Was läuft falsch bei der Versorgung von Langzeiterkrankten und welche Lösungen sind denkbar? 20. Berliner Dialog, 28. April 2016 Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender KKH
Inhalt 1 Relevanz von (Langzeit-) Arbeitsunfähigkeit 2 Entwicklung des Krankengeldes bei der KKH 3 Bedeutung von Versorgungsdefiziten und abgeleitete Lösungsansätze 4 KKH-Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement 5 Fazit und Forderungen
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Im Spannungsfeld der Versorgungssituation Politische Rahmenbedingungen
Wirtschaftlichkeit
Dauer
Höhe Krankengeld
Häufigkeit
Bedarfsorientierung
Kundenorientierung Versorgungsstruktur
Demografische Entwicklung
Morbiditätsstruktur
Versorgungsqualität
Mitwirkung
Veränderungen in der Arbeitswelt u. v. m. 3
Viele Arbeitnehmer sind nur selten krank,… Häufigkeit von Arbeitsunfähigkeitsfällen je Versicherten und Jahr
in Prozent
Zehnmal und mehr 0,3 %
Fünf- bis neunmal 5 %
Viermal 4 % Dreimal 8 %
Zweimal 15 % Gar nicht 42 %
Einmal 26 %
… wenige aber sehr häufig. Quelle: KKH (2016)
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Langfristige Arbeitsunfähigkeit belastet Kassen immer stärker Arbeitsunfähigkeit
Krankengeld
Fälle
Tage
Fälle
200
20
10
180
18
9
160
16
8
140
14
7
120
12
6
100
10
5
80
8
4
60
6
3
40
4
2
20
2
1
0
0
0
Tage 100
80
60
40
20
0
Jahr AU-Fälle*
Ø Dauer je AU-Fall
Jahr Krankengeldfälle*
Ø Dauer je Krankengeldfall
Während Arbeitsunfähigkeit häufig eintritt, aber nur relativ kurze Zeit andauert, kehrt sich dieses Verhältnis beim Krankengeld um. Quelle: GBE (2016) *je 100 krankengeldberechtigte GKV-Mitglieder
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Veränderungen im Erwerbsleben zeigen Handlungsbedarf auf Rente
Rentenzugang
Renteneintrittsalter Männer
Rente wg. verminderter Erwerbsfähigkeit
1993: 271.541
Rente wg. Alters
1993: 787.820
2014: 170.784 2014: 823.631
1993: 53,3 Jahre 2014: 51,7 Jahre
1993: 51,3 Jahre 2014: 50,7 Jahre
1993: 63,1 Jahre 2014: 64 Jahre
1993: 63
Wegeunfälle
1993: 1,93 Mio.
1993: 0,27 Mio.
2014: 0,96 Mio.
2014: 0,18 Mio.
Rückgang um mehr als die Hälfte.
Rückgang um ca. ein Drittel.
2014: 64,3 Jahre
Anzahl in Mio.
40 30 20 10 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Unbefristeter Arbeitsvertrag
Quelle: BAUA (2016), DRV (2015), Destatis (2015)
Jahre
Erwerbstätigkeit
Arbeits- und Wegeunfälle Arbeitsunfälle
Frauen
Befristeter Arbeitsvertrag 6
Inhalt 1 Relevanz von (Langzeit-) Arbeitsunfähigkeit 2 Entwicklung des Krankengeldes bei der KKH 3 Bedeutung von Versorgungsdefiziten und abgeleitete Lösungsansätze 4 KKH-Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement 5 Fazit und Forderungen
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Krankenstand bei der KKH offenbart regionale Unterschiede
4,3%
4,7 % 5,7 %
Es zeigt sich ein deutliches Nord-Süd … 4,5%
4,7 % 5,8 % 5,8 %
4,8 % 4,7%
5,7 %
5,4 % … und Ost-West-Gefälle.
5,0% 5,7 % 4,0 %
Quelle: KKH (2015)
5,7 %
4,1 %
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Sprunghafter Anstieg der Arbeitsunfähigkeit ab Mitte 30 Arbeitsunfähigkeitsdauer nach Region und Alter* 35 30
Tage
25 20
15 10 5 0
bis 25
26 bis 35
36 bis 45
46 bis 55
56 und älter
In Ostdeutschland sind bereits junge Erwachsene kränker als die der gleichen Gruppe in anderen Landesteilen. Das Ost-West-Gefälle spiegelt sich auch beim Krankengeld wieder. Die Baden-Württemberger sind insgesamt am seltensten betroffen. Quelle: KKH (2015) *Arbeitnehmer KKH, je 1 Versichertenjahr
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Langzeiterkrankungen auf dem Vormarsch Krankengeldfälle bei der KKH Knapp 6 % der Arbeitsunfähigkeitsfälle gehen in den Krankengeldbezug über.
