Wofür noch ein Buch über Hüsch?

„Friedrich Wilhelm Raiffeisen / Hermann Schulze-. Delitzsch. Zwei Banker gegen die Not“. www.schwikart.de. Zitate von Hanns Dieter Hüsch sind kursiv gesetzt.
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Hanns Dieter Hüsch 1925–2005

Georg Schwikart

Hanns Dieter Hüsch Wie der Kabarettist den lieben Gott zum Schmunzeln brachte

Herausgegeben von Uwe Birnstein in der Reihe „wichern porträts“

Wichern-Verlag

Georg Schwikart, Dr. phil., geboren 1964, studierte vergleichende Religionswissenschaft, Theologie und Volkskunde in Neuburg/Donau, Bonn und Tübingen. Er arbeitet als evangelischer Seelsorger im Rheinland und hat zahlreiche Bücher geschrieben. In der Reihe „wichern porträts“ sind von ihm erschienen: „Der Komponist. Wie Johann Sebastian Bach das Evangelium in Musik verwandelte“ sowie „Paulus. Wie der Christenverfolger die Liebe entdeckte“. Zusammen mit Uwe Birnstein veröffentlichte er „Friedrich Wilhelm Raiffeisen / Hermann SchulzeDelitzsch. Zwei Banker gegen die Not“. www.schwikart.de

Zitate von Hanns Dieter Hüsch sind kursiv gesetzt. Aktualisierte Neuauflage 2016 © Wichern-Verlag GmbH, Berlin 2010 Umschlag: Thomas Puschmann – fruehbeetgrafik.de, Leipzig, unter Verwendung eines Fotos von akg-images Satz: NagelSatz, Reutlingen Print ISBN 978-3-88981-410-4 PDF ISBN 978-3-88981-398-5 ePub ISBN 978-3-88981-399-2 mobi ISBN 978-3-88981-400-5

Inhalt

Einleitung Wofür noch ein Buch über Hüsch? __ 7

Erstes Kapitel Hüsch, ein Heiliger? __ 11 Zweites Kapitel Hüsch für alle Lebenslagen __ 28 Drittes Kapitel Hüschs Herkunft und Werden __ 45 Viertes Kapitel Hüschs Wege zum Erfolg __ 59 Fünftes Kapitel Hüsch und die Frauen __ 69 Sechstes Kapitel Hüsch und die revolutionären Achtundsechziger __ 80 Siebtes Kapitel Hüsch und der Niederrhein __ 92 Achtes Kapitel Hüsch übers Essen __ 100

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Neuntes Kapitel Hüsch und der Glaube __ 111 Zehntes Kapitel Abschied von Hüsch __ 125

Schlusswort Was bleibt? __ 130

Lebensdaten __ 137 Bibliografie __ 139 Bildnachweis __ 140 Zitate __ 141

Nachwort zur Neuauflage Er fehlt __ 143

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Einleitung

Wofür noch ein Buch über Hüsch? Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Prediger/Kohelet 1,9

Mit meiner Buchhändlerin pflege ich ab und zu einen eingespielten Dialog zu führen, der nicht einer gewissen Theatralik entbehrt. Ich trete dann in der Buchhandlung an den Tisch, auf dem sich die zahlreichen Neuerscheinungen türmen. Lauter druckfrische Sachen, soeben eingetroffen. Ich nehme das eine oder andere Werk in die Hand, blättere darin, lege es zurück und frage: „Gibt’s irgendwas Neues?“ – Sie schüttelt pflichtbewusst voller Bedauern den Kopf: „Nichts Neues!“ Nichts Neues unter der Sonne, klagte bereits Kohelet, der Prediger Salomonis. Und das ist schon eine Weile her, über 2000 Jahre mindestens. Na klar, es erscheinen jedes Jahr neue Bücher, zigtausend sogar allein auf Deutsch. Aber bei vielen haben wir den Eindruck: nichts Neues. Alles schon mal gelesen. Dann aber fragte mich im Frühjahr 2010 am Tisch der Neuerscheinungen die Buchhändlerin, woran ich gerade arbeiten würde. Und als ich antwortete: „Ich schreibe über Hanns Dieter Hüsch“, da hellte sich ihr Gesicht sofort auf, und sie gab ihrer Begeisterung Ausdruck: „Da bin ich aber gespannt!“ 7

