Ein katalanischer Gauner

nen erstaunlichen Kenntnisse in der deutschen. Sprache an. „Sagen Sie mal, Carlo“, näselte der flotte Schwa- ger, „Sie sprechen gut deutsch. In die Wiege ge-.
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Manfred Tiede

Ein katalanischer Gauner

Novelle

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: Manfred Tiede Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0689-8 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für meine liebe Frau Friederun

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Kapitel 1

Zum ersten Mal begegnete Wittrock dem Katalanen Carlo, um den sich die folgende Erzählung ranken wird, vor mehr als fünfzehn Jahren im Nordosten von Spanien, in Katalonien. Wittrock und Carlo liefen sich dort eher zufällig über den Weg und bemerkten sich gegenseitig so gut wie gar nicht. Später und unter sehr veränderten Umständen sollte sich dies ändern. Damals verbrachte Wittrock zusammen mit seiner Familie und der seines Schwagers einen Badeurlaub an der Costa Brava. Wittrock zeltete mit seiner jungen Frau und den zwei Kindern auf einem Campingplatz dicht am Meer. Sein vermögender Schwager hingegen hatte sich mit seiner wippbusigen Frau und dem jungen, noch Windeln tragenden Stammhalter in einem kleinen Hotel eingemietet. Sie hatten sich für die Pflege des Kindes in einem festen Haus im Vergleich zu einem Zelt Vorteile hygienischer Art 4

versprochen. Doch schon bald verbrachten die Familien die meiste Zeit gemeinsam auf dem Zeltplatz und dem zugehörigen Badestrand. Dort benötigte man nämlich keine besondere Garderobe und benehmen musste man sich auch nicht wie in einem guten Hotel. Zudem konnte der junge Stammhalter nach Herzenslust im Sand krabbeln und spielen. Auf dem Campingplatz ging es munter und fröhlich zu, zumal viele deutsch sprechende Landsleute zugegen waren. Mit denen konnte man auch schon mal ein Bier trinken und ein Wort reden. Ins Hotel ging die Familie des Schwagers nach kurzer Zeit nur noch zum Schlafen und Frühstücken. Wittrock hatte seinerzeit begonnen, mit Ernst und Hingabe Tennis zu spielen. Sein Schwager, ein ehemaliger Salem-Schüler, übte diesen Sport standesgemäß schon des längeren aus. Der Schwager spielte recht ordentlich, war besser als Wittrock und erschien stets in tadellosem weißen Outfit, worauf auch seine – wir sagten es bereits – wippbusige Gemahlin achtete. Wittrock hingegen war diesbezüglich lässiger und weniger umsorgt. Er kam zumeist mit einer zu kurzen wei5

ßen Hose daher und nach dem Tennisspiel mit einem von Schweiß triefenden verwaschenen hellblauen T-Shirt. Damals war Tennis noch eine aufstrebende Sportart, auch gesellschaftlich. So war klar, dass die beiden es einzurichten versuchten, möglichst an jedem Tag ein Tennismatch zu spielen. Ein geeigneter Platz war weder am Hotel des Schwagers noch in der Nähe des Campingplatzes zu finden. Deshalb mussten sie sich ins Auto setzen und eine geringe Strecke ins Innere des Landes fahren. Dort, an einem kleinen regionalen Flugplatz, den vor Jahren auch die Nazis im Zusammenhang mit ihrem kriegerischen Beistand für Franco genutzt hatten, befanden sich einige Tennisplätze. Es handelte sich um Hartplätze, was angesichts der klimatischen Gegebenheiten nicht anders erwartet werden konnte. Hier herrschte während der günstigen Zeiten außerhalb der Hitze des Tages ein relativ reger Spielbetrieb. Heute, wo der Tennisboom längst gestorben ist, gammeln diese Plätze vor sich hin. Doch damals war, wie gesagt, die Anlage belebt und für Tennisspieler, die Ferien am Mittelmeer 6

machten, eine willkommene Möglichkeit, ihren Sport auch im Urlaub zu betreiben. Das zur Tennisanlage gehörende Restaurant war klein, jedoch für die Wünsche der Spieler vollkommen ausreichend. Den Sportlern ging es zumeist nicht darum, eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen, sondern im Anschluss an ein Match in der heißen trockenen Luft dürstete es sie. Insbesondere wurden deshalb im Restaurant Getränke geordert, die sehr kalt sein mussten. Der junge Mann, der die vier oder fünf Flaschen eiskalter Limonade, die Wittrock und sein Schwager gewöhnlich orderten, an der Bar servierte, war ein junger Katalane. Er war rank und schlank, trug im länglichen und ungewöhnlich bleichen Gesicht einen in geringem Maße schräg stehenden schmalen schwarzen Lippenbart. Er sprach ganz gut deutsch. Der Mann hieß Carlo. Dieser Carlo mochte seinerzeit Anfang bis Mitte Zwanzig gewesen sein. Er war also bereits jenseits der Jahre, die für einen Lehrling angehen mögen, aber noch vor den Jahren, in denen jemand zusammen mit einer neu gegründeten Familie auf eigenen Füßen zu stehen vermag. 7