4,500 4,000
Der Anteil der Langzeitkrankheitsfälle nimmt mit steigendem Alter zu.
3,500
Darunter sind überwiegend Versicherte zwischen 50 und 60 Jahren.
3,000 2,500
Krankengeld beziehen besonders häufig Beschäftigte in den Wirtschaftszweigen
2,000
Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen,
1,500 1,000
Gesundheits- und Sozialwesen sowie
500
verarbeitendes Gewerbe.
0 2012
2013
2014
Fälle je 100.000 Mitglieder Quelle: KKH (2016)
2015
In ca. 5 % der Krankengeldfälle gehen die Versicherten keiner Beschäftigung nach. 10
Ausgaben für Krankengeld steigen unaufhaltsam an Krankengeldausgaben je Mitglied in Euro Euro
250
200
150
100
50
0 2012
2013
2014
2015
Durch den hohen Anstieg der Fallzahlen schnellen die Ausgaben in die Höhe und belaufen sich bei der KKH auf 328,4 Mio. € und GKV-weit auf 11,23 Mrd. €*. Quelle: KKH (2016), GKV-Spitzenverband (2016), *vorläufig
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Wenige Erkrankungen verursachen viele Krankengeldfälle TOP 5 der Krankengeld begründenden Diagnosen
Übrige Erkrankungen
1 Krankheiten des Muskel-
Skelett-Systems und des Bindegewebes 32 %
Krankheiten des
5 Atmungssystems 5%
4 Krankheiten des
Kreislaufsystems 6%
3 Verletzungen 8 %
2 Psychische und
Verhaltensstörungen 25 %
Bei der KKH und GKV-weit sind Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie psychische und Verhaltensstörungen die häufigste Ursache für eine Langzeitarbeitsunfähigkeit. Besonders oft lösen Depressionen und Rückenschmerzen einen Krankengeldbezug aus. Quelle: KKH (2016)
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Zwischenfazit
Ausfallzeiten aufgrund von (Langzeit-)Arbeitsunfähigkeit nehmen seit Jahren zu. Regionen wie auch Wirtschaftsbranchen sind unterschiedlich häufig davon betroffen.
Besonders oft sind Muskel-Skelett sowie psychische Erkrankungen für die langen Ausfallzeiten verantwortlich. Folge: Kontinuierlich starker Anstieg der Krankengeldausgaben bei der KKH und in der GKV. Die Trends zeigen, dass sich die Entwicklung künftig weiter fortsetzen wird – mit Auswirkungen auf die Versorgungsstruktur. 13
Inhalt 1 Relevanz von (Langzeit-) Arbeitsunfähigkeit 2 Entwicklung des Krankengeldes bei der KKH 3 Bedeutung von Versorgungsdefiziten und abgeleitete Lösungsansätze 4 KKH-Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement 5 Fazit und Forderungen
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Beispiel psychotherapeutische Versorgung Bedarf verändert sich Anzahl Psychotherapeuten
Entwicklung psych. Erkrankungen
2015 28.631
2012
24.445
Arbeitsunfähigkeits- und Krankengeldfälle wegen psychischer und Verhaltensstörungen sind im gleichen Zeitraum nur um ca. 5 % gestiegen.
Nach der jetzigen Bedarfsplanung herrscht in nahezu allen Planungsbereichen Überversorgung!
Trotz der gestiegenen Anzahl von Psychotherapeuten ist die Versorgung der Erkrankten immer noch ein Problem. Die Gründe dafür sind vielfältig. Quelle: KBV (2013,2016)
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Region entscheidet über Versorgungsdichte Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner Uecker-Randow 2,77
Probleme In manchen Regionen sind mehr Psychotherapeuten tätig als für die Versorgung notwendig, in anderen fehlen sie. In den Großstädten ist die Psychotherapeutendichte zwar gesunken, es sind aber immer noch 44 % angesiedelt, obwohl dort nur ein Viertel der Bevölkerung lebt. Trotz ganzer Zulassung arbeiten ca. 25 % der Psychotherapeuten weniger als 16 Stunden pro Woche in Teilzeit. Folge
Stadt Heidelberg 131,84
Lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz
Auf ein Erstgespräch warten die Patienten im Schnitt 12,5 Wochen. Bis zum Beginn der Psychotherapie sogar durchschnittlich 23,4 Wochen.