Statt mich über dieses offensichtliche Interesse zu freuen, spürte ich sogleich einen Druck auf der Seele: Was erwartete die Buchhändlerin denn von mir? Etwas Spannendes? Was könnte ich denn Neues über Hüsch bringen? Er hat doch selbst schon so viel veröffentlicht. Und über ihn gibt es auch allerhand Bücher zu lesen. Im Internet finden sich bei Google unter „Hanns Dieter Hüsch“ rund 132 000 Einträge. Nein, geneigte Leserin, geneigter Leser, bisher unbekannte Geheimnisse kann ich über „HDH“ nicht preisgeben. Aber ich möchte Sie an meinem Blick auf diesen Mann teilhaben lassen, an meinen Beobachtungen und Überlegungen. Vielleicht kann das zum WiederLesen seiner Werke animieren, oder zum WiederHören auf Platte oder CD. Und wenn jemand Hüsch bisher nicht kannte – auch das soll’s ja durchaus geben –, dann wäre es schön, wenn mein Buch eine Tür zum Hüschschen Universum aufstieße. Nichts Neues also, doch eine Einladung, den alten Hüsch neu aufzunehmen. Um dieses Buch verfassen zu können, habe ich alles gelesen, was ich von Hüsch in die Hände bekam. Das eine oder andere Werk schmückte bereits meine Bibliothek. Danken möchte ich allen, die mir ihre Hüsch-Bücher großzügig ausgeliehen haben. Besonders dankbar bin ich Christiane Rasche-Hüsch, seiner Witwe, die mir für ein ausführliches Interview zur Verfügung stand, mir ein paar Sachen von Hüsch zeigte (für mich „Berührungsreliquien“) und zwei Bücher schenkte. Dank auch an Okko Herlyn, der nicht nur Theologie-Professor ist, sondern auch Kabarettist, und der mir als Kollege von Hüsch Rede und Antwort stand, mit mir Hüschs Grab besuchte und mir den 8

Hüsch-Platz in Moers zeigte. Schließlich danke ich Ursula Schairer, die alle meine Manuskripte kritisch liest und prüft, bevor sie an die Verlage gehen. Nun aber viel Vergnügen bei der Begegnung mit Hüsch, den ich so oft wie möglich selbst zu Wort kommen lasse. Im übrigen – eine Formulierung, die so schön beiläufig überleitet; Hüsch liebte sie und nutzte sie gern – widme ich dieses Buch meinen Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge von Sankt Augustin, katholisch wie evangelisch, denn wir mühen uns doch alle, jede und jeder auf andere Art, am gleichen Werk, nämlich Gott im Heute erfahrbar zu machen. Hüsch würde es vielleicht nennen: das Schwere leicht zu sagen. Sankt Augustin, am 28. Juli 2010, dem Todestag von Johann Sebastian Bach Georg Schwikart

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Erstes Kapitel

Hüsch, ein Heiliger?

Sein Leben war das eines Menschen. Philipper 2,7

Herantasten Tübingen, Ende der achtziger Jahre. In der Mensa der Uni fanden jeden Monat kulturelle Veranstaltungen statt. Als Hanns Dieter Hüsch auf den Plakaten angekündigt wurde, kaufte ich mir eine Eintrittskarte, verbilligt für Studenten. Was er seinerzeit spielte, weiß ich nicht mehr. Dennoch war dieses Live-Erlebnis eine fabelhafte Erfahrung. Die konnte ich damals allerdings noch nicht in Worte fassen. Im Spiegel beschrieb Reinhard Mohr im Jahr 2000, was ich in Tübingen fasziniert aufsog: „Charakteristisch sein kaskadenhaftes Parlando, das zuweilen in Stakkato übergeht, seine Tempo- und Tonschwankungen, die teils unmerklichen, teils schroffen Übergänge, der Wechsel zwischen Prosa und Lyrik, Profanem und Erhabenem.“ 11

Als Student gefiel mir einfach Hüschs schnelle Art zu sprechen und seine bunte Erzählweise. Und ich spürte: Was dieser Mann sagte, hatte etwas mit mir zu tun, obwohl er nur von sich selbst zu berichten schien. In seinem letzten Programm „Wir sehen uns wieder“ stellt er sich vor, wie es ist, wenn er im Himmel ankommt. Da besucht er seine erste, 1985 verstorbene Ehefrau Marianne, und die sagt, sie sähe ihm gemeinsam mit seiner Mutter gerne zu, Wenn du auf der Bühne dein Leben erzählst / Und erklärst / Denn du tust ja nichts anderes / Als ständig dein Leben zu erzählen und zu erklären / Und die Menschen hören dir zu / Als wäre es ihr eigenes Leben / Und wir sagen dann immer zu zweit / Nun guck dir den Verrückten an/ Ja sage ich dann du hast recht / Ich tue seit meiner Geburt nichts anderes. Ein Gag allerdings ist mir in Erinnerung geblieben, quasi eine Anmerkung, bevor es überhaupt richtig losging. Hüsch sagte sinngemäß: „Sie sehen heute Abend den faulsten Kabarettisten Deutschlands. Sollte ich mal aufstehen, erwarten Sie nicht, dass was passiert. Dann muss ich mir nur mal die Beine vertreten.“ Er hat Wort gehalten und nicht übertrieben. Er saß hinter seinem „Örgelchen“, auf dem das Redemanuskript lag, spielte mal ein paar Akkorde, und gut. Die legendäre „Philicorda“ war seit 1967 ständiger Begleiter bei seinen Auftritten; gut acht Exemplare verbrauchte er über die Jahre. Im Gedicht von den „Vier Harmonien“ macht er sich über sich selbst lustig: Meine Orgel ist mein allerbestes Stück / Wenn ich drauf spiele hab ich meistens Glück / Damit beim Spiel ich nicht alles gleich verliere / Hör ich jetzt auf beziehungsweise repetiere: / Ich bin der Mann mit den 4 Harmonien / Und die hört man von Kalkutta bis Berlin / Sogar in Nightclubs ob ich schwitze oder frier / In der Arktis oder heute mal aus Trier. 12

