Moerder wider Willen

Dauerregen ließ die Menschen in den Häusern bleiben, an diesem Dienstagnachmittag. Glen. Harsen war in seinem schwarzen Cadillac un- terwegs zum ...
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Frank Wynn

Mörder wider Willen Roman

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Fotolia, 48033713 - Crime scene in the forest© mangostock Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0873-1 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses eBooks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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EINS

Dauerregen ließ die Menschen in den Häusern bleiben, an diesem Dienstagnachmittag. Glen Harsen war in seinem schwarzen Cadillac unterwegs zum Johnson Store, einem kleinen Supermarkt, draußen vor der Stadt. Glen hasste es, einkaufen zu müssen, doch seit seine Frau wegen ihres Rheumas praktisch ans Bett gefesselt war, blieb nicht nur die meiste Arbeit im Haushalt an ihm hängen, er hatte auch alle Besorgungen zu erledigen. Nun war er froh, dass er sich bei diesem Sauwetter wenigstens nicht mit allzu vielen anderen Kunden zwischen den Regalen drängeln und lange an der Kasse anstehen musste. Der Schriftzug des Johnsons leuchtete ihm in hellblauer Schrift entgegen als er den Parkplatz erreichte. Glen bevorzugte es seinen neuen Cadillac in der hintersten Ecke des Parkplatzes abzustellen. 3

Bis zum Eingang musste er dadurch zwar einen längeren Fußweg in Kauf nehmen. Aber das war nicht so schlimm wie das Risiko eines Kratzers an seinem neuen Auto. Glen stellte den Motor ab. Leise fluchend beobachtete er noch, wie eine Frau sich abmühte, den Kofferraum ihres Wagens zu schließen. Das regennasse Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht. Und als sie es endlich geschafft hatte, sprang sie mit einem Satz ins Fahrzeug. Dann stieg auch Glen aus und beeilte sich, schnell unter das schützende Dach des Marktes zu gelangen, wo er sich seinen Einkaufswagen besorgte. Wie Glen erwartet hatte, befanden sich kaum Kunden im Geschäft. Das hatte allerdings nicht nur mit dem Wetter zu tun. Die Finanzkrise hatte selbst einen Riesen wie die Johnson-Kette arg getroffen. Viele Kanadier befanden sich kurz vor dem Fall unter die Armutsgrenze und schränkten ihre Ausgaben ein. Die börsennotierte Johnson-Kette befand sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten. Nicht nur dass Umsatz und Konzern-Gewinn seit zweieinhalb 4

Jahren rückläufig waren, auch der Aktienkurs hatte sich in der gleichen Zeit fast halbiert. Schenkte man dem Börsen-Jargon “The trend is your friend“ Glaube, so war eine weitere negative Entwicklung zu befürchten. Glen suchte in seinen Jackentaschen nach der Einkaufsliste und nach seinem Mobiltelefon. Er würde sicher auch heute zuhause anrufen müssen, um sich bei Emma, seiner Frau, zu vergewissern, dass er nicht nur das richtige Produkt, sondern auch die richtige Packungsgröße und die richtige Marke in den Wagen legte. Vor fünf Jahren, als Emma noch gesund war, brauchte Glen sich um nichts zu kümmern. Er ging arbeiten und brachte das Geld nach Hause. Emma kümmerte sich um den Rest. Ob das die Erziehung der Kinder war, die Arbeiten in Haus und Garten, Einkaufen, Kochen, Putzen und sogar hin und wieder das Streichen der Wände, Emma hatte alles im Griff. Doch dann kam diese Reizung im Knie, der bald Schmerzen in allen anderen Gelenken folgten. Unzählige Arztbesuche brachten hohe Rechnun-

