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23.01.2017 - Massgebend ist, ob die Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen durch Gesetz oder durch Be- schluss einer Behörde als geheim erklärt ...
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23. Januar 2017

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Christoph Born, Dr. iur., Rechtsanwalt, Wenner & Uhlmann, Zürich, [email protected]

Indiskretionen – journalistisch ergiebig, juristisch heikel 1.

Begriff «Indiskretion» Bedeutung gemäss Duden: «das Weitergeben einer geheimen, vertraulichen Nachricht».

2.

Begriff «Geheimnis»

2.1

Materieller Geheimnisbegriff Eine Tatsache ist dann geheim, wenn - sie nur einem begrenzten Personenkreis bekannt oder zugänglich ist - der Geheimnisträger sie geheim halten will - der Geheimnisträger ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat (vgl. Bundesgerichtsentscheid vom 5. Dezember 2000, 126 IV 236, S. 242).

2.2

Formeller Geheimnisbegriff Massgebend ist, ob die Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen durch Gesetz oder durch Beschluss einer Behörde als geheim erklärt worden sind. Dabei ist unerheblich, ob sie als «streng geheim» oder bloss als «vertraulich» klassifiziert worden sind (vgl. Bundesgerichtsentscheid vom 25. Mai 2015, 6B_1276/2015, Erwägung 1.3).

3.

Strafnormen

3.1

Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 des Strafgesetzbuchs [StGB]) -

Wortlaut 1

Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft. 2 Die Gehilfenschaft ist strafbar. 3 Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist. -

Praxis des Bundesgerichts Gemäss Bundesgericht liegt dieser Strafnorm der formelle Geheimnisbegriff zugrunde. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn Sachverhalte aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen veröffentlicht werden, welche als vertraulich oder geheim erklärt wurden, sei es durch Gesetz oder durch den Beschluss einer Behörde, die befugt ist, einen solchen Beschluss zu erlassen. Dennoch hat das Bundesgericht – mit Blick auf die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) – in den letzten Entscheiden zu Art. 293 StGB eine Güterabwägung vorge-

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nommen und geprüft, ob das öffentliche Interesse am publizierten Thema oder das Geheimhaltungsinteresse des Staats überwiegt. In allen drei Fällen hat es entschieden, dass das Geheimhaltungsinteresse des Staats überwog, und es hat die Bestrafung der Medienschaffenden geschützt bzw. einen Freispruch der Vorinstanzen aufgehoben (vgl. die folgenden Bundesgerichtsentscheide: vom 25. Mai 2016, 6B_1267/2015; vom 11. Januar 2013, 6B_186/2012; vom 29. April 2006, 6P.153/2006; vom 5. Dezember 2000, 126 IV 236).

-

Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Der EGMR stellt nicht auf den formellen Geheimnisbegriff ab. Er wägt in jedem Fall aufgrund der konkreten Umstände ab, ob das öffentliche Informationsinteresse oder das Geheimhaltungsinteresse des Staats überwiegt. Kommt er zum Schluss, dass das öffentliche Informationsinteresse überwiegt, erklärt er die Bestrafung von Medienschaffenden wegen Verstosses gegen Art. 293 StGB als Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit im Sinne von Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Freiheit der Meinungsäusserung). Der EGMR hatte bislang drei Beschwerden von Schweizer Medienschaffenden, die wegen Verstosses gegen Art. 293 StGB bestraft worden waren, zu entscheiden (Entscheid vom 10. Dezember 2007, Affaire Stoll c. Suisse, Requête n° 69698/01; Entscheid vom 29. März 2016, Affaire Bédat c. Suisse, Requête 56925/08; Affaire Hollenstein c. Suisse, vgl. Bundesgerichtsentscheid vom 11. Januar 2013, 6B_186/2012).

nen Verstoss gegen Art. 10 EMRK erblickt. -

In allen drei Fällen hat er kei-

Revision von Art. 293 StGB Zurzeit ist ein Antrag der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats pendent, Art. 293 StGB wie folgt zu ändern: 1

Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch einen gesetzmässigen Beschluss der Behörde als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft. 2 Die Gehilfenschaft ist strafbar. 3 Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist. Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat. Diese Revision würde den Abschied vom formellen Geheimnisbegriff bedeuten und die Gerichte verpflichten, in jedem Fall das Geheimhaltungsinteresse und das öffentlichen Informationsinteresse gegeneinander abzuwägen und die Medienschaffenden freizusprechen, wenn sie das Veröffentlichungsinteresse stärker gewichten als das Geheimhaltungsinteresse. -

Fazit Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR gehen Medienschaffende, die geheime Dokumente veröffentlichen oder daraus zitieren, ein erhebliches Risiko ein, wegen Verstosses gegen Art. 293 StGB bestraft zu werden. Dies dürfte sich auch nach der Revision des Art. 293 StGB nicht ändern. Die Gerichtsinstanzen verfügen bei der Interessenabwägung über einen derart grossen Ermessenspielraum, der es in den meisten Fällen ausschliesst, vor der Publikation von geheimen Dokumenten mit einem Freispruch zu rechnen.

