Freie Subjekte in derWelt der Physik

Johannes Korbmacher, Martin Pleitz, Julia Schmidt. Peter Rohs als Retter der Ethikotheologie Kants? ............................................... 157. Dennis Federsel, Matthias ...
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Karakuş · Pleitz · Weidemann (Hrsg.)

Im philosophischen System von Peter Rohs greifen Subjektivitätsund Freiheitstheorie, Naturphilosophie, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie und Religionsphilosophie nahtlos ineinander, und selbst musikästhetische Thesen haben darin Platz. Rohs fügt Elemente aus der Transzendentalphilosophie und aus der analytischen Tradition zu einer einheitlichen Theorie zusammen, indem er die Zeit mit ihrer Doppelstruktur von Verfließen und reinem Nacheinander als Verbindungsglied nutzt. Wie dies geschehen soll, beschreibt er in dem eigens für den vorliegenden Band verfassten Aufsatz „Warum es wichtig ist, dass die Zeit verfließt“. Die anderen Beiträge setzen sich kritisch mit Rohs’ Philosophie auseinander. Besondere Beachtung erfahren dabei die kontroverse Zeitphilosophie (»halbierter transzendentaler Idealismus«) sowie die soeben erschienene Religionsphilosophie (Der Platz zum Glauben). Rohs’ Erwiderungen schließen den Band ab.

FREIE SUBJEKTE IN DER WELT DER PHYSIK

Attila Karakuş | Martin Pleitz | Christian Weidemann (Hrsg.)

ISBN 978-3-89785-512-0

FREIE SUBJEKTE IN DER WELT DER PHYSIK

Die analytische Transzendentalphilosophie von Peter Rohs in der Diskussion

Karaku¸s, Pleitz, Weidemann (Hrsg.) · Freie Subjekte in der Welt der Physik

Attila Karaku¸s, Martin Pleitz, Christian Weidemann (Hrsg.)

Freie Subjekte in der Welt der Physik Die analytische Transzendentalphilosophie von Peter Rohs in der Diskussion

mentis MÜNSTER

Einbandabbildungen: Martin Pleitz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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© 2014 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-512-0 (Print) ISBN 978-3-89785-513-7 (E-Book)

»Zeit ist gewissermaßen die Substanz, aus der der Mensch gemacht ist.« (Walter Bröcker)

Vorwort Peter Rohs war im Januar 2011 Gast der Münsterschen Vorlesungen zur Philosophie, die wie immer aus einem öffentlichen Abendvortrag des Gastes und einem zweitägigen Kolloquium bestanden. Bei dem Kolloquium wurden mit ihm Beiträge zu seiner Philosophie diskutiert, die von Arbeitsgruppen aus Lehrenden und fortgeschrittenen Studierenden des Philosophischen Seminars vorbereitet worden waren. Aus Rohs’ Abendvortrag, den Beiträgen des Kolloquiums sowie seinen Erwiderungen setzt sich dieser Band zusammen. Wir danken Frédéric Zamit und Tanja Uekötter für ihre Unterstützung bei der Durchführung des Kolloquiums. Wir danken Dr. Rafael Hüntelmann und dem ontos Verlag für die großzügige Unterstützung des Kolloquium. Wir danken Dr. Gertrud Grünkorn vom de Gruyter Verlag für eine freundliche und unkomplizierte Abwicklung. Wir danken Dr. Michael Kienecker und dem mentis Verlag ganz herzlich für die sehr entgegenkommende Unterstützung bei der Veröffentlichung der Beiträge. Außerdem danken wir allen Beteiligten für die Geduld, die sie während unserer herausgeberischen Arbeit mit uns haben mussten. Attila Karakuş Martin Pleitz Christian Weidemann

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................................7 Analytische Transzendentalphilosophie? .............................................................. 11 Martin Pleitz

Festvortrag ............................................................................................................ 19 Christian Weidemann

