecht, sondern es gibt in Teilen des Bundeslandes Überschwemmungen, die sogar Todesfälle zur Folge hatten. Die Drehphase des Projekts »BY24« hatten sich die Verantwortlichen zweifellos ganz anders vorgestellt — und so bringen die aktuellen Ereignisse die umfangreiche Planung und Vorbereitung durcheinander. Sicher ein kleines Problem im Vergleich zu jenen, vor denen die Betroffenen der Unwetter stehen — aber ein großes Problem für das Filmprojekt. So bleibt die unerfreuliche Erkenntnis, dass man bei großen Medienereignissen stets unkalkulierbare Risikofaktoren von außen in Kauf nehmen muss. Das zu wissen, macht es natürlich auch nicht leichter, wenn der schlechte Fall eintritt — aber es mahnt vielleicht ganz allgemein zu einer gewissen Bescheidenheit in solchen Dingen. Sie werden sehen.

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Grenzen ausloten Ang Lee kann als weltbekannter Regisseur mittlerweile auf ein relativ breit gefächertes, reiches Werk zurückblicken, das auch schon vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde. Lee hat, inhaltlich wie technisch betrachtet, schon sehr unterschiedliche Filme realisiert: Zwei Oscars erhielt er für »Life of Pi« und »Brokeback Mountain«. Bekannt ist er aber auch für sein Martial-Arts-Drama »Tiger and Dragon«. Auch die Berliner Filmfestspiele zeichneten Ang Lee schon zweimal mit dem »Goldenen Bären« aus, für »Das Hochzeitsbankett« « und »Sinn und Sinnlichkeit«. Wenn nun ein solchermaßen hochdekorierter und erfolgreicher Regisseur vor einem Fachpublikum auftritt, um von einem aktuellen Projekt, aber auch ganz generell vom Filmemachen zu berichten, folgen natürlich sehr viele seinem Ruf. Bei einer Veranstaltung während der NAB2016 etwa berichtete Ang Lee unter der Überschrift »Pushing the Limits of Cinema« von seinem aktuellen Spielfilmprojekt »Billy Lynn«, das in mehrfacher Hinsicht interessant ist.

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Einerseits betont Ang Lee stets, dass für ihn die Geschichte immer im Mittelpunkt eines Films stehe. Doch andererseits hat er sich bei seinem aktuellen Projekt für eine technische Lösung entschieden, die ihn und sein Team extrem fordert, denn er drehte »Billy Lynn« in 4K, Stereo-3D und mit 120 fps. Wenn der Film im November 2016 herauskommt, wird es allerdings wahrscheinlich nur wenige Zuschauer geben, die den Film auch in seiner ganzen Pracht genießen können: Die meisten Kinos sind zwar heute in der Lage, einen Film in Stereo-3D zu zeigen, bei 4K wird es schon dünner und bei 120 fps müssen dann endgültig die allermeisten passen. Das weiß natürlich auch Ang Lee, dennoch lässt er sich immer wieder auf solche Experimente ein und orakelt vielsagend: »This will be a long journey. I think we’re at the beginning of finding out what digital cinema means. We‘re not there yet.« Interessanterweise gehörte Ang Lee zu denen, die sich der digitalen Kinoproduktion sehr lange verweigert hatten, wie er selbst berichtet. »Doch man muss sich und seine Arbeit immer wieder in Frage stellen«, meint Lee. Das hat er in seiner Karriere auch immer wieder vorgemacht — nur so konnte letztlich auch sein vielschichtiges Oeuvre entstehen.

»Das eigentliche Filmmaking finde in der Postproduktion statt.« Von seinem jüngsten Projekt sagt Ang Lee, dass die eigentliche Arbeit für ihn nun in der Postproduktion stattfinde. Für ihn hat sich der Dreh demnach zu einem reinen »Capturing«-Prozess entwickelt, der kompliziert sei und teuer — aber eben nur den ersten Schritt darstelle: Das eigentliche Filmmaking finde in der Postproduktion statt, so Lee. Das ist natürlich für Kameraleute ein schmerzhafter Stich ins Herz, denn es nimmt ihnen ein weiteres 45

Stückchen Hoheit über die Bildgestaltung weg. Soll das wirklich alles sein, was übrigbleibt von diesem Berufsbild: Bild einigermaßen korrekt belichten, mit möglichst großem Dynamikumfang und in hoher Auflösung aufzeichnen, dabei einen ordentlichen Ausschnitt wählen — und den ganzen kreativen Rest übernehmen dann Schnitt und VFX? Ist es schon zu spät, gegenzuhalten? Steht etwa die kreative Seite der Kameraarbeit still, während sich in der Postproduktion immer größere Möglichkeiten entfalten? Natürlich ist das eine absichtlich übertriebene, einseitige Sicht und es gibt auch viele aktuelle Gegenbeispiele — aber dennoch scheint hier etwas ins Rutschen zu geraten. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 17

In gedämpfter Feierlaune Fußball zieht immer: Das untermauern ein weiteres Mal die guten Quoten, die ARD und ZDF mit ihrer Berichterstattung von der Euro 2016 bisher erzielen konnten. Aber die Zuschauer sind durchaus anspruchsvoll und deshalb müssen die Sender etlichen technischen Aufwand treiben, um eine zeitgemäße Berichterstattung aus Paris zu realisieren. Wie das bei ARD und ZDF einerseits und bei einem brasilianischen Sportsender andererseits, auf der technischen Seite abläuft, beschreiben zwei größere Artikel bei film-tv-video.de, die von einigen weiteren Artikeln zu diesem Thema flankiert werden. Bei Sport-Events in der Größenordnung einer Europaoder gar einer Weltmeisterschaft, fließen natürlich auch stets aktuelle Entwicklungen in die technische Planung der Sender ein. In diesem Jahr etwa spielt Augmented Reality eine größere Rolle — damit bereiten die Sender unter anderem die Aufstellungen, aber auch Spiel- und Spieler-Analysen grafisch ansprechend auf.

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Es gab wohl selten eine Europameisterschaft, bei der die Zuschauer so viel über Taktik, Aufstellungen oder Spielweisen erfahren konnten. Wer mit seinem Taktikwissen noch auf dem Stand von »Libero« und »Vorstopper« steht, kann in diesen Wochen sein Knowhow schnell und einfach auf den aktuellen Stand bringen. Dafür liefern ARD und ZDF mit ihren Experten umfassendes Futter. Die Analysen und besonders deren grafische Aufbereitung wären in dieser Form selbst vor wenigen Jahren noch gar nicht möglich gewesen: Erst jetzt, wo Software und ausreichend Processing-Power zusammenspielen, ist das machbar. Ob es aber die neu vorgestellte »Packing-Rate« dauerhaft ins Analyse-Instrumentarium der Sender schaffen wird, muss sich noch zeigen. Für jene, die es vom ARD-Experten Mehmet Scholl noch nicht gehört haben: Die Packing-Rate soll nicht nur die reine Anzahl der Pässe erfassen, die den Mitspieler erreichen, sondern auch die Anzahl der Mitspieler, die mit diesem Pass überspielt werden — als Indikator für die Spielqualität einer Mannschaft.

»Begriffe aus dem Boxen erfreuen sich neuerdings bei Fußballkommentatoren großer Popularität.« »Das Netz«, das bei solchen Themen gerne zitiert wird, scheint jedenfalls noch uneins darüber zu sein, ob »Packing« den Fußball verändern wird — oder eher nicht. Oliver Kahn gehört offenbar zu den Zweiflern, denn er twitterte nach der 0:2-Niederlage der offensiven Belgier gegen Italien: »So Mehmet, jetzt erklär mir mal ganz genau die Packingrate.« Aber auch sprachlich wird aufgerüstet: Begriffe aus dem Boxen erfreuen sich neuerdings bei Fußballkommentatoren großer Popularität. Da wird vom »Lucky Punch« schwadroniert und vom »Wirkungstreffer«. Indirekte 48

Ehrerweisung für den verstorbenen Muhammad Ali oder einfach nur Blödsinn, weil eben meist die Bezüge gar nicht stimmen? So oder so: Neue technische Möglichkeiten und Analyseinstrumente machen eine Übertragungen möglicherweise interessanter, neue Formulierungen können eventuell das übliche Phrasendreschen durchbrechen — aber ein langweiliges und ideenloses Spiel wird davon auch nicht besser. In diese Fällen müssen Experten und Moderatoren dann doch wieder eine alte Weisheit bemühen: »Man kann im Fußball vieles, aber eben nicht alles erklären.« Sie werden sehen.

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Facebook meets Youtube Mitte Juli kommt Sönke Wortmanns neuer Film »Deutschland. Dein Selbstporträt« in die Kinos. Die inhaltliche Besonderheit des Films besteht darin, dass er komplett aus Material geschnitten wurde, das von Leuten eingesendet wurde, die dazu Lust hatten. Im Vorfeld hatte es eine Kampagne gegeben, die alle Menschen in Deutschland aufrief, am 20. Juni 2015 ihre Eindrücke, Erlebnisse und Gefühle filmisch festzuhalten und diese Aufnahmen einzureichen. Mehr als 10.000 Menschen folgten im vergangenen Jahr diesem Aufruf und sendeten ihr Material ein. Daraus ist nun ein Kinofilm entstanden, der in vielfacher Hinsicht erst durch technische Entwicklungen der jüngeren Zeit möglich wurde. Auf der einen Seite gibt es mit aktuellen Smartphones erstmals für nahezu jeden die Möglichkeit, ein Video in akzeptabler Qualität zu drehen. Dass ein großer Teil der Einsender Hochkantvideos schickte, war zwar nicht

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optimal für die Kinoauswertung, aber bei den richtigen Inhalten letztlich auch kein Problem, so Sönke Wortmann. Auch bei der Motivation der Mitmacher und bei der Anlieferung der Clips vereinfachte moderne Technik die Realisierung des Films: Über Facebook konnten die Macher potenzielle Teilnehmer direkt erreichen, auf breiter Basis zum Mitmachen animieren und ihnen gleich einen einfachen Upload-Weg anbieten. Auch beim nächsten Schritt, der Postproduktion, wurden die neuesten technischen Möglichkeiten genutzt: Nur so konnten mit einigermaßen vertretbarem Aufwand die Unmengen des hochgeladenen Materials bewältigt werden — gesichtet, sortiert, eingeordnet und letztlich zum fertigen Film geschnitten. (Weitere Infos dazu finden Sie in einem aktuellen Artikel bei film-tv-video.de.) Noch vor wenigen Jahren wäre ein vergleichbarer Kompilationsfilm — wenn überhaupt — nur mit deutlich größerem Aufwand realisierbar gewesen.

»Mammutprojekte gab es immer und manche davon wurden eben erst durch intelligente Nutzung moderner Technik sinnvoll umsetzbar.« Ein Blick zurück zeigt aber, dass es auch schon viel früher ähnliche Filmkonzepte und Ideen gab: 1980 etwa stellte Robert von Ackeren mit »Deutschland privat« aus privaten Super-8-Filmen eine »Anthologie des Volksfilms« zusammen. Wenngleich die Auswahl und Herkunft der Amateurfilme damals für Diskussionen sorgten, gehörten ähnlicher Wagemut und Energie dazu, so ein Projekt anzugehen. Das Ergebnis war aber zwangsläufig ein ganz anderes, als wenn man heute eine solche Idee umsetzt. Mammutprojekte gab es immer und manche davon wurden eben erst durch intelligente Nutzung moderner 51

Technik sinnvoll umsetzbar: »24h Berlin« aus dem Jahr 2008 ist so ein Beispiel. Damals waren HD und die bandlose Aufzeichnung für viele der insgesamt 80 Teams, die einen Tag lang das Material für ein 24h-Porträt der deutschen Hauptstadt und ihrer Bewohner drehten, noch Neuland. Auch der Umgang mit den enormen Materialmengen in der Postproduction war ein Experimentierfeld. Dennoch profitierten die Macher letztlich davon, sich auf den technischen Fortschritt einzulassen. 2010 griff schließlich Youtube die Kompilations-Idee auf und rief Nutzer weltweit auf, für »Life in a Day« einen Tag aus ihrem Leben zu dokumentieren. Schon damals stellten User aus 197 Ländern rund 80.000 Clips zur Verfügung — nur möglich, weil die Aufzeichnungstechnik dafür auch in entlegensten Regionen zur Verfügung stand und mit Youtube eine leistungsfähige Online-Videoplattform. Technischer Fortschritt kann Filmprojekte also durchaus beflügeln und teilweise überhaupt erst möglich machen. Ob das, was dabei herauskommt, dann tatsächlich sehenswert ist, hängt natürlich von viel mehr Faktoren ab, als von der Technik dahinter. Und das ist auf eine gewisse Art auch beruhigend. Sie werden sehen.

