Zeitgenössische Kunst im Dialog mit Grafiken des 20

Der Abend erwies sich für mich aufs Neue als ein Sternstundenerlebnis. Anlässlich der. Ehrung des Dichters W.G. Sebald und des Künstlers Jan Peter Tripp ...
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„Zeitgenössische Kunst im Dialog mit Grafiken des 20. Jahrhunderts“ Sehr verehrte Damen und Herren, auch ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Der BBK Allgäu/Schwaben-Süd organisiert jährlich rund 10 Kunstausstellungen im südlichen Schwaben. Diese Vernissage heute ist für schon allein deswegen ein glückliches Ereignis, weil sie in der angesehenen Villa Jauss stattfindet. Erfreulicherweise haben viele unserer Mitglieder Werke dafür eingereicht. Schon diese Tatsache werte ich als Erfolg. 39 Künstlerinnen und Künstler haben 68 Arbeiten eingeliefert. Davon hat die Verbandsjury - bei der übrigens auch Willi Geierstanger mitwirkte - 42 Werke von 33 Künstlern ausgewählt - und zwar aus den Bereichen Malerei, Grafik, Plastik, Objektkunst und Fotografie. Wir hatten von Willi den Auftrag bekommen, uns mit den Original-Grafiken der Sammlung „Stiftung Hugo Tauscher“ bildnerisch auseinanderzusetzen. Das war eine sehr gute Idee, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung. Lieber Willi, es ist für uns eine große Ehre, dass du uns mit einer so anspruchsvollen Aufgabe betraut hast. Die Ehre zählt umso mehr, weil diese Ausstellung die letzte ist, die unter deiner Kuratierung in der Villa Jauss stattfindet. Viele Kunstfreunde - und das nicht nur aus dem Allgäu - haben mit sehr großem Bedauern zur Kenntnis nehmen müssen, dass du diese Aufgabe, für die du dich im Verein „Initiative Villa Jauss“ schon seit mehr als 20 Jahre mit Leib und Seele engagiert hast, nicht mehr weiterführen kannst. Immer waren es außerordentliche Veranstaltungen, die du in dieser Zeit mit deinen Freunden und Helfern organisiert hast. Oft waren es auch große Namen, die du dank deiner guten Kontakte in den südlichsten Winkel Deutschland holen konntest. Eine Veranstaltung ist mir in besonders lebhafter Erinnerung geblieben. Ich erlebte sie eigentlich mehr zufällig, als ich nach einer Bergtour - vom Lechtal über die Krottenkopfscharte kommend - hier im obersten Dorf des Allgäus ankam. Es war für mich nämlich schon eine liebe Gewohnheit geworden, dass ich nach einer Bergwanderung noch bei meinem Freund Willi vorbeischaute, um mit ihm über Gott und die Welt und vor allem die Kunst zu plaudern. Doch diesmal hatte Willi für Gespräche keine Zeit, weil er dringend in seine Villa Jauss musste, und ich sollte unbedingt mitkommen.