Warum es wichtig ist, dass die Zeit verfließt ........................................................ 23 Peter Rohs

Fundament der Wissenschaft oder Relikt der Evolution? .................................... 43 Eva-Maria Jung, Stephanie Müller, Ansgar Seide

Reflexivität und Konstitution ............................................................................... 57 Dirk Franken

Man nehme: Einige Alternativen, 2-3 Gesetze und einen Schuss Kausalität ....... 73 Jan G. Michel, Tobias Peters, Peter Szmaj

Zeit–Ich oder Ich–Zeit?........................................................................................ 85 Dennis Bätge, Roland Mümken, Martin Pleitz, Dario Schach

Musik und Intellekt............................................................................................ 107 Timo Dresenkamp, David P. Schweikard

Idealität und Realität .......................................................................................... 117 Attila Karakuş, Christian Zeuch

Dynamisierte Feldtheorie ....................................................................................133 Johannes Korbmacher, Martin Pleitz, Julia Schmidt

Peter Rohs als Retter der Ethikotheologie Kants? ...............................................157 Dennis Federsel, Matthias Hoesch

Beweislast und retardierte Allmacht ....................................................................177 Matthias Schleiff, Christian Weidemann

Erwiderungen ......................................................................................................197 Peter Rohs

Siglenliste zu den Texten von Peter Rohs ...........................................................245  

Analytische Transzendentalphilosophie? Martin Pleitz

Die Philosophie von Peter Rohs ist mittlerweile zu einem umfangreichen und detailliert ausgearbeiteten philosophischen System herangewachsen, in dem Subjektivitäts- und Freiheitstheorie, Naturphilosophie, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie und Religionsphilosophie nahtlos ineinander greifen – und in dem auch musikästhetische Thesen ihren Platz haben. Rohs verknüpft in seinem System Ideen, Thesen und Argumente aus der gesamten abendländischen Philosophiegeschichte. Die Reihe der philosophischen Gesprächspartner und Ideengeber reicht von Platon, Plotin und Spinoza zu Kant und Fichte, geht vorbei an Hegel1, streift sogar Heidegger2; und sie läuft weiter in der analytischen Philosophie bei Frege, Quine, Davidson, den Churchlands, Meggle und Mellor. Kant ist dabei ohne jede Frage wichtiger als alle anderen: Zwar hat Rohs sich in seinen Ansichten und Argumenten teils weit von der kantischen Transzendentalphilosophie entfernt, doch nutzt er diese immer wieder als Ausgangspunkt für seine Gedankengänge, als Kontrastfolie für seine systematischen Überlegungen und wohl auch als den relevanten Referenzmaßstab

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Von manchen Freunden wird Rohs regelmäßig daran erinnert, dass er sein erstes Buch über Hegel geschrieben hat. Wir wollen allerdings seine späteren klaren Distanzierungen ernst nehmen und rechnen Hegel daher nicht zu seinen gegenwärtigen philosophischen Gesprächspartnern. Es ist erstaunlicherweise gerade seine Anleihe bei Heidegger, die es Rohs erlaubt, die so gegenläufigen Thesen und die so verschiedenartigen Theoriestücke aus den Bereichen der Transzendentalphilosophie und der analytischen Philosophie miteinander zu verbinden. Es geht dabei um die wesentlich zeitliche Verfasstheit menschlicher Subjektivität. Dies wird beispielsweise in seinem Vortrag „Warum es wichtig ist, dass die Zeit verfließt“ deutlich (in diesem Band S. 23 ff.). Siehe auch weiter unten in dieser Einleitung zur Rolle der Zeit als Verbindungsglied in Rohs’ philosophischem System.