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Auferstanden mit Augmented Reality Nun hat der jüngste Hype auch Deutschland erreicht: Mit »Pokémon Go« hat Nintendo vor wenigen Tagen ein Spiel für Smartphones veröffentlicht, das es innerhalb weniger Tage schaffte, weltweit auf den vordersten Plätzen der App-Download-Charts zu landen. Diesen Knüller hatte Nintendo bitter nötig: Der Spielkonsolenhersteller kämpft seit längerem damit, dass ihm die direkten Konkurrenten Sony und Microsoft den Rang ablaufen und in jüngster Zeit immer noch mehr Konkurrenz von Online-Spielplattformen und Spiele-Apps kommt. Doch dank »Pokémon Go« gelang Nintendo nun ein Befreiungsschlag der besonderen Sorte, den man auch messen und in Zahlen fassen kann: Quasi über Nacht stieg der Börsenwert von Nintendo sprunghaft an. Millionen Spieler luden die App auf ihre Smartphones und das Spiel schaffte es in der Folge auch prominent in die Medien — auch in solche, die normalerweise gar nicht oder nur selten und ganz nebenbei über Spiele berichten. Innerhalb weniger Tage ging dann der Aktienkurs des Herstellers durch die 53

Decke: Nintendos Börsenwert stieg um mehrere Milliarden US-Dollar. Was macht die App so erfolgreich? Das Spiel nutzt die Standortdaten und die Kamera des Smartphones und leitet die Spieler wie bei einer Art Schatzsuche zu Orten, wo man — vereinfacht gesagt — Pokémon-Monster fangen kann. Eine Kombination aus Smartphone-Spiel, Schnitzeljagd und Geocaching also. Das funktioniert so: Die App nutzt die Kamera des Smartphones und ergänzt die damit erfasste Umgebung auf dem Smartphone-Bildschirm mit computergenerierten Inhalten: Auf dem Smartphone sitzt dann in einer Tiefgarageneinfahrt in der Nachbarschaft plötzlich ein virtuelles Monster. »Pokémon Go« nutzt also Augmented Reality.

»Doch die Faszination, die von der Kombination aus Realität und Computerinhalten ausgeht, scheint auch hier zu funktionieren.« Diese Technologie war erst kürzlich — auf einem anderen Niveau und in einem anderen Zusammenhang — auch in der deutschen TV-Berichterstattung von der Euro2016 im Einsatz: Spieler und Aufstellungen wurden ins reale Studioumfeld eingeblendet. Ein Egripment-Kamerakran lieferte dabei per Trackingsystem exakte Positionsdaten und fütterte damit das Augmented-Reality-System von Vizrt. Das wiederum konnte auf dieser Basis ermitteln, wo sich die Kamera im Studio jeweils befand und dann in Echtzeit die Grafikelemente zuliefern, die exakt zum Realbild der Krankamera passten. Ganz so ausgefeilt geht es bei »Pokémon Go« natürlich nicht zu. Doch die Faszination, die von der Kombination aus Realität und Computerinhalten ausgeht, scheint auch hier zu funktionieren. Ist das der endgültige Durchbruch für Augmented Reality auf breiter Front? Zumindest erfährt die Technologie mit dem Pokémon-Go-Hype einen 54

echten Schub. Ob das langfristig wirkt, wird sich aber — wie so oft — noch zeigen müssen. Was aber sicher ist: Nintendo kann damit einerseits — zumindest potenziell — aktuelle Bilder an allen Ecken der Welt sammeln und andererseits seine Spieler auch gezielt an bestimmte Orte locken: Damit lässt sich über die Einnahmen für den Download hinaus, weiteres Geld verdienen. Ob nun die Horrorvision von Millionen ferngesteuerter Smartphone-Zombies Realität wird, die an dem einen Coffeeshop oder Tattoo-Studio vorbei, zu einem anderen umgeleitet werden, weil dort das interessantere, wertvollere, seltenere Monster sitzt? Sie werden sehen.

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»Live«: Zuerst im Internet und dann im Fernsehen? Die Übertragung großer Live-Events ist eine der letzten Bastionen linearer TV-Sender, wenn es darum geht, sich von Online-Angeboten abzuheben. Aufwändige Multikameraproduktionen im Sport- und Unterhaltungsbereich, die Millionen von Zuschauern live verfolgen, dürften wohl noch für eine längere Zeit eine Domäne der TV-Sender bleiben. Das bewies jüngst auch die Fußball-Europameisterschaft wieder eindrucksvoll. Im News-Bereich hingegen, scheint sich eine Entwicklung in anderer Richtung zu verfestigen: Dort wächst das Live-Streaming von mobilen Geräten aus zu einer neuen Kraft heran — angesichts dramatischer Ereignisse in aller Welt. Über Facebook, Youtube und andere Plattformen oder direkt von Handy zu Handy, kann sozusagen jeder live und ungefiltert streamen, seine eigenen Inhalte über die sozialen Medien verbreiten, noch während sie geschehen und andauern. Über diesen Weg finden die Videoschnipsel dann teilweise auch wieder ihren Weg ins lineare Fernsehen. 56

Ein in vieler Hinsicht bemerkenswertes Beispiel hierfür: Der türkische Präsident Erdogan meldete sich via Facetime zu Wort, als Teile des Militärs in seinem Land einen Putschversuch unternahmen. Zu sehen war das live bei CNN Türk und zwar auf dem Smartphone einer Moderatorin des Senders, die ihr Handy während der Sendung in die Kamera hielt. Erdogan konnte die Bevölkerung auf diese Weise innerhalb kürzester Zeit und live zum Widerstand gegen die Putschisten aufrufen. Ein anderes, ebenfalls dramatisches und sehr bemerkenswertes Beispiel für Live-Streaming ereignete sich vor kurzem in den USA: Dort streamte eine Frau via Facebook, wie ihr Lebenspartner von einem Polizisten im Verlauf einer völlig aus dem Ruder laufenden Verkehrskontrolle erschossen wurde und verblutete.

»Tatsächlich müssen sich Nachrichtenmacher aus aller Welt aber damit auseinandersetzen, dass sie in immer mehr Fällen keinerlei Echtzeit Monopol mehr für Nachrichten haben.« Das sind Vorgänge und Bilder, die Fragen auf ganz unterschiedlichen Ebenen aufwerfen — natürlich auch solche, die außerhalb des thematischen Fokus von film-tv-video. de liegen und deshalb nicht Teil dieses Newsletters sein sollen. Ein weiteres Beispiel: Beim Anschlag in Nizza war der BR-Journalist Richard Gutjahr zufällig vor Ort und konnte mit seinem Handy den Lastwagen filmen, der in die Menschenmenge gesteuert wurde. Gutjahr streamte aber nicht live, sondern übergab das Material an ARD-Aktuell, die gemeinsame Nachrichtenredaktion der ARD. Die Tagesthemen und andere Sendungen entschieden sich dann, diesen Clip oder zumindest Teile davon zu zeigen.

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Solche Ereignisse lösen auch Debatten darüber aus, was man wann wo zeigen kann, soll, darf und muss. Solche Debatten sind einerseits dringend notwendig, gehen aber andererseits auch oft an der Realität vorbei. Als Nachrichtenredaktion kann man sich eben in letzter Konsequenz allenfalls noch fragen, ob man Material, das ohnehin schon im Netz unterwegs und verfügbar ist, auch im Fernsehen zeigen will, vielleicht in einer für den normalen, unvorbereiteten Zuschauer erträglicheren, anonymisierten Form. Tatsächlich müssen sich Nachrichtenmacher aus aller Welt aber damit auseinandersetzen, dass sie in immer mehr Fällen keinerlei Echtzeit-Monopol mehr für Nachrichten haben. Fast immer gibt es irgendjemanden, der über Facebook, Youtube oder Twitter sogar viel schneller ist. Wird dadurch das klassische Nachrichtenfernsehen auf Dauer überflüssig? Das glauben eigentlich nur Medienskeptiker. Die Gegenposition fasste Jim Egan, CEO von BBC Global News gegenüber film-tv-video.de einmal so zusammen: »Schneller als irgendein Augenzeuge vor Ort mit einem Smartphone, können wir eben nicht sein. Deshalb ist es unsere Aufgabe, solche Informationen zu verifizieren, zu ergänzen und einzuordnen. (...) Wir veröffentlichen News nur dann, wenn wir sicher sein können, dass sie korrekt sind. Und so werden wir auch wahrgenommen — unsere Zuschauer und Leser gehen davon aus: „Wenn BBC World eine Nachricht veröffentlicht, stimmt sie auch.“ Das dürfen wir nicht enttäuschen.« Diesen Anspruch in der Praxis zu erfüllen, ist natürlich alles andere als leicht. Es zumindest beständig anzustreben, könnte für die Zukunft der Medien aber möglicherweise umso wichtiger sein. Sie werden sehen.

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4K: In Deutschland marktrelevant? Welche Antwort man auf die in der Überschrift gestellte Frage erhält, hängt natürlich in erster Linie davon ab, wen man fragt. Die Kamerahersteller befeuern das Thema 4K schon geraume Zeit und sehen natürlich höchste Relevanz. Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland hingegen haben weder von der Fußball-EM 4K-Bilder gesendet, noch werden sie das bei den in Kürze beginnenden Olympischen Spielen tun — Anlässe, wie sie traditionell gern zur Vorstellung und Einführung neuer Technologien genutzt werden. Stattdessen bewerben ARD und ZDF im eigenen Programm, dass man nun mit DVB-T2 auch über Antenne HD-Fernsehen empfangen kann. Da klaffen Welten. An anderer Stelle zeigt sich ein eher gemischtes Bild: »Wir müssen 4K anbieten können, sonst fliegen wir schon in den Vorgesprächen oder in der Angebotsphase aus dem Rennen. Ob der Kunde dann tatsächlich 4K macht, oder eben doch in HD produziert, das ist eine ganz andere Frage.« So lässt sich zusammenfassen, was die Redaktion in 59

den vergangenen Monaten von zahlreichen Gesprächspartnern hörte. Eine umfangreiche, repräsentative, hieb- und stichfeste Marktumfrage können wir zu diesem Thema nicht bieten — und es ist der Redaktion auch keine solche aus anderer Quelle bekannt. Aber es deutet vieles darauf hin, dass die Mehrzahl neuer Camcorder zwar 4K bietet, von ihren Besitzern aber oft und teilweise auch ausschließlich für HD-Produktionen genutzt wird.

»Die Preise für Kameras und Camcorder etwa, die keine 4KPerspektive bieten, werden weiter verfallen.« Daraus resultieren viele weitere Aspekte: Die Preise für Kameras und Camcorder etwa, die keine 4K-Perspektive bieten, werden weiter verfallen. Diese Erosion hat schon begonnen und wird weitergehen. Wenn aber die Sender in Deutschland keine oder nur geringe Ambitionen in Richtung 4K zeigen — und das schließt bislang durchaus auch die privaten Sender in Deutschland ein — woher kommt dann das Interesse an 4K? Es ist der Wunsch nach ein bisschen Zukunftssicherheit: »Wenn wir jetzt investieren, wollen wir wenigstens die 4K-Hürde mit diesem Equipment noch nehmen können.« Oder mit Bezug auf die jeweilige Produktion selbst: »Wenn wir heute in 4K produzieren, können wir das Material vielleicht auch in Zukunft noch besser verwerten.« Und es sind auch andere Marktkräfte am Werk: Neben den Sendern gibt es eben auch den immer noch weiter wachsenden Event-Bereich, wo mit teilweise riesigen Displays gearbeitet wird. Um diese mit adäquatem Bildmaterial füttern zu können, ist 4K sicher keine schlechte Wahl. Mit HDR und 4K können sich zudem auf der Distributionsseite Streaming-Plattformen auch in puncto Bildqualität von den Sendern absetzen. 60

Wir sind also letztlich unter vielen Aspekten wieder in der gleichen Situation, wie beim Wechsel von SD zu HD: Es wird eine lange Übergangsperiode geben, aber auf der Herstellerseite wird schon in Bälde niemand mehr in die Entwicklung von reinen HD-Produkten investieren — und so kommt 4K dann letztlich auch zu denen, die es gar nicht wollen. Sie werden sehen.

