Nachwachsende Rohstoffe als Bildungsthema - Buch.de

Sandra Fuchs, Lena Hummel, Maya Kandler. 5 Angebote für Schulklassen: Entwicklungsprozess und Evaluation. 58. Frauke Feuss, Brigitte Hefele, Mara Müller,.
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Ökologisches Bildungszentrum München Martin Ehrlinger, Frauke Feuss (Hrsg.)

Nachwachsende Rohstoffe als Bildungsthema Ansätze für die Praxis

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Umschlaggestaltung: Sarah Schneider Umschlagabbildung: ÖBZ – Elisabeth Öschay Satz: Volker Eidems Korrektorat: Claudia Mantel-Rehbach Druck: DIP – Digital-Druck Witten Der Innenteil dieses Buches wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt. Kontaktadresse der Autoren: Münchner Umwelt-Zentrum e.V. im Ökologischen Bildungszentrum München Englschalkinger Straße 166 81927 München Tel. 089/ 93 94 89-71 E-Mail: [email protected]; Homepage: www.oebz.de; www.bewussteinkaufen.info Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-262-9 e-ISBN 978-3-86581-348-0

Ökologisches Bildungszentrum München Martin Ehrlinger, Frauke Feuss (Hrsg.)

Nachwachsende Rohstoffe als Bildungsthema Ansätze für die Praxis

5MWELTBILDUNG "AYERN

Inhaltsverzeichnis

Martin Ehrlinger

1 Vorwort

7

Frauke Feuss

2 Nachwachsende Rohstoffe – ein Überblick

8

Frauke Feuss

3 Nachwachsende Rohstoffe als Bildungsthema

20

Dorothea Bigos, Konrad Bucher, Frauke Feuss

4 Der ÖBZ-Themengarten »Nachwachsende Rohstoffe«

30

Sandra Fuchs, Lena Hummel, Maya Kandler

5 Angebote für Schulklassen: Entwicklungsprozess und Evaluation

58

Frauke Feuss, Brigitte Hefele, Mara Müller, Elisabeth Öschay, Jutta Zarbock-Brehm

6 Angebote für Schulklassen: Ansätze und Methoden

79

Frauke Feuss

7 Lehrerfortbildungen

92

Martin Ehrlinger, Frauke Feuss, Elisabeth Öschay, Jutta Zarbock-Brehm

8 Offene Angebote für Kinder und Familien

96

Sandra Fuchs, Lena Hummel

9 Erwachsenenbildung: Entwicklungsprozess und Evaluation

104

Martin Ehrlinger, Lena Hummel

10 Aktionstage: ÖBZ-Frühjahrsdult

122

Angelika Bachmann

11 Modenschau mit Naturtextilien

136

Dorothea Bigos

12 Einkaufsberater »Nachwachsende Rohstoffe«

141

Sandra Fuchs, Ulrike Wagner

13 Bauen und Wohnen

147

Frauke Feuss

14 Kreative Ansätze

156

Martin Ehrlinger, Frauke Feuss

15 Danksagungen

160

Martin Ehrlinger

1 Vorwort Inspiriert durch einen vom Umweltnetz München-Ost gestalteten Balkon auf der Bundesgartenschau 2005, hat sich das Ökologische Bildungszentrum München (ÖBZ) seit dem Jahr 2006 mit der Entwicklung und Erprobung von Bildungsangeboten zum Thema »Nachwachsende Rohstoffe« befasst. Die Ergebnisse dieses Projektes sind in diesem Buch zusammengefasst. Zunächst erfolgt ein Überblick über nachwachsende Rohstoffe: Was versteht man darunter? Welche Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen gibt es? Wo bieten nachwachsende Rohstoffe Chancen, wo liegen die Grenzen ihrer Nutzung? Kapitel 3 befasst sich anschließend mit nachwachsenden Rohstoffen als Bildungsthema. Zu welchen Themenbereichen und für welche Zielgruppen gibt es bereits Bildungsansätze und Materialien? Welche Ansätze und Ziele verfolgte das Projekt im ÖBZ? Als zentrale Infrastruktur zur Umsetzung des Projektes wurde auf den Grünflächen des ÖBZ ein Themengarten mit nachwachsenden Rohstoffen angelegt. Im vierten Kapitel werden das Vorgehen zur Entwicklung des Gartens, die Auswahl der Pflanzen, ihre Pflege und die Funktionen des Gartens beschrieben. Daran schließt sich die Darstellung der Angebote für bestimmte Zielgruppen an: Welche Veranstaltungsformen wurden erprobt? Wie wurde methodisch vorgegangen? Welche Ergebnisse wurden erzielt? Wie waren die durchgeführten Veranstaltungen aufgebaut? Diese Praxisbeispiele zeigen, dass das Thema in sehr unterschiedlicher Form aufgegriffen werden kann. Der vorliegende Text berücksichtigt Frauen und Männer gleichermaßen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde in der Regel nur die männliche Schreibweise gewählt (zum Beispiel Schüler statt Schüler/-innen).

