Vormundschaftswesen bleibt Gemeindesache

Kosten. Der Kanton verhehlte nie, dass die Bildung von Fachbehörden in jedem. Fall zu Mehrkosten .... Sie hat jetzt vor Verwaltungsgericht recht bekommen.
307KB Größe 4 Downloads 297 Ansichten
Dienstag, 23. März 2010

Neuö Zürcör Zäitung

Nr. 68

ZÜRICH UND REGION 17

Vormundschaftswesen bleibt Gemeindesache Die vom Bund geforderte Professionalisierung geschieht unter Wahrung der Gemeindeautonomie Statt Laien sollen künftig Fachleute über vormundschaftliche Massnahmen entscheiden. In Zürich wird das Vormundschaftswesen aber eine kommunale Angelegenheit bleiben. Eine kantonale Lösung scheiterte am Widerstand der Gemeinden. Christina Neuhaus Nicht nur in der Stadt Zürich vermerken die Vormundschaftsbehörden steigende Fallzahlen. So mussten 2008 in der Stadt Zürich knapp 2000 Kindesschutzmassnahmen angeordnet werden: dreimal mehr als vor 25 Jahren. Während sich in Zürich und in Winterthur allerdings Fachgremien um das Vormundschaftswesen kümmern, befassen sich in den übrigen Gemeinden Laienbehörden mit den Fällen. In kleinen Gemeinden amtet oft der Gesamtgemeinderat als Aufsichtsbehörde für vormundschaftliche Belange. Die zunehmende Überforderung durch mehr Fälle und komplexer gewordene Aufgaben ist deshalb nicht nur seit dem «Fall Bonstetten» ein Thema (siehe Kasten).

Politische Räson Nach jahrelanger Diskussion nahm der Bundesrat im Jahr 2006 die Totalrevision des Vormundschaftsrechts in Angriff. In der Vorlage ist unter anderem die Professionalisierung der Kinderund Erwachsenenschutzbehörden verankert, die nun auch im Kanton Zürich umgesetzt werden soll. Ein erster Entwurf des Kantons sah vor, in allen zwölf

Zürcher Bezirken eine Verwaltungsbehörde zu installieren, der mindestens drei Fachleute aus den Bereichen Recht, Sozialarbeit und Pädagogik/Psychologie angehören sollen.

Regionale Lösungen bevorzugt Der ehemalige Oberrichter Daniel Steck, der im Auftrag des Regierungsrats einen Bericht verfasst hatte, schlug zwar als praktikabelste und schlankste Lösung Fach- oder Familiengerichte vor. Aus politischer Räson entschied sich der Kanton aber dafür, die neuen Behörden bei den Bezirksräten anzugliedern. Die vom Volk gewählten Statthalter hätten bei der vom Kanton vorgeschlagenen Lösung das Präsidium der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden übernommen, während die fachlich qualifizierten Behördenmitglieder vom Regierungsrat eingesetzt worden wären. Die Entscheide dieser Behörde

.........................................................................................................................................................................

Mehr Gewalt, mehr Konflikte cn. In allen grösseren Gemeinden des Kantons Zürich hat die Zahl der Kindesschutzmassnahmen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Dass mehr Fälle registriert wurden, hängt auch mit der gestiegenen öffentlichen Sensibilität sowie den Auswirkungen des neuen Gewaltschutzgesetzes zusammen. Zudem kommt es vermehrt zu konfliktgeladenen Scheidungen und zu psychischen Problemen bei Eltern und Kindern. Manchmal zeigt sich die zunehmend registrierte Überforderung von Laienbehörden in Tragödien wie im Fall Thiago: Der vierjährige Bub aus Nieder-

