Wortprotokoll - Abgeordnetenhaus von Berlin

30.05.2011 - Wenn man sich die Statistik in dieser Antwort auf die Kleine Anfrage genau ...... zu erzielen, weil man natürlich eine hohe Beteiligung braucht.
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Wortprotokoll GesUmVer 16/77 16. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst

Wortprotokoll Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz

unter Zuladung des Ausschusses für Wirtschaft, Technologie und Frauen

77. Sitzung 30. Mai 2011 Beginn: Ende: Vorsitz:

12.02 Uhr 14.12 Uhr Felicitas Kubala (Grüne)

Punkt 1 der Tagesordnung Aktuelle Viertelstunde Siehe Inhaltsprotokoll. Vorsitzende Felicitas Kubala: Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung Volksinitiative gemäß Artikel 61 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) Frische Luft für Berlin Drs 16/4115

0463

Hier: Anhörung der Vertrauenspersonen gemäß Art. 61 Absatz 1 VvB in Verbindung mit § 9 Absatz 2 des Abstimmungsgesetzes: • • • •

Herr Johannes Spatz Herr Wolfgang Behrens Frau Raule Hoffmann Herr Hans-Joachim Möller

Morgen haben wir den Weltnichtrauchertag, und da passt es natürlich sehr gut, dass wir heute dieses Anliegen der Volksinitiative gemeinsam hier beraten können. Ich denke, ich darf im Namen aller Fraktionen sprechen, wenn ich Ihnen erst einmal ganz herzlich danke für Ihr Engagement, dass Sie diese Volksinitiative auf den Weg gebracht haben – auch erfolgreich bis dato! Das heißt, Sie müssen heute mit Ihren Vertrauenspersonen von uns angehört werden. Herzlichen Dank erst mal, dass Sie auch gekommen sind! Wir freuen uns, dass wir heute mit Ihnen ins Gespräch kommen dürfen. Jetzt hat sich Folgendes ergeben: Frau Rustler, die fünfte Vertrauensperson, kann leider heute nicht hier sein. Nun haben mich die vier Vertrauenspersonen, die heute hier sind, gefragt, ob es dem Ausschuss recht ist, dass wir Herrn Prof. Dr. Wulf Pankow, Chefarzt der Inneren Medizin/Pneumologie, Vivantes-Klinikum Neukölln, anhören. Ich habe gesagt, dass wir uns erst Redaktion: Barbara Oehler, Tel. 2325 1467 bzw. quer (99407) 1467

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einmal ein Meinungsbild dazu machen müssen, und frage jetzt, ob es den anwesenden Abgeordneten recht ist, dass wir Prof. Pankow anhören. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann würde ich bitten, dass Prof. Wulf Pankow auch nach vorne kommt und an einem Mikrofon Platz nimmt. Dann hören wir auch gerne Ihre Stellungnahme. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Johannes Spatz, Herrn Behrens, Frau Hoffmann und Herrn Möller und jetzt als fünften Anzuhörenden auch Prof. Dr. Wulf Pankow. Wir haben auch noch schriftliche Stellungnahmen bekommen, die wir als Ausschuss erbeten hatten. Das ist einmal die des Hotel- und Gaststättenverbands Berlin, DEHOGA, und zum anderen hat Herr Prof. Dr. Ekkehart Paditz eine Stellungnahme abgegeben. Wir hatten uns eigentlich auch eine Stellungnahme vom Rat der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gewünscht. Das ging aber leider nicht, weil es keine gemeinsame Sitzung mehr gab, das heißt auch keine abgestimmte Stellungnahme geschickt werden konnte. – Ich gehe davon aus, dass wie üblich von der Sitzung ein Wortprotokoll gemacht werden soll. Ich würde sagen, dann geht es gleich an die Anhörung der Vertrauenspersonen, und es beginnt Herr Johannes Spatz. – Bitte, Herr Spatz, Sie haben das Wort! Johannes Spatz (Vertrauensperson): Herzlichen Dank für die Einladung, Frau Vorsitzende! – Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses! Sehr geehrte Frau Senatorin! Ich meine auch, dass es eine sehr gute Wahl ist, das heute zu machen, einen Tag vor dem Weltnichtrauchertag, der die Verantwortung des Staates für die Gesundheit der Bevölkerung zum Thema hat. Das ist auch unser Thema hier. Wir wollen unsere Beiträge in verschiedene Bereiche aufteilen. Herr Behrens wird über die Gastronomie sprechen, Frau Hoffman über die Unkontrollierbarkeit des Gesetzes, Herr Möller über die Kinderspielplätze, und ich spreche über die Umsetzung des Gesetzes. Ich möchte zu Beginn erinnern an eine Phase, als Frau Senatorin Lompscher noch vehement dafür eingetreten ist, dass es ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie geben sollte. Sie wurde dann offensichtlich unter Einfluss auch der Wirtschaft umgestimmt, und es kam zu dem vorliegenden Gesetz, das sehr viele Ausnahmen hat. Inzwischen aber hat sich die Situation sehr verändert. Wir haben das Beispiel Bayern, das auch ausgewertet ist für das zweite Halbjahr 2010, wo deutlich wird, dass gerade auch die Getränkegastronomie nicht unter so einem deutlichen Nichtraucherschutz leidet. Es gibt auch eine Reihe von Umfragen – ich erinnere an die Zusammenfassung dieser Umfragen vom Deutschen Krebsforschungszentrum, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde, wo gesagt wird, dass 76 Prozent der deutschen Bevölkerung für einen Nichtraucherschutz sind. Das korrespondiert auch mit einer Umfrage des „Tagesspiegels“ aus der vorletzten Woche. Da haben sich 16 800 Menschen beteiligt, und 75 Prozent waren für ein absolutes Rauchverbot in Berlin. Das heißt, die Situation hat sich inzwischen deutlich verändert, und man muss in der Bilanz nach zwei Jahren novelliertem Nichtraucherschutzgesetz hier in Berlin sagen, dass es keinen ernsthaften Schutz vor Passivrauchen in der Gastronomie und anderen Bereichen, die dazugezählt werden können, wie Internetcafes oder Spielhallen gibt. Ich möchte mich jetzt zunächst konzentrieren auf eine Kleine Anfrage von Herrn Czaja vom November letzten Jahres, die von Herrn Staatssekretär Hoff im Februar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Herr Hoff kommt zu dem Schluss, dass die Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes ausreichend sei, und stützt sich dabei auf die Zahl der Beschwerden, die abgenommen hätte, und auf die Zahl der Kontrollen, die zugenommen hätte. Wenn man sich die Statistik in dieser Antwort auf die Kleine Anfrage genau anschaut, dann sieht man, dass z. B. Charlottenburg-Wilmersdorf überhaupt keine Bürgerbeschwerden hatte in den letzten drei Jahren, sodass man eigentlich gar keine richtige Aussage treffen kann über die Lage der Beschwerden. Wir haben im Juli letzten Jahres ein Dutzend Anzeigen gemacht, als wir eine Kneipen- und Gaststättentour in Charlottenburg-Wilmersdorf gemacht haben. Die sind entweder unter den Tisch gefallen, oder es ist irgendein bürokratisches Versehen, dass die nicht aufgeführt wurden. Diese Bürgerbeschwerden sind auf jeden Fall keine Grundlage für eine Aussage, dass die Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes ausreichend sei. Der Frage der Kontrollen sind wir auch nachgegangen. Wir haben ja verschiedene, auch in Zeitungen veröffentlichte Umfragen und Begehungen von Straßenzügen in Berlin gemacht, und just an diesem Wochenende waren wir unterwegs und haben einen Praxistest in Friedrichshain-Kreuzberg gemacht. Das ist genau der Bezirk, der absolut die meisten Kontrollen von Berlin macht. Die Hälfte aller Kontrollen geht auf das Konto von diesem Ordnungsamt. Wir haben uns die Kneipen und Bars in der Oranienstraße angeschaut. Es war für

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mich, obwohl ich die Situation etwas kenne, wirklich erschreckend, dass mit einer einzigen Ausnahme alle diese Kneipen und Bars das Rauchen zugelassen haben. Das zeigt, welchen Kontrast es gibt zwischen der Zahl der Kontrollen auf der einen Seite und der Realität des Nichtraucherschutzes in der Gastronomie auf der anderen Seite. Wir waren dann auch noch in Clubs, in neuen Diskotheken unter den Bögen der Warschauer Brücke und Revaler Straße und haben da auch mit einer Ausnahme feststellen müssen – das war in der Nacht von Samstag auf Sonntag –, dass acht Clubs sich nicht an die Vorgaben gehalten haben. Da wurde im Bereich der Tanzflächen geraucht. Das zeigt auch hier, dass die Zahl der Kontrollen keine Aussage macht über den tatsächlichen Nichtraucherschutz in der Gastronomie, dass es ungeeignet ist in der Form, wie es hier stattfindet. Wir haben diese Gänge gemacht am Samstag, Sonntag in der Oranienstraße zwischen 22 Uhr und 24 Uhr und in Friedrichshain in den Clubs zwischen 1 und 2 Uhr. Da standen sie übrigens Schlange, und um diese Menschen geht es. Das sind Jugendliche gewesen, junge Menschen, die dort Spaß haben wollten. So ein Nichtraucherschutzgesetz sollte gerade auf Junge reflektieren. Das tun es leider nicht. Ich denke, dass Bürgerbeschwerden und die Kontrollen in der Form, wie sie vorliegen und beantwortet wurden, ungeeignet sind, um die Umsetzung des Gesetzes zu beurteilen. Wichtig wäre, auf den Zweck – in § 1 wird abgehoben auf den Zweck des Gesetzes, nämlich Schutz vor den Gesundheitsgefahren des Passivrauchens – zu kommen. Dieser Zweck wird nicht eingehalten in diesem Bereich, in anderen Bereichen auch nicht. Es gibt die Aussage der Fachstelle für Suchtprävention: In drei Viertel der Spielhallen wird geraucht, in zwei Drittel der Internetcafes in Neukölln, die wir untersucht haben, wird geraucht. – Man kann sagen, dass in der Bilanz der Zweck des Gesetzes nicht erfüllt wird. Hinzu kommt, dass wir Nichtraucher an dem geselligen Leben in Kneipen, Bars und Diskotheken teilnehmen möchten. Ich bin vielleicht schon ein bisschen gehoben im Alter, aber auch mir macht so was Spaß. Und da sind wir ausgeschlossen, und wir sind eigentlich keine Stubenhocker. Wir möchten das verändern. Deswegen appellieren wir hier an Sie, dieses Gesetz zu verändern. Ich möchte Frau Lompscher und Herrn Hoff einladen: Kommen Sie doch mal mit zu so einer Kneipentour! Dann werden Sie den Praxistest Ihres Gesetzes sehen. – Danke schön! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Herr Spatz! – Dann hat Herr Behrens das Wort. Wolfgang Behrens (Vertrauensperson): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Senatorin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das allgemein benutzte Kurzwort „Nichtraucherschutzgesetz“ suggeriert zwar, dass es in dem Gesetz um einen Minderheitenschutz geht, doch wir alle wissen, dass das nicht richtig ist. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind Nichtraucher, sind aber zwangsweise dem Passivrauch und den damit einhergehenden Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Das Nichtraucherschutzgesetz sollte genau dieses verhindern, macht es aber nicht. Dem Anspruch aus § 1 des Gesetzes, nämlich die Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, wird dieses Gesetz – insbesondere nach der Änderung aus dem Jahr 2008 – nicht gerecht. Im Klageverfahren von 2008 führte das Bundesverfassungsgericht aus, so wörtlich, dass ... der Schutz der Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern zählt, die selbst objektive Beschränkungen in der Berufsausübung rechtfertigen können. Das Verfassungsgericht hat also den Wert der Gesundheit über den Wert der Ökonomie gestellt und hat ein striktes Rauchverbot nicht für unverhältnismäßig erklärt und eigentlich aus Wettbewerbsgründen auch für geboten gehalten. Wirtschaftliche Aspekte dürfen beim Gesundheitsschutz, den nach dem Gaststättengesetz auch die Gastwirte zu beachten haben, allenfalls eine Nebenrolle spielen. Wirtschaftliche Aspekte hat das Verfassungsgericht auch nicht als Argument benutzt, als es die Zwischenlösung, die später in das Berliner Gesetz aufgenommene Einraumkneipen-Regelung, vorschlug.