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Der Abend erwies sich für mich aufs Neue als ein Sternstundenerlebnis. Anlässlich der Ehrung des Dichters W.G. Sebald und des Künstlers Jan Peter Tripp referierte kein geringerer als der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger über das Thema „Wahrnehmung von Realität“. Lieber Willi, in deiner Anmoderation hast du schon erzählt, wie viele glückliche Umstände zur Entstehung des Kunsthauses Villa Jauss beigetragen haben. Einer dieser glücklichen Umstände, lieber Willi, bist du selbst. Du hast hier mit deinen Freunden etwas geschaffen, was einzigartig für das ganze Allgäu ist und sicherlich auch weit darüber hinaus. Die Villa Jauss ist ja nicht nur ein Treffpunkt für die Bildende Kunst mit all ihren Sparten, sondern auch für Musik und Literatur. Mit der Sammlung der Stiftung Hugo Tauscher, in der kaum ein prominenter Name des 20. Jahrhunderts fehlt, avancierte das Kunsthaus zu einem erstrangigen Museum moderner Kunst in der Region. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt durch die Unterstützung vieler Sponsoren, die auch bei diesem Projekt hier einen Preis als weiteren Anreiz zum Dialog mit den Werken ausgeschrieben haben. Ihnen allen ein herzlicher Dank. Lieber Willi, „Zeitgenössische Kunst im Dialog mit Grafiken des 20. Jahrhunderts“ hast du diese Ausstellung betitelt. Ich denke, das ist ein Titel, der einiger Erläuterungen bedarf. Nach der gängigen Definition ist ein Dialog ein mündlich oder schriftlich zwischen zwei Personen geführtes Zwiegespräch aus Rede und Gegenrede. Aber hier sei die Frage erlaubt: Kann man mit einem an sich stummen Bild wirklich ins Gespräch kommen? Allein schon dieses Paradoxon machte die Ausschreibung zu einer kniffligen Aufgabe nicht nur für die Künstler, sondern auch die Jury stellte es vor schwierige Entscheidungen bei der Auswahl der Werke. Es verursachte bei allen Beteiligten tatsächlich Kopfzerbrechen. Die sehr kontrovers geführte Diskussion bei der Sitzung kreiste vor allem um die Frage: Was kann eine Jury im Ergebnis von den Künstlerinnen und Künstlern erwarten, wenn diese mit Kunstwerken anderer in Dialog treten sollen? Was bedeutet es eigentlich, wenn Künstler mit den Kunstwerken anderer in Dialog treten? Es ist ja kein klassischer Dialog im wörtlichen Sinn, was hier zwischen den zu interpretierenden Grafiken und den Künstlern geschieht. 2

Vielmehr ist es ein Wechselspiel zwischen manueller, künstlerischer Produktion und einer dadurch ausgelösten geistigen Reflexion. „Nur was man gezeichnet hat, hat man wirklich gesehen“, heißt es ja nicht zufällig. Das praktische Gestalten vor der Natur oder - wie in unserem Fall - vor dem Kunstwerk eines Anderen intensiviert die Wahrnehmung durch die doppelte sinnliche Erfahrung des sehenden Auges und der gleichzeitigen haptischen Umsetzung durch die erspürende Künstlerhand. Wenn man nun die Ergebnisse der Ausschreibung, die Werke unserer Künstler, von der Herangehensweise her betrachtet, stelle ich fest, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen die Art und Weise der gestalterischen Umsetzung des jeweiligen Werkes als Hommage begreifen - als eine mehr oder weniger ehrerbietige Verneigung vor der Leistung des jeweiligen Meisterwerkes. Andere orientieren sich an formalen oder inhaltlichen Teilaspekten, die dann im spielerischen Umgang mit den gefundenen Farben und Formen durch kontrapunktische Prinzipien wie Umkehrung, Spiegelung, Reihung, Staffelung Rhythmus, oder sonstigen Umformungen, auch Verfremdungen (Bernd Henkel) zu neuen formalen oder informellen Kompositionen (Karl Heinz Klos) modifiziert werden. Wie allein schon eine leichte Abänderung des Bildtitels zu einem Perspektivwechsel führen kann, zeigt die kalligraphische Arbeit von Lisa Niedermayer, wenn sie den Titel von Antoni Tápies´ Arbeit „Wo meiner Füße Spuren stehen, dort ist meine Heimat“ in den neuen Titel „Wo meiner Würde Spuren, dort ist meine Heimat“ um-textet. Oder beobachten Sie wie in Anita Krecks Arbeit „Emanzipation“ aktuelle gesellschaftskritische Bezüge einfließen! In ihrer Arbeit trifft in besonderer Weise das zu, was ich vorher schon mit der Feststellung „Nur was man gezeichnet hat, hat man wirklich gesehen“ ausdrücken wollte. Sowohl bei Lisas oder auch bei Anitas Interpretationen - und Ähnliches gilt auch für viele andere Werke meiner Kolleginnen und Kollegen - geht es um Grundfragen menschlicher Existenz und dies ist, wie ich meine, auch der Grundtenor aller Grafiken der Sammlung Tauscher, die wir für die Bearbeitung durch die Künstlerinnen und Künstler ausgewählt haben. Gestatten Sie mir noch ein paar weitere Überlegungen. Welcher Art sind eigentlich die Dialoge, mit denen sich Künstler den Werken anderer nähern? Jedenfalls sind es keine interaktiven verbalen Dialoge. Durch ihre spezifischen Mittel wie Farben und Formen und deren kompositorische Anordnung sprechen uns Werke bildender Kunst primär auf der gemüthaften Ebene an. Sie berühren unsere Gefühle durch Botschaften, die mit linearen und rationalen Denkmodellen nicht ausreichend beschreibbar sind. 3

