Zisterzienser VI.p65

Renate Reschke (Humboldt-Universität/. Berlin), die mit Geduld ... bei meinen architekturhistorischen Untersuchungen danke ich Dr. Thomas. Coomans (Rijks ...
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Orbis Cisterciensis

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Meiner Mutter und Achim

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Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser • Band 6

Jens Rüffer

ORBIS CISTERCIENSIS Zur Geschichte der monastischen ästhetischen Kultur im 12. Jahrhundert

Lukas Verlag 3

Abbildung auf dem Umschlag: Villard de Honnecourt, Musterbuch, Grundriß einer idealen Zisterzienserkirche, aus: Hahnloser, Hans R.: Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches ms. fr 19093 der Pariser Nationalbibliothek. Akademische Druckund Verlagsanstalt Graz 1972, Tafel 28

Autor und Verlag danken der Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf, für die Unterstützung dieser Publikation.

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Rüffer, Jens: Orbis Cisterciensis : zur Geschichte der monastischen ästhetischen Kultur im 12. Jahrhundert / Jens Rüffer. – Erstausg., 1. Aufl. – Berlin : Lukas Verl., 1999 (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser ; Bd. 6) Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss. 1998 ISBN 3–931836–21–5

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 1999 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstr. 57 D–10405 Berlin http://www.lukasverlag.com Umschlag und Satz: Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf umweltschonend hergestelltem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany ISBN 3–931836–21–5

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Inhalt

Prolog

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Einleitung Das begriffsgeschichtliche Problem Das Modell einer ästhetischen Kultur des Klosters Die ethischen Grundlagen dieser ästhetischen Kultur Demut Maß Die Quellen Die schriftlichen Quellen Die nicht-schriftlichen Quellen

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Die Zisterzienser im 12. Jahrhundert Das historische Umfeld Die politische Situation Ökonomische Bedingungen Die religiösen Bewegungen zwischen Eremiten und Gemeinschaftsleben Das benediktinische Kloster – eine Institution der mittelalterlichen Gesellschaft Geistige Grundlagen – die Regel des hl. Benedikt Soziale und wirtschaftliche Aufgaben Altersstruktur und Herkunft der Mönche Bildung im Kloster und monastische Theologie Klosterorganisation Die zisterziensische Klosterreform Die Gründung der Gemeinschaft von Cîteaux Das zisterziensische Reformprogramm Gründung von Klöstern Liturgie und Musik Soziale Zusammensetzung der Konvente Administration Ökonomie Spirituelles Leben – Bildung und Studium

45 45 45 50 52 54 54 56 58 59 65 67 67 72 73 78 83 91 93 101

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Die frühen legislativen Texte als Gestaltungsvorschriften Die Gestaltungspolitik und der Einfluß des hl. Bernhard

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Cura corporis und monastische Askese Essen und Trinken im Mittelalter Essen und Trinken im Kloster De gustibus est disputandum Das Verhalten bei Tisch Das Refektorium Die Kleidung Hygiene und liturgische Reinheit Das Necessarium Die Lavatorien Rasur und Bad Die Kunst, schweigend zu reden – Zeichensprache im Kloster Zeichensprache und Schweigegebot Die Struktur des Zeichensystems Die Verständigung mit Zeichen Die Ambivalenz der Zeichensprache und ihre subversive Kraft

121 124 142 156 165 169 179 190 192 195 200 202 203 208 212 213

Aelred von Rievaulx – Liebe und Freundschaft im Kloster Biographie Aelreds Anthropologie Der Ausgangspunkt Aelreds ›Theorie‹ der Wahrnehmung Der Mensch zwischen Liebe und Begehrlichkeit Gottes Ordnung – die ewige Ruhe in Gott Selbsterkenntnis und Umkehr (conversio) Aelreds Lehre der affectus Vorbetrachtungen Die affectus in ihren unterschiedlichen Ausprägungen Die Kontrolle der affectus Aelreds Lehre der affectus – Grenzen und Perspektiven Aelreds De spiritali amicitia Zeit, Aufbau und Inhalt Die Wurzeln von Freundschaften und ihre verschiedenen Arten Wie gewinnt man einen Freund? Die Grenzen von Liebe und Freundschaft