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Von grünem Wasser, Doping und Unsportlichkeiten Die Olympischen Spiele in Rio haben begonnen, viele Medaillen sind schon vergeben, darunter auch ein paar an deutsche Teilnehmer — und einige unerwartete Vorfälle gab es auch schon: So musste etwa zu später Stunde das International Broadcast Center in Rio wegen eines Feueralarms komplett geräumt und somit auch die laufende Sendung aus dem gemeinsamen Studio von ARD und ZDF unterbrochen werden. In der deutschen Reitsportgemeinde gab es Aufregung über eine herabsetzende TV-Kommentierung gegenüber einer jungen Reiterin. Wer wollte, konnte erfahren, dass Schwimmstar und Medaillenweltrekordler Phelps sich schröpfen lässt. Heute wiederum rätselt die ganze Welt, wie das blaue Wasser beim Turmspringen quasi über Nacht grün wurde. Algen? Ein kaputter Wasserfilter? Die üblichen Ingredienzien Olympischer Spiele — Sport, Wettkampf, Drama, Klatsch und Tratsch — wären somit schon nach den ersten Tagen des Events abgedeckt:

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präsentiert mit Jubel, Freude, Rätsel, Sorge, Spekulation und natürlich Emotion. Business as usual? Nicht ganz, denn für ARD und ZDF könnten die Spiele in Rio aus anderen Gründen eine Zäsur darstellen: Das IOC unter Leitung von Thomas Bach hat Mitte 2015 ein über mehrere Jahre laufendes, länderübergreifendes Paket aus TV- und Multi-Plattform-Übertragungsrechten für Europa an Discovery Communications verkauft. ARD und ZDF gingen in den direkten Verhandlungen mit dem IOC leer aus. Und auch die Sublizenz-Verhandlungen mit Discovery blieben für Deutschland — anders als für Österreich und die Schweiz — bislang ergebnislos. Wie wir die nächsten Olympischen Spiele in Deutschland sehen und ob ARD und ZDF dabei noch aktiv sein können, ist somit aktuell noch offen. Im Gespräch mit film-tv-video.de bedauern etwa die Technik-Verantwortlichen von ARD und ZDF in Rio diese Entwicklung: »Wir haben über die Jahre unsere technischen und organisatorischen Workflows immer weiter verbessert und dieses Mammutprojekt stets aufs Neue gestemmt — und natürlich hätten wir diese Herausforderung auch in der Zukunft gern wieder angenommen«, erklärt Gunnar Darge, Technischer Leiter vom ZDF. »Nun müssen wir uns mit der aktuellen Situation abfinden und wollen natürlich in Rio noch einmal zeigen, dass wir es können«, sagt Dieter Thiessen, Technischer Leiter beim NDR. (Einen Artikel zur TV-Technik von ARD und ZDF in Rio finden Sie online bei film-tv-video.de.) Jenseits von Diskussionen um Rechte und Austragungsorte stellen sich natürlich noch jede Menge weiterer Fragen, wenn man Olympia in Rio verfolgt: Unsportlichkeiten verschiedener Dimension gehören dazu. So werden Sportler aus verschiedensten Gründen ausgebuht und geschnitten. Das hat etwa den deutschen Tennisspieler Dustin Brown getroffen, der mit Dreadlocks, coolem Auftreten und lässigem Spiel normalerweise als ikonische Ausnahmeerscheinung im Tennis gilt. Bei dessen Spiel buhte das 63

Publikum ohne wirklichen Anlass ausgiebig und jubelte dann sogar kurz, als er umknickte und sich verletzte (doppelter Kreuzbandriss). Erst als er sich unter Schmerzen am Boden wand, ebbte der höhnische, unsportliche Jubel aus Schadenfreude ab. Komplizierter ist die Lage beim Schwimmen: Auch die russische Schwimmerin Julia Jefimowa wurde im Schwimmstadion massiv ausgebuht. Sie ist allerdings eine des Dopings überführte Sportlerin, hat also Verhalten gezeigt, das man als betrügerisch und unsportlich bezeichnen kann. Sie hatte im Vorfeld eine Dopingsperre für die Spiele in Rio erhalten, schließlich aber dennoch eine Starterlaubnis erstritten. Dafür wurde sie von den anderen auf dem Podium mit Nichtachtung gestraft und vom Publikum ausgebuht. Auch andere Schwimmer, die schon des Dopings überführt worden waren, aber dennoch starten durften, bekamen den Unmut der Konkurrenz und des Publikums zu spüren, wenn sie Siege errangen.

»Ist das System immer weiter ver-rottet und es lässt sich nun nicht mehr kaschieren, was früher noch verdeckt werden konnte?« Kippt hier langsam etwas? Es wird jedenfalls auch viel Unschönes bei diesen Spielen sichtbar. Liegt das daran, dass immer mehr Beteiligte keine Lust mehr haben, den schönen Schein zu wahren und als Teil eines Schweigekartells zu agieren? War es also schon immer so — oder noch schlimmer — und wir kriegen nun halt mehr davon mit? Oder ist das System immer weiter verrottet und es lässt sich nun nicht mehr kaschieren, was früher noch verdeckt werden konnte? Wer die Politik des IOC unter Leitung von Thomas Bach im Vorfeld der Spiele verfolgt hat, der weiß jedenfalls, was die Offiziellen bei all dem sehen wollen: Business as usual. Sie werden sehen. 64

EDITORIAL 23

20 Jahre Smartphone Vor 20 Jahren kam mit dem Nokia 9000 Communicator das erste Smartphone der Welt auf den Markt. Der Hersteller, der ja bekanntermaßen nicht wirklich von dieser Pionierleistung profitieren konnte, schuf damit die Grundlage für einen neuen Markt, dessen heutige Dimensionen zum damaligen Zeitpunkt wohl nur die wenigsten für möglich hielten. Mittlerweile besitzen drei von vier Deutschen ein Smartphone – und nehmen es durchschnittlich 88 Mal pro Tag in die Hand — sagt zumindest die Marktforschung. Wenn man in U-Bahnen, vor Sehenswürdigkeiten, im Restaurant, beim Sport, bei Events aller Art mal um sich schaut, erscheinen diese Zahlen aber durchaus realistisch. Auf der Distributionsseite haben Smartphones schon lange erheblichen Einfluss auf unsere Branche. Ein Aspekt des Smartphones wirkt aber darüber hinaus: Jedes Smartphone bringt schließlich auch eine oder zwei Kameras mit — und das verändert zunehmend auch die Akquisitionsseite. Im Fotobereich spüren die Hersteller schmerzlich, 65

dass Smartphones den Markt einfacher Fotokameras so gut wie ausgelöscht haben. Smartphones haben auch große Teile des Consumer-Videomarkts übernommen. Das kann man im Urlaub besonders schön beobachten: Kaum jemand nutzt noch dedizierte Videokameras, stattdessen filmen Smartphones alles und jeden — und das bevorzugt im Hochkant-Format. Diese Entwicklung macht aber beim Consumer nicht Halt: Auch Profis nutzen verstärkt ihre Handys, um aufzunehmen. Im News-Geschäft etwa sind Smartphones mittlerweile schon zu einer festen Größe geworden: Ein bisschen hochgerüstet mit einem zusätzlichen Mikrofon und einer Halterung, lassen sich Beiträge am Ort des Geschehens per Smartphone schnell und vergleichsweise unkompliziert aufzeichnen – und bei Bedarf gleich zum Sender übertragen. Schneller und kostengünstiger geht es kaum. Meist werden Smartphones dabei als Ergänzung zum klassischen ENG-Equipment gesehen — aber wer weiß, ob und wie lange das so bleibt?

» 20 Jahre Smartphone haben nicht nur unsere private Kommunikation, sondern auch das TV- und Nachrichtengeschäft nachhaltig beeinflusst.« Ein anderer Aspekt: Sender verwenden immer öfter Material von Augenzeugen, die sich zufällig am Ort des Geschehens befanden. Dafür gibt es ganz aktuell ein in mehrerlei Hinsicht doppelbödiges Beispiel: Bei den Olympischen Spielen in Rio stürzte eine der von OBS genutzten Seilkameras in der Nähe der Carioca-Arenen aus 20 m Höhe ab, weil ein Seil des Systems gerissen war. Ein Besucher hatte den Absturz der Seilkamera zufällig mit seinem Handy gefilmt. Die Aufnahmen des Absturzes, bei dem mehrere Besucher verletzt wurden, konnte man schon kurz darauf in einem aktuellen Beitrag der ARD sehen. In der Mediathek konnte man den Beitrag aktuell abrufen.

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20 Jahre Smartphone haben nicht nur unsere private Kommunikation, sondern auch das TV- und Nachrichtengeschäft nachhaltig beeinflusst — inhaltlich, wie technisch. Wie wird die nächste große Entwicklung aussehen, die dem Smartphone das Wasser reichen kann? In den Entwicklungslabors der Silicon-Valley-Riesen scheint man die Antworten darauf derzeit bevorzugt in den Bereichen Gentechnik, Hirnforschung und künstliche Intelligenz zu suchen. Ob man diese Perspektive eher vielversprechend oder eher beunruhigend findet, ist natürlich eine Frage der persönlichen Einstellung. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 24

Monokultur in der Medienwirtschaft In der Landwirtschaft ist die Monokultur weit verbreitet, in manchen Bereichen ist sie die klar dominierende Anbauform. Monokultur in Verbindung mit Agrarchemie und Gentechnik bietet Vorteile, unter anderem auch wirtschaftliche, bringt aber auch negative Aspekte mit sich. Die Nachteile sind im Unterschied zu den Vorteilen allerdings oft nicht in allen Aspekten schnell, einfach und offensichtlich erkennbar. Was hat dieses Thema im Newsletter einer Online-Plattform zu suchen, die sich mit Film- und Videotechnik beschäftigt? Eine rhetorische Frage, denn man muss nicht lang suchen, um in der deutschen Medienlandschaft auf das Thema Monokultur und die damit verbundenen Assoziationen zu stoßen. Nochmal zurück zur Landwirtschaft und zur Natur: Hier wurde der Ruf nach Alternativen und nach Diversität über die Jahre immer lauter, selbst die Vereinten Nationen verabschiedeten 1993 eine Biodiversitäts-Konvention und es gibt mit dem Weltbiodiversitätsrat eine UN-Behörde, 68

die sich diesem Thema widmet. Credo: Wir brauchen Vielfalt. Und was sehen wir in der Medienwirtschaft und in der digitalen Gesellschaft insgesamt? Zunehmende Konzentrationsbewegungen und die Entstehung riesiger Monokulturen.

»Die digitale Wirtschaft wird de facto von ein paar wenigen Großkonzernen dominiert.« Ein paar Beispiele: Das erfolgreichste Smartphone-Betriebssystem, die erfolgreichste Suchmaschine, der am weitesten verbreitete Browser, alle kommen aus dem gleichen Haus. Wie viele Smartphone-Hersteller fallen Ihnen spontan ein? Wenn Sie online Waren bestellen, wie viele verschiedene Portale nutzen sie dafür? Die digitale Wirtschaft wird de facto von ein paar wenigen Großkonzernen dominiert, die uns in ihre jeweilige Welt ziehen und uns zunehmend auch dazu bringen wollen, uns komplett von ihnen bemuttern zu lassen: Sie ermitteln dann unsere Bedürfnisse und versorgen uns ganz gezielt mit Informationen und Produkten, die angeblich perfekt zu uns passen. Einmal eingelullt, wird es immer schwerer, diese komfortable Blase zu verlassen. Wer aber seine digitalen, gesellschaftlichen und sonstigen Kreise nie verlässt, der wird keine grundlegend neuen Erfahrungen mehr machen und lebt in seiner eigenen Monokultur. Die Tendenz zur Monokultur geht aber weiter: So leben wir zwar in einer Zeit, in der Informationen so schnell und frei verfügbar sind, wie nie zuvor. Dennoch walzen immer öfter globale Trends phasenweise alles nieder. Alle schreiben dann voneinander ab, posten, teilen, leiten weiter, was sie in der Regel gar nicht überprüfen können — oft auch gänzlich ohne darüber nachzudenken. Hauptsache schnell, Hauptsache ganz vorne mit dabei. 69

Was uns hingegen nicht gefällt, was wir nicht wissen wollen, was uns nicht interessiert — und das dennoch zu uns vorgedrungen ist — das wischen wir weg: im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn. Vielleicht sagt diese Geste, die man bei Smartphone-Nutzern in vielen Ausführungsvarianten beobachten kann, mehr über uns aus, als uns lieb ist: Wie lästige Insekten, Bettler, aufdringliche Verkäufer oder andere Nervensägen, verjagen wir die Infos mit einer abfälligen bis lässigen Bewegung vom Display und damit vermeintlich auch aus unserem Leben. Dabei sind sie in Wahrheit nicht nur weiterhin da, sondern letztlich unabdingbar: Wir brauchen Vielfalt. Wir müssen Stechmücken und Wespen nicht lieben, aber sie haben eine Funktion. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 25

Back on track? Die Branche befindet sich am Scheideweg: Das predigen die Chefs vieler Firmen und nicht minder viele Branchenexperten mantra-artig seit etlichen Messen. Oft nennen sie massive Veränderungen im TV-Konsumverhalten der Jüngeren als Beweis, um ihre Aussagen zu belegen. Besonders deren Sehgewohnheiten haben sich angesichts neuer Online-Anbieter wie Netflix, Amazon oder Youtube ganz zweifellos verändert, aber wie sich das konkret auf das lineare Fernsehen auswirken wird, das bleibt bislang doch eher im spekulativen Bereich. Hinzu kommen auf der TV-Anbieter- und Equipment-Herstellerseite drastische technologische Einschnitte: Immer höhere Auflösungen sind gefordert, immer mehr Devices, die auf der Distributionsseite bedient werden müssen und mit dem Wechsel von klassischer Broadcast- zu IP-Technik stehen plötzlich auch neue Workflows im Raum. Kurzum: die vergangenen Messen waren oft geprägt von Unsicherheit und der Frage, wie man all diese Herausforderungen bewältigen kann.

