Ein böser Kamerad

Jörg reibert. Ein böser Kamerad. Kriminalroman. Page 7. Dieses Buch wurde vermittelt von der. Literaturagentur Schoneburg, Berlin. Besuchen Sie uns im ...
3MB Größe 18 Downloads 154 Ansichten
Jörg Reibert

Ein böser Kamerad

Erbarmungslos

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschen in der Reichshauptstadt Berlin Armut, Kriminalität und Prostitution. Straßenkämpfe toben zwischen den politischen Extremen. Der Soldat Emil Bachmann kehrt perspektivlos und entwurzelt aus dem Krieg zurück. Langsam gelingt es ihm, in der Zivilgesellschaft wieder Fuß zu fassen. Nachdem ihn sein Schwager für die SA geworben hat, erlebt er Saalschlachten, Aufmärsche und Bierabende. Prägende Kameradschaften im Schatten des Hakenkreuzes. Gewalt ist für ihn das Mittel der Wahl und Töten wird zur Gewohnheit, um Probleme zu lösen. Zeitgleich wird bei der Berliner Polizei Kriminalkommissar Franz Reinicke auf einige Mordfälle angesetzt, die ein ähnliches Muster aufweisen. Überzeugt, dass es sich um denselben Täter handeln muss, beginnt er im Umfeld der SA zu ermitteln. Bis ihn ein ungewöhnlicher Einfall auf die Spur Bachmanns bringt …

Jörg Reibert wurde 1972 in Braunschweig geboren und lebt mit seiner Familie in Bamberg. Er ist Maschinenbauingenieur und promovierte im Bereich Geschichte der Naturwissenschaften über Technik im Ersten Weltkrieg. Im Jahr 2014 erschien sein Debütkrimi »Verhängnisvoller Abgrund«.

Jörg Reibert

Ein böser Kamerad Kriminalroman

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur Schoneburg, Berlin

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Lektorat: Katja Ernst Herstellung: Julia Franze Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Für Eva, Henning und Jana

»Es gibt keine Handlung, für die niemand verantwortlich wäre.« Otto von Bismarck

Teil 1 Schwarz

Schwarz ist die Farbe des Todes. Sie steht für das Böse, für Bedrohung und für die Trauer. Schwarz bedeutet aber auch Individualität und Eigenständigkeit, Dunkelheit, Leere, Pessimismus und Unglück.

Kapitel 1

Champagne, Sonntag, 26. Mai 1918 Königs Wusterhausen, den 12. Mai 1918 Mein lieber Emil! Ich hoffe es geht Dir gut. Es fällt mir sehr schwer, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich habe lange überlegt, wie ich es sagen soll. Aber meine Mutter meinte, ich soll es Dir am besten ganz direkt mitteilen, sonst weißt Du nicht, wie es um uns steht. Ich denke doch immer wieder an Dich da draußen und fühle mit Dir. Aber in den letzten Monaten hat sich etwas verändert. Emil nimmt sich eine Zigarette aus der Schachtel, die in seiner ledernen Patronentasche steckt. Ganz vorne links, wo er beim Nachladen ohnehin nicht so gut herankommt, hat sie ihren festen Platz. Erst vorhin hat er sie erneuert, als sie ihre Abendfourage empfangen haben. Die fiel üppiger als sonst aus, denn morgen früh wird die Offensive beginnen. Nach Blücher ist sie benannt, dem »Marschall Vorwärts«, und wie 1914 geht es wieder Richtung Paris. Alle denken, es wird die letzte große deutsche Anstrengung, bevor die Franzosen zusammenbrechen. Bereits die »Kaiserschlacht« im März hatte die Front weit aufgerissen. So etwas hatte es seit Kriegsbeginn nicht mehr gegeben. Damals war alles in Dreck und Schlamm erstarrt und keine Seite mehr vorangekommen. Seit diesem Jahr läuft es aber wieder gut, auch wenn das deutsche Heer müde und erschöpft ist. Der Sieg ist zum Greifen nah. 9

