Stadtgespräche aus Karlsruhe

mitzuführen hatte, wurde die Wasserverdrängung und damit die La- demenge errechnet ... seminare für angehende »Eichmeister« zu geben, »Crash-Kurse« für.
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Karlsruhe Matthias Kehle Kirsten Bohlig

Stadtgespräche aus

Karlsruhe Matthias Kehle Kirsten Bohlig

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© 2015  –  Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat/ Redaktion: Ricarda Dück Satz: Alexander Somogyi Umschlaggestaltung: Alexander Somogyi Bildbearbeitung: Alexander Somogyi Kartendesign: Mirjam Hecht Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN Printed978-3-8392-4701-3 in Germany ISBN 978-3-8392-1713-9

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Von Kähnen und Schafen /// Horst Bechtold betreibt die Schiffsmeldestelle am Rheinhafen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Wo Esel und Hasen sich gute Nacht sagen /// Steffi Lackner liebt den Alten Flugplatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Von Mörtelwannen und Kronleuchtern /// Thomas Merkl im ehemaligen Badischen Generaldepot. . . . . . 23 Weite Sprünge an der Alb /// Heike Drechsler trainiert rund um die Europahalle. . . . . . . . . . . 27 Ein Zukunftsmuseum /// Peter Weibel ist Direktor des ZKM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Ein Stück Paris in der Südweststadt /// Friedbert Munz lebt bei der Hirschbrücke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Eine Frau guckt in die Röhre /// Ulrike Schmidt baut am Mühlburger Tor an der U-Strab mit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Keine Stecknadel im Heuhaufen /// Sandie Wollaschs Karriere begann am Ludwigsplatz . . . . . . . . . . 47 Unterschriften für einen besonderen Bau /// Pia Deckwart arbeitet in der Karl-Apotheke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Mit Tröten, Triangeln und Mehl im Sack /// Hans Rüdiger Kucich ist Schauspieler am Kammertheater .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Des Wachtmeisters Lieblingsgericht /// Karl-Heinz Piepers Leidenschaft für den Bundesgerichtshof .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Krimskrams beim Pfennigbasar /// Renate Nobbe und die Schwarzwaldhalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Schwule Pinguine und halluzinogene Kröten /// Mario Ludwig entspannt im Zoologischen Stadtgarten . . . . . . 71

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Der Herr der Haie /// Norbert Lenz leitet das Naturkundemuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Die Grande Dame der Literatur /// Vera-Maria Wieland erinnert sich an das Scheffelhaus . . . . . . . . 83 Unter der Kuppel des Büchertempels /// Eva Klingler »mordet« in der Badischen Landesbibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Von Orangenbäumen zur modernen Kunst /// Pia Müller-Tamm führt die Staatliche Kunsthalle . . . . . . . . . . . . . 93 Die Akupunkturnadel der Stadt /// Barbara Denzler zieht es auf den Schlossturm . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Baustelle statt Obst und Gemüse /// Christiane Daubenberger macht sich Gedanken zum Marktplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 17 tote Adlige und 18 Särge /// Annette Borchardt-Wenzel steigt in die Fürstengruft . . . . . . 107 Ein Tausendsassa in Blau-Weiß /// Martin Wacker ist Stadionsprecher im Wildpark . . . . . . . . . . . 113 Die Elite der Maschinenbauer /// Professorin Britta Nestler forscht am KIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Von Bombentrichtern und Marktschreiern /// Harald Hurst erzählt von seiner Kindheit am Lidellplatz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Magisches Dreieck für junge Tänzer /// Birgit Keil steht an der Spitze des Badischen Staatsballetts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Vom Klopapier zur Karlsruher Kunst /// Alfred Knecht ist Galerist in der Baumeisterstraße . . . . . . . . . 135