„Meditative Monologe“ würde ich daher die Prozesse angesichts des nichtsprachlichen Gegenübers lieber nennen. Erkenntnisgewinne finden aber auch auf diese Weise statt. Wie das geschehen kann, macht der Wortkünstler Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ deutlich. Dieses Vorgehen ist als ein alternatives Modell auch für die Kommunikation mit bildnerischen Werken übertragbar, behaupte ich. Nach Kleist soll man mit einem anderen Menschen laut über das Thema sprechen. Doch solle man diesen Menschen nicht befragen, wie es im traditionellen Modell der Fall wäre, sondern ihm von den Dingen erzählen, die einen beschäftigen, und zwar in der Absicht, sich dadurch des eigenen Tuns bewusst zu werden. Es genügt, wenn der Andere emotionale Anteilnahme zeigt. Man sagt ja auch „Der Appetit kommt beim Essen“, und so ähnlich formuliert es Kleist, wenn er in Analogie zu dem bekannten Ausspruch veranschaulichen will, wie der Gedanke sich beim Reden entwickelt. Faszinierende Kunstwerke, wie wir sie mit den graphischen Werken der Sammlung Tauscher vor uns haben, können schon allein durch ihre Anwesenheit, ihre Magie, ihre Aura bezaubern und dadurch Erkenntnisprozesse auslösen. Es sind assoziative Ideen angesichts der Bildgedanken eines anderen Künstlers, aus denen sich bei der gestaltenden Realisierung eigenständige Bildvorstellungen entwickeln. Bei dieser uns Künstlern eigenen Kommunikationsart können beide Seiten - der emotional berührte Betrachter und das stumme Werk - aus einer „dunklen Vorstellung“ (Kleist) heraus miteinander in Dialog treten, der dann beim gestaltend wahrnehmenden Künstler zu neuen Schöpfungen führen kann. Voraussetzung für ein Gelingen ist aber, dass sich der vom Vorbild Angeregte mit seinem authentischen So-und-nicht-anders-Sein in die Kommunikation einbringt. Authentische Erkenntnisse entstehen vor allem dann, wenn sich der Interpret dem Werk seines Gegenübers ohne primär imitatorische Absicht nähert, um es dann mit seiner eigenen Handschrift zu durchwirken. In diesem Sinn kann der Dialog mit dem Kunstwerk des Anderen nicht nur einen zeitweiligen Genuss bieten, sondern zu einem schöpferischen Mehrwert führen. Insofern ist der Titel „Zeitgenössische Kunst im Dialog mit Grafiken des 20. Jahrhunderts“ gewiss keine Leerformel, sondern Anlass, das anzustoßen, was gelebte Kunst sein muss: ein essentieller Beitrag zum Leben und auch - im wörtlichen Sinn - ein Beitrag, der zu dieser Essenz führt, die wahre Bildung ausmacht. 4

Jetzt will ich noch mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen für die rege Teilnahme und gedankliche Anteilnahme bedanken, vor allem, dass sie sich mutig der Herausforderung gestellt haben, mit den Werken der Großen in einen Dialog zu treten, also mit den Werken von Künstlern, die allein schon durch ihre Namen Respekt erzeugen. Einen besonderen Dank möchte ich hier vornehmlich Jürgen Bartenschlager (Fotos) und Wolfgang Scherer (Transport) für die Hilfe bei der Hängung sowie beim Fotografieren und beim Transport. Das gleiche gilt auch der Verbandsjury für die kluge Auswahl. Ein extra großer Dank gebührt IRMI und WOLLE von der Villa Jauss für die unermüdliche und tatkräftige Unterstützung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Gerhard Menger

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