Frauke Feuss

2 Nachwachsende Rohstoffe – ein Überblick 2.1 Kurzer Rückblick Die Verwendung von Pflanzen als nachwachsende Rohstoffe ist nicht neu. Jahrtausende lang nutzten Menschen sie auf unterschiedliche Weise. Bis zu Beginn der Industrialisierung war beispielsweise Holz ein zentraler Rohstoff mit vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten. Holz wurde als natürlicher Baustoff ebenso verwendet wie zur Herstellung von Holzkohle in der Köhlerei, ohne die es keine Glasherstellung, Eisenerzgewinnung oder Schmiedearbeiten gegeben hätte. Räume wurden mit Holzöfen geheizt und von Lampen mithilfe tierischer und pflanzlicher Öle beleuchtet. Holz als Rohstoff ist heute gefragter denn je. Andere Pflanzen lieferten neben Fasern für Stoffe und Kleidung auch Farbstoffe, um diese einzufärben. Die vielfältige Nutzung von Pflanzen erfolgte jedoch eher in kleineren bis mittelgroßen (Handwerks-)Betrieben und orientierte sich überwiegend am regionalen Bedarf und an regionalen Verwendungsarten. Die Kohle- und später die Erdölförderung verdrängten die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und läuteten die Industrialisierung ein. Die vor Millionen von Jahren durch Ablagerungen organischer Materialien entstandenen Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl bildeten forthin die Basis dieser Entwicklung und kamen weiträumig zum Einsatz. Da es in Deutschland nur wenige inländische Lagerstätten fossiler Rohstoffe gibt, die größtenteils wenig ergiebig oder inzwischen bereits erschöpft sind, wurde ihr steigenden Bedarf für die Industrie, insbesondere von Erdöl, zunehmend mit Importen aus der ganzen Welt gedeckt. Die Energiekrise Anfang der 70er-Jahre zeigte deutlich, wie groß die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Erdöl inzwischen geworden war. Die autofreien Sonntage sind den meisten von uns noch in lebhafter Erinnerung. Auf der Suche nach alternativen Energieträgern rückten Pflanzen als nachwachsende Rohstoffe wieder vermehrt ins Blickfeld. Es wurden beispielsweise Verfahren entwickelt, um aus

Was sind eigentlich nachwachsende Rohstoffe?

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Zuckerrüben, Kartoffeln und Getreide Ethanol als Treibstoff für Fahrzeuge herzustellen, der sich jedoch nach einer Entspannung der Erdölpreise auf dem internationalen Rohstoffmarkt nicht etablieren konnte. Nachdem sich die Landwirtschaft Ende der 1980er-Jahre angesichts der damaligen weltweiten Nahrungsmittelüberproduktion und damit verbundener Flächenstilllegungsprogramme anschickte, neue Einkommensquellen zu erschließen, wurden die nachwachsenden Rohstoffe erneut interessant. Parallel dazu nahm seit den 1970er-Jahren die Diskussion über wachsende anthropogen bedingte Umweltprobleme wie Treibhauseffekt, Luftverschmutzung, sauren Regen und Waldsterben, Abfallvorkommen, Wasserverschmutzung sowie die Verknappung fossiler Rohstoffe deutlich zu. Man führte diese Phänomene zum Teil auf die Nutzung fossiler Rohstoffe energetischer wie stofflicher Art zurück. Man sah in der industriellen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen Möglichkeiten, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken beziehungsweise sie zu entschärfen, da Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen größtenteils als biologisch abbaubar und CO2-neutral eingestuft wurden. Ferner bieten sich für die Forschung und Wirtschaft im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe große Potenziale für technische Innovationen und steigende Umsätze, zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Produkte und Verfahrenstechniken sowie dem Ausbau von Bioenergie. »Über 90 Prozent der regenerativen Wärme kommt aus Biomasse, vor allem Holz.« (BMU & AGEE-Stat 2010). Deutschland hat inzwischen ein großes technisches Know-how in der Entwicklung und Produktion von Anlagen zur Wärme- und Stromerzeugung, zum Beispiel aus Biomasse oder in der Aufbereitung von Biotreibstoff aus Stärke- und Zuckerpflanzen. Mit wachsendem Bewusstsein, dass die Vorräte fossiler Rohstoffe begrenzt sind, und durch die breite gesellschaftliche Diskussion über geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz sind nachwachsende Rohstoffe inzwischen stark in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. So wurde die Einführung von E10 mit 10-prozentiger Beimischung von »Biotreibstoff« mit großem öffentlichen Interesse verfolgt, und auch so manche Plastiktüte ist inzwischen kompostierbar.