219 220 226 226 229 241 243 244 247 247 250 252 256 258 258 261 265 268

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Die Zeremonie des Abschieds Vorstellungen vom Jenseits und vom Tod Das Bild vom Tod – Trauer und Schmerz Aelreds Tod und klösterlicher Sterberitus Die Vita als hagiographische Literatur Literarischer Tod und klösterlicher Sterberitus Die letzte Ruhestätte – Grab und Grabstein

280 281 296 303 303 310 321

Die Architektur im Orden von Cîteaux Allgemeine Vorbetrachtungen Methodische Überlegungen – Raumorganisation und ›Baustil‹ Die Lage der Klöster Baumaterial: Statussymbol – Spolien – Materialimitation Gewölbe Baugebundene Gestaltungsaufgaben Wanddekoration Fußböden Grisaillefenster Ästhetik des Bauens: Baugeometrie – Maß – Proportion – Licht Baugeometrie Maß und Proportion Licht Die frühen Klosterbauten der Zisterzienser Bauorganisation und Baumeister Der mittelalterliche Baubetrieb – Vale Royal Abbey Der Baumeister – Adam von Meaux Die neue Kirche von Fountains Abbey – Fountains III

336 337 337 346 349 352 353 353 359 366 372 372 376 387 390 398 401 404 421

Epilog

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Anhang Abkürzungen Literaturverzeichnis Abbildungsnachweis Der Autor

470 472 506 508

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Prolog Der Titel des Buches ist eine Konzession an die Gepflogenheiten verlegerischer Strategien. Er gibt mehr vor als ich einlösen kann. Die zisterziensische Welt ist weiter und differenzierter. Der Nachsatz jedoch ist durchaus programmatisch gemeint, denn das zentrale Thema ist ein anderer Zugang zur Geschichte der Ästhetik, indem die Beschreibung einer spezifischen ästhetischen Kultur in den Mittelpunkt gerückt wurde. Als ich begann, mich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, war eines recht sonderbar, nämlich daß die Zisterzienser, die eine so große kulturgeschichtliche Wirkung erzielt hatten, in den Arbeiten zur Geschichte der Ästhetik nur peripher – meist unter den Gesichtspunkten der Mystik und der Architektur – Beachtung fanden. Aus diesem Manko resultierte die primäre Motivation dieser Arbeit, die in der bisherigen Forschung stiefmütterlich behandelte Lebenswirklichkeit einer klösterlichen Gemeinschaft nicht aus ideengeschichtlicher, sondern aus kulturgeschichtlicher Perspektive für die Geschichte der Ästhetik zu erschließen. Wenn die vorliegende Arbeit darüber hinaus auch Anregungen für die Zisterzienserforschung enthält, ist dies mehr als ich zu hoffen wage. Diese interdisziplinär angelegte Studie verlangte einen dreifachen Tribut, und ich hege die Hoffnung, daß er sich in vertretbaren Grenzen hält. Ich habe erstens der Beschreibung der benediktinischen Klosterkultur relativ viel Platz eingeräumt, damit der kulturgeschichtliche Kontext deutlich wird. Er besteht zweitens in notwendigen Verallgemeinerungen, damit drittens auch in Verkürzungen sowie im teilweisen Verzicht auf die Diskussion von Problemen der einzelnen Spezialdisziplinen. Letzteres ist ein notwendiges Zugeständnis an die Lesbarkeit des Textes sowie an eine Argumentation, die primär die ästhetische Kultur zum Gegenstand hat. In meinem Bestreben, die ästhetische Kultur des Klosters modellhaft zu beschreiben, gerät die Dynamik historischer Entwicklungen oft ins Hintertreffen. Deshalb sei an dieser Stelle daran erinnert, und dies bitte ich bei der Lektüre des Textes immer zu berücksichtigen, daß die Lebenswirklichkeit der Zisterzienser im hier beschriebenen Zeitraum eine ungeheure innere Dynamik besaß, die auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene verschiedene Rhythmen und Facetten hatte. Die Mönche haben ihr Leben nicht an den Klassifizierungen späterer Historiker ausgerichtet, und dennoch benötigen wir diese als methodische Hilfsmittel. Während die ältere Zisterzienserforschung die Einheit des Ordens und die Gemeinsamkeiten 8