Quelle: BPtK (2011), GKV-Spitzenverband (2014), IGES und Bertelsmann Stiftung (2015)
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Mehr Therapeuten können nicht alle Probleme lösen
Weitere Defizite behindern eine bedarfsgerechte Versorgung: Diagnostik erfolgt zu spät Therapeutischer Ansatz passt nicht zum Problem des Versicherten Psychotherapie ist nicht immer der geeignete Lösungsansatz „Drehtüreffekt“ durch fehlende Nachsorge nach stationärer Behandlung Suboptimale Vernetzung der an der Behandlung Beteiligten Eingeschränkte Compliance der Betroffenen Folgen: Erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität für die Betroffenen Hohe Kosten für die Kassen durch Krankenhausaufenthalte und Krankengeldzahlungen Quelle: KKH
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Umfeld beeinflusst Gesundheit der Patienten in hohem Maß Bestimmte Probleme benötigen spezifische Ansätze Als besonderer Einflussfaktor hat sich die Situation am Arbeitsplatz herausgestellt, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt (z. B. Konflikte und Mobbing). Zudem wirken u. a. private Stresssituationen auf die psychische Gesundheit (z. B. Partnerschaftsprobleme, finanzielle Sorgen)
Die Versorgungsangebote der Regelversorgung greifen diese Probleme nicht im ausreichenden Maße auf.
Auf diese Lücken in der Regelversorgung müssen die Kassen reagieren. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den niedrigschwelligen Angeboten als Teil eines Versorgungskonzeptes zu. 18
Beispiel der KKH: Integrierte Versorgung NetzWerkPlus
Zielgruppe Richtet sich an Versicherte mit akuten psychischen Erkrankungen, insbesondere Depression Ansatzpunkte Schnelle Klärung von Diagnose und Unterstützungsbedarf Schnelle Bereitstellung der Maßnahmen
Vorteile für die Versicherten Kurzfristige Termine Aufklärung zur Erkrankung und zu den Unterstützungsmöglichkeiten Einschätzung des Bedarfs durch ein interdisziplinäres Team Zügige Einleitung verschiedener, individuell zugeschnittener Maßnahmen
Vertragspartner Berlin: NiG Pinel GmbH Region Braunschweig-Hannover: Ambulantes Zentrum Hildesheim Ziel: Ganzheitliche Betrachtung des Versicherten und seiner Kontextfaktoren, die zu einem besseren Behandlungsergebnis führt und ökonomisch sinnvoll ist. 19
Versorgungskonzept NetzWerkPlus in Berlin Beratungsstellen Unterstützung bei sozialen, rechtlichen und finanziellen Problemen
Unterstützung für die Bewältigung von Lebenskrisen
Weitere Hilfen Hilfsangebote bei Arbeitsplatzproblemen (z. B. Gespräche mit und Begleitung zum AG, Job-Coaching)
Stärkung der Arbeitsfähigkeit als stabilisierender Faktor
Versicherte
Koordination Empowerment
Arzt
Medizinische Behandlung (z. B. Arzneimitteltherapie)
DRV
motivierende Berufsorientierung
Pilot zur Anbindung der Rehabilitation
Pinel
Einbindung komplementärer Leistungserbringer bei psychischen Erkrankungen besonders wichtig
Komplementäre Gruppenangebote, z. B. Kompetenztraining, Empowerment, Sport Sozio- und / oder Ergotherapie Leistungserbringer
Psychotherapeut Einzel- / GruppenKurzzeittherapie Wenn med. notwendig: Vermittlung zur Psychotherapie oder Krisenintervention Psychoedukation
Bessere Verzahnung der Kostenträger
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NetzWerkPlus zeigt positive Ergebnisse Hohe Zufriedenheit der Versicherten „Mir war (in der Zeit vor NiG) gar nicht klar, wieviel Gutes auch in meinem Leben passiert." "Durch die Arbeitsblätter aus der Gruppe "Krise als Chance", konnte ich endlich mit meinem Mann über meine Depression sprechen, ihm meine Krankheit erklären."
"Ich hätte mich alleine nie getraut, mit meinem Chef zu sprechen. Danke, dass Sie (NiG) das mit mir gemeinsam gemacht haben." "Ich bin meiner Krankenkasse dankbar, dass sie mir so schnelle und professionelle Hilfe durch NiG angeboten hat."
