Todeslogistik
Dunja Wegmann
Der Daker Band 1
Gladiator wider Willen Historischer Liebesroman © 2009 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa‐verlag.de 1. Auflage 2009 Cover: Zeichnung von Bianca Elmenhorst Printed in Germany ISBN 978‐3‐941839‐50‐2 2
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Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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„In my life I decide And it turns me on How I am, how I live, who I love In my way I feel strong And it turns me on In my life, I decide, I decide!” The Rasmus, “In my Life” Mit besonderem Dank An meine Freundin, Vertraute und zufällig auch noch Schwägerin Astrid Manneck Für ihre Worte des Ansporns, die gerade noch rechtzeitig kamen. Für ihre Kritik, dessen Ehrlichkeit ich mir sicher sein kann. Für ihre stets offenen Ohren für meine Sorgen, obwohl sie eigentlich schon genug um dieselbigen hat. 4
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Einleitung Stets sind es Nebensächlichkeiten, die den Beginn großer Veränderungen bedeuten. Es passiert unzählige Male, jeden Tag. Man nimmt es gar nicht wahr, es passiert und ist schon wieder vergessen. Doch manchmal, wenn das Schicksal mit all seiner Härte trifft, denkt man zurück und versucht sich zu erinnern, womit alles seinen Anfang genommen hat. Bei Argon war es ein aufgeschreckter Schwarm Vögel, dessen Flügelschläge seinen Blick von der Arbeit ablenkten und ihn aufsehen ließen. Es war ein Tag im Frühling des Jahres 106. Argon gehörte zum stolzen Volk der Daker, deren Land einst als das mächtigste im gesamten mittleren Europa galt. Es war reich an Bodenschätzen und seine Kultur war weiter entwickelt als die anderer Länder. Doch nach dem Tode ihres weisen Königs Burebista zerfiel das Reich in einzelne Fürstentümer. Die große Zeit war damit für Dakien vorüber. In diesen Jahren waren die Römer schon längst die alleinigen Herrscher über den Großteil der ihnen damals bekannten Welt, und doch – den Höhepunkt 5
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ihrer Macht sollten sie noch nicht erreicht haben. Wie eine Seuche breitete sich das Imperium unaufhaltsam in alle Himmelsrichtungen aus. Zu Tausenden marschierten die römischen Legionäre über die Grenzen, besetzten die Städte, plünderten die Schatz‐ kammern, töteten wahllos Männer, Frauen und Kinder oder verschleppten sie als Sklaven in ihre heimischem Steinbrüche, Häuser und Arenen. Und jedes Land musste fürchten, das nächste zu sein. Es war in jenen Tagen, als der junge Daker Gideon ein fruchtbares Stück Land am Rande der Karpaten erwarb. Dort, etwa einen halben Tagesfußmarsch von Tapae, der zweitgrößten Stadt Dakiens entfernt, baute er für sich und seine schöne Frau Viola ein kleines, aber solides Haus, wo sie als Bauern ein friedliches und glückliches Leben führen wollten, abgeschieden von den Zwistigkeiten der heimischem Fürsten und unerreichbar für die fremde Bedrohung durch Rom. In den ersten Jahren schien sich der bescheidene Wunsch auch zu erfüllen. Die Ernten waren gut, Gideon baute einen Stall für das Vieh, das er sich anschaffen konnte – und Viola gebar ihren ersten Sohn Rodan. 6
