Vor Sonnenuntergang

oder wesentlich geänderte Textabschnitte aus. Hasko und Papenhagen (Bremervörde 2007, vergriffen), Kruses Golfspiel (Bremervörde. 2009, vergriffen), Der ...
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Manfred Tiede

Vor Sonnenuntergang Novellen

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Manfred Tiede Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1207-3 ISBN 978-3-8459-1208-0 ISBN 978-3-8459-1209-7 ISBN 978-3-8459-1210-3 Mini-Buch ohne ISBN

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Die Novellen und Skizzen sind neu erstellt oder wesentlich geänderte Textabschnitte aus Hasko und Papenhagen (Bremervörde 2007, vergriffen), Kruses Golfspiel (Bremervörde 2009, vergriffen), Der Schattenspringer (Berlin 2011) oder Ein katalanischer Gauner (Berlin 2013). Die überarbeitete Novelle Privatdozent Dr. Schneekloth ist unter gleichem Namen in erster Fassung erschienen in Hasko und Papenhagen.

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Vor Sonnenuntergang

Ein Golfspieler, der Name tut hier nichts zur Sache, ist auf dem Golfplatz allein unterwegs und trifft den ersten Vorsitzenden des Clubs zufällig dort, wo eine sehr schöne Ruhebank zum Niedersetzen und Verweilen einlädt. Der Golfspieler nickt dem ersten Vorsitzenden, den er eigentlich nur flüchtig kennt, freundlich und wiedererkennend zu und nimmt ohne Umschweife neben ihm Platz; denn dieser hatte zuvor einladende Bewegungen vollführt und auf den freien Platz auf der Bank neben sich gedeutet. Der auf der Ruhebank weilende ältere Herr, besagter erster Vorsitzende, hatte dort bereits seit geraumer Zeit verschnauft, so dass er sich allmählich langweilte und nun recht angetan ist, dass er jemanden zum Plaudern gefunden hat. 5

Der ältere Herr trägt eine imposante Glatze, die sich voller runder Schweißperlen darbietet und von ihm emsig abgewischt wird. Der neben ihm sitzende Golfspieler bemerkt, dass der hierbei verwendete Lappen nicht mehr frisch zu sein scheint. Er befindet jedoch für sich, hierauf nicht näher einzugehen und das Gewische einfach zu übersehen; denn er ist froh, Gelegenheit zu haben, mit dem ersten Vorsitzenden einige Worte wechseln zu können. Der ältere Herr ist nämlich ein umgänglicher, geselliger, friedfertiger Mann, dessen Nähe gern gesucht wird. Jedoch wird gesprochen, auch dies ist allgemein geläufig, er winde sich mitunter um die Dinge herum. Er scheue Auseinandersetzungen und vermeide beharrlich, Entscheidungen zu treffen. Er beschränke seine Tätigkeiten für den Golfclub lieber darauf, präsent zu sein und ansprechbar - was ja auch etwas ist. Auch gebe er selten eine klare Antwort, sei die Frage auch noch so einfach.

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Neben der Entscheidungsschwäche wird dem ersten Vorsitzenden nachgesagt, dass er etwas ungehobelt und ganz gewiss nicht von hoher Intelligenz ist. Im Grunde sei er sogar dumm, wird von manchem geäußert. Doch ist er nun wieder nicht so dumm, als dass er sich selber für einen klugen Menschen halten würde. Nein, er kann seine Grenzen recht gut einschätzen. Er beendet einfach ein Gespräch, wenn es droht, ihm über den Kopf zu wachsen. Nun, er kommt aus einfachen, wenn auch nicht unvermögenden Verhältnissen. Verfressen ist er auch noch; ihn ziert ein kugelrunder Bauch. Von weitem könnte man meinen, dass er eine Trommel vor sich herschiebt. Einige sagen deshalb, wenn sie ihn sehen: Dort kommt die Trommel. „Sagen Sie mal“, so beginnt der Golfspieler, der es sich neben dem ersten Vorsitzenden bequem gemacht hat, nach kurzer Begrüßung den Plausch, „finden Sie nicht auch, dass es auf dem Platz in der Nähe des dritten Loches