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Jetzt scheint bei Herstellern wie auch bei den Kunden etwas mehr Ruhe eingekehrt zu sein. Bei den Broadcastern, weil sie nun eher Strategien entwickelt haben, um den zahlreichen Neuerungen zu begegnen — und in der Folge auch bei den Herstellern, die nun besser einschätzen können, in welcher Richtung es technologisch, aber auch bei den Geschäftsmodellen ihrer Kunden gehen wird.

»Immer höhere Auflösungen sind gefordert, immer mehr Devices, die auf der Distributionsseite bedient werden müssen.« Konsolidierungen am Markt wird es auf der Herstellerseite in den kommenden zwei Jahren aber weiterhin geben, ist sich etwa Imagine-Firmenchef Charlie Vogt sicher. Gleichzeitig sprach er aber davon, dass wohl noch vier Jahre vergehen werden, bis IP-Technik am Markt ein Volumen von relevanter Größe erreichen werde (mehr dazu im Bericht über die Imagine-Pressekonferenz). Das ist auch deshalb interessant, weil Vogt noch vor drei Jahren selber zu jenen zählte, die den Paradigmenwechsel und die Revolution in der Branche ausriefen. Wenn er nun prognostiziert, dass die IBC2016 eine Messe werde, bei der es weniger um Hypes und mehr um Implementierungen dessen gehen werde, was aktuell technisch überhaupt möglich sei, ist das vielleicht ein gutes Zeichen. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 26

Der »Summer of Lenses« kulminiert zur IBC2016 In diesem Sommer — und bis zum 21. September ist aus astronomischer und kalendarischer Sicht schließlich noch Sommer, außerdem sind auch die Temperaturen bei der Messe in Amsterdam durchaus noch sommerlich — findet offenbar der »Summer of Lenses« statt. So viel Cine- und TV-Objektive wurden jedenfalls schon lange nicht mehr innerhalb eines so kurzen Zeitraums vorgestellt oder angekündigt, wie in den vergangenen Wochen und Tagen. Den »Summer of Lenses« hat sich aber keiner ausgedacht und er wurde auch nicht angekündigt, er ist einfach so entstanden. So gab Sigma bekannt, man werde eine ganze Familie von Cine-Objektiven für S35- und FF-Sensoren herstellen und von Leica kommt zur IBC 2016 die neue Cine-FF-Baureihe M 0.8. Angénieux wiederum stellt die neue EZ-Baureihe vor, umrüstbare Objektive, die wahlweise mit S35- oder FF-Kamerasensoren nutzbar sind. Von Zeiss kommt unter anderem der neue Zoom LWZ.3. Auch Samyang baut 73

seine Xeen-Baureihe weiter aus und kündigte im Juli und August weitere Objektive an. Sony spendiert seiner Kamera FS7 ein neues Zoomobjektiv — und im UHD-TVBereich kündigen Canon und Fujifilm neue Objektive an und bauen hier ihre 4K-Line-Ups aus. Zum »Summer of Lenses« passen auch die Raptor-Objektive von IB/E, auch wenn die schon zur NAB, also vor Sommerbeginn angekündigt wurden.

»Da scheint sich etwas angestaut zu haben, was sich nun quasi in Form eines Sommergewitters entlädt.« Da scheint sich etwas angestaut zu haben, was sich nun quasi in Form eines Sommergewitters entlädt — und zeigt, dass es bei den Objektiven im Zeitalter von 4K+ und großen Sensoren, ganz offenbar noch großes Marktpotenzial gibt. Sie werden sehen.

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Das große Fressen geht weiter Messen werden seit je her gern genutzt, um Firmenübernahmen bekanntzugeben. Auch in diesem Jahr wählten wieder etliche Firmen die IBC als Rahmen für solche Verlautbarungen — und zwar in ganz unterschiedlichen Branchensegmenten. So gab etwa Ross bekannt, dass man Abekas übernommen habe. Deren DVEs galten vor vielen Jahren quasi als Inbegriff der Videoeffekte, das Unternehmen hatte sich in der jüngeren Vergangenheit auf Video- und Replay-Server konzentriert. Im Server-Bereich sah nun Ross eine sinnvolle Ergänzung und kaufte Abekas. Im Software-Bereich hat sich Telestream mit Vidcheck einen Anbieter einverleibt, der sich auf Qualitätskontrolle, Test und Korrektur von Video und Audio in der digitalen Welt konzentriert hatte – damit bleibt Telestream weiter auf Wachstumskurs. Zwei weitere Traditionsfirmen sind seit der IBC2016 Teil von Blackmagic: Sowohl der Chromakey-Spezialist 75

Ultimatte, wie auch der australische Audiospezialist Fairlight. Mit diesem Schritt hat Blackmagic-Firmenchef Grand Petty einmal mehr gezeigt, dass er sein Unternehmen mit aller Konsequenz vorantreibt und weiterentwickelt. Auch Skeptiker müssen schließlich eingestehen, dass Blackmagic bei den vergangenen Akquisitionen ganze Arbeit geleistet hat. In der Postproduktionswelt gab es ebenfalls eine Übernahme: Boris FX, Entwickler von VFX- und Workflow-Lösungen, hat Genarts übernommen, bekannt für ihre Sapphire-Plug-Ins. Mit diesem Schritt will Boris FX weiter wachsen, das Unternehmen hatte erst unlängst Imagineer Systems gekauft, den Entwickler der Trackingund Compositing-Software Mocha.

»Die Branche hat schon einmal Zeiten erlebt, wo Unternehmen nach Unternehmen geschluckt wurde.« Weiter geht es im Bereich Intercom. Hier ist Riedel verwurzelt — wenn das Unternehmen seit einigen Jahren auch zusätzlich in anderen Bereichen unterwegs ist. Zur IBC2016 gab Riedel nun bekannt, den holländischen Intercom-Spezialisten ASL Intercom übernommen zu haben. Und auch der deutsche Intercom-Anbieter Delec wurde im Rahmen eines Asset-Deals ein Teil von Riedel. Und das ist nur die Herstellerseite. Der TV-Dienstleister NEP etwa ist schon seit längerem in Kauflaune und schluckt, beinahe wie ein Staubsauger, einen Ü-Wagen-Betreiber nach dem anderen. Das alles sind nur einige Beispiele für eine Entwicklung, die nach den Prognosen etlicher Branchen-Auguren noch lange nicht abgeschlossen ist: Die Branche werde sich insgesamt weiter konsolidieren, ist da immer wieder zu hören.

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Die Gründe für Akquisitionen können dabei ganz unterschiedlicher Natur sein: Mal möchte man Konkurrenten wegbeißen, mal zu mehr Marktbedeutung wachsen, mal die eigene Produkt-Range erweitern, manchmal auch einfach nur überleben. Und im Fall von Riedel ging es dem Firmenchef nach eigenen Angaben auch wesentlich darum, Mitarbeiter mit Expertenwissen zu übernehmen, die man schon länger händeringend suchte. Die Branche hat schon einmal Zeiten erlebt, wo Unternehmen nach Unternehmen geschluckt wurde, wo etwa Avid und Pinnacle kauften, was nicht niet- und nagelfest war. Bis schließlich dann Avid seinen Konkurrenten Pinnacle übernahm — und sich daran kräftig verschluckte. So kann man durchaus über den Verlauf und Ausgang spekulieren, sollte dieses Karussel wieder in Gang kommen. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 28

Ist 4K das neue HD? Und was ist mit HDR? 4K zählt schon seit vielen Messen zu den dominanten Themen der Branche. Für sehr viele Anwender, vielleicht sogar für die Mehrheit, ist es aber — da muss man sich nichts vormachen — immer noch ein Zukunftsthema. Doch die IBC2016 markiert hier in gewisser Weise einen Wendepunkt: Viele Gesprächspartner erwähnten gegenüber film-tv-video.de, dass es nun nach einer langen Phase der Sondierungen und Vorgespräche, sehr viel mehr konkretes Kaufinteresse gebe. Für die Hersteller hingegen hat 4K über die Zeit sogar schon langsam an Strahlkraft verloren. Also wird hier zusätzlich über HDR gesprochen oder über 8K — und manchmal auch über noch mehr Auflösung. Das hat jetzt schon eine Folge, die sich in den kommenden Monaten und Jahren verstärken wird: Wer heute neues Equipment kauft, der wird in der Regel 4K haben wollen und zumindest einen Pfad oder eine Option in Richtung HDR. Ordentlich Zeitlupe on top, wäre natürlich auch nicht schlecht. 78

So richtet sich also der Blick über 4K hinaus in Richtung HDR. Wie HDR in der Praxis implementiert werden soll, bleibt aber derweil eher noch unsicher. Viele Fragen sind noch offen: Wie und wann bringt welcher Broadcaster HDR zum Endkunden? Was nutzt es, wenn man zwar Studiokameras besitzt, die 4K und HDR bieten, während es aber gleichzeitig an allen anderen Ecken und Enden noch klemmt? Wie sieht es etwa aus mit Kameras, die 4K, HDR und Slomo in einem Gerät kombinieren? Fehlanzeige: Braucht man aber, um zeitgemäße Sportübertragungen zu realisieren. Gibt es professionelle, live-fähige Minikameras, die 4K und HDR beherrschen? Fehlanzeige: Braucht man aber im Sportbereich, bei Konzerten und vielen anderen Gelegenheiten.

»Es bleibt also immer die Diskrepanz zwischen der Anwenderrealität und der Herstellervision.« Wir erzeugt man aus 4K-HDR-Material in Echtzeit ein HD-Signal, das man aber zweifellos noch für geraume Zeit parallel benötigen wird? Gibt es dafür die passenden Wandler und die Infrastruktur? Eher nein. So könnte man noch viele weitere Fragen stellen. Es bleibt also immer die Diskrepanz zwischen der Anwenderrealität und der Herstellervision — und bei Messen wie der IBC tritt diese ganz besonders zutage. Lassen wir in diesem Zusammenhang zusätzlich auch mal den Blick zu den öffentlich-rechtlichen Sendern schweifen, die in Deutschland immer noch ein echtes Pfund im Markt darstellen: Einige haben ihr Programm tatsächlich erst vor kurzem auf HD-Produktion umgestellt. Und alle zusammen senden ihr Programm noch nicht mal mit 1.080, sondern mit 720 Zeilen. Da wäre der Schritt hin zu 1.080p schon mal ein ordentlicher Sprung. 79

Bis also hier auf der Anwenderseite etwas entscheidendes in Richtung 4K und HDR passiert, werden — das ist völlig klar — noch etliche Jahre ins Land ziehen. Wer erst vor kurzem gerade mal seine SD-Infrastruktur auf HD migriert hat, lacht bestenfalls hysterisch auf, wenn er schon wieder investieren soll. Sollte man es deshalb sein lassen, sich mit den neuen Technologien zu beschäftigen? Eine rein rhetorische Frage, wenn man nicht direkt vor der Rente steht. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 29