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für sein systematisches Philosophieren. Im Gegensatz zu manchen anderen aber, die heute systematisch philosophieren, hat er die Weiterentwicklung der Philosophie in der analytischen Tradition des 20. Jahrhunderts mitvollzogen. Wir können also sagen: Rohs ist sowohl in der analytischen als auch in der transzendentalphilosophischen Spielart der kontinentalen3 Philosophie zuhause.4 Darum stellt sich die Frage: Handelt es sich bei Rohs’ Philosophie um eine Art analytische Transzendentalphilosophie ? Wir denken, dass diese Frage mit einem vorsichtigen „Ja“ zu beantworten ist. Für diese Einordnung spricht neben der wichtigen Rolle, die Vertreter und Vertreterinnen der analytischen und der Transzendentalphilosophie wie gesagt für Rohs spielen, dass er auch in der theoretischen Grundtendenz und mit manchen der wichtigen Thesen dieser beiden Philosophierichtungen übereinstimmt. Bevor wir aber zu einer Skizze dieser inhaltlichen Übereinstimmungen kommen, wollen wir den Grund nennen, warum eine solche Einordnung nur mit Vorsicht vorgenommen werden sollte. Falls eine philosophische Richtung nämlich – wie eben die analytische oder die Transzendentalphilosophie – nicht hauptsächlich über ihre wichtigsten Vertreter und Vertreterinnen oder über ihre Hauptthesen zu charakterisieren ist, sondern mehr noch über eine für sie typische Methode, sollten wir Rohs das Label „analytische Transzendentalphilosophie“ nicht vorschnell anheften. Die zumindest klassischerweise für die analytische Philosophie typische Methode des semantischen Aufstiegs – also die Bearbeitung eines Sachproblems durch Verlagerung der Aufmerksamkeit auf unsere (übliche oder wissenschaftliche) Rede darüber – spielt für Rohs’ philosophische Arbeit keine wichtige Rolle. Und obwohl er ihr durchaus ein gewisses Interesse entgegenbringt, benutzt Rohs auch 3

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Die Unterscheidung zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie mag zwar irreführend und letztlich problematisch sein (schon alleine, weil sie ein sachliches mit einem geografischen Kriterium kontrastiert). Sie ist aber dennoch brauchbar, zumindest zum Zweck einer groben Einteilung. Zudem hat Michael Friedman überzeugend dargelegt, dass eine solche Unterscheidung nicht allein aus historisch-kontingenten Gründen angemessen ist, sondern auch auf einen wichtigen systematischen Unterschied verweist, der sich aus dem unterschiedlichen Umgang mit dem kantischen Erbe in der Philosophie des 20. Jahrhunderts ergibt. Vgl. Friedman 2004. Die kontinentale Philosophie nach Heidegger – der Existentialismus von Sartre, Camus und de Beauvoir und aus heutiger Sicht noch wichtiger die postmoderne Philosophie von Foucault, Lyotard, Derrida und Butler – spielt in der Philosophie von Peter Rohs keinerlei Rolle.

Einleitung

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die für die Transzendentalphilosophie typische Methode der transzendentalen Argumente nicht, zumindest nicht in ihrer üblichen Verwendungsweise. Es ist interessant, den Gründen für Rohs’ Desinteresse an transzendentalen Argumenten nachzuspüren. Dies wird uns zu einer inhaltlichen Charakterisierung seiner Philosophie führen. In einer Auseinandersetzung mit einer Kritik aus transzendentalphilosophischer Richtung – geäußert von Wolfgang Kuhlmann – legt Rohs selber dar, warum er der transzendentalen Methode keinen großen Wert beimisst. Der Zweck eines transzendentalen Arguments ist meist, Zweifel auszuräumen: Die bezweifelte These soll als (bisher wohl unausdrückliche) Voraussetzung oder Präsupposition des Zweifelns erwiesen werden und so dem kritischen Zugriff des Zweiflers oder der Zweiflerin entzogen werden. Doch worauf sollte sich der philosophische Zweifel richten? Rohs schreibt: „Vielleicht unterscheiden Kuhlmann und ich uns vor allem darin, worin wir die Dramatik der Situation erblicken und wen wir als Skeptiker vor Augen haben. […] Ich muß gestehen, daß mich der Skeptizismus, daß alles unsicher ist und wir womöglich nur ‚Gehirne im Tank‘ sind, nicht sehr beunruhigt.“5

