Weihnachtspredigt – 24. Dezember 2011 in Oberstdorf Lesung: Jes 9 ...

24.12.2011 - ... nicht mehr bloß Vater und Mutter, sondern wieder Mann und Frau, .... Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt,.
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Weihnachtspredigt – 24. Dezember 2011 in Oberstdorf Lesung: Jes 9,1-7 Evangelium: Lk 2,1-14 Weihnachten – eigentlich jedes Jahr das Gleiche, und doch jedes Jahr ganz anders! Auch heuer ist es wieder Weihnachten geworden, und doch ist es nicht nur dasselbe wie in den früheren Jahren, weil wir selber auf unserem Lebensweg weiter gegangen sind und nicht mehr dort stehen, wo wir vor Jahren waren. Für die einen war es ein Weg voller Tatendrang, für die anderen mitunter ein arger Kreuzweg. Die einen sind voller Glück, andere voller Trauer, und dazwischen gibt es wohl viele, die beides erfahren haben: Freud und Leid, frohe und schwere Stunden, vielleicht sogar bis in den heutigen Abend hinein. Junge Menschen haben sich gefunden, Familien wurden gegründet – und das größte Christkind ist für sie das eigene, neugeborene Kind, und die Krippe, das ist für sie die Wiege im Kinderzimmer. Anderswo sind Familien, zum Beispiel durch den Auszug der erwachsenen Kinder, wieder kleiner geworden oder haben sich in den eigenen vier Wänden wieder auf die Eltern reduziert, nicht mehr bloß Vater und Mutter, sondern wieder Mann und Frau, so wie vielleicht ganz am Anfang. Wieder anderswo ist durch den Verlust eines lieben Menschen die eigene Wohnung leer geworden, und das eigene Herz auch – Weihnachten 2011 führt uns in unserer jeweiligen, so unterschiedlichen Lebenssituation, am heutigen Abend und in der heutigen Nacht, hier zum Gottesdienst zusammen: die zahlreichen Gäste hier in Oberstdorf und die Gemeinde der Einheimischen, die hier längst im Ort zu einer Minderheit geworden ist. Was uns eint, ist eine tiefe Sehnsucht, die wohl in uns allen schwingt: die Sehnsucht nach dem Heiland in einer heillos scheinenden Welt, die Sehnsucht nach Frieden in unserer friedlosen Welt, die Sehnsucht nach ein wenig Glück, nach Helle und Licht inmitten so vieler Finsternisse unserer Zeit. Obwohl Weihnachten nicht das höchste Fest unseres Glaubens ist, das ist Ostern, das Fest der Auferstehung, Weihnachten ist aber sicher das emotionalste Fest, das uns innerlich am meisten berührt, weil damit auch die stärksten Erinnerungen an früher verbunden sind und die größten Hoffnungen und Wünsche, aber auch manche Wehmut und manche Ängste, dass einem das irdische Glück zerrinnen könnte und man mit leeren Händen, mit nichts, da steht. „Träume + Erinnerungen“, so war es heute in der Zeitung zu lesen. Wer keine Träume mehr hat, der hat auch keine Hoffnung mehr, der hat sich selber aufgegeben, von den lieben Mitmenschen ganz zu schweigen. Freilich gilt: Träume dürfen keine Flucht in eine unwirkliche Scheinwelt sein. Die „tausend Weihnachtslichter“ in den Medien oder auf diversen Weihnachtsmärkten schon zur Adventszeit täuschen doch nur eine Märchenwelt vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Da sind mir die vier Kerzen auf dem Adventskranz viel wichtiger und hoffnungsvoller. Und das ist auch mein erster Dank an diesem heutigen Weihnachtsabend: dass wir hier in Oberstdorf in den Wochen des Advents auch wirklich „Advent“ feiern konnten und uns vornehmlich mit stillen und ungemein stimmungsvollen Weisen auf Weihnachten „eingestimmt“ haben. Das zarte, kleine Licht des Advents genügt, um die riesige Dunkelheit zu besiegen. Dazu bedarf es keiner grellen Scheinwerfer und schrillen Töne. Träume sind dann gut, wenn sie Mut machen zum Leben. Die ganze Heilige Schrift ist, gerade schon im Alten Testament, voller Träume: Der Heiland wird kommen! Er ist der Retter, der Herr! Mit ihm wird alles gut! Und das haben die Propheten den Menschen ihrer Zeit in den buntesten Farben ausgemalt: mit Bildern von blühenden Gärten und sprudelnden Wasserquellen, von der Völkerwallfahrt nach Jerusalem zum Heiligen Berg. Der Prophet Jesaja bringt das Bild vom jungen Trieb, der aus dem abgestorbenen Baumstumpf erblüht: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln

bringt Frucht“ (Jes 11,1) Der „Isai“ ist den Älteren unter uns noch unter dem Namen „Jesse“ bekannt, und da kommt uns das innige Weihnachtslied in den Sinn: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art.“ Das feiern wir heute: Jesus ist das neue Leben, der frische Lebenstrieb, der aus einem abgestorbenen Baumstumpf entsprießt. Jesaja meinte damit das Volk Israel und machte den Menschen seiner Zeit Mut: Es gibt keinen Grund, aufzugeben. Wo es keine Zukunft mehr zu geben scheint, wie bei einem abgestorbenen Baumstumpf, erwächst neues Leben. Was der Prophet 700 Jahre vor Christus verheißen hat, ist für uns in Jesus Christus, in seiner Geburt, Wirklichkeit geworden. Das Leben aus Gott ist stärker als der Tod. Und aus dem Grund wurde zu Beginn des Mittelalters eine neue Zeitrechnung eingeführt, dass alle Welt nun die Jahre nach Christi Geburt zählt, weil er die Zeitenwende gebracht hat. So zählen wir die Jahre „nach Christi Geburt“. Rechnen wir auch unser eigenes Leben „seit Christi Geburt“? Dann wissen wir, warum wir Weihnachten feiern. Von „Träume + Erinnerung“ war eingangs die Rede. Das ist der Grund, warum wir unseren Glauben nicht für uns allein leben: Miteinander erinnern wir uns an die Geschichten des Heiles und holen sie so aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart. So erhält auch die Weihnachtsbotschaft der Engel für uns eine ganz neue Bedeutung: „Heute ist euch der Heiland geboren. Er ist der Retter, der Herr!“ Nicht nur damals, sondern HEUTE. Und deshalb feiern wir Weihnachten HEUTE, damit unser Leben in Gott in ein gutes MORGEN führt: unser Leben mit all seinen Beschwernissen, Enttäuschungen, Begrenzungen, mit allen Ängsten und Nöten. Wir denken besonders an alle, für die Weihnachten nicht von vorneherein ein fröhliches Fest ist, weil ihr derzeitiges Leben so schwer geworden ist, und wir denken an alle, die kein friedvolles Weihnachten erleben, weil sie inmitten von Krieg, Bürgerkrieg und Terror leben müssen, nicht zuletzt auch in der Region, zu der auch das Heilige Land gehört. Wir denken an die Menschen in Südamerika, denen unser Adveniat-Weihnachtsopfer gilt. Es seht heuer unter der Vaterunser-Bitte: „Dein Reich komme“. Überall dort kommt Gottes Reich zur Erde, wo Menschen einander Schwestern und Brüder sind, wo sie einander nicht die menschliche Würde nehmen, wo sie für die Menschenrechte eintreten, wo man menschlich leben kann. Überall dort wird man im „Kind in der Krippe“ die Antwort Gottes auf die mitunter unmenschlichen Zustände hier auf der Erde sehen, wie es im Galaterbrief heißt: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.“ (Gal 4,4-5) Weihnachten ist das Fest der Kinder Gottes, der uns in Jesus zur Freiheit befreit. Christus, der Retter ist da! Amen, ja Amen!

Peter Guggenberger, 24.12.2011