Realitätsverlust? In einem ziemlich alten, ziemlich albernen Film mit dem deutschen Titel »Die nackte Kanone« spielte der vor knapp sechs Jahren verstorbene Leslie Nielsen den sehr ungeschickten, aber umso selbstbewussteren Polizisten Frank Drebin. Der Film strotzt nur so vor Parodien berühmter Filmszenen, vor Slapstick und wahnwitzigen Dialogen. Unter anderem gibt es in dieser Komödie eine Passage, in der eine Feuerwerksfabrik explodiert — natürlich als Folge einer zuvor immer weiter eskalierenden Folge von Missgeschicken und dummen Zufällen. Frank Drebin stellt sich dann vor die Desasterzone und ruft den Schaulustigen zu: »Also gut Leute, weitergehen, weitergehen. Hier gibt es nichts zu sehen. Bitte gehen Sie weiter. Es gibt nicht das Geringste zu sehen Leute.« Aber im Hintergrund läuft derweil ein einziges katastrophales Armageddon aus immer heftigeren Explosionen ab. So ähnlich wie Frank Drebin arbeiten auch manche PR- und Marketingleute: Sie verneinen das Offensichtliche. Das konnte man auch während der IBC2016 an 81

verschiedenen Stellen in der Praxis beobachten. Mag sein, dass die Frank-Drebin-Methode in Einzelfällen schon mal funktioniert hat, in aller Regel ist aber das Gegenteil der Fall. Nun erwartet niemand ernsthaft, dass der Propagandabeauftragte eines Unternehmens ein objektives, wahrhaftiges Bild zeichnet: Er oder sie wird schließlich dafür bezahlt, das Unternehmen, seine Aktivitäten und Produkte im besten Licht erscheinen zu lassen, das Glänzende noch mehr zum Scheinen zu bringen und die dunklen Punkte im Schatten verschwinden zu lassen. Aber man kann es eben auch einfach übertreiben und in den Realitätsverlust abgleiten. Der Redaktion begegneten während der Messe etliche solche Fälle, aber nehmen wir als nahezu willkürliches Beispiel einfach mal die Überschrift der Abschlusspressemeldung der IBC: »IBC2016 Triumphs in Transformation«. Die IBC2016 war, zumindest nach dem Eindruck der Redaktion von film-tv-video.de, tatsächlich unter vielen Aspekten keine schlechte Messe. Aber ein Triumphzug, ein einziger glänzender Erfolg? Amsterdam ist zweifellos eine anregende, interessante Metropole, die auch als Messestadt einige Attraktionen zu bieten hat: einen internationalen Flughafen, Hotelkapazität und vielfältige Gastronomie etwa — inklusive Rotlichtbezirk und Koffieshops.

»Den Triumphzug einer Messe stellen wir uns also — mit Verlaub gesagt — ganz anders vor.« Weil aber die Leute sowieso kommen, sehen der Betreiber des Messegeländes RAI und die Stadtverwaltung offenbar gar nicht ein, sich besonders anzustrengen. Überfüllte Trams und Metros, die zu Stoßzeiten in der Kurzzugversion eingesetzt werden, Messehallen die entweder Treibhaus82

oder Kühlschranktemperaturen haben, ein offenes W-LAN aus der Steinzeit, ein in weiten Teilen sediert und überfordert wirkendes Catering — und das alles bei immer weiter steigenden Preisen: Mit solchen Aspekten ist die IBC aufgrund des Austragungsorts seit Jahren belastet. Das könnte eine Folge verkrusteter Strukturen hinter den Kulissen sein — und falls es einen Kampf dagegen gibt, blieb dieser bisher ziemlich erfolglos. Den Triumphzug einer Messe stellen wir uns also — mit Verlaub gesagt — ganz anders vor. Aber das ist vielleicht auch nur unser Problem, denn Frank Drebin lehrt uns ja: »Hier gibt es nichts zu sehen. Bitte gehen Sie weiter. Es gibt nicht das Geringste zu sehen Leute.« Wir sagen hingegen, seit es diesen Newsletter gibt, gänzlich unbeirrt: Sie werden sehen.

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EDITORIAL 30

IBC 2016: Yoga für die Branche? Es gibt Messen, bei denen fast alle Hersteller auf den gleichen, neuen Trend aufspringen und mit aller Macht versuchen, sich dazu zu positionieren oder sich damit zu profilieren. Dann sind innerhalb kürzester Zeit überall die gleichen Buzz-Words zu hören, das jeweilige Thema ist auf der ganzen Messe omnipräsent und in manchen Fällen beginnt ein einziges Thema die ganze Messe zu dominieren. Es kann sogar passieren, dass das Thema sozusagen ein Eigenleben entwickelt, überall herumgeistert und sich so immer tiefer in den Köpfen der Besucher und Aussteller einnistet — und dadurch viel größer erscheint, als es in Wahrheit ist. So war es etwa mit Stereo-3D: Selbst Firmen, die eigentlich gar keinen Bezug dazu hatten, stellten in der Hochphase des Stereo-3D-Hypes irgendwo ein 3D-Display an ihren Stand, um dabei zu sein.

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Während der NAB in diesem Jahr konnte man den Eindruck gewinnen, dass nun nach dem kurzen Zwischenspiel von Drohnen und Stabilizer-Rigs, das Thema VR360 diese Rolle übernimmt. Bei ganz unterschiedlichen Herstellern war es präsent und spielte eine größere Rolle. Nun aber muss man konstatieren: Auf die IBC2016 hat der VR360-Hype nicht mit voller Macht durchgeschlagen. Vielleicht einfach noch nicht, vielleicht sind aber auch die Erinnerungen an die enttäuschten Hoffnungen noch zu frisch, die viele in Stereo-3D gesetzt hatten. Um klar zu sein: VR360 war durchaus ein Thema während der IBC2016, aber es hat bei weitem keine vergleichbare Wucht entfaltet, wie etwa Stereo-3D zu seiner Hochzeit — und es war ganz sicher nicht das dominierende Messethema. Aber was war denn dann das übergreifende, omnipräsente Messethema? Nun: Es gab keines — zumindest ist das die Sicht von film-tv-video.de. Ein echter Hype war bei der IBC in diesem Jahr nicht zu spüren. Natürlich kann man sich das Gegenteil immer einreden, Hypochondern tut schließlich auch immer irgendetwas weh, und wenn man lange genug in sich hineinhorcht, wird man schon irgendeinen Phantomschmerz entdecken.

»Herausragende, bahnbrechende und richtungsweisende Technologiesprünge fehlten also in diesem Jahr in Amsterdam.« Lässt man diese Faktoren aber beiseite, konnte man bei so manchen Herstellern bei der diesjährigen IBC sogar eher den Eindruck gewinnen, als hätten sie sich eine Art Sabbatical, eine Auszeit vom Hype auferlegt: Keine heiße Luft hecheln, sondern stattdessen ruhig ein- und ausatmen.

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Im Marketing-Sprech heißt das »Fokussierung auf die Kernkompetenzen« – wo auch immer diese liegen. Statt etwa den IP-Wandel weiter zu projizieren und aufzublasen, wurde an der Interoperabilität in diesem Bereich gearbeitet und gezeigt, was schon erreicht ist. Herausragende, bahnbrechende und richtungsweisende Technologiesprünge fehlten also in diesem Jahr in Amsterdam. Stattdessen war Rückbesinnung und Reality-Check angesagt: Nicht nur beim Thema IP-Technik, sondern auch im Kamerabereich, wo die ganz großen Sensationen (noch) ausblieben. Es waren durchaus alle neuen Technologien präsent und wurden diskutiert, aber längst nicht so marktschreierisch angepriesen und aufgepumpt, wie man das von früheren Messen her kennt. Mag sein, dass diese Form der Entschleunigung den einen oder anderen sogar nervös macht und zu einem Mangel an Messespannung führt. Könnte aber auch durchaus sein, dass diese Stimmung letztlich besser zur Branche passt und auf lange Sicht das erfolgreichere Modell darstellt. In jedem Fall ist die Entschleunigung aber für manche Firmen definitiv angezeigt und notwendig, denn technologische Ausflüge ins Märchenland der neuen Möglichkeiten versprechen und kosten eben oft sehr viel mehr, als sie später halten. Das musste manches Unternehmen in den vergangenen Jahren schmerzlich erfahren. Also vielleicht doch lieber mal einen Yoga-Kurs einflechten und ganz ruhig durchatmen. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 31

Innovation der Alten — Frischzellenkur für die Branche Die Stimmung in etlichen etablierten Firmen in der Branche ist derzeit durchwachsen: Es knirscht und knarzt noch an manchen Stellen. Beim einen oder anderen passt das Produktangebot nicht so ganz zu den aktuellen Kundenwünschen. Außerdem finden derzeit an sehr vielen Stellen der Branche gleichzeitig tief einschneidende Veränderungen statt — und das mit atemberaubender Geschwindigkeit. Das zusammengenommen, zieht oft schmerzhafte Anpassungsprozesse nach sich, die natürlich auf die Stimmung drücken. Wenn es um Innovation geht, oder um »disruptive Technologien«, die das Bestehende obsolet machen können, dann schweift der Blick meist auf Newcomer oder nach außerhalb der Branche. Dieses Schema wollen wir heute mal durchstoßen und eine Lanze brechen für die alteingesessenen Unternehmen der Branche. Natürlich gibt es jene Firmen, die einfach mehr oder weniger weiter wursteln wie bisher: Kodak lässt grüßen. Die Mehrheit der Firmen hat hingegen schon längst 87

begonnen, sich umzuorientieren, sich zu erneuern und neu zu erfinden — und legt dabei eine enorme Innovationskraft und Energieleistung an den Tag. Vergleicht man etwa die aktuellen Produktpaletten der allermeisten Unternehmen unserer Branche mit dem, was sie jeweils vor zehn Jahren im Angebot hatten, dann erkennt man: Es liegen Welten dazwischen. Die meisten Unternehmen haben es eindeutig geschafft, neue Ansätze zu verwirklichen und sich zu adaptieren: sie haben sich auf der technologischen Seite grundlegend erneuert.

»Wenn sich auch die Automobilbranche ähnlich schnell gewandelt hätte wie unsere, dann müssten wir längst alle fliegende Elektroautos in der Garage haben.« Bei vielen davon ist das nicht freiwillig geschehen, sondern es bedurfte definitiv der »jungen Wilden«, um diese Entwicklung in Gang zu bringen. Ein konkretes Beispiel: Ohne Red, GoPro und Blackmagic hätten Sony, Panasonic und Arri heute sicher nicht die Kameras im Angebot, die sie im Angebot haben. Aber sie haben es geschafft, sich zu verändern und zu erneuern — in einem wirklich sehr beeindruckenden Maß. Und das ist nur ein Beispiel, ein Branchensegment von vielen, für die das zutrifft. Wenn sich auch die Automobilbranche ähnlich schnell gewandelt hätte wie unsere, dann müssten wir längst alle fliegende Elektroautos in der Garage haben. Hätte diese viel größere, reichere Branche einen solch heftigen Wandel gepackt? Manche glauben, er stehe hier in naher Zukunft mit neuen Herstellern unmittelbar bevor. Wenn selbstfahrende Autos und Elektrofahrzeuge Realität werden, dann werden wir schlauer sein.

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Unsere Branche und in ihr die etablierten Marktteilnehmer, können also schon auch ein bisschen stolz sein auf das, was bisher geschafft wurde: auf den Erfindergeist, auf die Innovationskraft, auf die Wandlungsfähigkeit. Natürlich ist der Wandel keineswegs vorbei. Er wird sich sogar fortsetzen und möglicherweise auch noch weitere Opfer fordern. Es heißt also: Bloß nicht nachlassen und sich von den Untergangstrompetern weder einschüchtern, noch ins Bockshorn jagen lassen. Ein gutes Stück des steinigen Weges liegt jedenfalls schon hinter uns. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 32

Berufsjugendliche unter sich? ARD und ZDF starteten zum 1. Oktober 2016 ein gemeinsames Online-Angebot mit dem Namen »Funk«. Damit soll die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen erreicht werden. 45 Millionen Euro jährlich werden dafür bis 2020 aus dem Rundfunkgebührentopf bereitgestellt. Die Reaktionen darauf waren erwartungsgemäß sehr gemischt — schon bevor dieses Angebot überhaupt offiziell angelaufen war. Das an sich ist ja auch nicht zu beanstanden, wir leben schließlich in einer Demokratie und da ist es vollkommen legitim und richtig, auch die Organisationsstrukturen und den Output der Öffentlich-Rechtlichen in Frage zu stellen und zu kritisieren, die wir ja alle gemeinsam finanzieren (müssen). Und tatsächlich haben frühere Bemühungen der Sender, auch wieder jüngere Zielgruppen zu erschließen, nicht selten zu peinlichen Ergebnissen geführt. Immer wieder kamen nämlich in diesem Zusammenhang Berufsjugendliche innerhalb der Sender zum Einsatz, die sich zwar selbst noch jung fühlten, aber letztlich nur bräsigen 90

Brei produzierten, der dann auf Wegen und zu Zeiten versendet wurde, die nicht zur Zielgruppe passten.

