Aus der Sicht von Flüchtlingen

Terrorismus hat keine Religi- on.“ Frederickson hört sich die. Lebensgeschichten von Bettlern an. Sie holt Flüchtlinge aus ihrer. Lethargie und zeigt ihnen die.
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6 Salzburger Woche

PINZGAU

31. D EZEMBER 2015

Für ein Videoprojekt signalisierten Muslime in Neukirchen mit Tafeln: „Unsere Religion ist friedlich.“ Mit von Alex Frederickson (r.) organisierten Kameras hielten Flüchtlinge „Österreich“ fest. BILDER: SCHWEINÖSTER

Aus der Sicht von Flüchtlingen „Zeigt, wie ihr Österreich seht“ – mit dieser Aufforderung schickte die in Neukirchen lebende Schriftstellerin Alex Frederickson Flüchtlinge, Obdachlose, Bettler mit der Kamera los. Was sticht Flüchtlingen im Pinzgau und allen weiteren Teilen des Landes ins Auge? Zum Beispiel Schneekanonen. Sie stellen sich davor und senden Selfies an ihre Verwandten in Syrien oder Afghanistan. Doch sie holen auch viele andere Szenarien vor die Linse: den grauen Alltag zwischen Stockbetten; die friedliche Landschaft; das klare und noch in Fülle vorhandene Wasser hierzulande. Hinter ihrer kreativen Umtriebigkeit steckt die englische Schriftstellerin Alex Frederickson, die im Pinzgau lebt. Sie hat 100 – vom „DM“-Markt in Mittersill gesponserte – Einwegkamers an Flüchtlinge, aber auch an Obdachlose und Bettler, verteilt. „Zeigt, wie ihr Österreich seht“, war ihr Appell.

NEUKIRCHEN.

In einigen Wochen werden alle Kameras wieder eingesammelt, die besten Fotos mit Geldpreisen prämiert und ins Internet gestellt. „Ich bin die Stimme solcher, die keine Stimme haben“, sagt Frederickson über sich. Nach den Attentaten in Paris formierte sie rasch eine Gruppe von Muslimen in Neukirchen, die in einem Videoprojekt mit Tafeln signalisierte: „Unsere Religion ist friedlich. Auch wir sind Opfer des IS. Terrorismus hat keine Religion.“ Frederickson hört sich die Lebensgeschichten von Bettlern an. Sie holt Flüchtlinge aus ihrer Lethargie und zeigt ihnen die Krimmler Wasserfälle. Sie ist streitbare Bloggerin, wenn es um Zivilcourage, Menschenrechte und -würde geht. Frederickson hat in ihrer Kind-

heit selbst Ausgrenzung erlebt. Als Zehnjährige – Tochter eines Deutschen und einer Österreicherin – wurde sie von Schülern als „Nazi“ beschimpft. Das Wort „labelled“ (abgestempelt) hat sie in ihrer Haut eintätowiert. Ebenso den Satz: „Once you were marked, the mark stayed with you.“ („Bist du einmal gebrandmarkt, dann bleibt dir dieser Stempel.“) Als ehemalige Krankenschwester der Psychiatrie hat sie die Ausweglosigkeit vieler Patienten erlebt. Ihr Buch „Labelled: Inside the Stigmatised World of Mental Illness“, wurde bisher in über 20 Ländern verkauft. So außer in Europa auch in den USA, Südafrika und Australien. Auf Deutsch ist es kürzlich erschienen unter dem Titel: „Ver-rückt:

Die stigmatisierte Welt der psychischen Erkrankung“. „Verrückt“ ist ein Wortspiel, das Frederickson so erklärt: „Man drängt, ja verrückt manche gerne in das Eck der psychischen Erkrankung.“ Derzeit schreibt sie an der Fortsetzung ihrer Biografie. So war sie mit 25 Jahren aus der „starren Struktur des Spitalsalltages“ ausgestiegen, hatte weiterstudiert und als hoch bezahlte Managerin in einer Zeitarbeitsfirma Karriere gemacht. Nach zehn Jahren harten Jobs befand sie sich am Rande eines Burn-outs. Dann habe sie die „Notbremse gezogen“, erzählt die heute 49-Jährige, die 2006 von Yorkshire in den Salzburger Pinzgau gezogen ist und hier seither als Schriftstellerin Christine Schweinöster arbeitet.