Wider den Methodenzwang. Skizze einer Anarchistischen ...

11.02.1994 - M.: Suhrkamp 1976; NA: ebd. 71999; EA: Against Method. Outline of an. Anarchistic Theory of Knowledge, London: Humanities Press 1975.
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in: Papcke, Sven; Oesterdiekhoff, Georg W. (Hg.): Schlüsselwerke der Soziologie; Opladen (Westdeutscher Vlg.) 2001, S.152-154

Feyerabend: Wider den Methodenzwang

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Feyerabend, Paul Karl (23.1.1924 Wien - 11.2.1994 Genf)

Wider den Methodenzwang. Skizze einer Anarchistischen Erkenntnistheorie. DA, VA: Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976; NA: ebd. 71999; EA: Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge, London: Humanities Press 1975.

„Toyota!“. „Nichts ist unmöglich!“. Mit dieser – oder einer anderen, nicht minder spontanen – Gesangseinlage würde Feyerabend heute eine Vorlesung über Wissenschaftstheorie begonnen haben, wenn er denn noch könnte. So bleiben lediglich seine schriftlichen Hinterlassenschaften, die uns allerdings nur einen recht mittelbaren Eindruck des „erkenntnistheoretischen Dadaismus“ (synonym: „Anarchismus“) vermitteln können, den er vertreten hat (vgl. aber die v. K. Sander hrsg. verbliebenen Tondokumente). „Peinlich, diese Vermengung von Werbung und Wissenschaft“, mag man sich nun gegen diesen saloppen Auftakt empören. Aber genau darum geht es: Empörung ist – und dies hat Feyerabend nicht nur erkannt, sondern auch geschickt umgesetzt – ebensogut wie jede andere Aufregung, wenn es sich darum handelt, Menschen zum Denken zu animieren, genauer gesagt sie dazu zu bringen, etwas Neues zu denken, oder zumindest ihre kritische Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was sie immer gedacht, aber bisher nie zu hinterfragen gewagt haben. „Du lieber Himmel! Jetzt geht dieser Metzner aber zu weit!“. Geht er? Nein! Denn für eine Rezension von Feyerabends Thesen gilt im besonderen, was für jede Nacherzählung lebendiger Ideen gilt: Es geht nicht nur um die Inhalte – schon langsam Staub ansetzender – Schriften, sondern um den Geist, der aus ihnen spricht. „Anything goes.“ Zu konstatieren ist, dass Feyerabend mit diesem – eigentlich lapidaren – Schlachtruf über Nacht weltberühmt und zu einem Klassiker des modernen erkenntnistheoretischen Denkens geworden ist. Vermutlich ist dieser Slogan aber von denen, die sich ihn begeistert auf ihre Fahnen schrieben, nicht minder oft missverstanden worden, als von jenen, die sich aufgebracht gegen ihn wandten. Wieso denn? Nun, grobe Provokationen („Ayatollah Popper“, „institutionalisierte Wichtigtuerei“, „kirchenlateinische Worthülsen“) und feine Ironien (eben: „anything goes“) gehören zu Feyerabends Methode, und selbige stiftet nicht nur Verwirrung, sondern kommt derartig wenig zwanghaft daher, dass sie mit trockener Hermeneutik kaum zu verstehen ist. Im weiteren werden die Thesen „Wider den Methodenzwang“ (und ihr Erfolg) nur in ihrem Entstehungskontext verständlich. Feyerabend gehörte nämlich zunächst der Schule K. Poppers an (er promovierte über die „Basissätze“ der Logik der Forschung), entwickelte sich aber umgehend zu einem der scharfsinnigsten Kritiker des Kritischen Rationalismus, freundschaftlich und intellektuell verbunden mit Thomas S. Kuhn (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen) und Imre Lakatos, der sogar – so der vom Tode L.s durchkreuzte Plan – zusammen mit F. das als dialogisch zu entwickelnde und als Streitschrift zwischen ihnen angelegte Werk Wider den Methodenzwang (WdM) mitverfassen sollte. Es nimmt die Auseinandersetzung mit der tradierten Korrespondenztheorie der Wahrheit auf, die – in der Verlängerung des Positivismus des Wiener Kreises – auch noch vom Kritischen Rationalismus vertreten wird, der zwischen Beobachtung und Wirklichkeit eine neutrale Grenze innerhalb einer Theorie zu ziehen können glaubt. Feyerabend betont demgegenüber, dass Theorie und Beobachtung keine unabhängigen – und lediglich durch Korrespondenzregeln miteinander verknüpfte – Entitäten seien, sondern dass beide ein untrennbares Ganzes bilden. Sprich: die Methode ist theorieabhängig und die Theorie methodenabhängig, so dass Theorien nicht an der Wirklichkeit scheitern können, sondern höchstens an Beobachtungen, die Methoden