2.2 Was sind eigentlich nachwachsende Rohstoffe? Nachwachsende Rohstoffe (abgekürzt auch NawaRo) sind pflanzliche und tierische Rohstoffe aus Land- und Forstwirtschaft, die nicht als Nahrungs- oder Futtermittel verwendet werden. Im Gegensatz zu fossilen Rohstoffen erneuern sie sich innerhalb einer Vegetationsperiode oder in überschaubaren Zeiträumen. Am wichtigsten sind dabei pflanzliche Rohstoffe und biogene Abfallprodukte. Beide werden sowohl energetisch als auch stofflich genutzt. Dabei werden die energiereichen, organischen Verbindungen der Pflanze, die letztendlich auf umgewandelte und gespeicherte Sonnenenergie zurückzuführen sind, als Rohstoff verwendet.

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Kapitel 2 – Nachwachsende Rohstoffe – ein Überblick

Pflanzen werden entsprechend ihrer Nutzung als nachwachsender Rohstoff zunächst in zwei Großgruppen unterteilt: • Energiepflanzen (energetische Nutzung) Die energetische Nutzung erfolgt in fester Form (biogener Festbrennstoff), in flüssiger Form (Biokraftstoff) sowie gasförmig (Biogas). Die Energie (Wärme, elektrische Energie) wird hierbei in der Regel thermisch, das heißt durch Verbrennung von festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen auf der Basis von Pflanzen, Pflanzenteilen oder pflanzlichen Reststoffen gewonnen beziehungsweise erzeugt. Biokraftstoffe auf Pflanzenölbasis zum Antrieb von Motoren werden ebenso zu den Energiepflanzen gerechnet. • Industriepflanzen (stoffliche Nutzung) Als stoffliche Nutzung wird zum Beispiel die industrielle Herstellung von technischen Ölen, Biokunststoffen, Faserstoffen, Textilien, Farben und chemischen Grundstoffen bezeichnet. Hierbei werden Pflanzen, Pflanzenteile oder pflanzliche Inhaltsstoffe industriell aufbereitet und zu Produkten verarbeitet. Pflanzen ermöglichen häufig mehrfache und unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise kann Mais als Nahrungsmittel (Zuckermais), als Futterpflanze (Maissilage) sowie als Energiepflanze (Vergärung der Biomasse zu Biogas; Herstellung von Bio-Ethanol als biogener Flüssigbrennstoff aus Stärke) oder zur stofflichen Nutzung der Maisstärke für Biokunststoffe angebaut, verarbeitet und verwendet werden. Entscheidend ist die Nutzung der Pflanze, wobei für verschiedene Verwendungsbereiche inzwischen auf unterschiedliche Pflanzensorten zurückgegriffen wird.

2.3 Welche nachwachsenden Rohstoffe gibt es? Entsprechend ihrer vorrangigen Verwendung werden nachwachsende Rohstoffe in sieben Pflanzengruppen unterteilt: • • • • • • •

Energiepflanzen Ölpflanzen Stärke- und Zuckerpflanzen Faserpflanzen Färberpflanzen Proteinpflanzen Arzneipflanzen

Wie erwähnt, bieten einige Pflanzen mehrfache Verwendungsmöglichkeiten und können daher mehreren Gruppen zugeordnet werden.