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Schauen wir doch mal über den Tellerrand: Wie sieht es denn in Europa und anderswo aus? In keinem Land hat es nach der Verhängung von Rauchverboten in der Gastronomie mittel- und langfristig nennenswerte Umsatzrückgänge gegeben – weder in New York noch in Großbritannien noch in Schottland, und auch nicht in Irland, wo bis 2004 verqualmte Pubs zum Lebensmittelpunkt gehörten. Es hat zwar eine kleine Delle gegeben, aber binnen Jahresfrist wurde der alte Zustand im Umsatz wieder hergestellt. In Norwegen gar sind sowohl Umsatz- als auch Beschäftigtenzahlen in der Gastronomie nach Verhängung des Rauchverbots gestiegen. Aus Polen sind ebenfalls keine negativen Auswirkungen bekannt, und auch nicht aus der Türkei, wo selbst die bei uns als Raucherlokale erlaubten Shisha-Lokale untersagt sind. Von negativen Auswirkungen eines konsequenten Nichtraucherschutzes kann in der Gastronomie nicht ausgegangen werden. Das bestätigen auch die Beobachtungen des WHO-Kollaborationszentrums beim DKFZ in Heidelberg. Gucken wir mal, wie es in Deutschland aussieht. Die Ergebnisse des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Umsätze seit 1994 kontinuierlich bergab gehen, und zwar sowohl in der speisen- als auch in der getränkegeprägten Gastronomie. Wenn man dort einmal genauer hinschaut, dann sieht man einen signifikanten Umsatzeinbruch im Jahr 2001, bei der Einführung des Euros, aber Sie sehen keinerlei Einbrüche in den Jahren 2008, 2009 als die Nichtraucherschutzgesetze verabschiedet wurden. Eine jüngst von der Nichtraucherinitiative Deutschland durchgeführte und veröffentlichte Analyse bestätigt, dass in Ländern, in denen es keinen konsequenten Nichtraucherschutz, nämlich ein totales Rauchverbot in der Gastronomie gibt, wie in Bayern und im Saarland, die Umsätze entweder gestiegen oder erheblich weniger eingebrochen sind als in den übrigen Ländern. Vergleicht man dagegen Bayern als positives Beispiel mit Nordrhein-Westfalen, das in unserem Sinn ein sehr schlechtes Gesetz hat, nämlich eines mit vielen Ausnahmen und Löchern, dann ist dort der Umsatz in der Gastronomie erheblich eingebrochen. Hessen, mit seinem mittelprächtigen Nichtraucherschutzgesetz, liegt folgerichtig im Mittelfeld, was heißen soll, dass ein konsequenter Nichtraucherschutz, ein Rauchverbot in der Gastronomie per se nicht zu Umsatzeinbrüchen führt. Das Gegenteil ist der Fall. Ich appelliere an Sie, im Berliner Nichtraucherschutzgesetz einen konsequenten Nichtraucherschutz zu verankern. Dazu gehört, die bisherigen Ausnahmen vom Rauchverbot in der Gastronomie zu streichen. Die Metropole Berlin darf nicht hinter die Metropolen der Welt – ob in Europa oder woanders – zurückfallen, und es darf auch keinen Rauchtourismus nach Berlin geben. Ausnahmen im Gesetz bewirken eine Wettbewerbsverzerrung, ohne sie zu verhindern. Ausnahmen öffnen dem Missbrauch Tür und Tor. – Herzlichen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Herr Behrens! – Kurz zur Erläuterung: Das DKFZ ist das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg. – Wir versuchen immer, die Abkürzungen wenigstens einmal auszusprechen, damit sie im Protokoll enthalten sind und alle Anwesenden sie verstehen. – [Wolfgang Behrens (Vertrauensperson): Entschuldigung! Und die WHO ist die Weltgesundheitsorganisation!] – Herzlichen Dank, Herr Behrens! – Frau Hoffmann, bitte, Sie haben das Wort! Raule Hoffmann (Vertrauensperson): Vielen Dank! – Sehr verehrte Damen und Herren! Einen wunderschönen guten Tag! Frau Vorsitzende! Frau Senatorin! Ich freue mich, dass ich hier sein kann. Es ist das erste Mal, dass ich an einer solchen Runde teilnehme. Ich bin dementsprechend aufgeregt, was Sie vielleicht auch noch von Ihrer ersten Teilnahme an einer solchen Sitzung kennen. – Ich bin grundsätzlich mit Optimismus in diese Sitzung gekommen, weil wir – wie ich vermute – das Gleiche wollen. Dass es überhaupt ein Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren des Passivrauchens gibt, sagt mir, dass Sie begriffen haben, dass das Passivrauchen schädlich ist, dass es nicht unerheblich schädlich ist und man die nicht rauchende Bevölkerung davor beschützen muss. Inwieweit das gelungen ist und klappt oder nicht, haben wir heute teilweise schon gehört. Ich spreche zu Ihnen auch über die Gaststätten. Wir haben in den vergangenen zwei, drei Jahren viele Rundgänge gemacht und mit vielen Wirten und Besuchern dieser Gaststätten gesprochen. Dabei haben wir ein allgemein großes Bild der Unzufriedenheit festgestellt. Wir haben gerade gehört, dass es zu einer großen Wettbewerbsverzerrung kommt, wenn eine Gaststätte mit beispielsweise 76 m² neben einer Gaststätte mit 75 m² in der gleichen Straße beheimatet ist und die kleinere Gaststätte die Erlaubnis für eine Rauchergaststätte angemeldet hat, aber die andere nicht und diese auch keinen Nebenraum hat, dass dann die Raucher alle zu der kleineren Gaststätte rüberwandern, woraufhin sich der Wirt der größeren Gaststätte sagt: Na, dann kann ich tatsächlich zumachen, denn es gibt eine Wettbewerbsverzerrung. Viele solcher Wirte haben uns gefragt: Was kann ich denn machen? Ich habe keinen Nebenraum, und meine Gaststätte ist

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zu groß. Nach der Definition habe ich keine Einraum- und keine Kleingaststätte mehr und kann demzufolge meinen Laden eigentlich dichtmachen. Wir haben auch mit vielen Gästen gesprochen, mit jungen Leuten, die in meinem Alter waren – ich bezeichne mich jetzt einfach mal als jung, rein subjektiv. Sie sagten: Meine Kumpels gehen halt gern dorthin, und dann gehe ich halt mit. – Das heißt, dass selbst dann, wenn man als Nichtraucher gern konsequent sein möchte, kann man das nicht, weil es einen gewissen sozialen Druck gibt. Ich kann dann zu meinen Freunden sagen: Tschüss, okay, dann geht Ihr halt dorthin, aber ich will dort nicht hin, weil es mir am nächsten Morgen immer schlecht geht und ich dann husten muss, meine Kleidung und meine Haare stinken und was nicht alles noch. Wir haben in vielen Gaststätten, die wir besucht haben, festgestellt, dass es knifflig ist, das bestehende Nichtraucherschutzgesetz zu kontrollieren, was uns wichtig ist. Wir haben viele Ausnahmen, die Ihnen bekannt sind. Als schwierigste Ausnahme möchte ich die 75-m²-Regelung hervorheben, bei der ich mich frage, ob denn nun dort tatsächlich das Ordnungsamt in die Gaststätten, die nicht immer quadratisch sind, reingehen soll, um sie quadratmillimetergenau abzumessen? Wenn nicht: Worauf kann man sich berufen? Auf die Angaben, die die Gaststätten anmelden? – Sorry, ich kenne in Charlottenburg mindestens eine Gaststätte, die sich als Kneipe mit einer Größe von unter 75 m² angemeldet hat, aber auf ihrer Website mit einer Erlebnisfläche von 180 m² prahlt und hinten noch weitere Räume hat, von denen sie sagt, das sind Privaträume, da dürfen nur Freunde rein, also alle. Ich finde es schwierig, das herauszufinden und dem Ordnungsamt Tipps zu geben, wonach es nun gehen kann. Wer kann dem Ordnungsamt sagen, wann es 75 m² und wann es mehr Quadratmeter sind? Über einen Nebenraum brauchen wir nicht zu streiten, denn ein Nebenraum ist ein Nebenraum. In den seltensten Fällen – das haben unsere Beobachtungen gezeigt – ist dieser Raum tatsächlich so abgetrennt wie er es eigentlich sein sollte. Also, da gibt es mal eine Schiebetür, mal eine zusammenfaltbare Paraventtür und mal nur einen Vorhang. Selbst dann, wenn es eine richtige Tür gibt, die sich zumachen lässt, dann steht diese eigentlich die meiste Zeit offen oder das Bedienungspersonal geht pausenlos rein und raus. Selbst in solchen Gaststätten hat man festgestellt, dass die Kontamination mit Passivrauch, mit Schadstoffen aus dem Tabakrauch in den Nichtraucherbereichen signifikant viel höher ist als in kompletten Nichtrauchergaststätten. Zweitens – darüber wurde auch schon in den Zeitungen viel diskutiert – zu der Frage: Was bedeutet der Satz mit keine vor Ort zubereiteten Speisen? Da sind Gastronomen schon auf fantasievolle Möglichkeiten gekommen, zum Beispiel, indem sie ausschließlich Tiefkühlkost verkaufen und dem Gast eine Mikrowelle zur Verfügung stellen. Das heißt, sie verkaufen keine vor Ort zubereiteten Speisen, sondern der Gast kann sich seine Speisen selbst zubereiten. Das finde ich fantasievoll, aber die Frage ist: War das im Sinn des Ganzen? Denn es wurde mal gesagt, dass nur für die getränkegeprägte Kleingastronomie die Regelung gelten sollte, dass die Gäste dort rauchen dürfen. – Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es eine Wettbewerbsverzerrung gibt, dass viele Wirte ohnmächtig daneben stehen und es um einiges schöner wäre, wenn alle gleichbehandelt werden würden, was im Saarland und in Bayern wunderbar funktioniert. Zwei Dinge sind mir noch wichtig, die ich unbedingt anmerken möchte. Zum einen haben wir schon gehört, dass Umfragen ergeben haben, dass sich mehr und mehr Berlinerinnen und Berliner dafür aussprechen, ein komplettes Rauchverbot in der Gastronomie einzuführen. Ich denke, dass dann, wenn wir ein konsequentes Gesetz hätten, dieses um einiges mehr akzeptiert werden würde. Momentan heißt es: Ach, wenn die da so viele Ausnahmeregelungen treffen, dann kann ihnen das ja nicht so wichtig sein, also machen wir mal weiter wie bisher. Mal gucken, was da noch kommt. – So sieht es momentan aus. Diese Stimmung habe ich persönlich bei vielen Leuten, mit denen ich gesprochen habe, erlebt. Selbst wenn es so sein sollte – was ich, wie gesagt, nicht annehme –, dass wir in der Bevölkerung nur eine geringe Zustimmung für ein komplettes Rauchverbot hätten, frage ich mich: Was ist denn die Aufgabe einer Regierung? Ich nenne mal als Beispiele die Energiesparlampe und die Gurtpflicht. Soll denn die Regierung eine Landes die Bürger auch dann schützen, wenn diese noch gar nicht wissen, dass das für sie eigentlich wichtig ist? Da sehe ich Sie in Verantwortung und Sie sich wahrscheinlich auch. – Vielen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Frau Hoffmann! – Bitte, Herr Möller, Sie haben das Wort!