Prolog

zwischen den Konventen betonte, besteht in der jüngeren Forschung die Tendenz, die Unterschiede hervorzuheben. Was uns heute nahezu verschlossen bleibt, ist die mittelalterliche Vorstellung von Vielfalt in der Einheit. Aus diesem Grund beschreibe ich in dieser Arbeit auch nicht eine ästhetische Kultur der Zisterzienser, sondern eine monastische ästhetische Kultur zisterziensischer Prägung. Motivation, Kontext und Inhalt dieser Studie erschließen sich am besten aus dem Epilog. Deshalb mögen die geneigten Leserinnen und Leser die Lektüre dieses Buches mit dem Epilog beginnen. Auf zwei technische Dinge möchte ich noch hinweisen. Die erste Bemerkung bezieht sich auf die Quellen. Die lateinischen Zitate sind alle sowohl im Original als auch in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Dabei habe ich dankbar auf bestehende Übersetzungen zurückgegriffen. Übersetzungen, die weder in den Fußnoten noch in den Quellenangaben nachgewiesen werden, sind meine eigenen. Bei den deutsch-lateinischen Editionen habe ich nur die Seitenzahl für den lateinischen Text angemerkt. Die zweite Bemerkung betrifft das Literaturverzeichnis. In dieses habe ich alle Titel aufgenommen, die im Text erwähnt werden, auch wenn sie nur als Querverweis dienen. Allerdings mußte ich die Literatur der besseren Übersichtlichkeit wegen anders gliedern. Die Quellen sind separat zusammengefaßt, und die Sekundärliteratur ist nach Kapiteln geordnet, jedoch mit zwei Ausnahmen: den Titeln, die in verschiedenen Abschnitten mehrfach benutzt und zitiert wurden, sowie den Sammelbänden. Diese finden sich alle unter dem Kapitel »Die Zisterzienser im 12. Jahrhundert«. Außerdem war ich bei den Quellen bemüht, die jeweils aktuelle Edition zu benutzen. Im Falle der Werke Bernhards von Clairvaux habe ich den Quellennachweis auch nach der Standardausgabe von Leclercq, Rochais und Talbot in Klammern angegeben. Abschließend möchte ich noch all jenen danken, die mich in vielfältiger Weise bei dieser Arbeit unterstützten. Den größten Anteil daran haben ohne Zweifel meine Betreuerin Frau Prof. Renate Reschke (Humboldt-Universität/ Berlin), die mit Geduld und Feingefühl das Projekt begleitete, sowie Prof. Winfried Schich (Humboldt-Universität/Berlin) und Dr. Christopher Norton (University of York), die mich nicht nur mit der allgemeinen Ordensgeschichte bzw. den englischen Zisterziensern vertraut machten, sondern bei denen ich auch darüber hinaus immer ein offenes Ohr für meine Fragen fand. Prof. David N. Bell (Memorial University of Newfoundland) schulde ich Dank für wertvolle Hinweise zu verschiedenen Einzelaspekten. Für Hilfe und Unterstützung bei meinen architekturhistorischen Untersuchungen danke ich Dr. Thomas Coomans (Rijks Universiteit Leiden), Herrn Keith Emerick (Inspektor bei Prolog

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English Heritage), Prof. Peter Fergusson (Wellesley College/U.S.A.) und besonders Herrn Stuart Harrison, der mir auch den Nachdruck seiner Rekonstruktionszeichnungen und Grundrisse erlaubte. Zu Aelred erhielt ich wertvolle Hinweise von Bruder Pierre A. Burton (Scourmont/Belgien) und von Professor Brian P. McGuire (Universität Roskilde/Dänemark). Ich stehe außerdem in der Schuld von Herrn Christoph Kleinschmidt, der meine lateinischen Übersetzungen durchsah. Dem Verleger Dr. Frank Böttcher danke ich für Lektorat und Layout. Der Hans Böckler Stiftung gebührt Dank für die finanzielle Unterstützung zum Druck. Schließlich möchte ich meiner Mutter und Achim für ihrer aufopferungsvolle und uneigennützige Hilfe sehr herzlich danken und Carmen für ihre Geduld, Ausdauer und Liebe, die sie mir während der ganzen Zeit entgegenbrachte. Mein Verdienst bleiben die Fehler, die ich allein zu verantworten habe. Berlin, Pfingsten 1999

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Jens Rüffer

Prolog

Einleitung »omnium namque virtutum genetrix, custos moderatrixque discretio est.« Johannes Cassian, Collationes 2,2,4