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Kurze Filme und lange Nächte /// Oliver Langewitz und das Schauburg Filmtheater . . . . . . . . . . Die Geburtsstätte der POPPETS /// Gunzi Heil und Marcus Dürr proben im Gewerbehof . . . . . Badischer Whisky im »Vogelbräu« /// Rudi Vogel braut und brennt in der Kapellenstraße .. . . . . Vorsicht, spielende Kinder! /// Alexander Rösners Firma »Gameforge« im Technologiepark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Schlachthof zum Kleinkunst-Mekka /// Britta Velhagen ist Chefin im Kulturzentrum »Tollhaus«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Pianisten und Einzelhaft /// Sontraud Speidel lehrt in Schloss Gottesaue  .. . . . . . . . . . . . . . . . Cooler Typ und heiße Action /// Stuntman Marko König heiratet auf der Karlsburg . . . . . . . . . Traumstadt mit kleinen Fehlern /// Moderator Markus Brock entspannt im Rüppurrer Freibad .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bergauf, bergab /// Ultraläufer Günter Kromer und seine Trails bei Grötzingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschlands jüngster Sternekoch /// Sören Anders empfängt auf dem Turmberg .. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bildverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Quellenverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

»En scheena Tag noch!« Der typische Abschiedsgruß veranschaulicht nicht nur die spezielle Karlsruher Grammatik, sondern auch das badische Savoir-vivre.

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Vo n K ähne n u n d Sch afen Horst Bechtold betreibt die Schiffsmeldestelle am Rheinhafen

Tief im Westen, dort wo der Arm des Hafenbeckens in den Rhein mündet, steht ein unscheinbares Haus. Etwa eine Stunde marschiert man die Nordbeckenstraße entlang, an Fabrikanlagen, Lagerhallen, Silos und Hebewerken vorbei, bevor man das äußerste Ende der Stadt erreicht, den Rheindamm. Zur Linken dröhnen die Diesel­motoren der Kähne, zur Rechten blöken Schafe unterhalb des Dammes. Hinter einem Drahtzaun beginnt das Naturschutzgebiet Ackerheck-Burgau. Zwischen Industrie und Idyll lebt und arbeitet Horst Bechtold, der in dritter Generation eine der letzten Schiffsmeldestellen der Republik betreibt. Bereits sein Großvater mütterlicherseits übte diesen Beruf aus. »Wir sind der älteste Dienstleister im Rheinhafen.« Mit »wir« meint er sich selbst, denn inzwischen ist er allein. »Früher war die Arbeit umfangreicher«, erzählt der Karlsruher, »in Zeiten ohne Telefon oder gar Handy.« Die Schiffsmeldestelle sei für die Reedereien wichtig gewesen, um mit den Kapitänen in Verbindung zu treten. »Den ganzen Fluss entlang war eine Meldestelle nach der anderen, alle paar Kilometer. Heute existiert noch eine Handvoll.« Das Prozedere lief in etwa so ab: Die Nachricht einer Reederei, welches ihrer Schiffe im Anmarsch und welche Order zu übermitteln war, ging an ihn. Daraufhin hisste er draußen die Flagge der entsprechenden Firma. »Der Schiffsführer wusste nun, dass eine Nachricht für ihn vorlag. Durch Zeichensprache und Zuruf wurde die Order weitervermittelt. »Klopfen auf die Schulter bedeutete zum Beispiel, er solle ›bunkern‹, also Trinkwasser oder Gasöl aufnehmen.« Ein Schlepper oder Raddampfer hatte meist mehrere Kähne im Schlepptau, die er dann »entließ«. Der für den Hafen bestimmte Kahn »semmte« unter Ausnutzung der Fahrgeschwindigkeit und der vorhandenen Nehrung in die Einfahrt und wurde an den Löschort gezogen. »Richtig was los« sei entlang des Rheins gewesen. Die Kommunikation funktionierte auf diese Weise bis in die 1970er-Jahre. Noch vor dem Krieg machten seine Eltern die Bekanntschaft einer niederländischen Schifferfamilie. »Den Holländern ging es in dieser 11