Verbesserung der Versorgung gelingt
Folge
Austausch mit Experten hat ergeben: In vielen Fällen reicht bereits die Unterstützung und die angebotene Psychotherapie von 8 bis 10 Stunden aus.
Es ist gelungen, Krankenhaustage deutlich zu reduzieren;
Ist darüber hinaus eine Psychotherapie notwendig, kann die Wartezeit bis zum Beginn überbrückt werden.
Erste Auswertungen von Pinel haben eine signifikante Verbesserung der Beschwerden bei Depressionen ergeben.
Tendenzen für eine Reduzierung der Krankengeldbezüge sind erkennbar.
81 % würden das Angebot weiterempfehlen. Seit dem Start im November 2012 haben rund 1.000 Teilnehmer das Versorgungsangebot NetzWerkPlus durchlaufen. 21
Ähnliche Situation bei Muskel-Skelett-Erkrankungen Beispiel Rückenschmerz Häufigste Form von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Vielfach Ursache chronischer Schmerzen.
Etwa 3 von 4 Deutschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben daran. Die Lebensqualität wird oft erheblich gemindert – mit gravierenden Auswirkungen im Alltag.
Allein für nicht-spezifische Rückenschmerzen entstehen hohe direkte Kosten von ca. 3,6 Mrd. Euro. Hinzu kommen immense indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit, die sich im Jahr 2008 auf insgesamt 135.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre beliefen. Gerade für die Behandlung von Rückenschmerzen sind unterschiedliche Disziplinen notwendig. Quelle: Destatis (2010), RKI (2012)
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Orthopäden sind nur eine der erforderlichen Disziplinen auch hier gibt es eine ungleiche regionale Verteilung Entwicklung Rückenschmerzen Im gleichen Zeitraum: Anstieg von Krankengeld aufgrund von Rückenschmerzen um ca. 8 %*. Anzahl Orthopäden
Orthopäden
je 100.000 Einwohner
Kreis Holzminden 2,79
2015
6.879
2012 6.356
Stadt Heidelberg 14,60
Auch bei den Orthopäden herrscht nach der derzeitigen Systematik in nahezu allen Planungsbereichen Überversorgung! Quelle: IGES und Bertelsmann Stiftung (2015) * 2012 bis 2015
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Noch gravierender sind die Defizite in der schmerztherapeutischen Versorgung Kommunikation und Koordination
Diagnostik und Therapie Ca. 2/3 der Patienten werden vom Hausarzt betreut. Lediglich 8 % gehen direkt zum Schmerztherapeuten.
Austausch zwischen den Behandlern der verschiedenen Fach- und Versorgungsgebiete findet zu selten statt. Folge: Eine kontinuierliche, abgestimmte Behandlung wird behindert.
Nur 1 % der chron. Patienten besuchen eine Schmerzklinik. Bloß die Hälfte der Betroffenen wird vom Hausarzt zum Schmerztherapeuten überwiesen. Psychosoziale Faktoren werden nicht zeitig berücksichtigt.
Folgen: Zu wenig standardisierte Diagnostik und Therapie. Schmerzpatienten gelangen erst spät zum Spezialisten. Nur 6 % der Patienten nehmen zudem regelmäßig psychologische bzw. psychotherapeutische Hilfe in Anspruch.
Aus- und Weiterbildung der Ärzte Aus-/Fortbildung im Bereich der Schmerzmedizin erfolgt zu wenig. Folge: Fehlende Kenntnisse + Wartezeiten auf Termin beim Spezialisten.
Defizite in der Regelversorgung führen zu langer Behandlungsdauer und erhöhen das Risiko einer Chronifizierung. Quelle: Deutsche Schmerzliga, DIMDI (2011), Pfingsten et al. (2011)
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Weiterer Lösungsansatz der KKH: Integrierte Versorgung RückenPlus Versorgungsangebot Systematische Schmerzeinschätzung durch ein multidisziplinäres Team. Festlegen individueller, aufeinander abgestimmter Therapiemaßnahmen (z. B. Physiotherapie, medikamentöse Schmerztherapie, Psychoedukation). Intensive ambulante Behandlung durch ein spezialisiertes Team (Schmerz-, Physio- und ggf. Psychotherapeuten) Koordinierung der laufenden Behandlung durch einen spezialisierten Arzt oder Schmerztherapeuten. Regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit und ggf. individuelle Anpassung des Behandlungsplans.
Kurzfristige Termine beim teilnehmenden Schmerztherapeuten; meist innerhalb von 2 Tagen.