Submission der Stadt Winterthur kg. Das Winterthurer Schul- und Sportdepartement hat bei einer Ausschreibung «krass willkürlich» gehandelt: Das ist einem Urteil des Verwaltungsgerichts zu entnehmen. Es ging um die Lieferung von 223 Beamern für die städtischen Sekundarschulen; elf Firmen reichten Angebote zwischen 390 000 und 560 000 Franken ein. Eine Firma, die an der Submission teilgenommen hatte, aber nicht zum Zug gekommen war, wehrte sich gegen den Vergabeentscheid des Departementes. Sie hat jetzt vor Verwaltungsgericht recht bekommen. Der Auftrag muss neu an die betreffende Firma vergeben werden, die Stadt muss die Gerichtsgebühr von 3210 und eine Entschädigung von 1000 Franken bezahlen. Bei Ausschreibungen bestehe zwar ein «erheblicher Beurteilungsspielraum», heisst es im Urteil, insbesondere bei der Frage, welches Angebot das «wirtschaftlich günstigste» sei. Und in dieses Ermessen greife das Verwaltungsgericht nicht ein – es sei denn, es gehe um «eine allfällige Überschreitung oder einen Missbrauch des Ermessens». Das war beim vorliegenden Vergabeentscheid der Fall. Das Schul- und Sportdepartement habe für das Kriterium «Serviceleistung» qualitative Aspekte gar nicht berücksichtigt, jedoch die Kosten für Ersatzlampen stark gewichtet, obwohl ein Ersatz frühestens nach drei Jahren nötig werde. Auch habe es Zahlen verwendet, die nicht mit denen aus den Offerten überein stimmten. So seien bei der Siegerin der Ausschreibung tiefere Reparaturkosten als die offerierten in die Berechnung eingeflossen. Auch seien die Fahrtkosten bei ihr nur halb, bei der beschwerdeführenden Firma dagegen doppelt gezählt worden. Wären die korrekten Zahlen verwendet worden, hätte letztere in der Ausschreibung den ersten Platz belegt. Urteil VB.2009.00623 vom 10. 2. 2010; noch nicht rechtskräftig.

hasli war an den Folgen von Misshandlungen gestorben, die ihm seine Mutter zugefügt hatte – weil die über die Missstände informierte Behörde zu spät reagiert hatte. Schlagzeilen machte aber auch ein weniger gravierender Fall aus Weisslingen. Ein Erstklässler wurde 2008 von der Polizei zu Hause abgeholt und in ein Heim gebracht, weil er den Unterricht gestört hatte. Die von der zuständigen Gemeinderätin, einer Krankenschwester, verfügte Heimeinweisung wurde vom Bezirksgericht Zürich als «fachlich und juristisch nicht fundiert» korrigiert.

der Praxis zu einigen Erschwernissen führen dürfte. Laut Steck eignet sich als Lösung auf regionaler Ebene hauptsächlich das Sitzgemeindemodell. Zweckverbände böten sich dagegen vor allem für politisch heikle hoheitliche Aufgaben an, was für den Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes nicht zutreffe. Der Vorteil des Sitzgemeindemodells ist, dass es mit den geringsten Infrastrukturausgaben umgesetzt werden kann und trotzdem Effizienz und Professionalität bei den Abläufen garantiert. Zu einem Problem dürfte aber die Grösse der einzelnen Kreise werden. Auf eine dreiköpfige Fachbehörde müssen nämlich mindestens 1000 laufende vormundschaftliche Massnahmen und 250 Neuanordnungen kommen, damit die nötige Routine erreicht werden kann. Um auf genügend Fallzahlen zu kommen, müssten aber Kreise von 50 000 bis 100 000 Einwohnern geschaffen werden. In der Vernehmlassung wehrten sich die Gemeinden aber gegen solch grosse Kreise und sprachen sich für ein Einzugsgebiet von mindestens 20 000 Einwohnern aus.

Gemeinden sind skeptisch In den nächsten Tagen will der Regierungsrat bekanntgeben, wie die Revision des Vormundschaftsrechts im Detail aussehen wird. Anhand von Vorinformationen gehen die Gemeinden heute davon aus, dass der Kanton eine interkommunale Lösung präsentieren wird. Die Gemeinden hätten dann die Wahl zwischen Zweckverbänden und dem Sitzgemeindemodell. Wie der Vorsteher des Verbandes der Gemeindepräsidenten, Hans-Peter

Hulliger, gegenüber der NZZ ausführte, entspricht diese Variante dem Wunsch der Gemeinden nach Autonomie am ehesten. Wirklich glücklich sei man aber auch mit diesem Modell nicht. Nach Ansicht der meisten Gemeindebehörden hat sich die bisherige Praxis nämlich bewährt. Meist seien, so Hulliger, die lokalen Behörden mit dem Umfeld der Betroffenen vertraut; und wegen der kurzen Wege in einer Gemeinde sei der Kontakt zu anderen involvierten Stellen, etwa der Schule, schnell hergestellt. Dank den guten Kenntnissen der näheren Umstände hätten Laienbehörden zudem einen hohen Effizienzgrad. Bei komplizierten Fällen sollten die Behörden die Möglichkeit haben, Fachleute zuzuziehen.