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zuweilen etwas stinkt? Dass es dort nach frischer Jauche oder dergleichen riecht?“ Der erste Vorsitzende möchte vermeiden, dass sein Golfplatz wegen übler Gerüche ins Gerede kommt und antwortet deshalb, wie es seine Art ist, ausweichend: „Gestern hatten wir Linsensuppe, prächtige Linsensuppe, jawohl.“ „Nach frischem Dreck von Schweinen, so scheint mir, riecht es dort zuweilen“, fährt der Golfspieler munter fort. „Dies ist mir aufgefallen, schon mehrere Male. Aber vielleicht handelt es sich auch nur um die Güllefahne, die vom Bauernhof der Hufnagels stammt und am Loch drei bei Nordwind zuweilen zu riechen ist. Oder stammt der Gestank am Ende gar von Wildschweinen?“ Der erste Vorsitzende antwortet mit Nachdruck und schon etwas lauter: „Wissen Sie, Linsensuppe schmeckt erst so richtig, wenn ein Lappen Bauchspeck mit gekocht wird! Meine Frau, die Ilsabe, legt immer zwei Stück Bauchlappen rein, aber kleine!“ Zufrieden 8

blickt er auf seinen Gesprächspartner, was der wohl dazu zu sagen habe. „Aber ich bin sicher“, erwidert dieser und fährt unbeeindruckt fort, „ein Muffelgeruch liegt dort im Tal. Hühnerfedern habe ich dort auch schon gesehen, obwohl das Federvieh mit dem Geruch nichts zu tun haben dürfte.“ „Nein“, bestätigt der ältere Herr und wendet sich dem bequem sitzenden Golfspieler zu, seine Linke vertraulich auf dessen rechten Arm legend, „gut dass Sie darauf hinweisen. Hühnerfleisch hat in der Linsensuppe nichts zu suchen. Wie gesagt, Bauchlappen verwendet die umsichtige Hausfrau. Allenfalls noch angeräucherte Mettwurst, aber die passt eher zur Erbsensuppe. Wie denken Sie darüber?“ „Nun sagen Sie bloß“, lacht da der Golfspieler und befreit seinen rechten Arm, „Sie haben dort den Muffel gerochen und auch Hühnerfedern gesehen!“ „Das habe ich so nicht gesagt, junger Freund“, bemerkt der erste Vorsitzende und tupft erneut mit einem großen Lappen auf die 9

Schweißperlen seiner in der Tat recht ausladenden Glatze. „Das habe ich so keineswegs gesagt. Erbsensuppe ist doch eher was für die kühle Zeit. Linsen aber, die essen wir auch im Sommer einmal pro Woche. Jawohl, mit Bauchspeck.“ „Und Abdrücke von Pferdehufen sind Ihnen noch nie am Loch drei aufgefallen? Die sehe ich dort einmal pro Woche, fast immer am Montag.“ „Montags, das ist richtig, montags gibt es Linsensuppe.“ Dann wendet sich der erste Vorsitzende dem Golfspieler in ganzer Breite zu, legt die Arme bequem auf seine Trommel und ergänzt freundlich: „Soviel zu Ihrer Frage. Guten Tag!“ Damit kann sich der Golfspieler als entlassen ansehen. Widerspruchslos und erheitert erhebt sich dieser, vollführt eine drittel Verbeugung und setzt die unterbrochene Runde des Golfspiels fort. Der erste Vorsitzende sitzt nun abgewandt auf der Bank und lächelt in die Strahlen der 10

untergehenden Sonne. Die können gerade auf der Bank, die er sich ausgesucht hat, so recht genossen werden.