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Hans-Christian Möller (Vertrauensperson): Guten Tag, Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Senatorin und Abgeordnete! Ich habe mich des Themas Kinderspielplätze angenommen, weil die meisten meiner Unterschriften von Menschen auf Kinderspielplätzen stammen, die ich den verschiedensten Bezirken aufgesucht habe. Zur Situation: Die beaufsichtigende Person ist abgelenkt, und das Kleinkind nimmt – wie immer – alles in den Mund, so auch die herumliegende oder verbuddelte Zigarettenkippe. Nach dem Herunterschlucken dieser Kippe werden die zahlreichen Giftstoffe aufgenommen und können dem Kind gesundheitliche Schäden zufügen. Beim Giftnotruf Berlin wurden für das Jahr 2009 1049 Anrufe gemeldet, denen zufolge Kinder Tabakartikel zu sich genommen haben. Das sind ca. 25 Prozent – genau 24,96 Prozent –, die etwa 260 Anrufen aus Berlin entsprechen. Nach dem Projekt „Rauchfreie Kinderspielplätze“ des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg aus dem Jahr 2007 wurden zum Beispiel auf dem Hohenstaufenplatz anlässlich einer Begehung 4581 Kippen gefunden. Wir haben 2010 bei Spielplatzbegehungen in verschiedenen Bezirken ebenfalls zahlreiche sichtbare Kippen in den Sandkästen und vermehrt an den Sitzbänken gefunden. Gespräche mit den Eltern ergaben, dass sie sich wünschen würden, auch mal das Ordnungsamt oder die Polizei auf dem Spielplatz zu sehen. Zum Gesetz: Hier gilt es, Gesundheitsschutz und -überwachung zu betreiben und dafür ein konkretes Gesetz zu schaffen, das für die Ordnungskräfte und Bürger verständlich und nachvollziehbar ist. Denn wer das Gesetz nicht kennt oder nicht versteht, der wird es auch nicht verfolgen oder beachten. Die Ordnungskräfte müssen dafür sensibilisiert werden. Nur drei Ordnungsämter gaben an, Ordnungsgeld erhoben zu haben. Eine Statistik gibt es dazu nicht. Nach Aussage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fallen öffentliche Spielplätze in Berlin in der Regel in den Geltungsbereich des Grünanlagengesetzes, das kein ausdrückliches und generelles Rauchverbot enthält. Das Rauchen bzw. Wegwerfen von Kippen wird als Zweckentfremdung des Kinderspielplatzes angesehen. Die damit einhergehende Gesundheits- und gegebenenfalls Lebensgefährdung ist mit der Natur eines Kinderspielraums unverträglich. Verschmutzt ein Nutzer einen Kinderspielplatz beispielsweise mit Zigarettenkippen, so handelt dieser ordnungswidrig. Zuwiderhandlungen gegen § 6 Abs. 1 Grünanlagengesetz können als Ordnungswidrigkeit nach § 7 Grünanlagengesetz geahndet werden. Das Problem ist: Kein Mensch liest das Rauchverbot aus dem Gesetzestext heraus. Anordnungen zum Gesetz erlässt das jeweilige Bezirksamt. Einige Ämter von der Allgemeinverfügung Gebrauch gemacht. Verpflichtet ist kein Amt dazu. Die Überwachung und Durchsetzung des Gesetzes soll über das jeweilige Ordnungsamt erfolgen. Der Mangel: In Treptow-Köpenick, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln gibt es nach Aussagen der Ordnungsämter kein Gesetz, obwohl das Rauchen von Frau Ehlebracht, von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als kinderschädlich angesehen wird. – Ich hatte mit Frau Ehlebracht korrespondiert. – Die von der Volksinitiative überprüften Kinderspielplätze haben ergeben, dass es keine oder fehlende Ausschilderungen für alle Zugänge zum Kinderspielsplatz gibt und die Ausschilderungen erhebliche Größenunterschiede und Auffälligkeiten in den Piktogrammen signalisieren. Auf einem Spielplatz wurde das Verbot nur in Schriftform geschrieben, obwohl dieser auch von Ausländern benutzt wird. Hier wird eine einheitliche Ausführung mit großen Piktogrammen gefordert, die für jeden Bürger auffällig sind, den einschreitenden Ordnungskräften Argumentationshilfen geben und somit das Einschreiten erleichtern. Widerstände könnten so eingedämmt werden. Auch wäre es für Bürger hilfreich, die auf das Verbot hinweisen wollen. In Gesprächen wurde mir oft mitgeteilt, man habe das Schild nicht gesehen oder nicht gewusst, dass man dort nicht rauchen dürfe. Bei einem solchen Hinweis setzt man sich stets der Gefahr aus, angegriffen und schwer verletzt zu werden, sodass es wichtig ist, dass sich die Ordnungsämter vermehrt sehen lassen. Das haben bei der Unterschriftensammlung viele Unterzeichner – auch Raucher – bekundet. Frauen fühlten sich mit ihren Kindern in solchen Situationen hilflos und alleingelassen. Die Raucher, die das bekundeten, haben natürlich nicht auf dem Spielplatz geraucht, aber zugegeben, selbst Raucher zu sein. Der Vergleich: Kinderspielplätze werden hier explizit aufgeführt. Für uns sind die Bundesländer Bayern, Brandenburg und das Saarland Vorbilder, da sie das Rauchverbot ausdrücklich in ihren Nichtraucherschutzgesetzen verankert haben. In Karlsruhe ist gerade ein entsprechender Antrag zur Aufnahme des Rauchverbots auf Kinderspielplätzen im Gesetz gestellt worden. Unsere Forderung: Im Hinblick auf die eindeutige und verständliche Gesetzeslage in den aufgeführten Bundesländern fordern wir auch für Berlin die explizite Aufnahme des Rauchverbots auf Kinderspielplätzen im Gesetzestext. Das würde Klarheit im Streitfall schaffen, so zum Beispiel bei beschädigten oder fehlenden Schildern. Laut Herrn Hinrichs vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe man mit der Erneuerung beschädigter Schilder zu kämpfen. – Schönen Dank!

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Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Herr Möller! – Zusätzlich zu den Vertrauenspersonen wird nun noch – wie vereinbart – Herr Prof. Pankow angehört. – Bitte, Sie haben das Wort! Prof. Dr. Wulf Pankow (Vivantes): Sehr verehrte Vorsitzende! Sehr verehrte Frau Senatorin! Sehr verehrte Damen und Herren! Vielen Dank, dass ich die Möglichkeit habe, hier zu sprechen! Ich bin Lungenarzt. Sie werden verstehen, dass mich und meine Kollegen dieses Thema besonders angeht. Wir sind häufig in der Situation, dass wir an der Endstrecke des Rauchens behandeln müssen. Speziell, was den Lungenkrebs und das Lungenemphysem angeht, sind wir leider in den letzten 30 Jahren nicht sehr viel weitergekommen. Deshalb halte ich es für legitim, dass wir auch gesundheitspolitische Anliegen unterstützen, wie die Volksinitiative. Deshalb ist das jetzt kein privater Auftritt, sondern ich spreche im Einklang mit den Berliner Lungenärzten, sowie mit den niedergelassenen Kardiologen und Kinderärzten. Das ist vielleicht nicht allen bekannt: Als die Diskussion in Bayern losging – das ist einige Jahre her –, gab es eine wichtige Untersuchung, die vom Gesundheitsamt in Bayern selbst initiiert wurde. Mit Unterstützung der Universitäten ging man in die Raucherkneipen, um dort die Belastungen zu messen. Diese Untersuchung war, was die Schadstoffexposition anging, so spektakulär, dass sie ein wichtiger Baustein in der Argumentation war. Das war so überzeugend, weshalb die Initiative in Bayern letzten Endes so erfolgreich wurde. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass in den Kneipen die Passivrauchbelastung zum Beispiel durch polyzyklische aromatische Wasserstoffe – ein wichtiges Karzinogen – massiv erhöht war, ebenso wie die Belastung durch andere Stoffe. Ich möchte Ihnen keinen gesundheitlichen Vortrag halten, denn es ist bekannt, dass das Rauchen sehr schädlich ist, Passivrauchen übrigens besonders, was Herz-Kreislauf-Krankheiten angeht. Die meisten Menschen, die durch das Passivrauchen sterben, sterben nicht durch Lungenkrebs, sondern durch Herzinfarkt oder Schlaganfall. Wir gehen davon aus, dass in Deutschland jährlich über 3 000 Menschen an Passivrauchen sterben. – Man kann das auf Berlin leicht herunterrechnen. Wir sind der Überzeugung, dass ein konsequenter Gesundheitsschutz notwendig und auch erfolgreich ist. Solche Erfolge erkennt man relativ schnell daran, wie die Inzidenzen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Ländern abnehmen, wo der Gesundheitsschutz konsequent war. So kann man sehr gut nachweisen – das ist auch publiziert –, dass in verschiedenen Ländern: Irland, Kanada und Italien bereits im ersten Jahr nach der Umsetzung der entsprechenden Gesetze die Herzinfarktrate um 17 Prozent gefallen ist und im dritten Jahr um das Doppelte. Eine andere Studie hat gezeigt, dass die Anzahl der stationären Krankenhausaufnahmen von Kindern mit Asthma bereits im ersten Jahr nach Einführung der entsprechenden Gesetze erheblich gesunken ist. Das führte mich zu der Überzeugung, dass eine konsequente Umsetzung von Gesetzen ohne Ausnahmetatbestände – speziell was die Raucherprohibition in öffentlichen Institutionen angeht – nicht nur geboten, sondern auch erfolgreich ist. In Deutschland sind wir leider in der Situation, dass wir hier leider eine Art Flickenteppich haben. Das ist politisch offenbar schwierig umzusetzen. Umso wichtiger ist es, auf Länderebene, dort, wo es einfacher ist, entsprechend voranzugehen. Wir sind in Berlin zwar einen ersten Schritt gegangen, der aber nicht ausreichend ist. Ein letztes Wort zu den Krankenhäusern: Ich habe es persönlich erlebt, dass noch vor einigen Jahren auf meiner Station in der Lungenabteilung selbstverständlich in den Schwesterzimmern geraucht worden ist. Alle Ermahnungen meinerseits, das doch zu unterlassen – auch wegen des Vorbildcharakters einer Lungenabteilung –, haben überhaupt nichts gebracht. In dem Moment als die entsprechenden Gesetze und Vereinbarungen umgesetzt waren, war es überhaupt kein Problem, von einem Tag auf den anderen diese Situation zu ändern. Wenn Sie sich in Berlin Krankenhäuser angucken, dann werden Sie einen Kulminationspunkt von Rauchern finden, und das sind die Eingangsbereiche der Krankenhäuser. Es wäre ein gutes Zeichen, neben den Gebäuden, in denen das Rauchverbot zwar weitgehend, aber noch nicht komplett umgesetzt ist, auch die Eingangsbereiche rauchfrei zu machen. Krankenhäuser haben einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag, der auch Gesundheitsförderung heißt. Das wäre ein wichtiges Signal. – Vielen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Herr Prof. Pankow! – Bitte, Frau Senatorin, Sie haben das Wort! Senatorin Katrin Lompscher (SenGesUmV): Vielen Dank! – Erlauben Sie mir bitte zunächst den Hinweis auf eine Aktivität im Bundestag, die für die weitere Besprechung dieses Themas nicht unwichtig ist. Dort hat

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es eine Expertenanhörung gegeben, ob und welche Kompetenzen der Bund hat, einen bundeseinheitlichen Nichtraucherschutz zu gewährleisten. Ich glaube, dass das, worüber wir hier diskutieren, auch die Frage betrifft: Ist es sinnvoll, in dem föderalen Flickenteppich einen Flicken zu ändern, oder wäre es besser, eine bundeseinheitliche Regelung zu treffen? Da hat die Nichtraucherinitiative des Bundestages, der Abgeordnete aller Fraktionen angehören, dazu mitgeteilt – ich zitiere: Der Bund kann dabei auf mehrere Kompetenztitel im Grundgesetz zurückgreifen, insbesondere auf seine Zuständigkeit für den Arbeitsschutz und seine Verantwortung für Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten. – Das stelle ich an den Anfang, weil ich schon glaube, dass Deutschland gut beraten wäre, hier eine bundeseinheitliche Regelung zu treffen. Insbesondere beim Arbeitsschutz ist es eindeutig. Die Diskussionen, die wir 2007, 2008 hatten, wo Berlin den Vorstoß gemacht hat, dass auch die entsprechende Arbeitsstättenverordnung geändert wird, haben in den Fachministerkonferenzen und Bund-Länder-Gremien keine Mehrheit gefunden. Da muss man dann zur Kenntnis nehmen, wie sich die gesellschaftspolitische Situation seinerzeit und aktuell noch immer darstellt. Ich glaube, da ist der Vorstoß auf der Bundesebene notwendig. Aus gesundheitspolitischer und medizinischer Sicht – das ist unstrittig – ist ein striktes Rauchverbot besser als ein Rauchverbot mit Ausnahmen. Allerdings würde ich all denen widersprechen, die sagen, dass das, was wir jetzt in Berlin haben, erstens unübersichtlich und – zweitens – nicht erfolgreich ist. Nach allem, was wir an Erkenntnissen haben, sagt uns die Berliner Gastronomie, ist diese weitgehend rauchfrei. Auch die Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg hat interessanterweise zutage gefördert, dass unter den untersuchten Hauptstädten der Bundesländer – zehn sind untersucht worden –, diejenigen, in denen es Ausnahmeregelungen gibt, Berlin mit Abstand am besten war, nämlich mit 79 Prozent rauchfreien Gaststätten, 16 Prozent Rauchergaststätten und 5 Prozent der Gaststätten mit Nebenräumen. Die haben eine Begehung in den üblichen Abendstunden gemacht, die Sie auch erwähnten. Die haben bundesweit insgesamt fast 3 000 Gaststätten begangen, sodass ich schon glaube, dass es eine relativ valide Studie ist. Die Differenziertheit zwischen den Bezirken ist dort auch erwähnt worden – ich möchte sie nicht verschweigen. Es gibt natürlich Gegenden in Berlin – das sage ich jetzt ein wenig scherzhaft –, wo alles Mögliche gemacht wird, was so eigentlich nicht erlaubt ist. Dem muss man mit anderen Dingen beikommen als mit Umformulierungen im Nichtraucherschutzgesetz. Wir hatten seinerzeit mit unserem Gesetz die Gelegenheit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu erscheinen. – Sie werden sich daran erinnern. – Es gab eine strengere Ursprungsvariante, nach der es Ausnahmen nur für die Gaststätten gab, die mehr als einen Raum haben. Im Zuge der Behandlung beim Bundesverfassungsgericht sind im Prinzip zwei Wege für den Gesetzgeber eröffnet worden: Entweder ein sehr konsequenter Nichtraucherschutz ohne Ausnahmen oder Ausnahmen, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Diesen Weg ist der Berliner Gesetzgeber gegangen. – Das ist zunächst einmal eine Feststellung; das wissen Sie besser als ich, denn Sie sind der Gesetzgeber. Dass wir mit der jetzigen Gesetzesgrundlage dennoch einen großen Schritt vorangekommen sind, möchte ich noch einmal hier festhalten, um in einem zweiten Schritt zu sagen: Wir brauchen für eine weitere Verbesserung eine größere Aktivität auf Bundesebene. Man kann nicht sagen, dass wir mit unübersichtlichen Ausnahmen hier die Kontrolltätigkeit oder so etwas erschweren. Die Ausnahmesituation in Berlin ist eindeutig: Diejenigen, die kontrollieren, die Ordnungsämter, wissen ganz genau, wie sie zum Beispiel die Größe eines Lokals feststellen, denn das ist anzeigepflichtig. Das heißt, sie haben die Erkenntnisse darüber – das ist gar kein Problem. Es hat niemals die Absicht gegeben, vollständig, flächendeckend und zu jeder Tageszeit zu kontrollieren – das geht auch gar nicht. Vor dem Hintergrund der nach der Verfassung zweistufigen Verwaltung in Berlin ist es auch für den Senat nicht möglich – sei es meine Verwaltung oder die Innenbehörde –, konkrete Anweisungen für das Kontrollverhalten zu geben, sondern das ist die Sache der kommunalen Ebene. Ich könnte nur einen Hinweis geben: Was bei der Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums auch zutage getreten ist, das ist, dass sich die Verstöße gegen das Nichtraucherschutzgesetz im Wesentlichen darauf konzentrieren, dass an den Orten, an denen geraucht werden darf, nicht gekennzeichnet ist, dass sie für Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich sind, und das auch nicht kontrolliert wird. Über 60 Prozent der Verstöße