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gen, doch keine Besserung. Im Gegenteil, die Krankheit schritt unaufhaltsam fort. Glen musste notgedrungen einsehen, dass es mit der Hoffnung auf einen erholsamen Lebensabend ein Ende hatte, und das, nachdem er sich gerade so sehr gefreut hatte, endlich in Rente zu sein. Die beiden Kinder waren ausgezogen und führten ihr eigenes Leben. In diesem Fall aber von seinen Kindern zu reden, war nicht ganz zutreffend. Tavis, sein leiblicher 27-jähriger Sohn war erst vor wenigen Monaten ausgezogen. Als Tavis noch zu Hause wohnte, war das Leben einfacher für Glen. Zu zweit fiel die Alltagsbewältigung leichter. Sowieso liebte Glen das Rumkommandieren. Einerseits war er das so gewohnt und außerdem funktionierte das auch toll. Doch ohne Tavis musste Glen die Haushaltspflichten nun alleine erledigen. Glen konnte seine Frau schon längere Zeit nichts mehr anstellen, da sie mittlerweile unfähig war selbst die einfachsten Dinge zu erledigen.

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Und dann war da noch sein zweiter Sohn, oder besser gesagt, sein Stiefsohn, Peter. In Glens Augen war dieser sowieso nur ein Plagegeist, denn Peter sorgte regelmäßig für Streit zwischen den beiden Eltern. Oft ergriff Emma Partei für ihren ältesten Sohn und dies brachte Glen zur Weißglut. Notgedrungen hatte sich Glen daran gewöhnt, dass er alleine für die wöchentlichen Einkäufe zuständig war. Für das Familienoberhaupt war dies nicht so einfach zu akzeptieren, da er ein egozentrischer, selbstliebender und von Hass und Wut nur so strotzender Mittsechziger war. Natürlich hatte Glen mal wieder den wohl einzigen Einkaufswagen weit und breit mit quietschenden Rädern erwischt, vorüber er sich innerlich maßlos aufregte! Immerhin konnte ihm nun, im Supermarkt, der kalte Herbstregen nichts mehr anhaben. Anfang November wurden die Tage wieder kürzer. Es regnete immer öfter und die Wälder verloren nach und nach ihre grünen Blätter. Die Spaziergänger kämpften sich über mit Laub be7

deckte Wege, und so mancher unter ihnen mochte schon bei seinen Planungen fürs nächste Jahr sein. Mit solchen Planungen hielt Glen sich nicht auf. Was sollte das Jahr 2013 schließlich schon Positives für ihn bereithalten? Hier in Whitehorse, einer 20.000-Einwohnerstadt im Yukon, war eh nie sehr viel los. In so einer Kleinstadt wie Whitehorse wird ein Fest wie Halloween dann fast zum Mega-Ereignis. So ein Unfug war nichts für Glen, selten konnte er sich für die Dinge Anderer begeistern. Konnte er sich überhaupt für irgendwas begeistern? Nein. Das lag wohl an seiner schwierigen Kindheit. Als Sohn eines alkoholsüchtigen Tagelöhners wuchs er in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Menschen damals hatten andere Sorgen als nur ihr eigenes Wohlbefinden. Es gab keinen Platz für Verschwendung, Freude oder Größenwahn. Knapp zwei Meter vor Glen schmiss ein Kind sich plötzlich schreiend auf den Boden. Die Mutter war offensichtlich hoffnungslos überfordert. Und jetzt versperrte dieser Bengel ihm auch noch 8

den Weg. Konnten diese Idioten denn nicht alle zu Hause bleiben, um ihrem Nachwuchs mal so ordentlich den Marsch zu blasen? Eine anständige Erziehung ist wohl ein Fremdwort für viele Eltern, dachte sich Glen. Das hätte es bei ihm nicht gegeben. Keiner seiner Kinder hatte sich jemals getraut aus der Reihe zu tanzen. Zu streng, zu autoritär oder gar unmenschlich? Nein, Glen war schon immer der Meinung, dass eine straffe Führung nur Gutes mit sich bringen würde. Da konnte er keine Rücksicht auf Gefühle Anderer nehmen. Wo hätte das denn auch hingeführt? Geradewegs in eine Sackgasse! Endlich hatte die Mutter ihr Kind wieder aufrecht stehen, und so konnte Glen mit seinem Einkaufswagen vorbeifahren und endlich seine Liste abarbeiten. Besser so, denn sonst hätte er dem Kind wohl einen Fußtritt verpasst! Heute Abend hatte Glen Lust auf Spiegeleier. Deshalb standen frische Eier ganz oben auf seinem Zettel. Aber welche nehmen? Es gab doch so viele Sorten verschiedener Höfe und verschiedener Herkunft. Es gab auch noch verschiedene 9