Welche nachwachsenden Rohstoffe gibt es?

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Energiepflanzen Biogene Festbrennstoffe: Durch Verbrennung von ganzen Pflanzen oder Pflanzenteilen, der sogenannten Biomasse, wird thermische Energie in Form von Wärme erzeugt, die direkt zum Heizen genutzt oder in Strom umgewandelt wird (z.B. Heizen mit Abfall- und Reststoffen der Forst- und Landwirtschaft wie Holzhäcksel oder daraus hergestellten Pellets). Es bieten sich auch besonders schnellwüchsige Pflanzen an, die innerhalb einer Vegetationsphase oder in kurzen überschaubaren Zeiträumen relativ viel Biomasse entwickeln. Sie können nach der Ernte vollständig energetisch genutzt werden. Als Beispiele seien hier Weiden, Chinaschilf und Stroh oder auch die getrocknete Biomasse von Topinambur genannt. Biogener Flüssigbrennstoff Ethanol: Zur Gruppe der Energiepflanzen werden auch Pflanzen gezählt, die sich zur Herstellung von Bio-Ethanol als Motorkraftstoff eignen. Bio-Ethanol wird den konventionellen, auf Erdöl basierenden Kraftstoffen beigemischt. Hierzu gehören alle Pflanzen, die in verwertbaren Mengen Kohlehydrate als Stärke oder Zucker enthalten (z.B. Zuckerrübe, Zuckerrohr, Mais, Getreidearten). Auch minderwertige Stärken der Stärkeindustrie und Reststoffe aus der Zuckerindustrie (Melasse) können dafür verwendet werden. Durch Vergärung mithilfe von Bakterien und Hefekulturen wird Ethanol in einem ähnlichen Verfahren wie Alkohol hergestellt, der als Spirituose konsumiert wird. Biogene Flüssigbrennstoffe (Pflanzenöle): Durch Verbrennung von Pflanzenölen (z.B. aus Raps oder Soja) kann Energie gewonnen werden, die zum Heizen oder als Kraftstoff (z.B. »Biodiesel«) genutzt werden kann und entsprechende Einsparungen fossiler Rohstoffe ermöglicht. Durch steuerliche Vergünstigungen oder Beimischungsregelungen wie dem Biokraftstoffquotengesetz (BioKraftQuG) der EU wird die Gewinnung biogener Flüssigbrennstoffe politisch gefördert. Biogas wird aus vergärungsfähiger Biomasse wie organischen Abfällen, ganzen Pflanzen oder Pflanzenteilen (z.B. Zuckerrübe, Mais, Getreide) in Biogasanlagen gewonnen. Durch Verbrennung von Biogas können zum Beispiel Heizungsanlagen betrieben oder Strom erzeugt werden.

Ölpflanzen (Nutzung als Industriepflanzen) Aus Samen, Kernen oder Fruchtfleisch von Ölpflanzen werden Öle und Fette gewonnen, die aufgrund spezifischer Eigenschaften ihrer Fettsäuren vorwiegend energetisch (Palmöl), einige sowohl energetisch als auch stofflich, wieder andere vorwiegend stofflich (Leinöl) genutzt werden.

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Kapitel 2 – Nachwachsende Rohstoffe – ein Überblick

Für die Nutzung als Industriepflanze werden Raps, Sonnenblume, Öllein, Soja, Senf, Leindotter, Ölpalmen und Saflor (Färberdistel) angebaut. Die Produktpalette reicht von Schmierund Hydraulikölen, Farben, Lacken, Linoleum (Bodenbelag mit antistatischen Eigenschaften), Firnis, Kosmetika, Seifen und Waschmitteln bis hin zur Produktion wasserdichter Gewebe. Die Verwendung von Produkten auf Pflanzenölbasis bietet eine Reihe von Vorteilen, zum Beispiel stellen sie wegen ihrer biologischen Abbaubarkeit keine Belastung für Böden und Gewässer dar.