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bezogen sich genau darauf, und das ist etwas, worauf Bezirke Kontrollschwerpunkte legen sollten. Das wäre im Sinne des Gesundheitsschutzes sehr wichtig. Zum Thema rauchfreie Krankenhausareale: Meiner Erfahrung nach ist es in den meisten Krankenhäusern so, dass sich Raucherinseln nicht direkt im Eingangsbereich befinden. Da hat sich etwas verbessert. Am Anfang war es so wie Sie es geschildert haben, aber inzwischen hat sich das verändert. Die Gesetzgebung ist seinerzeit immer mit der nachgewiesenen Schädlichkeit in den Innenräumen begründet worden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht so ganz einfach, das auch auf Außenräume – noch dazu nichtöffentliche Außenräume – auszudehnen. Interessanter und wichtiger wäre es – in diesem Sinne sind wir tätig –, diese Entwicklung – hin zu ganz wenigen Raucherinseln auf dem Krankenhausgelände, aber außerhalb der Eingangsbereiche – gegenüber den Krankenhausträgern und der Krankenhausgesellschaft zu unterstützen. Darin sind wir ein gutes Stück vorrangekommen. Zum Thema Kinderspielplätze: Vielleicht ist es auch für Sie interessant, zu wissen – Sie haben den Jahresbericht des Giftnotrufs 2009 zitiert –, dass 1049 Anfragen wegen Zigarettenkippen gekommen sind, davon knapp ein Viertel aus Berlin. An der Stelle ist es auch wichtig – das ist das eigentliche Problem –, zu erwähnen, dass sich nur neun Prozent dieser Anrufe auf Zigaretten- oder Tabakvergiftungen außerhalb der Wohnung bezogen. Wir wissen nicht, wie viele Vergiftungen auf Kinderspielplätze zurückzuführen sind, was das eigentliche Thema ist, auf das wir in unseren präventiven Arbeiten intensiv hinweisen. Das hat im Übrigen auch bei dem Kindergesundheitsbericht, den wir im Frühjahr vorgestellt haben, eine große Rolle gespielt, also das Rauchverhalten in dem Haushalt, in denen die Kinder leben, und die Sensibilisierung von Eltern und Haushaltsangehörigen. Das ist das Hauptthema, ansonsten gilt die Tatsache, dass das Zigaretterauchen mit der Zweckbestimmung eines Kinderspielplatzes nicht vereinbar ist. Das kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Elf von zwölf Berliner Bezirken machen das, sodass wir dafür bereits eine gesetzliche Grundlage haben. – Das wäre aus Sicht des Senats der Hinweis zum weiteren Umgang. Noch zwei Dinge zur Kontrolle der Einhaltung des Nichtraucherschutzgesetzes: Wir haben im Zusammenhang mit diesem Thema und anderen Themen – Stichwörter Jugendschutz und Umweltzone – eine Aufstockung der Mitarbeiter in den Ordnungsämtern. Aktuell gibt es ca. 460 Stellen in den Ordnungsämtern der Bezirke, wobei ich jetzt keinen Überblick habe, ob alle Stellen besetzt sind. Kontrolltätigkeit in den Zeiten, in denen die Partyhauptstadt am intensivsten zu spüren ist, sind nicht möglich. – Das ist am Einspruch des Hauptpersonalrats und dem Schiedsspruch der Einigungsstelle gescheitert. Insofern muss man sich auch darauf konzentrieren. Die Rahmenarbeitszeit der Mitarbeiter der Ordnungsämter endet Sonntag bis Donnerstag um 22 Uhr und am Freitag und Samstag um 24 Uhr. Das ist der Stand der Dinge, und das muss man in einem Rechtsstaat schlicht zur Kenntnis nehmen. – Vielen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Frau Senatorin! – Dann kommen wir zur Aussprache der Fraktionen. – Und Herr Isenberg hat das Wort.

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Thomas Isenberg (SPD): Vielen Dank auch von der SPD-Fraktion an die Volksinitiative! Ich denke, es ist immer gut, wenn Bürgerinnen und Bürger sich engagieren, für Themen einsetzen und auch sagen, wo sie stehen. Wenn das dazu führt, dass im Parlament eine breite Erörterung stattfindet, ist das auch toll. Man muss natürlich auch als Volksinitiative akzeptieren, dass der politische Konsens vielleicht nicht automatisch das ist, was man haben möchte. In den Instrumenten gibt es nämlich Unterschiede. Ich glaube, uns eint das Ziel und die Aussage: Jede Zigarette, die inhaliert wird, ist eine Zigarette zu viel. – Das ist ganz klar. Ein Passivrauchen, dem ich ausgesetzt bin, ist inakzeptabel, insbesondere wenn es chronisch ist, und das Ziel muss sein, die Exposition zu mindern. Das ist auch klar. Ich glaube, dass wir da als Koalition in der letzten Legislaturperiode wesentliche Schritte vorangekommen sind. Wenn ich mich daran erinnere, wie es vor fünf Jahren war, auch in Berlin: Als nichtrauchender Konsument in Gaststätten hatte man ja häufig überhaupt keine Wahl. Man war zwangsläufig in verqualmten Räumen, und es war nervig. Insofern verstehe ich, dass nicht nur hier in Berlin, sondern auch anderswo – das zeigen Ihre Studien –, auch international die Bürgerinnen und Bürger klar sagen: In der Gaststätte, wo es einen konsequenteren Nichtraucherschutz gibt, fühle ich mich wohler und gehe dort auch lieber essen. – Ich glaube, das ist inzwischen auch das, was die meisten Menschen in Berlin empfinden. Ich habe den Eindruck, dass es in Berlin kein Problem gibt für denjenigen, der eine Gaststätte aufsuchen möchte, die rauchfrei ist, eine entsprechende Lokalität zu finden, weil sich hier sehr viel getan hat in den letzten Jahren – auch eine Konsequenz der Gesetzgebung, die wir verabschiedet haben. Klar, da gibt es noch Umsetzungsdefizite, da muss noch mehr getan werden. Aber die Kontrolldefizite gibt es auch in Bayern. Die Studie des DKFZ zeigt ja, dass selbst da, wo es ein sehr hartes Verbot von Rauchen oder Rauchmöglichkeiten in Gaststätten gibt, dennoch die Gesetze nicht eingehalten werden. Das heißt also, nur eine Gesetzesverschärfung löst in keiner Weise das, was Sie bemängeln, nämlich dass es auch Umsetzungsprobleme vor Ort gibt. Das Hauptziel ist, erst mal zu sagen: Bürgerinnen und Bürger, die Nichtraucher sind, müssen die Möglichkeit haben, in geeigneten Gastronomiebetrieben zu ihrem Recht zu kommen, nämlich ein rauchfreies Essen zu genießen. – Ich glaube, da sind wir einen wesentlichen Schritt vorangekommen, und das muss man auch erst mal so auf sich wirken lassen, und man kann nicht gleich in einem Aktionismus den nächsten gesetzlichen Schritt draufsetzen. Zweitens ist das Argument der Kinder in der Tat relevant. Aber – wir hatten ja schon im Vorfeld den Dialog mit Ihrer Initiative – ich kann mich des Eindrucks eines gewissen Populismus nicht erwehren, wenn mit den Kippen auf Kinderspielplätzen argumentiert wird. Die Zahlen haben gerade gezeigt, dass nur der geringste Teil der Giftnotruffälle auf Kippen zurückgeht, die dort gefunden werden. Dann müsste man auch mal schauen: Wie landen die da? – Meine Vermutung ist die – das müssten wir aber noch mal gemeinsam überprüfen –, dass Spielplätze leider häufig auch zweckentfremdet werden in dem Sinne, dass keine Kinder dort spielen, sondern Jugendliche ihre Party dort machen. Muss man mal schauen! Unabhängig davon zeigen die Daten der Einschulungsuntersuchung, dass 30 Prozent der Kinder im Einschulungsalter in Haushalten mit mindestens einem Raucher leben, 12 Prozent in Haushalten mit mehr als einem Raucher. Wenn wir jetzt das Passivrauchen sehen und ich mir das unter dem Stichwort der sauberen Luft angucke, bin ich davon überzeugt, dass die Kinder ihre Hauptexposition zum Passivrauchen in den eigenen vier Wänden haben und nicht in der Öffentlichkeit. Sie stimmen, glaube ich, alle überein, dass wir in der Öffentlichkeit keine Treibjagd auf Raucher starten wollen. Wenn die Mutter oder der Vater mit ihrem bzw. seinem Kind mal aus den eigenen vier Wänden rausgeht und sich überhaupt draußen bewegt und leider dort auch süchtig ist und vielleicht rauchen wird, so wie sie bzw. er es zuhause auch tut, ist das sicherlich besser, als wenn sie oder er das zuhause tut und das Kind zwangsläufig dabei ist. Also, da bitte ich bei allem berechtigten Anliegen im Detail auch die Relation zu berücksichtigen. Ich kann mich an viele Zeiten in Krankenhäusern erinnern, wo ich es nicht verstanden habe, dass Patienten, die gepflegt werden, nachdem sie ihre Sonde geschoben bekommen haben, vielleicht zwei Tage später wieder draußen standen und eine Schachtel Zigaretten nach der anderen geraucht haben. Es ist klar, dass das Bewirken und Erreichen eines Nichtraucherverhaltens bei Rauchern wichtig ist für die Genesung, gerade bei herzkreislaufkranken Patientinnen und Patienten. Andererseits kann es auch nicht sein, dass die Raucherinseln quer über dem Gelände verteilt sind und es keine Möglichkeit gibt, dahinzukommen. Bezüglich des Rauchens im Eingangsbereich muss man im Einzelfall mit den Trägern schauen. Aber sowohl die Beschäftigten in den Kliniken, sofern sie Raucherinnen und Raucher sind, als auch Patientinnen und Patienten sollten