Als Kellner und Barmixer war er kein Lehrling mehr, das war gut zu beobachten. Er warf die Eiswürfel geschickt in den Mixbecher und holte die benötigten Flaschen mit sicherem Griff vom Regal. Er mixte gekonnt und verhielt sich unaufdringlich. Carlo war als Barmixer also gut geschult und hatte auch Manieren, was Wittrock und dem Schwager angenehm auffiel. Aus den Bemerkungen und den kurzen Sätzen, die sie mit Carlo bei ihren Besuchen des kleinen Restaurants wechselten, konnte entnommen werden, dass Carlo seine derzeitige Tätigkeit noch nicht als das Ende seines beruflichen Werdeganges ansah. Er hatte weitergehende Ziele. Ihm schwebte eine Tätigkeit als Manager einer touristischen Wohn- oder Hotelanlage vor, jawohl. Hierfür lernte er mit Fleiß, wie er andeutete, in seiner freien Zeit nach dem Feierabend. Er beabsichtige, demnächst eine Fortbildung mit einer Prüfung abzuschließen, die den kaufmännischen Wissensbereich betraf, der für den Hotelmanager erforderlich war. „Donnerwetter“, sprach da der Schwager, der ehemalige Salem-Schüler, in leicht näselndem 8

wienerischen Tonfall, „eine richtige Prüfung will der Herr Carlo ablegen, Respekt.“ Wie soll oder kann ein Barmixer auf eine derartige vorlaute Bemerkung eines Gastes reagieren? Welche Erwiderung erlaubt ihm gerade noch die Höflichkeit und welche Reaktion würde den Gast beirren und ihn letztlich auf Dauer vertreiben? Carlo besaß bereits in seinen jetzigen jungen Jahren und stark entwickelt in reiferen Jahren die für eine solche Situation gebotene Souveränität, was Wittrock und der Schwager beiläufig registrierten. Carlo sagte zunächst gar nichts, was recht klug war; denn in der verstreichenden Zeit schwächte sich die übermütige Bemerkung des Schwagers zu einem Teil von ganz allein ab. Außerdem bestand für den Schwager nun die Gelegenheit, mit einer freundlicheren zusätzlichen Bemerkung das Kränkende in seiner ursprünglichen Einlassung zu relativieren. Diese Möglichkeit wählte der Schwager: „Die Prüfung ist wohl auf spanisch oder katalanisch? Ihre Deutschkenntnisse, mein lieber Herr

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Carlo, sind so gut, dass Sie die Prüfung vermutlich auch in deutscher Sprache ablegen könnten.“ Mit dieser freundlichen Hinwendung war die Situation weitgehend entschärft. Und Carlo warf dem Schwager mit seinen großen braunen Augen einen schwer zu deutenden Blick zu. Bei anderer Gelegenheit sprachen Wittrock und dessen Schwager ihn bei einem Glas kalten Orangensaftes auf die für einen jungen Katalanen erstaunlichen Kenntnisse in der deutschen Sprache an. „Sagen Sie mal, Carlo“, näselte der flotte Schwager, „Sie sprechen gut deutsch. In die Wiege gelegt ist Ihnen das nicht worden, oder?“ „Ich verstehe nicht“, erwiderte Carlo und schaute fragend mit seinen braunen Rehaugen. „Ist Ihnen nicht worden? Was sagt das?“ „Er will wissen“, erläuterte Wittrock, „er will wissen, welchen Grund es für Ihre so guten Deutschkenntnisse gibt.“ „Ach das“, lächelte Carlo und wedelte etwas schlapp mit seiner langen hellen Hand und verstärkte für eine kurzen Augenblick die Schrägstellung seines schmalen Lippenbartes. „Ich habe 10