Stärke- und Zuckerpflanzen Diese Pflanzen produzieren Kohlehydrate in Form von Stärke beziehungsweise Zucker und lagern sie in der Pflanze oder in Pflanzenteilen, häufig auch in Speicherorganen wie Knollen oder Samen ein. Pflanzen, die überwiegend Stärke liefern, sind Kartoffeln, Mais, Getreide und Erbsen. Industriell wird Stärke zum Beispiel zur Herstellung von »Biokunststoffen« (Einweggeschirr, Folien, Verpackungschips, Getränketräger), Bindemitteln (Klebstoffe) und Kosmetika (Zahnpasta, Trockenshampoo und Gesichtspuder) verwendet. Ferner wird Stärke bei der Papier- und Pappenherstellung, zur Beschichtung von Druckpapieren für Farbaufdrucke und in der Textilindustrie verwendet, um Fasern zu verschließen. Für die medizinische Verwendung können auf der Basis von Stärke Tabletten, Antibiotika oder Vitamin C hergestellt werden. Als Zuckerpflanzen werden zum Beispiel Zuckerrübe, Zuckerhirse, Zuckerrohr, Topinambur oder Zichorie angebaut. Zucker findet teilweise ähnliche Verwendungsbereiche wie Stärke, zum Beispiel als Textilhilfsmittel, Biokunststoffe, Klebstoffe und Leim, Waschmittel, Seifen, Kosmetika oder für pharmazeutische Produkte wie Penicillin und andere Antibiotika, Zitronen- und Milchsäure.

Faserpflanzen Aus Pflanzenteilen werden Fasern gewonnen, die je nach Länge und Beschaffenheit verschiedene Verwendungsmöglichkeiten bieten. Als Faserpflanzen werden Lein (Flachs), Fasernessel (eine spezielle Art der Brennnessel), Hanf, Baumwolle oder auch Chinaschilf genutzt. Langfasern werden häufig zu Textilfasern (Bekleidung, Bettwäsche, Tisch- und Küchenhandtücher), Textiltapeten, Seilen und Netzen verarbeitet. Aus Kurzfasern lassen sich Werkstoffe, Formpressteile, feuerfeste Türen (Asbestersatz), Dämmstoffe, spezielle Papiersorten, Vliesstoffe, Pflanzenanzuchttöpfe oder Mulchmaterialien herstellen.

Welche nachwachsenden Rohstoffe gibt es?

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Färberpflanzen Aus Pflanzenteilen wie Knospen, Blütenblättern, Blättern, Wurzelteilen, Samen oder Früchten können Farbstoffe gewonnen werden, die zum Färben von Textilien, Kinderspielzeug, Kosmetika und Lebensmitteln oder als Indikatoren verwendet werden. Darüber hinaus werden natürliche Farben für Schul- und Künstlerbedarf (Stifte, Wachsmaler, Wasser- und Ölfarben) sowie für das Handwerk (Wandanstriche, Holzlasuren, Lederfarbstoffe usw.) herstellt. Als Färberpflanzen werden zum Beispiel Färberdistel, Färberkamille, Färberknöterich, Färberwaid, Färberwau, Krapp, Kanadische Goldrute, Rainfarn und Brennnessel genutzt. Teilweise müssen die Gewebe durch Beizen vorbehandelt werden, um sie für eine dauerhafte und lichtechte Färbung aufzuschließen (FNR 2005).

Proteinpflanzen Proteinpflanzen zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an pflanzlichem Eiweiß aus. Zu ihnen gehören Pflanzen der Familie der Schmetterlingsblütler (Leguminosen) wie zum Beispiel Ackerbohne, Eiweißerbse, Lupine oder Soja. Proteine fallen auch als Nebenprodukte bei der Pflanzenölpressung von Soja und Raps (Presskuchen, weitere Verwendung als Viehfutter) und bei der Stärkeproduktion (z.B. Weizenproteine, vorwiegende Nutzung in der chemischen Industrie) an. Proteinpflanzen werden derzeit weniger als nachwachsende Rohstoffe als zur Gründüngung (Bindung von Luftstickstoff durch Knöllchenbakterien im Wurzelbereich) oder als Futtermittel genutzt. Sie bieten jedoch aufgrund ihres hohen Proteingehalts zukünftig für die industrielle Nutzung auch Einsatzmöglichkeiten als biologisch abbaubare Werkstoffe, Klebstoffe, Arzneimittel (hier besonders zur Einkapselung pharmazeutischer Wirkstoffe) oder Bindemittel für Farbaufträge auf Papier und Tenside (FNR 2005).