Das begriffsgeschichtliche Problem

Jedem, der sich mit Ästhetik im Mittelalter beschäftigt, stellt sich zuerst die Frage nach dem Gegenstand seiner Untersuchung und dem Begriff von Ästhetik, den er ihr zugrunde legt. Das grundsätzliche methodische Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß Ästhetik als eigenständige Disziplin innerhalb der Philosophie eine relativ junge Wissenschaft ist, so daß derjenige, der sich mit ihrer Geschichte befaßt, die Frage beantworten muß: Reicht eine Geschichte der Ästhetik weiter zurück als ihr Begriff, und wenn ja, wie läßt sich diese methodisch begründen?1 In der Mitte des 18. Jahrhunderts schuf Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–62) die Ästhetik als eigenständiges Wissensgebiet innerhalb der Philosophie.2 Im Zentrum seiner Betrachtung standen die Sinne als Organe der Erkenntnis. Baumgarten bemühte sich um eine Theorie der sinnlichen Erkenntnis. Seit Immanuel Kant (1724–1804)3 und Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770–1831)4 wurde Ästhetik zu einem integralen Bestandteil komplexer philosophischer Systeme. Im Mittelpunkt ihres vor allem erkenntnistheoretischen Zugangs standen das Schöne und die Kunst. Die Ästhetik als Philosophie der Schönen Künste wurde fest im Gedankengebäude der Philosophie etabliert. Paul Oskar Kristeller hat in einer historischen Rekonstruktion gezeigt, daß grundlegende Termini der modernen Ästhetik wie z.B. die Begriffe Kunst oder das Ensemble der schönen Künste (Malerei, Poesie, Bildhauerei, Architektur und Musik) im wesentlichen Produkte des 18. Jahrhunderts sind.5 1 Im übrigen ist dies nicht nur eine Schwierigkeit der Ästhetik. Kunst- und Musikgeschichte stehen vor gleichen Problemen. 2 Vgl. Baumgarten, A. G., Texte zur Grundlegung der Ästhetik; Theoretische Ästhetik. 3 Vgl. Kant, I., Kritik der Urteilskraft. 4 Vgl. Hegel, G. F. W., Ästhetik. Der Text ist nach Vorlesungsmitschriften entstanden und wurde von H. G. Hotho, einem Schüler von Hegel, nach dessen Tod herausgegeben. 5 Vgl. Kristeller, P. O., 1976, Bd. 2, Kapitel IX: Das moderne System der Künste, pp. 164–206.