einige Jahre eine deutsche Schule in Barcelona besucht und einige Monate in einem deutschen Hotel gearbeitet. Man ist gezwungen, schnell zu verstehen. Aber am meisten habe ich von einem deutschen Manager gelernt, der hier in Spanien lebt.“ „Was managt denn Ihr deutscher Freund?“ wollte der Schwager wissen. „Der lebt hier in der Nähe“, gab Carlo bereitwillig Auskunft. „Und ist mit einer Spanierin verheiratet. Er hat ein kleines Sportflugzeug und möchte sich hier einbürgern lassen.“ „Und was managt er?“ setzte der Schwager nach. „Er hat vor, ein großes Projekt zu beginnen, eine neue Ferienhaussiedlung. Er ist, wie sagt man, mein väterlicher Mentor. Er fördert mich beruflich und sprachlich und plant, mich später zu beschäftigen - als seinen Assistenten.“ So war das also. Carlo bereitete sich zielstrebig auf eine Karriere als rechte Hand eines betuchten deutsch-spanischen Investors vor, der eine Ferienhaussiedlung bauen, verwalten und wohl auch teilweise verkaufen wollte. Die ins Visier ge11

nommene Klientel bestand vermutlich aus deutschen Urlaubern. Das war natürlich etwas anderes, hatte eine aussichtsreichere Zukunftsperspektive als das Bedienen von verschwitzten Tennisspielern. Ansonsten verschwendeten Wittrock und der Schwager nur wenig Gedanken an Carlo. Er hatte für die beiden keine Bedeutung, er war halt nur die Bedienung im Restaurant, das im Anschluss an das Tennisvergnügen aufgesucht wurde. Dass Wittrock diesem Carlo viele Jahre später wieder begegnen und mit ihm in bestimmter Weise geschäftlich verbunden sein würde, konnte damals nicht vermutet werden.

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Kapitel 2

Die Costa Brava ist die wilde Küste. Wittrock war ihr verfallen, schon damals und auch heute noch, nach mehr als fünfzehn Jahren, als er sie zum ersten Mal besucht hatte. Wittrock schwärmte seitdem von den schroffen, bizarren Bergen und Buchten im Norden und von den Stränden und von Felsen eingeschlossenen Sandbuchten zwischen Roses und Blanes im Süden. Seine Frau war, was die Costa Brava und allgemein Katalonien anging, schon immer bedeutend reservierter eingestellt. Sie glaubte zu wissen, dass dort, wo es viel Licht gibt, auch so mancher Schatten fällt. Wittrock jedoch fand insbesondere das Land - weniger die Leute - überaus ansprechend. Ja, er war nahezu euphorisch gestimmt, wenn wieder einmal eine Urlaubsreise nach Katalonien ins Haus stand.

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Im Anschluss an einen Ausflug an der Costa Brava, den Wittrock in einem Frühling ohne seine unpässliche Frau unternommen hatte, berichtete er ihr wieder einmal schwärmerisch und mit verklärtem Blick: Im Norden seien die Pyrenäen aufgetürmt und an ihrer Ostseite, so schiene ihm, stürze die Welt ins Meer - atemberaubend und schön. Der Transmontana, ein Sturm aus Norden, habe, wie er weiter bedeutete, die gesamte lose Erde verweht. Und doch seien die Berge am Meer bewachsen mit wilden Blumen und Kräutern. Durch sie würden die Felsen in Rot und Violett erblühen, jetzt im April und auch später im Mai noch. „Sag bloß“, erwiderte seine Frau und feilte an ihren Fingernägeln. In der Mitte und dem Süden der Costa Brava, so fuhr Wittrock in seinem Bericht ungerührt fort, wo sie sich ja derzeit aufhielten, würden sich malerische Steilküsten, breite Strände und wunderschöne, von Felsen eingeschlossene Sandbuchten abwechseln. Der Sand sei hier, wie sie ja selbst wisse und was sie doch sehr schätze, an den 14

schönsten Stränden nicht grau oder dunkel, wie im nördlichen Teil oder vielen anderen Stränden am Mittelmeer. Werde der Sand von einer Welle überspült, so leuchte er bei Sonnenschein goldgelb auf, in der Farbe der Felsen. Man solle sich übrigens überlegen, sich in dieses Paradies einzukaufen. Hierzu sagte seine Frau vorerst noch gar nichts. Deshalb fuhr Wittrock ermutigt fort: „Hier in der Nähe“, sprach er und deutete mit seiner Rechten vage in Richtung der Küste, „hier in der Nähe übrigens gibt es traumhaft schöne kleine Buchten, wie ich vor einem Jahr sah, als ich Gelegenheit hatte, im Boot eines Bekannten mitzufahren. Du warst übrigens nicht da, du warst bei der Fußpflege. Nun, einige schöne Buchten gab es zu bewundern. Sie reichen tief ins felsige Land hinein und weisen neben dem Stein teils auch zuckerigen feinen Sand auf. Die Farbe der umsäumenden Felsen spielt vom gewöhnlichen Grau des Granits hinein ins Gelbe, ja Rötliche und gar Blutrote. Hinzu tritt – freilich nicht immer, aber jedenfalls bei Sonnenschein nicht selten – eine Meeresbläue, die bloß mit blau ganz 15