Vorhin mit dem Essen gab es auch die Feldpost. Emil hat bis zum Abend gewartet, den Brief aufzureißen, und hat sich in eine Ecke des bretterverschalten Unterstandes mit einem Kerzenstumpen zurückgezogen, um ihn zu lesen. Die Luft ist verbraucht, sie riecht nach Schweiß, Leder, Waffenöl und Angst. Die Männer quetschen sich eng zusammen: doppelte Belegung durch die zusätzlichen Sturmtruppen. Jeder versucht, irgendwie die Zeit bis zum Morgen totzuschlagen. Die meisten dösen, aneinander gelehnt oder mit ihrer Ausrüstung als Kopfkissen. Einige Funzeln an der Decke spenden trübes Licht. Nur ab und zu kommt jemand herein oder verlässt den Bau. Handgranaten und Gewehrmunition sind bereits ausgegeben, jetzt gibt es nichts mehr zu tun, außer abzuwarten. Du kennst Dr. Löwenthal sicherlich vom Sehen. Er ist unser Kinderarzt, und dadurch habe ich als Amme häufig mit ihm zu tun gehabt, wenn ich eines der Kleinen zu ihm bringen musste. Es ist unglaublich, mit welcher Liebe und Hingabe er seiner Arbeit nachgeht. Nie ist er ungeduldig oder wird gar laut. Er ist ein vorbildlicher Mensch, das konnte ich die vielen Male beobachten, die ich bei ihm war. Ich schäme mich, es Dir zu schreiben, aber bei ihm habe ich mich viel geborgener gefühlt als bei Dir. Wenn ich an Dich denke, kann ich mir oft gar nicht mehr Dein Gesicht vorstellen. Wir haben ja auch lediglich einige Male vor über einem Jahr miteinander poussiert, bevor Du einrücken musstest. Seither schreiben wir uns nur mehr Briefe. Ich habe sie alle aufbewahrt und noch einmal durchgelesen. Wie fremd Du mir vorkamst, als Du im Winter auf Urlaub nach Hause kamst. Ich habe Dich kaum noch wiedererkannt. Du hast fast nichts erzählt von dem, was Du in Frankreich erlebt hast. Immer sollte nur ich reden. Du hast auch kein einziges Mal mehr gesagt, dass Du mich 10

lieb hast. Das hat mich verletzt. Es war so völlig anders mit Dir als in der Zeit zuvor. Vor ein paar Wochen hat Dr. Löwenthal um meine Hand angehalten. Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, das kannst Du mir glauben. Er hat mich nicht gedrängt, aber seine stillen Blicke haben heiß in mir gebrannt. Nächtelang habe ich wach gelegen und alles ganz genau abgewogen. Ich weiß nicht, ob Du mich das auch gefragt hättest, wenn Du aus dem Krieg zurückkommst, aber wann das je sein wird, kann mir niemand sagen. Es sind harte Zeiten, und ich hasse das Schicksal dafür, dass ich eine Entscheidung treffen musste. Es ist das Bitterste, was mir je passiert ist. Keiner konnte mir helfen. So habe ich mich dann für Dr. Löwenthal entschieden, und wir haben uns Anfang April verlobt. Seitdem habe ich den Tag immer wieder hinausgeschoben, an dem ich Dir schreibe. Dies wird mein letzter Brief an Dich sein, das verstehst Du sicher. Ich danke Dir für alles, was Du mir Gutes getan hast. Behalte auch Du mich in guter Erinnerung, Gott schütze und behüte Dich, in ewiger Freundschaft, Clara * Champagne, Montag, 27. Mai 1918 Die Artilleriegeschütze hauen alles zusammen. Vor ein paar Stunden hat der Zauber angefangen. Wie ein Orkan hat das Toben in der Ferne begonnen und sich näher herangearbeitet. Dann ist das Feuer zurück ins feindliche Hinterland gesprun11

gen. Die Einschläge von schweren und leichten Kalibern mischen sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Systematisch werden die Gräben und Stellungen des Gegners zerschlagen. Dabei kommt viel Gas zum Einsatz. Die Blaukreuzgranaten setzen einen Stoff frei, der die Atemwege reizt, aber nicht tödlich wirkt. Er dringt durch die Gasmasken, bis die Soldaten sie hustend und spuckend herunterreißen, um wieder frei atmen zu können. Sofort wirkt das gleichzeitig verschossene Grünkreuz und verätzt ihre Lungen. Seit einer halben Stunde trommelt das gesamte Feuer konzentriert auf dem vordersten französischen Graben, um die Stacheldrahthindernisse zu zerstören und den letzten Widerstand zu brechen. Auch die schweren Minenwerfer aus den frontnahen Stellungen schleudern ihre Doppelzentnergeschosse in das Chaos hinein. Es ist unvorstellbar, dass irgendein Mensch diese Hölle überleben kann. Um 4.40 Uhr schrillen die Pfeifen der Unteroffiziere, und die Männer klettern aus ihren Gräben heraus. Das Niemandsland um sie herum ist eine frisch umgepflügte Kraterlandschaft. Kaum ein Grashalm hat den Beschuss überstanden. Alles ist mit dem feinen, weißen Kreidestaub der Champagne überzogen. Sie stürmen in kleinen Gruppen nach vorn. Emil Bachmann springt neben seinen Kameraden über Trichter und Erdbrocken. Heute wird er sterben. Das hat er gestern Nacht beschlossen, nachdem er den Brief ein zweites und ein drittes Mal gelesen hatte. Warum sollte er diesen Krieg auch überleben wollen? Das Einzige, was ihm in den letzten Monaten Halt gab, existiert nicht mehr. In Emil lodert eine grenzenlose Wut. Feige haben sie hinter seinem Rücken ein Verhältnis begonnen, seine liebe Clara und Samuel Löwenthal, der nette Arzt. Ob er ihn kennen würde, welche Frage! Wer weiß denn nicht, wer er ist, in diesem kleinen Städtchen, wo fast jeder jeden beim Namen 12