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Im Jahre 85 jedoch war ein neuer König namens Decebalus an die Spitze Dakiens getreten. Wie Gideon hatte auch er Pläne für seine Zukunft. Doch seine waren großartiger und von enormem Ehrgeiz geprägt, denn er wollte ein wiedervereinigtes Dakien, geführt von einer Hand ‐ der seinigen. Und von diesem Plan besessen wagte er einen Vorstoß gegen das Römische Reich. Der Angriff kam für die Römer nicht überraschend. Von jeher hatten sie die Daker von ihren Stellungen jenseits der Donau überwacht. Doch solange deren Fürsten sich gegenseitig innerhalb ihrer Grenzen bekämpften, ließen sie die dakischen Stämme gewäh‐ ren. Nun aber, da Decebalus sein Volk vereinigt gegen einen neuen Feind aufzubringen gedachte, überschrit‐ ten die Römer die Donau. In einer Schlacht bei Tapae lieferten sich beide Seiten erbitterte Kämpfe, aus denen sich die Daker mehr und mehr in die Anhöhen der Karpaten zurückziehen mussten. Zufrieden damit, den Gegner in seine Schranken verwiesen zu haben, traten die Römer den Rückzug zu ihren befestigten Lagern entlang der Donau an. Für einige Zeit herrschte wieder Ruhe in 7
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Dakien. Doch es sollte nur die Ruhe vor einem langen und gewaltigen Sturm sein. Auch Gideon trat mit dem Schwert für sein Land ein. Er tat es mit dem Stolz eines Dakers, aber ohne die rechte Überzeugung, denn er fürchtete Rom und glaubte an dessen Übermacht. Viola harrte während‐ dessen allein mit Rodan und seinem inzwischen geborenen Bruder Scipio auf dem Hof aus. Wie durch ein Wunder blieben sie trotz der Nähe zu Tapae unbeschadet, und auch Gideon kam zwar besiegt doch unversehrt zu seiner Familie zurück. Kurz nach seiner Rückkehr kam sein dritter Sohn Argon zur Welt. Einige Jahre später folgte seine einzige Tochter Fabia, die auch sein letztes Kind bleiben sollte. Sein Hof warf genug ab, um ihnen allen ein sorgloses Leben zu ermöglichen. Er führte ein Leben, auf das er zu Recht stolz sein konnte. Unter den Bauern der Umgebung hatte er es zu einem gewissen Ansehen gebracht. Und auch in Tapae machten die Kaufleute gern Geschäfte mit Gideon, der als zuverläs‐ sig und ehrlich galt. Gideon hätte zufrieden sein können, wenn ausge‐ rechnet Argon nicht immer wieder für Unruhe in 8
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seinem friedlichen Leben gesorgt hätte. Während Rodan und Scipio den Vater bei der Bewirtschaftung des Hofes und der Versorgung der Tiere unterstützen, hatte sein jüngster Sohn andere Dinge im Kopf. Mit vor Begeisterung glühenden Wangen hörte er alles über Decebalus und seine Schlacht gegen die Römer. Und wann immer seine Zeit es zuließ, streifte er allein in den nahe gelegenen Wäldern der Karpaten umher und stellte sich vor, selbst ein großer Feldherr zu sein. Bewaffnet mit einem selbst gefertigten Schwert übte er sich darin, es an der Seite seines Königs gegen die Feinde zu schwingen. Wer diese Feinde waren, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch der Tag sollte kommen, an dem er ihnen gegenüberstand. Für ihn war Decebalus ein Held, für Gideon war er ein Narr, der bis heute nicht einmal ahnte, welche Übermacht er damals herausgefordert hatte. Und obwohl Argon erst vierzehn Jahre alt war, geriet er ständig darüber in Streit mit seinem Vater. Argon war anders – anders als sein Vater, anders als seine Brüder, anders auch als die Söhne der benach‐ barten dakischen Familien. Es war aber nicht nur sein Charakter, der ihn ausgrenzte. Selbst sein Äußeres hob ihn hervor. Während seine beiden Brüder die dunklen 9