Gemeinden müssen zahlen

In Fachkreisen und beim Kanton zweifelt man daran, ob sich die Gemeinden mit dem Beharren auf einer kommunalen Lösung wirklich einen Gefallen getan haben. Dass die Bildung von Behördenkreisen hier und dort zu erheblichen Spannungen führen kann, ist spätestens seit der Entstehung neuer Betreibungskreise bekannt. Zudem dürfte eine zweistufige kantonale Gerichtsinstanz die Verfahren nicht gerade erleichtern. Ins Gewicht fallen aber vor allem die Kosten. Der Kanton verhehlte nie, dass die Bildung von Fachbehörden in jedem Fall zu Mehrkosten führt: Bei einer kantonalen Organisation auf Bezirksebene wäre allerdings der Kanton in der Pflicht gewesen, während bei einer interkommunalen Organisation die Gemeinden zusätzliche Ausgaben übernehmen müssen.

Wenn aus Konsumenten Bauern werden

VERWALTUNGSGERICHT

Verwaltung rechnet falsch

wären in einstufiger gerichtlicher Instanz direkt beim Obergericht anfechtbar gewesen. Trotz der regierungsrätlichen Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der auf Autonomie bedachten Gemeinden fiel der Vorschlag in der Vernehmlassung komplett durch. Fast alle Gemeinden lehnten die Kantonalisierung der Behördenorganisation ab und befürworteten stattdessen interkommunale Lösungen. Wie Daniel Steck in seinem Bericht darlegte, bieten sich dafür zwei Möglichkeiten an: Entweder schliessen sich die Gemeinden zu überkommunalen Zweckverbänden zusammen, oder sie entschliessen sich für das sogenannte Sitzgemeindemodell. In diesem Fall würde eine Gemeinde die Behörde bestellen und die vormundschaftlichen Aufgaben auch für Anschlussgemeinden übernehmen. Allerdings wäre bei überkommunalen Lösungen ein zweistufiges Gerichtsverfahren nötig, was in

Die Gartenkooperative «Ortoloco» baut in Dietikon ihr eigenes Gemüse an

Den Wunsch nach einem eigenen Gemüsegarten hegen wohl viele Städter. Die Initianten von «Ortoloco» haben ihre Vision verwirklicht und eine Gartenkooperative ins Leben gerufen. Andrea Kucera Sie sind jung, leben in der Stadt Zürich und haben genug vom abgepackten Gemüse im Supermarkt, das oft nach nichts schmeckt. Sie haben die Nase voll von unfairen Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und langen Transportwegen. Vor allem aber wollen sie selbst bestimmen können, was bei ihnen auf den Teller kommt. Eine Gruppe junger Zürcherinnen und Zürcher hat deshalb vor wenigen Wochen die genossenschaftlich organisierte Gartenkooperative «Ortoloco» ins Leben gerufen.

Grosse Resonanz Die Idee hinter dem Projekt ist simpel, und wurde an verschiedenen Orten bereits erfolgreich erprobt: Die Genossenschaft pachtet ein Stück Land bei einem Bauern aus der Umgebung und baut dort ihr eigenes Gemüse an. Alle Beteiligten arbeiten pro Saison eine bestimmte Anzahl Stunden auf dem Hof und beziehen dafür einmal wöchentlich zum Selbstkostenpreis saisonale Produkte vom Hof. Was in der West- und

Mitglieder von «Ortoloco» stellen in Dietikon ein Gewächshaus auf. Nordschweiz seit über 30 Jahren funktioniert, sollte auch in Zürich möglich sein, dachten sich der 28-jährige Christian Müller und seine WG-Genossen. Die Freunde hatten seit längerem mit dem Gedanken gespielt, ihr eigenes Gemüse anzubauen. Doch erst die Wirtschaftskrise hatte vor einem Jahr den Anstoss für die Realisierung ihrer Vision gegeben. «Wir wollten uns diesem Kasinokapitalismus entziehen», erinnert sich Müller, «und zumindest ein Stück weit selbstbe-

.........................................................................................................................................................................