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folgen. Wenn diese mit der fokalen Theorie harmonieren, mögen zwar einzelne Hypothesen derselben falsifiziert werden können. Auf diesem Wege bleibt es aber unmöglich die falsche Theorie gänzlich zu widerlegen. Dies erfordert Beobachtungen, die Methoden folgen, die nicht mit der fokalen Theorie harmonieren, die mit der fokalen Theorie nicht harmonieren, sondern mit einer anderen. Folglich muss der Theorien-Pluralismus des Kritischen Rationalismus eine halbe Sache bleiben, solange dieser einen Methoden-Monismus (der einfach empirischen Falsifikation von Theorien) vertritt. Feyerabend wendet sich im weiteren u. a. gegen die „Konsistenzvorschrift“ und das „Induktionsprinzip“ für wissenschaftliche Theorien, und zwar mit dem Argument, dass gerade die widersprüchlichen und kontrainduktiven Theorien weiter geführt bzw. zu Erkenntnisfortschritten beigetragen hätten. In Feyerabends eigener Sprache lautet diese Erkenntnis schlicht und ergreifend: „Die Konsistenzbedingung, nach der neue Hypothesen mit anerkannten Theorien übereinstimmen sollen, ist unvernünftig, weil sie die ältere und nicht die bessere Theorie am Leben hält“ (WdM, S. 53). Feyerabend vertritt demgegenüber das sogenannte „Proliferationsprinzip“, das eine permanente Neuschöpfung von Theorien vorsieht, die gleichermaßen kontrainduktiv und inkonsistent sein (d. h. mit anerkannten Theorien brechen) sollen: Man kann „Hypothesen verwenden, die gut bestätigten Theorien und/ oder experimentellen Ergebnissen widersprechen. Man kann die Wissenschaft voranbringen, indem man kontrainduktiv vorgeht“ (WdM, S. 47). Die Formel, die Feyerabends WdM berühmt gemacht hat, gewinnt vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und Prinzipien nicht nur an Kontrast, sondern nimmt den ebenso geheimnisvollen wie überzeugenden Zug der Rede eines epistemologischen Gurus an, dessen Jünger darauf drängen, endlich an seiner Weisheit teilhaftig zu werden: „Anything goes“ dürfte kaum eine faktisch gemeinte Behauptung sein und noch weniger ein Imperativ. Die Aussage ist negativ gemeint und trägt den Tenor: „Wenn es denn unbedingt sein muss, wenn ihr unbedingt irgendwelche Grundsätze von mir hören wollt, dann allerhöchstens den hier“: „Der einzige Grundsatz, der den Fortschritt nicht behindert, lautet: Anything goes (Mach, was du willst)“ (WdM, S. 35). Alltagstauglich übersetzt und um einiges weniger kryptisch heißt das: „Bevor du nun irgendeiner Methode folgst, oder gar von mir erwartest, dir eine solche mit auf den Weg zu geben, will ich dir lieber folgendes sagen: folge keinen Vorschriften, sondern mach einfach das, wonach dir der Sinn steht.“ Würde man Feyerabends „anyting goes“ statt dessen als methodologischen Satz (miss)verstehen, müsste dieser seiner Kritik selbst anheimfallen. Sinnvoll und wirksam bleibt die Aussage nur, solange sie als (negative, d. h. gegen methodologische Vorschriften gerichtete) Kritik verstanden wird. Die Aussage stellt aber weder eine Einladung zu einer unreflektierten Beliebigkeit, noch zu einem trüben Relativismus dar. Ihr Fazit könnte vielmehr so gezogen werden: „Konkurrenz belebt das Geschäft, und der Widerspruch die Wissenschaften.“ Für das Selbstverständnis der Erkenntnistheorie bedeutet das, dass sie falsch beraten wäre, sich als eine Art Normungsbehörde aufzuspielen, der es zustehen würde, richtige von falschen Erkenntnissen zu trennen. Feyerabend folgend müsste sie ihre Aufgabe vielmehr darin sehen, als eine Art Anti-Kartell-Behörde zu fungieren, die sicherstellt, dass auf dem Wissenschaftsmarkt auch weiterhin konkurrierende Theorien und Erkenntnisse gehandelt werden. Zwar haben wir es bei Feyerabend mit einem kauzigen Individualisten zu tun, der sich gegen jede – also auch die folgende – Etikettierung leidenschaftlich zur Wehr setzen müsste. Dennoch lässt sich das Wirken seiner Person relativ problemlos als das des einzigen Vertreters der „antiautoritären“ Bewegung im Ensemble der zeitgenös-

