Der Verteidiger Kriminalroman freie edition

Noch bevor der Wecker seinen Signalton abgegeben ... aufgesessen sei, dass der Vollmond Einfluss auf ihn .... Auf ihn wartete bereits der Mandant vor dem.
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Der Verteidiger Kriminalroman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de Covergestaltung: Michael Stegh Fotografie: Brian Lary, USA

Printed in Germany ISBN 978-3-86254-698-5

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn der Autor geschaffen hat, und spiegelt dessen originale Ausdruckskraft und Fantasie wider.

Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für: Vanessa, Dennis, Ramon, Mäx, Franziska, Miquel, Ana Teresa und Fabian.

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Noch bevor der Wecker seinen Signalton abgegeben hatte, war er aufgewacht. Die stürmische Nacht hatte ihm einen unru-higen Schlaf beschert, nicht zuletzt deshalb, weil der Wind den Regen gegen die Fensterscheiben unaufhörlich peitschte, so dass er immer wieder aufgewacht war. Während dieser Aufwachphasen erinnerte er sich kurz seiner merkwürdigen Träume, die absurde Zusammenhänge, ohne ersichtlichen Bezug zur von ihm erlebten Realität, hatten. Ab und zu hatte er diese endlosen Nächte, allerdings meistens bei Vollmond, wobei ihn Freunde und Bekannte, denen er diese Vor-kommnisse schilderte, meistens darauf verwie-sen, dass er entweder ein endlos schlechtes Gewissen, oder dem Aberglauben aufgesessen sei, dass der Vollmond Einfluss auf ihn nehme. „Mensch“, erklärten sie ihm, „der Mond ist immer da. Wenn Du also bei Vollmond einen ungewöhnlichen Einfluss spüren solltest, hast Du schlichtweg eine Macke. Jedenfalls hat dies nichts mit dem armen Planeten zu tun, vielmehr mit Deinem Seelenleben.“ Trotzdem blieb es für ihn dabei, dass der Voll-mond einen enormen Einfluss auf ihn ausübte, schliesslich 5

musste er es ja wissen und bezeich-nete sich, zumindest insgeheim, als Monatsirren. Es gab nicht wenige Personen, die ihn ohnehin einen Besserwisser nannten, was aber mit seinem Beruf in Zusammenhang stand. Als Anwalt verdiente er sich seine Brötchen, wobei er das Spezialgebiet des Strafverteidigers auserwählt hatte. Sicherlich empfand er anfänglich seine Arbeit nicht als Traumziel, lieber wäre er Architekt oder Kinderarzt geworden, doch fehlte ihm seinerzeit, jedenfalls seiner Einschätzung nach, die Bega-bung zu den ersehnten Berufszielen, abgesehen von den erforderlichen Abiturnoten. Mangels weiterer Alternativen, entschied er sich letztendlich für die Ausbildung zum Juristen, was ihn nur mässig begeisterte. Anfangs war er der Meinung, dass die Juristerei ein Arbeitsgebiet für Menschen sei, denen jeg-licher natürliche Kompass fehle, so dass sie sich an Vorschriften festhalten und ihre Mitmenschen mit ihrem einfältigen Fachwissen massregeln konnten. 6

Aber mit der Zeit, entwickelte er eine gewisse Vorliebe für die trockene Materie der Rechtswissenschaften und entdeckte im Spezialgebiet der Strafverteidigung die Möglichkeit, durch flexibles Denken, durchaus kreativ handeln zu können. Insbesondere bewunderte er die überaus kreative Rechtsprechung auf dem Gebiet des Strafrechts, die es immer wieder schaffte, ihn zu erstaunen. Dabei wurde ihm ebenfalls klar, dass Einfallsreichtum und Engagement durchaus positive Resultate für einen Mandanten erbringen konnte, sofern er sich einen guten Anwalt leisten konnte. Daher entschloss er sich, einer dieser guten Anwälte zu werden. Also schob er sich durch die quälende Aus-bildung mit dem Ziel, eines Tages, einem staunenden Publikum seine Pfiffigkeit zu zeigen. Die ersten Jahre lernte er von erfahrenen Verteidigern, schaute ihnen eifrig auf die Finger und war sich nach einiger Zeit sicher, selbst ein guter Verteidiger zu sein. Sodann machte er sich, mit anderen Anwälten, selbstständig und wurde letztendlich der Erstfirmierende einer angesehenen Kanzlei der Stadt. 7