Ziele Schnelle leitliniengerechte Behandlung und Therapie. Wiederherstellung der Lebensqualität durch gezielte Patientenaufklärung zur Förderung eines eigenverantwortlichen Umgangs mit Rückenschmerzen.
Bisher nahmen ca. 600 Versicherte teil. Eine Erfolgsmessung ist in Planung. 25
Inhalt 1 Relevanz von (Langzeit-) Arbeitsunfähigkeit 2 Entwicklung des Krankengeldes bei der KKH 3 Bedeutung von Versorgungsdefiziten und abgeleitete Lösungsansätze 4 KKH-Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement 5 Fazit und Forderungen
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Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement – wichtiger Bestandteil der Versorgung 2015 gesetzlich mit dem Versorgungsstärkungsgesetz verankert: Versicherte haben Anspruch auf ein Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement. Kassen müssen eine individuelle Beratung und Hilfestellung leisten sowie Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit anbieten. In der GKV ist das Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement seit Jahren etabliert und auch bei der KKH schon lange gängige Praxis.
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Besonderheit bei KKH: Fallmanager verfügen über medizinische Fachkenntnisse und sind z. B. ausgebildete Krankenschwestern oder Physiotherapeuten. 27
Fallmanager unterstützen aktiv die Versicherten
Ambulante/stationäre Therapieund Behandlungsangebote der Regelversorgung
Behandelnde Ärzte und Psychotherapeuten
Koordination
Reha-Maßnahmen Besondere Versorgungsangebote der Kassen, z. B. IGV
Kommunikation Fallmanager
Kontakt mit dem AG Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)
Unterstützung
Hilfestellung bei der Wiedereingliederung
Beim Umgang mit der Erkrankung
Geeignete Behandler finden und Termine vereinbaren Das Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement leistet einen wichtigen Beitrag und ist viel besser als sein Ruf: Nur 3 % der gesamten Fälle werden nach vorheriger Prüfung durch den MDK als unberechtigt bzw. wieder arbeitsfähig eingestuft. 28
Erfahrungen sind positiv Erkenntnisse Der individuelle Bedarf bei psychischen und Muskel-Skelett-Erkrankungen unterscheidet sich im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern grundlegend. Die Durchführung des Arbeitsunfähigkeitsmanagements nach indikationsspezifischen Kriterien hat sich daher als besonders wichtig herausgestellt. Z. B. zeigte sich bei psychischen Erkrankungen:
Es werden auch andere Maßnahmen als die Psychotherapie benötigt. Häufig wurden Arbeitsplatzkonflikte als Ursache der Probleme identifiziert.
Ergebnisse Durch die hohe Fachkompetenz der Arbeitsunfähigkeitsfallmanager zu den spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung wurde eine bessere Akzeptanz bei Versicherten und Leistungserbringern erreicht. Wir haben den Bedarf der Versicherten besser kennengelernt. Die bedarfsgerechten Angebote aus dem KKH-Leistungsportfolio bewirkten vielfach eine Verbesserung der Versorgung. Der Kostendruck – insbesondere im Bereich der psychischen Erkrankungen – konnte damit abgemildert werden.
Als Erfolgsfaktoren haben sich das nach Krankheiten differenzierte Fallmanagement und die Kombination mit den verschiedenen Versorgungsangeboten der KKH herausgestellt. Allerdings stellen bestimmte formelle Rahmenbedingungen Hindernisse dar. 29
Nach wie vor ein Problem: Ungleichbehandlung bei Arbeitsunfähigkeit belasten das Solidarsystem
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses
Obwohl die Beschäftigung endet, bleiben die Merkmale dieser Tätigkeit für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend.
Arbeitsunfähigkeit liegt nur vor, wenn der Arbeitslose leichte Tätigkeiten in dem der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Umfang nicht ausüben kann. Die Merkmale der letzten Beschäftigung sind unerheblich.
Versicherter steht in dieser Zeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung
Versicherte steht dem Arbeitsmarkt in einem gewissen Umfang zur Verfügung
Auch wenn das Beschäftigungsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit endet, bleibt die Beurteilungsgrundlage erhalten. Eine Verweisung in den Arbeitsmarkt und in die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit ist häufig nicht möglich. 30
Unterschiedliche Anspruchsgrundlage löst Fehlanreiz aus Verschiedene Maßstäbe führen zu finanzieller Ungleichbehandlung und behindern die Rückkehr ins Arbeitsleben, z. B. bei befristeten Arbeitsverhältnissen
a) Erst arbeitsunfähig, dann arbeitslos: Der Versicherte erhielt bisher ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.652,75 €. Monatliches Krankengeld: 1.303,61 €. GKV-Versicherte Gehalt: 2.500 brutto Steuerklasse: I Kinder: keine
b) Erst arbeitslos, dann arbeitsunfähig: Der Versicherte erhält ein monatliches Arbeitslosengeld I in Höhe von 974,70 €.* Monatliches Krankengeld 969,70 €*.