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Privatdozent Dr. Schneekloth Novelle Kapitel 1

Je älter Friedrich wurde, desto mehr ähnelte sein Kopf einem Eimer. Dies könnte ihm aus der Linie mütterlicherseits vererbt worden sein; denn dort lebte einst ein schlichter Vorfahre, dessen Kopf groß war und lang, so wie ein Wassereimer. Dieser Vorfahre hieß ebenfalls Friedrich und wurde „Fiete“ gerufen. „Dort kommt Fiete, der Eimer“, hieß es damals. Der Friedrich, von dem hier die Rede sein soll, war nicht irgendein Fiete, obwohl er so gerufen wurde. Im Vergleich zum gleichnamigen Vorfahren war er gesellschaftlich nämlich steil aufgestiegen: Er war ein Akademiker vom Feinsten! 12

Fiete besaß einen Gelehrtenschädel, keinen Eimer als Kopf wie sein Vorfahre mütterlicherseits. Jedoch, es deutete sich bereits eine geringe Ähnlichkeit mit einem Eimer an. Fietes Mutter sah dies mit Unbehagen; denn sie kannte ihre Familie und wusste, was in ihr steckte und was ihr Sohn Fiete vielleicht noch entfalten könnte. Nun, zu der Zeit, in der diese Erzählung spielt, war der Kopf unseres Friedrich noch nicht so weit entwickelt, dass er auf den ersten Blick einem Eimer geglichen hätte. Was allenfalls Sorge machen konnte, waren schleichende, kaum wahrnehmbare Veränderungen seines Antlitzes. Insbesondere waren es die Bäckchen, die sich zu runden begannen, dabei etwas ins Ovale gerieten und die sozusagen den unteren Bereich eines Eimers auszufüllen sich anschickten. Wer Fiete erstmalig begegnete, erkannte besagte Entwicklung hin zu einem Eimer noch nicht. Er schaute gewöhnlich zu aller erst, oft

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auch mit Vergnügen, das ist wahr, auf die schönen halbrunden Bäckchen. In jüngeren Jahren war das noch ganz anders. Früher saß zwischen Fietes Schultern ein länglicher Schädel, der sich spitz zum Kinn hin verlor, so wie bei vielen, die links vom Bungsberg lebten, der höchsten Erhebung im Holsteinischen. Auf der rechten Seite dieses Berges hingegen waren, nebenbei gesagt, eher die runden Schädel zu Hause. Also Fietes länglicher Schädel verlor sich seinerzeit noch spitz hin zum Kinn und war noch nicht mit den schönen halbrunden Bäckchen der späteren Tage aufgemacht. Jedoch, was an Fietes Kopf – neben den schönen gesunden Bäckchen – damals wie heute ins Auge sprang und übrigens in seiner Familie ohne Beispiel war, das war sein Mund. Dieser war scharf geschnitten und saß schief unter der Nase. Den Mund trug Fiete links hoch gezogen, was ihm auf dieser Seite ein fast fröhliches Aussehen verlieh, wohingegen sich der Mund 14

auf seiner rechten Seite nach unten neigte. Man kann grob - aber mit Fug und Recht – sagen: Rechts hing das Maul nach unten durch. Rechts wurde der Gegenüber an einen Schlaganfall erinnert oder an die Melancholie einer bekümmerten Person. So verriet im Grunde die Art, wie Fiete in jungen Jahren und auch jetzt noch seinen Mund trug, dass in ihm beides stecken mochte, nämlich ein froher Mensch und zugleich eine durch Wehmut gezeichnete Person. Wenn Fiete bei seinem im örtlichen Schwimmbad einmal pro Woche konsequent durchgeführten Schwimmtraining ins Wasser sprang, konnte dies den einen oder anderen Schwimmgast in Verwirrung setzen. Fiete schwamm nämlich sehr schnell. Doch das ist nicht der Punkt. Eine Bahn schwamm er in Rückenlage und die nächste in Bauchlage. Er überholte, weil er so schnell war, fast jeden. Wer also als normaler Badegast im Wohlbefindensbereich so vor sich hin schwamm, konnte erleben, dass er von Fiete überholt 15