Aber jeden Montagmorgen stand er vor der schwierigen Aufgabe, sein Bett zu unnatürlicher Zeit, jedenfalls seiner Empfindung nach, zu verlassen, um in die Niederungen der Juristerei abzusteigen. Widerwillig stand er auf, schaute aus dem Fenster und bemerkte, dass selbst die Kübel-pflanzen auf der kleinen Terrasse schlechte Laune hatten, denn sie hatten sich auf ein Minimum reduziert, um dem schlechten Wetter zu trotzen. Auch der Rhein zeigte sich nicht von seiner schönsten Seite. Der Fluss trieb die Wasser-massen buchstäblich vor sich hin, schien aufgewühlt und die schlechte Laune des Wetters übernommen zu haben, denn beide bildeten eine graue Einheit, die kaum zu unterscheiden war. Bei diesem Anblick war ihm bereits klar, dass es ein Scheisstag werden würde. Aber so waren die Montage eben. Unter der Dusche ging er bereits seinen Terminkalender durch: 9 Uhr Verhandlung vor dem Amtsgericht. Vorwurf: Trunkenheit am Steuer; 11 Uhr: Verteidigung wegen Betruges zu Lasten einer 8

Versandhauskette. 13 Uhr: Haft-prüfungstermin wegen Körperverletzung mit Todesfolge und ab 16 Uhr Kanzlei. Am Nachmittag kamen die verschiedensten Klienten ins Büro, wobei die Sekretärinnen, so weit wie möglich, Terminabsprachen getroffen hatten. Dennoch war man in einer Kanzlei, in der 8 An-wälte tätig waren, niemals vor Überraschungen sicher, so dass die Beratungsstunden oftmals in Stressstunden ausarteten. Oft kamen Mandanten unangemeldet, weil sie unbedingt ihren Anwalt sprechen mussten; einige vertrieben sich ihre Langeweile mit dem Besuch der Anwaltskanzlei und der Rest war zur Besprechung angemeldet. Eigentlich hatte die Sozietät allen Anlass, sich über den regen Zulauf der Mandantschaft zu freuen, denn bei der Gründung des Büros waren die Anwälte ein hohes Risiko eingegangen. Oliver hatte sich seinerzeit überlegt, dass auch Anwälte, so wie die Ärzte, einer Spezialisierung bedurften, da das Gebiet der Juristerei nahezu so vielfältig ist, wie das Gebiet der Medizin. 9

Aufgrund dieser Idee, sammelte er seinerzeit interessierte Freunde und Kollegen, um eine Kanzlei zu gründen, die sich dadurch aus-zeichnete, dass sich ausschliesslich Fachanwälte um die Belange der Mandantschaft kümmerten. Natürlich war es ein hohes finanzielles Risiko für die Beteiligten, denn in diesen Gründerjahren war es üblich, dass ein Rechtsanwalt einfach alles konnte, meinte man jedenfalls. Infolgedessen übernahm jeder Anwalt jedes Mandat, ohne dass für den Klienten auch nur ansatzweise erkennbar war, ob er auf einen kundigen Berater gestossen war. Die Spezialisierung engte zunächst das Betätigungsfeld des einzelnen Anwaltes ein, führte aber schliesslich dazu, dass eine Sozietät insgesamt weitaus besser aufgestellt war, als die Bürogemeinschaften mit Alleskönnern. Mit der Zeit stellten sich die Erfolge ein und die Kanzlei erwarb sich einen ausgezeichneten Ruf, eben weil sie nicht jeden Fall übernahm, sondern, gegebenenfalls, den Klienten an einen geeigneten Fachkollegen weitervermittelte, mit der Folge, dass die Wertschätzung nicht nur unter Kollegen, sondern auch bei der Mandantschaft und den Gerichten stieg. 10

Nachdem er geduscht und einen frisch zu-bereiteten Kaffee getrunken hatte, verliess er sein Haus und fuhr zum Gericht, das er kurz vor 9 Uhr erreichte. Auf ihn wartete bereits der Mandant vor dem Gerichtssaal und war erleichtert, als er seinen Anwalt bemerkte. „Gut, dass Sie da sind, Herr Dr. Steiner. Bin fürchterlich aufgeregt“, begrüsste er Oliver. „Na ja, wird schon schief gehen. Ich hoffe, dass das Strafmass im Rahmen bleibt. Aber wir haben halt nicht allzu hohe Chancen, aus rein rechtlicher Sicht, denn bei 1,5 Promille hört der Spass einfach auf“, erwiderte Oliver und klopfte seinem Klienten auf die Schulter. Einfach war es oft nicht, die einzelnen Schicksale der Mandanten zu beobachten. Wie in diesem Fall, hatte eine Alkoholkontrolle zum Entzug des Führerscheins geführt und drohte nunmehr eine Existenz zu ruinieren, da der Mann als Taxifahrer seinen Unterhalt verdiente. In derartigen Fällen konnte man nur auf der Milde des Richters hoffen, wobei sie sich oftmals, gerade bei Berufskraftfahrern, in Grenzen hält. 11

