Eva Markert Im Schatten des Engels Liebesroman freie edition

Sie blinzelte. Sie befand sich in einem Bett. Im Krankenhaus. ... Ich bin immer ganz traurig, wenn du so was sagst.“ ... Ärger flammte in ihr auf. Mit einer heftigen.
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Eva Markert

Im Schatten des Engels Liebesroman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin

Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! 1. Auflage 2011 Bild: pitopia Umschlaggestaltung: Eva Markert Printed in Germany ISBN 978-3-86254-697-8

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Prolog Langsam kehrten Gedanken zurück. Wortfetzen, einzelne Wörter, deren Bedeutung sie zunächst nicht begriff. Sätze, die ihr Verstand erst nach und nach entschlüsseln konnte. Diffuse Geräusche klangen von weit her wie durch einen Tunnel an ihr Ohr. Helligkeit drang durch ihre geschlossenen Augenlider. Sie blinzelte. Sie befand sich in einem Bett. Im Krankenhaus. Neben ihr saß ein Mann mit einem Kopfverband. Ein Mann, den sie gut kannte. Robert! Sie streckte eine nebelhafte Hand nach ihm aus. Er reagierte nicht. Vornübergebeugt saß er da. Seine Ellbogen hatte er auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt. Um seinen Mund lag ein schmerzlicher Zug. So verlassen sah er aus, so hilflos. In diesem Augenblick tat er ihr unendlich leid. Sie wollte ihn ansprechen: „Robert!“ Doch er hörte ihre tonlose Stimme nicht. Mit einem federnden Ruck setzte sie sich auf. Sie bemerkte, dass sein rechter Unterschenkel eingegipst war. Krücken lehnten am Fußende des Bettes. 4

Erst jetzt fielen ihr die Apparate auf, an die sie angeschlossen war, die vielen Nadeln und Schläuche. Aber irgendetwas stimmte nicht. Warum spürte sie nichts? Keinen Schmerz? Keine Schwere? Plötzlich begriff sie: Sie war nicht mehr eins mit ihrem Leib. Nicht mehr ganz. Wie ein Schattenbild hatte sich ihr Oberkörper daraus erhoben. Sie empfand keine Angst. Nur grenzenloses Erstaunen. Sie versuchte, sich vollständig zu befreien, doch es gelang ihr nicht. Als ob ihre Beine gefangen wären. Ein Rauschen und ein kalter Hauch gingen durch das Zimmer. Sie riss die Augen auf, glaubte nicht, was sie erblickte. Wen sie erblickte. Unbeweglich stand der dunkle Engel da. Und dann kam die Erinnerung.

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Kapitel 1 Sarah Norden blickte aus dem Fenster. Der Abreisetag war gekommen. Robert und sie hatten ihr erstes gemeinsames Weihnachten und den Jahreswechsel an der holländischen Nordseeküste verbracht. Der trübe, diesige Januartag passte so richtig zu ihrer Abschiedsstimmung. Sie ließ ihre Blicke schweifen. Der große Frühstücksraum des Hotels war um diese Zeit schon fast leer. An einem Tisch in der Ecke saß eine Familie – Vater, Mutter und ein Baby in einem Hochstuhl. Es brabbelte vor sich hin, sein Körper war ständig in Bewegung. Sarah lächelte. Das Kind begann zu greinen. Die Mutter gab ihm ein rotes Plastikauto, das es sofort in den Mund steckte. Dann quietschte es fröhlich und warf das Spielzeug auf den Boden. „Jonathan!“, rief der Vater streng. Die Frau flüsterte ihm etwas zu. Sarah konnte sich denken, was sie sagte: „Er weiß doch noch nicht, dass er das nicht darf.“ Zumindest würde sie das sagen. Und sie konnte sich vorstellen, was Robert darauf 6

antworten würde: „Erziehung beginnt bereits am ersten Tag.“ Oder so was Ähnliches. Der leise Wortwechsel zwischen den Eltern war beendet. Die Mutter nahm das quengelnde Kind auf den Schoß. Der Mann goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein. „Muss der jetzt noch mehr Kaffee trinken?“, dachte Sarah. „Warum guckst du eigentlich die ganze Zeit zu den Leuten rüber?“, fragte Robert, der ihr gegenübersaß. „Das Ehepaar hat so ein niedliches Baby.“ „Woher weißt du, dass sie verheiratet sind?“ „Ich nehme es an. Weil sie ein Kind haben.“ „Aber Spätzchen!“ Robert lachte amüsiert auf. „Dazu braucht man doch heutzutage keinen Trauschein mehr!“ „Mir ist es vollkommen egal, ob sie verheiratet sind oder nicht. Mich interessiert nur der kleine Junge.“ Robert öffnete den Mund. „Er heißt Jonathan“, fügte sie schnell hinzu, ehe er anmerken konnte, dass sie nicht wissen könne, welches Geschlecht das Baby hatte. 7