Aufgefallen ist mir damals noch, dass Hüsch sein ganzes Programm abgelesen hat. Aber das hatte keine negative Auswirkung auf die Qualität seiner Darbietung. Bei Jürgen Schmude fand ich bei der Recherche zum vorliegenden Buch einen Hinweis auf diese Eigenart Hüschs. Schmude verweist auf Erich Vowe, den evangelischen Pfarrer aus Moers, der Hüsch konfirmiert hat. Vowe habe seine Predigten abgelesen und sei dabei großartig gewesen. Schmude folgert: „Hüsch hat sich an ihm orientiert, liest auch ab und ist dabei – wie man weiß – großartig.“

Verbindungen Irgendwann im Jahr 2009 wurde ich angesprochen, ob ich über Hüsch ein Buch schreiben möchte. Da erinnerte ich mich sofort an die Begegnung in Tübingen, und wann er mir zum ersten Mal im Fernsehen aufgefallen war. Das muss in den Siebzigern gewesen sein. Ich war ein Jugendlicher, der beim Kabarett-Gucken nur über die echten „Gags“ lachen konnte, weil er den hintergründigen Humor noch nicht verstand, oder weil es ihm am Wissen um Zusammenhänge fehlte, aus denen heraus anspruchsvolle Komik ihre Wirkung erzielt. Und am Ende – das Ganze spielte in einer Kneipe – stellte sich Hüsch neben die Bar, verabschiedete sich vom Publikum und erwähnte dabei Jesus Christus. Das elektrisierte mich! Da traute sich einer, der die Leute unterhielt, offen und frei von Jesus Christus zu sprechen, als würde er von einem Freund reden. Heute weiß ich, dass es bei Hüsch genau so war: Er sprach von seinem Freund Jesus. Damals beeindruckte das mich, den Ministranten, der zwar fromm war, 13

aber noch keine Sprache besaß für seinen Glauben und kaum den Mut, sich darüber zu äußern. Fortan achtete ich auf den Namen Hüsch, las über ihn, von ihm, sah mir Sendungen mit ihm an und lernte ganz nebenbei seinen Psalm auswendig, der so schön beginnt: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, / Gott nahm in seine Hände meine Zeit: / mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, / mein Triumphieren und Verzagen, / das Elend und die Zärtlichkeit. Und doch, ein wenig zögerte ich noch mit meiner Entscheidung, über Hüsch zu schreiben. Auf einmal türmte sich vor mir ein Monument auf: Hüsch – war der zu packen? Der Kabarettist, Dichter, Musiker, Schauspieler, Liedermacher, Poet, Gaukler, Moderator, Schriftsteller, Komiker. Der Moralist, Philosoph, Gesellschaftskritiker. Der Gläubige, Christ, Protestant, Zweifler, Prediger, Prophet. Der Niederrheiner, Genießer, Lebenskünstler, Schelm. Der Philanthrop, Versöhner, Visionär. Nicht zu vergessen: der Katzenfreund. Der Mensch Hanns Dieter Hüsch, der lebte und liebte, Erfolge feierte und Niederlagen meisterte, der Fehler beging und schuldig wurde, der um Verzeihung bitten konnte und sie selbst anderen gewährte. Der fleißig war und faul sein konnte. Der Grenzen überschritt, ohne zu verletzen. Es verbindet mich etwas mit dem Mann. Zunächst die Herkunft vom Niederrhein. Baumberg, wo ich groß geworden bin, liegt zwar ziemlich im Süden des Niederrheins, bei Düsseldorf. Doch als Kind konnte ich im Bett liegend die Rheinschiffe tuckern hören, und an den Rhein zog es mich immerzu: in melancholischen Phasen trug der Strom die Sorgen fort, und mit Freude genoss ich einfach die Weite des flachen Landes. 14