Das Binnen-I auf gut Wienerisch

denen ein Mann wegrennt. Männer am ... Schild zeigt einen Mann, der ... Straße hartnäckig behauptet, wir hätten andere Sorgen, und auch viele Journa-.
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Chronik

Silent Disco ist zu laut Still ist in Salzburg nicht still genug – Party im Park abgesagt.

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Freitag I 18. Juli 2014 I www.kurier.at/chronik

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Das Binnen-I auf gut Wienerisch Gendern. Eine ewige Debatte spaltet wieder einmal das Land. In Wien wird der Gender-Plan strikt verfolgt

NICHT GEGENDERT

GEGENDERT

Auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag – die Binnen-I-Debatte ist wieder losgebrochen. Schon seit vielen Jahren wird versucht, damit die geschlechtergerechte Sprache auf Vordermann zu bringen – auch wenn der kleine Mann von der Straße hartnäckig behauptet, wir hätten andere Sorgen, und auch viele Journalisten sagen, sie würden sich durch das Gendern zum Clown machen und nicht leserfreundliche Texte produzieren, bei denen man einen Doktortitel braucht, um sie zu verstehen.

Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben mögen – die Binnen-I-Debatte ist wieder losgebrochen. Schon seit vielen Jahren wird versucht, damit die geschlechtergerechte Sprache in Schwung zu bringen – auch wenn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von der Straße hartnäckig behaupten, wir hätten andere Sorgen, und auch viele Journalistinnen und Journalisten sagen, sie würden sich durch das Gendern zur Clownin oder zum Clown machen und nicht leserInnenfreundliche Texte produzieren, bei denen alle einen DoktorInnentitel brauchen, um sie zu verstehen.

lichen Fluchtweg-Schilder verstießen nämlich gegen die EU-Norm und mussten deshalb wieder den herkömmlichen Schildern weichen, auf denen ein Mann wegrennt.

Männer am Wickeltisch Nur ein Piktogramm überlebte die EU-Norm. Das Schild zeigt einen Mann, der ein Baby wickelt. „Früher waren die Wickelmöglichkeiten fast immer in den Damentoi-

Beatrice J., 43: „Für mich stellt sich die Frage, ob es gut oder schlecht ist, nicht mehr – denn für mich ist die gegenderte Form schon zum Alltag geworden. Und ich hoffe, dass diese Variante trotz der großen Debatte, die gerade herrscht, weiter verwendet wird und irgendwann einmal für alle zum Usus gehört. Die Argumente, dass diese Formen Text zerstören könnten, kann ich nicht nachvollziehen.“ Anke P., 29: „IchfindeGendernunnötig.Und ich fühle mich auch dann angesprochen, wenn nur die männliche Form verwendet wird. Als Studentin muss ich aber Gendern. Bei meiner BachelorArbeit habe ich vorne hingeschrieben, dass ich der Einfachheit halber nur die männliche Form verwende, mich aber auf beide beziehe.“ (Anm.: Das gilt allerdings nicht mehr als Gender-konform.)

Markus R., 40: „Ganz ehrlich? Diese Diskussionen um das Binnen-I oder die neue HymnenVersionen sind doch einfach nur sinnlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Frauen in der Realität auch nur irgendetwas bringt, wenn wir beim Sprechen oder Schreiben weibliche Formen dranhängen. Im Prinzip ist es mir aber egal. Wenn es also sein muss, dann schreibe ich auch gerne ,liebe MitarbeiterInnen‘.“

ANNA-MARIA BAUER

Ursula Bauer Dezernat Gender-Mainstreaming

Umfrage. Der KURIER, pardon: die KURIER-Redakteurin, hat nachgefragt

Stefan F., 27: „DieseDiskussionistmeinerMeinung nach reichlich übertrieben. Hier wird docheinProblemgeschaffen,woeseigentlich gar keines gibt. Sprache wächst und verändertsich,dasistjaschön und gut. Aber das sollte doch auf natürlichem Weg passieren und nicht von oben diktiert werden. Und dass Frauen durch diese Veränderung im echten Leben geholfen wird, wage ich sehr zu bezweifeln.“

ANNA-MARIA BAUER

„Ein Mann hat gesagt, wenn eine Frau auf dem Exit-Schild ist, weiß er nicht, wohin er flüchten soll.“

Was halten Sie vom Gendern? ·········································································································································································

Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus – und manche kommen aus Wien, wo das alles völlig egal sein sollte. Die Bundeshauptstadt setzt zumindest viel daran, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wegzuradieren. Das Dezernat für „Gender Mainstreaming“ steht an oberster Stelle in Sachen Geschlechter-Fairness. Über die aktuelle Debatte rund um das Binnen-I kann frau im Rathaus nur schmunzeln. „Das ist, als hätte es unsere Bemühungenniegegeben“,sagtdieLeiterin des Gender-Dezernats, Ursula Bauer. Mit Bemühungen meint Bauer Kampagnen, Leitfäden und zahllose Broschüren, in denen erklärt wird, wie man und frau denn richtig gendern. In der Stadtregierung sei das Konzept problemlos angenommen worden, sagt die Expertin. Um das Gendern aber nicht im Rathaus, hinter verschlossenen Türen zu halten, wandte man sich auch an die Öffentlichkeit. Auf Verkehrszeichen und Piktogrammen wurden Frauen abgebildet, das Projekt bekam viel Aufmerksamkeit. „Wir haben zum Beispiel auf einem Exit-Schild eine Frau abgebildet, um der Bevölkerung klar zu machen, wiesehrunserganzesSystem auf Männer aufgebaut ist“, sagt Bauer. Die Reaktion eines Herrn auf dieses Schild machte sie mehr als stutzig: „Er hat gemeint, dass Männer ja dann nicht wüssten, wohin sie flüchten sollen.“ Besagter Herr kann sich aber beruhigen – die weib-

letten. Es wurden Umbauten gemacht, so dass auch Väter ihre Kinder versorgen können“, erklärt Bauer. Kurioserweise hat die Kampagne, die Frauen fördern soll, also den Männern geholfen. Diese Ansicht korrigiert die Expertin aber gleich: „Beim Gendern geht es ja nicht allein darum, Frauen zu fördern. Auch Männer sollen aus der klischeebehafteten Rolle befreit werden.“ Um das in die Köpfe der Menschen zu bringen, sei eben auch der Sprachgebrauch wichtig, sagt Bauer. Ein Leitfaden für geschlechtergerechte Formulierungen dient im Rathaus und den MagistratsabteilungenalsHilfe.Darinfindetsich etwa die Erklärung des „Titanic-Prinzips“, also Frauen und Kinder zuerst – im GenderMainstreamingheißtdas, dass zuerst die weibliche Form geschrieben werden soll.Der„Arztbrief“wirdzum „medizinischen Abschlussbericht“, und wenn eine Dame kaufmännische Fähigkeiten hat, sagt man in Gender-Wienerisch, dass sie wirtschaftlichesVerständnisbzw. Kostenbewusstsein hat.

ANNA-MARIA BAUER

VON BIRGIT SEISER UND ANNA-MARIA BAUER

ANNA-MARIA BAUER

BIRGIT SEISER

Grafik: Tichy

Auch die Finanzen werden gegendert Gender-Budget. In Meidling wird das Geld des Bezirks geschlechterneutral ausgegeben Das Wort „Budget“ ist ohnehin geschlechtsneutral. Was mit den öffentlichen Geldern passiert, aber keineswegs. Dass man bei der Planung von Projekten in der Stadt nämlich auch spezifisch auf die Geschlechter eingehen kann, beweist ein Pilotprojekt der Stadt Wien. Seit zehn Jahren wird in Meidling schon darauf geachtet, wie

man den verschiedenen Bedürfnissen der Geschlechter am Besten nachkommen kann. Das betrifft vor allem die Planung neuer Einrichtungen.

Keine Puppenecke Wer etwa im Meidlinger Kindergarten die Puppenecke sucht, tut das vergeblich. Das dortige Gender-orientierte

Konzept soll den Kindern nämlich die Möglichkeit geben,nichtinklischeebehafteten Geschlechterrollen aufzuwachsen. Die Spielsachen sind in Kisten verstaut. Möchte ein Bub lieber mit Puppen spielen anstatt mit den obligatorischen Autos oder Bauklötzen,dannkannersichdie Puppenkiste holen.

Auch 24 Stunden beleuchtete WC-Anlagen und mehr Sitzgelegenheiten auf dem Friedhof waren Teil des Gender-Budgeting-Projekts. Der „Gender-Bezirk“ Meidling hat es damit sogar zu internationaler Anerkennung geschafft. Das Projekt wurde mit dem französischen Preis „Prix Territoria Europe“ für Innovation ausgezeichnet.