In diesem Augenblick fing der Kleine lauthals an zu brüllen. Robert warf einen missbilligenden Blick nach hinten. „Grauenvoll!“ Er schüttelte sich. „Kinder können eine wahre Pest sein.“ „Ich hätte so gern welche! Ich bin immer ganz traurig, wenn du so was sagst.“ „Das begreife ich nicht. Du bist doch den ganzen Tag in der Kita mit Blagen beschäftigt! Reicht dir das nicht?“ „Ein eigenes Kind, das ist etwas ganz anderes“, widersprach Sarah. „Ich bin sicher, auch du …“ „Lass uns lieber das Thema wechseln. In diesem Punkt werden wir uns nie einig werden.“ Plötzlich bekam Sarah Lust auf einen Nachtisch und holte sich ein Buttercroissant. Robert schaute sie verwundert an. „Nanu, Spätzchen, bist du noch hungrig?“ „Ich will das schöne Frühstücksbuffet zum letzten Mal so richtig auskosten.“ „Pass bloß auf, dass dir nicht wieder übel wird!“ „Das glaube ich nicht“, erklärte Sarah zuversichtlich. „Ich habe schon lange keine 8

Magenbeschwerden mehr gehabt.“ „Siehst du?“ Robert legte eine Hand auf ihren Arm und strahlte sie an. „Die Ehe tut dir gut.“ „Sieht ganz so aus.“ Sarah lachte. Robert gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Na, dann lass es dir schmecken!“ Er grinste. „Du weißt ja: Ich finde, dass du ein bisschen mehr an den richtigen Stellen durchaus vertragen könntest.“ Sarah seufzte. „Man kann sich seine Figur leider nicht aussuchen.“ „Das stimmt nicht ganz.“ Robert strich über seinen flachen Bauch. „Sieh mich an: alles Muskeln. Man braucht sich nur vernünftig zu ernähren.“ Ärger flammte in ihr auf. Mit einer heftigen Bewegung legte sie das Croissant auf dem Teller ab. „Mehr Busen und Hintern kriegt man davon aber nicht.“ „Ich spreche vor allem von einer gesunden Lebensweise.“ „Besonders gesund sind die zwei Schachteln Zigaretten, die du täglich rauchst“, zischte sie. Robert zog die Augen- brauen zusammen. 9

„Was ist denn los mit dir? Warum bist du auf einmal so giftig?“ „Tut mir leid.“ Sarah stand auf. „Ich hole mir einen Orangensaft. Soll ich dir einen mitbringen?“ „Nein, danke.“ Das klang kurz angebunden. Also war er verärgert. Sarah trank schweigend ihren Saft, Robert schaute stumm vor sich hin. Die Kellner begannen, die Tische abzuräumen. „Ich glaube, wir stören hier“, sagte sie. „Geh schon mal bezahlen, ich packe schnell den Rest in unsere Koffer.“ Sie fuhr zu ihrem Zimmer hinauf und suchte die fehlenden Sachen zusammen. Kurze Zeit später erschien Robert. „Ich habe alles geregelt. Unser Gepäck können wir an der Rezeption lassen.“ „Wozu?“ „Sag bloß, du willst sofort nach Hause fahren.“ „Ja, natürlich. „Aber wir können noch den ganzen Tag hier verbringen!“ 10

„Es wird früh dunkel, und ich möchte nicht im Dunkeln unterwegs sein.“ „Du sitzt doch nicht am Steuer. Und mir macht es nichts aus.“ „Hast du das Wetter gesehen?“ „Es ist ein bisschen bedeckt“, erwiderte Robert. „Na und? Hauptsache, es bleibt trocken.“ „Bestimmt gibt es heute noch Regen.“ „Ach was! Sei nicht immer so pessimistisch.“ Sarah wurde nervös. „Ich wollte aber heute schon die Koffer auspacken und mindestens eine Maschine Wäsche waschen.“ „Für solch einen Mist willst du einen ganzen Urlaubstag opfern?!“ Es hatte keinen Zweck zu diskutieren. Wenn Robert nicht wollte, dann wollte er nicht. Also gab Sarah nach. Das war besser, als den ganzen Tag seine schlechte Laune zu ertragen.