Es lässt sich ein umfassender Zweifel von einem teilweisen Zweifel unterscheiden. Für einen totalen Skeptizismus steht alles in Frage: Ob wir überhaupt Wissen von der Außenwelt haben oder ob irgendeine unserer Normen gilt. Einem so umfassenden Zweifel lässt sich nur noch mit einem transzendentalen Argument begegnen, das auf einer reflexiven Gewissheit (die sich beispielsweise daraus ergibt, dass ich zweifle) beruht. Was Rohs im Gegensatz zum totalen Skeptizismus nun sehr ernst nimmt – was für ihn „die Dramatik der Situation“ ausmacht – sind insbesondere zwei Fälle von partikularem Skeptizismus. Es sind die teilweisen Zweifel der „Subjektivitätsskeptiker“, die einen eliminativen Materialismus vertreten, und der „Freiheitsskeptiker“.6 Diese bestreiten, dass es etwas gibt, was über das naturwissenschaftlich Beschreibbare hinausgeht. Im Gegensatz zum umfassenden Zweifel sind solche teilweisen Zweifel nicht von der prinzipiellen Möglichkeit skeptischer Szenarien („Gehirne

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EFZK, 222 f. EFZK, 222 f.

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im Tank“ usw.) motiviert, sondern von einer bestimmten philosophischen Deutung tatsächlicher Ergebnisse der Naturwissenschaft. Darum müssen wir ihnen laut Rohs auch anders begegnen: „Es liegt zwar nahe, z. B. gegen den eliminativen Materialisten reflexive Gewißheiten ins Feld zu führen. Dennoch ist das eine verfehlte Strategie, denn die ‚wissenschaftlichen‘ Gewißheiten, auf die er sich beruft, kommen so gar nicht zur Sprache. Eine Auseinandersetzung aber, die die (vermeintlichen) Stärken des Gegners nicht erwähnt und sie nur beiseite schiebt, scheint kaum angemessen zu sein.“7

Die Stärke der gegnerischen Position besteht in der großen Allgemeinheit und dem hohen Gewissheitsgrad der Ergebnisse der Naturwissenschaft, auf die die Vertreter und Vertreterinnen dieser Position sich berufen. Laut Rohs ist „das Gewicht einer universellen Theorie von der Eigenart der Physik“8 nicht zu unterschätzen. Und er fährt fort: „Das wäre wohl auch kaum im Sinne Kants, der nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß im Falle eines wirklichen Konflikts zwischen Natur- und Freiheitsgesetzen die letzteren zu weichen haben.“9 So bringen uns Rohs’ Gründe für sein geringes Interesse an der typischen Methode der Transzendentalphilosophie zu einer Charakterisierung seines Philosophierens anhand des wohl wichtigsten Sachproblems, das ihn umtreibt. Rohs’ philosophisches Hauptanliegen ist, eine Theorie der Subjektivität zu entwickeln, die einerseits so anspruchsvoll ist, dass sie zeigt, wie Freiheit im libertarianischen Sinne möglich ist, die aber andererseits mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft und insbesondere der Physik vereinbar ist. Mit anderen Worten: Er will zeigen, dass es in der Welt der Physik durchaus Platz für freie Subjekte gibt – daher der Titel dieses Bandes. (Hier mag auch eine Erklärung für Rohs’ Offenheit gegenüber der gegenwärtigen analytischen Philosophie liegen, denn auch diese nimmt die Ergebnisse der Naturwissenschaft sehr ernst – während die Transzendentalphilosophie ihre Stärke eher im Bereich der Subjektivität hat.)

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EFZK, 223. EFZK, 227. Hier richtet Rohs sich gegen eine Kritik Volker Gerhardts. EFZK, 227.