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Sophie C. Angerer
Aus der Sicht einer Verbliebenen Roman
freie edition
© 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin
Alle Rechte vorbehalten www.aavaa‐verlag.de 1. Auflage 2011 Umschlaggestaltung: Sophie C. Angerer / Hans Lebek
Printed in Germany ISBN 978‐3‐86254‐447‐9
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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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In Gedenken an meine Mutter und all die Menschen, die mein Leben veränderten und prägten. Positiv wie negativ.
Mein Dank geht an: Meinen Vater, der mich bei allem unterstützt, was ich jemals getan habe und tun werde. Ich liebe dich. Irene G., die wie eine zweite Mutter für mich ist und der ich so viele Momente verdanke. Einen Teil meiner Verwandtschaft und Freunde meiner Mutter, die mir mehr geholfen haben als sie vielleicht denken. Eti und Lilly S., die mir eine neue Familie wurden und ohne die ein Leben nicht möglich ist. Navina F., meine längste Freundin und Seelenteilerin. Octave von Sinnerman, mein Gegenstück, mein Mann. Ohne dich wäre der bisherige Weg ohne Sinn gewesen ‐ welchen du meinem Ziel erst verliehen hast. Ihr habt mir alle wieder einen Platz gegeben, in dem Leben, das keines mehr war. Ich danke euch. Besonderen Dank an: Hanae Yamashita und Miriam Hygen.
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„Every act of creation, is first an act of destruction.“ Pablo Picasso
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Das Gestern „Heute dasselbe fühlen wie gestern heißt nicht fühlen ‐ heißt sich heute an das erinnern, was man gestern gefühlt hat, heißt heute der lebendige Leichnam dessen zu sein, was gestern gelebt und verloren ging.“ Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe Wo soll es beginnen, wo soll es anfangen? Wo soll man beginnen eine Geschichte zu erzählen und wo stellt man fest, dass hier nun das Ende ist? Ergibt es sich? Steht es bereits geschrieben? Ist es einfach da? Einen klaren Anfang finden wir alle – mit unserer Geburt. Ein Ende, das ist offen, wird teils von uns geschrieben. Die Zeit dazwischen? Manche meinen der Weg ist das Ziel. Doch was ist es für ein Weg, für eine Prüfung, die man auferlegt bekommt? Nimm sie, stirb oder leb weiter? Ist das der Weg, die Prüfung? Und das Bestehen oder das Nicht‐ Bestehen ist dann unser Ziel?
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Der Beginn war hart, der Weg dazwischen nicht weniger, doch dachte man das Schlimmste wäre vorbei, so hatte man sich in der Mitte getäuscht. Ob es eine Prüfung ist oder bloße Ungerechtigkeit. Vielleicht beides. Ein Weg, ein Beginn, eine Prüfung, ein Ziel und ein Ende. Letzteres kann so nahe liegen.
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Es gibt eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von einem kleinen Mädchen, welches kein kleines Mädchen war, sich jedoch nicht als Frau fühlte. Dieses kleine Mädchen, das lernte erwachsen zu werden. Eine Nacht änderte alles ‐ ein Augenblick, der kein Augenblick war, sondern eine lange Zeit, die im Nachhinein gesehen wie ein Wimpernschlag verflog. Dieses Mädchen hatte alles und doch wieder nichts. Es hatte mehr als andere, doch trotzdem fehlte immer etwas. Man möge meinen, unsere westliche Wohlstandsgesellschaft bringt eine gewisse Unzu‐ friedenheit und ein Streben nach immer mehr mit sich ‐ doch das sei nicht als Grund hervorgehoben. Diese Person, die vieles hatte, um glücklich zu erscheinen, wusste immer schon, dass vieles dazu fehlte, um Glück zu empfinden. Die quälende Suche nach dem Fehlenden kann auch erfüllend sein. Alle Menschen dieser Welt und trotzdem kein Gefühl von Geborgenheit, Zugehörigkeit.
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Viele Leute, die dieses Mädchen liebten und dennoch fühlte es sich einsam. Sie kann in einem Raum stehen mit lauter Freun‐ den und trotzdem fehlt so vieles, wovon sie nicht einmal selbst eine Ahnung hat. Obwohl dieses Mädchen geliebt wurde, begehrt wurde, verwöhnt wurde, hatte es trotzdem immer das Gefühl der einsamste Mensch auf der Welt zu sein. Von allen verlassen, von keinem geliebt. Vom Leben gepeinigt, von der Liebe verachtet. Von allen begehrt, von niemandem geliebt. Doch das Mädchen wusste damals noch nicht, dass all dies nur der Anfang sein sollte. Der Anfang von etwas, dass dieses Mädchen nicht fassen kann. Bis heute nicht.
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Es dauert eine lange Zeit zu wissen, wer man ist. Manchmal trifft es einen wie einen Blitz. Manch‐ mal kommt man durch Erlebnisse drauf. Oft dauert es ein Leben lang und oft nur ein paar Minuten. Manche erfahren es nie. Manchmal hilft auch die Erkenntnis, dass man nicht so ist, wie man glaubt. Eine angedeutete Ahnung, wie schwer der Weg sein wird, bis man begreifen kann, wer man ist, bekommt man meist in nicht gewählten Momen‐ ten. Zum Beispiel in einer Nacht von Samstag auf Sonntag. Es war ein Tag nach der Party. Der Körper ausgelaugt vom vielen Rauchen, von übermäßigem Alkohol. Die Füße geschunden von den zu hohen Schuhen, die mehr Aufmerksamkeit erregen sollten, als das, was einen wirklich aus‐ macht. Gespräche, die nicht im Geringsten das Interesse wecken konnten. Sondern den Ekel und das Gefühl fehl am Platz zu sein, schürten. An‐ schluss finden wollen, dazugehören wollen, aber genau wissen, dass dies niemals passieren wird. Die aufkeimende Frage dessen, was man eigentlich ist. Wer man eigentlich ist und weshalb man weiß, dass man anders ist. Anders als all die Menschen, die um einen sind.