»Wie soll sich denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk erneuern, wenn man jede Veränderung schon mal vorab verdammt.« Das neue Konzept ist aber tatsächlich ganz anders und vielleicht wäre es ganz sinnvoll, nicht einfach nur reflexhaft draufzuhauen, sondern dem Ganzen eine Chance zu geben und zumindest mal eine Weile abzuwarten, ob es sich bewährt. Wie soll sich denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk erneuern, wenn man jede Veränderung schon mal vorab verdammt, sich aber gleichzeitig darüber aufregt, dass mit dem aktuellen Programm nur die Alten berieselt würden? Einige der Totschlagargumente der Skeptiker laufen darauf hinaus, dass Funk nicht funktionieren könne, weil nicht nur die Strukturen der Sender, sondern auch deren Personal und deren Entscheider überaltert seien. Das läuft im Endeffekt auf die Argumentation hinaus, dass sich immer nur Gleichaltrige auf Augenhöhe begegnen könnten und miteinander beschäftigen sollten. Lassen wir uns denn beispielsweise auch alle nur von gleichaltrigen Ärzten behandeln? Vielleicht finden die Sender mit Funk ja einen Weg, mit den richtigen Leuten an den richtigen Positionen, eine verlorene Zielgruppe wieder zu erreichen. Ein Recht auf ein solches Angebot von Seiten der Öffentlich-Rechtlichen haben die Jungen definitiv: Sie zahlen ja auch Rundfunkbeiträge — außer sie wohnen bei den Eltern oder beziehen Bafög.

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Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass — das können auch die Öffentlich-Rechtlichen nicht schaffen. 45 Millionen Euro pro Jahr sind viel Geld, aber wenn Funk funktioniert, könnte das Geld gut investiert sein — besser als an vielen anderen Stellen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems. Selbst dann, wenn der eine oder andere vielleicht erst mal Probleme damit hat, wenn mit Gebührengeld Formate finanziert werden, die beispielsweise »Fickt euch!« heißen. Dieses Format beantwortet nach Angaben der Macher übrigens »alle Fragen zum Thema Sex — offen und tabulos.« Funk wird es nicht leicht haben, das ist jetzt schon klar — aber wer nichts probiert, der kriegt auch nichts hin. Sie werden sehen.

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Wollen Sie einen Euro für kranke Kinder spenden? Dass bei Spendengalas im Fernsehen gar nicht alle Spenden ihren guten Zweck erreichen, wurde kürzlich vom Nachrichtenmagazin Spiegel thematisiert: Die Hilfsorganisationen müssen einen Teil der Produktionskosten tragen. Das kann man so und so sehen — und deshalb wollen wir an dieser Stelle von einem verwandten Spendendilemma berichten.

»Sagt man nein, steht man als empathieloser Knicker da, dem kranke Kinder gleichgültig sind« Neulich an der Kasse: »Das macht 12 Euro 30. Wollen Sie zusätzlich noch einen Euro für kranke Kinder spenden?« Eine gemeine Frage. Sagt man nein, steht man als empathieloser Knicker da, dem kranke Kinder gleichgültig sind und dem es nur um den eigenen Konsum geht. Wer will das schon?

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Also spenden? Moment mal, nicht überrumpeln lassen, sondern erst mal nachdenken. Woher weiß ich denn, dass das Geld wirklich bei kranken Kindern ankommt? Und wenn ja, wieviel davon kommt im Endeffekt tatsächlich in welcher Form bei den kranken Kindern an? Und überhaupt: Kranke Kinder? Was heißt das ganz konkret? So kann man viele, viele Fragen stellen, bis hinunter zu sehr weit detaillierten Aspekten: Was ist eigentlich mit der Mehrwertsteuer, wenn die jetzt an der Kasse einfach einen Euro auf den Rechnungsbetrag draufschlagen? Aber das ist doch letztlich alles insgesamt ziemlich kleinlich und kleinkariert: Wieso immer so misstrauisch? Das ist schließlich ein großes Unternehmen, die werden das schon richtig machen. Mir tut der Euro nicht weh und jemand anderem hilft er vielleicht wirklich weiter. Also spenden? Nochmal nachdenken: Ich spende und dann gibt das Unternehmen die Spende weiter. Werden die darauf hinweisen, dass das Spenden ihrer Kunden sind? Oder werden sie diesen Aspekt eher untergehen lassen, sich selbst als großzügigen Unterstützer profilieren — und sich somit von den Kunden ihre Eigen-PR finanzieren lassen? Wenn denen so viel an der Sache mit den kranken Kindern liegt, sollen sie doch von ihren Gewinnen etwas spenden. Und ich werde nicht zu etwas genötigt, was ich nicht durchschauen kann und was ich vielleicht gar nicht will. Also spenden? Ja unbedingt: Aber vielleicht lieber dem Obdachlosen, der vor dem Laden auf dem Boden sitzt. Oder direkt einer Organisation, die ich für vertrauenswürdig halte und die eine Sache unterstützt, hinter der ich stehen kann und zu der ich einen Bezug habe. Vielleicht heißt die Lehre daraus: Großzügig geben, aber trotzdem die Augen offen halten, wenn nun die Spendensaison wieder anläuft. Sie werden sehen. 94

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Virtual und Augmented Reality: Wunsch und Wirklichkeit Von einer Messe erhoffen sich die Besucher in der Regel neue Erkenntnisse — und möglichst große, bahnbrechende Neuheiten. Letzteres wird natürlich häufig enttäuscht, denn es kann eben einfach nicht jede Messe mit einem absoluten Knallerthema aufwarten — und schon gar nicht bei jeder neuen Ausgabe. Technologien brauchen halt Zeit, um sich zu etablieren, durchzusetzen, in Produkten aufzuscheinen, schließlich ihren Markt zu finden und diesen zu besetzen. Dennoch scheint derzeit — nicht nur in der Medienbranche — eine mehr oder weniger fieberhafte Suche nach dem nächsten großen Ding Raum zu greifen. Smartere Smartphones? Ja, ganz nett — aber reißt eigentlich keinen mehr vom Hocker und das ganz große Wachstum scheint hier auch schon vorbei zu sein. Explodierenden Akkus und fehlende Kopfhörerbuchsen bei Samsung und Apple, das ist zusätzliches Wassser auf die Mühlen chinesischer Billigmarken, von denen aber wiederum kaum große Innovationen zu erwarten sind.

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Was also könnte »The next big Thing« werden? Viele denken dabei an Virtual- und Augmented-Reality-Produkte, auch auf der Analystenseite. Diese Technologien hätten durch Hypes wie das Handy-Spiel Pokémon Go und durch Massenprodukte wie Sonys Playstation VR den Sprung ins Bewusstsein einer großen Gruppe von Endkunden geschafft, damit sei die Grundlage für einen Boom geschaffen, so der Tenor: Wenn der Endkunde im Gaming die neuen Technologien annehme, werde ein neuer Virtual-Reality-Massenmarkt entstehen, der wiederum auch den Profimarkt befruchten könne.

»Was also könnte »The next big Thing« werden? Viele denken dabei an Virtual- und Augmented-Reality-Produkte.« Simulation und Visualisierung, etwa in der Lehre und Ausbildung, von der Architektur und dem Messebau über die Autoindustrie bis zur Medizin: Hier soll die Technologie mit Rückenwind aus dem Massenmarkt erst so richtig abheben, die Zeichen stehen demnach auf positiver Weiterentwicklung. Wie sieht es aber im klassischen Medienbereich aus? Hier sind es momentan eher die besonderen Events, die für VR/AR-Produktionen in Frage kommen: publikumsträchtige, mit entsprechenden Finanzen ausgestattete Sportproduktionen etwa, prestigeträchtige Veranstaltungen mit möglicherweise historischer Bedeutung, wie die Eröffnung des Gotthard-Tunnels. Hier und da noch eine aufwändige Reportage von einem exponierten Ort. Das ist das eine Ende. Am anderen Ende stehen die Selbstbeweihräucherung in den sozialen Medien, der Panorama-Blick in Immobilien und Fahrzeuge. Ganz klassische professionelle Brot- und Butterproduktionen hingegen, sind noch meilenweit von VR und AR entfernt. 96

Es reicht also für VR/AR zumindest in der Medienproduktionswelt noch nicht zur Qualifikation als »The next big Thing« — aber vielleicht wird daraus im Lauf der Zeit ja mehr und nachhaltigeres Wachstum, als es Stereo-3D je bieten konnte. Sie werden sehen.

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»So reagiert das Netz« Diese Woche fanden in München die Medientage statt. Zum Auftakt war auch die Bundeskanzlerin angereist und hielt eine Rede, in der es unter anderem um die Medienund Meinungsvielfalt ging, die Grundlage für die politische Teilhabe einer informierten, kritischen Bürgerschaft sei. Darin warnte sie auch vor dem Echo-Kammer-Effekt: Inhalte, die einem nicht passen, filtert man aus und bestärkt sich durch zustimmende Kommentare anderer nur noch in seiner eigenen Meinung. Tatsächlich gibt es seit geraumer Zeit eine Entwicklung, die solche Tendenzen noch verstärken kann: Im Internet und hier besonders in den sozialen Netzwerken sind immer mehr Bots unterwegs, also Computerprogramme, die bestimmte Aufgaben automatisiert abarbeiten. Das Grundprinzip des Bots gibt es schon lange: Google etwa nutzt solche Bots, um das Web abzugrasen und seine Suchmaschine zu optimieren. Andere Bots sind als Erntemaschinen von Spam-Versendern unterwegs und

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sammeln Email-Adressen. Wieder andere werden bei der Vorbereitung von Hackerattacken eingesetzt. Mit am perfidesten sind aber Bots, die so tun, als wären sie Menschen: Sie sind »intelligent« und lernfähig darauf programmiert, auf Medienseiten und in den sogenannten sozialen Medien Kommentare abzugeben — mit dem Ziel, bestimmte Meinungen und Interessen zu verbreiten und immer im Diskurs zu halten. Das kann politisch motiviert sein, aber auch kommerziell.

»Im Internet und hier besonders in den sozialen Netzwerken sind immer mehr Bots unterwegs, also Computerprogramme, die bestimmte Aufgaben automatisiert abarbeiten.« Weil der Mensch eine Tendenz hat, sich Mehrheitsmeinungen anzuschließen — man könnte auch weniger schmeichelhaft sagen: weil er ein Herdentier ist — kann sich die ständige, leicht variierte Wiederholung von Meinungen und Themen auf die eigene Meinungsbildung und das eigene Verhalten auswirken. So kann man, zumindest in der Theorie, Meinungen populär machen und Produkte verkaufen. Praktische Beispiele hierfür: Trendsportarten, Kleidermode oder Schönheitsideale. Und es geht weiter: Bots werden auch an anderer Stelle heute schon genutzt, um etwa wiederkehrende, schematische Meldungen zu generieren, wie beispielsweise Wetternachrichten: ein paar aktuelle Daten, ein paar Textbausteine, fertig. Die am weitesten entwickelten Varianten solcher Bots werden teilweise auch eingesetzt, um automatisiert andere News-Feeds zu lesen und daraus neue News und Trendmeldungen zu generieren. Das sind automatisierte Redakteure. Wenn aber solche Redaktions-Bots aus Nachrichten und Kommentaren virtuelle Trends und Tendenzen 99

herausdestillieren, die in Wahrheit von anderen Bots angeheizt wurden, dann ist der Irrsinn perfekt. Vielleicht ein Grund zu etwas mehr Skepsis, wenn es beim nächsten mal heißt: »So hat das Netz reagiert.« Falls Sie übrigens bei film-tv-video.de mal die Vermutung hegen, hier seien Bots am Werk, können wir Entwarnung geben: Unsere Fehler sind echt und werden nicht absichtlich eingebaut, um authentischer zu wirken. Sie werden sehen.