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Augen und das fast schwarze Haar ihres Vaters geerbt hatten, war Argons Haar so hell wie das seiner Mutter und seine Augen, in denen es stets unruhig flackerte, waren grau wie die kahlen Felsen der Karpaten. Argon spürte, dass sein Vater seine beiden Brüder ihm vorzog. Und auch wenn er nicht immer mit ihm einer Meinung war, wollte er doch ebenso von ihm geliebt werden. Um zu beweisen, dass er genauso gut war wie Rodan und Scipio, wurde es für ihn zu einer Besessenheit, seinen Brüdern in allem nachzueifern und sie dabei möglichst zu überbieten. Es begann schon im Kindesalter, dass er höher und schneller auf Bäume klettern, besser fischen, schneller schwimmen und laufen können wollte. Später bestand er darauf, immer die schwersten und unangenehmsten Arbeiten auf dem Hof zu übernehmen, nur um sich stets aufs Neue mit ihnen zu messen. Viola sah diesen unnatürlichen Ehrgeiz sehr wohl, doch wann immer sie mit ihrem Mann darüber reden wollte, tat Gideon ihre Bedenken mit einer unwilligen Handbewegung ab. Im Gegenteil, er warf ihr vor, ihren Sohn in seinem sonderlichen Verhalten noch zu bestärken und ihm seine dummen Gedanken erst in 10
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den Kopf zu setzen. In gewisser Weise hatte Gideon Recht damit, denn Viola liebte ihren jüngsten Sohn, und es verletzte sie ebenso wie ihn, dass sein Vater ihn offensichtlich geringer schätzte als seine Brüder. So versuchte sie, die mangelnde Zuneigung Gideons mit besonderer Zuwendung auszugleichen, jedoch ohne damit dessen Argwohn zu wecken. Fabia hingegen vergötterte ihren Bruder Argon ohne jeglichen Hehl und pflegte das besondere Band zwischen ihnen, was wohl daran lag, dass sie sich äußerlich sehr ähnlich waren. Wie ihr Bruder hatte sie helles Haar und helle Augen, wobei die ihrigen aber strahlend blau waren und wie der Himmel über Dakien an einem Sommertag strahlten. Ganz beson‐ ders strahlten sie, wenn Argon auftauchte. Dieser wiederum genoss es, von wenigstens einem Menschen ohne die geringste Einschränkung angenommen zu werden. Für sie war er der Held, der er in seinen Träumen sein wollte. Und obwohl Argon nur drei Jahre älter war als Fabia, wurde er für sie tatsächlich der heldenhafte Beschützer, der sie mit seinem Leben verteidigt hätte, wenn es erforderlich geworden wäre. Wenn Gideon nun mit seinen Söhnen nach Tapae kam, war es vor allem Argon, der die Blicke auf sich 11
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zog, der für sein Alter sehr groß und an Körperkraft manch erwachsenem Mann überlegen war. Die Frauen warfen ihm bewundernde Blicke zu und die jungen Mädchen steckten hinter seinem Rücken tuschelnd die Köpfe zusammen. Die Männer neideten ihm diesen Erfolg und fürchteten gleichzeitig seine körperliche Überlegenheit. Argon war noch zu jung, um zu verstehen, warum die Leute in der Stadt sich ihm gegenüber so seltsam verhielten. Manchmal wurde er in Auseinanderset‐ zungen verwickelt, die dann in Prügeleien endeten. Doch je älter er wurde, desto seltener ging er dabei als Verlierer hervor. Wenn sie in jüngeren Tagen nun in die Stadt kamen, hörte man immer häufiger einen Namen: Marcus Ulpius Traianus, seit einiger Zeit der neue Imperator Roms. Kaiser Trajan, ein Soldat aus Iberia, war ein großer Feldherr und hatte als solcher nur ein Ziel vor Augen. Unter ihm sollte das Römische Reich größer als je zuvor werden. Voller Angst und Ehrfurcht sprach man von seinem bevorstehenden Angriff. Es hieß, er wolle Dakien besetzen, um den Unruhen in dem Land ein Ende zu machen und die Bewohner endgültig zu unterwerfen. 12