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Kapitel 2 In ihren Wetterjacken standen sie vor dem Hotel. „Sitzt meine Brille gerade?“, fragte Robert. „Ja“, antwortete Sarah, ohne hinzusehen. Er fragte sie das mehrmals am Tag, und seine Brille saß immer perfekt. Robert nahm ihre Hand. „Wir gehen durch die Dünen.“ Sein Blick fiel auf den Knirps, den Sarah in der anderen Hand hielt. „Was willst du denn damit? Ich hab doch gesagt, es wird nicht regnen.“ „Davon bin ich nicht überzeugt.“ Robert zuckte die Achseln. „Wie du meinst. Wenn du das Ding unbedingt die ganze Zeit mit dir herumschleppen willst …“ Sie nahmen den Dünenweg, der direkt hinter dem Hotel begann. Es war beschwerlich zu laufen, denn ein scharfer Wind blies ihnen ins Gesicht. Wolken jagten über den Himmel. Für einen kurzen Moment kam die Sonne hervor. „Siehst du?“, rief Robert triumphierend. „Von Regen keine Spur.“ 12

Als sie jedoch eine gute Stunde gegangen waren, zog es sich ganz zu, und bald fielen die ersten Tropfen. Sarah öffnete ihren Schirm. Es war nicht einfach, ihn bei diesen heftigen Böen festzuhalten. Immer wieder schlug er um. Robert sah eine Weile zu, wie sie mit ihrem Schirm kämpfte. „Gib her, Spätzchen“, sagte er schließlich. „Danke.“ Robert ging langsam weiter und achtete sorgsam darauf, dass Sarah nicht nass wurde. Er selbst bekam nur wenig von dem Schutz des Regenschirms ab. Nach kurzer Zeit war seine linke Seite völlig durchnässt. Trotzdem sah er sie mit einem besorgten Blick an. „Nicht, dass du dich erkältest. Lass uns in eine Strandbude gehen und einen Tee trinken.“ Sarah war es recht. Hauptsache, sie kamen aus dem Regen heraus. Roberts Brille beschlug, als sie in den geheizten Raum traten. Seine Augen hinter den Gläsern waren nicht mehr zu erkennen. Sarah kicherte. „Du siehst aus wie ein Zombie.“ Robert hob drohend den Zeigefinger. 13

„Machst du dich etwa über deinen Ehemann lustig?“ „Ja“, erwiderte Sarah schlicht. Lachend setzten sie sich an einen Tisch. „Auch wenn ich durch meine Brille nichts sehen kann – sitzt sie wenigstens gerade?“ „Alles in Ordnung.“ Unter dem Tisch griff er nach ihrer Hand. „Es war ein wunderschöner Urlaub, findest du nicht?“ „Ich habe die Zeit auch sehr genossen.“ Mit dem Daumen streichelte er ihren Handrücken. „Dieser hübsche, kleine Ort, das Meer, die Dünen … Aber das Schönste war, dass wir die ganze Zeit für uns hatten.“ Sie drückte seine Finger. „Das finde ich auch.“ Die Kellnerin kam, Robert bestellte zwei Tee und einen Apfelpfannkuchen. Verblüfft blickte Sarah ihn an. „Hast du schon wieder Hunger?“ Er zwinkerte ihr zu. „Der ist für dich“, antwortete er. „Du magst doch so gern Apfelpfannkuchen.“ 14

Sarah hatte nach dem reichlichen Frühstück überhaupt keinen Appetit. Doch sie sagte nichts, um ihn nicht zu enttäuschen. Der Pfannkuchen war riesig. Sie sah sofort, dass sie ihn auf gar keinen Fall bewältigen konnte. Langsam begann sie zu essen. „Schmeckt’s dir, mein Spätzchen?“ Sie nickte mit vollem Mund. Er freute sich darüber, seine Augen leuchteten. Mit großer Mühe zwängte sie ein Viertel des Pfannkuchens in sich hinein. Dann schob sie Robert den Teller hin. „Willst du auch?“ „Nein, der ist für dich. Außerdem bin ich noch satt vom Frühstück.“ Sarah lehnte sich zurück. Sie griff nach der schmalen, goldenen Kette, die sie um den Hals trug, und spielte mit dem Anhänger, einem Posaunenengelchen. „Ich kann auch nicht mehr, leider.“ Bedauernd schaute er auf den Teller. „Schade um den schönen Pfannkuchen!“ Inzwischen hatte es sich eingeregnet. Die Tropfen liefen an den großen Fensterscheiben des Strandpavillons he- herunter. Am 15