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se russischen Matrjoschka-Puppen“, erzählt Hart- lage stolz und sinniert: „Ich ha e sogar mal über- legt, ein kleines Dosenmuseum aufzumachen.“ Hartlage, gelernter Maschinenschlosser, sitzt auf der Couch und werkelt an einer Discokugel herum – gefunden auf dem Sperrmüll. „Da kommt ein Mikrowellenmotor dran.
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Sie handelt mit dem, was er sammelt. Ein Einblick in eine liebevolle Symbiose Text & Foto: Jan Menzner

Katharina Lösche tut sich schwer mit dem Wegschmeißen, genau wie ihr Mann. Vor 16 Jahren wurde daraus ein Geschäftsmodell: Sie eröffnete einen Trödelladen.

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Halt 'ne Platzfrage

Eine Handvoll brauner Blätter fällt zu Boden, als Katharina Lösche nach dem Mittagessen den Strauß blauer Blumen aus der Vase nimmt. „Warte doch wenigstens bis Freitag“, sagt ihr Mann. „Dann ist er immerhin richtig verwelkt.“ Doch Lösche hat es eilig. Sie wirft das Gesteck beherzt in den Müll, zieht die Jacke an und überquert die Straße. Die Arbeit ruft. Von seinem Platz im Wohnzimmer aus sieht Fred Hartlage, wie sie die „Vitrine“ aufschließt – das kleine Geschäft direkt an der Haltestelle „Am Hulsberg“, das der Familie den Lebensunterhalt sichert. Laut Aushängeschild im Schaufenster verkauft Lösche dort Kunsthandwerk, Antikes und mehr. Direkt am Fahrradweg baut sie einen kleinen Tisch mit einer Auswahl der Ware auf und wartet an der Tür stehend auf Kundschaft. Hinter ihrem Rücken im Geschäft steht ein altes Bakelitradio. In den Regalen: Bücher, Comics, Tischlampen, Teeservice, Ringe mit blauen Steinen. Wer hier im Laden einen Schatz entdecken will, muss sich den Weg frei schaufeln. Nur ein ganz schmaler Gang ist freigeräumt zwischen Schmuckständern voller Ketten, Bildern, Barschildern. Schrill und farbenfroh erinnert die Vitrine an ein Pop-Art-Meisterwerk. Ein Magnet für Studenten auf Schnäppchenjagd, aber auch für Sammler. Solche suchen gezielt nach Raritäten – wie die schwarze, leicht rostige Ovasil-Dose ganz oben im Regal, die früher ein Hühner-Eiweiß-Präparat enthielt. Sie ist das einzige Objekt, das sich seit der Eröffnung im November vor 16 Jahren im Laden befindet. „Es wundert mich nur, dass Fred sie noch nicht ins Haus geholt hat“, kommentiert die 45-Jährige Lösche ihr ältestes Stück. Denn alte Dosen sind die private Leidenschaft des passionierten Sammlers. Im Wohnhaus der Familie nehmen sie neben hunderten Schallplatten jeden freien Platz ein: auf der Kommode, in den Regalen und Schränken. „Manche von den Großen haben noch einmal 50 Kleine innen drin – wie diese russischen Matrjoschka-Puppen“, erzählt Hartlage stolz und sinniert: „Ich hatte sogar mal überlegt, ein kleines Dosenmuseum aufzumachen.“ Hartlage, gelernter Maschinenschlosser, sitzt auf der Couch und werkelt an einer Discokugel herum – gefunden auf dem Sperrmüll. „Da kommt ein Mikrowellenmotor dran. Der hat viereinhalb Umdrehungen. Katharina kann das dann so für 20 bis 25 Euro verkaufen.“ Neben ihm liegt ein abgetrennter Duschkopf und unter dem Klavier steht eine rote Ibanez-Gitarre: beides laufende Auktionen auf Ebay. Finden sie dort keinen Käufer, landen sie gemeinsam mit der Discokugel in der Auslage des Geschäfts. In dessen Besitz kam das Ehepaar vor 16 Jahren – ganz überraschend: „Beim Frühstück haben

wir gesehen, dass der Raum gegenüber zu vermieten war“, erinnert sich Hartlage. Dann ging es schnell: Am nächsten Tag Vertragsunterzeichnung, drei Tage später alles eingeräumt. Genug Inventar hatte er bereits angesammelt: Der Familie gehören eine Handvoll Garagen, über ganz Bremen verteilt – natürlich alle voll. „Mein Traum war es schon immer, einen eigenen Laden zu besitzen“, sagt der 53-Jährige. „Das Sammeln war halt immer Freds Leidenschaft“, sagt Lösche mit liebevollem Spott. „Ich hatte die eigentlich gar nicht.“ Sie studierte Kunstgeschichte, Philosophie, Germanistik. Drei Kinder, Familienleben und Geschäft änderten aber ihre Perspektive. Jetzt ist es ihre Aufgabe loszuwerden, was ihr Mann anschleppt. Möglichst mit Gewinn. Vielversprechende Objekte findet Hartlage bei Haushaltsauflösungen, Entrümpelungen und auf Flohmärkten. Auch Spenden erhalten die beiden. Die Leute wissen: Das Ehepaar wird ihre Erinnerungsstücke sicher nicht auf den Müll werfen.

Der Familie gehört eine Handvoll Garagen – natürlich alle voll „Wir tun uns wirklich schwer mit dem Wegschmeißen“, sagt Hartlage. „Schließlich stecken überall Arbeitszeit und Ressourcen drinne.“ Katharina Lösche steht in dieser Hinsicht Schulter an Schulter mit ihrem Mann: „Außerdem ist es ja sehr schön, wenn die Sachen weiterleben dürfen und ihre Geschichte weitergeschrieben wird“, sagt sie. Dann und wann aber bremst sie seine Sammelwut. Zum Beispiel hat es der Asterix-Comic, der im Schaufenster der „Vitrine“ steht, Hartlage angetan. „Aber meine Frau hat gesagt, ich darf das nicht nehmen“, sagt er achselzuckend und lacht. „Is halt ’ne Platzfrage. Hätten wir eine Villa, würden wir bestimmt mehr behalten.“ Auch im Geschäft ist der Platz knapp. Kann die alte, rostige Ovasil-Dose, für die sich seit 16 Jahren kein Käufer findet, weg? Katharina Lösche zögert keine Sekunde mit der Antwort: „Nö, die nimmt doch keinen Platz weg. Wegschmeißen? Das machen wir nicht!“

Jan Menzner studiert Journalistik. Früher durchstöberte er die hessischen Flohmärkte nach Asterix-Comics und Pokemon-Karten.