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dort eine realistische Möglichkeit haben, dann ihr Verhalten an den Tag zu legen, das sie sonst an den Tag legen. Das schließt nicht aus, dass sich eine Landesinitiative noch mal viel mehr fokussieren könnte auf die Frage: Wie kann man zur Gesundheitsförderung in Nichtraucherkrankenhäusern kommen, wo dann auch entsprechenden Patientinnen und Patienten besondere Therapieangebote zum Nichtrauchen zugänglich gemacht werden? Diesen Weg muss man ausbauen, auch in Berlin – überhaupt keine Frage! Aber jetzt zu sagen, man verbannt alle Raucher vom Klinikgelände, ist eine auch stigmatisierende Politik, die in der Form, glaube ich, nicht mehrheitsfähig ist. Insofern sehen wir im Moment keinen Handlungsbedarf im Sinne der Volksinitiative. Wir werden das Thema natürlich weiter betrachten, weil das Ziel uns eint: Jede Zigarette, die geraucht wird, ist eine zu viel. Gerade Passivrauchen chronisch exponiert zu sein, ist katastrophal. Dort kann sicherlich nur ein Mix von Maßnahmen greifen. Ich darf in dem Kontext daran erinnern, dass in den letzten Jahren auch der Zugang zum Rauchen von Kindern und Jugendlichen besser geworden ist und weniger angefangen haben zu rauchen, auch durch die Anhebung der Tabaksteuer. Das heißt, wir brauchen einen Mix an Maßnahmen. Die SPD-Fraktion hat schon mit der SPD-Partei besprochen, dass wir im Wahlprogramm einen Schwerpunkt auf Prävention und Gesundheitsförderung legen werden und ein Landesprogramm auflegen, das sicherlich auch das Themenfeld Sucht und hier auch Tabakkonsum als Schwerpunkt haben wird. – Vielen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Jetzt hat Frau Kosche das Wort. – Bitte! Heidi Kosche (Grüne): Danke, Frau Vorsitzende! – Ich möchte mit der Einlassung der Senatorin bezüglich der Bundesebene anfangen. Ich möchte deswegen damit anfangen, Frau Senatorin, weil es wahrscheinlich das Einzige ist, wo ich Ihnen zustimme. Sie haben völlig recht: Wenn die Bundesebene 2005/2006 nicht feige gekniffen hätte, dann hätten wir einen guten, absoluten Nichtraucherschutz im ganzen Bundesgebiet und brauchten uns heute nicht einer erneuten Bewertung von einzelnen Ländergesetzen unterziehen. Wenn damals im Zusammenhang mit den Arbeitsschutzmaßnahmen genau das passiert wäre, was Sie hier angeführt haben, dann hätten wir gute gesundheitliche Ausgangsbedingungen für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir sind heute hier, um eine praktische Bewertung des derzeit wirkenden Gesetzes für das Land Berlin vorzunehmen. Meine Fraktion und meine Partei bedanken sich ganz besonders bei der Volksinitiative, weil damit noch mal die Möglichkeit besteht, das politisch zu bewerten, was 2007 eigentlich einhellige Meinung war. 2007 wollte die Mehrzahl der politisch aktiven Parteien im Abgeordnetenhaus von Berlin einen absoluten Nichtraucherschutz. Ich habe die Rede von Frau Winde da, ich habe die Rede von Herrn Czaja da. Das sah alles so aus, wie Sie das heute schildern und wie wir es aus medizinischer Sicht wieder und wieder vorgetragen bekommen. Wir wissen alle – wir brauchen überhaupt keine Belehrung mehr im positiven Sinne –, welche Schäden angerichtet werden durch das Rauchen, und wir haben uns eigentlich auch alle auf die Fahnen geschrieben, dass wir unser besonderes Augenmerk auf die Jugendlichen und Kinder richten und sie besonders schützen wollen, weil wir sagen: Das Bestmögliche, was die Politik erreichen kann für den öffentlichen Raum, damit Kinder gesund aufwachsen, wollen wir garantieren. Der Einbruch kam 2008, und ich finde, dass dieser Einbruch ein Dammbruch gewesen ist. So sehen es auch meine Fraktion und meine Partei. Wir sind nicht zufrieden mit dem derzeitigen Gesetz, wie es in Berlin existiert. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es zu viele Ausnahmen gibt. – Lassen Sie mich eins sagen, Herr Isenberg: Wir betrachten dabei immer nur den öffentlichen Raum, auch wenn wir Meldungen der Giftnotzentrale haben, dass möglicherweise Schlimmes passiert mit Kindern in privaten Räumen. Wir hätten da gern mehr Schutz und würden gern helfend eingreifen wollen, aber regeln können wir nur den öffentlichen Raum. Da ist bei den Ausnahmen auch eine sehr unrühmliche und hässliche Ausnahme, dass es auch Nebenraumpolitik für Sportgaststätten geben darf. Das ist etwas, was wir immer kritisiert haben. Man kann zwar sagen: Wenn man schon Nebenraumpolitik macht, dann muss man sie gerechterweise auch für Sportgaststätten machen. – Aber auch da wollen wir sie nicht haben. In diesem Bereich des öffentlichen Raums hätten wir eine gute Vorbildfunktion erreichen können für Kinder usw. Wir haben als Grünen-Fraktion damals per Antrag gefordert, dass wir auch die Spielplätze rauchfrei machen, denn, Herr Isenberg, auch da ist es mir egal, wie die Zigaretten dahinkommen, ob die Hausfrau da runtergeht und ihren Mülleimer auf dem Spielplatz ausleert, ob das Jugendliche sind oder ob das Eltern sind, die da

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rauchen. Auch wenn es nur 9 Prozent sind, ist das mir und uns zu viel. Wir wollen da keine 9 Prozent Kippen in den Kindermündern verschwinden sehen, und wenn wir nur 1 Prozent verhindern können, indem wir das in das Grünflächengesetz aufnehmen, dann wären wir sehr zufrieden damit und würden uns freuen. Die Argumentation, die damals von Ihrer Koalition immer kam, war: Wir wollen das nicht mitregeln, wir wollen nur Regelungen für geschlossene Räume. Das ist kein Argument, finde ich. Das nächste Argument – das kam nach dem Einbruch 2008, wo alles noch viel schlechter wurde für das Land Berlin – war: Wir wollen es möglichst einheitlich haben im Bundesgebiet. – Ich glaube, jetzt ist es einheitlich schlecht. Es gibt nach wie vor einen Flickenteppich. Die Einheitlichkeit ist nicht hergestellt worden. Das Argument hat nicht gezogen. Wir haben für Berlin wieder Dinge, die wir nicht wollen. Ich muss dazu sagen: Es gibt einige Forderungen der Volksinitiative, die in unserer Partei noch nicht diskutiert worden sind, sondern bisher nur in der Fraktion. Dazu gehört z. B. das Rauchen im Eingangsbereich von Krankenhäusern. Wir finden es überlegenswert, uns dazu zu positionieren. Ich sage aber auch deutlich: Wir haben uns noch nicht dazu positioniert. Aber der Grundsatz in unserer Partei ist der, dass wir Kranken und Süchtigen, egal welche Sucht und welche Krankheit sie haben, immer auch Respekt entgegenbringen wollen. Deswegen könnte ich mir eine Lösung vorstellen für den Eingangsbereich von Krankenhäusern, dass wir da mitziehen, dass wir sagen: Auch die wollen wir rauchfrei haben, aber wir möchten auch, dass Raucherinnen und Raucher genauso wie andere Süchtige respektvoll behandelt werden. – Wir könnten uns vorstellen, dass wir dann Vorschläge unterbreiten wie: Macht ihnen doch eine angenehme kleine Holzhütte oder irgendwas in dem Bereich, wo sie sitzen und ihren Zigarettenträumen und -süchten nachgehen können, und nehmt sie raus! – Denn es stimmt, was Frau Hoffmann gesagt hat: Die Kontamination in manchen Bereichen ist sehr stark, und wir wissen auch aus dem heute vielzitierten Bericht des Krebsforschungszentrums, dass es nicht nur um das geht, was wir riechen, sondern dass eine ganze Menge von Schadstoffen aus dem Tabakrauch an den Vorhängen, an den Wänden, in der Kleidung, in der Garderobe usw. hängen bleibt. Deswegen könnte ich mir vorstellen, dass die Partei Bündnis 90/Die Grünen da auch mitzieht. Aber wie gesagt, das ist noch nicht Beschlusslage bei uns. Insgesamt ist es aber so, dass wir Handlungsbedarf sehen, dass wir sehen, dass das, was wir für das Land Berlin an Gesundheitsschutz haben in dem Bereich Schutz vor dem Passivrauchen und Prävention im Sinne von Vorbild sein und Kindern und Jugendlichen eine Chance geben, gesund aufzuwachsen, noch nicht genug ist. Ich spreche noch einmal der Initiative unseren Dank aus. Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke, Frau Kosche! – Herr Czaja, bitte! Mario Czaja (CDU): Herzlichen Dank, dass Sie heute hierher gekommen sind, und herzlichen Dank für Ihr Engagement auf den Straßen und Plätzen! Wir haben Sie oft gesehen, und es gab auch CDU-Mitglieder und Fraktionsmitglieder, die bei Ihnen unterschrieben haben. Höchstwahrscheinlich gab es das in der SPD und in anderen Fraktionen auch. Wir sind dankbar, dass wir über dieses Thema heute diskutieren dürfen, weil Sie die Initiative ergriffen haben, sich der Sache in Berlin anzunehmen. Wir haben das Nichtraucherschutzgesetz damals unterstützt, obwohl wir gesehen haben, dass einige Dinge nicht ausreichend sind in diesem Nichtraucherschutzgesetz. Dies haben wir auch mit Änderungsanträgen im Parlament untersetzt. Beispielsweise ging es um die Definition von vor Ort zubereiteten Speisen. Sie haben eine der Stilblüten beschrieben. Dass man nebenan ein zweites Restaurant aufmacht und das erste von dort bedient und einen Lieferservice macht – was ich neulich auch mal erleben durfte –, ist eine weitere Stilblüte. Aber ein besonderes Problem war das der Spielplätze. Sie haben von Frau Kosche eben die Argumentation gehört, die damals von den Regierungsfraktionen ins Feld geführt wurde. Ich finde, es wäre an der Zeit, dass wir hier eine einheitliche Regelung treffen und dass das wenigstens ein Ergebnis dieser Volksinitiative sein sollte. Ja, wir haben das Gesetz unterstützt, obwohl es Änderungs- und Ergänzungsbedarf gegeben hat, weil wir fanden, dass es in die richtige Richtung geht, und unsere Ergänzungen möglicherweise später umsetzbar sind, wir aber die Grundintention geteilt haben.

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Wie ist der Status quo? – Die heutige Situation ist aus unserer Sicht so, dass sich in den Speiserestaurants vieles zum Guten entwickelt hat. In klassischen Restaurants wird der Nichtraucherschutz weitgehend eingehalten. Es ist jedenfalls meine Erfahrung und auch die unserer Fraktionsmitglieder, dass dort die Entwicklung eine positive ist und dass die erzieherische Wirkung durch die Bußgeldandrohung eingetreten ist. Die wesentlichen Fragen haben Sie angesprochen: Da geht es um die Kneipen, um die kleinen Einrichtungen, um die Shisha-Kneipen, um die Spielhallen usw., und da kommen wir jetzt ins Detail. Wir sind der Auffassung, dass wir hier nicht zwingend ein Regelungsdefizit haben, sondern ein Umsetzungs- und Kontrolldefizit. Meine Kleine Anfrage, die Sie vorhin zitiert haben, macht auch deutlich, dass es Bezirke gibt, in denen eine vernünftige Kontrolle stattfindet und Bußgelder verhängt werden, und Bezirke, in denen das nicht der Fall ist. Möglicherweise muss man auch noch mal mit einheitlichen Vorschriften oder ähnlichen Dingen darauf hinarbeiten, dass in den Bezirken einheitlich vorgegangen wird, und natürlich gehört die Personalausstattung in den Ordnungsämtern dazu – das muss mit abgewogen werden –, denn was nützt es, wenn ein noch schärferes Gesetz beschlossen werden würde, aber die Kontrolle sich nicht verbessert? – Ich glaube, dass wir damit dem Nichtraucherschutz weniger einen Gefallen tun, als wenn wir dieses Gesetz so, wie es jetzt ist, vernünftig anwenden, durchführen und auch kontrollieren lassen. Deswegen sind wir in unserer Fraktion der Auffassung, dass wir beim jetzigen Gesetz eher ein Umsetzungsdefizit haben und kein Regelungsdefizit. Ihre Volksinitiative wird ja weitergehen, wenn das Parlament keine Entscheidung in Ihre Richtung trifft. Wir finden und ich finde das richtig, weil es auch Themen gibt, die im politischen Raum diskutiert werden, die nicht an Parteigrenzen haltmachen. Es gibt bei uns in der Fraktion natürlich auch Mitglieder, die möglicherweise eine Verschärfung des Gesetzes wollen, und es gibt Leute, die sagen: Das könnte man möglicherweise noch ein Stück liberalisieren. – Das ist ganz normal. Das ist im Übrigen in Bayern auch so gewesen, das hat ja fast zur Zerreißprobe einer blau-weißen Partei geführt. Am Ende hat es dann eine politische Debatte in der Öffentlichkeit und eine Abstimmung gegeben, und diese Abstimmung hat dazu geführt, dass man auch über Parteigrenzen hinweg – das ist ja häufig eine Gewissensfrage, aber kein ideologisches Thema – zwischen den Parteien zu unterschiedlichem Abstimmungsverhalten gekommen ist. Wir fänden es richtig, wenn es gelingen würde, Ihrem wichtigen Anliegen die Möglichkeit zu geben, am 18. September mitentschieden zu werden. Das Gesetz lässt ja die Ausnahme zu, dass man das Verfahren verlängern kann. Wir sind der Auffassung, dass man es möglicherweise auch verkürzen kann, um eine Abstimmung beispielsweise am 18. September zu erzielen, weil man natürlich eine hohe Beteiligung braucht. Ich glaube, eine hohe Beteiligung führt auch dazu, dass über das Gesetz und die Auswirkungen dieses Gesetzes noch einmal debattiert wird. Die Meinung unserer Fraktion zu den Änderungsnotwendigkeiten haben wir gesagt. Ich finde, dass wir auch versuchen sollten, diese Änderungsmöglichkeiten hier im Parlament noch zu beschließen. Wir sind natürlich weiterhin gern zum Gespräch bereit. Diese Anhörung heute dient ja nicht dazu, dass wir eine abschließende Meinung und Entscheidung formulieren, sondern dazu, dass wir uns möglicherweise noch von anderen Argumenten überzeugen lassen und Argumente austauschen. Dass es auch in der Partei, die für die vollständige Freiheit des Joints ist, eine noch nicht abgeschlossene Debatte dazu gibt, haben Sie eben gehört. Deswegen werden wir sicherlich in diesem Ausschuss noch darüber debattieren. Vorsitzende Felicitas Kubala: Dann hat jetzt Herr Gersch von der FDP das Wort. Kai Gersch (FDP): Herzlichen Dank, Frau Vorsitzende! – Meine Fraktion, meine Partei war von Anfang an eher gegen dieses Gesetz. Wir haben eher auf eine freiwillige Lösung gesetzt. Das ist aus meiner Sicht immer noch der richtige Weg. Allerdings gibt es in unserer Partei mittlerweile eine Mehrheit, die sagt: So, wie es jetzt geregelt ist, kann es meinetwegen bleiben. Das ist gelernt, das hat sich bewährt. – Sie zielen ja besonders auf die Gastronomie ab. Hier sind in den letzten Jahren Investitionen gemacht worden, die nicht unerheblich sind. Ich glaube, die Koexistenz zwischen Rauchern und Nichtrauchern hat sich in diesem Bereich doch deutlich verbessert. Was Sie jetzt fordern – auch hier muss ich mich meinen Vorrednern anschließen –: Jede Initiative ist natürlich begrüßenswert, aber inhaltlich können wir diese in Gänze nicht teilen, da sie aus meiner Sicht doch einem gewissen Kreuzzug ähnelt, der auch aus den Argumenten heraus nicht wirklich schlüssig gemacht wurde. Sie führen z. B. – das ist wirklich eine Absurdität – dieses Thema zubereitete warme und kalte Speisen an. Das hat faktisch in dem Gesetz überhaupt nichts zu suchen. Wir haben es damals auch schon eher kritisiert, denn es hat an sich mit dem Nichtraucherschutz nichts zu tun. Aber gut, das ist eine Absurdität, die in