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Gideon gab nicht viel auf derlei Gerede und untersag‐ te seinen Söhnen allein schon die Erwähnung Trajans, vor allem in Gegenwart ihrer Mutter. Doch wann immer die Brüder unter sich waren, kannten sie nun kaum noch ein anderes Gesprächsthema, und voll Sorge sah er den Glanz in ihre Augen bei der Vorstel‐ lung, ihr geliebtes Land gegen die Eindringlinge verteidigen zu können. Es war im Jahre 101, als Trajan mit seinen Truppen gegen die Daker zu Felde zog. Die Legionen folgten diesem Mann, sahen sie in ihm nicht nur den Impera‐ tor, sondern stets auch einen der ihren. Dieses Mal musste Gideon seinen Irrtum erkennen. Um ihr Land zu verteidigen, rief Decebalus alle jungen Männer erneut an das Schwert. Und so kam eine Gruppe berittener dakischer Sol‐ daten auch zu Gideons Hof. Er schirmte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und sah der näher kommenden Staubwolke mit ungutem Gefühl entgegen. Die Reiter zügelten ihre Pferde, als sie den Hof erreichten und Gideon trat ihnen entgegen. Sie berichteten, dass sie alle jungen Männer zum Kampf gegen die Römer aufriefen und forderten 13
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Gideon auf, alle seine Söhne herbeizurufen. Viola, die vom Inneren des Hauses aus die Ankömmlinge bemerkt hatte, trat ebenfalls vor die Tür. Sie wusste, was nun folgen würde. Hatte sie einst ihren Mann ziehen sehen, so sollten es diesmal ihre Söhne sein. Gideon brauchte seine Söhne gar nicht zu rufen, denn sie kamen schon von selbst, von Neugier getrieben und von Abenteuerlust erfüllt. Noch am selben Nachmittag verließen Rodan und Scipio ihr Eltern‐ haus, begleitet von den Tränen der Mutter und Schwester und dem besorgten Blick des Vaters. Argon aber hatte sich wütend in seine Wälder zu‐ rückgezogen. Auch er hatte mitgehen wollen, doch niemand hatte den Wunsch des Jungen ernst genom‐ men. Rodan und Scipio fielen schon während ihrer ersten Schlacht. Unerfahren wie sie waren, wurden sie von dem niedergehenden Speerhagel der Römer getroffen, noch bevor sie ihr Schwert gegen den Feind richten konnten. Trotzdem trugen die Daker letztlich den Sieg davon, den Vorteil nutzend, dass ihnen das unwegsa‐ me Gelände der Karpaten vertraut war. Trajan blieb nichts anderes übrig, als sich vorläufig zurückzuzie‐ hen. 14
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Nachdem die Nachricht vom Tode Rodans und Scipios Gideons Hof erreicht hatte, war dort nichts mehr wie es einmal gewesen war. Für Argon hatte die Änderung in seinem Leben schon mit dem Weggang seiner Brüder begonnen. Von einem Tag auf den anderen hatte er die Arbeit der beiden zu leisten. Gideon grämte sich sehr über den Verlust seiner beiden Söhne und übertrug die Verantwortung für den Hof mehr und mehr auf seinen verbliebenen einzigen Sohn. Es war ein hartes Leben, das Argons Muskeln stählte und sein Herz erfüllte mit dem Hass auf die Römer. Schon im nächsten Frühjahr überschritt Trajan mit seinen Truppen erneut die Donau, fest entschlossen, kein weiteres Mal zu scheitern. Er ließ die Daker die Überlegenheit der Römer spüren und setzte die erfolgserprobte Belagerungstaktik ein. Trotzdem weigerte sich Decebalus lange Zeit, seine Niederlage einzugestehen, und erst als eine Bergfestung nach der anderen unter den Angriffen der Römer fiel, ergab er sich. Trajan erwies sich als großherziger Sieger des Krieges und überließ dem dakischen König das Hochland, besetzte jedoch die Hauptstadt Sarmizege‐ thusa mit einer Garnison. 15