Höhe des Krankengeldes ist ca. 25% niedriger!
Erschreckend: In den letzten 4 Jahren ist die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse, die während der Arbeitsunfähigkeit endeten, um mehr als 30 % angestiegen. Dies betrifft z. B. im Bereich der Zeitarbeit fast jedes 2. Beschäftigungsverhältnis. Wie auch vom Sachverständigenrat im aktuellen Sondergutachten gefordert, sind einheitliche Regelungen und Rahmenbedingungen erforderlich, die auf beiden Seiten für Klarheit sorgen - bei den Versicherten wie auch den Sozialversicherungsträgern. *Pflegeversicherung Zuschlag für Kinderlose ist extra abzuziehen, daher Differenz zwischen ALG I und monatliches Krankengeld.
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Außerdem: Solidargemeinschaft wird durch unterschiedliche Regelungen für Sozialversicherungsträger belastet Beispiel: Leistungen zur Rehabilitation Lohnersatzleistungen durch die Bundesarbeitsagentur: Nach Aufforderung muss ein Reha-Antrag innerhalb von 1 Monat gestellt werden.
Ist die Kasse Kostenträger, ist eine längere Frist für die Antragsstellung zu beachten: Antrag muss erst innerhalb von 10 Wochen nach der Aufforderung gestellt werden.
Differenz von 6 Wochen Auswirkungen Patient: Weiterer Verlust an Lebensqualität Unnötige Verzögerungen im Behandlungsprozess Ggf. erhöhtes zusätzliches Erkrankungsrisiko wegen steigender psychischer Belastungen durch längere Fehlzeiten
GKV-Gemeinschaft: Kostenbelastung durch Verlängerung der Krankengeldzahlung Effizienzverlust, weil Versorgung nicht an der richtigen Stelle stattfindet - diese Ressourcen fehlen zur Behandlung anderer
Volkswirtschaft: Arbeitgeber: Verlust an Wertschöpfung und Rückgang der Produktivität Belastung anderer Sozialversicherungsträger
Sachverständigenrat bestätigt: Wertvolle Zeit verstreicht, in welcher der Versorgungsprozess stagniert! 32
Inhalt 1 Relevanz von (Langzeit-) Arbeitsunfähigkeit 2 Entwicklung des Krankengeldes bei der KKH 3 Bedeutung von Versorgungsdefiziten und abgeleitete Lösungsansätze 4 KKH-Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement 5 Fazit und Forderungen
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Fazit
Die KKH hat auf den Anstieg der Krankengeldausgaben reagiert und das Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement immer weiter professionalisiert. Durch die Entwicklung eigener Versorgungsangebote ist es gelungen, auf die besonderen Bedarfe der Versicherten geeignet zu reagieren. Ungleiche, logisch nicht begründbare Rahmenbedingungen verhindern eine weitere Entlastung der Solidargemeinschaft.
Defizite in den Strukturen der Regelversorgung führen weiterhin dazu, dass die Patienten nicht bedarfsgerecht versorgt werden. 34
Versorgung stärken - lange Arbeitsunfähigkeitszeiten verhindern Akzeptanz des Fallmanagements der Kassen fördern, auch durch die Politik Handlungsspielraum der verschiedenen Sozialversicherungsträger angleichen Fehlanreize unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen beheben
KrankengeldVersorgungsfallmanagement struktur an stärken und Fehlveränderten anreize beheben Bedarf anpassen
Gestaltungsspielräume der Kassen ausbauen
Regionale Ungleichheiten in der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung abbauen Zusammenarbeit und Koordination der unterschiedlichen an der Versorgung Beteiligten fördern
Integrierte Versorgungsangebote weiter stärken Voraussetzungen für die Entwicklung niedrigschwelliger Angebote verbessern 35
Ein gutes Arbeitsunfähigkeitsfallmanagement kann nur dann funktionieren, wenn Strukturen und Angebote dafür vorhanden sind. Diese müssen weiter verbessert werden!
www.kkh.de
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