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diesem Gesetz nun mal steht. Daher würde ich es einfach nur rausnehmen, aber nicht als neues Argument dafür oder dagegen nehmen. Auch die 75 oder 76 m² sind eher ein Problem, wo ich sage: Irgendwo hat der Senat hier eine Grenze gesetzt. Sie ist eher willkürlich gesetzt worden. Auch aus meiner Sicht ist das eine Regelung, wo man sagen kann: Auch eher überflüssig! Wichtig ist allerdings: Wenn wir ein komplettes Rauchverbot in Berlin einführen würden, so wie Sie es fordern, würde sich – das haben einige Kollegen schon gesagt – an der Situation nichts ändern. Sie werden weiterhin erleben, dass das Ordnungsamt in einigen Bezirken um 22 Uhr Feierabend hat und dort dann auf einmal wieder die Aschenbecher auf den Tischen stehen. Das wird auch eine Verschärfung des Gesetzes nicht ändern. Das muss man einfach mal ganz klar zur Kenntnis nehmen. Die Menschen sind so. Für das, was sie möchten, finden sie einen Weg, ob es nun absolut, in Teilen oder gar nicht verboten ist. Ich glaube, man sollte als Politiker und gerade auch als Gesetzgeber immer im Hinterkopf haben, dass man, egal wie viele Gesetze und Verordnungen man schafft, eigentlich nur neue Auswege, Ausflüchte oder eben neue Brüche dieser Gesetze schafft. Aber man wird es de facto – auch mit Ihrem Anliegen – nicht verhindern können. Also wir lehnen Ihren Vorschlag ab, hier ein komplettes Rauchverbot zu machen. Zum Thema Spielplätze: Das ist nicht das vordringlichste Thema dabei, bei 9 Prozent – waren es, glaube ich –, die nachweislich aus dem Kinderspielplatzbereich gekommen sind. Nichtsdestotrotz: Die Dinger haben da nichts zu suchen. In dem Punkt sind wir also einig. Thema Krankenhäuser – ich bin ganz ehrlich: Die leben von der Prävention oder dem Gesundmachen, und da sollte man auch an ihre Verantwortung appellieren und sagen: Sucht einige Räume, wo der absolut Süchtige seiner Sucht nachgehen kann! – Auch ein wichtiger Hinweis: Natürlich nicht die Leute irgendwo quer über den Acker oder über den Hof jagen! Ich denke, da ist jedes Krankenhaus, jeder Krankenhausbetreiber in der eigenen Pflicht. Da braucht man keine Gesetze. Daher würden wir den Punkt nicht als falsch, sondern eher als überflüssig sehen. Abgesehen von dem Kinderspielplatzthema haben wir also relativ wenig Schnittmengen. Trotzdem wünsche ich Ihnen nicht viel Erfolg, aber doch gutes Gelingen. Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke! – Herr Dr. Albers! Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ich glaube, in der Sache gibt es wenig Dissens. Deswegen müssen wir uns auch nicht gegenseitig missionieren. Es gibt eine Diskussion darüber, welchen Weg man einschlägt. Da haben wir mit dem Nichtraucherschutzgesetz, glaube ich, den richtigen Beginn gemacht. Es gibt nichts, was man nicht noch besser machen könnte. Insofern muss man sicherlich über die einzelnen Aspekte diskutieren und schauen: Wo findet eine kritische Evaluation statt, die dann möglicherweise dazu führt, dass man das ein oder andere verbessern kann? – So weit zunächst einmal vorweg. Ich glaube aber, dass das, was jetzt von der Initiative vorgeschlagen wird, uns nicht wesentlich weiterhelfen wird, weil vieles von dem in erster Linie davon abhängig ist, dass der Nichtraucherschutz in den Köpfen der Menschen beginnt und dass wir bei ausreichender Gesetzeslage – die wir jetzt haben – auch die Akzeptanz brauchen und erhöhen müssen. Das sollte vorrangige Aufgabe sein. Darin sehe ich auch die vorrangige Aufgabe einer Regierung und nicht darin, Erziehungsdiktatur zu spielen und den Leuten aufzunötigen, dass sie quasi gesund zu leben haben. Das wird wenig zur Akzeptanz beitragen und im Gegenteil eher Trotzreaktionen auslösen, die uns dann beim eigentlichen Anliegen nicht weiterhelfen. Ich sehe z. B. nicht nur das Problem, dass die Kinder auf dem Spielplatz Kippen finden. Da liegt noch reichlich anderer Restmüll in den Sandkästen. Insofern verstehe ich die Beschränkung auf die Kippen da nicht. Das Problem in den Gaststätten: Ja! Wir haben aber auch – das zeigt die Studie, die schon mehrfach erwähnt worden ist – in Bayern 17 Prozent der Gaststätten, in denen trotz des strikten Verbots geraucht wird, also auch da ein Umsetzungs-, ein Vollzugsproblem, das man auch nicht durch eine stärkere gesetzliche Regelung beheben kann. Z. B. ist für mich ein wesentlicher Bereich, den wir in der Diskussion immer vernachlässigen, das Rauchen auf Uund S-Bahnhöfen, das ständig und ununterbrochen stattfindet mit mindestens einer genauso großen Belästigungs- und Auswirkungsquote wie das, was Sie hier beschrieben haben. Dazu wurde im Grunde genommen nichts gesagt.

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Zu Frau Kosche nur ganz kurz: Ich finde es immer lustig, wenn Sie Bundesschelte machen und dann noch von „damals“ reden. Ich erinnere mich, dass Sie, die Grünen, anderthalb Jahre in der Bundesregierung saßen kurz davor. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie das alles vergessen haben, weil da ja einiges war, über das man kritisch nachdenken könnte. Anderthalb Legislaturperioden hatten Sie zusammen mit der Sozialdemokratie die Gelegenheit, auf Bundesebene genau die Initiativen zu ergreifen, die Sie jetzt so vehement einfordern. Es würde mich interessieren, warum Sie das da nicht getan haben. In Ihrem Programm – 143 Seiten sind es, glaube ich – beziehen sich ganze zweieinhalb Seiten auf Gesundheit, Kinderschutz etc. – [Heidi Kosche (Grüne): Die haben es in sich!] – Die haben es überhaupt nicht in sich, denn auch da gibt es außer dem Formelbekenntnis „Nichtraucherschutz stärken“ keine konkrete Lösung für die wirklich konkreten Aufgaben, wie man das, was Sie so großartig programmatisch ankündigen, dann auch in politisch nachvollziehbaren Schritten umsetzen kann. Das wollen die Leute wissen, nicht Ihr hehres Anliegen, sondern wie Sie aus Ihrem hehren Anliegen heraus in die ganz profane politische Handlungsumsetzung kommen. Da sind wir alle mal gespannt, aber dazu wird es ja im Grunde genommen auch nicht kommen. Zu den Kontrollen: Ich glaube, dass die Zahl der Kontrollen, wie es auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage von Herrn Czaja steht, gar nicht so viel aussagt. Wir haben z. B. in Lichtenberg nur 300 gastronomische Betriebe, aber 391 Kontrollen. Daraus würde ich folgern, dass, obwohl das deutlich weniger Kontrollen sind als in Kreuzberg, die Kontrolldichte viel höher ist. Kreuzberg hatte, ich glaube, 1 540 Kontrollen, aber auch eine Unmenge mehr an zu kontrollierenden Einrichtungen.