Arzneipflanzen Für die Nutzung von Arzneipflanzen werden aus unterschiedlichen Pflanzenteilen wie Samen, Blüten, Blättern, Rinden oder Wurzeln Substanzen gewonnen, aus denen zu therapeutischen Zwecken Phytopharmaka, Tees, ätherische Öle, Salben oder andere Arzneimittel hergestellt werden. Die Nutzung von pflanzlichen Inhaltsstoffen hat eine lange Tradition und ist in allen Kulturen weltweit vertreten. In Europa wurden Heilpflanzen zunächst häufig in Klostergärten kultiviert und verwendet. Als nachwachsende Rohstoffe werden inzwischen zum Beispiel Echte Kamille, Johanniskraut, Ringelblume, Brennnessel, Spitzwegerich, Salbei, Pfefferminze und Melisse in Deutschland großflächig angebaut, um relativ gleichwertige Qualitäten

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Kapitel 2 – Nachwachsende Rohstoffe – ein Überblick

und Quantitäten zu erhalten im Vergleich mit den in Wildpflanzensammlungen gewonnenen Exemplaren (FNR 2005, 2007). Neue Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der energetischen Nutzung und neue Produktionsverfahren zur Herstellung von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen werden erforscht, und es scheint, als würden immer mehr davon Marktreife erlangen und erdölbasierende Produkte ersetzen können. Auch im Bereich der energetischen Nutzung werden die Verfahren zunehmend verbessert und technische Anlagen auf spezifische Eigenschaften der nachwachsenden Rohstoffe abgestimmt. Doch steht nach wie vor die Frage im Raum, wie sie nachhaltig entwickelt und genutzt werden und welche Rolle sie als Rohstoffe der Zukunft einnehmen können.

2.4 Chancen und Grenzen nachwachsender Rohstoffe Viele Erzeugnisse aus nachwachsenden Rohstoffen waren vor einiger Zeit noch wenig bekannt. Im Jahr 2007 setzte dann eine breite öffentliche Debatte über die Nutzung von »Biosprit« ein. Ausgangspunkt war die Diskussion um die Beimengungspflicht von Bio-Ethanol zu konventionellen Kraftstoffen und die globalen Auswirkungen, die der Anbau der hierfür erforderlichen Rohstoffpflanzen nach sich zieht. Es gab neue Untersuchungen und Berichte über die Zerstörung von Regenwäldern zugunsten des verstärkten Anbaus von Ölpalmen, Soja und Zuckerrohr in tropischen Ländern. Um Anbauflächen für nachwachsende Rohstoffe zu gewinnen, werden insbesondere in tropischen Ländern zunehmend Wälder oder Moore kultiviert – mit negativen ökologischen Auswirkungen lokal wie global. Indigene Völker und Kleinbauern verlieren häufig durch die Kultivierung von Regenwaldgebieten zugunsten von Palmöl- und Holzplantagen oder Sojaanbau für den Viehfutterbedarf der Industrienationen ihren angestammten Lebensraum und ihre Existenzgrundlage und sind gezwungen, sich auf diesen Plantagen als Arbeiter zu verdingen oder sich neue Lebensräume zu erschließen. Da die Besitzverhältnisse selten vertraglich geregelt sind, werden diese Völker häufig vertrieben – zum Teil unter Androhung oder gar Ausübung von Gewalt. Zudem sind Wälder, insbesondere die noch großflächigen Regenwälder, neben Böden und Mooren wichtige Kohlenstoffsenken. In ihnen lagern große Mengen an organisch gebundenem Kohlenstoff, der durch Kultivierungsmaßnahmen zum Beispiel in Form von Brandrodung, Trockenlegung oder Umbruch der Bodenschichten als Kohlendioxid in die Atmosphäre entweicht und den globalen Treibhauseffekt verstärkt. Derzeit wird eine Regenwaldfläche von 35 Fußballfeldern pro Minute zugunsten der Rohstoffgewinnung (Holzeinschläge oder Bodenschätze wie Gold, Eisenerz, Erdöl und Erdgas) zur Nutzung als Weideland für Rindvieh, für den Bau von Großstaudämmen zur Energiegewinnung oder für den