2/4

3.2

Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB) Wegen Amtsgeheimnisverletzung können sich nur Träger von Amtsgeheimnissen, also Mitglieder einer Behörde oder Beamte strafbar machen. Medienschaffende können diesen Straftatbestand nicht erfüllen. Sie können unter bestimmten Umständen jedoch wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung verurteilt werden. Der «Blick»-Redaktor Viktor Dammann war 1999 wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung verurteilt worden. Er hatte im Rahmen seiner Recherchen zum Fraumünster-Postraub eine Angestellten der Zürcher Staatsanwaltschaft ersucht, auf einer Liste von Namen diejenigen Personen zu bezeichnen, die vorbestraft waren – was die Angestellte tat. Der EGMR erblickte in der Verurteilung Dammanns eine Verletzung von Art 10 EMRK. Er qualifizierte die verlangten und erhaltenen Informationen zwar als schützenswert, jedoch nicht als vertraulich. Vor allem seien sie von öffentlichem Interesse gewesen, da sie einen spektakulären Raub betroffen hätten. Fazit: Das blosse Erfragen von Informationen, die unter das Amtsgeheimnis fallen, stellt bei Medienschaffenden dann keine Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung dar, wenn die Informationen von öffentlichem Interesse sind. Bei der Gewichtung der Informationen verfügen die Gerichte über einen grossen Ermessenspielraum, was eine Risikobeurteilung vor der Publikation schwierig macht.

3.3

Verletzung des Bankgeheimnisses (Art. 47 des Bankengesetzes [BankG]) Wegen Verletzung des Bankgeheimnisses wird in erster Linie bestraft, wer «ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Organ, Angestellter, Beauftragter oder Liquidator einer Bank, als Organ oder Angestellter einer Prüfgesellschaft anvertraut worden ist oder das er in dieser Eigenschaft wahrgenommen hat» (Art. 47 Abs. 1 Bst. a BankG). Seit 1. Juli 2015 wird ebenfalls bestraft, wer ein Geheimnis, das er von den oben genannten Personen erfahren hat, «weiteren Personen offenbart oder für sich oder für einen anderen ausnützt» (Art. 47 Abs. 1 Bst. c BankG). Diese Strafnorm gilt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch für Medienschaffende (vgl. Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 19. Mai 2014 zur Parlamentarischen Initiative «Den Verkauf von Bankkundendaten hart bestrafen», https://www.admin.ch/opc/de/federalgazette/2014/6231.pdf).

Fazit: Medienschaffende, welche Informationen von Personen (Whistleblowern) publizieren, die dem Bankgeheimnis unterstehen, riskieren eine Bestrafung wegen Verletzung des Bankengesetzes. Analoges gilt für Medienschaffende, welche bestimmte Informationen von Personen publizieren, die dem Berufsgeheimnis gemäss Börsengesetz (BEHG) oder dem Kundengeheimnis gemäss Kapitalmarktgesetz (KAG) unterstehen. Vgl. Art. 43 Abs. 1 Bst. c BEHG und Art. 148 Abs. 1 Bst. l KAG. 3.4

Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 StGB) Wegen Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses im Sinne des Strafgesetzbuchs können nur Personen bestraft werden, die ein solches Geheimnis infolge einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht bewahren sollten. Medienschaffende, die ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis publizieren, sind somit nicht strafbar. Wenn sie hingegen zur Geheimnisverletzung anstiften, sind sie unter bestimmten Umständen strafbar (vgl. dazu Ziffer 3.2 oben).

3/4

4.

Übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen Medienschaffende berufen sich in Strafverfahren manchmal auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen. Das Bundesgericht stellt an diesen Rechtfertigungsgrund hohe Anforderungen. In Bezug auf Art. 293 StGB genügt es seiner Ansicht nicht, dass das öffentliche Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Die Tat (d.h. die Publikation) ist erst dann gerechtfertigt, wenn sie «ein zur Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter zu wahren sucht» (Bundesgerichtsentscheid vom 5. Dezember 2000, 126 IV 236, Seite 242).

Diese Voraussetzungen erachtete das Obergerichts des Kantons Zürich im Fall des Chefredaktors des «Tages-Anzeigers» als erfüllt an und sprach diesen vom Vorwurf der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen frei (Urteil vom 27. Oktober 2015, SU150016-O). Der Chefredaktor hatte im Jahr 2012 Passagen aus dem damals noch unter Verschluss gehaltenen Schlussbericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission des Zürcher Kantonsrats über die Beamtenversicherungskasse publiziert. Mit Urteil vom 25. Juni 2016 hob das Bundesgericht den Freispruch auf und wies die Sache an das Obergericht zur neuen Entscheidung zurück (Bundesgerichtsentscheid vom 25. Mai 2016, 6B_1267/2015). Fazit: Angesichts der strengen Anforderungen, die das Bundesgericht an den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen stellt, ist es für Medienschaffende nahezu aussichtslos, sich darauf zu berufen.

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