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Insofern, glaube ich, wird das von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich gehandhabt. Die Prioritätensetzung liegt bei den Bezirken, und die Probleme mit dem Personal sind offenkundig, aber die werden wir auch nicht dadurch ändern, dass wir jetzt eine andere Regelung in das Gesetz schreiben. An dem Problem wird man in andere Weise weiter arbeiten müssen. Zu den Spielplätzen: Die Anregung mit den Schildern finde ich völlig in Ordnung. So, wie es ist, ist es in den Bezirken nicht ausreichend geregelt, und wenn das so ist, müssen wir uns überlegen, wie wir darauf Einfluss nehmen können, dass gesamtstädtisch verbindliche Kriterien entwickelt werden, zumindest ein einheitliches Vorgehen. Aber das Grünanlagengesetz bietet nun mal die Handhabe, so etwas zu machen. Dazu bräuchten wir keine Änderung. Wenn das aber nicht der Fall ist, sollten wir darüber nachdenken, wie wir dazu kommen. Das wirft natürlich weitere Probleme auf. Das gilt nur für die öffentlichen Spielplätze. Dann gucken wir zu den Räumen, die mit Wohnungsbaugesellschaften und anderen zusammenhängen. Wie grenzen wir das von dem umgebenden Land ab? Also, es sind auch damit erhebliche Probleme verbunden, dass man genauer reingehen müsste. Das alleinige Fordern, dass auf dem Kinderspielplatz nicht geraucht werden darf, klingt immer gut, aber ich habe Zweifel, dass das wirklich konsequent und sinnvoll ist, wenn die Mutter anschließend rauchend mit dem Kind nach Hause geht oder das Kind im Auto nach Hause gefahren wird, wo wieder geraucht wird. Es ist viel umfassender und komplexer, als dass man es so einfach lösen könnte. Insofern, glaube ich, liegt der Schwerpunkt weiter da, wo wir im Grunde damals mit dem Gesetz angefangen haben. Das ist ein Baustein, aber das Wesentliche ist, die Akzeptanz zu erhöhen. Das schafft man über Aufklärung. Das sieht man auch in der Entwicklung der Akzeptanz. Sie haben selbst zitiert: 75 Prozent der Berliner sind jetzt dafür, dass wir konsequent handeln. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Akzeptanz wächst, aber ich glaube nicht, dass wir sie dadurch erhöhen, indem wir die Gesetze schärfer machen. Vorsitzende Felicitas Kubala: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe davon aus, dass wir nur eine Beratungsrunde machen wollen, habe aber noch drei Meldungen. Das sind Herr Schäfer, Herr Dr. Luther und Herr Isenberg. Ich schlage vor, dass ich jetzt weitere Redewünsche aufnehme und wir dann die Redeliste schließen, damit wir den Vertrauenspersonen noch einmal das Wort geben können. – Bitte, Herr Schäfer! Michael Schäfer (Grüne): Danke, Frau Vorsitzende! – Herr Dr. Albers! Ihr Beitrag hat sehr sachlich begonnen, aber dann leider in einem Wahlkampfgeplätscher geendet, was, glaube ich, nicht der Sinn der Volksinitiative ist, uns hier dazu die Gelegenheit zu geben. Ich möchte an die Frau Senatorin, aber auch an die Vertreterinnen und Vertreter der Volksinitiative ein paar Fragen stellen. Frau Senatorin! Keine Kontrollen nach 22 Uhr bzw. nach 24 Uhr am Freitag und Samstag – ist das aus Ihrer Sicht eine Dauerlösung, oder hat Ihre Verwaltung mal überlegt, ob man da etwas anders organisieren kann? Es gibt auch die Möglichkeit, öffentliche Aufgaben zu beleihen, also Kontrollen außerhalb des Ordnungsamts anzusiedeln. Eine Sache hat sich hier herauskristallisiert. Egal, wie die Regelung ist, wenn nach 22 Uhr bzw. 24 Uhr nicht kontrolliert wird, dann hilft das schönste Gesetz nichts. Das Zweite ist: Was spricht denn gegen ein Rauchverbot auf Spielplätzen? Sie haben nur gesagt, es gebe quasi Regelungen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Volksinitiative haben deutlich gemacht, wo sie die Schwachstellen sehen. Was spricht dagegen, das noch in dieses Gesetz reinzuschreiben, wenn Sie sagen, es gebe sowieso eine entsprechende Regelung? Vielleicht sollte man bei der Gelegenheit auch reinzuschreiben, dass die Spielplätze entsprechend ausgeschildert werden. Mir erschließt sich nicht, was dagegen spricht, diesen Teil der Volksinitiative direkt umzusetzen. Herr Dr. Albers hat eben davon gesprochen, dass eine kritische Evaluation des Nichtraucherschutzgesetzes nötig wäre. Dem kann ich mich nur anschließen. Weil die Zahlen vom Krebsforschungszentrum, die Sie referiert haben, und die der Volksinitiative sehr unterschiedlich sind: Ist es denn geplant, eine umfassende Untersuchung zu machen, wie das Nichtraucherschutzgesetz wirkt, und wo es vielleicht nicht wirkt? Das wäre auch für die Bürgerinnen und Bürger, die vielleicht über diese Initiative zu entscheiden haben, eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Insofern wäre unser Appell, das mal sehr kritisch zu evaluieren. An Frage an Sie, die Vertreter der Volksinitiative: Eine Regelung leuchtet mir jedenfalls nicht ein. Sie schreiben in Ihren Gesetzentwurf, dass die Ausnahmeregelungen, die es für Räume in psychiatrischen Kran-

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kenhäusern, Justizvollzugsanstalten, Gerichten, Heimen, Einrichtungen der Behindertenhilfe gibt, also die Raucherräume, die es da gibt, sollen nach Ihrem Willen bestehen bleiben, aber in Zukunft soll den Beschäftigten untersagt werden, diese zu benutzen. Mir ist nicht einleuchtend, was das für den Nichtraucherschutz bringt und ob da nicht der Schikaneanteil überwiegt. Ich würde Sie bitten, diese Frage zu beantworten! Vorsitzende Felicitas Kubala: Dann hat Herr Dr. Luther das Wort! – Frau Vorsitzende, in aller Kürze zwei oder drei Anmerkungen: Wenn man ein Gesetz beurteilen will, muss man mal ein paar Jahre zurückschauen. Ich will das tun, und Sie werden sich möglicherweise wundern, dass ich das Gesetz loben werde. Es ist noch gar nicht so lange her, nämlich 15 oder 16 Jahre, da haben wir in Berlin diskutiert, ob wir in Krankenhäusern Raucherzimmer einrichten. Eine meiner ersten positiven Schlagzeilen als Gesundheitssenator hatte ich, als in der Zeitung zu lesen war: Senator Luther befiehlt, Raucherzimmer in Krankenhäusern einzurichten. – Das ist noch nicht lange her. Raucherzimmer einzurichten, wohlgemerkt, denn in meinem Vorlegen in einem Krankenhaus, das weiß ich noch ganz genau, war es üblich, dass auf jedem Flur, in jedem Aufenthaltsraum, in allen Räumen, in allen Arztzimmern geraucht wurde, und die Patienten wurden ausgewählt: zwei Raucher zusammen, zwei Nichtraucher zusammen. – Das war der Ist-Zustand vor knapp 15 Jahren. Wenn man ein Gesetz und die Funktion eines Gesetzes beurteilen will, muss man das alles mitbetrachten. Deshalb meine Anmerkung: Ich habe in meinen 20 Jahren als Politiker wenig Gesetze erlebt, die in der Bevölkerung solch eine positive Wirkung hinterlassen haben, denn die meisten Menschen, mit denen ich rede – ich gehörte auch zu denen, die gelegentlich geraucht haben, nicht überall –, sagen nicht etwa, ich rauche nicht mehr, weil es verboten ist, sondern ich habe es mir abgewöhnt, oder ich will oder brauche es gar nicht mehr. Wenn ein Gesetz so funktioniert, dass es in den Köpfen ist – – Beim Parkverbot können Sie davon träumen, dass die alle sagen: Ich sehe das ein. – Die sagen: Weil das Gesetz es will, parke ich hier nicht. – Aber beim Rauchen hat das Gesetz gesundheitspolitisch etwas bewirkt, und dieser Weg ist in Ordnung, und da sollten wir zunächst einmal sehr zufrieden sein. Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke, Herr Dr. Luther! – Herr Isenberg! Thomas Isenberg (SPD): Eine Frage an die Volksinitiative: Sie haben eben gehört, dass es in den Bezirken durchaus schon üblich und möglich ist, an Spielplätzen Schilder aufzuhängen, auf denen steht: Rauchen verboten. – In Mitte beispielsweise und anderswo wird das sehr konsequent deklariert. Wie würden Sie Ihren Gesetzesvorschlag unter Wahrnehmung der Debatte, die wir gerade bezüglich des Ziels geführt haben, dass an Spielplätzen weniger geraucht wird, modifizieren wollen? Nichtraucherschutz ist ein Thema, das in jeder Fraktion so und so diskutiert wird. Es ist ein legitimes Thema, zu dem man Volksentscheide machen kann. Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank! – Einige Fragen waren an die Senatorin gerichtet. Deswegen bekommt sie jetzt das Wort. Senatorin Katrin Lompscher (SenGesUmV): Vielen Dank! – Zunächst mal zu den Kontrollen nach 22 Uhr bzw. 24 Uhr: Ich habe extra die Rechtslage dargestellt, weil es für politische Betrachtungen nicht ganz unwichtig ist, sich klarzumachen, wie die Tarifsituation ist, was Personalrecht ist, welche Funktion der Hauptpersonalrat hat und was der Senat oder das Abgeordnetenhaus mit den Sprüchen von Schiedsstellen noch bewerkstelligen kann. Ich würde sagen, eher weniger. Auch hier ist die Botschaft, weiter zu diskutieren, Akzeptanz für davon abweichende Regelungen herzustellen. – Ich halte es für extrem schwierig und würde es auch zurückweisen, dass man jemand Drittes mit einer öffentlichen Vollzugsaufgabe betraut. Ordnungsämter haben bekanntlich sehr weitgehende Vollzugsaufgaben. Diese außerhalb der Behörde anzusiedeln, stelle ich mir kompliziert vor und würde davon abraten. Sie haben mich gefragt, was gegen ein Rauchverbot auf Spielplätzen spricht oder die gesetzliche Regelung desselben. Ich habe gesagt, dagegen spricht nichts. Das ist im Grünanlagengesetz geregelt. Ich habe zweitens gesagt, dass wir uns bisher in der Argumentation des Nichtraucherschutzgesetzes auf den Nichtraucherschutz in Innenräumen konzentriert haben. Das könnte man natürlich ändern, aber das sind die zwei Fakten, die ich dazu ausgeführt habe.

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Was eine kritische Evaluation dieses Gesetzes angeht, einen Hinweis an den Haushaltsgesetzgeber: Wenn wir tatsächlich eine Evaluation machen wollen, bei der mehr herauskommt als das, was wir alles schon wissen, dann ist das ein umfangreiches und zusätzliche Haushaltsmittel erforderndes Unterfangen, für welches entsprechend Vorsorge getroffen werden müsste. Wir haben bisher nicht die Notwendigkeit gesehen, das noch mal zu untersuchen, weil wir die Faktenlage ziemlich eindeutig auf dem Tisch liegend finden. Wenn es jemand anders sieht, dann sage ich nur: Das kostet dann auch richtig Geld. Vorsitzende Felicitas Kubala: Jetzt bekommen die Vertrauenspersonen und Herr Dr. Pankow noch einmal das Wort. Es waren ja nicht so viele Fragen. Man muss allerdings hinzufügen, dass wir das Thema schon mehrfach beraten haben. Sie bekommen jetzt noch mal das Wort für eine Einschätzung und die Beantwortung der Fragen. – Bitte, Herr Spatz! Johannes Spatz (Vertrauensperson): Vielen Dank für die lebhafte Debatte! Sie können sich natürlich vorstellen, dass ich über die Perspektiven einiger Parteien hier nicht so wahnsinnig erheitert bin, aber das nur am Rande. Ich möchte kurz auf die Darstellung der Studie des DKFZ eingehen, nach der hier weniger Probleme existierten als in anderen Bundesländern. Das muss man differenzierter betrachtet. Sie selbst sagen, dass man es relativieren müsse, weil es für Berlin nicht repräsentativ, sondern sehr unterschiedlich ist. Die Darstellung in der Studie über die Getränkegaststätten, also die Kneipen, lässt in Bezug auf Berlin zu wünschen übrig, denn in Berlin – so die Aussage der Autorin Dr. Pötschke-Langer mir gegenüber – wird in 76 Prozent der Getränkegaststätten geraucht. Sie meinte, bundesweit seien das 80 Prozent. Das ist ebenfalls ein Berliner Problem. Ich habe dargestellt: Wenn man durch bestimmte Szenestraßen geht, dann sind es mehr als 90 Prozent. Die Frage ist, ob das hier weiter so geduldet werden soll oder nicht. In Bayern ist es übrigens weniger ein Kontrollproblem, sondern es ist die Frage der politischen Mentalität im Lande, dass es dort keine großen Probleme bei der Umsetzung des Gesetzes gibt. Das wird ständig berichtet. Die Frage nach der Evaluation finde ich spannend. Das müsste aber wirklich anders als bisher gemacht werden, denn die jungen Leute, um die es vorrangig geht, gehen nach 24 Uhr in ihre Diskos. Die fangen eigentlich erst um 1 Uhr in der Nacht an. Die erreichen Sie nicht. Gehen Sie mal zur Warschauer Brücke, Frau Lompscher! Da werden Sie die Schlagen von jungen Leuten sehen, die in diese Klubs hinein wollen, die aber durch dieses Gesetz nicht geschützt werden. Ich garantiere: Wenn hier ein eindeutiges, klares, konsequentes Gesetz vorhanden wäre, gäbe es diese Probleme nicht, ohne dass Sie eine ganze Batterie von Kontrollsystemen aufbauen. Das wollen wir übrigens auch nicht. Wir sehen auch die Notwendigkeit nicht, außer vielleicht in Einzelfällen. Dann wurde von den Klinikgeländen und -eingängen gesprochen. Da besteht offensichtlich ein Missverständnis, denn wir haben nicht verlangt, dass das Rauchen ganz aus der Klinik verbannt wird, sondern wir haben extra gesagt, dass die Raucher auf Raucherzonen innerhalb des Geländes der Klinik reduziert werden sollen – weil Sie, Herr Isenberg, vorhin gesagt haben, wir wollten sie ganz vom Klinikgelände verbanden. Das haben wir nicht gesagt. – [Thomas Isenberg (SPD): Aber auch nicht diskriminierend wegschieben!] – Nein, innerhalb des Geländes. Ich gehe ab und zu mal ins AVK. Innerhalb des Geländes gibt es dafür vier Zonen, Raucherplätze. Das ist eigentlich überhaupt kein Problem. Herr Albers! Es hat sich bei internationalen Studien im Ausland, aber auch hier in Deutschland gezeigt, dass die Akzeptanz des Nichtraucherschutzes deutlich zunimmt, wenn ein Gesetz gemacht wurde. Es gibt in Ländern wie Italien oder Irland immer eine Differenz: Vorher war die Akzeptanz geringer, nachher war sie größer – weil Sie gesagt haben, durch die Verschärfung würde man die Akzeptanz nicht verstärken, oder ich habe Sie missverstanden. Wir meinen, dass es bei den Kinderspielplätzen eine große Akzeptanz gibt. Wir haben immer wieder gehört: Es ist ja nicht verboten –, wenn wir mit Müttern gesprochen haben, und wir haben bei über 30 Plätzen, die wir uns in den letzen zwei Monaten angeschaut haben – wir waren nachmittags dort, bis etwa 18 Uhr –, festgestellt, dass dort die Mütter die Raucher sind. Auf jedem zweiten Spielplatz haben wir die Eltern rauchen gesehen. Es ist also nicht nur ein Problem von Jugendlichen, die sich dort zu später Stunde aufhalten. Auch