Die Kunst des Anwaltes besteht eben auch darin, dem Mandanten das Gefühl zu geben, dass er ordentlich vertreten wurde und die verhängte Strafe eher als akzeptabel anzusehen ist. Nach einem Haftprüfungstermin am Mittag, bei dem es um die Frage geht, ob ein Beschuldigter in Haft verbleibt oder nicht, fuhr er ins Büro, das in einem Geschäfts- und Bürohaus in der Innenstadt lag. Die Kanzlei lag in der achten Etage des Gebäudes und war grossräumig ausgestattet.Alle acht Anwälte waren in kom-fortablen Büros untergebracht, wobei auch die übrigen Mitarbeiter der Kanzlei in durchaus schicken Büros arbeiteten. Obwohl es Mittagszeit war, herrschte emsiges Treiben in der Kanzlei. In der Regel arbeiteten die Anwälte am Mittag durch und liessen sich lediglich einen kleinen Salat oder ein Sandwich bringen, um den grössten Hunger zu stillen. Die übrigen Mitarbeiter, also Anwalts-gehilfinnen, Schreibkräfte, Referendare und Auszubildende, nahmen zu unterschiedlichen Zeiten ihre Mittagspause in Anspruch, sodass das Büro tagsüber ständig besetzt war. 12

Als Oliver die Büroräume betrat, wartete seine Sekretärin Susanne bereits auf ihn. Als Anwaltsgehilfin hatte sie wichtige Auf-gaben zu erledigen. Einerseits erledigte sie die anfallenden Schreibarbeiten, führte Gespräche mit Mandanten, verabredete Termine, sichtete die Post, ordnete sie den entsprechenden Akten zu und überwachte andererseits einzuhaltende Fristen bei Gerichten oder Behörden. Susanne arbeitete bereits seit 5 Jahren für Oliver und fühlte sich in der Kanzlei äusserst wohl. Das Betriebsklima war erstklassig, nicht zuletzt auf-grund der etwas unkonventionellen Führung des Büros. Den eigentlichen Chef gab es in diesem Büro nicht. Zwar galt der Erstfirmierende als der heimliche Boss, doch legte Oliver grossen Wert auf die Feststellung, dass das Büro als Mannschaft arbeitete und, so weit wie möglich, alle Entscheidungen, von allen Mitstreitern getroffen werden sollten. Alle Anwälte waren miteinander seit Jahren befreundet und jeweils Mitinhaber der Kanzlei, so dass es ohnehin wenig Streitpunkte gab, doch sofern sie auftraten, rannten sie 13

doch alle zum heimlichen Boss und der entschied dann auch. Ein wenig erschöpft setzte sich Oliver an seinen Schreibtisch, der bereits wieder mit Akten, die bearbeitet werden mussten, bestückt war. Kurz nach seinem Erscheinen öffnete Susanne die Tür, bewaffnet mit Sandwich und Termin-kalender und setzte sich ihm gegenüber. Oliver fiel auf, dass sie sich äusserlich etwas verändert hatte. Sie war jetzt blond, die Haare etwas kürzer, so dass ihre grossen braunen Augen noch mehr zur Geltung kamen. Darüber hinaus trug sie einen Minirock, den er für etwas gewagt hielt. Schliesslich, so dachte er, sind wir in einer seriösen Kanzlei und nicht in einer Disco, vermied aber jeglichen Kommentar, wobei ihm auch nicht entgangen war, dass sie sich den Kleidungsstil durchaus leisten konnte. Er liess sich nicht weiter abhalten und fragte nach den anstehenden Terminen, die ab 16 Uhr stündlich, bis 19 Uhr, einen Mandanten vorsahen. Sie verliess das Büro, Oliver ass sein Sandwich, schaltete den Fernseher ein und schaute Nachrichten. 14

Punkt 16 Uhr wurde ihm vom Empfang mitgeteilt, dass der erste Mandant eingetroffen war und bereits im Besucherraum wartete. Der Raum war stilvoll gestaltet. Die Klienten sassen in einem hellen Zimmer, in dem zwischen Ledercouches subtropische Kübelpflanzen aufge-stellt waren. An den Wänden waren Bilder der modernen Kunst angebracht, die von Künstlern zum Verkauf angeboten wurden, die die Besucher bei kostenlosen Getränken begutachten konnten, sofern sie sich nicht in den auf den Tischen liegenden Magazinen über aktuellen Klatsch informieren wollten. In den Nachmittagsstunden setzte regelmässig ein Besucherstrom ein, denn die Mandanten der einzelnen Anwälte erschienen oftmals mit Familienangehörigen oder Freunden, so dass schon Stimmung in der Bude war. Bei der Anzahl der wartenden Mandantschaft war es unvermeidbar, dass sich in diesem Raum Menschen unterschiedlichster Art begegneten, was zeitweise, eine gewisse Komik hatte. Wenn also der Personalchef einer Firma wegen arbeitsrechtlicher Probleme die Kanzlei aufsuchte und neben einem Zuhälter sass, war das schon sehenswert. 15