Historisches Foto – Horst Bechtolds Großvater mit Flüstertüte

Zeit ganz schlecht.« Seine Eltern versorgten sie (»in einem Hafen kann man nicht verhungern«). Als die Deutschen nach dem Krieg arm dran waren, halfen die Holländer. Horst Bechtold sah und aß damals seine erste Banane. »Ich wollte sie zuerst ungeschält essen.« Erst kürzlich bekam er Besuch von den Kindern der Holländer – eine Freundschaft fürs Leben, die heute so nicht mehr möglich wäre. Mittlerweile sei ein Schiff in wenigen Stunden be- oder entladen. Horst Bechtold, Jahrgang 1938, ist offiziell längst in Rente. »Aber ich mache weiter, so lange es geht.« Denn auch wenn sich das Aufgabenfeld mit den Jahren geändert hat, eine Funktion ist geblieben: das penible Registrieren, wer in den Karlsruher Rheinhafen einund wer ausfährt. Bechtolds Arbeitsplatz besteht aus einem Computer und einer Videokamera am Fenster, welche die Ausfahrt Tag und Nacht überwacht. Die aufgezeichneten Informationen überträgt der rüstige Senior in eine Datenbank. »Das ist wichtig für die Ufergeldabrechnung, eine Art Kurtaxe, welche die Unternehmen pro umgeschlagene Tonne berechnet bekommen.« Das Filmmaterial ist auch in Fahndungs- oder in Katastrophenfällen verwendbar. »Man muss wissen, wer sich gerade im Hafen befindet.« 12

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Horst Bechtold betreibt die Schiffsmeldestelle am Rheinhafen

1933/34 trat Bechtolds Großvater seinen Dienst in der Schiffsmeldestelle an, die in einem Holzhaus untergebracht war. Heute hängt über dem Schreibtisch ein Foto, das diesen mit der »Flüstertüte« zeigt, mit deren Hilfe er Kontakt zu den Kähnen und Schleppern aufnahm. Wenige Jahre später übernahmen seine Eltern den Dienst. Nach Kriegsende fackelten die Alliierten das Gebäude samt Inventar ab, die Familie errichtete daraufhin ein gewöhnliches Einfamilienhaus samt Gärtchen. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde die Schiffsmeldestelle von Bechtolds Mutter und seiner Schwester weiter unterhalten. Bechtold selbst war ursprünglich »im Pharmabereich« tätig, doch als die Mutter erkrankte, ging der Kelch der Familientradition an ihm nicht vorüber. »Ich konnte nicht Nein sagen.« Und so wurde der Karlsruher zunächst öffentlich bestellter und vereidigter »Schiffseichaufnehmer«  – den Job kannte er ohnehin von Kindesbeinen an. Bereits als Zwölfjähriger hatte er gelegentlich einen »Fährdienst« vom einen Ufer des Rheinhafenkanals zum anderen betrieben: »Eine Personenüberfahrt kostete zehn Pfennige, ein Fahrrad fünf. Über Ostern verdiente ich mir einmal 20 Mark.« Zu seinen Aufgaben als Schiffseichaufnehmer kam nach dem Tod der Mutter und Schwester das Wiegen der Ladungen hinzu. Um deren Gewicht zu ermitteln, wird gemessen, wie tief ein Schiff jeweils im leeren und vollen Zustand einsinkt. Mithilfe des »Messbriefes«, den jedes Schiff mitzuführen hatte, wurde die Wasserverdrängung und damit die Lademenge errechnet. Nachdem Horst Bechtold seinen 70. Geburtstag gefeiert hatte, fing er schließlich in Absprache mit der IHK an, Tagesseminare für angehende »Eichmeister« zu geben, »Crash-Kurse« für den Nachwuchs. »Die Nachfrage war groß, sie kamen vom Bodensee, Regensburg, Berlin, Trier und anderswo.« Karlsruhe wird eher im Schwarzwald als am größten deutschen Fluss verortet, und das, obwohl der städtische Rheinhafen heute zu den größten in Deutschland gehört, nach Mannheim ist er der zweitgrößte in Baden-Württemberg. Hier werden Öl und Kohle für das Rhein­ hafendampfkraftwerk umgeschlagen, hinzukommen Schrott, Getreide, 13