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Trüber Blick in den Spiegel. Der Körper schlanker als vor einem Jahr. Die Haare blond gesträhnt. Die Haut gepflegt und gebräunt. Eine dunkelhaarige Frau, die niemals blond sein wird. Die nie dünn sein wird, es aber trotzdem versucht. Probiert etwas zu sein, was sie in Wahrheit gar nicht ist. Die glatte Glasoberfläche anzuschauen als gäbe es einem eine Antwort, wirft nur noch mehr Fragen auf, welche ebenso keine schnelle Antwort finden. Ein Blick in die Zukunft birgt auch einen Blick in die Vergangenheit. Fragen nach dem Selbst, die einen langen Weg voraussetzen und ein noch weiteres Denken fordern. Wer bin ich? Wovor laufe ich davon? Was will ich? Spiegelbild. Wer ist das dort, der mir entgegen blickt? Wer ist dieses traurige Mädchen und weshalb schaut es mich seit Jahren an? Selbst gewählt oder auferlegt.
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Erfahren oder immer schon besessen ‐ das Streben nach mehr und das nicht erkennen des Seins. Das Vergessen des Glückes über die quälenden Fragen. Im Inneren gibt es ein düsteres Kapitel, welches noch nicht aufgeschlagen wurde. Es ist da, man weiß ganz genau, dass es einen begleitet und sich oftmals zeigt. Sich selbst aufschlägt und zuschlägt. Auf hinterhältige Art und Weise. Doch ist der Hinterhalt ein durchschauter, denn weiß man nur zu gut, wie er aussieht und dass es ihn gibt. Nur etwas außer Acht zu lassen heißt noch lange nicht, dass dieses etwas verschwindet oder besser wird. Was darin steht, in diesem dunklen Kapitel, kann man ahnen, aber die Ahnung allein macht noch lange kein Wissen und das Wissen zeigt noch lange nicht den Weg in eine andere Richtung. Gedanken aus der Sicht einer Verbliebenen.
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Kapitel I Es war Nacht. Eigentlich die richtige, um es sich gemütlich zu machen. Die Woche in den Knochen zu spüren und nichts zu tun. Nichts zu müssen, aber vieles zu können. Eine herrliche Option; sich alle Wege offen zu halten. Einige hatten angerufen und gefragt, ob ich mit ihnen ausgehe. Ich habe verneint, indem ich meinte, dass ich schon etwas vorhatte. Was nicht stimmte, aber die Wahrheit ging diese Menschen nichts an. Müdigkeit wird nicht als Ausrede gezählt. Aber heute war sie es, um nicht mehr den Körper unnötig bewegen zu müssen. Ich wollte einfach hier am Fensterbrett sitzen, mit meinen Boxer‐ shorts, eine Zigarette rauchend und den Sternen beim leuchten zusehen. So wie ich es fast jede Nacht tat, wenn der Kopf wieder mehr an andere Dinge als an Schlafen dachte. Und eigentlich wollte ich nichts mehr als einfach nur schlafen.
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Stattdessen saß ich hier, wie so oft am Fenster und sah in die Welt hinaus, die ich heute eigentlich erobern konnte. Aber ich war müde davon etwas hinterherzulau‐ fen, das nicht einmal einen Schatten warf. Alles war ruhig. Stille hatte sich über die Straßen gelegt. Nur einige Autos fuhren vorbei und leuchteten mit ihren Scheinwerfern die Landschaft aus. Dunkle Hecken, die plötzlich Struktur bekamen. Das Mondlicht zeigte nur ihre Umrisse. Die Straßenlaterne war zu weit entfernt, um die Nachbarschaft sichtbar zu machen. Sie interessierte mich aber auch nicht wirklich. Viel schöner war es, dem Himmel bei seinem Leucht‐ spiel zuzusehen. Einige schwarze Wolken verdeckten manchmal den Stern, welchen ich gerade fixiert hatte, um ihn länger zu betrachten. Ich unterbrach üblicherweise nach ein paar Minu‐ ten, um mir mein Handy zu holen, mit dem ich Musik hörte. Immer vergaß ich es, vorher schon mitzunehmen.
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Schön war es hier am Fenster zu sitzen und die Gedanken durch die zusammengestellte Playlist schweifen zu lassen. Sie blieben bei der vergangenen Woche hängen. Bei Menschen, denen man begegnet war, obwohl man das vielleicht gar nicht wollte. Gedanken an Dinge, die man verpassen könnte, während man hier still und leise verweilt. Sich dabei ertappen, dass das hier viel mehr wert war, als jetzt in einer Bar Gespräche zu führen. Die nächste Zigarette anzünden und leicht von der Flamme des Feuerzeuges geblendet werden. Sieht man dann gleich dem hellen Rauch nach, wie er in die Atmosphäre verschwindet, scheint noch immer ein Kreis der Flamme im Blickfeld auf. Erneuter Zug und flackernde Glut zentimeterweit vor dem Mund. Eine schöne Nacht. Warm, lau. Die Grillen würden zirpen, hätte ich nicht meine Musik in den Ohren. Aber die Grillen werden auch morgen noch sin‐ gen, deshalb kann ich ihre Geräusche jetzt über‐ tünchen. Nichts läuft mir davon. Alles bleibt, wie es ist.
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