Den Zwischenhandel umgehen aku. Projekte wie die Zürcher Kooperative «Ortoloco» erleben gegenwärtig eine eigentliche Blütezeit: Ebenfalls auf die neue Anbau-Saison hin entsteht in Zürich unter dem Namen «Pflanzplatz Dunkelhölzli» ein weiteres gemeinschaftliches Anbauprojekt. Und in Winterthur existiert seit dieser Woche ein neuer Lieferdienst für biologisches Gemüse, wobei die Abonnenten an mindestens einem Tag in der Woche auf dem

Betrieb mitarbeiten. Ebenfalls vor kurzem wurde in Bern unter dem Namen «SoliTerre» eine weitere Kooperative ins Leben gerufen, die mit mehreren BioBauern im Raum Bern Lieferverträge abgeschlossen hat. All diesen vertragslandwirtschaftlichen Projekten ist gemeinsam, dass sich Konsumenten mit den Landwirten – meist solchen aus dem Bio-Landbau – kurzschliessen, um den Zwischenhandel zu umgehen.

ADRIAN BAER / NZZ

stimmt leben.» In der Folge machten sich Müller und seine Mitstreiter auf die Suche nach weiteren Sympathisanten – und stiessen auf grosse Resonanz: Bei der Gründungsversammlung von «Ortoloco» Anfang März waren über 50 Personen anwesend, darunter Studenten, Rentner und Familien. Ein Grossteil unter ihnen liess sich begeistern und wurde Genossenschafter. Zudem hatte sich Bio-Bauer Samuel Spahn aus Dietikon bereit erklärt, «Ortoloco» eine halbe Hektare Land zu verpachten.

soll sich ändern: Durch die Mitarbeit auf dem Hof werden die Mitglieder von «Ortoloco» direkt am Anbau beteiligt: Sie helfen bei der Aussaat, bei der Ernte und dann wieder beim Abpacken der Produkte. Einmal pro Woche wird das Gemüse an verschiedene Standorte in der Stadt Zürich geliefert, der Zwischenhandel wird damit umgangen. Pro Jahr müssen alle Genossenschafter an mindestens vier Halbtagen auf dem Hof mitarbeiten; wer will, kann auch öfters nach Dietikon fahren. Schliesslich soll der Hof zu einem Begegnungsort werden, an dem künftig weitere Projekte entstehen können. Dieses Jahr beschränkt sich «Ortoloco» auf den Anbau von Feingemüse, später könnten Lagergemüse und Getreide dazukommen und irgendwann vielleicht sogar eine Bäckerei. Doch die Initianten sind sich der Grenzen ihres Handlungsspielraumes bewusst: «Wir sind keine Aussteiger», stellt Müller klar. «Wir wohnen weiterhin in der Stadt und arbeiten im Büro.» Einen Teil ihrer Freizeit werden die Mitglieder von «Ortoloco» künftig aber dem gemeinsamen Gemüsegarten widmen – in der Hoffnung, dass sie im Juni zum ersten Mal die Früchte ihrer eigenen Arbeit ernten können. «Und sollte es einen Sommer lang hageln», bemerkt Müller lapidar, «dann müssen wir halt wieder in der Migros einkaufen.»

ANZEIGE

Grenzen der Selbstversorgung Noch liegt die Erde brach, doch wird dieser Tage ein Gewächshaus aufgebaut, und in rund einer Woche werden die ersten Setzlinge gepflanzt. Da die meisten Genossenschafter in Zürich zu Hause sind und kaum eine Ahnung von Landwirtschaft haben, wurde zur Unterstützung eine ausgebildete Gärtnerin engagiert, die den Anbau managen wird. Denn laut Müller wissen viele unter ihnen nicht einmal, wann welches Gemüse gerade Saison hat. Doch das

Meister Boutique Münsterhof 20 8001 Zürich 044 211 14 66 www.meistersilber.ch 10CAsNsjY0MDAx1TU0MLI0MwAAVADNIw8AAAA=

10CEWKSwqAMBDFTtThvWmnfmZp21URUfH-R7G4MRCySe9ugs-t7nc9nUCyQOiS4bQomDgK0ZgdOgCxUpU6JzP_71BLuIAGPKAcpb1HD-inXQAAAA==

Opalino by