Einleitung

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Das begriffsgeschichtliche Dilemma haben Mediävisten am konsequentesten gelöst. So heißt es im Lexikon des Mittelalters unter dem Stichwort Ästhetik: »Kunst war und ist nicht immer und überall ästhetische Kunst; sie war es auch nicht im Mittelalter; es gibt also keine Ästhetik im Mittelalter. Was demgegenüber die Kunst im Mittelalter war, muß aus anderen Kategorien begriffen werden als solchen der Ästhetik.«6 Ungeachtet dieses – in sich widersprüchlichen – methodischen Einwandes wurden interessante Arbeiten geschrieben, die sich unter ästhetischen Aspekten mit dem Mittelalter auseinandersetzen. Alle bisherigen Versuche, seien es die von Wladyslav Tatarkiewicz7, Rosario Assunto8, Wilhelm Perpeet9 oder die 6 Probst, P., 1980, c. 1128. Die abgekürzten Begriffe wurden ausgeschrieben. Die Unterscheidung zwischen Kunst und ästhetischer Kunst ist nicht nur verwirrend, sondern folgt wahrscheinlich auch den modernen Prämissen von hoher und niederer Kunst. Der letzte Satz des Zitats hat ebenfalls seine Tücken, denn die sogenannten anderen Kategorien werden innerhalb einer Geschichte der Ästhetik zu ästhetischen Kategorien, allerdings nicht mit universeller Bedeutung, sondern mit einer kulturell-zeitlich beschränkten Gültigkeit. 7 Tatarkiewicz widmete in seiner Geschichte der Ästhetik dem Mittelalter einen eigenständigen Band. Sein Erkenntnisinteresse galt dem Schönen und der Kunst. Die Arbeit ist chronologisch angelegt und befaßt sich mit Theorien zur Kunst, mit den ästhetischen Gegenständen und den ästhetischen Erlebnissen. Band 2 umspannt einen zeitlichen Rahmen, der vom Alten Testament bis zu Dante reicht. Der Autor bemühte sich, ästhetisches Denken in den jeweiligen historischen Kontext zu stellen. Geographisch konzentrierte sich Tatarkiewicz auf das Abendland, d.h. das lateinische Mittelalter. Der systematische Teil wird durch eine Sammlung von Quellenzitaten ergänzt. Vgl. Tatarkiewicz, W., 1962, Bd. 2. 8 Assuntos Ziel ist es, mittelalterliche Vorstellungen von Schönheit und Kunst in Abgrenzung und Gegenüberstellung zu unseren gegenwärtigen Vorstellungen von Ästhetik zu beschreiben. Die Studie umfaßt den Zeitraum vom hl. Augustinus bis zu Dante Alighieri. Die Untersuchung ist in zwei Hauptabschnitte geteilt. Im ersten Abschnitt entwirft Assunto eine Theorie des Schönen im Mittelalter in Abgrenzung von modernen ästhetischen Theorien. Im Mittelpunkt des Interesses steht das spezifisch Mittelalterliche am Denken und in der Theorie. Der zweite Abschnitt ist historisch angelegt. Ästhetische Ideen werden nun chronologisch beschrieben. Dem systematischen und chronologischen Teil ist eine Auswahl an Quellenzitaten beigefügt. Vgl. Assunto, R., 1963. 9 Perpeets Ästhetik im Mittelalter konzentriert sich auf ein theoretisches Problem: Wie konnte ein Autor des Mittelalters das Schöne schlüssig aus seinem Weltbild erklären? Ästhetik wird aus geistesgeschichtlicher Perspektive betrachtet. Nach Perpeet war die zentrale ästhetische Frage im Mittelalter dann eher eine philosophische: Wie läßt sich Schönheit überhaupt denken, wenn sie in ihrer Vollkommenheit nur dem Schöpfer zukommt, der aber für die Irdischen immer unvorstellbar bleibt? Das theoretische Problem für den zeitgenössischen Denker kulminierte in der Frage: Wie ist eine vom Menschen wahrnehmbare Schönheit zu denken, wenn sie in einem vom irdischen Individuum prinzipiell unvorstellbaren Schöpfer gründen soll? Eine Lösung des Widerspruchs ist nach Perpeet nur denkbar, wenn Gott von sich heraus zur Diesseitigkeit hinübersteigt. Der Schöpfer transzendiert im Sinne eines

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Einleitung

von Edgar De Bruyne10, dessen Anregungen jüngst Umberto Eco11 folgte, zeichneten aus geistesgeschichtlicher Perspektive in je unterschiedlicher Form mittelalterlich-ästhetische Anschauungen oder Theorien über Kunst, Kunstbetrachtung und Schönheit nach. Diese Ansätze hielten einer strengen methodisch-kritischen Prüfung von Mediävisten nur bedingt stand.12 Andreas Speer erhob den aus meiner Sicht begründeten Vorwurf, daß sich einige der Autoren nur schwer des Verdachts erwehren können, aus einem modernen Vorverständnis heraus argumentiert und isolierte »Textfragmente gemäß der methodisch nur ungenügend reflektierten Vormeinung einer allgemeinen Ästhetik« kontextunabhängig interpretiert zu haben.13 Der Grundwiderspruch besteht in der Beschreibung einer mittelalterlichen Ästhetik, retrospektiv ohne einen genuin ableitbaren Begriff. Nun ist der Ästhetikbegriff selbst als historischer zu verstehen. In ihm liegt eine eigenständige Fragestellung, die wie Speer feststellte, »nicht identisch ist mit der historisch erst relativ spät entstandenen Ästhetik als eigener Wissenschaftsdisziplin und erst recht nicht auf eine bestimmte ästhetische Theorie einschließlich ihrer jeweiligen Begrifflichkeit reduziert werden kann.«14