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wegen des Vorbildcharakters der Eltern ist es wichtig, dass sich auf Kinderspielplätzen etwas verändert, und ich habe den Eindruck, dass es hier eine relative Mehrheit gibt, das zu verändern, ohne dass ich die Größe der einzelnen Parteien im Kopf habe. Ich danke auch dafür, dass gesagt wurde: Die Volksinitiative geht weiter. Der Kampf für den Nichtraucherschutz und die Gesundheit in der Bevölkerung geht selbstverständlich weiter. – Danke schön! Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke, Herr Spatz! – Jetzt hat Herr Behrens das Wort. Wolfgang Behrens (Vertrauensperson): Auch ein Wort zur Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums: Man muss sich nur mal die Überschrift der Pressemitteilung vor Augen führen: „Nichtraucherschutz in der deutschen Gastronomie – Warum die Landesgesetze gescheitert sind“ – Man darf davon ausgehen, dass das eine Zusammenfassung all dessen ist, was hinten herauskommt. Sie könnten sich nicht einzelne Punkte herausgreifen, sondern als Überschrift steht: Die Landesgesetze sind gescheitert. – Da ändert jede Erbsenzählerei innerhalb der Auswertung nichts. Eine Frage zu den Spielplätzen:Warum besteht bei den Spielplätzen in Brandenburg, also im Berliner Umland, ein gesetzliches Rauchverbot? In Berlin nicht, aber in Brandenburg. Es gibt keinen Grund, diesen Nichtraucherschutz auf für Kinderspielplätze nicht zur Anwendung zu bringen. – [Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Haben Sie mal die Kippen auf den Brandenburger Spielplätzen gezählt? In Brandenburg liegt nicht eine Kippe weniger auf den Spielplätzen!] – Mir geht es wirklich nicht um die Kippen. Es geht um andere Argumente, und ich beteilige mich wirklich nicht an der Erbsenzählerei. Herr Isenberg! Zu den Krankenhäusern: Wir hatten das schon mal debattiert. Es geht nicht darum, die Raucher zu diskriminieren und, wie Sie formulierten, sie zu jagen. Das ist nun wahrlich nicht die Aufgabe und Intention der Volksinitiative. Gehen Sie doch freundlicherweise mal zur Rettungsaufnahme des Benjamin Franklin- oder Auguste-Viktoria-Krankenhauses! Das sind nur zwei Beispiele, die anderen sind genauso. Die Ascher stehen in der Rettungsschleuse, wo die Fahrer der Rettungswagen, aber auch das ärztliche Personal rauchen. Jeder Schwerverletzte, der auch mit Herzinfarkt und liegend eingeliefert wird, muss durch eine Qualmwolke. Das bitte wollen wir verhindern. Wir wollen, dass auf dem Gelände Raucherinseln eingerichtet werden, meinetwegen überdacht und als Häuschen, aber nicht in den Eingangsbereichen neben der Tür. Zum Gesetz allgemein: Nur ein klares Gesetz ist ein gutes Gesetz, und das kann man dann auch an der Akzeptanz in der Bevölkerung ablesen. Noch mal zu den Gaststätten: Warum gibt es im Nichtraucherschutzgesetz nach der Änderung von den Ausnahmen noch eine Ausnahme bezüglich der Shisha-Lokale? Ich erinnere noch mal daran: In der Türkei unterliegen Shisha-Lokale dem Rauchverbot. – Warum gibt es in Berlin eine völlig geänderte Regelung? Sie unterliegen nicht mal der 75-m2-Regelung, sondern sind generell ausgenommen. Zu Ihrer Frage, warum das Personal nicht in den Räumen rauchen darf? – Ganz einfach: Dieses ist per Bundesgesetz untersagt. Wir müssen uns nicht mehr darüber unterhalten, ob wir in Berlin eine Ausnahme dafür schaffen wollen. Das ist vom Tisch. Diese Raucherräume in den Kliniken und anderswo sind für die besonderen Fälle der Patienten oder Inhaftierten, aber nicht für das Personal. Dies ist per Bundesnichtraucherschutzgesetz geregelt. – Schönen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke! – Frau Hoffmann! Raule Hoffmann (Vertrauensperson): Vielen Dank! – Ich möchte auf das große Wort „Akzeptanz“ eingehen, das, glaube ich, auf dieser Seite genannt wurde. Das fand ich sehr gut. Wir haben gesehen, dass die Akzeptanz in breiten Schichten der Bevölkerung bereits gestiegen ist, was diverse Umfragen zeigen. Es ist jetzt dreieinhalb Jahre her, dass Sie das Nichtraucherschutzgesetz eingeführt haben. Jetzt ist es an der Zeit, es zu verbessern. Das war die Einführungsphase. Wir haben geguckt, wie die Leute damit klarkommen, und jetzt können wir es endlich richtig machen.

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Etwas, was ich unbedingt sagen möchte, weil es leider immer wieder genannt wird, es gehe darum, die Raucher zu diskriminieren. Kein Einziger, der im Bereich Nichtraucherschutz engagiert oder auch nur interessiert ist, hat je davon gesprochen: Au ja! Lasst uns mal die Raucher diskriminieren! – Darum geht es nicht. Wir sind nicht gegen Raucher. Raucher können supernette Menschen sein, sind sie wahrscheinlich meistens auch. Es gibt auch nicht nette Nichtraucher. Das gibt es alles. Ganz wichtig: Das, was Raucher zeitweilig tun – das tun sie nicht den ganzen Tag –, ist gefährlich für sie selbst und auch für andere Menschen, die sich in ihrem Radius befinden. Das steht auf jeder zehnten Schachtel. Das muss man in einen gesicherten Rahmen bringen. Man kann es einfach nicht zulassen, dass man sagt: Okay, raucht mal! Macht mal! Es ist schön und gut! –, und alle anderen müssen darunter leiden. Das geht nicht. Man sagt auch, die Freiheit des Einzelnen ist da zu Ende, wo sie die eines anderen beeinträchtigt, und die Beeinträchtigung – das wissen wir alle – durch Passivrauchen ist immens. Das muss ich immer wieder betonen: Es geht nicht gegen die Raucher, nicht persönlich, nicht einmal in ihrer Eigenschaft als Raucher. Es geht nur gegen das, was Raucher zeitweilig tun. Ich muss noch mal die Wirte mit einbringen, weil wir mit sehr vielen gesprochen haben. Ich bitte Sie noch mal darum, das Leid der Wirte zu beenden, die gern Nichtraucherschutz in ihren Kneipen einführen würden, sich das aber nicht trauen, weil der Nachbar drei Meter weiter eine Raucherkneipe hat, ob das legal ist oder nicht. Das ist wirklich ein Problem. Lassen Sie diese Wirte nicht länger im Stich! Die würden das nämlich gern umsetzen. – Danke! Vorsitzende Felicitas Kubala: Danke, Frau Hoffmann! – Herr Möller! Hans-Christian Möller (Vertrauensperson): Ich möchte auf die neun Prozent von der Notrufzentrale eingehen, die für Berlin genannt wurden. Diese neun Prozent sind sicherlich nur die Spitze des Eisberges. Da gibt es gewiss wie in allen Bereichen auch eine Dunkelziffer. Schon ein Prozent Notrufe ist zu viel, wenn ein Kind auf einem Spielplatz eine Kippe aufnimmt. Ich habe es beim Unterschriftensammeln selbst erlebt. Eine Mutter hatte – das Kind hatte eine Kippe im Sand gefunden und in den Mund gesteckt – die Notrufzentrale nicht erreicht. Wenn es die Kippe verschluckt hätte, dann vielleicht. Also, die Gefahr, dass ein Kind solch eine Kippe verschluckt, ist ständig da. Man sollte dafür sorgen, dass keine Kippen auf den Spielplätzen verbuddelt oder weggeworfen werden. Das Argument, dass ein Süchtiger seiner Sucht auch auf dem Spielplatz nachkommen kann und man vielleicht darüber hinwegsehen sollte, finde ich unverständlich. Auch wenn er eine Sucht hat, muss er sich an Regeln halten. Er kann ja außerhalb des Spielplatzes rauchen. Er muss nicht auf dem Spielplatz rauchen und vielleicht noch die Kippe dorthin werfen. Zur Beschilderung von Spielplätzen, weil sie nicht ausreichend beschildert sind, möchte ich sagen, dass man vielleicht auch ein Schild zentral auf dem Spielplatz unterbringen kann. Dann braucht man nicht alle Eingänge damit zu bepflastern. Das ist sehr aufwendig. Wenn es vielleicht in der Mitte des Spielplatzes steht, haben alle Blick darauf, und man könnte Kosten sparen. Die billigste Variante wäre natürlich, den Gesetzestext zu ändern. Das ist ein Satz, der vielleicht ca. 50 Euro kostet. Sie wissen das besser. Solch ein Schild kostet 80 bis 150 Euro. Die Piktogramme, die auf den Schildern sind – zumindest in Spandau –, sind zu klein. In Schöneberg gibt es wesentlich größere, die den Rauchern direkt ins Auge fallen. Also, man sollte sich darauf einigen, dass man in Berlin überall ein einheitliches Schild aufstellt, damit sich die Leute daran gewöhnen. – Schönen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Vielen Dank, Herr Möller! – Herr Prof. Pankow! Prof. Dr. Wulf Pankow (Vivantes): Die Debatte fand ich sehr interessant. Ich gehöre auch zu denen, die sagen würden, in dieser Frage ist das Glas halb voll, nicht halb leer. Es ist viel erreicht worden. Ich habe in der Diskussion aber die Perspektive vermisst. Wie geht es weiter? Ich habe gesehen, wie eine Partei sagt: Wir kommen an eine Grenze, wo über Illiberalität und jetzt zu viel Kontrolle droht. – Dem würde ich nicht zustimmen, weil das nach meiner Bewertung ein fließender Prozess ist, was die Akzeptanz solcher Gesetze in der Bevölkerung angeht. Ich denke, da die Akzeptanz steigt, könnte man auch darüber nachdenken, jetzt einen Schritt weiterzugehen. Für mich als Mediziner ist es völlig inakzeptabel, dass in Gaststätten nicht rauchendes Personal beschäftigt und einem unzumutbaren Gesundheitsrisiko ausgesetzt wird. Das wird bei an-

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deren Gefahrstoffen auch nicht gemacht, und da wird auch nicht mit Liberalität argumentiert. Das kann ich also inhaltlich nicht nachvollziehen. Ich würde mir wünschen – da würde ich Wolfgang Albers zustimmen –, und das Konsequenteste und Beste wäre, bundesweit eine konsequente, einheitliche gesetzliche Regelung zu schaffen. Der Weg dahin geht im Moment wahrscheinlich eher über die Bundesländer, so nehme ich das wahr. Da – würde ich doch denken – wäre Berlin in der Pflicht, einen Schritt voranzutun. – Vielen Dank! Vorsitzende Felicitas Kubala: Herzlichen Dank auch Ihnen! – Damit ist die Anhörung abgeschlossen. Wir kommen bei unserer Sondersitzung am Montag, dem 20. Juni, zur Beschlussempfehlung. Diese Sondersitzung haben wir extra angesetzt, um die Volksinitiative abschließend beraten zu können. Für heute vertagen wir das Thema. Sie sind herzlich eingeladen, heute dem weiteren Tagesordnungsablauf zu folgen, und vor allen Dingen sind Sie herzlich eingeladen, am 20. Juni als Zuhörer und Zuhörerinnen die Beratung zu verfolgen, wenn wir den Beschluss zur Volksinitiative fassen. Für heute herzlichen Dank, dass Sie da gewesen sind! Punkt 3 der Tagesordnung – neu – Vorlage – zur Beschlussfassung – Sechstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Weiterbildung von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern Drs 16/3994

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Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 4 der Tagesordnung – neu – Vorlage – zur Beschlussfassung – Gesetz zur Durchführung des Bundesgesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz-EEWärmeG) im Land Berlin (EEWärmeG-DG Bln) Drs 16/4135 Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 5 der Tagesordnung – alt 3 – Verschiedenes Siehe Beschlussprotokoll.

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