Größen und braune und weiße. Gut, dass es nicht auch noch verschiedene Formen gab! Er konnte sich solche banale Dinge einfach nicht merken, aber ansonsten war er der perfekte Klugscheißer. Einer der immer alles besser wusste. Ihm war es ein Rätsel, warum all die anderen Leute immer so schwer von Begriff waren. Um ganz sicher zu sein, ob er nun auch die richtigen Eier kaufen würde, nahm er sein Handy und rief seiner Frau Emma an. Sollte die ihm doch sagen, was er mit zur Kasse nehmen sollte. Doch als er ihre Nummer wählte, war besetzt. Wer sonst als sein Stiefsohn sollte wohl schon wieder die Leitung blockieren? Dies machte Glen innerlich unfassbar wütend! Emma hatte in erster Ehe bereits ein Kind gezeugt, Peter. Dieser war Glen von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Es kotzte Glen an, dass Peter jeden Tag mit seiner Mutter telefonierte, vorzugsweise dann, wenn Glen außer Haus war. Wenn er wieder vom Einkaufen zu Hause sein würde, würde er das Emma mal wieder klar machen müssen. Auf seine Weise.

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Wieder versuchte er sie zu erreichen, doch es war noch immer besetzt. Scheiß Bengel! Glen blieb nichts anderes übrig als sich ein Dutzend Eier zu packen und seine restlichen Einkäufe zu erledigen. Später würde er noch mal zu Hause anrufen. Zwanzig Minuten später hatte er dann alles besorgt, besetzt war zu Hause aber immer noch. Glen befand sich mittlerweile an der Kasse. Er hatte seinen Einkaufswagen schon geleert und wartete darauf, dass die Kassiererin ihn endlich bedienen würde. Langsam wurde er ungeduldig! Die nahm sich ja alle Zeit der Welt, um den Kunden vor ihm zu bedienen! Und dann auch noch dieses blöde Rumgeflirte. Kein Wunder, dass die Lebensmittelkette mit dieser Art von Personal den Bach runterging. Da bedurfte es keiner Finanzkrise. Elendes Miststück! Die Kassiererin, deren Namensschild sie als Abigail auswies, bemerkte den ungeduldigen Glen, der von einem Bein auf das andere hüpfte. Das halbe Leben besteht aus Warten, da kann ein wenig Geduld nicht schaden, dachte Abigail. Aber der alte Herr würde das wohl schon noch 11

lernen, wenn er es bis jetzt noch nicht kapiert hatte. Sie würde schon dafür sorgen. Auf keinen Fall würde sie in Hektik verfallen und sich sputen, nur um diese Person schneller zu bedienen. Das nächste Mal sollte er sich einfach etwas mehr Zeit nehmen, dachte sich die Kassiererin, als sie anfing Glens Einkäufe zu scannen. Beim Aufschauen fiel ihr Blick auf seinen Mund. Dieser Anblick war wie ein Stoß in die Magengrube. Sie hatte Mühe ihr Ekelgefühl zu unterdrücken. Er stand ohne Gebiss vor ihr. Und das im modernen Kanada. Hatte er keine Krankenversicherung oder war sein Aussehen ihm einfach nur egal? Oder sollte das Ganze nur ein Teil seiner Halloween-Verkleidung sein? Abigail arbeitete erst seit ein paar Monaten an der Kasse. Gut, dass ihr Arbeitgeber ihre Gedanken nicht lesen konnte und nicht ahnen konnte, wie sie über ihre Kunden dachte. Denn das wäre sicherlich ein Kündigungsgrund! Aber Abigail konnte halt nicht anders: Jeder, der an der Kasse vorbeikam, wurde begutachtet.