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»persönlichen Herablassens (nicht des Emanierens)« zur irdischen Schöpfung. Gott wird, indem er sich dem Menschen offenbart, erfahrbar. Perpeet selbst setzt innerhalb seiner historischen Analyse drei Schwerpunkte: die trinitarische Schönheitslehre von Augustinus, die lichtsymbolische Schönheitslehre des Dionysios Areopagites und schließlich die scholastische Schönheitslehre. Der Autor stellt das Nachdenken über Schönheit in den Zusammenhang mit der Faszination, die das Licht auf die Menschen ausgeübt hat. Diese Lichtmetaphysik ist das thematische Zentrum seiner Studie. Ihre historische Ausprägung wird in verschiedenen Epochen stichprobenartig untersucht. Vgl. Perpeet, W., 1977. De Bruyne, E., 1946, 3 Bde., und 1947. Eco baut auf den Vorarbeiten von Edgar de Bruyne auf, der in seiner Kurzfassung L’Esthétique du moyen âge das historische Material nicht chronologisch abhandelt, sondern ästhetische Theorien nach bestimmten Kriterien strukturell ordnete. Aus geistesgeschichtlicher Perspektive untersucht Eco eine Ästhetik der Proportion, eine Ästhetik des Lichtes, das Schöne als Transzendentalium etc. Sein Ziel ist ein historischer Abriß, beschreibend und ordnend. Indem Eco seiner Arbeit keine moderne Definition von Ästhetik zugrunde legt, das Ästhetische umfassender versteht, d.h. sich auf Kunst und das Schöne im Mittelalter im weitesten Sinne konzentriert, bietet dieses Herangehen den Vorteil einer tiefgründigen Analyse einzelner Phänomene, die auch als unterschiedliche Modelle nebeneinander bestehen, voneinander profitieren oder gegebenenfalls ineinander übergehen können. Vgl. Eco, U., 1987. Vgl. Speer, A., 1994. Speer, A., 1994, p. 961f. Speer, A., 1994, p. 962.

Das begriffsgeschichtliche Problem

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Eine Geschichte der Ästhetik ist umfassender als die Geschichte ihres Begriffes, sie reicht historisch weiter zurück als die Wissenschaftsdisziplin Ästhetik15 und ist auch systematisch breiter als diese.16 Innerhalb der Geschichte der Ästhetik lassen sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen feststellen. Die eine setzt den Schwerpunkt auf die Geschichte ästhetischen Denkens. Aus ideengeschichtlicher Perspektive werden ästhetische Theorien und Begriffe bzw. Theorien und Begriffe mit Bezügen zur Ästhetik historisch dargestellt. Im Mittelpunkt stehen geistesgeschichtliche Problem- und Fragestellungen. Umberto Eco faßte den Gegenstand einer Geschichte ästhetischen Denkens zum Mittelalter wie folgt zusammen: »Als ästhetische Theorie werden wir also jeden Diskurs bezeichnen, der sich einigermaßen systematisch und unter Verwendung philosophischer Begriffe mit Phänomenen befaßt, die im Zusammenhang stehen mit der Schönheit, der Kunst und den Bedingungen für das Hervorbringen und Beurteilen von Kunstwerken, den Beziehungen zwischen Kunst und Moral, der Funktion des Künstlers, den Begriffen des Angenehmen, des Ornamentalen, des Stils, den Geschmacksurteilen wie auch der Kritik dieser Urteile und mit den Theorien und Praktiken der Interpretation von verbalen oder nichtverbalen Texten, also mit der hermeneutischen Frage – in Anbetracht dessen, daß diese die aufgezählten Probleme auch dann betrifft, wenn sie sich, wie das im Mittelalter besonders der Fall war, nicht allein auf die sogenannten ästhetischen Phänomene bezieht.«17 Die zweite Herangehensweise besteht in der historischen Darstellung einer spezifisch ästhetischen Kultur. Hier geht es um eine Synthese von Denken und Praxis. Im Zentrum stehen einerseits ästhetische Anschauungen und Werturteile, die primär einen Alltagsbezug haben und die im Hinblick auf eine bestimmte kulturelle Praxis formuliert worden sind und diese auch zu verändern suchten. Zum anderen werden die ästhetischen Momente dieser kul15 Im Historischen Wörterbuch der Philosophie beginnt Joachim Ritter (1971) seine philosophisch-systematische Darstellung der Ästhetik als Wissenschaftsdisziplin konsequent mit der begrifflichen Fassung durch A. G. Baumgarten. 16 Obwohl eine Geschichte der Ästhetik nicht in erster Linie ästhetische Begriffe, Gegenstände und Methoden definiert, sondern deren oft widersprüchliche Geschichte schreibt (vgl. Reschke, R., 1988, p. 62), müssen trotzdem übergreifende Leitlinien formuliert werden, die verhindern, daß der methodische Ansatz des Historikers nicht in einer Aneinanderreihung von Zufälligkeiten endet. 17 Eco, U., 1987, p. 10.

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Einleitung