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sischen Erkenntnistheoretiker verstehen, wobei diesem die Regeln der Wissenschaft nicht weniger suspekt sind, als jenen die der Erziehung. Abschließend bleibt hervorzuheben, dass die „anarchistische“ Sichtweise Feyerabends keineswegs dabei stehengeblieben ist, eine „nur“ erkenntnistheoretische Position zu beziehen. Zwar hat es Feyerabend vorgezogen, sich vom „politischen“ (für ihn: „religiösen“) Anarchismus zu distanzieren. Ausgehend vom innerwissenschaftlichen Theorienpluralismus favorisierte er dennoch einen Pluralismus gesellschaftlicher Wissensformen, der u. a. das mythische Denken als dem wissenschaftlichen Denken ebenbürtig beurteilt (der Streit zwischen Wissenschaft und Mythos sei, so Feyerabend, „unentschieden“ ausgegangen). Und diese Auffassung wird auch „politisch“ verlängert, insofern Feyerabend hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Wissenschaft eine radikale Auffassung artikuliert, nämlich die, „dass die Trennung von Staat und Kirche durch die Trennung von Staat und Wissenschaft (..) zu ergänzen“ (WdM, S. 392) sei. Literatur: Feyerabend, Paul K.: Wider den Methodenzwang. Skizze einer Anarchistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976 (Anm.: der englische Text wurde für die ins Deutsche übersetzte Ausgabe vom Autor selbst revidiert und erweitert); ders.: Erkenntnis für freie Menschen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979; ders.: Der wissenschaftstheoretische Realismus und die Autorität der Wissenschaften, Braunschweig/ Wiesbaden: Vieweg 1978; ders.: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984; ders.: Zeitverschwendung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, ders.: Über Erkenntnis. Zwei Dialoge, Frankfurt a. M.: Fischer 1995; Döring, Eberhard: Paul K. Feyerabend. Zur Einführung, Hamburg: Junius 1998; Preston, John: Feyerabend. Philosophy, Science and Society, Cambridge: Polity Press 1997; Andersson, Gunnar, Kritik und Wissenschaftsgeschichte. Kuhns, Lakatos‘ und Feyerabends Kritik des Kritischen Rationalismus, Tübingen: Mohr 1988; Schwarzburg, Detlef: Abstraktes Denken und verwissenschaftliche Gesellschaft. Zum Theorie-Praxis-Verhältnis bei Weber, Habermas, Popper und Feyerabend, Frankfurt a. M. u. a.: Materialis 1990; Sander, Klaus (Hrsg.): Paul Feyerabend. Wissenschaftstheoretische Plaudereien, Originaltonaufnahmen 1971 - 1992 (Audio-CD), Köln: Supposé 2000.

Andreas Metzner Foucault, Michel (15.10.1926 Poitiers - 25.6.1984 Paris)

Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. DA, VA: Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974, 1999; EA: Les mots et les choses. Paris: Editions Gallimard 1966.

Dieses Werk des französischen Philosophen ist eine Darstellung der europäischen Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte von der Renaissance bis zur Moderne. Foucault behauptet, die Entwicklung von Denken und Wissenschaft sei in diesen etwa 500 Jahren in drei Epochen erfolgt. Jede dieser Epochen zeichnet sich durch ein idiosynkratisches, spezifisches kognitives Ordnungsschema aus, das von ihm „Episteme“ genannt wird. Die Episteme durchdringt und konstituiert das Denken einer Epoche vollständig, sie bildet den transzendentalen Rahmen und die apriorischen Voraussetzungen, in denen die Menschen denken. Die Episteme determiniert das Denken sowohl im Alltag als auch in der Literatur, Kunst und in den Wissenschaften. Natur- und geisteswissenschaftliche Disziplinen sind also weniger von ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten und Aufgaben bestimmt, sondern mehr von dem jeweiligen epochalen kognitiven Ordnungsschema.