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Clickbaiting — die Krätze des Internets Auch wenn Ihnen der Begriff Clickbaiting nichts sagen sollte: Sie sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon zum Opfer dieser Internet-Seuche geworden. Beim Clickbaiting geht es darum, die Leser mit einer reißerischen Überschrift oder einem sonstigen Teaser neugierig zu machen und so auf die eigene Seite zu locken, um dort die Besucherzahlen und dadurch die eigenen Werbeeinnahmen zu erhöhen. Man legt einen Köder aus, um Internetnutzer einzufangen. Klassiker: »Erfahren Sie hier, wie sie mit drei einfachen Fitnessübungen einen Traumkörper bekommen«, »98 Prozent können dieses Rätsel nicht lösen«, »Was dieser Promi getan hat, wird Sie schockieren«, »Diese Bilder werden Sie nie wieder vergessen«, »Erst dachten alle dies, aber dann passierte das ....« — und so weiter und so weiter. Eigentlich überflüssig zu sagen, dass die Fitness-Infos völlig sinnlos sind und das Rätsel absolut billig, dass sie den angeblichen Promi entweder gar nicht kennen, sein vermeintlich schockierendes Verhalten komplett erfunden 101

oder in Wahrheit gar nicht skandalös ist — und die Bilder oder Infos sich als Fakes, als langweilig oder als alt und bekannt herausstellen. Man wird letztlich nur enttäuscht und als Zählvieh über eine Website getrieben, die einem im schlechtesten Fall auch gleich noch ein paar fiese Cookies installiert. Eine der Ursachen dieses Phänomens besteht darin, dass eine sehr große Zahl der Werbetreibenden im Internet ausschließlich auf Quantität und nicht auf Qualität schaut. Wenn aber nur die Masse zählt, dann erliegen viele Betreiber von Websites eben der Versuchung, die Zugriffszahlen mit ein paar einfachen Tricks aufzublähen — etwa mit Clickbaiting.

»Es ist nicht schwer, News, deren Informationswert nahe Null liegt, marktschreierisch aufzublähen.« Es ist nicht schwer, News, deren Informationswert nahe Null liegt, marktschreierisch aufzublähen, alles als Sensation anzukündigen und mit Superlativen zu belegen — und damit die Köder auszubringen. Das kann tatsächlich kurzfristigen Erfolg für den Website-Traffic bringen. Aber was wird das langfristig nutzen und bewirken? Erreichen die Werbetreibenden über solchermaßen aufgepumpte Seiten ihre Ziele? Und wozu wird es führen, wenn wir in Zeiten des Informationsüberflusses, in denen wir nun mal leben, alles mit zusätzlichem, vollkommen nutzlosem Informationsmüll zuballern? Natürlich wollen wir bei film-tv-video.de auch, dass Sie möglichst oft auf unsere Website kommen. Aber wir wissen auch, dass Zeit für die meisten in der Branche ein knappes Gut ist, das man nicht verschwenden sollte. Deshalb wollen wir maximalen Nutzwert bieten, wenn Sie auf unsere Seite kommen und wir wollen Sie mit Qualität überzeugen. Wir verzichten also unter anderem bewusst auf Methoden aus dem Graubereich des Web-Marketings,

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mit denen wir unsere Zugriffszahlen aufblähen könnten — auch auf Clickbaiting. Das alles zu vermitteln, ist aber etwas komplizierter, als nur ein paar Zahlen oder Excel-Tabellen per Mail an die Marketingabteilung potenzieller Kunden zu verschicken. Und man braucht auf der Gegenseite Leute, die Qualität erkennen und schätzen. Diese Leute gibt es, und wir danken allen, die sich dafür einsetzen. Sie werden sehen.

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Ziviler Drohnenkrieg Im November berichtete die Polizei München von einem Vorfall im Münchener Olympiapark: Demnach wollte ein Drohnenpilot dort, trotz des über dem gesamten Olympiagelände herrschenden Flugverbots, das Drehrestaurant im Olympiaturm von außen filmen. Statt nur ins Restaurant zu blicken, knallte die Drohne aber zunächst auf die glücklicherweise bruchsicheren Glasscheiben des Restaurants. Dann stürzte sie ab und zerschellte am Boden — in unmittelbarer Nähe einer Familie, die sich unten am Turm aufgehalten hatte. Schrecksekunden, die bisher glücklicherweise ohne größere Folgen blieben, gibt es beispielsweise auch an Flughäfen immer wieder — und hier ist München ebenfalls mit von der Partie: In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu gefährlich nahen Begegnungen von Drohnen mit Passagiermaschinen. Bei einem besonders dramatischen Fall hatte sich diesen Sommer eine Drohne in 1.700 m Höhe einem Airbus genähert.

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Im Sommer sorgte auch schon ein Video des Schweizer Bademeisters Jürg Knobel für Aufsehen: Er überflog ein Kernkraftwerk, um damit vor den Gefahren der Radioaktivität zu warnen und ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Dass das Überfliegen von Kernkraftwerken mit einer Drohne zumindest zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz nicht verboten war, kann einen tatsächlich nachdenklich machen. Oder ist das alles nur Panikmache und sensationslüsterne Berichterstattung, mit der Drohnenpiloten zu unrecht diskreditiert werden sollen? Wie immer bei solchen Themen, gibt es zweifellos ganz unterschiedliche Meinungen und viele Aspekte, die man berücksichtigen sollte, bevor man vorschnelle Schlüsse zieht.

»Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland derzeit rund 400.000 private und gewerblich genutzte Drohnen.« Die deutsche Flugsicherung jedenfalls richtete zu diesen Themenkomplex dieser Tage eine Technologiekonferenz aus, bei der unterschiedliche Seiten zu Wort kamen. Prof. Klaus-Dieter Scheurle, der Vorsitzende der DFS-Geschäftsführung, betonte, dass die DFS für die sichere und faire Integration von Drohnen in die bestehende Luftraumstruktur stehe und sich als Moderator sehe, der sich für Sicherheit einerseits und Integration andererseits einsetze. Eine klare Regelung, die auch durchgesetzt wird, scheint jedenfalls bitter nötig und unumgänglich, wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht: Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland derzeit rund 400.000 private und gewerblich genutzte Drohnen. Und bei dem aktuellen Boom, den dieses Thema erlebt, werde sich diese Zahl bis zum Ende des Jahrzehnts vermutlich verdreifachen, prognostiziert die DFS. Mit möglichen Peaks zur Weihnachtszeit, möchte man da hinzufügen. 105

Die DFS fordert deshalb einen »Drohnenführerschein für alle«. Bereits ab einem Startgewicht von 250 g sollten Drohnenpiloten einen Sachkundenachweis erbringen müssen — bislang gilt dies nur für gewerbliche Nutzer und ab einem Startgewicht von 5 kg. Zudem wünscht sich die EFS ein zentrales Verzeichnis, in dem alle Drohnen ab einem Gewicht von 250 g erfasst werden sollen. So weit geht der aktuelle Entwurf des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur nicht (film-tv-video.de hatte darüber berichtet). Gleichgültig, ob eine Neuregelung mehr oder weniger restriktiv ausfällt: Bis sie überhaupt erst in Kraft tritt, werden noch unzählige Drohnen verkauft werden und in die Luft aufsteigen — gelenkt von mehr oder weniger verantwortungsbewussten Piloten. Wirklich beruhigend ist das nicht. Sie werden sehen. P.S.: Spiegel Online berichtet heute, dass im Sommer über der Londoner City beinahe eine Drohne mit einem Passagierflugzeug zusammengestoßen wäre. Nur »Glück« habe laut Untersuchungsbericht eine Katastrophe verhindert.

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Aasgeier und Wegelagerer Thanksgiving ist in den USA ein staatlicher Feiertag, der zwar im Erntedank wurzelt, heute aber meist als Familienfest begangen wird, dessen Höhepunkt ein Truthahnessen ist. Um die Dimensionen einschätzen zu können: Rund 50 Millionen Truthähne mussten in den USA in diesem Jahr laut Pressemeldungen aus diesem Anlass ihr Leben lassen. Thanksgiving findet in den USA stets am vierten Donnerstag im November statt, und am darauf folgenden Freitag nehmen sehr viele US-Amerikaner Urlaub. Der Einzelhandel in den USA lockt an diesem Tag dann mit Rabattaktionen zum Einkauf, und dafür hat sich der Begriff »Black Friday« eingebürgert. Teilweise folgt dann am Montag darauf noch der »Cyber Monday«. Was in den USA erfolgreich ist, breitet sich ja sehr häufig auch in anderen Teilen der Erde aus — in diesem Fall vielleicht auch durch den Online-Handel beschleunigt. Und so werden seit ein paar Jahren auch hierzulande immer öfter Verkaufsaktionen unter der Bezeichnung 107

»Black Friday« beworben. Der Begriff hat, so wie bisher schon der »Sommerschlussverkauf« bei uns oder der »Singles‘ Day« in China, eine gewisse Allgemeingebräuchlichkeit erreicht. Dennoch ist es einem Unternehmen aus Hongkong gelungen, sich »Black Friday« im Jahr 2013 als Wortmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) schützen zu lassen — und zwar für rund 1.000 Waren und Dienstleistungen. Da kann man schon den Eindruck gewinnen, dass der Zweck der Wortmarke gar nicht in der konkreten Verwendung für Produkte und Dienstleistungen besteht, sondern darin, Abmahnungen und Unterlassungserklärungen wegen der Verletzung der Markenrechte zu versenden. Tatsächlich soll letzteres auch schon passiert sein und jeweils Forderungen von zunächst 2.000 bis 4.000 Euro für die Anwaltskosten umfassen. Mit dem Fachgebiet vertraute Rechtsexperten gehen laut verschiedener Veröffentlichungen eigentlich davon aus, dass die Wortmarke in dieser Form nicht ins Wortmarkenregister hätte eingetragen werden dürfen — und dass die offenbar auch schon mehrfach beantragte Löschung der Wortmarke große Aussicht auf Erfolg habe. Es kann aber dauern, bis das tatsächlich passiert. Was man bis dahin tun sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander — viele verzichten jedenfalls hierzulande auf die Verwendung des Begriffs. So gibt es etwa bei Amazon zwar in den USA die »Black Friday Deals Week«, aber in Deutschland wirbt das Unternehmen mit der »Cyber Monday Woche«. Ob das tatsächlich den oben ausgeführten Hintergrund hat oder andere Gründe dahinterstecken, wissen wir allerdings nicht. Apple, in früheren Jahren auch mit »Black Friday« Aktionen aktiv, nutzt den Begriff in diesem Jahr ebenfalls nicht, sondern kündigte auf seiner Website für Freitag ein »eintägiges Shopping Event« an. Markenschutz, Copyright und Rechtssicherheit sind wichtig. Um so mehr nervt es, wenn Schmarotzer und Parasiten versuchen, unter missbräuchlicher Ausnutzung der Rechtslage und auf Basis von Rechtslücken, 108

sich nachträglich auf das Geschäft anderer draufzusetzen, um Kasse zu machen.

»Die einen bauen die Straße und halten sie in Stand, die anderen lungern dann als Wegelagerer am Straßenrand rum und verlangen Maut.« Wir kennen da auch noch ein anderes Beispiel: Firmen, die Adblocker anbieten und dann die Hand aufhalten, um gegen Bezahlung bestimmte Anzeigen, die »ihren Richtlinien entsprechen«, doch durchzulassen. Die einen bauen die Straße und halten sie in Stand, die anderen lungern dann als Wegelagerer am Straßenrand rum und verlangen Maut. Das kann nicht richtig sein: Oder fänden Sie es in Ordnung, wenn sie beim Weihnachtsbummel nur in diejenigen Schaufenster schauen und an denjenigen Weihnachstmarktständen einkaufen dürften, deren Besitzer vorher zusätzlich zu ihren Mietkosten auch noch Schutzgeld an irgendwelche herumlungernden Banden bezahlt haben? Wir finden das absolut nicht in Ordnung, denn so etwas hemmt die legale Wirtschaft und schadet ganz besonders den kleinen Unternehmen. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 39

4K now! Dass die Online-Welt sich oftmals von der realen Welt unterscheidet, das ist allen wachen, kritischen Geistern längst klar. Aber in den vergangenen Wochen konnte man auf verschiedensten Ebenen immer wieder dazulernen und neue Aspekte entdecken. Das kann man zum Anlass nehmen, um auch mal wieder in die wahre Warenwelt einzutauchen, statt immer nur alles online zu ordern. Vielleicht finden Sie in diesem Zusammenhang mal die Zeit, die TV-Abteilung eines Elektromarkts zu besuchen. Dort sind 4K und UHD nicht nur längst angekommen, sondern sie dominieren die Verkaufspräsentation. Das wichtigste ist dabei ganz offenbar die Größe: Weniger als 40 Zoll Bilddiagonale gelten hier eigentlich als unwürdig, das ist in der Wahrnehmung der Händler und Kunden bestenfalls noch als Einsteigergröße vertretbar. Treibt man sich eine Weile in der Fernsehabteilung eines Elektromarkts herum, wird rasch klar: Wer kann, der kauft den größten Bildschirm, den der Geldbeutel hergibt 110

— es sei denn, es gibt Platzprobleme zuhause. Dispokredit und Zollstock sind also das Maß der Dinge beim Fernseherkauf. Nebeneffekt dieser Form des Strebens nach Größe: UHD gibt es quasi mit dazu. Wer als Kunde noch zweifelt, den überrumpeln geschickt inszenierte Präsentationen, die klar machen: HD war gestern und sieht eigentlich ganz schlimm aus. Also raus mit dem Stereo-3D-Fernseher, der gestern noch angepriesen wurde und rein mit der UHD-Riesenglotze.