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Während Glen die letzte Packung Schokokekse in der Einkaufstüte verstaute, kaute Abigail gelangweilt auf ihrem Kaugummi rum. „Das macht dreiundsiebzig Dollar neunundneunzig, bitte“, sagte sie genervt. Glen hielt ihr einen Hunderter entgegen. „Das nächste Mal würde ich mir noch mehr Zeit nehmen, wir sind hier nicht in irgendeiner TalkShow.“ „Ich bin noch neu, geht halt noch nicht so schnell.“ Glen kratzte sich am Sack: „Ja, das habe ich bemerkt, Kunden anbaggern, das geht etwas schneller! Womöglich haben Sie darin etwas mehr Erfahrung, aber dafür werden Sie nicht bezahlt, junge Dame!“ Abigail entgegnete nichts. Offensichtlich war dieser Kunde nicht ganz dicht, sollte er sich doch beim Personalleiter beschweren. Sie hielt ihm das Wechselgeld wortlos entgegen und kümmerte sich um den nächsten Kunden. Glen rief jetzt noch einmal zu Hause an. Endlich war die Leitung frei! Jetzt bekam Emma ihr Fett weg, weil sie vorhin mal wieder nicht erreichbar 13

gewesen war. Nach den Eiern brauchte er nun nicht mehr zu fragen, die waren ja jetzt eh gekauft. Glen befand sich nun auf dem Parkplatz, der fast menschenleer war. Aber eben nur fast. Denn aus einem dunkelblauen Ford Mustang beobachtete Jason, ein arbeitsloser Auswanderer aus Irland, wie Glen sich seinem Cadillac näherte. Die Beschreibung, die Jason erhalten hatte, ließ keinen Zweifel zu. Das war die Person, die ihm 75.000 Dollar einbringen würde. Oder genauer gesagt, die Hälfte dieser Summe. Er musste dieses Geld mit seinem Kumpel Kevin teilen. Das war schon so in Ordnung, denn sie teilten sich ja auch die Arbeit. Wenn alles glatt lief, wären die beiden ihre ärgsten Geldsorgen schon sehr bald los. Aber jetzt galt Jasons volle Aufmerksamkeit der Person, die sich jetzt schon fast an ihrem schwarzen Cadillac befand. Gut, dass der Wagen etwas abgelegen geparkt worden war und in näherer Umgebung kein anderes Auto mehr stand.

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Glen hatte gerade seinen Kofferraum geschlossen, als plötzlich der Ford Mustang mit herabgelassenem Beifahrerfenster vor ihm anhielt. Er hörte wie jemand aus dem Inneren des Wagens seinen Namen rief. Er bewegte sich erstaunt in dessen Richtung. Wer konnte das nur sein? Dabei bemerkte er nicht, dass sich von hinten jemand an ihn heranschlich. Und dann ging alles sehr schnell. Glen spürte nur ganz kurz, dass jemand ihn packte und ihm ein Tuch gegen Mund und Nase drückte. Er versuchte sich zu wehren und schlug um sich. Er merkte, dass er nicht mehr so stark wie früher war. Ein penetranter Geruch erreichte seine Nase, dann wurde ihm schwarz vor Augen. Kevin hatte etwas Mühe den Hundert-KiloMann zu halten. Unter größter Kraftanstrengung verfrachtete er ihn durch die Beifahrertür auf die Rückbank des Mustangs. Dann schlug er den Vordersitz um und setzte sich in aller Eile vorne neben Jason. Das war nicht so leicht gewesen wie gedacht! Als Kleinkriminelle hatten die beiden zwar schon so Manches auf dem Kerbholz, doch Ent15