»Dispokredit und Zollstock sind also das Maß der Dinge beim Fernseherkauf.« Auch Streaming-Anbieter wie Netflix, Youtube oder Amazon treiben diese Entwicklung mit an. Netflix etwa bietet einige Serien in 4K an, die auch tatsächlich in 4K produziert wurden, außerdem will das Unternehmen sein UHD-Portfolio im kommenden Jahr weiter auszubauen. Amazon Instant Video zeigt ebenfalls Serien, aber auch etliche Spielfilme in 4K, wenngleich viele dieser Spielfilme nicht durchgängig in 4K produziert wurden. Youtube setzt auch aufs 4K-Pferd und kündigte dieser Tage an, dass die Nutzer künftig Inhalte — auch 360-Grad-Produktionen — in 4K-Auflösung und mit 60 fps streamen können. Auch der Bezahlsender Sky, der bei neuen technischen Entwicklungen meist vorne dabei ist, hat auf den Trend schon reagiert und mit Sky Sport UHD und Sky Sport Bundesliga UHD im Herbst zwei UHD-Sender in Betrieb genommen. Hier tut sich was, und das deutlich schneller, als es beim Wechsel von SD zu HD der Fall war. Höchste Zeit also, sich auch auf unserer Seite der Branche mit 4K zu befassen, wenn man das noch nicht schon längst getan hat — selbst wenn man nur ein kleines Licht ist, sonst eher vorsichtig agiert, nicht unbedingt zu den Technikpionieren gehört und/oder 4K vielleicht sogar für Quatsch hält: 111

Die Welle ist nicht mehr aufzuhalten — rauf aufs Brett und mitsurfen. Der Vorteil: Der Einstieg ist gar nicht mehr teuer. Von Panasonic und Sony etwa gibt es vergleichsweise günstige 4K-Handhelds zu Preisen in der Größenordnung von 3.000 bis 4.000 Euro (und sogar günstiger), mit denen man erstaunlich gute Bilder aufnehmen kann. Und einen gut dazu passenden 40-Zöller in 4K aus dem Consumer-Bereich, der — hat man erstmal die ganzen Quatschfunktionen zur »Bildverbesserung« abgeschaltet — ziemlich gute, beeindruckende Bilder zeigt, kann man in der Größenordnung von 700 Euro bekommen. Einigermaßen vernünftige, anspruchsvolle Bildtechnik, die vierfache HD-Auflösung bietet, kann man also mittlerweile für weniger als 5.000 Euro erwerben. Da gibt es wahrscheinlich in fast allen Unternehmen unserer Branche frühere, gescheiterte Technikexperimente zu besichtigen, die deutlich mehr gekostet haben. Wenn Sie also zum Jahresende noch Geld übrig haben: Ran an den Speck — zumindest um zu experimentieren und Erfahrungen zu sammeln. Die Zeit ist reif. Sie werden sehen.

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EDITORIAL 40

Korruption? Doping? Football Leaks? Whatever ... Sport bringt Quote. Das gilt in Deutschland vor allem für den Fußball: Europa- und Weltmeisterschaften sowie Top-Spiele der Champions-League ziehen die Massen unverändert an. Bei populären Sportarten und deutschen Medaillenchancen können auch Teile der Olympischen Spiele Höchstmarken erreichen. Große Sport-Events gelten für die Sender als Quotengaranten, entsprechend teuer sind die Rechte und entsprechend aufwändig werden sie produziert. Wo großes Interesse herrscht, werden heutzutage in der Regel auch große Geldmengen bewegt. Negativschlagzeilen sind da natürlich eher ungünstig und unerwünscht: Bei den Rechtenehmern, den Vermarktern, den Verbänden, Vereinen und Veranstaltern und den Werbetreibenden ebenso, wie bei den einzelnen Sportlern. Doch genau solche Negativschlagzeilen gibt es dieser Tage mehr als genug: So legt der McLaren-Report, ein im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur veröffentlichter Untersuchungsbericht nahe, dass es in Russland ein 113

großflächiges Dopingsystem mit staatlicher Unterstützung gab, in das über 1.000 Sportler verwickelt waren. Auch zwölf russische Medaillengewinner der Olympischen Spiele in Sotschi haben demnach betrogen. Anderer Sport, andere Baustelle: Die Enthüllungsplattform Football Leaks hat Verträge und E-Mails aus dem Fußball-Business zusammengetragen. Deren Auswertung geht davon aus, dass im Fußballgeschäft offenbar systematisch Regeln gebrochen werden und einzelne Spieler, aber auch Trainer, mit abenteuerlichen Konstrukten versuchen, Geld am Fiskus vorbei zu schleusen. In den Dokumenten tauchen große Spielernamen wie Christiano Ronaldo, Paul Pogba oder Mesut Özil auf, aber auch der Trainer José Mourinho, sowie zahllose eher Insidern bekannte Spielerberater und Manager spielen gewichtige Rollen. Viele Fußball-Ikonen scheinen eindeutig Fälle für die Justiz zu sein.

»Tolerieren die Fans alles, solange nur die Medaillen kommen und der Ball rollt?« Fette Skandale also, die den Sport in seinen Grundfesten erschüttern. Oder müsste man sagen: Erschüttern sollten? Der Aufschrei in der Öffentlichkeit fällt nämlich — insgesamt betrachtet — doch eher schwach aus. Tolerieren die Fans alles, solange nur die Medaillen kommen und der Ball rollt? So scheint es zumindest: Wer moralische Aspekte anspricht, wird belächelt und für naiv gehalten. Schulterzucken: Ist halt so. Kann man nichts machen. Jeder holt für sich das Maximale raus. Steuerhinterziehung, Doping, Betrug, Vertuschung: So läuft das halt. Ab und zu gibt es mal kurz Aufregung und dann geht‘s möglichst rasch zurück zum Normalbetrieb. Beispiel gefällig? Kurz vor den Spielen in Rio wurde bekannt, dass durch nachträgliche Tests konservierter 114

Proben neue Doping-Fälle bei vorangegangenen Spielen aufgedeckt wurden: 30 in Peking und 15 bei den Spielen in London. Unter den 30 neuen Fällen der Peking-Spiele befanden sich laut IOC 23 Medaillengewinner. Hatte das irgendwelche konkreten Folgen? Das wissen nur ganz wenige: Die allermeisten Zuschauer und Fans juckt es hingegen offenbar keinen Deut. Die alten Helden sind verbraucht und belastet? Dann müssen halt neue her. Wird das beim McLaren-Report anders laufen? Mal abwarten: Bisher gab es den zu erwartenden Aufschrei in Moskau, ein paar Verschwörungstheorien dazu und ein Statement des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach, der ganz allgemein ein hartes Vorgehen gegen Dopingsünder ankündigte und lebenslange Sperren gegen einzelne Sportler ins Gespräch brachte. Was soll so etwas bringen, wenn offenbar weite Teile des Systems, das sich um den professionellen Sport herum gebildet hat, zutiefst korrupt agieren? Verkaufte Spiele und Meisterschaften, bei denen gedopte Sportler auftreten, die mit Wirtschaftskriminellen gemeinsame Sache machen: Viel Spaß beim Zuschauen! Stars, die Millionen verdienen, aber ihre Steuern nicht bezahlen wollen, taugen nur bedingt als Vorbild. Und welchen Sinn ergeben Olympische Spiele, bei denen die ehrlichen Sportler und die Zuschauer gleichermaßen von einem umfassenden Doping-System betrogen werden? Man kann natürlich einfach mal betroffen in die Runde schauen und irgendetwas über die Selbstreinigungskräfte innerhalb des Sports murmeln, vielleicht noch verbunden mit einem Kopfschütteln und einem »Skandal«-Ausruf — und sich dann einfach beim nächsten Event wieder mitreißen lassen, strunzteure Tickets und Fanartikel kaufen und jubeln. Letztlich entscheiden die Zuschauer — indem sie weiterhin zuschauen und den Akteuren ihr Geld in den Rachen werfen — oder eben nicht. Die Wahrheit ist manchmal bitter. Sie werden sehen. 115

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Es gibt zahlreiche Opfer Zwölf Tote und fast fünfzig Verletzte forderte der Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Wie reagieren wir darauf, wie zeigt man da in angemessener Form sein Mitgefühl? Sehr viele Menschen sind damit ganz offensichtlich überfordert. Bis zu einem gewissen Maß ist das nachvollziehbar, denn wir leben in einer Zeit, in der sich viel mehr Menschen öffentlich äußern als früher: Weil sie das wollen, weil sie das müssen oder weil sie glauben, das zu müssen. Viele sind dafür aber eigentlich nicht gemacht und letztlich gänzlich ungeeignet: Oft mangelt es an geistigen Fähigkeiten und sprachlichem Rüstzeug — und an echter Empathie. So kommt es, dass einem bei vielem, was in den vergangenen Tagen zu lesen oder hören war, ein Gedanke in den Sinn kommen kann, den man vielleicht am besten so zusammenfasst: Hättest Du geschwiegen.

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Das Recht der freien Meinungsäußerung ist uns als Medium sehr wichtig. Es lohnt sich aus unserer Sicht sogar, dafür zu kämpfen. Dass dieses Recht leider auch für Hasskommentare und geistigen Dünnpfiff genutzt wird, ist — auch wenn das schmerzhaft sein kann — kaum zu vermeiden. Solange die Inhalte nicht gegen geltendes Recht verstoßen, muss man das wohl aushalten. Gesetze kann man aber ändern und an die jeweilige Realität anpassen — und das ist im einen oder anderen Fall vielleicht sogar überfällig.

»Statt echter Empathie für die Opfer und echtem Nachdenken, wird versucht, aus jeder Situation das Maximum für die eigenen Zwecke herauszuschlagen.« Es bleibt aber auch dann immer noch eine Grauzone: Dort, wo zwar alles im legalen Rahmen bleibt, wo aber die Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks ausgelotet oder überschritten werden. Hier macht natürlich so gut wie jeder mal Fehler und tritt ins Fettnäpfchen. Die Zahl der Menschen, die das dann aber gar nicht bekümmert, die es vielleicht gar nicht wahrnehmen, sie scheint zu wachsen. So kann man den Eindruck gewinnen, dass immer mehr Menschen versuchen, einfach gnadenlos alles, was irgendwo tatsächlich passiert ist oder erfunden wurde, für sich selbst zu instrumentalisieren. Viele schimpfen dabei auf Politiker — handeln aber letztlich nach den gleichen Mustern: Alles, was der eigenen Agenda dient, wird gesagt und gemacht — oder eben geliked und gepostet. Man will mehr Klicks und Likes? Dann muss man eben auf jedes Trendthema aufspringen und dazu am besten noch provokante Thesen äußern. So treibt das ständige Heischen nach Aufmerksamkeit immer wildere Blüten — und das eigentliche Thema, die eigentlichen Ereignisse, sie bleiben letztlich auf der Strecke. 117

Es wird in letzter Zeit viel über eine zunehmende Verrohung und Verwahrlosung der Gesellschaft diskutiert. Auch hier liegt möglicherweise eine Wurzel dafür: Statt echter Empathie für die Opfer und echtem Nachdenken, wird versucht, aus jeder Situation das Maximum für die eigenen Zwecke herauszuschlagen. Vielleicht schaffen es in der ruhigeren Zeit über Weihnachten und den Jahreswechsel hinweg mehr Menschen als sonst, mal jenseits der Tageshektik ein paar ruhigere, tiefere Gedanken zu fassen und etwas Abstand zu gewinnen. Wir wünschen Ihnen, dass Sie die Feiertage nach Ihrer Fasson verbringen können. Und uns wünschen wir, dass Sie uns auch 2017 gewogen bleiben. Wir danken allen Lesern, Autoren, Anzeigenkunden und Partnern — und gehen davon aus, dass uns allen im Jahr 2017 neben nachdenklichen auch viele fröhliche und lustige Momente bevorstehen. Sie werden sehen.

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IMPRESSUM AUTOREN, HERAUSGEBER, VISDP Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
 ILLUSTRATIONEN, GRAFIK Jacqueline Kupschus VERLAG Nonkonform GmbH, Konradinstr. 3, 81543 München, HRB 121673, USt.-Id.-Nr. DE 195857299 © Nonkonform GmbH, Gerichtsstand: München, alle Rechte vorbehalten

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2017